Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen Dr. E. Solé, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer, Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Mag. Dominik Kellerer, Rechtsanwalt in Schwaz, gegen die beklagte Partei Ing. P***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Wilfried Huber, Rechtsanwalt in Zell am Ziller, wegen 40.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 18. September 2018, GZ 1 R 141/18v-15, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Schwaz vom 23. April 2018, GZ 2 C 1328/17v-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung
den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der
Revision wird Folge gegeben.
Die
Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Der Kläger war Pächter und die Beklagte Verpächterin eines Gastronomiebetriebs. Der zwischen den Parteien Ende 2015 befristet (bis 2023) und ohne ordentliche Kündigungsmöglichkeit abgeschlossene Pachtvertrag (dieser nimmt nur auf einzelne in den §§ 1117 und 1118 ABGB genannte – außerordentliche – Kündigungsgründe Bezug) enthielt unter anderem folgende Bestimmung: „Ausdrücklich vereinbart wird zwischen den Vertragsteilen, dass im Falle der vorzeitigen Vertragsauflösung durch die Pächterseite oder vorzeitigen Vertragsauflösung durch die Verpächterseite aus Gründen, die die Pächterseite zu vertreten hat, sich die Pächterseite verpflichtet, einen pauschalierten Schadenersatz in Höhe der Garantiesumme von EUR 40.000,-- […] an die Verpächterseite zu bezahlen, wobei hier vereinbart wird, dass, soweit gesetzlich und rechtlich zulässig, ein richterliches Mäßigungsrecht von den Vertragsteilen ausdrücklich ausgeschlossen wird bzw. ausdrücklich auf ein richterliches Mäßigungsrecht verzichtet wird, und weiters die Verpächterseite unwiderruflich berechtigt ist, in diesem Fall den Bankgarantiebrief in Anspruch zu nehmen und abzurufen.“
Aufgrund der für den Kläger zu hohen Fixkostenbelastung des Gastronomiebetriebs suchte er schon bald das Gespräch mit der Beklagten. Diese war jedoch zu keiner Herabsetzung des Pachtzinses bereit, sondern entgegnete – ohne dass über die Konventionalstrafe gesprochen wurde – dem Kläger bloß, er solle ein Kündigungsschreiben verfassen. Dieser übersandte der Beklagten daraufhin ein Schreiben mit unter anderem folgendem Inhalt: „[…] hiermit kündige ich zum 31. 07. 2017 den mit Ihnen geschlossenen Pachtvertrag […]. Bitte lassen Sie mir eine schriftliche Kündigungsbestätigung zukommen.“ Die Beklagten antwortete darauf: „[…] Ich bestätige den Erhalt der Kündigung und nehme diese an. Ich bitte dich am 31. 7. 2017 das Lokal gemäß den Bestimmungen des Pachtvertrages zu übergeben [...].“ Am 29. 6. 2017 nahm die Beklagte die ihr vom Kläger unter anderem zur Besicherung der im Vertrag vereinbarten „Garantiesumme“ übergebene Bankgarantie über 40.000 EUR in Anspruch.
Der Kläger begehrt die Rückzahlung der seiner Ansicht nach zu Unrecht abgerufenen Beträge aus der Bankgarantie. Diese sei deshalb unberechtigt in Anspruch genommen worden, weil das Pachtverhältnis einvernehmlich beendet worden sei, worauf sich die Verpflichtung zur Bezahlung der vereinbarten „Garantiesumme“ aber nicht bezogen habe. Die Vereinbarung der als Konventionalstrafe anzusehenden „Garantiesumme“ sei auch sittenwidrig, weil sie den Kläger in seiner Vertragsauflösungsfreiheit einschränke und ihn ungebührlich „kneble“. Für die Verpflichtung zur Bezahlung der Vertragsstrafe fehle es auch am erforderlichen Verschulden des Klägers an der Vertragsbeendigung. Die Beklagte habe sich auch (ersichtlich gemeint: im Zusammenhang mit der Vertragsbeendigung) „grob sorgfaltswidrig verhalten“ und gegen – nicht näher konkretisierte – Schutz- und Sorgfalts- sowie Treuepflichten verstoßen. Jedenfalls sei die Konventionalstrafe im Rahmen des richterlichen Mäßigungsrechts auf Null herabzusetzen.
Die Beklagte bestritt und wandte ein, dass ihr die vereinbarte Konventionalstrafe zustehe, weil der Kläger den Vertrag vorzeitig aufgelöst habe. Das richterliche Mäßigungsrecht sei vertraglich ausgeschlossen worden und stehe auch deshalb nicht zu, weil der tatsächliche Schaden der Beklagten die durch die Bankgarantie besicherte Konventionalstrafe weit übersteige. Dieser übersteigende Teil des Schadens werde samt dem unbeglichenen Pachtzins für Juli 2017 in Höhe von 3.611,40 EUR mit einem Gesamtbetrag von 245.575,20 EUR als Gegenforderung eingewendet.
