TE Bvwg Erkenntnis 2019/3/18 W256 2146838-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.03.2019
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Entscheidungsdatum

18.03.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W256 2146838-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Caroline KIMM als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwalt XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10. Jänner 2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 29. Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

Am 1. November 2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Erstbefragung statt. Dabei gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt (wortwörtlich wiedergegeben) folgendes an: "Ich arbeitete in Kabul als Polizeibeamter. Meine Aufgabe war es die Daten und Fotos der Festgenommenen in den Computer einzuspielen. Eine Mafiabande (Name der Bande unbekannt) verlangte von mir, dass ich einige Häftlinge an sie übergebe. Sie haben mir einen hohen Geldbetrag dafür angeboten. Ich lehnte dieses Angebot ab. Deshalb wurde ich von der Mafia bedroht. Als ich eines Tages nach Hause kam, erzählte mir ein Nachbar, dass bewaffnete Männer nach mir suchten. Aus diesem Grund flüchtete ich aus Afghanistan."

Der Beschwerdeführer wurde am 11. Oktober 2016 durch ein Organ der belangten Behörde einvernommen. Dabei wiederholte er im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen und brachte er u.a. ergänzend vor, dass er von der inhaftierten Mafiabande aufgefordert worden sei, im Zuge deren Überstellung in ein anderes Gefängnis Utensilien an diese weiterzuleiten. Als er abgelehnt habe, seien er und auch seine Familie bedroht worden. Unter einem legte der Beschwerdeführer u.a. ein Diplomzeugnis des Bildungsministeriums Afghanistan, XXXX über einen Abschluss in XXXX , seine Tazkira sowie diverse Integrationsunterlagen vor.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig sei. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft habe machen können. Auch aus der allgemeinen Lage in Afghanistan lasse sich eine Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten nicht herleiten. Weiters seien keine Anhaltspunkte zu Tage getreten, wonach der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in eine ausweglose und die Existenz bedrohende Lage geraten würde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Darin führt der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, dass die belangte Behörde es insgesamt verabsäumt habe, auf das individuelle Vorbringen des Beschwerdeführers anhand der verfügbaren Länderinformationen einzugehen. Eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative stehe dem Beschwerdeführer mangels eines sozialen oder familiären Netzes nicht zur Verfügung. Zudem sei der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan einer asylrelevanten Verfolgung durch eine Mafiabande ausgesetzt, die ihn und seine Familie im Zuge seiner Tätigkeit als Polizeibeamter bedroht habe. Eine Rückkehr nach Afghanistan führe somit zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK.

Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurden den Parteien diverse Länderberichte durch das Bundesverwaltungsgericht zum Parteiengehör übermittelt.

Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde durch die erkennende Richterin in der gegenständlichen Rechtssache am 26. Juli 2018 eine öffentlich mündliche Verhandlung durchgeführt. Darin führte der Beschwerdeführer u.a. aus, er werde in Afghanistan auf mehrfache Weise verfolgt und zwar drohe ihm Verfolgung 1) durch den Staat, weil er als Polizist ohne Mitteilung geflohen sei 2) durch eine Mafiabande, weil deren Führungsperson, namens XXXX 2014 im Gefängnis des Beschwerdeführers inhaftiert und auch zu Tode gekommen sei, 3) durch die Bande des Jihadistenführers XXXX , weil er sich geweigert habe, dem im Gefängnis des Beschwerdeführers inhaftierten Bodyguard des XXXX mittels Überbringung von diversen Utensilien zur Flucht zu verhelfen und 4) durch seinen Chef, weil er wisse, dass dieser 2014 zu Unrecht einen Gefangenen freigelassen habe. In Bezug auf seinen Gesundheitszustand legte der Beschwerdeführer einen Ausdruck der von ihm eingenommenen Medikamente (Beilage ./A), eine Bestätigung einer Physiotherapie vom 4. Juli 2018 (Beilage ./B), einen orthopädischen Ambulanzbericht vom 23. März 2017 (Beilage ./C) sowie auch diverse Integrationsunterlagen vor.

In der in der mündlichen Verhandlung übergebenen Stellungnahme führte der Beschwerdeführer zusammenfassend aus, dass aus dem Länderinformationsblatt eine höchst volatile und instabile Sicherheitslage in ganz Afghanistan hervorgehe. Weiters wurde auf die allgemein schwierige Rückkehrsituation und den Umstand hingewiesen, dass der Beschwerdeführer mangels familiärer Anknüpfungspunkte in Afghanistan bei einer etwaigen Rückkehr auf sich alleine gestellt sei. Aufgrund seiner Tätigkeit für die Polizei sei er als ehemaliger Regierungsmitarbeiter weiterhin in Gefahr.

