TE Bvwg Erkenntnis 2019/3/1 W103 1424354-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.03.2019
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Entscheidungsdatum

01.03.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W103 1424354-3/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. AUTTRIT als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Russische Föderation, vertreten durch die XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.09.2018, Zl.:

568012003-151543277,

A)

I. zu Recht erkannt:

Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis III. wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 57 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

II. beschlossen:

In Erledigung der Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte IV. bis VI. wird der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation aus der Teilrepublik Tschetschenien, reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 13.10.2015 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz. Anlässlich seiner am gleichen Tag abgehaltenen niederschriftlichen Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen zu Protokoll, er stamme ausXXXX, sei Moslem und habe sich Anfang Oktober 2015 zum Verlassen des Herkunftsstaates entschlossen. Der Beschwerdeführer habe bereits im Jahr 2011 in Österreich, im Jahr 2013 in Deutschland sowie im Anschluss abermals in Österreich um Asyl angesucht. Im Oktober 2013 habe er Österreich freiwillig verlassen und sei nachXXXX geflogen. Im Bundesgebiet hielten sich zwei Brüder und eine Schwester des Beschwerdeführers auf. Der Beschwerdeführer habe Tschetschenien verlassen, um hier in Frieden leben zu können, da die tschetschenische Regierung ihn nach Syrien in das Kriegsgebiet habe schicken wollen, was der Beschwerdeführer abgelehnt hätte. Im Falle einer Rückkehr befürchte der Beschwerdeführer, umgebracht zu werden.

Nach Zulassung seines Verfahrens erfolgte am 04.07.2018 eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die russische Sprache. Der Beschwerdeführer brachte auf entsprechende Befragung hin zusammengefasst vor, er sei gesund und benötige keine Medikamente, seine bisherigen Angaben seien wahrheitsgemäß gewesen. Der Beschwerdeführer verfüge über keine identitätsbezeugenden Dokumente und keine sonstigen Beweismittel. Er sei Tschetschene und Moslem, habe in XXXX elf Jahre lang die Grundschule sowie fünf Jahre lang die Universität (ohne Abschluss) besucht, und habe vor seiner Ausreise auf einer Tankstelle in XXXX gearbeitet. Im Jahr 2011 sei er illegal nach Österreich gekommen und habe das Land im Jahr 2013 nach Erhalt eines negativen Asylbescheides wieder verlassen. In der Folge habe er versucht, in Deutschland um Asyl anzusuchen, sei jedoch wieder nach Österreich abgeschoben worden. Nach einem etwa einjährigen Aufenthalt in Österreich sei der Beschwerdeführer wieder nach XXXX gegangen. 2015 sei er neuerlich nach Österreich gereist und habe seinen dritten Asylantrag eingebracht. In der Russischen Föderation würden noch der Vater, die Halbschwester und die Stiefmutter des Beschwerdeführers leben. Der Beschwerdeführer habe in Österreich vor zwei Jahren eine namentlich genannte Frau traditionell geheiratet, welche derzeit im neunten Monat schwanger sei. Ein Abhängigkeitsverhältnis bestünde nicht. In Österreich befände sich ein Bruder des Beschwerdeführers, welcher subsidiär schutzberechtigt sei. Ein weiterer Bruder und eine Schwester würden ebenfalls in Österreich leben und den "grauen Pass" besitzen. Zu den Gründen seiner neuerlichen Asylantragstellung führte der Beschwerdeführer aus, in dem Dorf, in dem er gelebt hätte, hätten Polizisten ihn abholen wollen. Sie hätten ihn nach Syrien schicken wollen. Es habe sich um Kadyrow-Leute gehandelt. Der Beschwerdeführer habe Angst gehabt, in seinem Haus zu leben; seine Eltern hielten sich unverändert dort auf. Der Beschwerdeführer sei zu dem Zeitpunkt, als die Leute gekommen wären, nicht zu Hause gewesen; diese hätten seinen Inlandspass mitgenommen. Weitere Fluchtgründe habe er nicht. Der Beschwerdeführer habe keine Chance, dort zu leben. Die Leute würden ihn zwingen wollen. Mehr habe er nicht zu sagen. Über diesbezügliche Beweise, etwa einen Einberufungsbefehl, verfüge er nicht. Befragt, woher er dann wisse, dass die Regierung ihn nach Syrien schicken wolle, meinte der Beschwerdeführer, es seien schon Männer aus seinem Dorf nach Syrien oder in die Ukraine geschickt worden. Um Konkretisierung seiner Angaben ersucht, erklärte der Beschwerdeführer, sie seien in sein Elternhaus gekommen. Der Beschwerdeführer sei nicht zuhause gewesen. Er wisse nicht, wie es gewesen sei. Sie hätten mit seinem Vater geredet und gefragt, wo der Beschwerdeführer sei. Dieser hätte geantwortet, dass der Beschwerdeführer nicht hier sei. Sie hätten das Haus durchsucht und den Inlandspass des Beschwerdeführers mitgenommen. Sein Vater hätte sich über die Situation erkundigt und die Information erhalten, dass Leute "eingesammelt" würden, um in Syrien bzw. der Ukraine zu kämpfen. Der Beschwerdeführer habe den Militärdienst nicht abgeleistet. Befragt, weshalb diesfalls gerade er nach Syrien hätte geschickt werden sollen, erwiderte der Beschwerdeführer, es nicht zu wissen. Auf Vorhalt, dass er bloß ein vages und emotionsloses Vorbringen erstatte und zur Angabe konkreter Einzelheiten aufgefordert, gab der Beschwerdeführer an, es sei kurz, bevor er wieder nach Österreich gekommen sei, gewesen. Sein Vater habe ihm bei der Ausreise geholfen. Für seine Verwandten sei es relativ ruhig, der Beschwerdeführer wolle diesen keine Probleme machen.

