TE Bvwg Erkenntnis 2019/3/20 W169 2191890-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.03.2019
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Entscheidungsdatum

20.03.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W169 2191890-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Barbara MAGELE als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.03.2018, Zl. 1126993605-161152429, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF, und §§ 52, 55 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler und schlepperunterstützter Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 21.08.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 22.08.2016 gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass er aus dem Bundesstaat Punjab stamme und die Sprachen Punjabi und Hindi spreche. Er gehöre der Religionsgemeinschaft der Sikhs und der Volksgruppe der Punjabi an. Er habe von 1995 bis 2006 die Grundschule im Punjab besucht. Zu seinem Ausreisegrund führte der Beschwerdeführer an, dass es seit mehreren Jahren aufgrund eines Ackerlandes Streit mit der Nachbarfamilie gebe und sein Vater im Zuge dieses Streites von der Familie ermordet worden sei. Der Beschwerdeführer sei immer wieder von dieser Familie gefoltert, mehrmals mit dem Tod bedroht und auch verfolgt worden.

2. Wegen Verstoßes des Meldegesetzes wurde der Beschwerdeführer am 10.03.2017 von der LPD Wien zur Anzeige gebracht.

3. Am 22.03.2017 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen.

4. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.04.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO Litauen für die Prüfung des Antrages zuständig sei. Gleichzeitig wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Litauen gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei.

5. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24.07.2017, Zl. W185 2157642-1/4E, wurde der dagegen erhobenen Beschwerde gemäß § 21 Abs. 3 erster Satz BFA-VG stattgegeben, das Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz zugelassen und der bekämpfte Bescheid behoben.

6. Am 12.02.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen und gab er dabei an, dass er der Religionsgemeinschaft der Sikhs angehöre. Er beherrsche die Sprachen Punjabi, Hindi und Urdu. Der Beschwerdeführer habe im Herkunftsstaat, wo er zehn Jahre die Grundschule besucht habe, gemeinsam mit seiner Großmutter im Punjab gelebt, da sein Vater im Jahr 2000 ermordet worden und seine Mutter im Jahr 2002 eines natürlichen Todes erlegen sei. Der Beschwerdeführer habe nach der Schule den Lebensunterhalt drei Jahre lang als Verkäufer bestritten und davon gut leben können. Der Beschwerdeführer habe auch weitere Verwandte, die ebenfalls im Bundesstaat Punjab leben würden, und zwar drei Tanten und zwei Onkel mütterlicherseits, sowie zwei Tanten väterlicherseits. Die Großmutter des Beschwerdeführers sei vor zwei Jahren gestorben. Der Beschwerdeführer sei gesund.

Zu seinem Fluchtgrund brachte der Beschwerdeführer Folgendes vor (VP: nunmehriger Beschwerdeführer; LA: Leiter der Amtshandlung):

" (...)

LA: Aus welchem Grund haben Sie Ihr Heimatland verlassen? Schildern Sie dies bitte möglichst lebensnah, d.h. mit sämtlichen Details und Informationen, sodass die Behörde Ihr Vorbringen nachvollziehen kann! Nehmen Sie sich ruhig Zeit dafür!

VP: Als ich noch jung war wurde mein Vater ermordet und meine Mutter ist verstorben. Nachher wollten Sie dasselbe mit mir machen. Dreimal wurde ich geschlagen. Bedrohungen habe ich auch oft erhalten. Aus diesen Gründen musste ich Indien verlassen. Die Polizei hat mir auch nicht geholfen. Aus Angst vor dem Dorfrat haben mir die Dorfbewohner auch nicht geholfen. Niemand hat mir geholfen. Aus diesen Gründen habe ich diese Entscheidung getroffen.

LA: Haben Sie somit alle Ihre Gründe für Ihren Antrag auf internationalen Schutz genannt?

VP: Das sind alle Gründe, mehr kann ich nicht dazu angeben.

LA: Warum ist Ihr Vater ermordet worden?

VP: Meine Großeltern sind von Pakistan nach Indien gezogen. Aus diesem Grund hatten Sie Streit mit dem Dorfrat. Auch die Familie des Dorfrates stammt aus Pakistan. Der Grund oder die Ursache des Streits weiß ich nicht aber der Streit geht schon sehr lange.

LA: Wann sind Ihre Großeltern von Pakistan nach Indien gezogen?

VP: Der Großvater ist in Sialkot/Pakistan geboren und nach der Teilung des Punjabs sind sie nach Indien gezogen (Anmerkung LA: Die Teilung war 1947).

LA: Wie waren Sie davon betroffen?

VP: Der Dorfrat hat gute Kontakte mit anderen. Er hat auch politische Kontakte.

LA: Ich wiederhole die Frage. Wie waren Sie davon betroffen?

VP: Nach dem Tod meiner Eltern haben sie angefangen mich zu schikanieren. Ich wurde auch geschlagen.

LA: Warum wurden Sie geschlagen?

VP: Weil ich mein Recht haben wollte.

LA: Welches Recht?

VP: Ich möchte Gerechtigkeit wegen dem Tod meines Vaters. Als mein Vater starb war ich jung. Jetzt wollte ich Gerechtigkeit wegen meinem Vater.

LA: Wann wurden Sie geschlagen und wie oft?

VP: Das war im Jahr 2015. Ich wurde dreimal geschlagen. Das erste Mal war im Jahr 2012. Dabei wurde mein Bein verletzt.

LA: Wissen Sie noch was Sie bei der Polizei gesagt haben?

VP: Ja, ich habe gesagt mein Vater wurde ermordet und mein Leben ist in Gefahr.

LA: Weswegen ist Ihr Leben in Gefahr und weswegen wurde Ihr Vater ermordet?