Mit Schreiben vom 21. August 2018 und vom 25. Oktober 2018 wurden dem Bundesverwaltungsgericht ärztliche Unterlagen sowie Fotokopien seiner ihm derzeit verschriebenen Medikamente durch den Beschwerdeführer vorgelegt.

Mit Schreiben vom 8. Jänner 2019 wurde den Parteien das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 29. Juni 2018, zuletzt aktualisiert am 23. November 2018 (im Folgenden: LIB) zum Parteiengehör übermittelt.

Dazu führte der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom 17. Jänner 2019 aus, dass in Afghanistan landesweit von einem Bürgerkrieg auszugehen sei. Die Sicherheitslage in ganz Afghanistan sei höchst volatil und instabil, insbesondere auch in größeren Städten wie Kabul, Herat und Mazar-e Sharif. Auch den aktuellen UNHCR-Richtlinien vom 20. August 2018 sei zu entnehmen, dass die Taliban immer öfter ihre Anschläge bewusst gegen Zivilist/innen richten. Der Beschwerdeführer sei - wie aus den UNHCR Richtlinien und auch dem aktuellen Länderinformationsblatt hervorgehe - aufgrund seiner Tätigkeit als Polizist einer erhöhten Gefährdung durch die Taliban und andere Aufständische ausgesetzt. Schutz durch den afghanischen Staat könne er nicht erwarten.

Unter Bezugnahme auf die UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 wurde ausgeführt, dass eine interne Fluchtalternative nur dann zumutbar sei, wenn die Person Zugang zu einer Unterkunft, über eine grundlegende Versorgung verfüge und Lebensgrundlagen habe oder über erwiesene und nachhaltige Unterstützung verfüge. Auch gehe UNHCR nur dann von einer zumutbaren internen Schutzalternative aus, wenn die Rückkehr/innen im Gebiet der Neuansiedlung Zugang zu einem Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gemeinschaft hätten. Als einzige Ausnahmen würden alleinstehende und leistungsfähige Männer sowie verheiratete Paare im erwerbsfähigen Alter angeführt, sofern diese in (sicheren) halbstädtischen Gebieten mit der erforderlichen Infrastruktur und Lebensgrundlagen leben würden. Alleinstehende Personen ohne sozialen oder familiären Anknüpfungspunkte seien jedoch nur unzureichend mit Nahrungsmittel, medizinischen Gütern und Wohnraum versorgt. Der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Versorgungslage in Mazar-e Sharif vom 19. November 2018 sei zu entnehmen, dass der Zugang zum Arbeitsmarkt für Personen ohne persönliche Netzwerke erschwert sei. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln sei in den Städten Mazar-e Sharif und Herat schlechter als in Kabul oder Jalalabad. Auch sei die Gesundheitsversorgung in Mazar-e Sharif nur unzureichend. Zudem bestehe in Mazar-e Sharif eine äußerst prekäre Wohnsituation. Der Beschwerdeführer sei psychisch krank und könne sich seine Medikamente in Afghanistan nicht finanzieren. Wie den Länderberichten zu entnehmen sei, benötige man für medizinische Versorgung ausreichende finanzielle Mittel und eine Tazkira. Der Beschwerdeführer könne insofern nicht auf eine interne Fluchtalternativ in Kabul, Herat oder Mazar-e verwiesen werden, da er in Afghanistan über keine familiären und sozialen Anknüpfungspunkte verfüge und er aufgrund seines Berufes als Polizist in das Visier der Taliban geraten sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person

Der - im Spruch genannte - Beschwerdeführer besitzt die afghanische Staatsangehörigkeit, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an, ist sunnitischer Moslem und besitzt eine Tazkira (OZ 1 AS 3, AS 53, Verhandlungsschrift Seite 8 sowie im Verfahren vorgelegte Tazkira).

Er wurde in Afghanistan, in der Provinz Parwan geboren und ist er dort auch aufgewachsen. Ab der zehnten Schulstufe ist er gemeinsam mit seiner Mutter und seinen Geschwistern nach Kabul gezogen. Der Beschwerdeführer hat in Kabul die Schule bis zur zwölften Schulklasse besucht. Er verfügt weiters über einen Abschluss in XXXX . Anschließend hat er ab 2012 bei der Polizei in Kabul und zwar bis zu seiner Ausreise gearbeitet. Seine Arbeitstätigkeit belief sich hauptsächlich auf die Datenaufnahme und Registrierung der Gefangenen bzw. die administrative Behandlung der Verlegung der Gefangenen. Der Beschwerdeführer hat Afghanistan Ende September 2015 alleine verlassen und ist er anschließend nach Europa ausgereist (OZ 1 AS 43 f, AS 49, AS 52 f, Verhandlungsschrift Seite 6 ff und Seite 19).

