TE Bvwg Erkenntnis 2019/2/25 G311 2181916-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.02.2019
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Entscheidungsdatum

25.02.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

G311 2181907-1/10E

G311 2181901-1/8E

G311 2181911-1/8E

G311 2181903-1/7E

G311 2181916-1/7E

G311 2181913-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Eva WENDLER als Einzelrichterin über die Beschwerde 1.) des XXXX, geboren am XXXX, 2.) der XXXX, geboren am XXXX, 3.) der XXXX, geboren am XXXX, 4.) des minderjährigen XXXX, geboren am XXXX, 5.) des minderjährigen XXXX, geboren am XXXX sowie 6.) des minderjährigen XXXX, geboren am XXXX, alle Staatsangehörigkeit:

Irak, die minderjährigen Beschwerdeführer (4. bis 6.) gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX, alle vertreten durch die ARGE-Rechtsberatung - Diakonie Flüchtlingsdienst, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 22.11.2017, Zahlen: zu 1.) XXXX, zu 2.) XXXX, zu 3.) XXXX, zu 4.) XXXX, zu 5.) XXXX sowie zu 6.) XXXX, betreffend die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 11.10.2018, zu Recht:

A) I. Den Beschwerden gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen

Bescheides wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 sowie XXXX, XXXX, mj. XXXX, mj. XXXX und mj. XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG 2005 kommt XXXX, XXXX, XXXX, mj. XXXX, mj. XXXX und mj. XXXX jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter für drei Jahre zu.

III. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX, XXXX, XXXX, mj. XXXX, mj. XXXX und mj. XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin stellten am 23.11.2015 für sich und ihre damals allesamt minderjährigen Kinder, die (nunmehr bereits volljährige) Drittbeschwerdeführerin sowie der minderjährige Viert-, Fünft und Sechstbeschwerdeführer, die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005.

Am 11.01.2016 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Erstbeschwerdeführers, der Zweitbeschwerdeführerin, der damals minderjährigen Drittbeschwerdeführerin sowie dem minderjährigen Viertbeschwerdeführer im Asylverfahren statt.

Begründend brachten die Beschwerdeführer zu ihren Fluchtgründen im Wesentlichen zusammengefasst vor, die Familie gehöre der Volksgruppe der Araber moslemischen Glaubens sunnitischer Ausrichtung an. Der Erstbeschwerdeführer sei am 17.08.2015 wegen seiner Zugehörigkeit zu den Sunniten von einer unbekannten Gruppe entführt und nach einigen Stunden wieder freigelassen worden. Die Familie fürchte weitere Entführungen sowie die unsichere Lage im Irak aufgrund des Krieges. Im Falle einer Rückkehr würden alle um ihr Leben fürchten. Für den minderjährigen Fünft- und Sechstbeschwerdeführer wurde kein eigenes Fluchtvorbringen erstattet; für diese würden dieselben Fluchtgründe gelten wie für die Zweitbeschwerdeführerin (ihre Mutter).

Am 20.11.2017 fanden die niederschriftlichen Einvernahmen des Erstbeschwerdeführers sowie der Zweitbeschwerdeführerin (diese auch als gesetzliche Vertreterin der Drittbeschwerdeführerin sowie des Viert-, Fünft- und Sechstbeschwerdeführers) vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, statt.

Der Erstbeschwerdeführer brachte auf Befragen zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen zusammengefasst vor, er sei bis 2003 Mitglied der Baath-Partei gewesen und dabei für Studenten und Jugendliche im Organisationsbüro in XXXX zuständig gewesen. Zusätzlich sei er von 2001 bis 2003 Offizier der Al Quds Armee gewesen. Am 16.08.2015 gegen 00:00 Uhr hätten Militärangehörige in Begleitung von Angehörigen der Miliz Asa'ib Ahl Al-Haqq den Wohnsitz der Beschwerdeführer in Bagdad gestürmt, den Erstbeschwerdeführer festgenommen und an einen unbekannten Ort, vermutlich ein Militärstützpunkt, zur Befragung gebracht. Man habe den Erstbeschwerdeführer etwa fünf bis sechs Stunden angehalten, geschlagen und ihm vorgeworfen, dem IS anzugehören. Der Schwager des Erstbeschwerdeführers habe seine Freilassung erwirken können. Erst danach habe der Erstbeschwerdeführer erfahren, dass in seinem Fahrzeug, welches er seinem ehemaligen Nachbarn zum Gebrauch überlassen hatte, bei einer Fahrzeugkontrolle Sprengstoff entdeckt worden sei und der Erstbeschwerdeführer als registrierter Halter des Fahrzeuges nach Art. 4 des irakischen Strafgesetzbuches wegen Terrorismus angezeigt worden sei. Der ehemalige Nachbar habe den Erstbeschwerdeführer denunziert und angegeben, dass es sich um dessen Sprengstoff handle. Der Irak sei kein Rechtsstaat; es wäre kaum möglich, sich freizubeweisen, dies auch insbesondere nicht bei Bekanntwerden der Vergangenheit des Erstbeschwerdeführers als ehemaliger Zugehöriger zur Baath-Partei und der Al-Quds Armee. Deshalb hätte der Erstbeschwerdeführer mit seiner Familie den Irak verlassen. Das Verfahren über die Terrorismusanzeige sei zu diesem Zeitpunkt noch im Laufen gewesen.

Zum Beweis seines Vorbringens legte der Erstbeschwerdeführer folgende Unterlagen und Beweismittel vor:

? Dienstausweis irakisches Verteidigungsministerium original (AS 71 ff Erstbeschwerdeführer);

? Fotos von Ehrungen des Erstbeschwerdeführers (insgesamt vier Mal) durch XXXX, hochrangiges Mitglied der Baath-Partei; zwischen 1997 und 2000 (AS 75 ff Erstbeschwerdeführer);

? Fotos des Erstbeschwerdeführers in Militäruniform; bis 2003 Mitglied der Al Quds (AS 79ff Erstbeschwerdeführer);

? Fotos vom verwüsteten Haus der Beschwerdeführer in Bagdad (AS 85ff Erstbeschwerdeführer);

? alte und aktuelle Wohnsitzkarte des Erstbeschwerdeführers (AS 71 ff Erstbeschwerdeführer);

? Deutschkursbestätigung der Volkshochschule vom 14.11.2017 (AS 69 Erstbeschwerdeführer);

? Teilnahmebestätigung - Diakonie Deutsch Integrationskurs A1 vom 13.12.2016 (AS 67 Erstbeschwerdeführer);

Die Zweitbeschwerdeführerin brachte für sich und die von ihr gesetzlich vertretenen minderjährigen Kinder (Drittbeschwerdeführerin sowie Viert- bis Sechstbeschwerdeführer) vor, dass weder sie selbst noch die allesamt minderjährigen Kinder eigene Fluchtgründe hätten und dieselben Fluchtgründe wie der Erstbeschwerdeführer geltend machen würden. Im Falle einer Rückkehr würden sie die Tötung des Erstbeschwerdeführers und in weiterer Folge die Schutzlosigkeit fürchten. Die Zeitbeschwerdeführerin beantragte eine Behandlung im Familienverfahren nach § 34 AsylG 2005.

Mit den oben im Spruch angeführten Bescheiden des Bundesamtes wurden die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 jeweils als unbegründet abgewiesen (jeweils Spruchpunkt I.), den Beschwerdeführern aber gemäß § 8 Abs. 1 AsylG bzw. gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 34 AsylG 2005 jeweils der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihnen jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis 22.11.2018 erteilt (Spruchpunkt III.).

Begründend führt das Bundesamt im Bescheid des Erstbeschwerdeführers zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten aus, dass er in glaubwürdiger Weise angegeben habe, im Irak Angehöriger der ehemaligen Baath-Partei sowie der Al-Quds Armee gewesen zu sein. Deswegen habe er den Irak zwar nicht verlassen, diese Umstände in Kombination mit der Zugehörigkeit des Erstbeschwerdeführers zu den Sunniten sowie der Sicherheitslage im Irak für sunnitische Moslems mit diesem beruflichen Hintergrund bedeute für den Erstbeschwerdeführer im Falle einer Rückkehr die reale Gefahr einer Verletzung seiner nach Art. 2, Art. 3 EMKR oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention gewährleisteten Rechte oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes. Dem Erstbeschwerdeführer sei somit - wie auch seinen Familienangehörigen im Rahmen des Familienverfahrens nach § 34 AsylG - der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen gewesen.