VP: Wie ich vorher gesagt habe. Wegen der Feindschaft die schon über Generationen anhält.

LA: Haben Sie sich an die Polizei gewendet?

VP: Ja. Nachgefragt: Was hat die Polizei unternommen? Die Polizei sagte mir, dass ist eine alte Feindschaft und man kann nichts machen. Die Polizei hat nicht auf mich gehört.

LA: Das erste Mal wurden Sie 2012 geschlagen. Wann war das zweite und dritte Mal, dass Sie geschlagen wurden?

VP: Zweimal im Jahr 2012 und das letzte Mal im Jahr 2015.

LA: Öfter wurden Sie nicht geschlagen?

VP: Nein.

LA: Haben Sie jemals erwogen, an einen anderen Ort in Ihrem Heimatland zu ziehen, um den Problemen zu entgehen?

VP: Mit meiner Großmutter habe ich mich bei verschiedenen Verwandten aufgehalten. Letztendlich wollten die Verwandten uns auch nicht helfen. Deshalb mussten wir zurück ins Heimatdorf.

LA: Welche Befürchtungen haben Sie für den Fall einer Rückkehr in Ihr Heimatland?

VP: Ich fühle mich dort nicht sicher. Nachgefragt: Warum nicht? Indien hat 1,4 Milliarden Einwohner und ist sehr groß? Wegen der Probleme die ich dort hatte, kann ich nicht zurück. Ich möchte hier ein friedliches Leben haben.

LA: Würde Ihnen im Fall der Rückkehr etwas von Seiten der staatlichen Behörden drohen?

VP: Nein. Anmerkung LA: Nach längerer Zeit des Überlegens gibt VP folgende Antwort: Ja, weil der Dorfrat hat Verbindungen zu Politikern.

LA: Im ganzen Land hat der Dorfrat Kontakte zu Politikern?

VP: Alle MLA sind mit den anderen in Kontakt. Sie kennen sich untereinander.

(...)".

Weiters gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass er von seinem Wohnort nach Dehli geflohen sei, wo er sich drei Monate lang aufgehalten habe. Er sei dort nicht geblieben, weil er niemanden - außer dem Schlepper - gekannt habe.

Zu den Lebensumständen in Österreich gab der Beschwerdeführer an, dass er keine Verwandten oder familiären bzw. privaten Bindungen habe. Seinen Lebensunterhalt bestreite er durch Unterstützung seiner Freunde und gehe er gelegentlich in den Tempel, wo er etwas zum Essen bekomme. Der Beschwerdeführer besuche keine Kurse, Schulen, Vereine oder die Universität. Er spreche kein Deutsch und habe auch noch keinen Deutschkurs besucht.

Am Ende der Einvernahme wurden mit dem Beschwerdeführer die Länderberichte zur aktuellen Situation in Indien erörtert.

Mit Parteiengehör vom selben Tag wurde dem Beschwerdeführer die Möglichkeit gegeben, binnen einer Woche eine schriftliche Stellungnahme zu den Länderberichten der Staatendokumentation zu Indien einzubringen.

7. Mit Schriftsatz des bevollmächtigten Vertreters des Beschwerdeführers vom 18.02.2018 wurde zu den im Verfahren herangezogenen Länderinformationen der Staatendokumentation Stellung bezogen und insbesondere ausgeführt, dass die Reisefreiheit in Indien zu relativieren sei und der Beschwerdeführer keine Möglichkeit habe, sich außerhalb seiner Heimatregion niederzulassen. In Zusammenschau mit den Länderberichten sei das Vorbringen des Beschwerdeführers als glaubhaft zu beurteilen und könne er keinen Schutz durch die indischen Behörden erwarten. Aufgrund der prekären Lage in Indien sei die Rückkehrentscheidung "auf Dauer für unzulässig" zu erklären.

8. Mit dem im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) erlassen und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde innerhalb des Spruches ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu den von ihm behaupteten Verfolgungsgründen die Glaubwürdigkeit abzusprechen gewesen sei. Unabhängig davon stehe dem Beschwerdeführer aber eine innerstaatliche Fluchtalternative offen. Auch eine refoulementschutzrechtlich relevante Gefährdung im Fall einer Rückkehr nach Indien sei nicht gegeben. Der Beschwerdeführer erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der nicht sehr langen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien. Die Frist für die freiwillige Ausreise von vierzehn Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der Beschwerdeführer bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien.

9. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seinen bevollmächtigten Vertreter fristgerecht Beschwerde. Nach Wiederholung der Fluchtgründe wurde ausgeführt, dass das Bundesamt den Großteil seiner Aussagen nicht zur Kenntnis genommen, sondern nur "selektiv und in tendenziöser Weise jene herausgeklaubt" habe, die seiner eigenen Argumentation zuträglich seien. So habe der Beschwerdeführer genaue Ort- und Zeitangaben gemacht, die Ereignisse chronologisch und konsistent geschildert, sowie Erklärungen über sämtliche Personen getätigt. Aus den Aussagen des Beschwerdeführers gehe ferner hervor, dass die indischen Behörden ihm gegenüber schutzunfähig und schutzunwillig seien. Auch sei die pauschale Behauptung, in Indien bestehe immer und für jeden eine innerstaatliche Fluchtalternative, nicht zutreffend. Der Beschwerdeführer verfüge in seiner Heimat über kein Auffangnetz mehr, sei entwurzelt und sei ihm aufgrund der katastrophalen Sicherheitslage subsidiärer Schutz zu gewähren. Schließlich habe eine unzureichende Behandlung des Privat- und Familienlebens im Bundesgebet stattgefunden und habe die Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig zu lauten. Beantragt wurde die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung.