In Österreich lebe der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner traditionell angetrauten Frau, ein Abhängigkeitsverhältnis bestehe jedoch nicht. Außerdem habe er hier zwei Brüder und eine Schwester, mit welchen er regelmäßig Kontakt habe. Er gehöre keinem Verein an und ginge keiner Beschäftigung nach. Ab und zu habe er Gelegenheitsjobs; hauptsächlich kümmere er sich um seine schwangere Frau. Zu seinen Angehörigen in der Russischen Föderation habe er selten Kontakt. Der Beschwerdeführer habe einen A1-Deutschkurs besucht, wolle so schnell wie möglich arbeiten und bei seiner Familie bleiben.

Dem Beschwerdeführer wurden die seitens der Behörde herangezogenen Länderinformationen im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht, im Anschluss erfolgte eine Rückübersetzung der aufgenommenen Niederschrift, deren Richtigkeit und Vollständigkeit der Beschwerdeführer durch seine Unterschrift bestätigte.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 27.09.2018 hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 13.10.2015 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und den Antrag gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen (Spruchpunkt IV.) und wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG unter einem festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). In Spruchpunkt VI. wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl stellte die Staatsbürgerschaft sowie die Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit, nicht jedoch die präzise Identität des Beschwerdeführers fest. Der Beschwerdeführer habe zu früheren Zeitpunkten bereits zwei Anträge auf internationalen Schutz im Bundesgebiet eingebracht, welche in allen Spruchpunkten rechtskräftig abgewiesen worden seien. Am 12.11.2015 sei das Verfahren des Beschwerdeführers eingestellt worden, nachdem er sich dem Verfahren entzogen hätte und untergetaucht sei. Am 05.08.2016 sei das Verfahren fortgesetzt worden. Der Beschwerdeführer habe sein Heimatland nicht aufgrund einer asylrelevanten Bedrohung verlassen. Es habe nicht festgestellt werden können, dass dieser einer konkreten persönlichen Verfolgung in der Russischen Föderation ausgesetzt gewesen wäre oder eine solche zukünftig zu befürchten hätte. Der Beschwerdeführer habe eine asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft machen können. Der Beschwerdeführer sei gesund und arbeitsfähig, habe im Herkunftsstaat elf Jahre lang die Schule besucht und fünf Jahre Agrarwissenschaft studiert. Dem Beschwerdeführer sei eine Rückkehr nach Tschetschenien möglich, zumal er fast sein gesamtes Leben dort verbracht und gearbeitet hätte und auch nach negativem Abschluss seines Asylverfahrens im Jahr 2013 wieder dorthin zurückgekehrt sei. Zudem verfüge er über umfangreiche familiäre Beziehungen in Tschetschenien. Es sei dem Beschwerdeführer zumutbar, seinen Lebensunterhalt in der Russischen Föderation durch eigene Arbeit und Unterstützung seiner Familie zu sichern. Gegen seine Person seien in der Vergangenheit bereits zwei rechtskräftige Rückkehrentscheidungen erlassen worden.

Der Beschwerdeführer sei seinen Angaben zufolge traditionell verheiratet, seine Frau, welche er in Österreich kennenglernt hätte und zu der kein Abhängigkeitsverhältnis bestünde, sei zum Zeitpunkt der Einvernahme Anfang Juli 2018 im neunten Monat schwanger gewesen. Der Beschwerdeführer habe die Ehe trotz seines unsicheren Aufenthaltes geschlossen. Der Beschwerdeführer sei seit einem erst kurzen Zeitraum im Bundesgebiet aufhältig und sei der deutschen Sprache nicht mächtig.

Beweiswürdigend wurden im angefochtenen Bescheid im Wesentlichen die folgenden Ausführungen getroffen:

"(...) Betreffend die Feststellungen zu den Gründen für das Verlassen Ihres Herkunftsstaats:

...

Sie gaben an, dass russische Polizisten (Kadyrow Leute) Sie von Ihrem Heimatdorf abholen und in das Kriegsgebiet nach Syrien schicken wollten. Persönlich hätten Sie keinen Kontakt zu den Leuten gehabt, da Sie zu dem Zeitpunkt gerade bei Verwandten im selben Dorf waren und die Polizisten in Ihr Elternhaus kamen und Ihren Vater diesbezüglich ausfragten. Diese Leute hätten nach Ihnen gefragt und das Haus durchsucht. Es ist davon auszugehen, dass Personen, die aufgrund einschneidender Ereignisse gezwungen wurden das Heimatland zu verlassen, detailliert und konkret über die Beweggründe, die zu diesem Schritt geführt haben, berichten können. Personen, die eine tatsächliche Begebenheit im Asylverfahren schildern, sind regelmäßig in der Lage und vor allem auch gewillt, möglichst alles, was die Erlebnisse nachvollziehbar erscheinen lässt, vorzubringen - umso mehr, als dass die Möglichkeit der Einvernahme im Asylverfahren das Beste und manchmal auch einzige Beweismittel des Asylwerbers ist, die behauptete Gefahrenlage glaubhaft zu machen und somit die Gewährung des internationalen Schutzes zu erreichen. Befragt, mehr Details über den Vorfall bzw. die Polizisten, die Sie angeblich suchten und abholen wollten, zu nennen, konnten Sie nicht. Auch mehrmaligen Aufforderungen, detaillierte und konkrete Details zu schildern, kamen Sie nicht nach, was den Gang der von Ihnen erzählten Handlungen äußerst vage bzw. zweifelhaft und somit Ihr Vorbringen als unglaubwürdig erscheinen lässt. Sie sagten lediglich, dass Sie nicht wissen würden, wie was war und die Männer das Haus durchsuchten und Ihren Inlandspass mitnahmen. Ihr Vater hätte nur die Information bekommen, dass vermehrt Leute eingesammelt werden um in Syrien bzw. in der Ukraine mitzukämpfen. Mehr Details dazu konnten Sie nicht nennen. Es ist für die Behörde äußerst zweifelhaft, dass Sie angeblich von Bediensteten gesucht werden um in ein Kriegsgebiet mitkämpfen zu müssen, jedoch keinerlei Namen oder sonstige nennenswerten Details nennen können. Es ist nicht nachvollziehbar, warum man ausgerechnet Sie nach Syrien schicken wollte, obwohl Sie weder Militärdienst geleistet haben noch in irgendeiner Weise eine militärische Vergangenheit aufweisen. Überdies sei angeführt, dass wenn Regierungsleute tatsächlich gewollt hätten Sie zu finden, dies auch mühelos geschafft hätten. Zumal Sie auch angaben, unmittelbar im selben Dorf gewesen zu sein, jedoch die Polizisten nur zuhause nach Ihnen fragten. Dies widerspricht jeder Logik dahingehend, dass es sich um zwei völlig widersprüchliche Aussagen handelt und somit Ihr Vorbringen als unglaubwürdig erscheinen lässt.