Zur Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde seitens des Bundesamtes jedoch ausgeführt, dass der Erstbeschwerdeführer die von ihm vorgebrachte Entführung durch Milizen in keiner Weise habe schlüssig beschreiben und dazu keine Details habe nennen können. Wäre er tatsächlich Opfer eines solchen einschneidenden Erlebnisses gewesen, so hätte er zumindest einige Einzelheiten oder Nebensächlichkeiten in sein Vorbringen einfließen lassen. Es erscheine dem Bundesamt höchst unplausibel und übertrieben, weshalb man den Erstbeschwerdeführer ohne jegliche Konsequenzen wieder freilassen hätte sollen. In der Erstbefragung habe er nicht angegeben, dass er wegen Terrorismusverdacht angezeigt worden wäre. Es handle sich daher um eine Steigerung des Vorbringens. Insgesamt liege keine asylrelevante Verfolgung oder Bedrohung im Irak vor. Die übrigen Beschwerdeführer hätten keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht, sodass auch ihre Anträge hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten jeweils abzuweisen gewesen wären.

Zudem traf die belangte Behörde umfangreiche Länderfeststellungen zur allgemeinen Lage im Irak.

Mit dem am 28.12.2017 beim Bundesamt per E-Mail eingebrachten Schriftsatz vom selben Tag erhoben die Beschwerdeführer durch ihre bevollmächtigte Rechtsvertretung das Rechtsmittel der Beschwerde gegen die Abweisung ihrer Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (jeweils Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide). Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge die angefochtenen Bescheide hinsichtlich der Spruchpunkte I. beheben und den Beschwerdeführern Asyl gewähren; in eventu die angefochtenen Bescheide wegen Rechtswidrigkeit hinsichtlich der Spruchpunkte I. beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt zurückverweisen sowie jedenfalls eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

In der Kurzzusammenfassung zu den Fluchtgründen wurde ausgeführt, dass der Erstbeschwerdeführer mit seiner Ehegattin (der Zweitbeschwerdeführerin) und seinen Kindern zwischen 2003 und 2014 in XXXX gelebt hätten und von 2014 bis zur Ausreise im Oktober 2015 im Viertel "XXXX" in Bagdad. Bis 2003 sei der Erstbeschwerdeführer Mitglied der Baath-Partei und von 2001 bis 2003 Offizier der Al Quds Armee gewesen. Am 16.08.2015 seien gegen Mitternacht schiitische Milizen zum Haus der Beschwerdeführer gekommen, hätten den Erstbeschwerdeführer auf einen Militärstützpunkt mitgenommen, ihn gefoltert und ihm vorgeworfen, Mitglied der Baath-Partei gewesen zu sein, den IS zu unterstützen und Anschläge zu verüben. Der Bruder der Zweitbeschwerdeführerin (Schwager des Erstbeschwerdeführers) habe Verbindungen zur 11. Division der irakischen Armee gehabt und habe dieser nach ein paar Stunden die Freilassung des Erstbeschwerdeführers erwirken können, indem vorgegeben worden sei, den Erstbeschwerdeführer zu einem Verhör bringen zu müssen. Der Schwager habe den Erstbeschwerdeführer dann zu dessen Bruder gebracht, wo er sich bis zu seiner Ausreise versteckt habe. Der Schwager habe weiters zwei Tage nach dem Vorfall in Erfahrung bringen können, dass es sich bei den Personen, die den Erstbeschwerdeführer festgenommen hatten, um Mitglieder der Asa'ib Ahl Al-Haqq gehandelt habe und darüber hinaus, dass gegen den Erstbeschwerdeführer wegen Terrorismus ermittelt werde, weil in seinem Auto, das er dem früheren Nachbarn in XXXX geliehen habe, Sprengstoff gefunden worden sei. Die zuständige Person der 11. Division habe dem Schwager des Erstbeschwerdeführers zugesagt, den Akt eine Zeit lang liegen zu lassen und nicht sofort an das Gericht weiterzuleiten. In dieser Zeit hätten die Beschwerdeführer ihre Flucht vorbereitet und nach Ausstellung von Reisepässen Ende Oktober 2015 den Irak verlassen.

Das Bundesamt habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren durchgeführt. Die herangezogenen Länderberichte seien unvollständig und mangelhaft. Es seien keine Länderberichte in die Entscheidung einbezogen worden, die die konkrete Situation des Beschwerdeführers betreffen würden. In weiterer Folge wurden entsprechende Länderberichte zitiert und auszugsweise wiedergegeben. Es wurde weiters die unrichtige Beweiswürdigung durch das Bundesamt gerügt. Die vom Bundesamt herangezogenen Begründungen für die Beurteilung des Vorbringens des Erstbeschwerdeführers hinsichtlich seiner Entführung als unglaubwürdig, würden entweder den Angaben des Erstbeschwerdeführers eindeutig widerstreiten oder seien überhaupt nicht vom Bundesamt ermittelt worden. Dem Erstbeschwerdeführer drohe im Irak Verfolgung aus politischen und religiösen Gründen. Es seien bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden. Die Gefährdung bestehe sowohl hinsichtlich schiitischer Milizen als auch durch den irakischen Staat, da der Erstbeschwerdeführer fälschlicherweise unter Terrorismusverdacht gestellt worden sei. Es bestehe keine innerstaatliche Fluchtalternative.

Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt vorgelegt und sind am 05.01.2018 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 11.10.2018 eine mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an welcher die Beschwerdeführer, ihr bevollmächtigter Rechtsvertreter sowie eine Dolmetscherin für die arabische Sprache teilnahmen. Das Bundesamt hat auf eine Teilnahme verzichtet.

Der Erstbeschwerdeführer gab auf Befragen der erkennenden Richterin an:

"Ich habe das Gymnasium besucht, dieses jedoch abgebrochen. Danach war ich beim Militär und habe dann anschließend in der familieneigenen Baufirma gearbeitet. Von 2001-2003 war ich Oberstleutnant in der Armee und zwar bei JEISH AL QUDUS. Nach einem 3-monatigen Intensivtraining hatte ich sofort diesen Rang inne. Ich war zuständig für die Sicherheit in der Stadt Bagdad und zwar war ich für die kleinste Armeeeinheit verantwortlich, das waren ca. 106 Soldaten. Es gab in Bagdad mehrere gleichartige Einheiten. Meine Einheit war für den Schutz der Außengrenze Bagdads zuständig und zwar die südliche Außengrenze. Für die restlichen Außengrenzenteile und den Bereich der Stadt waren andere Einheiten zuständig.

Unsere Einheit war in drei Gruppen geteilt, diesen Einheiten standen drei Offiziere vor. Das war damals am Ende des Krieges. Ich war für die Planung, die Ausgabe von Waffen und auch für die Finanzierung ständig, das ist eine kleine Beschreibung meines damaligen Aufgabenbereiches.

Zur Erklärung, weshalb ich im Militär sofort so einen hohen Rang bekleidet habe, ist zu sagen, dass ich bereits in der BAATH-Partei einen derart hohen Rang hatte und man entsprechend dem Rang in der BAATH-Partei den Rang in der Armee eingenommen hat. Ich war in XXXX, das ist ein Stadtteil in Bagdad, ich war zuständig für die Studenten und Schüler und zwar war ich Mitglied der Führergruppe. Ich war zuständig für einen Teil des vorhin genannten Stadtteiles.

Über Rückfrage, dass infolge dessen mehrere Personen gleichen Ranges in der BAATH-Partei für Schüler und Studenten in Bagdad zuständig war: Ja, das stimmt.

