Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AufG 1992 §5 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde des 1965 geborenen AB in M, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in Linz, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 17. September 1998, Zl. 103.239/5-III/11/98, betreffend Wiederaufnahme eines Verfahrens i.A. einer Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer stellte am 5. Dezember 1996 einen Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung.
Mit einem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 7. April 1997 wurde dieser Antrag vom Bundesminister für Inneres gemäß § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes 1992 (FrG) abgewiesen. Begründend führte der Bundesminister für Inneres aus, daß gemäß § 5 Abs. 1 AufG einem Fremden, bei dem ein Grund für die Versagung eines Sichtvermerkes gemäß § 10 Abs. 1 FrG vorliege, eine Bewilligung nicht erteilt werden dürfe. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG sei die Erteilung eines Sichtvermerkes zu versagen, wenn der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährde.
Mit Urteil des Bezirksgerichtes L vom 30. August 1996 sei die Ehe des Antragstellers für nichtig erklärt worden, weil sie ausschließlich zu dem Zweck eingegangen worden sei, dem Beschwerdeführer die Erlangung einer Aufenthaltsbewilligung zu erleichtern.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stelle die rechtsmißbräuchliche Eingehung einer Ehe mit einem Fremden zwecks Beschaffung fremdenrechtlich bedeutsamer Berechtigungen ein Verhalten dar, welches dazu führe, daß die öffentliche Ordnung durch den weiteren Aufenthalt des Fremden in Österreich gefährdet wäre.
Die Zustellung dieses Bescheides an den Beschwerdeführer erfolgte am 15. April 1997.
Mit einem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 23. April 1997 erließ die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich gemäß § 18 Abs. 1 FrG in Verbindung mit den §§ 19 bis 21 FrG ein mit fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot gegen den Beschwerdeführer mit der Begründung, daß die vom Beschwerdeführer eingegangene Scheinehe die in der erstgenannten Bestimmung umschriebene Annahme rechtfertige, sein Aufenthalt würde die öffentliche Ordnung gefährden.
Mit Erkenntnis vom 4. Dezember 1997, Zl. 97/18/0290, hob der Verwaltungsgerichtshof diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes auf, worauf die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich mit Bescheid vom 4. März 1998 der Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 36 Abs. 1 sowie den §§ 37 und 39 des Fremdengesetzes 1997 Folge gab und das von der erstinstanzlichen Fremdenpolizeibehörde verhängte Aufenthaltsverbot aufhob.
Begründend führte sie aus, daß die gegenständliche Scheinehe bereits im Jahre 1991 geschlossen worden sei. Entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes komme dem Wohlverhalten eines Fremden seit Begehung einer strafbaren Handlung umso größeres Gewicht zu, je länger dieses Wohlverhalten andauere. In seinem Erkenntnis habe der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, daß "angesichts dieses langen Zeitraumes (siebeneinhalb Jahre) des Wohlverhaltens des Beschwerdeführers die belangte Behörde nicht (mehr) zu dem Ergebnis gelangen durfte, der besagte Rechtsmißbrauch rechtfertige die Annahme, daß der Aufenthalt des Beschwerdeführers die öffentliche Ordnung gefährde." Da sich der Beschwerdeführer seit Eingehung der Scheinehe keine weiteren (gravierenden) Übertretungen zuschulden kommen habe lassen, sei der Bescheid der Erstbehörde aufzuheben gewesen.
Am 24. März 1998 beantragte der Beschwerdeführer die Wiederaufnahme des mit Bescheid vom 7. April 1997 abgeschlossenen Verfahrens zur Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Diesen Antrag begründete der Beschwerdeführer im wesentlichen damit, daß nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes, angesichts seines langjährigen Wohlverhaltens in Österreich, die Annahme nicht gerechtfertigt sei, sein Aufenthalt in Österreich gefährde die öffentliche Ordnung. Es sei sohin von der zuständigen Behörde eine Vorfrage anders entschieden worden, als sie von der Aufenthaltsbehörde im gegenständlichen Verfahren entschieden worden sei. Es liege damit der Wiederaufnahmegrund des § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG vor. Aufgrund der Entscheidung der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 4. März 1998 sei davon auszugehen, daß kein Sichtvermerksversagungsgrund vorliege, und dem Beschwerdeführer daher die Aufenthaltsbewilligung zu erteilen sei.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend den Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung vom 5. Dezember 1996 gemäß § 69 Abs. 1 AVG wegen Nichtvorliegens eines Wiederaufnahmegrundes ab.
Das Verfahren bezüglich der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung stelle ein eigenes Verfahren dar, das mit dem Aufenthaltsverbotsverfahren in keinerlei Zusammenhang stehe. Die Entscheidung im Aufenthaltsverbotsverfahren sei somit keine Vorfrage im Aufenthaltsbewilligungsverfahren. Diese Beurteilung werde auch dadurch erhärtet, daß der Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich nach dem 4. März 1998, also erst nach Erlassung des das aufenthaltsrechtliche Verfahren beendigenden Bescheides, ergangen sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 69 Abs. 1 Z. 3 AVG lautet:
"§ 69.(1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:
...
3. der Bescheid gemäß § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde."
§ 38 AVG lautet auszugsweise:
"§ 38. (1) Sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, ist die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen."
In seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof bringt der Beschwerdeführer zunächst folgendes vor:
Nach der Bestimmung des § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG sei die Wiederaufnahme zu bewilligen, wenn der Bescheid gemäß § 38 AVG von Vorfragen abhängig sei und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde in wesentlichen Punkten anders entschieden worden sei. Die zu entscheidende Vorfrage im gegenständlichen Aufenthaltsbewilligungsverfahren sei gewesen, ob ein Sichtvermerksversagungsgrund vorliege. Die Aufenthaltsbehörden hätten den Sichtvermerksversagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG (Verstoß gegen die öffentliche Ordnung) herangezogen und diese Vorfrage dahingehend beurteilt, daß infolge des Vorliegens einer "Scheinehe" der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich gegen die öffentliche Ordnung verstoße.
Diese Vorfrage sei von der für das Aufenthaltsverbotsverfahren zuständigen Fremdenpolizeibehörde als Hauptfrage bei der Beurteilung der Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zu entscheiden gewesen. Auch die zuständige Fremdenpolizeibehörde sei im ersten Rechtsgang zum Ergebnis gelangt, daß durch die Scheinehe der Aufenthalt des Beschwerdeführers gegen die öffentliche Ordnung verstoße und daher ein Aufenthaltsverbot zu erlassen sei. In dem unter Bindung an die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes erlassenen Ersatzbescheid sei die Frage, ob der Aufenthalt des Beschwerdeführers gegen die öffentliche Ordnung verstoße, jedoch nunmehr dahingehend entschieden worden, daß aufgrund seines Wohlverhaltens durch einen Zeitraum von mehr als sieben Jahren von einem solchen Verstoß oder einer Gefahr für die öffentliche Ordnung nicht ausgegangen werden könne. Es liege daher entgegen der Rechtsansicht der belangten Behörde eine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG vor, die im Aufenthaltsverbotsverfahren als Hauptfrage von der zuständigen Behörde letztlich anders entschieden worden sei, als von der Aufenthaltsbehörde.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist unter einer Vorfrage im Sinne der §§ 38 und 69 Abs. 1 Z. 3 AVG eine für die Entscheidung der Verwaltungsbehörde präjudizielle Rechtsfrage zu verstehen, über die als Hauptfrage von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten oder auch von derselben Behörde, jedoch in einem anderen Verfahren zu entscheiden ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Oktober 1995, Zl. 94/07/0183).
Hauptfrage im Aufenthaltsbewilligungsverfahren ist, ob dem Fremden eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen ist oder nicht. Eine der in diesem Verfahren zu erörternden Fragen ist, ob im Falle des Antragstellers ein Sichtvermerksversagungsgrund (§ 10 Abs. 1 FrG) vorliegt. Dies ist gemäß § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG unter anderem dann der Fall, wenn der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.
Hauptfrage im Aufenthaltsverbotsverfahren ist, ob und für welchen Zeitraum über einen Fremden ein Aufenthaltsverbot zu verhängen ist. Eine der dabei zunächst zu prüfenden Fragen (und nicht, wie der Beschwerdeführer vermeint, die Hauptfrage) im Aufenthaltsverbotsverfahren ist gemäß § 18 Abs. 1 Z. 1 FrG, ebenso wie gemäß dem von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich im Ersatzbescheid angewendeten § 36 Abs. 1 Z. 1 FrG 1997, ob bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet.
Von einer einen Wiederaufnahmegrund bildenden Entscheidung über eine Vorfrage kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes immer nur dann die Rede sein, wenn eine Bindung der Behörde des einen Verfahrens an eine in einem anderen Verfahren zu lösende Hauptfrage zu bejahen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. März 1971, 1607/70).
Diese Voraussetzung ist hier schon deshalb nicht gegeben, weil die Fremdenpolizeibehörde die Frage der Gefährdung nicht als Hauptfrage zu beurteilen hatte. Aus diesem Grunde lag auch der Wiederaufnahmegrund des § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG nicht vor. In diesem Zusammenhang kann die Richtigkeit der vom Beschwerdeführer ebenfalls kritisierten Hilfsbegründung des angefochtenen Bescheides, eine Vorfrage liege auch im Hinblick die unterschiedlichen Beurteilungszeitpunkte durch die Aufenthalts-, bzw. Fremdenpolizeibehörde nicht vor, ebenso dahinstehen, wie die Frage, ob zur Beurteilung der Gefährdungsprognose allein als Hauptfrage überhaupt eine Zuständigkeit einer Behörde bestünde.
Wenn der Beschwerdeführer schließlich die Auffassung vertritt, es "könne nicht rechtens sein", daß er nach Aufhebung des über ihn verhängten Aufenthaltsverbotes nur unter erschwerten Bedingungen (Antragstellung vom Ausland aus, Quotenpflicht) einen Aufenthaltstitel erlangen könnte, ist ihm zu entgegnen, daß es ihm freigestanden wäre, zur Vermeidung dieser behaupteten Konsequenz den seines Erachtens rechtswidrigen Bescheid vom 7. April 1997 vor dem Verwaltungsgerichtshof zu bekämpfen. Im übrigen ist jedoch darauf zu verweisen, daß aus dem Umstand der Unzulässigkeit der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes nach dem FrG 1992 nicht ohne weiters abzuleiten war, daß § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nicht entgegenstehen könnte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 1998, Zl. 97/19/1565).
Aus diesen Erwägungen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 9. April 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1998190272.X00Im RIS seit
02.05.2001