TE Bvwg Erkenntnis 2019/3/18 W137 2197839-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.03.2019
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Entscheidungsdatum

18.03.2019

Norm

BFA-VG §22a
BFA-VG §22a Abs1
B-VG Art.133 Abs4
FPG §76
FPG §76 Abs2 Z2
VwGVG §35

Spruch

W137 2197839-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Peter HAMMER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. Gambia, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.05.2018, Zahl: 1031466805/180474201, sowie die folgende Anhaltung in Schubhaft zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG stattgegeben, der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben und die vollzogene Schubhaft für rechtswidrig erklärt.

II. Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat gemäß § 35 VwGVG dem Beschwerdeführer den Verfahrensaufwand in Höhe von 737,60 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

III. Der Antrag der belangten Behörde auf Kostenersatz wird gemäß § 35 VwGVG abgewiesen.

B)

Die Revision ist gem. Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt

1. Der Beschwerdeführer stellte am 16.09.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, der vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 14.12.2014 wegen Zuständigkeit Spaniens zur Verfahrensführung gemäß § 5 AsylG zurückgewiesen wurde. Unter einem wurde die Ausweisung des Beschwerdeführers nach Spanien verfügt. Die Entscheidung musste im Akt hinterlegt bzw. durch öffentlichen Aushang zugestellt werden und erwuchs am 30.12.2014 in Rechtskraft.

2. Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 16.12.2015 wegen des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 (3) SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 3 Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.

3. Am 08.02.2017 wurde der Beschwerdeführer in Österreich betreten, wobei festgestellt werden konnte, dass er kein gültiges Reisedokument vorweisen konnte, jedoch im Besitz eines spanischen Aufenthaltstitels war. Nachdem der Beschwerdeführer festgenommen und in das PAZ Hernalser Gürtel überstellt worden war, wurde eine Einvernahme durchgeführt. Der Beschwerdeführer wurde belehrt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erlassung der Rückkehrentscheidung iVm Einreiseverbot vorliegen. Da der Beschwerdeführer über einen gültigen Aufenthaltstitel in Spanien verfügte, wurde er zur unverzüglichen Ausreise aufgefordert. Dem Beschwerdeführer wurde ein Ausreiseauftrag übergeben, welchen dieser zum Nachweis seiner tatsächlich erfolgten Ausreise bei einer österreichischen Vertretung in Spanien abgeben sollte. Dieser Aufforderung kam der Beschwerdeführer nach, da er laut Ausreisebestätigung am 20.02.2017 beim österreichischen Konsulat in Sevilla vorgesprochen hatte.

4. Am 20.05.2018 wurde der Beschwerdeführer in Österreich von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes aufgegriffen und befand sich dabei im Besitz von 14 Alufolienpäckchen mit Cannabis, weswegen er gemäß § 27 Abs. 1 SMG zur Anzeige gebracht wurde.

5. Am 21.05.2018 wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Im Rahmen dieser Einvernahme wurde dem Beschwerdeführer insbesondere mitgeteilt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot vorliegen würden und der Bescheid erlassen werde.

6. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid vom 21.05.2018, wurde betreffend den Beschwerdeführer nach niederschriftlicher Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet. Begründend wurde im Wesentlichen auf das bisherige Verhalten des Beschwerdeführers insbesondere die Straffälligkeit, das bestehende Einreiseverbot von Italien, sowie die fehlende soziale Verankerung in Österreich und das Fehlen ausreichender Existenzmittel bzw. eines gesicherten Wohnsitzes verwiesen.

7. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 22.05.2018, ZI. 1031466805/180474228, wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.). Zugleich wurde festgestellt, dass seine Abschiebung nach Gambia zulässig ist (Spruchpunkt II.). Ferner wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 4 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.). Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht (Spruchpunkt IV.) und erkannte die belangte Behörde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt V.).

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.07.2018, GZ: I404 2198714-1/3E wurde die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 22.05.2018 als unbegründet abgewiesen.

8. Gegen den Mandatsbescheid vom 21.05.2018 brachte der Beschwerdeführer durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter mit Schreiben vom 08.06.2018 fristgerecht eine Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht ein. Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer über eine Aufenthaltsberechtigung in Spanien verfüge und daher gemäß Art. 6 Abs. 2 RückführungsRL gegen ihn keine Rückkehrentscheidung zu erlassen gewesen wäre, sondern er stattdessen angewiesen hätte werden müssen, unverzüglich nach Spanien auszureisen. Da der Beschwerdeführer auch über ausreichend finanzielle Mittel verfüge und sein Reisepass in der Wohnung eines Freundes in Wien gelegen habe, hätte er sich seine sofortige Ausreise nach Spanien selbstständig finanzieren können.