Ich war zuständig für die Mittelschulen und Gymnasien und auch im Verwaltungsbereich und die Kontrolle über die Lehrkörperschaften. zB wurde jemand ausgewechselt, wenn er extreme Positionen etwa in der Religion hatte. Meine Aufgabe war es, den Bericht für meinen Vorgesetzten zu schreiben. In jeder Schule gibt es eine Schülerschaft. Jährlich wird ein Obmann gewählt, da gab es Meetings, die ich besucht habe. Ich habe auch an den Sitzungen, die gemeinsam für Lehrer und Schüler sind, teilgenommen. Ich war das Überwachungsorgan der BAATH-Partei in den Schulen. Ich war auch zuständig für Probleme zwischen Schüler und Lehrern und auch bei Auffälligkeiten. Ich habe ca. 7 Mittelschulen und Gymnasien betreut.

Ich habe für diese Tätigkeit in der BAATH-Partei einen guten Lohn erhalten. Daneben war ich gewinnbeteiligt als Aktionär in der Baufirma meiner Brüder und meiner Onkel. Ich war auch Gründungsmitglied dieser Baufirma.

Ab 09.04.2003 blieb ich zu Hause und arbeitete nicht mehr für die Partei. Ich lebte damals mit meiner Familie in Bagdad. Ich habe in XXXX in XXXX gewohnt. Dort hatte ich keine Probleme mit den Nachbarn und hatte freundschaftliche Beziehungen zu den Menschen dort. Im September 2003 habe ich meine Wohngegend verlassen, weil die Nachbarn an mich herangetreten sind, dass die Gefahr besteht - wie bei anderen Häusern in der Gegend - dass unser Haus gestürmt wird, weil auch meine Onkel väterlicherseits und meine Brüder oft auf Besuch waren und oft Fremde in den Ort eingestürmt sind. Es war nämlich so, dass zu dieser Zeit iranische Milizen eingestürmt sind. Ihr Ziel waren hochrangige Offiziere, viele meiner damaligen Kollegen sind auch getötet worden.

Ich bin dann in den Nordwesten gezogen, nach XXXX. Das ist eine dorfähnliche Ansiedlung und in der Nähe von den Grabstätten von XXXX. Das war ca. 5 km außerhalb von Bagdad. Von September 2003 bis Oktober 2014 habe ich dort gewohnt. Am 10.06.2014 war die Belagerung Mossuls und vier Monate später bin ich von dort weggezogen.

Wir waren gezwungen, wegzuziehen, weil es dort Kämpfe zwischen dem IS und den Milizen gegeben hat. Ich wollte nach XXXX ziehen, das ist eine Gegend in XXXX. Mein Bruder riet mir dann, nach XXXX in XXXX zu ziehen, was ich auch tat. Das war im Zentrum von Bagdad, neben unserem ursprünglichen Heimatbezirk XXXX.

Ich habe ein kleines Haus gemietet. Wir hatten wenig Mobiliar, weil die Verhältnisse so instabil waren.

Ich möchte noch zu meinen persönlichen Umständen etwas sagen. Ich wollte eigentlich nur zwei Kinder haben, meine Gattin hat jedoch die Pille unregelmäßig genommen, weshalb wir 2009 und 2014 wieder Eltern wurden.

Ich habe das Haus nicht selbst angemietet. Das wurde für mich gemietet. Es gab keine Probleme, das Haus meines ältesten Bruders war 3 km entfernt. Das hat mein Bruder für mich organisiert. Ich konnte deswegen dorthin ziehen, da ich schon Bürger von XXXX war und man mich dort nicht nocheinmal kontrollieren würde.

Meine Mutter hat mit uns gelebt. Sie hat eine Rente von umgerechnet 400 Dollar. Meine Gewinnbeteiligung war ca. 700 USD pro Monat. Ich bin seit 2003 keiner Tätigkeit mehr nachgegangen. Ich war quasi Gefangener im eigenen Haus. Aufgrund dessen konnte ich das Haus nicht verlassen. Ich konnte weder zum Frisör noch zum Zahnarzt gehen, auch wenn meine Kinder krank waren, konnte ich sie nicht auf direktem Wege ins Spital bringen, sondern musste über FALLUJA fahren.

Ich hatte einen Ford mit dem ich wichtige Sachen, wie zB Fahrten ins Spital, erledigt habe. Ich habe dieses Auto gegen einen Betrag von 15.000 irakischen Dinar täglich meinem Nachbarn gegeben, dieser hat das Auto verwendet. Es war ein sehr altes Auto. Mein Nachbar wurde mit dem Auto angehalten und man fand dort Sprengstoff. Wer ihn angehalten hat, weiß ich nicht. Zu diesem Zeitpunkt sind Milizen und Militär gemeinsam auf Streife gegangen, weil es quasi keine Militärmacht mehr gab. Der Nachbar hat dann gesagt, dass das Auto nicht ihm, sondern mir gehört.

Am 16.08.2015 gab es einen Ansturm auf unser Haus, es war ca. 10 vor 12 (Mitternacht). Zu dieser Zeit wurde der Strom alle zwei Stunden für zwei Stunden abgeschaltet. Zu diesem Zeitpunkt gab es keinen Strom. Im August ist es bei uns sehr warm. Ich habe das jüngste Kind genommen und bin zusammen mit ihm und meiner Frau in den Hof gegangen. Es gab eine privaten Elektrogenerator, der an diesem Tag auch kaputt war. Der Haupteingang des Hauses wurde geöffnet und vier Personen in Militärkleidung traten ein. Die Türe wurde mit dem Fuß geöffnet. Sie fragten, wer von uns Majeed sei, ich sagte, dass ich es sei. Sie sagten mir, dass es einen militärischen Haftbefehl gegen mich gäbe. Einer von ihnen hatte eine Taschenlampe ein Gewehr befestigt. Auf der Wäscheleine hingen DIS-DASCHA. Sie sagten mir, ich solle das anziehen. Mir kam das komisch vor, da ich länger beim Militär gedient hatte, hatte ich den Eindruck, dass diese Personen nicht vom regulären Militär kommen, da sie Bärte trugen. Ich wollte nur noch kurz meine Frau sehen, sie war in einem Schockzustand und sagte ihr, sie solle auf die Kinder aufpassen. Meine Gattin begann zu schreien, ich wurde in den Pickup gesetzt, gegen die Fahrtrichtung, die Hände waren hinten angebunden, die Augen verbunden, neben mir saßen zwei Personen, drei weitere Fahrzeuge fuhren mit uns. Wir fuhren ca. 10-15 Minuten. Ich wurde dann in ein Zimmer gebracht. Während der Fahrt habe ich gehört, wie sie miteinander sprechen. Einer sagte, wieso wir ihn nicht töten und dort hinwerfen, wie die anderen. Daraus folgerte ich, dass wir der Schnellstraße XXXX entlang fahren, wo es auch einen Militärfluss gibt. Ich wusste daher, dass sie mich in der Militärbasis in ein Zimmer gesteckt haben. Ich wurde gefoltert und blutete.

Man wollte von mir wissen, wer die Personen sind, die mit mir arbeiten, das unter starker Gewaltanwendung. Ich sagte anfangs, ich weiß es nicht, sie haben die falsche Person. Dann haben sie stärker geschlagen und sie meinten, sie seien sich sicher, dass ich die richtige Person sei. Es kam dann ein Major herein und sie haben mich weiter geschlagen. Der Major und seine Militärkraft haben mich mitgenommen, ich konnte nicht selbständig gehen. Man musste mich links und rechts stützen. Der Major sagte mir, dir ist ein neues Leben geschenkt. Ich bin ein Freund deines Schwagers. Ich wurde nicht direkt nach Hause gebracht, sondern auf dem Weg einem höheren Militärführer übergeben worden, weil meine Kleidung voll Blut war. Dieser hat mich meinem Schwager übergeben. Man hat mich zum Haus meines Bruders gebracht, weil auch dort meine Familie war.

Diese Personen waren von der Gruppierung ASAIB und FORQA 11 (Division 11, Zuständig für die Sicherheit in Bagdad)."

Vom Rechtsvertreter befragt, wie der Erstbeschwerdeführer von seinen Verfolgern im Irak gefunden werden würde, sollte er zurückkehren müssen:

"BF: Personen, gegen die ein Haftbefehl besteht, würden im Irak inhaftiert werden. Ich wurde angezeigt. Ich wurde aufgrund des Sprengstofffundes in meinem Auto nach dem irakischen Gesetz gegen Terrorismus angezeigt. Die Familie der Person, der ich das Auto geliehen hatte, ist zu meiner Familie gekommen, mit dem gesamten Familienclan.