10. Mit Schreiben des Magistrates der Stadt Wien vom 28.12.2018 wurde mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer zur Ausübung des Gewerbes "Güterbeförderung mit Kraftfahrzeugen oder Kraftfahrzeugen mit Anhängern, deren höchstzulässiges Gesamtgewicht insgesamt 3.500 kg nicht übersteigt".

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Indien aus dem Bundesstaat Punjab und gehört der Religionsgemeinschaft der Sikhs an. Er beherrscht die Sprachen Punjabi, Hindi und Urdu. Im Herkunftsstaat lebte der Beschwerdeführer bis zur Ausreise gemeinsam mit seiner Großmutter; sein Vater ist im Jahr 2000 und seine Mutter im Jahr 2002 gestorben. Der Beschwerdeführer besuchte zehn Jahre die Grundschule und arbeitete danach drei Jahre lang als Verkäufer. Ihm ging es wirtschaftlich gut. Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos.

Die Verfolgungsbehauptungen des Beschwerdeführers sind nicht glaubhaft. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer in Indien eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung droht. Dem Beschwerdeführer steht in Indien eine innerstaatliche Schutz- bzw. Fluchtalternative offen.

Der Beschwerdeführer hat keine Verwandten oder familiären bzw. privaten Bindungen im Bundesgebiet. Der Beschwerdeführer besucht keine Kurse, Schulen oder Vereine, spricht kein Deutsch und hat auch keinen Deutschkurs besucht. Er bezieht keine Leistungen aus der Grundversorgung und ist zur Ausübung des Gewerbes "Güterbeförderung mit Kraftfahrzeugen oder Kraftfahrzeugen mit Anhängern, deren höchst zulässiges Gesamtgewicht insgesamt 3.500 kg nicht übersteigt".

Der Beschwerdeführer wurde am 10.03.2017 von der LPD Wien wegen Verletzung des Meldegesetzes zur Anzeige gebracht.

Im Herkunftsstaat leben nach wie vor Verwandte des Beschwerdeführers, und zwar zwei Onkeln und drei Tanten mütterlicherseits sowie zwei Tanten väterlicherseits. Seine Großmutter ist vor zwei Jahren gestorben. Er steht im erwerbsfähigen Alter, ist gesund und strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur Situation im Herkunftsstaat wird Folgendes festgehalten:

Allgemeine Menschenrechtslage

Indien hat 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet (AA 16.8.2016). Die nationale Gesetzgebung in Menschenrechtsangelegenheiten ist breit angelegt. Alle wichtigen Menschenrechte sind verfassungsrechtlich garantiert (ÖB 12.2016). Die Umsetzung dieser Garantien ist allerdings häufig nicht in vollem Umfang gewährleistet (AA 16.8.2016). Eine Reihe von Sicherheitsgesetzen schränken die rechtsstaatlichen Garantien, z.B. das Recht auf ein faires Verfahren, aber ein. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u. a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt. Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden (AA 16.8.2016).

Die wichtigsten Menschenrechtsprobleme sind Missbrauch durch Polizei und Sicherheitskräfte einschließlich außergerichtlicher Hinrichtungen, Folter und Vergewaltigung. Korruption bleibt weit verbreitet und trägt zur ineffektiven Verbrechensbekämpfung, insbesondere auch von Verbrechen gegen Frauen, Kinder und Mitglieder registrierter Kasten und Stämme sowie auch gesellschaftlicher Gewalt aufgrund von Geschlechts-, Religions-, Kasten- oder Stammeszugehörigkeit bei (USDOS 13.4.2016).

Die Menschenrechtslage ist in Indien regional sehr unterschiedlich (BICC 6.2016), eine verallgemeinernde Bewertung kaum möglich:

Drastische Grundrechtsverletzungen und Rechtsstaatsdefizite koexistieren mit weitgehenden bürgerlichen Freiheiten, fortschrittlichen Gesetzen und engagierten Initiativen der Zivilgesellschaft. Vor allem die Realität der unteren Gesellschaftsschichten, die die Bevölkerungsmehrheit stellen, ist oftmals von Grundrechtsverletzungen und Benachteiligung geprägt (AA 16.8.2016). Ursache vieler Menschenrechtsverletzungen in Indien bleiben tiefverwurzelte soziale Praktiken wie nicht zuletzt das Kastenwesen (AA 16.8.2016). Frauen, Mitglieder ethnischer und religiöser Minderheiten sowie niedriger Kasten werden systematisch diskriminiert (BICC 6.2016). Während die Bürger- und Menschenrechte von der Regierung größtenteils respektiert werden, ist die Lage in den Regionen, dort wo es interne Konflikte gibt teilweise sehr schlecht. Dies trifft insbesondere auf Jammu und Kaschmir und den Nordosten des Landes zu. Den Sicherheitskräften, aber auch den nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen, seien es separatistische Organisationen oder regierungstreue Milizen, werden massive Menschenrechtsverletzungen angelastet. Dem Militär und den paramilitärischen Einheiten werden Entführungen, Folter, Vergewaltigungen, willkürliche Festnahmen und außergerichtliche Hinrichtungen vorgeworfen. Insbesondere hinsichtlich der Spannungen zwischen Hindus und Moslems, welche im Jahr 2002 zu Tausenden von Todesfällen führten, wird den Sicherheitskräften Parteilichkeit vorgeworfen Die Stimmung wird durch hindunationalistische Parteien angeheizt, welche auch in der Regierung vertreten sind (BICC 6.2016).