Betreffend die Feststellungen zu Ihrer Situation im Fall Ihrer Rückkehr:

Die Feststellungen hinsichtlich Ihres Gesundheitszustandes ergeben sich aus Ihren glaubhaften Ausführungen im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme, sowie des persönlichen Eindruckes, welchen der entscheidungsbefugte Organwalter im Rahmen der Einvernahme gewinnen konnte.

Ihre Arbeitswilligkeit ergibt sich aus Ihrer Berufstätigkeit im Heimatstaat.

Durch Ihre beruflichen Erfahrungen und Ihre schulische Ausbildung ist es Ihnen überdies zuzumuten, einen adäquaten Arbeitsplatz zu finden.

Aufgrund Ihrer Angaben konnte ebenfalls festgestellt werden, dass Sie in der Russischen Föderation über familiäre/ soziale Bezugspunkte verfügen (Kernfamilie lebt in Tschetschenien).

Deshalb ist eine finanzielle Unterstützung durch Ihre Familie bei Ihrer Rückkehr in die Russische Föderation sicherlich auch möglich und weiterhin wahrscheinlich.

Es ist Ihnen zuzumuten, nachXXXX/Tschetschenien zurückzukehren, zumal Sie fast Ihr gesamtes Leben dort lebten und arbeiteten bzw. nach Ihrem negativen Asylbescheid im Jahre 2013 auch dort zurückkehrten. Außerdem verfügen Sie in Tschetschenien bzw. in XXXX über umfangreiche familiäre Beziehungen, zumal Ihr Vater, Ihre Halbschwester und Stiefmutter noch dort leben.

Es ist Ihnen daher zuzumuten in Ihrem Herkunftsstaat mit Hilfe der eigenen Arbeitsleistung und der Unterstützung Ihrer in der Russischen Föderation lebenden Angehörigen den Lebensunterhalt zu sichern, so dass auch der Schluss zulässig ist, dass es in Ihrem Falle bei einer Rückkehr in die Russische Föderation nicht zu einer Verletzung der Art. 2 bzw. 3 EMRK kommen wird.

Betreffend die Feststellungen zu Ihrem Privat- und Familienleben:

Die getroffenen Feststellungen zu Ihrem Privat- und Familienleben und, dass Sie über Sprachkenntnisse in Russisch und Deutsch verfügen, keiner Erwerbstätigkeit nachgehen und in keiner Weise integriert sind, beruhen auf Ihren diesbezüglichen glaubhaften Angaben bei den Befragungen, der gesamten Aktenlage mit den im Akt inkludierten Beweismitteln sowie aus dem persönlichen Eindruck des zur Entscheidung berufenen Sachwalters.

Sie haben in Österreich, außer Ihrer Frau (Februar 2016 Ehe beschlossen, obwohl Sie sich Ihrem unsicheren Aufenthalt in Österreich bewusst waren; kein Abhängigkeitsverhältnis), zwei Brüder und einer Schwester, keine Familienangehörige i.S.d. Art. 8 EMRK. Ihre Familie (Vater, Halbschwester, Stiefmutter) befindet sich nach wie vor in Tschetschenien. Im Weiteren sind Sie erst seit einem äußerst geringen Zeitraum (Oktober 2015) in Österreich aufhältig und haben den Großteil Ihres Lebens in Tschetschenien verbracht. (...)"