Man sagte, dass es bei seiner Familie einen Haftbefehl gegen mich gegeben habe."

Nach Unterbrechung der Verhandlung für zehn Minuten führte der Erstbeschwerdeführer noch an:

"Ich habe einen Bruder und eine Schwester, die Lage meines Bruders unterscheidet sich von meiner. Mein Bruder hat eine Firma und arbeitet zusätzlich im Handelsministerium. Er ist für die Herstellung und Produktion des Kornes für Mehl zuständig. Es sind 70% der Einwohner von Bagdad von Sunniten zu Schiiten konvertiert. Mein Familienclan gehört zwei verschiedenen religiösen Gruppierungen an. Mein Bruder ist Schiit, ich bin Sunnit. Eine Änderung der Religionsausrichtung würde mir nichts nützen.

Ich habe von Zeit zu Zeit Kontakt zu meinem Bruder. Der Schwager, der mich aus dem Verhör gerettet hat, ist der Bruder meiner Gattin. Dieser gehört nun auch den Schiiten an. Er ist konvertiert. Das war nach 2005. Ich habe keinen Kontakt zu meinem Schwager. Er hat uns damals geholfen, aber wir sind zerstritten. Er sollte unser Haus verkaufen, das ist meiner Ansicht nach USD 120.000 wert, er wollte es um USD 50.000 verkaufen. Das sollte quasi ein Gegengeschäft sein, dass er mir so geholfen hat."

Die Zweitbeschwerdeführerin gab auf Befragen der erkennenden Richterin an:

"Ich habe bislang auf das Fluchtvorbringen meines Gatten verwiesen. Das ist nach wie vor so.

Der erste Grund ist, dass mein Mann BAATH-Mitglied war. Der zweite Grund ist ein Vorfall, dass Personen zu unserem Haus gekommen sind, da er angeblich Probleme mit einer anderen Person hatte. Ich kannte diese Personen nicht, sie haben meinen Mann dann mitgenommen. Ich wusste nichts von den Problemen, die mein Mann mit einer Person haben sollte, erst im Nachhinein habe ich davon erfahren. Wir dachten, dass das aufgrund seiner Mitgliedschaft bei der BAATH-Partei war. Der Mann hatte Sprengstoff und Verbotenes im Auto und mein Mann wurde beschuldigt, dass es ihm gehöre. Es war ca. um 10 vor 12, wir hatten zu diesem Zeitpunkt keinen Strom. Der Strom wird immer um 10 vor der vollen Stunde ab- oder angeschaltet. Deshalb weiß ich das so genau. Er trug ein weißes Shirt und eine Short. Wir waren im Hof, ich hatte eine Decke aufgebreitet, dort waren mein jüngster Sohn und ich. Sie wollten ihn so mitnehmen, sagte dann aber, er sollte das DIS-DASCHA anziehen, das an der Wäscheleine hing."

Die inzwischen volljährige Drittbeschwerdeführerin verwies zu ihren Fluchtgründen befragt auf die Probleme ihres Vaters (des Erstbeschwerdeführers). Sie habe dort weiters keine Zukunft mehr.

Die seitens der bevollmächtigten Rechtsvertretung vorgelegten Länderberichte wurden zum Akt genommen und seitens der erkennenden Richterin ihrerseits im Akt einliegende Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat in das Verfahren eingebracht. Den Beschwerdeführern und dem Rechtsvertreter wurden Kopien ausgehändigt und ihnen die Möglichkeit zur schriftlichen Stellungnahme bis 05.11.2018 bei Gericht einlangend eingeräumt.

Auf die Verkündung des Erkenntnisses wurde verzichtet.

Am 02.11.2018 langte beim erkennenden Gericht die Stellungnahme der Beschwerdeführer mit Schriftsatz der bevollmächtigten Rechtsvertretung vom selben Tag ein. Im wesentlichen wurden die vom Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung in das Verfahren eingeführte Länderberichte auszugsweise wörtlich zitiert und relevante Stellen hervorgehoben. Darüber hinaus wurden noch weitere Länderberichte angeführt und ausgeführt, dass der Erstbeschwerdeführer während der mündlichen Beschwerdeverhandlung glaubhaft sein Fluchtvorbringen geschildert habe. Entgegen der Meinung des Bundesamtes drohte den Beschwerdeführern wegen ihrer Religion (Sunniten) und wegen der (ehemaligen) Zugehörigkeit des Erstbeschwerdeführers zur Baath-Partei (politische Einstellung, Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe Ex-Militär und Familie) sehr wohl konkrete und persönliche Verfolgung. Den Beschwerdeführern sei daher der Status von Asylberechtigten zuzuerkennen, zumal der irakische Sicherheitsapparat nicht in der Lage und gewillt sei, die Beschwerdeführer vor Verfolgung zu schützen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführer führen die im Spruch jeweils angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und sind Staatsangehörige des Irak, Angehörige der Volksgruppe der Araber und bekennen sich zum moslemischen Glauben sunnitischer Ausrichtung. Der Erstbeschwerdeführer ist mit der Zweitbeschwerdeführerin sowohl traditionell als auch standesamtlich verheiratet. Aus dieser Ehe stammen die nunmehr bereits volljährige Drittbeschwerdeführerin sowie ihre vier minderjährigen Brüder (Viert- bis Sechstbeschwerdeführer). Die gemeinsame Muttersprache ist Arabisch (vgl Angaben in den Erstbefragungen vom 11.01.2016, jeweils AS 9 der Verwaltungsakte der Erst- bis Viertbeschwerdeführer; aktenkundige Kopien der irakischen Reisepässe, AS 21 Erstbeschwerdeführer, AS 23 Zweitbeschwerdeführerin, AS 21 Drittbeschwerdeführerin, AS 21 Viertbeschwerdeführer, AS 23 Fünftbeschwerdeführer, AS 23 Sechstbeschwerdeführer; Angaben in der Niederschrift vor dem Bundesamt vom 20.11.2017, AS 57 ff Erstbeschwerdeführer und AS 51 ff Zweitbeschwerdeführerin; Angaben der Beschwerdeführer, Verhandlungsprotokoll vom 11.10.2018).

Der Erstbeschwerdeführer stammt aus dem Bezirk XXXX in Bagdad, wo er auch bis zum Jahr 1999 lebte. Von 1999 bis September 2003 lebte der Erstbeschwerdeführer mit seiner Familie im Viertel XXXX in XXXX/Bagdad, von September 2003 bis Oktober 2014 in XXXX etwa fünf Kilometer nordwestlich von Bagdad nahe den Grabstätten von XXXX. Etwa vier Monate nach der Belagerung von Mossul durch den IS am 10.06.2014 zogen die Beschwerdeführer wegen der Kämpfe zwischen dem IS und den Milizen wieder zurück nach Bagdad in einen Nachbarbezirk des ursprünglichen Heimatbezirkes des Erstbeschwerdeführers (XXXX), nach XXXX in XXXX (phon.) im Zentrum Bagdads (vgl Angaben Erstbeschwerdeführer, Niederschrift vom 20.11.2017, AS 59 Erstbeschwerdeführer; Angaben Erstbeschwerdeführer, Verhandlungsprotokoll vom 11.10.2018, S 5f Erstbeschwerdeführer).

Der Erstbeschwerdeführer hat das Gymnasium besucht, aber abgebrochen. Er war danach ein höherrangiges Mitglied der Baath-Partei und im Stadtteil XXXX in Bagdad zuständig für Studenten und Schüler als Mitglied der dortigen Führergruppe der Partei. Es waren unterschiedliche Parteimitglieder für unterschiedliche Stadtteile Bagdads verantwortlich. Der Erstbeschwerdeführer war zuständig für die Mittelschulen und Gymnasien in seinem Stadtteil (durchschnittlich etwa sieben Schulen) und hat im Verwaltungsbereich die Kontrolle über die Lehrkörperschaft ausgeübt. Im oblag auch die Auswechslung von Lehrern, etwa wegen extremer religiöser Positionen. Er war bei Meetings und Obmann-Wahlen der Schülerschaft anwesend und quasi das Überwachungsorgan der Baath-Partei in den in seinen Zuständigkeitsbereich fallenden Schulen. Dafür wurde er von der Partei gut entlohnt (vgl Angaben Erstbeschwerdeführer, Verhandlungsprotokoll vom 11.10.2018, S 5 Erstbeschwerdeführer).