Separatistische Rebellen und Terroristen in Jammu und Kaschmir, den nordöstlichen Bundesstaaten und im Maoistengürtel begehen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen, darunter Morde an Zivilisten, Polizisten, Streitkräften und Regierungsbeamten. Aufständische sind für zahlreiche Fälle von Entführung, Folter, Vergewaltigung, Erpressung und den Einsatz von Kindersoldaten verantwortlich (USDOS 13.4.2016).

Die Behörden verstoßen auch weiterhin gegen die Privatsphäre der Bürger. In manchen Bundesstaaten schränkt das Gesetz die religiöse Konversion ein und es gibt Berichte von Verhaftungen, aber keine Verurteilungen nach diesem Gesetz. Manche Einschränkungen in Bezug auf die Bewegungsfreiheit dauern an (USDOS 13.4.2016).

Im Oktober 1993 wurde die Nationale Menschenrechtskommission (National Human Rights Commission - NHRC) gegründet. Ihre Satzung beinhaltet den Schutz des Menschenrechtgesetzes aus dem Jahre 1993. Die Kommission verkörpert das Anliegen Indiens für den Schutz der Menschenrechte. Sie ist unabhängig und wurde durch ein Umsetzungsgesetz des Parlaments gegründet. Die NHRC hat die Befugnis eines Zivilgerichtes (NHRC o.D.). Die NHRC empfiehlt, dass das Kriminalermittlungsbüro alle Morde, in denen die angeblichen Verdächtigen während ihrer Anklage, Verhaftung, oder bei ihrem Fluchtversuch getötet wurden, untersucht. Viele Bundesstaaten sind diesem unverbindlichen Rat nicht gefolgt und führten interne Revisionen im Ermessen der Vorgesetzten durch. Die NHRC Richtlinien weisen die Bundesstaatenregierungen an, alle Fälle von Tod durch Polizeihandlung binnen 48 Stunden an die NHRC zu melden, jedoch hielten sich viele Bundesstaatenregierungen nicht an diese Richtlinien. Die NHRC forderte von den Bundesstaatenregierung, den Familien von Opfern eine finanzielle Kompensation zu bieten, aber die Bundesstaatenregierungen erfüllten diese Richtlinien nicht konsequent. Die Behörden haben die Streitkräfte nicht dazu aufgefordert, Todesfälle während der Haft an die NHRC zu melden (USDOS 13.4.2016).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (16.8.2016): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

-

BICC - Bonn International Centre for Conversion (6.2016):

Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien,

http://ruestungsexport.info/uploads/pdf/countries/201607/indien.pdf, Zugriff 13.12.2016

-

NHRC - The National Human Rights Commission India (o. D.): The National Human Rights Commission India, http://www.nhrc.nic.in/Documents/Publications/NHRCindia.pdf, Zugriff 5.1.2017

-

ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (12.2016):

Asylländerbericht Indien

-

USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - India, http://www.ecoi.net/local_link/322482/461959_de.html, Zugriff 13.12.2016

Bewegungsfreiheit

Das Gesetz gewährt landesweite Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Migration und Repatriierung und die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 13.4.2016). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der "Naxaliten" in Frage gestellt. Abgesehen davon ist Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes gewährleistet (AA 16.8.2016).

Die Regierung lockerte Einschränkungen in Bezug auf Reisen nach Arunachal Pradesh, Nagaland, Mizoram, Manipur und Teilen von Jammu und Kaschmir, außer für Ausländer aus Pakistan, China und Burma. Das Innenministerium und die Bundesstaatenregierungen verlangen vor Reiseantritt von den Bürgern spezielle Genehmigungen einzuholen, um in bestimmte gesperrte Regionen bzw. Sperrzonen zu reisen. Die Sicherheitskräfte untersuchen Wagen und deren Inhaber bei Checkpoints im Kaschmirtal, vor öffentlichen Veranstaltungen in Neu Delhi oder nach großen terroristischen Angriffen (USDOS 13.4.2016).

Die Regierung darf die legale Ausstellung eines Passes, an einen Anwärter, von dem geglaubt wird, dass er in Aktivitäten außerhalb des Landes verwickelt ist, die "schädlich für die Souveränität und Integrität der Nation" sind, verweigern Bürger von Jammu und Kaschmir sind auch weiterhin mit massiven Verzögerungen bei der Ausstellung eines Passes konfrontiert, oft dauert es bis zu zwei Jahre, bis ihnen das Außenministerium einen Pass ausstellt oder erneuert. Die Regierung setzt Antragsteller - geboren in Jammu und Kaschmir -, darunter auch Kinder von Militäroffizieren Berichten zufolge zusätzlichen Kontrollen aus, bevor sie einen Pass erhalten (USDOS 16.8.2016).

Mit dem geplanten Datenverbundsystem für die zentralen Sicherheitsbehörden und die Unionsstaaten, Crime and Criminal Tracking Network System (CCTNS), soll künftig ein Informationsaustausch auf allen Ebenen gewährleistet sein. Für 2012 war eine Anbindung von 15.000 Polizeistationen und 6.000 übergeordneten Stellen vorgesehen. Die Umsetzung des ambitionierten Vorhabens liegt jedoch weit hinter dem ursprünglichen Zeitplan (AA 3.3.2014).

Indien ist das siebtgrößte Land der Erde mit über einer Milliarde Einwohnern (ÖB 12.2016). Es ist davon auszugehen, dass Betroffene sich durch Flucht in einen anderen Landesteil jeglicher Art der privaten/halbstaatlichen Probleme entziehen können, da nicht davon auszugehen ist, dass über das Dorf hinaus Anwohner oder lokale Behörden Hinweise erhalten oder recherchieren können oder sich überhaupt dafür interessieren, was ein Zugezogener in der Vergangenheit gemacht haben könnte. Es fehlen jegliche zentrale Aktenführung oder Informationsaustausch. Es bedarf lediglich eines sehr einfachen, öffentlichen Namensänderungsverfahrens, um seine Identität zu verschleiern (AA 3.3.2014).