3. Mit am 25.10.2018 eingelangtem Schriftsatz wurde - unter gleichzeitiger Bekanntgabe des im Spruch bezeichneten Vollmachtsverhältnisses - fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und der Verletzung von Verfahrensvorschriften erhoben. Begründend wurde zusammenfassend ausgeführt, der Beschwerdeführer sei mit einer namentlich genannten Frau traditionell verheiratet, mit welcher er gemeinsam in Österreich lebe und ein 1,5 Monate altes Kind habe. Der Beschwerdeführer sei nach Österreich zurückgekehrt, da er neue Fluchtgründe habe und in der Russischen Föderation persönlich verfolgt werde. Der Beschwerdeführer habe begründete Angst, vom russischen Staat bzw. dem tschetschenischen Präsidenten Kadyrow zwangsrekrutiert und in den Syrienkrieg bzw. Ukrainekonflikt entsandt zu werden. Das von der Behörde durchgeführte Ermittlungsverfahren leide an ernstzunehmenden Fehlern. Die Einvernahme vor dem Bundesamt sei in Ordnung gewesen, der Beschwerdeführer habe lediglich leichte Probleme mit dem Dolmetscher gehabt, da dieser leicht aggressiv erschienen wäre. Der Beschwerdeführer habe seine Asylgründe jedenfalls vorbringen können und es sei somit möglich, dessen persönliche Furcht vor Verfolgung festzustellen. Die von der Behörde herangezogenen Länderberichte seien zu einer Untermauerung des Fluchtvorbringens geeignet. Der Beschwerdeführer habe die Wehrpflicht wohl aufgrund seines Hochschulstudiums aufschieben können und habe diese aus diesem Grund noch nicht abgeleistet. Dem Beschwerdeführer könnte wegen Wehrdienstverweigerung eine Haftstrafe von bis zu zwei Jahren drohen. Aus den Länderberichten ergibt sich weiters, dass viele Tschetschenen sich einer Einberufung widersetzen oder sich dem Widerstand anschließen würden, um nicht einberufen zu werden. Es sei nicht auszuschließen, dass viele Tschetschenen zur Ableistung des Wehrdienstes gezwungen würden. Für die Zwangsrekrutierung in diverse "Freiwilligenmilizen" wolle der Beschwerdeführer noch Beweismittel vorlegen. Demnach gebe es in der Ukraine und auch in Syrien russische Einheiten, welche ohne offizielle russische Abzeichen etc. in den Krieg ziehen würden. Für die Rekrutierung in eine solche Einheit würden auch nicht die allgemeinen gesetzlichen Voraussetzungen für den normalen Wehrdienst gelten. Zum Beleg werde auf den Link zu einem Youtube-Video verwiesen. Die Beweiswürdigung der belangten Behörde sei mangelhaft. Der Beschwerdeführer habe schon vielfach von derartigen Rekrutierungen gehört. Der Vater des Beschwerdeführers habe erzählt, dass Leute nachhause gekommen seien und den Inlandspass des Beschwerdeführers mitgenommen hätten. Der Vater sei daraufhin zum Chef der örtlichen Administration gegangen um den diesbezüglichen Grund herauszufinden. Dort sei erklärt worden, dass der Beschwerdeführer rekrutiert werden solle. Der Beschwerdeführer habe daraufhin Angst bekommen und sei illegal mit einem PKW aus dem Land geflüchtet. Die Männer, welche nach dem Beschwerdeführer gesucht hätten, seien auch nach seiner Flucht wiedergekommen, um nach ihm zu suchen. Es sei zu vermuten, dass der Beschwerdeführer aufgrund mangelnder militärischer Ausbildung erst eine Ausbildung durchlaufen müsste oder auch in einer Versorgungseinheit oder dergleichen eingesetzt werden könnte. Der Beschwerdeführer habe sich, nachdem er erfahren hätte, dass nach ihm gesucht werde, kaum zuhause aufgehalten. Der Beschwerdeführer solle zwangsrekrutiert und in einen bewaffneten Konflikt entsandt werden. Somit sei der Beschwerdeführer Angehöriger der jungen Männer im wehrdienstfähigen Alter und sei ihm der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen. Eine Zwangsrekrutierung würde aus unterschiedlichen Gründen jedenfalls eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen. Auch die unmenschlichen Bedingungen im russischen Militär und die besonders schlechte Behandlung von tschetschenischen Rekruten seien relevant. Aus diesen Gründen sollte dem Beschwerdeführer der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt werden. Der Beschwerdeführer bemühe sich um eine Integration und habe eine Familie in Österreich, weshalb nach § 55 AsylG ein Aufenthaltstitel zu erteilen sei.

4. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 30.10.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Auf Grundlage des Verwaltungsakts der belangten Behörde und der in diesem Verfahren herangezogenen Hintergrundberichte zur aktuellen relevanten Lage in der Russischen Föderation respektive Tschetschenien wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes Folgendes festgestellt:

1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, welcher der tschetschenischen Volksgruppe angehört und infolge illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 13.10.2015 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz eingebracht hat. Der Beschwerdeführer hatte bereits in den Jahren 2011 und 2013 (infolge einer Rücküberstellung aus Deutschland) um internationalen Schutz in Österreich angesucht, die diesbezüglichen Verfahren wurden jeweils mit rechtskräftig ab- bzw. wegen entschiedener Sache zurückweisenden Entscheidungen unter gleichzeitigem Ausspruch von Ausweisungen abgeschlossen. Im Jahr 2013 kehrte der Beschwerdeführer in seinen Herkunftsstaat zurück, wo er sich bis zu seiner neuerlichen Ausreise im Oktober 2015 in seinem Elternhaus in XXXX aufgehalten hat. Im Herkunftsstaat halten sich unverändert der Vater, die Stiefmutter und eine Halbschwester des Beschwerdeführers auf.

1.2. Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer in Tschetschenien respektive der Russischen Föderation aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten bedroht wäre. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr der Gefahr einer zwangsweisen Rekrutierung durch die tschetschenischen Behörden zwecks Entsendung zu einem Kampfeinsatz in Syrien oder die Ukraine unterliegen würde. Im Entscheidungszeitpunkt konnte keine aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers in der Russischen Föderation festgestellt werden.

Ebenfalls nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Tschetschenien respektive in die Russische Föderation in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre. Der Beschwerdeführer liefe dort nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der Beschwerdeführer ist gesund und bedarf keiner medikamentösen Behandlung.

Der unbescholtene Beschwerdeführer hat anlässlich seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 04.07.2018 vorgebracht, mit einer namentlich genannten Frau traditionell verheiratet zu sein, welche zu diesem Zeitpunkt im neunten Monat schwanger gewesen wäre. Feststellungen zum Aufenthaltsstatus seiner Lebensgefährtin sowie zu dem (zum Zeitpunkt der Abfertigung des Bescheides am 27.09.2018 bereits geborenen) Kind des Beschwerdeführers fehlen im angefochtenen Bescheid.