Zwischen 2001 und 2003 war der Erstbeschwerdeführer nach dreimonatigem Intensivtraining weiters Oberstleutnant in der Al Quds Armee. Der hohe militärische Rang leitete sich unmittelbar aus seiner Stellung innerhalb der Baath-Partei ab. Er war zuständig für die Sicherheit der südlichen Außengrenze Bagdads und für etwa 106 Soldaten verantwortlich. Der Einheit des Erstbeschwerdeführers standen drei Offiziere vor; der Erstbeschwerdeführer war für die Planung, die Ausgabe von Waffen und die Finanzierung zuständig (vgl Angaben Erstbeschwerdeführer, Verhandlungsprotokoll vom 11.10.2018, S 4 Erstbeschwerdeführer; vorgelegte Fotos, AS 75 ff Verwaltungsakt).

Ab dem 09.04.2003 war der Erstbeschwerdeführer nicht mehr für die Baath-Partei tätig und ging seither auch keiner anderen Erwerbstätigkeit mehr nach. Er konnte das Haus infolge seiner ehemaligen Zugehörigkeit zur Baath-Partei bzw. der Al-Quds-Armee sowie seiner Zugehörigkeit zu den Sunniten kaum verlassen. Die Familie lebte von der Gewinnbeteiligung des Erstbeschwerdeführers aus der Baufirma seiner Brüder und Onkel, an welcher er als Aktionär beteiligt war und monatlich eine Gewinnausschüttung von rund USD 700,00 erhielt. Die inzwischen verstorbene Mutter des Erstbeschwerdeführers bezog weiters eine Pension in Höhe von etwa USD 400,00 (vgl Angaben Erstbeschwerdeführer, Verhandlungsprotokoll vom 11.10.2018, S 5 Erstbeschwerdeführer).

Im Eigentum des Erstbeschwerdeführers befand sich zudem ein altes Fahrzeug der Marke Ford, welches er gegen einen Betrag von 15.000 irakischen Dinar täglich an seinen ehemaligen Nachbarn vermietet hatte, welcher das Fahrzeug auch verwendete. Der Nachbar wurde im Zuge einer Kontrolle angehalten. Im Fahrzeug wurde Sprengstoff gefunden. Der Nachbar gab daraufhin an, dass es sich um das Fahrzeug des Erstbeschwerdeführers handelt. Daraufhin erging gegen den Erstbeschwerdeführer ein militärischer Haftbefehl wegen Terrorismusverdachts nach Art. 4 des irakischen Strafgesetzbuches. In der Nacht vom 16.08.2015 auf den 17.08.2015 wurde das Haus der Beschwerdeführer von vier Personen in Militärkleidung gestürmt. Der Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin sowie der jüngste Sohn (der Sechstbeschwerdeführer) befanden sich wegen der nächtlichen Hitze infolge der instabilen Stromversorgung im Innenhof im Freien. Der Erstbeschwerdeführer wurde gefesselt und mit verbundenen Augen in einem Pickup auf eine etwa zehn bis fünfzehn Fahrminuten entfernte Militärbasis gebracht und dort dazu befragt, wer mit ihm arbeite. Er wurde geschlagen und misshandelt. Nach etwa fünf bis sechs Stunden kam ein Major, der sich dem Erstbeschwerdeführer gegenüber als Freund seines Schwagers (des Bruders seiner Ehegattin, der Zweitbeschwerdeführerin) zu erkennen gegeben hat und dem Erstbeschwerdeführer auf Ersuchen des Schwagers zur Flucht verhalf, indem er den Milizangehörigen mitteilte, der Erstbeschwerdeführer solle seitens der 11. Division der irakischen Armee verhört werden. Der Erstbeschwerdeführer wurde schließlich seinem Schwager und dann seinem Bruder übergeben, in dessen Haus sich inzwischen auch die restliche Familie des Erstbeschwerdeführers aufhielt. Der Clan des Nachbarn, dem der Erstbeschwerdeführer sein Auto geliehen hatte, informierte den Erstbeschwerdeführer erst danach, dass er wegen des in seinem Auto gefundenen Sprengstoffes nach dem irakischen Strafgesetzt wegen Terrorismusverdacht angezeigt worden war. Der Schwager des Erstbeschwerdeführers, welcher Verbindungen zur 11. Division der irakischen Armee hatte, brachte sodann in Erfahrung, dass es sich bei den "Entführern" um Mitglieder der Asa'ib Ahl Al-Haqq gehandelt habe. Der Schwager konnte auch erwirken, dass der Akt mit der Anzeige des Erstbeschwerdeführers vom zuständigen Bearbeiter nicht sofort an das Gericht weitergeleitet wurde, sodass die Beschwerdeführer ihre Ausreise vorbereiten und den Irak im Oktober 2015 auf dem Landweg verlassen konnten. Aufgrund der wegen des gewalttätigen Verhörs des Erstbeschwerdeführers von diesem erlittenen Verletzungen konnte er den Irak nicht sofort verlassen (vgl Angaben Erstbeschwerdeführer, Verhandlungsprotokoll vom 11.10.2018, S 5ff, sowie auch der Zweitbeschwerdeführerin, Verhandlungsprotokoll vom 11.10.2018, S 8f; Fluchtvorbringen in der Beschwerde vom 28.12.2017; Angaben Erstbeschwerdeführer, Niederschrift vom 20.11.2017, AS 62 ff Erstbeschwerdeführer; Angaben Zweitbeschwerdeführerin, Niederschrift vom 20.11.2017, AS 83ff Zweitbeschwerdeführerin).

Die Beschwerdeführer reisten am 23.11.2015 unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein, wo sie sich seither ohne Unterbrechung aufhalten, und stellten am selben Tag den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Die nunmehr volljährige Drittbeschwerdeführerin war zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährig.

Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Mit den angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes vom 22.11.2017 wurde dem Erstbeschwerdeführer subsidiärer Schutz und den übrigen Beschwerdeführern abgeleitet vom Erstbeschwerdeführer subsidiärer Schutz im Familienverfahren in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihnen eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis 22.11.2018 erteilt.

Zur entscheidungsrelevanten Lage im Irak:

Zur entscheidungsrelevanten Lage im Irak werden die vom Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten Quellen mit Stand Oktober 2018 auch als entscheidungsrelevante Feststellungen zum endgültigen Gegenstand dieses Erkenntnisses erhoben.

"Länderberichte Irak - Stand Oktober 2018

1. Allgemeine Sicherheitslage:

1.1. Allgemeine Sicherheitslage und Islamischer Staat (IS):

Die allgemeine Sicherheitslage im Irak war seit Oktober 2016 von bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, im Genaueren nichtstaatlichen bewaffneten Milizen, den sogenannten Peshmerga der kurdischen Regionalregierung sowie ausländischen Militärkräften, auf der einen Seite und den bewaffneten Milizen der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) auf der anderen Seite um die Kontrolle der - im Zentrum des seit Sommer 2014 bestehenden Machtbereichs des IS gelegenen - Hauptstadt Mossul der Provinz Ninava gekennzeichnet. Diesen Kämpfen ging die sukzessive Zurückdrängung des IS aus den zuvor ebenfalls von ihm kontrollierten Gebieten innerhalb der Provinzen Anbar, Diyala und Salah al-Din im Zentral- und Südirak voraus. Die kriegerischen Ereignisse im Irak seit 2014 brachten umfangreiche Flüchtlingsbewegungen aus den umkämpften Gebieten in andere Landesteile sowie umgekehrt Rückkehrbewegungen in befreite Landesteile mit sich. Zahlreiche nationale und internationale Hilfsorganisationen unter der Ägide des UNHCR versorgen diese Binnenvertriebenen in Lagern und Durchgangszentren, mit Schwerpunkten in den drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks, in sowie um Bagdad sowie im Umkreis von Kirkuk, im Hinblick auf ihre elementaren Lebensbedürfnisse sowie deren Dokumentation und Relokation, ein geringer Anteil der Vertriebenen sorgt für sich selbst in gemieteten Unterkünften und bei Verwandten und Bekannten. Vor dem Hintergrund einer längerfristigen Tendenz unter den Binnenvertriebenen zur Rückkehr in ihre Herkunftsgebiete waren mit 31.03.2018 noch ca. 2,2 Mio. (seit 2014) Binnenvertriebene innerhalb des Iraks registriert, diesen standen wiederum ca. 3,6 Mio. Zurückgekehrte gegenüber. Ca. 90% der bis Ende März 2018 in ihre Herkunftsregion zurückgekehrten ca. 124.000 Binnenvertriebenen stammten aus den Provinzen Anbar, Kirkuk, Ninava und Salah al-Din, 107.000 kehrten alleine in die Provinz Ninava, ca. 77.000 in den Bezirk Mossul zurück.

