Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AufG 1992 §5 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll sowie die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde des 1963 geborenen Y K in Wien, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 27. September 1995, Zl. 109.086/3-III/11/94, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Nach der diesbezüglich unbedenklichen Aktenlage wurde mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 23. August 1994 der dem Beschwerdeführer am 19. Mai 1988 von derselben Behörde erteilte unbefristete Wiedereinreisesichtvermerk für ungültig erklärt (vgl. OZ. 7 des Verwaltungsaktes). Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.
Am 30. August 1994 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung, der am 2. September 1994 beim Magistrat der Stadt Wien einlangte. Der Landeshauptmann von Wien wies diesen Antrag mit Bescheid vom 11. Oktober 1994 gemäß § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes 1992 (FrG) ab. Begründend wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer sei am 18. November 1988 wegen § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen, am 19. Jänner 1993 wegen § 125 StGB zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen sowie am 4. März 1994 wegen § 229 Abs. 1 und § 125 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten bedingt (Probezeit 3 Jahre) rechtskräftig verurteilt worden. Weiters sei der Beschwerdeführer wegen unrechtmäßigen Betreibens eines Gasthauses zur Anzeige gebracht und am 17. Februar 1994 wegen Übertretung der Gewerbeordnung mit einer Geldstrafe von S 10.000,-- belegt worden. Überdies schienen über den Beschwerdeführer negative Vormerkungen in bezug auf Übertretungen nach dem KFG und der StVO auf.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung. Darin brachte er einerseits vor, daß zumindest seine Verurteilung wegen Körperverletzung aus dem Jahr 1988 bereits mehr als fünf Jahre zurückliege und bereits getilgt sei und er sich auch zu der mit Urteil vom 4. März 1994 geahndeten Sachbeschädigung von Anfang an reuig und geständig gezeigt habe, andererseits wies er darauf hin, seit "nunmehr" bereits einem Jahr nicht einmal eine geringfügige Verwaltungsübertretung begangen zu haben. Zu seinen privaten und familiären Interessen brachte der Beschwerdeführer vor, er arbeite nunmehr im selben Betrieb wie seine Ehefrau und wolle seinen beiden Kindern, die in Wien die Volksschule besuchten, ein verantwortungsbewußter Vater sein. Beigelegt waren der Berufung Arbeits- und Lohnbestätigungen für den Beschwerdeführer und seine Ehegattin, jeweils vom 9. November 1994, denen zufolge sie im selben Unternehmen als Wäschereiarbeiter seit 19. Oktober 1993 beschäftigt seien (vgl. OZ. 4 und 5 des Verwaltungsaktes).
Mit Schreiben seines Rechtsvertreters vom 22. Mai 1995 gab der Beschwerdeführer dem Bundesministerium für Inneres bekannt, daß die Wiener Landesregierung seiner Ehegattin und seinen beiden Kindern mit Bescheid vom 23. März 1995 die Verleihung bzw. Erstreckung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft zugesichert habe. Eine Kopie des Bescheides der Wiener Landesregierung war der Eingabe beigelegt (vgl.OZ. 25 des Verwaltungsaktes).
Der Bundesminister für Inneres wies die Berufung mit Bescheid vom 27. September 1995 gemäß § 5 Abs. 1 AufG und § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG ab. In der Begründung führte der Bundesminister für Inneres aus, das Ermittlungsverfahren habe ergeben, daß der Beschwerdeführer wegen Begehung folgender strafrechtlicher Delikte von inländischen Gerichten rechtskräftig wie folgt verurteilt worden sei:
Durch das Strafbezirksgericht Wien am 18. November 1988 gemäß § 83 Abs. 1 StGB zu 40 Tagessätzen,
durch das Bezirksgericht Hernals vom 27. Juni 1991 gemäß § 83 Abs. 1 StGB zu 90 Tagessätzen,
durch das Strafbezirksgericht Wien am 19. Jänner 1993 gemäß § 125 StGB zu 50 Tagessätzen,
durch das Bezirksgericht Innere Stadt-Wien am 13. August 1993 gemäß § 83 Abs. 1 StGB zu 90 Tagessätzen und
durch das Landesgericht für Strafsachen Wien am 4. März 1994 gemäß § 229 Abs. 1 und § 125 StGB zu zwei Monaten Freiheitsstrafe "bedingt, Probezeit 3 Jahre".