Das Erstgericht sprach aus, dass die Klagsforderung mit 40.000 EUR und die Gegenforderung nicht zu Recht bestehe und gab dem Klagebegehren statt. Es ging davon aus, dass die Vereinbarung einer Konventionalstrafe mit dem – aufgrund des Vorliegens eines Gründungsgeschäfts – als Verbraucher anzusehenden Kläger per se unzulässig gewesen sei, gegen die guten Sitten verstoßen und diesen gröblich benachteiligt habe. Außerdem sei die Vertragsbeendigung im Einvernehmen der Parteien erfolgt, was nach dem Wortlaut des Pachtvertrags keine Verpflichtung zur Bezahlung der Konventionalstrafe auslöse.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Zwar könne auch mit einem Konsumenten eine Vertragsstrafe vereinbart werden. Eine Auslegung der relevanten Bestimmung des Pachtvertrags ergebe aber, dass diese nur im Fall einer einseitigen, ungerechtfertigten Auflösung durch den Pächter zu zahlen sei. Eine solche Vertragsbeendigung sei hier nicht erfolgt, vielmehr hätten die Parteien den Pachtvertrag einvernehmlich aufgelöst, wofür die Konventionalstrafe nicht vereinbart worden sei. Die ordentliche Revision sei aufgrund der Einzelfallbezogenheit der Entscheidung nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revison ist zulässig und mit ihrem Aufhebungsantrag berechtigt.
1. Vorauszuschicken ist, dass es entgegen der Ansicht des Revisionsgegners nicht zutrifft, dass die in der Berufung erhobene Rechtsrüge zur Gänze nicht gesetzmäßig ausgeführt worden wäre, weshalb – so dessen Argumentation – die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen nicht mehr angefochten werden könne. Das Berufungsgericht ging bloß zu einem Teilaspekt („in diesem Punkt“) davon aus, dass die Rechtsrüge nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgegangen sei.
2. Die Auslegung vertraglicher
Vereinbarungen begründet zwar regelmäßig keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung in Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0042742 [T14]; RS0042555; vgl auch RS0042871); auch die Beantwortung der Frage, in welchen Fällen eine vereinbarte Konventionalstrafe zu entrichten sei, hängt typischerweise von der einzelfallbezogenen Auslegung der zugrundeliegenden Vertragsbestimmung ab (2 Ob 9/14h; 9 Ob 36/12b). Die Beklagte zeigt in ihrer Revision jedoch zu Recht auf, dass den Vorinstanzen bei der Auslegung der Willenserklärungen der Parteien eine vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit auch im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung (vgl RIS-Justiz RS0042936 [T28]) unterlaufen ist.
3.1. Die Pflicht zur Zahlung der vertraglich vereinbarten „Garantiesumme“, die von den Vorinstanzen zutreffend und von den Parteien unbekämpft als Vertragsstrafe – und nicht etwa als Reuegeldvereinbarung – qualifiziert wurde (vgl RIS-Justiz RS0017722), setzt nach dem Vertragswortlaut – soweit für das vorliegende Verfahren relevant – eine „vorzeitige Vertragsauflösung durch die Pächterseite“ voraus. Dazu steht im Widerspruch, dass der befristet abgeschlossene Pachtvertrag keine ordentliche Kündigungsmöglichkeit vorsieht und dem Pächter ein solches Gestaltungsrecht auch nicht dadurch eingeräumt wurde, dass er sich zur Bezahlung der „Garantiesumme“ bei vorzeitiger Vertragsauflösung verpflichtete (vgl 3 Ob 60/75). Um der Vereinbarung über die Konventionalstrafe insoweit einen Anwendungsbereich zu belassen, kann diese nur so verstanden werden, dass die Vertragsstrafe eine – im Vertrag nicht vorgesehene und daher ungerechtfertigte – Erklärung einer Vertragsauflösung durch den Kläger voraussetzt. Dass sie nur bei einer außerordentlichen Kündigung zu bezahlen gewesen wäre, wobei der Vertrag ausdrücklich die §§ 1117 und 1118 ABGB nennt, ist hingegen weder nach dem Wortlaut noch dem erkennbaren Zweck, die Verpächterin im Fall einer dem Kläger zuzurechnenden vorzeitigen Vertragsbeendigung wirtschaftlich abzusichern, anzunehmen.