Nachdem es den irakischen Sicherheitskräften (ISF) gemeinsam mit schiitischen Milizen, den sogenannten Popular Mobilisation Forces (PMF), sowie mit Unterstützung alliierter ausländischer Militärkräfte im Laufe des Jahres 2016 gelungen war, die Einheiten der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) sowohl aus den von ihr besetzten Teilen der südwestlichen Provinz Al Anbar bzw. deren Metropolen Fallouja und Ramadi als auch aus den nördlich an Bagdad anschließenden Provinzen Diyala und Salah al Din zu verdrängen, beschränkte sich dessen Herrschaftsgebiet in der Folge auf den Sitz seiner irakischen Kommandozentrale bzw. seines "Kalifats" in der Stadt Mossul, Provinz Ninava, sowie deren Umgebung bis hin zur irakisch-syrischen Grenze westlich von Mossul. Ab November 2016 wurden sukzessive die Umgebung von Mossul sowie der Ostteil der Stadt bis zum Ufer des Tigris wieder unter die Kontrolle staatlicher Sicherheitskräfte gebracht, im Westteil wurde der IS von den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, die aus dem Süden, Norden und Westen in das Zentrum der Stadt vordrangen, in der Altstadt von Mossul eingekesselt. Der IS wiederum versuchte parallel zu diesen Geschehnissen durch vereinzelte Selbstmordanschläge in Bagdad und anderen Städten im Süd- sowie Zentralirak seine wenn auch mittlerweile stark eingeschränkte Fähigkeit, die allgemeine Sicherheitslage zu destabilisieren, zu demonstrieren. Anfang Juli 2017 erklärte der irakische Premier Abadi Mossul für vom IS befreit. In der Folge wurden auch frühere Bastionen des IS westlich von Mossul in Richtung der irakisch-syrischen Grenze wie die Stadt Tel Afar durch die Militärallianz vom IS zurückerobert. Zuletzt richteten sich die Operationen der Militärallianz gegen den IS auf letzte Überreste seines früheren Herrschaftsgebiets im äußersten Westen der Provinz Anbar sowie eine Enklave um Hawija südwestlich von Kirkuk. Mit Beginn des Dezember 2017 musste der IS seine letzten territorialen Ansprüche innerhalb des Iraks aufgeben, am 01.12.2017 erklärte Premier Abadi den gesamtem Irak für vom IS befreit.

Im Zuge der Rückeroberungen von IS-Gebieten (IS: sogenannter Islamischer Staat) werden weiterhin Massengräber gefunden. Zuletzt wurde in der Nähe der Militärbasis al-Bakara etwa drei Kilometer vor der Stadt Hawija ein Grab mit mindestens 400 Toten (mutmaßlichen IS-Opfern) entdeckt (MOI 3.11.2017; Standard 11.11.2017). Umgekehrt treten weitere Berichte von Racheakten von Seiten der Befreier zutage, laut Nahostexpertin Gudrun Harrer scheint der Zyklus der Gewalt mit dem Sieg über den IS nicht unterbrochen (Harrer 24.11.2017). Mehr als 3,1 Millionen Iraker (die überwältigende Mehrheit Sunniten) sind weiterhin Vertriebene. Weitere 2,3 Millionen sind in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt. Für den Wiederaufbau ihrer Städte erhielten die Sunniten nicht viel Hilfe von der Zentralregierung, die sich mehr auf die Bekämpfung/Zurückdrängung des IS und zuletzt der Kurden konzentrieren (NYTimes 26.10.2017).

Ab dem 03.11.2017 mit Stand 17.11.2017 wurden die drei letzten irakischen Städte, die sich noch unter der Kontrolle des IS befanden, Al-Qaim, Ana und Rawa (alle drei im Westen des Landes) von den irakischen Streitkräften zurückerobert. Laut der US-geführten Koalition zur Bekämpfung des IS hat dieser nun 95 Prozent jener irakischen und syrischen Territorien verloren, welches er im Jahr 2014 als Kalifat ausgerufen hatte (Telegraph 17.11.2017; IFK 60.11.2017). Das Wüstengebiet nördlich der drei Städte bleibt vorerst weiterhin IS-Terrain. Die Gebiete rund um Kirkuk und Hawija gehören zu jenen Gebieten, bei denen das Halten des Terrains eine große Herausforderung darstellt. (MEE 16.11.2017; Reuters 05.11.2017; BI 13.11.2017). Es stellt sich auch die Frage, wo sich jene IS-Kämpfer aufhalten, die, nicht getötet wurden oder die nicht in Gefängnissen sitzen (alleine in Mossul gab es vor der Rückeroberung 40.000 IS-Kämpfer). Viele sind in die Wüste geflohen oder in der Zivilbevölkerung untergetaucht. Es gab es auch umstrittene Arrangements, die den Abzug von IS-Kämpfern und ihren Familien erlaubten. Der IS ist somit nicht verschwunden, nur sein Territorium (Harrer 24.11.2017).

Seit der IS Offensive im Jahr 2014 ist die Zahl der Opfer im Irak nach wie vor nicht auf den Wert der Zeit zwischen 2008 - 2014 zurückgegangen, in der im Anschluss an den konfessionellen Bürgerkrieg 2006-2007 eine Phase relativer Stabilität einsetzte (MRG 10.2017; vgl. IBC 23.11.2017). Von dem Höchstwert von 4.000 zivilen Todesopfern im Juni 2014 ist die Zahl 2016 [nach den Zahlen von Iraq Body Count] auf 1.500 Opfer pro Monat gesunken; dieser sinkende Trend setzt sich im Jahr 2017 fort (MRG 10.2017). Nach den von Joel Wing dokumentierten Vorfällen, wurden in den Monaten August, September und Oktober 2017 im Irak 2.988 Zivilisten getötet (MOI 09.-11.2017).

1.2. Allgemeine Sicherheitslage in Kurdistan:

Die Sicherheitslage innerhalb der drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks, nämlich Dohuk, Erbil und Suleimaniya, ist angesichts der Maßnahmen der regionalen Sicherheitskräfte wie Grenzkontrollen und innerregionale Aufenthaltsbestimmungen als stabil anzusehen. Am 25.09.2017 hielt die kurdische Regionalregierung ein Referendum für eine mögliche Unabhängigkeitserklärung der Autonomieregion mitzustimmendem Ausgang ab. Seit Oktober 2017 befindet sich die kurdische Regionalregierung in Konflikt mit der irakischen Zentralregierung in der Frage der Kontrolle über die von kurdischen Sicherheitskräften bislang besetzt gehaltenen Grenzregionen südlich der Binnengrenze der Autonomieregion zum übrigen irakischen Staatsgebiet, insbesondere die Region um die Stadt Kirkuk. Am 15.10.2017 wurden die in Kirkuk stationierten kurdischen Sicherheitskräfte von Einheiten der irakischen Armee und der Polizei sowie der sogenannten der Zentralregierung nahestehenden Volksmobilisierungseinheiten angegriffen, die sich in der Folge aus Kirkuk zurückzogen. Zuletzt kam es zur Besetzung weiterer Landstriche entlang der Binnengrenze sowie von Grenzübergängen an der irakisch-syrischen Grenze durch die irakische Armee und die Volksmobilisierungseinheiten, während sich die kurdischen Sicherheitskräfte aus diesen Bereichen zurückzogen. Eine Einreise in die Provinzen der kurdischen Autonomieregion ist aktuell aus Österreich auf dem Luftweg ausgehend vom Flughafen Wien via Amman und via Dubai nach Erbil und auf indirektem Weg via Bagdad möglich.