1.3. Insbesondere zur allgemeinen Situation und Sicherheitslage, zur allgemeinen Menschenrechtslage, zu Grundversorgung und Wirtschaft sowie zur Lage von Rückkehrern wird unter Heranziehung der erstinstanzlichen Länderfeststellungen Folgendes festgestellt:

Politische Lage

Die Russische Föderation hat knapp 143 Millionen Einwohner (CIA 15.6.2017, vgl. GIZ 7.2017c). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12. Juni 1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12. Dezember 1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte) (AA 3.2017a). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über sehr weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Amtsinhaber ist seit dem 7. Mai 2012 Wladimir Putin (AA 3.2017a, vgl. EASO 3.2017). Er wurde am 4. März 2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident. Dmitri Medwedjew, Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 8. Mai 2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten. Seit der Wiederwahl von Staatspräsident Putin im Mai 2012 wird eine Zunahme autoritärer Tendenzen beklagt. So wurden das Versammlungsrecht und die Gesetzgebung über Nichtregierungsorganisationen erheblich verschärft, ein föderales Gesetz gegen "Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen" erlassen, die Extremismus-Gesetzgebung verschärft sowie Hürden für die Wahlteilnahme von Parteien und Kandidaten beschlossen, welche die Wahlchancen oppositioneller Kräfte weitgehend zunichtemachen. Der Druck auf Regimekritiker und Teilnehmer von Protestaktionen wächst, oft mit strafrechtlichen Konsequenzen. Der Mord am Oppositionspolitiker Boris Nemzow hat das Misstrauen zwischen Staatsmacht und außerparlamentarischer Opposition weiter verschärft (AA 3.2017a). Mittlerweile wurden alle fünf Angeklagten im Mordfall Nemzow schuldig gesprochen. Alle fünf stammen aus Tschetschenien. Der Oppositionelle Ilja Jaschin hat das Urteil als "gerecht" bezeichnet, jedoch sei der Fall nicht aufgeklärt, solange Organisatoren und Auftraggeber frei sind. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hat verlautbart, dass die Suche nach den Auftraggebern weiter gehen wird. Allerdings sind sich Staatsanwaltschaft und Nebenklage, die die Interessen der Nemzow-Familie vertreten, nicht einig, wen sie als potenziellen Hintermann weiter verfolgen. Die staatlichen Anklagevertreter sehen als Lenker der Tat Ruslan Muchutdinow, einen Offizier des Bataillons "Nord", der sich in die Vereinigten Arabischen Emirate abgesetzt haben soll. Nemzows Angehörige hingegen vermuten, dass die Spuren bis "zu den höchsten Amtsträgern in Tschetschenien und Russland" führen. Sie fordern die Befragung des Vizebataillonskommandeurs Ruslan Geremejew, der ein entfernter Verwandter von Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow ist (Standard 29.6.2017). Ein Moskauer Gericht hat den Todesschützen von Nemzow zu 20 Jahren Straflager verurteilt. Vier Komplizen erhielten Haftstrafen zwischen 11 und 19 Jahren. Zudem belegte der Richter Juri Schitnikow die fünf Angeklagten aus dem russischen Nordkaukasus demnach mit Geldstrafen von jeweils 100.000 Rubel (knapp 1.500 Euro). Die Staatsanwaltschaft hatte für den Todesschützen lebenslange Haft beantragt, für die Mitangeklagten 17 bis 23 Jahre (Kurier 13.7.2017).

Russland ist formal eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum (AA 3.2017a).

Die siebte Parlamentswahl in Russland hat am 18. September 2016 stattgefunden. Gewählt wurden die 450 Abgeordneten der russischen Duma. Insgesamt waren 14 Parteien angetreten, unter ihnen die oppositionellen Parteien Jabloko und Partei der Volksfreiheit (PARNAS). Die Wahlbeteiligung lag bei 47,8%. Die meisten Stimmen bei der Wahl, die auch auf der Halbinsel Krim abgehalten wurde, erhielt die von Ministerpräsident Dmitri Medwedew geführte Regierungspartei "Einiges Russland" mit gut 54%. Nach Angaben der Wahlkommission landete die Kommunistische Partei mit 13,5% auf Platz zwei, gefolgt von der nationalkonservativen LDPR mit 13,2%. Die nationalistische Partei "Gerechtes Russland" erhielt 6%. Diese vier Parteien waren auch bislang schon in der Duma vertreten und stimmten in allen wesentlichen Fragen mit der Mehrheit. Den außerparlamentarischen Oppositionsparteien gelang es nicht die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. In der Duma verschiebt sich die Macht zugunsten der Regierungspartei "Einiges Russland". Die Partei erreicht im Parlament mit 343 Sitzen deutlich die Zweidrittelmehrheit, die ihr nun Verfassungsänderungen ermöglicht. Die russischen Wahlbeobachter von der NGO Golos berichteten auch in diesem Jahr über viele Verstöße gegen das Wahlrecht (GIZ 4.2017a, vgl. AA 3.2017a).

Das Verfahren am Wahltag selbst wurde offenbar korrekter durchgeführt als bei den Dumawahlen im Dezember 2011. Direkte Wahlfälschung wurde nur in Einzelfällen gemeldet, sieht man von Regionen wie Tatarstan oder Tschetschenien ab, in denen Wahlbetrug ohnehin erwartet wurde. Die Wahlbeteiligung von über 90% und die hohen Zustimmungsraten in diesen Regionen sind auch nicht geeignet, diesen Verdacht zu entkräften. Doch ist die korrekte Durchführung der Abstimmung nur ein Aspekt einer demokratischen Wahl. Ebenso relevant ist, dass alle Bewerber die gleichen Chancen bei der Zulassung zur Wahl und die gleichen Möglichkeiten haben, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Der Einsatz der Administrationen hatte aber bereits im Vorfeld der Wahlen - bei der Bestellung der Wahlkommissionen, bei der Aufstellung und Registrierung der Kandidaten sowie in der Wahlkampagne - sichergestellt, dass sich kein unerwünschter Kandidat und keine missliebige Oppositionspartei durchsetzen konnte. Durch restriktives Vorgehen bei der Registrierung und durch Behinderung bei der Agitation wurden der nichtsystemischen Opposition von vornherein alle Chancen genommen. Dieses Vorgehen ist nicht neu, man hat derlei in Russland vielfach erprobt und zuletzt bei den Regionalwahlen 2014 und 2015 erfolgreich eingesetzt. Das Ergebnis der Dumawahl 2016 demonstriert also, dass die Zentrale in der Lage ist, politische Ziele mit Hilfe der regionalen und kommunalen Verwaltungen landesweit durchzusetzen. Insofern bestätigt das Wahlergebnis die Stabilität und Funktionsfähigkeit des Apparats und die Wirksamkeit der politischen Kontrolle. Dies ist eine der Voraussetzungen für die Erhaltung der politischen Stabilität (RA 7.10.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (3.2017a): Russische Föderation - Innenpolitik,

http://www.auswaertiges-amt.de/sid_167537BE2E4C25B1A754139A317E2F27/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html, Zugriff 21.6.2017