Es gibt kein staatliches Melde- oder Registrierungssystem, so dass ein Großteil der Bevölkerung keinen Ausweis besitzt. Dies begünstigt die Niederlassung in einem anderen Landesteil im Falle von Verfolgung. Auch bei laufender strafrechtlicher Verfolgung ist nicht selten ein unbehelligtes Leben in ländlichen Bezirken eines anderen Landesteils möglich, ohne dass die Person ihre Identität verbergen muss (AA 16.8.2016). Ob der Betreffende nach der Umsiedlung dort die Möglichkeit hat, sich ein wirtschaftliches Auskommen zu verschaffen, hängt ausschließlich von seiner Eigeninitiative ab (AA 3.3.2014).

In den großen Städten ist die Polizei jedoch personell und materiell besser ausgestattet, so dass die Möglichkeit, aufgespürt zu werden, dort größer ist. Bekannte Persönlichkeiten ("high profile" persons) können nicht durch einen Umzug in einen anderen Landesteil der Verfolgung entgehen, wohl aber weniger bekannte Personen ("low profile" people) (ÖB 12.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (3.3.2014): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Indien

-

AA - Auswärtiges Amt (16.8.2016): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

-

ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (12.2016):

Asylländerbericht Indien

-

USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Pracitces 2015 - India, http://www.ecoi.net/local_link/322482/461959_de.html, Zugriff 28.12.2016

1.1 Meldewesen

Es gibt kein Meldewesen in Indien (AA 16.8.2016).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (16.8.2016): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

Grundversorgung/Wirtschaft

Indiens Wirtschaft hat sich zuletzt erholt und an Dynamik gewonnen. Indien zählt nach wie vor zu den am stärksten expandierenden Volkswirtschaften der Welt. Das Wirtschaftswachstum lag im Haushaltsjahr 2015/2016 bei 7,6% (AA 9.2016).

Das Land hat eine aufstrebende urbane Mittelschicht. Die große Zahl an Facharbeitskräften macht es zu einem beliebten Ziel für internationale Firmen, die versuchen ihre Arbeit auszulagern. Der Großteil der ländlichen Bevölkerung ist weiterhin arm, da deren Leben auch weiterhin durch das altertümliche Hindukastensystem beeinflusst wird, welches jeder Person einen Platz in der sozialen Hierarchie zuweist (BBC 27.9.2016)

Das hohe Wachstum der Jahre bis 2011 hat die regionalen Entwicklungsunterschiede auf dem Subkontinent und das zunehmende Einkommensgefälle zwischen der expandierenden städtischen Mittelschicht und der überwiegend armen Bevölkerung auf dem Lande, wo noch knapp 70% aller Inder leben, schärfer hervortreten lassen. Ende September 2014 verkündete Premierminister Modi die "Make in India" Kampagne und rief ausländische Investoren dazu auf, in Indien bei verbesserten Investitionsbedingungen zu produzieren. Zur Ankurbelung der weiteren Industrialisierung werden groß angelegte Infrastrukturprojekte verfolgt. Auch im Bereich Schiene, den Häfen und im Luftverkehr sind erhebliche Investitionen nötig und geplant. Wachstum und Wohlstand verdankt Indien vor allem dem Dienstleistungssektor mit einem Anteil von über 53% am BIP. Hiervon profitiert aber bei einem Beschäftigungsanteil von etwa 30% nur ein kleiner Teil der Bevölkerung. Zur Überwindung der Massenarmut sollen neue Arbeitsplätze geschaffen werden, vor allem auch für nicht oder gering qualifizierte Kräfte (AA 9.2016).

Indien hat eine Erwerbsbevölkerung von 404,5 Millionen, von welchen 43 Millionen im formellen Sektor und 361 Millionen im informellen Sektor arbeiten, wo sie weder gegen Krankheit oder Arbeitsunfälle abgesichert sind, noch Anspruch auf soziale Leistungen oder Altersversorgung haben (AA 9.2016). Der Hauptteil der Menschen, die im informellen Sektor arbeiten, sind im privaten Sektor tätig (BAMF 12.2015). Die überwiegende Mehrheit der indischen Bevölkerung lebt in ländlich-bäuerlichen Strukturen und bleibt wirtschaftlich benachteiligt. Der Anteil der Landwirtschaft an der indischen Wirtschaftsleistung sinkt seit Jahren kontinuierlich und beträgt nur noch etwa 17,4% (2015/16) der Gesamtwirtschaft, obgleich rund 50% der indischen Arbeitskräfte in diesem Bereich tätig sind (AA 9.2016).