Nach der Offensive der irakischen Armee und der PMF (Popular Mobilization Forces) in die von den Kurden kontrollierten Gebiete, besteht derzeit ein Waffenstillstand, es herrscht jedoch weiterhin Unsicherheit, nicht nur bezüglich der weiteren Vorgehensweise der irakischen Regierung, sondern auch die wirtschaftliche Situation Kurdistans betreffend. Unterdessen gibt es neue Beweise dafür, dass im Zuge der Offensive in den vorwiegend kurdischen Gebieten Plünderungen, Brandstiftungen, Häuserzerstörungen und willkürliche Angriffe offenbar insbesondere von Seiten der PMF (auch von Seiten turkmenischer PMF-Milizen) stattfanden. Tausende haben dabei ihre Häuser, ihre Geschäfte und ihre sonstigen Besitztümer verloren. (AI 24.10.2017; Bas 14.11.2017; HRW 20.10.2017).

Laut den Vereinten Nationen (VN) kam es im Zuge der Offensive der irakischen Regierung zur Vertreibung von zehntausenden Menschen aus den sogenannten "umstrittenen Gebieten". 180.000 Menschen sind (mit Stand 18.11.2017) nach wie vor vertrieben, 172.000 sind zurückgekehrt. Die meisten dieser Vertriebenen sind Kurden, aber auch Mitglieder anderer Minderheiten, einschließlich sunnitischer Araber und Turkmenen. Die meisten Vertriebenen lebten in den Städten Kirkuk, Daquq (Provinz Kirkuk), sowie Tuz Khurmatu (Rudaw 18.11.2017). Aus Furcht vor Repressalien kehren sie derzeit nicht in ihre Heimatgebiete zurück (Reuters 09.11.2017).

Am Abend des 12.11.2017 fand in der Grenzregion zwischen Iran und Irak ein Erdbeben der Stärke 7,3 statt. Im Irak war dabei die an der Grenze zum Iran befindliche Stadt Halabja (im Autonomen Kurdengebiet) am stärksten betroffen. Acht Menschen starben im Irak, mehr als 500 wurden verletzt und hunderte Familien wurden obdachlos. Zumindest drei Gesundheitszentren wurden beschädigt. Verglichen mit dem Iran war der Irak deutlich geringer von dem Erdbeben betroffen (UNFPA 19.11.2017).

1.3. Sicherheitslage in den südirakischen Provinzen:

Die Sicherheitslage in den südirakischen Provinzen, insbesondere in der Provinz Basra, war, als Folge einer Sicherheitsoffensive staatlicher Militärkräfte im Gefolge interkonfessioneller Gewalt im Jahr 2007, ab 2008 stark verbessert und bis 2014 insgesamt stabil. Auch war die Region nicht unmittelbar von der Invasion der Truppen des IS im Irak in 2013 und 2014 betroffen. Die Gegenoffensive staatlicher Sicherheitskräfte und deren Verbündeter gegen den IS in Anbar und den nördlicher gelegenen Provinzen bedingte vorerst eine Verlagerung von Militär- und Polizeikräften in den Norden, die wiederum eine größere Instabilität im Süden verbunden vor allem mit einem Anstieg an krimineller Gewalt mit sich brachte. Aktuell sind im Gefolge der Vertreibung des IS aus seinem früheren Herrschaftsgebiet im Irak keine maßgeblichen sicherheitsrelevanten Ereignisse bzw. Entwicklungen für die Region bekannt.

Aktuell (September 2018) finden rund um BASRA immer wieder Demonstrationen der Bevölkerung gegen die Missstände bezüglich der Regierungskorruption, der Erbringung von Dienstleistungen, der Arbeitslosigkeit, der unregelmäßigen Elektrizitätsversorgung und der Wasserverschmutzung statt. Dabei wurden mindestens sechs Personen bei Zusammenstößen mit der Polizei verletzt und 16 Personen verhaftet. Seit Juli 2018 breiten sich die Proteste im südlichen Irak aus. Anfang des Sommers haben mit Milizen verbündete irakische Sicherheitskräfte mindestens 14 Demonstranten getötet und mehr als 200 verhaftet. Zugleich wurde das Internet abgeschaltet, um die Kommunikation zwischen den Aktivisten zu unterbinden. Premierminister Abadi hat die Untersuchung des Todes eines am 03.09.2018 offenbar durch scharfe Munition in Basra getöteten Demonstranten angeordnet und die Sicherheitskräfte aufgefordert, friedliche Demonstrationen abzusichern und zu ermöglichen. Zugleich ermahnte er die Demonstranten die weitere Provokation zu unterlassen. Dennoch fanden tags darauf neuerlich Demonstrationen statt, bei welchen Steine und Molotow-Cocktails auf lokale Regierungsgebäude geworfen wurden.

Insgesamt ist es in den Provinzen BASRA, MAISAN, DHI QAR, BABIL, DIWANIYA (Hauptstadt der Provinz QADISIYA), WASSIT, NADSCHAF, MUTHANNA und KERBALA zu Massenprotesten gekommen. Auch in Bagdad fand von 19. auf 20.08.2018 eine große Demonstration statt, bei welcher sowohl auf der iranischen Flagge als auch den Flaggen der PMF (Hadschd al Sha'bi) herumgetrampelt. Die Proteste zielen insgesamt auf pro-iranische Milizen und Parteien ab. Es wurde auch der Flughafen Nadschaf geplündert und die Grenze zu Kuwait mit Demonstranten besetzt. Die Regierung in Bagdad hat daraufhin den Counter-Terrorism Service (CTS) entsandt.

1.4. Sicherheitslage im Großraum Bagdad:

1.4.1. Sicherheitslage im Großraum Bagdad im Allgemeinen

Die Sicherheitslage im Großraum Bagdad war im Wesentlichen ebenfalls nicht unmittelbar beeinträchtigt durch die oben genannten Ereignisse im Zusammenhang mit der Bekämpfung des IS im Zentralirak. Im Laufe der Jahre 2016 und 2017 kam es jedoch im Stadtgebiet von Bagdad zu mehreren Anschlägen bzw. Selbstmordattentaten auf öffentliche Einrichtungen oder Plätze mit einer teils erheblichen Zahl an zivilen Opfern, die sich, ausgehend vom Bekenntnis des - als sunnitisch zu bezeichnenden - IS, gegen staatliche Sicherheitsorgane oder gegen schiitische Wohnviertel und Städte richteten um dort ein Klima der Angst sowie religiöse Ressentiments zu erzeugen und staatliche Sicherheitskräfte vor Ort zu binden. Zuletzt wurden am

13. und 15. Jänner 2018 von Selbstmordattentätern zwei Sprengstoffanschläge auf öffentliche Plätze in Bagdad verübt, deren genaue Urheber nicht bekannt wurden. Für den Großraum Bagdad sind im Gefolge der nunmehrigen Vertreibung des IS aus seinem früheren Herrschaftsgebiet darüber hinaus keine außergewöhnlichen sicherheitsrelevanten Ereignisse bzw. Entwicklungen bekannt geworden.