Beantragt werde a) eine mündliche Verhandlung unter Einvernahme des Beschwerdeführers zur Klärung des maßgeblichen Sachverhalts durchzuführen; b) den angefochtenen Bescheid zu beheben und auszusprechen, dass die Anordnung von Schubhaft und die bisherige Anhaltung in Schubhaft in rechtswidriger Weise erfolgte; c) im Rahmen einer "Habeas Corpus Prüfung" auszusprechen, dass die Voraussetzungen zur weiteren Anhaltung des Beschwerdeführers nicht vorliegen; d) der belangten Behörde den Ersatz der Aufwendungen gemäß VwG-Aufwandersatzverordnung sowie der Kommissionsgebühren und Barauslagen, für die er Beschwerdeführer aufzukommen hat, aufzuerlegen.

9. Am 09.06.2018 wurde der Beschwerdeführer nach Gambia abgeschoben.

10. Mit Schreiben vom 11.06.2018 erstattete das Bundesamt eine Stellungnahme aufgrund der Schubhaftbeschwerde des Beschwerdeführers und brachte darin im Wesentlichen vor, dass gegen den Beschwerdeführer zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung iVm Einreiseverbot und der Abschiebung nach Gambia über den Beschwerdeführer die Schubhaft verhängt worden sei. Der Beschwerdeführer sei trotz bestehenden Schengen-Einreiseverbotes zum wiederholten Male unrechtmäßig nach Österreich eingereist und verfüge in Österreich über keine benennbare Unterkunft. Eine freiwillige Ausreise würde mangels ausreichender Barmittel nicht in Frage kommen und würde auch die Verhängung eines gelinderen Mittels für den Beschwerdeführer nicht in Betracht kommen, da er zu keinem Zeitpunkt über eine aufrechte Meldung im Bundesgebiet verfügt habe und sich bereits dem Asylverfahren entzogen habe. Deshalb hätte von einer erheblichen Fluchtgefahr des Beschwerdeführers ausgegangen werden müssen und sei deshalb die Schubhaft verhängt worden. Zudem würden keine Hinweise auf eine allfällige Haftunfähigkeit bestehen.

Aufgrund der Aktenlage wird folgender Sachverhalt der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt:

Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger Gambias. Sein Antrag auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid vom 14.12.2014 abgewiesen und festgestellt, dass Spanien zur Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Nach seiner freiwilligen Rückkehr nach Spanien spätestens am 20.02.2017, wurde der Beschwerdeführer am 20.05.2018 neuerlich von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Bundesgebiet aufgegriffen. Mit Mandatsbescheid vom 21.05.2018 wurde über den Beschwerdeführer die Schubhaft zur Sicherung der Erlassung einer Rückkehrentscheidung und zur Sicherung der Abschiebung erlassen. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 22.05.2018 wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt und die Abschiebung nach Gambia für zulässig erklärt. Ferner wurde gegen den Beschwerdeführer ein vierjähriges Einreiseverbot erlassen und wurde der Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Der Beschwerdeführer wurde am 09.06.2018 in sein Heimatland abgeschoben.

Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 05.07.2018, Zahl I404 2198714-1/3E, bestätigt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und der Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes zur Zl. 1075603807/190019447. Die Feststellungen betreffend das abgeschlossene (inhaltliche) Asylverfahren des Beschwerdeführers und das diesbezügliche Beschwerdeverfahren sind dem Verwaltungsakt sowie dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes zur Zahl I404 2198714-1/3E zu entnehmen.

2. Rechtliche Beurteilung

2.1. Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es gemäß § 27 VwGVG den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs.1 Z 3 und 4 VwGVG) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3 VwGVG) zu überprüfen. Gemäß § 9 Abs. 1 VwGVG hat die Beschwerde u.a. (Z 3) die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, sowie (Z 4) das Begehren zu enthalten. In den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, wurde zu § 27 VwGVG ausgeführt: "Der vorgeschlagene § 27 legt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes fest. Anders als die Kognitionsbefugnis einer Berufungsbehörde (vgl. § 66 Abs. 4 AVG) soll die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichtes durch den Inhalt der Beschwerde beschränkt sein."