Seine Kernfamilie besteht aus seiner Mutter, seinen zwei Brüdern und seiner Schwester, welche Afghanistan ungefähr einen Monat nach der Ausreise des Beschwerdeführers in Richtung Iran verlassen haben. Einer seiner beiden Brüder ist mittlerweile in Frankreich aufhältig (OZ 1 AS 7, Verhandlungsschrift Seite 8 f). Die Familie des Beschwerdeführers verfügt im Geburtsort des Beschwerdeführers über Grundstücke. Darüber hinaus verfügt die Familie auch über ein Grundstück in Kabul (Verhandlungsschrift Seite 12).

Der Onkel mütterlicherseits des Beschwerdeführers lebt nach wie vor in Kabul (Verhandlungsschrift Seite 14).

Der Beschwerdeführer steht in Kontakt mit seinem in Frankreich lebenden Bruder und ist es ihm auch möglich, den Kontakt mit seiner restlichen Familie aufzunehmen. Im Falle einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan wäre seine Familie in der Lage, diesen (auch finanziell) zu unterstützen (siehe dazu die Beweiswürdigung). Der Beschwerdeführer verfügt zudem über ein Bankguthaben in Kabul (Verhandlungsschrift Seite 16).

Der Beschwerdeführer spricht Dari, ein wenig Paschtu und Deutsch (OZ 1 AS 3, Verhandlungsschrift Seite 8, 17 f). Er hat in Österreich bereits Deutschkurse besucht (Beilage ./L).

Der Beschwerdeführer ist volljährig, ledig (Verhandlungsschrift Seite 8 f) und arbeitsfähig.

Er ist seit seiner Antragsstellung am 29. Oktober 2015 im Bundesgebiet aufhältig (OZ 1 AS 5). Zudem ist er strafgerichtlich unbescholten (Strafregisterauszug vom 15. März 2019).

Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über eine Cousine, wobei mit dieser keine aufrechte Wohngemeinschaft und keine - über einen allgemeinen Kontakt hinausgehende - Bindung besteht (Verhandlungsschrift Seite 16 und siehe dazu die Beweiswürdigung).

Der Beschwerdeführer geht in Österreich diversen ehrenamtlichen Tätigkeiten nach, so hat er u.a. die Gemeinde XXXX bei diversen Festen, Freizeit- und Gemeinnützigkeitsaktivitäten unterstützt (Beilage ./D). Seit 2017 kommt der Beschwerdeführer regelmäßig zur XXXX und leistet er in diesem Zusammenhang freiwillige Arbeit (Beilage ./G). Auch unterstützt er die XXXX bei der Essensausgabe (Beilage ./H). Vom 22. September bis 13. Oktober 2017 hat er als Erntehelfer gearbeitet (Beilage ./F).

Der Beschwerdeführer leidet an Fuß- und Kniegelenksschmerzen, weshalb er Schmerzmittel einnimmt und bei Bedarf in ärztlicher Behandlung steht. Zudem hat der Beschwerdeführer psychische Probleme, welche derzeit allein medikamentös behandelt werden (Beilagen ./A bis ./C, Urkundenvorlage vom 21. August 2018, Verhandlungsschrift Seite 4 f, Seite 13; Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 17. Jänner 2019 sowie mittels E-Mail vom 21. August 2018 vorgelegter Ambulanzbericht vom 7. August 2018).

Der Beschwerdeführer wird im Rahmen der Grundversorgung versorgt (Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem vom 15. März 2019).

zur Lage in Afghanistan

zur Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (LIB, Seite 42).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (LIB, Seite 42).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen. Dies ist den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zuzuschreiben (LIB, Seite 45).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (LIB, Seite 53).

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB, Seite 46).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheits-operationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (LIB, Seite 45).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert; auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen. Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (LIB, Seite 46).

Zu Parwan

Die strategisch bedeutsame Provinz Parwan liegt 64 km nördlich von Kabul. Die Provinz besteht aus folgenden Distrikten: Bagram, Jabal Saraj/Jabalussaraj, Salang, Sayed Khel/Saydkhel, Shinwar/Shinwari, Shikh Ali/Shekhali, Shurk Parsha/Surkh-e-Parsa, Charikar, Koh-e-Safi und Syiah Gird/Seyagerd/Ghorband (LIB, Seite 190).