Aus dem Verhalten des Beschwerdeführers sei zu erkennen, daß er nicht gewillt sei, sich an die österreichische Rechtsordnung zu halten. Zu seinen persönlichen Verhältnissen sei zu sagen, daß durch den Aufenthalt seiner Familie im Bundesgebiet zwar nicht absprechbare Bindungen zur Republik Österreich bestünden, diese aber - im Sinne des Art. 8 MRK - dem öffentlichen Interesse an der Versagung einer Aufenthaltsbewilligung hintanzustellen seien.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG vor dem Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte mit Beschluß vom 27. Februar 1996, B 3602/95-3, die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof ab.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:
Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (die Zustellung erfolgte am 11. Oktober 1995) ist für die Überprüfung seiner Rechtmäßigkeit durch den Verwaltungsgerichtshof die Rechtslage nach der Novelle zum Aufenthaltsgesetz BGBl. Nr. 351/1995 maßgeblich. § 5 Abs. 1 AufG lautete (auszugsweise):
"§ 5. (1) Eine Bewilligung darf Fremden nicht erteilt werden, bei denen ein Sichtvermerksversagungsgrund (§ 10 Abs. 1 FrG) vorliegt, ...".
§ 10 Abs. 1 Z. 4 FrG lautete:
"§ 10. (1) Die Erteilung eines Sichtvermerkes ist zu versagen, wenn
...
(4) der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde;"
Der gegenständliche Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung wurde gestellt, nachdem der für den Beschwerdeführer erteilte unbefristete Wiedereinreisesichtvermerk für ungültig erklärt worden war. Ein Fall des § 113 Abs. 6 oder 7 des Fremdengesetzes 1997 liegt daher nicht vor.
Eingangs ist auszuführen, daß die Auffassung der belangten Behörde, das den Verurteilungen zugrunde liegende Fehlverhalten des Beschwerdeführers rechtfertige die gemäß § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG zu treffende Gefährlichkeitsprognose, im Hinblick auf die wiederholten Verurteilungen des Beschwerdeführers nicht zu beanstanden ist (vgl. z. B. zur Gewichtung von Angriffen gegen die körperliche Unversehrtheit das hg. Erkenntnis vom 31. August 1995, Zl. 95/19/0105, sowie bei Angriffen gegen das Eigentum das hg. Erkenntnis vom 22. November 1995, Zl. 95/21/0004).
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine Bedachtnahme auf die eines langjährigen Voraufenthaltes begründeten privaten und familiären Beziehungen in Österreich bei einer auf § 5 Abs. 1 AufG iVm § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG infolge strafrechtlichen Fehlverhaltens gestützten Entscheidung auch dann geboten, wenn eine frühere Aufenthaltsberechtigung bereits rechtskräftig entzogen worden ist (vgl. zum Fall der Ungültigerklärung eines unbefristeten Wiedereinreisesichtvermerkes das hg. Erkenntnis vom 16. Oktober 1998, Zl. 97/19/1405).
Bereits die Behörde erster Instanz hatte in ihrem abweisenden Bescheid festgestellt, daß der Antragsteller seit 19 Jahren ununterbrochen in Österreich lebe, von 1980 bis Februar 1991 ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet beschäftigt gewesen sei und seit Mai 1993 neuerlich beschäftigt sei, daß sich weiters nahezu seine gesamte Familie in Österreich befinde und er mit seiner Ehegattin und seinen minderjährigen Kindern im gemeinsamen Haushalt lebe. Entsprechende Feststellungen hat die belangte Behörde in den angefochtenen Bescheid nicht aufgenommen, sondern sich, wie bereits dargestellt, mit der lapidaren Feststellung begnügt, daß sich die Familie des Beschwerdeführers im Bundesgebiet aufhalte. Auf den Umstand, daß nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Berufungsverfahren seiner Ehegattin und seinen beiden Kindern bereits die Verleihung der Staatsbürgerschaft zugesichert worden ist, ist die belangte Behörde ebensowenig eingegangen wie auf die vom Beschwerdeführer behauptete berufliche Integration. Damit sind aber die privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers an einem (weiteren) Aufenthalt in Österreich, die bei der Beurteilung der Frage zu berücksichtigen sind, ob der durch die Versagung der Aufenthaltsbewilligung bewirkte Eingriff in ein Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers durch die in Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen gerechtfertigt ist, nicht ausreichend festgestellt.
Bei Vermeidung dieses Verfahrensmangels wäre es nicht ausgeschlossen, daß die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können. Trifft es nämlich zu, daß der Beschwerdeführer seit ca. 20 Jahren in Österreich und seit Jahren gemeinsam mit seiner Familie lebt, hier beschäftigt ist und seiner Frau sowie seinen Kindern bereits die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft zugesichert worden ist, so wäre der durch die Versagung der angestrebten Aufenthaltsbewilligung bewirkte Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers ungeachtet seines wiederholten Fehlverhaltens aufgrund der intensiven Nahebeziehungen zu Österreich nicht gerechtfertigt.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 9. April 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1996191163.X00Im RIS seit
02.05.2001