3.2. Hier erklärte der Kläger, den Pachtvertrag nicht fortsetzen zu wollen, nachdem die Beklagte seinem Wunsch nach einer Reduktion des Pachtzinses nicht entgegen gekommen war und diesen auf eine „Kündigung“ verwiesen hatte. Dass die Beklagte den Erhalt der – auch als solcher bezeichneten – Kündigung bestätigte und erklärte, diese anzunehmen, ändert nichts daran, dass die vorzeitige Vertragsauflösung vom Kläger ausging. Da der Pachtvertrag keine ordentliche Kündigungsmöglichkeit des Pächters vorsah, wäre die Beklagte zwar nicht verpflichtet gewesen, die unzulässige Kündigung ohne wichtigen Grund gegen sich gelten lassen. Sie hätte auch am Vertrag festhalten können und weiterhin Anspruch auf Bezahlung des laufenden Pachtzinses gehabt. Eine solche Vorgehensweise darf der mit einer ungerechtfertigten Kündigung konfrontierten (vertragstreuen) Partei aber nicht aufgezwungen werden, zumal es für diese unzumutbar sein kann, an einem vom Vertragspartner „abgelehnten“ Vertrag, den dieser in Zukunft nach seiner eigenen Ankündigung nicht erfüllen wird, festzuhalten, den absehbaren Zahlungsverzug abzuwarten und erst dann selbst die Vertragsauflösung zu erklären. Die Beklagte durfte die unwirksame Kündigung daher gelten lassen, wodurch es zur vorzeitigen – nach wie vor aber dem Kläger zuzurechnenden – Vertragsauflösung im Sinne der Bestimmung über die vereinbarte Konventionalstrafe kam. Dass der Vertragsbeendigung kein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten des Klägers zugrunde gelegen sei, ist insoweit unzutreffend, als die Kündigung, gegen die sich die Beklagte offensichtlich aus wirtschaftlichen Gründen bloß nicht „wehrte“, ohne rechtliche Grundlage erfolgte. Ob in einem solchen Fall noch von einer (einseitigen) Kündigung gesprochen werden kann, oder ob eine einvernehmliche Vertragsauflösung anzunehmen ist, muss nicht weiter erörtert werden, weil auch der Pachtvertrag diesbezüglich nicht differenziert, sondern nur darauf abstellt, ob die vorzeitige Vertragsbeendigung dem Pächter zuzurechnen ist, was hier zweifellos der Fall ist. Dass die Parteien anlässlich der Vertragsbeendigung nicht darüber sprachen, ob die Konventionalstrafe zu bezahlen ist, ändert nichts daran, dass die vertraglichen Voraussetzungen dafür eingetreten sind.
4. Dass sich der Kläger, der mit dem Abschluss des Pachtvertrags ein Vorbereitungsgeschäft im Sinn des § 343 Abs 3 UGB tätigte und daher insoweit noch als Verbraucher anzusehen war, wirksam zur Bezahlung einer Vertragsstrafe verpflichten konnte, hat bereits das Berufungsgericht zutreffend dargelegt. Weshalb diese Verpflichtung gegen die guten Sitten verstoßen sollte, wird nicht nachvollziehbar dargelegt. Für die Beurteilung dieser Frage kommt es darauf an, ob sich die Höhe des Vergütungsbetrags an jenem durchschnittlichen Schaden orientiert, der nach der Schätzung eines redlichen Beobachters bei der damit sanktionierten Vertragsverletzung normalerweise eintritt (RIS-Justiz RS0016913 [T2, T8]). Dem entspricht die vorliegende Vereinbarung, mit der das legitime Interesse der Beklagten an der Zahlung des Pachtzinses für die gesamte vereinbarte Vertragsdauer abgesichert werden sollte. Ob die inkriminierte Vertragsbestimmung insoweit sittenwidrig sein könnte, als sie den Kläger von einer außerordentlichen Kündigung abhalte, muss nicht weiter geprüft werden, weil hier keine solche Kündigung aus wichtigem Grund erfolgte. Inwieweit das „Vorgehen“ der Beklagten (offensichtlich gemeint: bei Vertragsbeendigung) „grob sorgfaltswidrig“ gewesen sein und diese gegen nicht näher beschriebene Schutz-, Sorgfalts- und Treuepflichten verstoßen haben soll, erschließt sich dem Revisionsgericht nicht. Der Kläger behauptet insbesondere nicht, dass er von einer vorzeitigen Vertragsbeendigung Abstand genommen und den Vertrag weiter zugehalten hätte, wenn ihn die Beklagte auf die fällig werdende Vertragsstrafe hingewiesen hätte.
5. Zum geltend gemachten (zu diesem Erfordernis vgl RIS-Justiz RS0032187) richterlichen Mäßigungsrecht ist davon auszugehen, dass dieses im vorliegenden Fall zur Anwendung gelangen kann (vgl RIS-Justiz RS0107995) und darauf im Voraus nicht wirksam verzichtet werden konnte (RIS-Justiz RS0032338). Auf Basis der – vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten – Rechtsansicht haben sich die
Vorinstanzen mit der begehrten Minderung aber bisher nicht auseinandergesetzt und dazu keine Feststellungen getroffen. Dies wird im fortzusetzenden Verfahren nachzuholen sein.
6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
Textnummer
E124714European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0010OB00227.18S.0305.000Im RIS seit
24.04.2019Zuletzt aktualisiert am
24.04.2019