Parwan gehört zu den volatilen Provinzen Afghanistans, in der Talibanaufständische in einigen abgelegenen Distrikten aktiv sind. Aus unruhigen Distrikten in der Provinz Parwan wird von Straßenbomben, Selbstmordangriffen, gezielten Tötungen und anderen terroristischen Angriffen berichtet. Deshalb werden Anti-Terrorismus Operationen durchgeführt, um die Aufständischen zu verdrängen. Talibanaufständische führen in einigen Teilen der Provinz Angriffe auf die Sicherheitskräfte aus (LIB, Seite 191).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 63 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (LIB, Seite 191).

Im gesamten Jahr 2017 wurden 77 zivile Opfer (20 getötete Zivilisten und 57 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Blindgänger/Landminen, gefolgt von gezielten Tötungen und Bodenoffensiven. Dies bedeutet einen Rückgang von 31% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (LIB, Seite 192).

Militärische Operationen werden in der Provinz durchgeführt; dabei werden Talibankämpfer getötet und Waffen gefunden. Auch werden Luftangriffe durchgeführt. Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Taliban finden statt (LIB, Seite 192).

zu Kabul

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (LIB, Seite 67).

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt. Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen. In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen (LIB, Seite 67ff).

Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (LIB, Seite 68).

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen, die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben. Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen. Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren ‚high-profile'-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (LIB, Seite 68).

Zur Veranschaulichung werden folgende (im LIB auf Seite 47 wiedergegebene) Beispiele öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle angeführt:

Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff.

Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff.

Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben.

Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt. Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet. Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff.

Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet. Der IS bekannte sich zum Angriff.

Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u.a. rumänische Soldaten. Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich.

Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt; Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten. Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte. Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren. Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden. Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen.

Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall.

Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere. Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel.

Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden getötet und zwölf weitere verletzt; der IS bekannte sich zu diesem Vorfall.

Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war. Dabei wurden mindestens 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte. 160 Menschen konnten gerettet werden. Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet. Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff.

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt. Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall.

Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (LIB, Seite 68).

Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (LIB, Seite 68).

Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen (LIB, Seite 69.

Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (LIB, Seite 69).

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt. Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden. Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen ‚Zarghun Belt' (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind. Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt. Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen. Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt. Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden. Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (LIB, Seite 69ff).

Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul, auch dem Haqqani-Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben. So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal (‚terrorists to hire'), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden (LIB, Seite 70).

Zum Beispiel wurden zwischen 27.12.2017 und 29.1.2018 acht Angriffe in drei Städten ausgeführt, zu denen neben Jalalabad und Kandahar auch Kabul zählte - fünf dieser Angriffe fanden dort statt. Nichtsdestotrotz deuten die verstärkten Angriffe - noch - auf keine größere Veränderung hinsichtlich des ‚Modus Operandi' der Taliban an (LIB, Seite 70).

Für den Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden in der Provinz Kabul vom IS verursachte Vorfälle registriert (Gewalt gegenüber Zivilist/innen und Gefechte) (LIB, Seite 71).

zu Mazar-e Sharif

Mazar-e-Sharif ist die Hauptstadt der Provinz Balkh. Mazar-e-Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana und Pul-e-Khumri. Sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich auch an und auch der Dienstleistungsbetrieb wächst. In Mazar-e-Sharif gibt es einen internationalen Flughafen (LIB, Seite 85 ff).

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten (LIB, Seite 85 ff).

Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, das darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz zu reduzieren (LIB, Seite 85 ff).

Die Provinz Balkh ist nach wir vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistan, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen Nordafghanistans. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte (LIB, Seite 85 ff).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (LIB, Seite 85 ff).

zur Desertion:

Afghanistan kennt keine Wehrpflicht. Das vorgeschriebene Mindestalter für die freiwillige Meldung beträgt 18 Jahre. Da die Tätigkeit als Soldat oder Polizist für den großen Teil der jungen männlichen Bevölkerung eine der wenigen Verdienstmöglichkeiten darstellt, erscheint die Notwendigkeit für Zwangsrekrutierungen jedoch eher unwahrscheinlich (LIB, Seite 272.