Die Regierung hat überall im Land mehr als 900 Arbeitsagenturen (Employment Exchanges) eingeführt um die Einstellung geeigneter Kandidaten zu erleichtern. Arbeitssuchende registrieren sich selbständig bei den Arbeitsagenturen und werden informiert sobald eine geeignete Stelle im Regierungssekte frei ist. Das MGNREGA Gesetz (Mahatma Gandhi National Rural Employment Guarantee Act) ist ein Arbeitsgarantieprogramm. Erwachsenen eines ländlichen Haushalts, welche gewillt sind Handwerksarbeit zum Mindestlohn zu verrichten, wird hierdurch eine gesetzliche Jobgarantie für 100 Tage im Jahr gewährt. Das Kommissariat oder Direktorat der Industrie (The Commissionerates or Directorates of Industries) bieten Hilfe bei der Geschäftsgründung in den verschiedenen Staaten. Einige Regierungen bieten Arbeitslosenhilfe für Personen, die bereits mehr als drei Jahre bei der Stellenbörse registriert sind (BAMF 12.2015)

Indien steht vor gewaltigen Herausforderungen bei der Armutsbekämpfung und in der Bildungs- und Infrastrukturentwicklung. Das durchschnittliche jährliche Pro-Kopf-Einkommen liegt bei 1.313 Euro. Etwa 30% der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze von 1 USD pro Kopf und Tag. Rund 70% haben weniger als 2 USD pro Tag zur Verfügung. Auf dem Human Development Index des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (United Nations Development Programme - UNDP) steht Indien auf Platz 135 unter 187 erfassten Staaten. Während es weltweit die meisten Millionäre und Milliardäre beheimatet, liegt Indien bei vielen Sozialindikatoren deutlich unter den Durchschnittswerten von Subsahara-Afrika. Gleichzeitig konnten in den letzten beiden Jahrzehnten hunderte Millionen Menschen in Indien der Armut entkommen (AA 9.2016).

In Indien haben derzeit von 400 Millionen Arbeitskräften nur etwa 35 Millionen Zugang zum offiziellen Sozialen Sicherungssystem in Form einer Altersrentenabsicherung. Dies schließt Arbeiter des privaten Sektors, Beamte, Militärpersonal und Arbeitnehmer von Unternehmen des staatlich öffentlichen Sektors ein (BAMF 8.2014). Die Regierung betreibt eine Vielzahl von Programmen zur Finanzierung von Wohnungen. Diese richten sich jedoch zu meist an Personen unterhalb der Armutsgrenze. Weiters bieten die Regierungen eine Vielzahl an Sozialhilfen an welche sich jedoch an unterprivilegierte Gruppen, wie die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze richten. Diese Programme werden grundsätzlich durch die lokalen Verwaltungen umgesetzt (Panchayat) (BAMF 12.2015).

Die Arbeitnehmerrentenversicherung ist verpflichtend und mit der Arbeit verknüpft. Das staatliche Sozialversicherungsprogramm (National Social Assistance Programme) erfasst nur die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze oder physisch Benachteiligte. Das staatliche Rentensystem National Pension System (NPS) ist ein freiwilliges, beitragsbasiertes System, welches es den Teilnehmer ermöglicht systematische Rücklagen während ihres Arbeitslebens anzulegen (BAMF 12.2015).

Etwa ein Viertel der Bevölkerung lebt unter dem Existenzminimum. Sofern es nicht zu außergewöhnlichen Naturkatastrophen kommt, ist jedoch eine für das Überleben ausreichende Nahrungsversorgung auch den schwächsten Teilen der Bevölkerung grundsätzlich sichergestellt. Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer, Sozialhilfe oder ein anderes soziales Netz. Rückkehrer sind auf die Unterstützung der Familie oder Freunde angewiesen. Vorübergehende Notlagen können durch Armenspeisungen im Tempel, insbesondere der Sikh-Tempel, die auch gegen kleinere Dienstleistungen Unterkunft gewähren, ausgeglichen werden (AA 16.8.2016).

Als Teil einer Armutsbekämpfungsinitiative wurde seit 2010 Millionen indischer Bürger eine Aadhaar ID Nummer ausgestellt. Obwohl diese nicht verpflichtend ist, gaben Beamte an, dass der Nichtbesitz den Zugang zur Staatshilfe limitieren werden könnte (FH 3.10.2013). Die unverwechselbare Identitätsnummer ermöglicht es beispielsweise, dass staatliche Zuschüsse direkt an den Verbraucher übermittelt werden. Anstatt diese auf ein Bankkonto zu senden, wird sie an die unverwechselbare Identitätsnummer überwiesen, die mit der Bank verbunden ist und geht so an das entsprechende Bankkonto. 750 Millionen Inder haben derzeit eine derartige Identitätsnummer, ca. 130 Millionen haben diese auch mit ihrem Bankkonto verknüpft (International Business Times, 2.2.2015).

Die Identifizierungsbehörde Indiens wurde eingerichtet, um die rechtliche und technische Infrastruktur zu schaffen, die notwendig ist, um allen indischen Einwohnern eine 12-stellige Identitätsnummer (UID) auszustellen, die online überprüft werden können. Dieses Projekt soll gefälschte und doppelte Identitäten ausschließen. Das neue Identitätssystem wird mit Fotos, demographischen und biometrischen Details (Fingerabdrücke und IrisBild) verbunden. Der Erwerb einer UID ist freiwillig und kostenlos. Es gibt keine rechtliche Verpflichtung, sich registrieren zu lassen (UK Home Office 2.2015).

Da die im Rahmen des UID bzw. Aadhaar Projektes gesammelten Daten nicht in das nationale Bevölkerungsregister (NPR) integriert werden, stellt dieses jedoch nur eine bloße Auflistung von Namen und demographischen Details dar. Bisher wurden 1,04 Milliarden Aadhaar Nummern generiert, mit dem Plan der vollständigen Erfassung der Bevölkerung bis März 2017. Die zuständige Behörde für die einheitliche Identifikationsnummer weigert sich, die gesammelten Daten an das für das Bevölkerungsregister zuständige Innenministerium weiterzuleiten, da sie aufgrund des im Juli 2016 verabschiedeten Gesetzes von einem Datenaustausch ausgeschlossen ist (HT 8.8.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (16.8.2016): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

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AA - Auswärtiges Amt (9.2016): Indien, Wirtschaft, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_8E633C2F61937CFE7189E5065CD31B93/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Indien/Wirtschaft_node.html, Zugriff 23.12.2016