2.2. Der mit "Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft" betitelte § 22a des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, lautet:

"§ 22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig."

Das Bundesverwaltungsgericht ist somit gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG für die Entscheidung der gegenständlichen Beschwerde zuständig.

Zu Spruchteil A)

2.3. Der mit "Schubhaft" betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet (seit 01.09.2018):

"§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß."

Zum Zeitpunkt der Anordnung der Schubhaft am 21.05.2018 lautete § 76 Abs. 2 allerdings noch:

"(2) Die Schubhaft darf nur dann angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder der Abschiebung notwendig ist und sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

2. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen."

2.4. Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der - aktuelle - Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

3. Zur Frage der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides und der Anhaltung in Schubhaft von 21.05.2018 bis zum 09.06.2018:

3.1. Gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (Ro 2017/21/0009 vom 05.10.2017 und Ro 2016/21/0219 vom 14.11.2017) ist die Anordnung einer Schubhaft unzulässig, solange dem Beschwerdeführer faktischer Abschiebeschutz zukommt. Diese Judikatur bezieht sich auf die

Im Zusammenhang mit EuGH vom 19.06.2018, C-181/16 (Gnandi), hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 13.12.2018, Ro 2018/18/0008-3, unter anderem festgehalten (Heraushebungen nicht im Original):

"Nach den unionsrechtlichen Vorgaben müssen die Rechtswirkungen der Rückkehrentscheidung überdies gesetzlich solange ausgesetzt sein, solange der Betroffene gemäß Art. 46 Abs. 8 der Verfahrensrichtlinie im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaates verbleiben darf. Im Zusammenhalt mit Art. 46 Abs. 6 der Verfahrensrichtlinie hat das zur Folge, dass die Aussetzung der Rechtswirkungen jedenfalls bis zur Entscheidung des Gerichtes, ob der Antragsteller (zumindest) während des Rechtsmittelverfahrens im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaates verbleiben darf, vorgesehen sein muss. Dem wird im österreichischen Recht grundsätzlich - und zwar jedenfalls im Zusammenhang mit der Durchführung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme - durch die siebentägige Wartepflicht nach § 16 Abs. 4 BFA-VG entsprochen. Ist bei Ablauf der Frist gemäß § 16 Abs. 4 BFA-VG aber noch keine gerichtliche Entscheidung über die aufschiebende Wirkung ergangen, muss zur Erzielung eines unionsrechtskonformen Zustandes davon ausgegangen werden, dass sich die gesetzlich angeordnete Wartepflicht bis zur tatsächlichen Entscheidung des Gerichtes über die Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (im oben dargestellten Sinne) verlängert und die Wirkungen der Rückkehrentscheidung jedenfalls bis dahin ausgesetzt sind."

Eine solche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist erst am 05.07.2018 ergangen, wodurch eine vorangehende Anhaltung in Schubhaft (nach der damals geltenden Rechtslage) schon grundsätzlich unzulässig ist.

3.2. Bereits aus diesem Grund erweist sich auch der am 21.05.2018 erlassene Bescheid - und damit auch die auf diesen Bescheid gestützte Schubhaft von 21.05.2018 bis zur Abschiebung am 09.06.2018 - als rechtswidrig. Somit muss auf das weitere Vorbringen betreffend den Bescheid und die Anhaltung in Schubhaft nicht näher eingegangen werden.

4. Entfall einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn (Z 1) der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder (Z 2) die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist. Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt war und Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die für die gegenständliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorlagen.

5. Kostenersatz

5.1. Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist (für die Zeit vor Inkrafttreten des § 22a Abs. 1a BFA-VG s. VwGH 23.04.2015, Ro 2014/21/0077).

5.2. Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei hat Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei. Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.

Dem Beschwerdeführer gebührt als (vollständig) obsiegender Partei daher Kostenersatz.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Dies liegt im gegenständlichen Fall nicht vor. Die Berücksichtigung eines unstrittigen oder zweifelsfrei belegten Vorverhaltens entspricht der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes.

Zudem besteht hinreichend Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur besonderen Schädlichkeit von Suchtmitteldelikten und zur Mitwirkungspflicht im Verfahren.

Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung, Fristverlängerung, Rechtswidrigkeit,
Schubhaft

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W137.2197839.1.00

Zuletzt aktualisiert am

24.04.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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