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CIA - Central Intelligence Agency (15.6.2017): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 21.6.2017

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EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 21.6.2017

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GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (4.2017a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c24819, Zugriff 21.6.2017

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GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2017c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 11.7.2017

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Kurier.at (13.7.2017): Nemzow-Mord: 20 Jahre Straflager für Mörder,

https://kurier.at/politik/ausland/nemzow-mord-20-jahre-straflager-fuer-moerder/274.903.855, Zugriff 13.7.2017

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RA - Russland Analysen (7.10.2016): Nr. 322, Bewegung in der russischen Politik?,

http://www.laender-analysen.de/russland/pdf/RusslandAnalysen322.pdf, Zugriff 21.6.2017

-

Standard (29.7.2017): Alle Angeklagten im Mordfall Nemzow schuldiggesprochen,

http://derstandard.at/2000060550142/Alle-Angeklagten-im-Mordfall-Nemzow-schuldig-gesprochen, Zugriff 30.6.2017

1.1. Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 21 Republiken der Russischen Föderation. Betreffend Fläche und Einwohnerzahl - 15.647 km2 und fast 1,3 Millionen Einwohner/innen (2010) - ist Tschetschenien mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

Den Föderationssubjekten stehen Gouverneure vor. Gouverneur von Tschetschenien ist Ramsan Kadyrow. Er gilt als willkürlich herrschend. Russlands Präsident Putin lässt ihn aber walten, da er Tschetschenien "ruhig" hält. Tschetschenien wird überwiegend von Geldern der Zentralregierung finanziert. So erfolgte der Wiederaufbau von Tschetscheniens Hauptstadt Grosny vor allem mit Geldern aus Moskau (BAMF 10.2013, vgl. RFE/RL 19.1.2015).

In Tschetschenien gilt Ramsan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres System geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und größtenteils außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert. So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens zurücktreten, nachdem er von Kadyrow kritisiert worden war, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter in die föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen im September 2016, wenn auch das Republikoberhaupt gewählt wird, durchzuführen. Die Entscheidung erklärte man mit potentiellen Einsparungen durch das Zusammenlegen der beiden Wahlgänge, Experten gehen jedoch davon aus, dass Kadyrow einen Teil der Abgeordneten durch jüngere, aus seinem Umfeld stammende Politiker ersetzen möchte. Bei den Wahlen vom 18. September 2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Den offiziellen Angaben zufolge wurde Kadyrow mit über 97% der Stimmen im Amt des Oberhauptes der Republik bestätigt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld HRW über Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte (ÖB Moskau 12.2016). In Tschetschenien hat das Republikoberhaupt Ramsan Kadyrow ein auf seine Person zugeschnittenes repressives Regime etabliert. Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 24.1.2017).

Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird hart vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die darauf aus wären, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtlern, aber auch von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert. Im März ernannte Präsident Putin Kadyrow im Zusammenhang mit dessen im April auslaufender Amtszeit zum Interims-Oberhaupt der Republik und drückte seine Unterstützung für Kadyrows erneute Kandidatur aus. Bei den Wahlen im September 2016 wurde Kadyrow laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt, wohingegen unabhängige Medien von krassen Regelverstößen bei der Wahl berichteten (ÖB Moskau 12.2016). Im Vorfeld dieser Wahlen zielten lokale Behörden auf Kritiker und Personen, die als nicht loyal zu Kadyrow gelten ab, z.B. mittels Entführungen, Verschwindenlassen, Misshandlungen, Todesdrohungen und Androhung von Gewalt gegenüber Verwandten (HRW 12.1.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (24.1.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

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BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013):

Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg

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HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/334746/476500_de.html, Zugriff 28.6.2017)

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ÖB Moskau (12.2016): Asylländerbericht Russische Föderation

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RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (19.1.2015): The Unstoppable Rise Of Ramzan Kadyrov, http://www.rferl.org/content/profile-ramzan-kadyrov-chechnya-russia-putin/26802368.html, Zugriff 21.6.2017

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Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/, Zugriff 21.6.2017