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BBC - British Broadcasting Corporation (27.9.2016) India profile - Overview, http://www.bbc.co.uk/news/world-south-asia-12557384, Zugriff 28.12.2016

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BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (8.2014):

Länderinformationsblatt Indien, http://www.bamf.de/SharedDocs/MILo-DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laenderinformationen/Informationsblaetter/cfs_indien-dl_de.pdf?__blob=publicationFile, Zugriff 29.12.2016

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BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (12.2015):

Länderinformationsblatt Republik Indien, https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698704/772099/18364589/Indien_-_Country_Fact_Sheet_2015%2C_deutsch.pdf?nodeid=17927013&vernum=-2, Zugriff 29.12.2016

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FH - Freedom House (3.10.2013): Freedom on the Net 2013 - India, http://www.ecoi.net/file_upload/3714_1380802722_fotn-2013-india.pdf, Zugriff 9.1.2017

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HT - Hindustan Times (8.8.2016): National Population Register project now a Rs 4,800-crore sinkhole, http://www.hindustantimes.com/india-news/national-population-register-project-now-a-rs-4-800-crore-sinkhole/story-xwmSEA3NwijJFoOpxYe3dN.html, Zugriff 9.1.2017

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International Business Times (2.2.2015): One Billion Indians To Have UID Numbers By Year-End As India Seeks To Boost Social Security,

http://www.ibtimes.com/one-billion-indians-have-uid-numbers-year-end-india-seeks-boost-social-security-1802126, Zugriff 9.1.2017

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UK Home Office (2.2015): Country Information and Guidance India:

Background information, including actors of protection, and internal relocation,

https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/402790/cig_india_background_2015_02_04_v2_0.pdf, Zugriff 29.12.2016

Rückkehr

Allein die Tatsache, dass eine Person in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, führt nicht zu nachteiligen Konsequenzen nach der Abschiebung. In den letzten Jahren hatten indische Asylbewerber, die in ihr Heimatland abgeschoben wurden, grundsätzlich - abgesehen von einer intensiven Prüfung der (Ersatz-) Reisedokumente und einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden - keine Probleme. Polizeilich gesuchte Personen müssen allerdings bei Einreise mit Verhaftung und Übergabe an die Sicherheitsbehörden rechnen (AA 16.8.2016). Die indische Regierung hat kein Reintegrationsprogramm und bietet auch sonst keine finanzielle oder administrative Unterstützung für Rückkehrer (BAMF 12.2015).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (16.8.2016): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

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BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (12.2015):

Länderinformationsblatt Republik Indien, https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698704/772099/18364589/Indien_-_Country_Fact_Sheet_2015%2C_deutsch.pdf?nodeid=17927013&vernum=-2, Zugriff 29.12.2016

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zur Herkunft des Beschwerdeführers und zu seiner Lebenssituation im Herkunftsstaat sowie die Feststellungen, dass der Beschwerdeführer in Österreich keine Verwandten oder familiäre bzw. private Bindungen hat, keine Kurse, Schulen oder Vereine besucht, kein Deutsch spricht und auch keinen Deutschkurs besucht hat, zur Ausübung eines Gewerbes berechtigt ist und gesund ist, beruhen auf den Angaben des Beschwerdeführers im Rahmen der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 12.02.2018 sowie dem im Akt aufliegenden Schreiben des Magistrats der Stadt Wien vom 28.12.2018.

Die Feststellung zur Anzeige gegen den Beschwerdeführer wegen Verletzung des Meldegesetzes ergibt sich aus der im Akt aufliegenden Anzeige der LPD Wien vom 10.03.2017.

Dass der Beschwerdeführer keine Leistungen aus der Grundversorgung in Anspruch nimmt und strafgerichtlich unbescholten ist, ergibt sich aus der Einsichtnahme ins Grundversorgungssystem und ins österreichische Strafregister.

Die Beurteilung der belangten Behörde, wonach das Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich einer Bedrohung durch seine Nachbarn bzw. den Dorfrat nicht glaubwürdig sei, ist zutreffend, zumal die diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers, wie schon das Bundesamt im angefochtenen Bescheid zu Recht festgestellt hat, zum einen vage und wenig konkret und zum anderen logisch nicht nachvollziehbar waren und überdies im Verfahren geändert wurden.

So gab der Beschwerdeführer im Rahmen der Erstbefragung am 22.08.2016 zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates an, dass es seit mehreren Jahren einen Streit mit der Nachbarfamilie aufgrund eines Ackerlandes gegeben habe und sein Vater im Zuge dieses Streites von der Familie ermordet worden sei. Der Beschwerdeführer sei immer wieder von dieser Familie gefoltert, mehrmals mit dem Tod bedroht und verfolgt worden. In seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 12.02.2018 gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass sein Vater ermordet worden sei, als der Beschwerdeführer noch sehr jung gewesen sei und hätten "sie" dasselbe mit ihm machen wollen. So sei er ebenfalls bedroht und geschlagen worden und habe ihm niemand geholfen, da alle Dorfbewohner Angst vor dem "Dorfrat" gehabt hätten. Auf die Frage, warum sein Vater ermordet worden sei, gab der Beschwerdeführer nur lapidar an, dass seine Großeltern nach der Teilung des Punjabs von Pakistan nach Indien gezogen seien und sie aus diesem Grund Probleme mit dem Dorfrat gehabt hätten. Eine Verfolgung durch die Nachbarn aufgrund eines Ackerlandes erwähnte der Beschwerdeführer mit keinem Wort mehr. Auch berichtete der Beschwerdeführer in seiner Erstbefragung davon, dass er "gefoltert" worden sei. In seiner Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl konkret nach den gegen die Person des Beschwerdeführers gerichteten Verfolgungshandlungen befragt, beschränkten sich seine Aussagen lediglich darauf, dass er drei Mal geschlagen worden sei, zwei Mal im Jahr 2012 und ein Mal im Jahr 2015, wobei sein Bein verletzt worden sei. Wie im angefochtenen Bescheid völlig richtig festgehalten, erwähnte der Beschwerdeführer keine Folterhandlungen mehr. Auch lässt das Vorbringen des Beschwerdeführers in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die in der Erstbefragung angeführten, angeblich mehrmals vorgefallenen Todesdrohungen, gänzlich vermissen. Da der Beschwerdeführer sowohl seine Angaben hinsichtlich seiner Verfolger, als auch jene bezüglich der Verfolgungshandlungen und des Grundes für die Verfolgung seiner Person änderte, war die Glaubwürdigkeit des Vorbringens bereits stark anzuzweifeln.