Die Acht-Millionenmetropole Bagdad hat eine höhere Kriminalitätsrate als jede andere Stadt des Landes. Hauptverantwortlich dafür sind der schwache staatliche Sicherheitsapparat sowie die schwache Exekutive. Seit dem Krieg gegen den IS verblieb in Bagdad aufgrund von Militäreinsätzen in anderen Teilen des Landes phasenweise nur eine geringe Zahl an Sicherheitspersonal. Da große Teile der Armee im Sommer 2014 abtrünnig wurden, sind zum Wiederaufbau der Armee mehrere Jahre nötig. Gleichzeitig erschienen bewaffnete Gruppen, vor allem Milizen mit Verbindungen zu den 'Popular Mobilization Forces' (PMF), auf der Bildfläche, mit divergierenden Einflüssen auf die Stabilität der Stadt. Der Zusammenbruch der Armee führte zusätzlich zu einem verstärkten Zugang und zu einer größeren Verfügbarkeit von Waffen und Munition. Dazu kommt die Korruption, die in allen Einrichtungen des Sicherheitsapparates und der Exekutive herrscht. Trotz dieser Probleme gibt es aktuell eine Verbesserung der Situation, die sich auch auf die Meinung der Bewohner über den irakischen Gesetzesvollstreckungsapparat auswirkt. Obwohl konfessionell bedingte Gewalt in Bagdad existiert, ist die Stadt nicht in gleichem Ausmaß in die Spirale der konfessionellen Gewalt des Bürgerkriegs der Jahre 2006-2007 geraten. Stattdessen kommt es zu einem Anstieg der Banden-bedingten Gewalt (Bandenkriege), die meist finanziell motiviert sind, in Kombination mit Rivalitäten zwischen Sicherheitskräften/-akteuren (MRG 10.2017).

Kidnappings und Entführungen kommen überall in Bagdad vor, unterscheiden sich aber in Häufigkeit und Art der Opfer. Man kann generell zwischen finanziell motivierten Entführungen und denen, die politisch oder persönlich motiviert sind, unterscheiden. Während erstere von kriminellen Gangs begangen werden, werden die politisch oder persönlich motivierten von bewaffneten Gruppen oder Individuen ausgeführt. Geschätzte 65-75 Prozent können als kriminelle Akte kategorisiert werden, während zwischen einem Viertel und einem Drittel als politisch oder als Folge von persönlichen Auseinandersetzungen gesehen werden können. Die zentralen und relativ wohlhabenden Bezirke Karkh und Rusafa zeigen die höchsten Zahlen an Kidnappings und sind für etwa die Hälfte der dokumentierten Fälle des gesamten Gouvernements verantwortlich (MRG 10.2017).

Berichten zufolge setzen schiitische Milizen Kidnappings und Erpressungen als einkommensgenerierende Aktivitäten ein. Während es sich dabei um einen kriminellen Akt handelt, kann zusätzlich auch ein politisches oder religiöses Motiv dahinterstehen. Milizen haben z. B. Mitglieder anderer Gruppen entführt und verschleppt. Opfer der von den Gruppen durchgeführten Kidnappings sind tendenziell eher Sunniten als Schiiten. Es ist auch häufig, dass Milizen Kidnappings in Gegenden, die nicht unter ihrer eigenen Kontrolle stehen, ausführen, etwa um ihre Reputation in den von ihnen kontrollierten Gebieten nicht aufs Spiel zu setzen (MRG 10.2017).

Da es zu Protesten in der Bevölkerung kam, und zu Forderungen an den Staat, Maßnahmen zu ergreifen, wurde in den letzten zwei Jahren das Thema Kidnappings in der Öffentlichkeit diskutiert. Immer wieder kam es zu Wellen von Entführungen, die gegen bestimmte Professionen und Gruppen der Gesellschaft gerichtet waren.

Die Fälle von Entführungen haben Regierung und Sicherheitsdienste gezwungen, sich aktiver diesem Problem zu widmen. In vergangenen Jahren, sowie auch in den Jahren 2006-2007, war die Exekutive beinahe gänzlich außerstande, mit dieser Art der Gewalt umzugehen. Heute spricht Premierminister Abadi, der sich manchmal persönlich in Fälle involviert, lautstark über die Bedenken der Bevölkerung, und unternimmt Schritte, um die Kapazitäten der Gesetzesvollstreckung auszuweiten (MRG 10.2017).

Schießereien mit Handfeuerwaffen sind in und rund um die Provinz Bagdad verbreitet, wobei dabei insbesondere die Bezirke Karkh, Rusafa und Adhamiya und dabei insbesondere auch Zivilisten betroffen sind. Hingegen betreffen Vorfälle mit Handfeuerwaffen im ‚Bagdad Belt' üblicherweise Sicherheitsdienste wie die Iraqi Security Forces (ISF) und Mitglieder von sunnitischen und schiitischen Milizen, und finden meistens bei Kontrollpunkten statt. Dies kann man in Abu Ghraib, Mahmudiya und Tarmiya beobachten. Diese Gebiete verzeichnen auch eine große Anzahl an Schießereien in Verbindung mit stammesbezogenen Auseinandersetzungen (MRG 10.2017).

Konfessionalismus und Diskriminierung sind weiterhin ein weit verbreitetes Phänomen in Bagdad, wenn sie auch nicht dasselbe Ausmaß an Gewalt erreicht haben, der während des konfessionellen Krieges in den Jahren 2006-2007 dokumentiert wurde. Entgegen der Erwartungen hat die Ausbreitung des IS ab 2014 zu einem geringeren Ausmaß an Gewalt geführt als während des konfessionellen Krieges 2006-2007. Terrorattacken des IS in Bagdad führen zu Vergeltungsmaßnahmen gegen sunnitische Zivilisten, die vorwiegend von schiitischen Milizen begangen werden. Diese beinhalten Kidnappings, Ermordungen sowie ungesetzlichen Freiheitsentzug. Dennoch ist der offensichtlichere Konfessionalismus - bei dem sunnitische Bewohner Kontrollpunkte nicht passieren konnten ohne namentlich aufgerufen zu werden und manchmal schikaniert oder festgenommen wurden - heute relativ selten.

Dies trifft allerdings nicht auf sunnitische Internvertriebene (IDPs) zu, die in der Provinz Bagdad regelmäßig diskriminiert werden. Nachdem der IS in großen Teilen von Anbar und Salah al-Din die Macht ergriffen hatte, flohen Tausende nach Bagdad. In vielen Fällen war es ihnen von vorne herein nie gestattet, in die Provinz einzureisen. Die, die es dennoch geschafft haben, berichten von extrem eingeschränkter Reisefreiheit (da Personalausweise aufzeigen in welchem Gouvernement sie ausgestellt wurden), von Schwierigkeiten, als Gebietsfremde des Gouvernements an wesentliche Dokumente zu gelangen, sowie von Schikanen aufgrund des Pauschalverdachts der IS-Zugehörigkeit. Für Internvertriebene besteht, aufgrund fehlender Netzwerke für persönliche Unterstützung, auch ein größeres Risiko, entführt zu werden.

Eine weitere Seite des Konfessionalismus sind Verhaftungen, oft willkürlich, welche meist in Verbindung mit einer Anklage wegen Terrorismus nach Artikel 4 vollzogen werden und beinahe ohne Ausnahme Sunniten betreffen. Diese Festnahmen sind nach Terroranschlägen häufig, wenn Sicherheitsdienste Durchsuchungsaktionen durchführen, um Mitglieder oder Unterstützer des IS ausfindig zu machen (MRG 10.2017).

Kleinere Gemeinschaften, inklusive Minderheiten und solche, die sich in einer Minderheitssituation wiederfinden, stehen unter signifikantem Risiko. Die Anzahl an Christen in Bagdad nimmt unter dieser Bedrohungssituation weiterhin ab, wenn auch kleine christliche Gemeinden in gemischten Bezirken bestehen bleiben; so auch in Karkh und in Karrada und Palästina. Faili-Kurden (schiitische Kurden), einschließlich jener, die in Sadirya und im südlichen Teil Bagdads leben, haben unter Bombenangriffen gelitten und berichten von erhöhten Spannungen, die in Zusammenhang mit dem kurdischen Unabhängigkeitsreferendum stehen. Palästinenser, die vorwiegend in al-Baladiyat leben, sind diesen gezielten Attacken ebenso ausgesetzt und bleiben weiterhin besonders gefährdet (MRG 10.2017).

Die Irakischen Sicherheitskräfte (ISF) werden in Bagdad vom 'Baghdad Operations Command' (BOC) repräsentiert, Geheimdienste und irakische Polizeieinheiten, die im Bagdad Gouvernement agieren, sind dem Verteidigungsministerium unterstellt. Der BOC besteht aus mehreren Brigaden, die der 6., 11. und 17. Abteilung der irakischen Armee angehören, sowie aus spezialisierten Militär- und Polizei-Einheiten, inklusive Bereitschaftspolizei und Schutzeinheiten für Diplomaten. Die irakische Armee i

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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