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2. Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, jederzeit zu Attentaten kommen. Zuletzt kam es am 3.4.2017 in Sankt Petersburg zu einem Anschlag in der Metro, der Todesopfer und Verletzte forderte. Die russischen Behörden haben zuletzt ihre Warnung vor Attentaten bekräftigt und rufen zu besonderer Vorsicht auf (AA 21.7.2017b). Den Selbstmordanschlag in der St. Petersburger U-Bahn am 3.4.2017 hat nach Angaben von Experten eine Gruppe mit mutmaßlichen Verbindungen zum islamistischen Terrornetzwerk Al-Qaida für sich reklamiert. Das Imam-Schamil-Bataillon habe den Anschlag mit 15 Todesopfern nach eigenen Angaben auf Anweisung des Al-Qaida-Chefs Ayman al-Zawahiri verübt, teilte das auf die Überwachung islamistischer Internetseiten spezialisierte US-Unternehmen SITE am Dienstag mit (Standard 25.4.2017). Der Selbstmordattentäter Akbarschon Dschalilow stammte aus der kirgisischen Stadt Osch. Zehn Personen, die in den Anschlag verwickelt sein sollen, sitzen in Haft, sechs von ihnen wurden in St. Petersburg, vier in Moskau festgenommen. In russischen Medien wurde der Name eines weiteren Mannes aus der Gegend von Osch genannt, den die Ermittler für den Auftraggeber des Anschlags hielten: Siroschiddin Muchtarow, genannt Abu Salach al Usbeki. Der Angriff, sei eine Vergeltung für russische Gewalt gegen muslimische Länder wie Syrien und für das, was in der russischen Nordkaukasus-Teilrepublik Tschetschenien geschehe; die Operation sei erst der Anfang. Mit Terrorangriffen auf und in Russland hatte sich zuletzt nicht Al-Qaida, sondern der sogenannte Islamische Staat gebrüstet, so mit jüngsten Angriffen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien und der Stadt Astrachan. Laut offizieller Angaben sollen 4.000 Russen und 5.000 Zentralasiaten in Syrien und dem Irak für den IS oder andere Gruppen kämpfen. Verteidigungsminister Schoigu behauptete Mitte März 2016, es seien durch Russlands Luftschläge in Syrien "mehr als 2.000 Banditen" aus Russland, unter ihnen 17 Feldkommandeure getötet worden (FAZ 26.4.2017).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der IS Russland den Jihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Russland hat den sog. IS erst Ende Dezember 2014 auf seine Liste terroristischer Organisationen gesetzt und dabei andere islamistische Gruppierungen außer Acht gelassen, in denen seine Staatsbürger, insbesondere Tschetschenen und Dagestaner, in Syrien und im Irak ebenfalls aktiv sind - wie die Jaish al-Muhajireen-wal-Ansar, die überwiegend von Kämpfern aus dem Nordkaukasus gegründet wurde. Ausländische und russische Beobachter, darunter die kremlkritische Novaja Gazeta im Juni 2015, erhoben gegenüber den Sicherheitsbehörden Russlands den Vorwurf, der Abwanderung von Jihadisten aus dem Nordkaukasus und anderen Regionen nach Syrien tatenlos, wenn nicht gar wohlwollend zuzusehen, da sie eine Entlastung für den Anti-Terror-Einsatz im eigenen Land mit sich bringe. Tatsächlich nahmen die Terroraktivitäten in Russland selber ab (SWP 10.2015). In der zweiten Hälfte des Jahres 2014 kehrte sich diese Herangehensweise um, und Personen, die z.B. Richtung Türkei ausreisen wollten, wurden an der Ausreise gehindert. Nichtsdestotrotz geht der Abgang von gewaltbereiten Dschihadisten weiter und Experten sagen, dass die stärksten Anführer der Aufständischen, die dem IS die Treue geschworen haben, noch am Leben sind. Am 1.8.2015 wurde eine Hotline eingerichtet, mit dem Ziel, Personen zu unterstützen, deren Angehörige in Syrien sind bzw. planen, nach Syrien zu gehen. Auch Rekrutierer und Personen, die finanzielle Unterstützung für den Dschihad sammeln, werden von den Sicherheitsbehörden ins Visier genommen. Einige Experten sind der Meinung, dass das IS Rekrutierungsnetzwerk eine stabile Struktur in Russland hat und Zellen im Nordkaukasus, in der Wolga Region, Sibirien und im russischen Osten hat (ICG 14.3.2016).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Dem russischen Islamexperten Aleksej Malaschenko zufolge reisten gar Offizielle aus der Teilrepublik Dagestan nach Syrien, um IS-Kämpfer aus dem Kaukasus darin zu bestärken, ihren Jihad im Mittleren Osten und nicht in ihrer Heimat auszutragen. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Jihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren. Seitdem mehren sich am Südrand der Russischen Föderation die Warnungen vor einer Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat. Kurz zuvor hatten die föderalen und lokalen Sicherheitsorgane noch den Rückgang terroristischer Aktivitäten dort für sich reklamiert. Als lautester Mahner tut sich wieder einmal der tschetschenische Republikführer Ramzan Kadyrow hervor. Er rief alle muslimischen Länder dazu auf, sich im Kampf gegen den IS, den er mit Iblis-Staat - also Teufelsstaat - übersetzt, zusammenzuschließen. Für Kadyrow ist der IS ein Produkt anti-islamischer westlicher Politik, womit er sich im Einklang mit der offiziellen Sichtweise des Kremls befindet, der dem Westen regelmäßig fatale Eingriffe im Mittleren Osten vorwirft. Terroristische Aktivitäten im Nordkaukasus, die eindeutig den Überläufern zum IS zuzuschreiben sind, haben sich aber bislang nicht verstärkt. Bis September 2015 wurden nur zwei Anschläge in Dagestan der IS-Gefolgschaft zugeschrieben: die Ermordung des Imam einer Dorfmoschee und ein bewaffneter Angriff auf die Familie eines Wahrsagers. Auch im Südkaukasus mehren sich die Stimmen, die vor dem IS warnen (SWP 10.2015).

Bis ins Jahr 2015 hinein hat Russland die vom sogenannten Islamischen Staat ausgehende Gefahr eher relativiert und die Terrormiliz als einen von vielen islamistischen Akteuren abgetan, die das mit Moskau verbündete Assad-Regime, die ‚legitime Regierung Syriens', bekämpfen. In seiner jährlichen Tele-Konferenz mit der Bevölkerung am 18. April 2015 hatte Präsident Putin noch geäußert, der IS stelle keine Gefahr für Russland dar, obwohl die Sicherheitsbehörden schon zu diesem Zeitpunkt eine zunehmende Abwanderung junger Menschen nach Syrien und Irak registriert und vor den Gefahren gewarnt hatten, die von Rückkehrern aus den dortigen Kampfgebieten ausgehen könnten. Wenige Tage später bezeichnete Außenminister Lawrow den IS in einem Interview erstmals als Hauptfeind Russlands (SWP 10.2015).