Auch blieben die Angaben des Beschwerdeführers zur behaupteten Verfolgung durch den Dorfrat, trotz mehrmaligem Nachfragens seitens des zur Entscheidung berufenen Organwalters des Bundesamtes, stets vage und detailarm. Danach gefragt, inwiefern der Beschwerdeführer von den behaupteten Streitereien betroffen gewesen sei, gab der Beschwerdeführer der Frage ausweichend an: "Der Dorfrat hat gute Kontakte mit anderen. Er hat auch politische Kontakte.". Nach Wiederholung der Frage führte der Beschwerdeführer an, dass "sie" nach dem Tod seiner Eltern begonnen hätten, ihn zu "schikanieren" und er auch geschlagen worden sei. Auf die Frage, wieso er geschlagen worden sei, gab er erneut nur lapidar und allgemein zu Protokoll: "Weil ich mein Recht haben wollte". Danach gefragt, um welches Recht es sich dabei handle, brachte der Beschwerdeführer erneut nur oberflächlich und unsubstantiiert vor, dass er beim Tod seines Vaters noch jung gewesen sei, er aber nun "Gerechtigkeit" gewollt habe. Eine konkrete Antwort blieb der Beschwerdeführer somit schuldig.

Wie im angefochtenen Bescheid weiters zu Recht ausgeführt, kann dem Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach er Verfolgung durch den Dorfrat zu befürchten hätte, auch deshalb kein Glauben geschenkt werden, da der Beschwerdeführer laut eigenen Angaben sowohl mit seinen Eltern, als auch mit seiner Großmutter im Herkunftsort lebte und er überdies auch vorbrachte, dass der Streit bereits seit Generationen andauere. Wären der Beschwerdeführer und seine Familie tatsächlich intensiv verfolgt worden, so wären sie bestimmt nicht in der Lage gewesen, über Generationen hinweg im Herkunftsort zu leben. Überdies gab der Beschwerdeführer auf die Frage, warum er sich nicht in einen anderen Teil Indiens niedergelassen habe, an, dass er in der Vergangenheit mit seiner Großmutter zu Verwandten gezogen sei, sie jedoch mangels Unterstützung erneut in den Herkunftsort hätten zurückkehren müssen. Hätte der Beschwerdeführer jedoch tatsächlich Verfolgung zu fürchten gehabt, wären seine Großmutter und er sicher nicht wieder freiwillig zurück in den Heimatort gezogen, zumal der Beschwerdeführer auch für die Zeit bei den Verwandten keine gegen ihn gerichteten Verfolgungshandlungen vorbrachte.

Aufgrund der detailarmen, im Verfahren geänderten und wenig plausiblen Angaben des Beschwerdeführers hinsichtlich der vom Beschwerdeführer behaupteten Verfolgung ist sohin davon auszugehen, dass es sich bei dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen lediglich um ein gedankliches Konstrukt handelt.

Schließlich gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, sich mehrere Monate vor seiner Ausreise in Dehli befunden zu haben und geht die Behörde in ihrer Bescheidbegründung zu Recht davon aus, dass es den vermeintlichen Verfolgern mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht möglich sein wird, den Beschwerdeführer in einem Land wie Indien, mit 1,2 Milliarden Einwohnern und ohne Meldesystem, zu finden. Somit würde sich auch bei Wahrunterstellung der Bedrohungsbehauptungen des Beschwerdeführers vor dem Hintergrund der getroffenen Feststellungen über die Lage in seinem Herkunftsstaat daraus keine ernsthafte Bedrohungssituation für den Beschwerdeführer ableiten lassen. Aus den Länderberichten ergibt sich deutlich, dass in Indien volle Bewegungsfreiheit gewährleistet ist. Es kann grundsätzlich örtlich begrenzten Konflikten bzw. Verfolgungshandlungen durch Übersiedelung in einen anderen Landesteil ausgewichen werden. Tatsächlich gibt es kein staatliches Melde- oder Registrierungssystem für indische Staatsbürger und diese besitzen in der Mehrzahl keine Ausweise. Die indische Verfassung garantiert indischen Staatsangehörigen das Recht auf Bewegungsfreiheit im Staatsgebiet sowie das Recht auf Niederlassung und Aufenthalt in jedem Teil des Landes. Auch bei strafrechtlicher Verfolgung ist in der Regel ein unbehelligtes Leben in ländlichen Bezirken in anderen Teilen Indiens möglich, ohne dass diese Person ihre Identität verbergen muss. Der Beschwerdeführer würde daher auch bei Zugrundelegung seiner Angaben über eine Bedrohungssituation die Möglichkeit haben, vor einer Verfolgung von dieser Seite durch Niederlassung außerhalb seine

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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