Innerhalb der extremistischen Gruppierungen ist ein Ansteigen der Sympathien für den IS - v.a. auch auf Kosten des sog. Kaukasus-Emirats - festzustellen. Nicht nur die bislang auf Propaganda und Rekrutierung fokussierte Aktivität des IS im Nordkaukasus erregt die Besorgnis der russischen Sicherheitskräfte. Ein Sicherheitsrisiko stellt auch die mögliche Rückkehr von nach Syrien oder in den Irak abwandernden russischen Kämpfern dar. Laut diversen staatlichen und nichtstaatlichen Quellen kann man davon ausgehen, dass die Präsenz russischer Kämpfer in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere tausend Personen umfasst. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten Syrien und Irak zurückkehren, wird v.a. gerichtlich vorgegangen. Zu Jahresende 2015 liefen laut Angaben des russischen Innenministeriums rund 880 Strafprozesse, die meisten davon basierend auf den relevanten Bestimmungen des russischen StGB zur Teilnahme an einer terroristischen Handlung, der Absolvierung einer Terror-Ausbildung sowie zur Organisation einer illegalen bewaffneten Gruppierung oder Teilnahme daran. Laut einer INTERFAX-Meldung vom 2.12.2015 seien in Russland bereits über 150 aus Syrien zurückgekehrte Kämpfer verurteilt worden. Laut einer APA-Meldung vom 27.7.2016 hat der Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB erläutert, das im Vorjahr geschätzte 3.000 Kämpfer nach Russland aus den Kriegsgebieten in Syrien, Irak oder Afghanistan zurückkehrt seien, wobei 220 dieser Kämpfer im besonderen Fokus der Sicherheitskräfte zur Vorbeugung von Anschlägen ständen. In einem medial verfolgten Fall griffen russische Sicherheitskräfte im August 2016 in St. Petersburg auf mutmaßlich islamistische Terroristen mit Querverbindungen zum Nordkaukasus zu. Medienberichten zufolge wurden im Verlauf des Jahres 2016 über 100 militante Kämpfer in Russland getötet, in Syrien sollen über 2.000 militante Kämpfer aus Russland bzw. dem GUS-Raum getötet worden sein (ÖB Moskau 12.2016).

Der russische Präsident Wladimir Putin setzt tschetschenische und inguschetische Kommandotruppen in Syrien ein. Bis vor kurzem wurden reguläre russische Truppen in Syrien überwiegend als Begleitcrew für die Flugzeuge eingesetzt, die im Land Luftangriffe fliegen. Von wenigen bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen - der Einsatz von Artillerie und Spezialtruppen in der Provinz Hama sowie von Militärberatern bei den syrischen Streitkräften in Latakia - hat Moskau seine Bodeneinsätze bislang auf ein Minimum beschränkt. Somit repräsentiert der anhaltende Einsatz von tschetschenischen und inguschetischen Brigaden einen strategischen Umschwung seitens des Kremls. Russland hat nun in ganz Syrien seine eigenen, der sunnitischen Bevölkerung entstammenden Elitetruppen auf dem Boden. Diese verstärkte Präsenz erlaubt es dem sich dort langfristig eingrabenden Kreml, einen stärkeren Einfluss auf die Ereignisse im Land auszuüben. Diese Streitkräfte könnten eine entscheidende Rolle spielen, sollte es notwendig werden, gegen Handlungen des Assad-Regimes vorzugehen, die die weitergehenden Interessen Moskaus im Nahen Osten unterlaufen würden. Zugleich erlauben sie es dem Kreml, zu einem reduzierten politischen Preis seine Macht in der Region zu auszubauen (Mena Watch 10.5.2017). Welche Rolle diese Brigaden spielen sollen, und ihre Anzahl sind noch nicht sicher. Es wird geschätzt, dass zwischen 300 und 500 Tschetschenen und um die 300 Inguscheten in Syrien stationiert sind. Obwohl sie offiziell als "Militärpolizei" bezeichnet werden, dürften sie von der Eliteeinheit Speznas innerhalb der tschetschenischen Streitkräfte rekrutiert worden sein (FP 4.5.2017).

Für den Kreml hat der Einsatz der nordkaukasischen Brigaden mehrere Vorteile. Zum einen reagiert die russische Bevölkerung sehr sensibel auf Verluste der russischen Armee in Syrien. Verluste von Personen aus dem Nordkaukasus würden wohl weniger Kritik hervorrufen. Zum anderen ist der wohl noch größere Vorteil jener, dass sowohl Tschetschenen, als auch Inguscheten fast alle sunnitische Muslime sind und somit derselben islamischen Richtung angehören, wie ein Großteil der syrischen Bevölkerung. Die mehrheitlich sunnitischen Brigaden könnten bei der Bevölkerung besser ankommen, als ethnisch russische Soldaten. Außerdem ist nicht zu vernachlässigen, dass diese Einsatzkräfte schon über Erfahrung am Schlachtfeld verfügen, beispielsweise vom Kampf in der Ukraine (FP 4.5.2017).

Bis jetzt war der Einsatz der tschetschenischen und inguschetischen Bodentruppen auf Gebiete beschränkt, die für den Kreml von entscheidender Bedeutung waren. Obwohl es momentan eher unwahrscheinlich scheint, dass die Rolle der nordkaukasischen Einsatzkräfte bald ausgeweitet wird, agieren diese wohl weiterhin als die Speerspitze in Moskaus Strategie, seinen Einfluss in Syrien zu vergrößern (FP 4.5.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.7.2017b): Reise- und Sicherheitshinweise, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_93DF338D07240C852A755BB27CDFE343/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/RussischeFoederationSicherheit_node.html, Zugriff 21.7.2017

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Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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