Gemäß dem afghanischen militärischen Strafverfahrenskodex von 2008 wird die permanente Desertion mit einer Haftstrafe von zwei bis fünf Jahren bedroht. Bei Desertionen während einer Sondermission beträgt die maximale Haftstrafe zwischen fünf und fünfzehn Jahren. Eine Abwesenheit von mehr als 24 Stunden wird als unerlaubt definiert [Anm.: Absent without official leave, AWOL]. In der Praxis werden Deserteure jedoch in der Regel nicht rechtlich verfolgt. Im Jahr 2016 wurde ein Soldat wegen Desertion in erster Instanz zu fünfzehn Jahren Haft verurteilt; Berichten zufolge wurde dies zu einem Medienfall, was u.a. auf die Seltenheit solcher Verurteilungen hinweist und auf die Absicht schließen lässt, ein Exempel zu statuieren (LIB, Seite 272).

zur Verfolgung von Polizisten

Die gezielten Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte, insbesondere die afghanische nationale Polizei (ANP) gehen weiter. Auch Mitglieder der afghanischen lokalen Polizei (ALP) werden häufig angegriffen. Schätzungen zufolge ist die Opferbilanz unter der afghanischen lokalen Polizei erheblich höher als die unter anderen Mitgliedern der ANDSF, da die afghanische lokale Polizei (ALP) häufig in unsicheren Gebieten stationiert ist. Beamte sowohl der ALP, als auch der ANP wurden im Dienst und auch außer Dienst angegriffen. Ferner wird berichtet, dass regierungsfeindliche Kräfte auch Angehörige anderer Polizeikräfte in Afghanistan sowie ehemalige Angehörige der ANDSF ins Visier nehmen (aus den in der Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 17. Jänner 2019 zitierten aktuellen UNHCR Richtlinien).

zur Versorgungslage:

Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (LIB, Seite 336).

Für ca. ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden (LIB, S. 336 ff).

Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben (LIB, Seite 338).

Die Verfügbarkeit und Qualität der medizinischen Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt (LIB, Seite 340).

In den letzten 10 Jahren hat die Flächendeckung der primären Gesundheitsversorgung in Afghanistan stetig zugenommen. Das afghanische Gesundheitssystem hat in dieser Zeit ansehnliche Fortschritte gemacht. Einer Umfrage der Asia Foundation zufolge hat sich 2017 die Qualität der afghanischen Ernährung sowie der Gesundheitszustand in den afghanischen Familien im Vergleich zu 2016 gebessert (LIB, Seite 340).

Das afghanische Gesundheitsministerium bietet zwei Grundversorgungsmöglichkeiten an: das "Essential Package of Health Services" (EPHS) und das "Basic Package of Health Services" (BPHS). Beide Programme sollen standardisierte Behandlungsmöglichkeiten in gesundheitlichen Einrichtungen und Krankenhäusern garantieren. Die im BPHS vorgesehenen Gesundheitsdienstleistungen und einige medizinische Versorgungsmöglichkeiten des EPHS sind kostenfrei. Jedoch zahlen Afghanen und Afghaninnen oft aus eigener Tasche, weil sie private medizinische Versorgungsmöglichkeiten bevorzugen, oder weil die öffentlichen Gesundheitsdienstleistungen die Kosten nicht ausreichend decken. Es gibt keine staatliche Unterstützung für den Erwerb von Medikamenten, diese Kosten müssen von den Patienten getragen werden. Nur privat versicherten Patienten können die Medikamentenkosten zurückerstattet werden (LIB, Seite 341 ff).

Eine begrenzte Anzahl an staatlichen Krankenhäusern in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung. Während in den Städten ein aureichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. Für den Zugang zur medizinischen Versorgung sind der Besitz der afghanischen Staatsbürgerschaft und die Mitnahme eines gültigen Ausweises bzw. der Tazkira erforderlich (LIB, Seite 342 ff).

zur Behandlung psychisch erkrankter Personen in Afghanistan

In der afghanischen Bevölkerung leiden viele Menschen an unterschiedlichen psychischen Erkrankungen. Die afghanische Regierung ist sich der Problematik bewusst und hat geistige Gesundheit als Schwerpunkt gesetzt. Jedoch ist der Fortschritt schleppend und die Leistungen außerhalb von Kabul sind dürftig. In der afghanischen Gesellschaft werden Menschen mit körperlichen und psychischen Behinderungen als schutzbedürftig betrachtet. Sie sind Teil der Familie und werden genauso wie Kranke und Alte gepflegt. Daher müssen körperlich und geistig Behinderte sowie Opfer von Missbrauch eine starke familiäre und gemeinschaftliche Unterstützung sicherstellen (LIB, Seite 342).

Die Infrastruktur für die Bedürfnisse mentaler Gesundheit entwickelt sich langsam. So existieren z. B. in Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus. In Kabul existiert eine weitere psychiatrische Klinik. Landesweit bieten alle Provinzkrankenhäuser kostenfreie psychologische Beratungen an, die in einigen Fällen sogar online zur Verfügung stehen. Mental erkrankte Personen können beim Roten Halbmond, in entsprechenden Krankenhäusern und bei anderen Nichtregierungsorganisationen behandelt werden. Einige dieser NGOs sind die International Psychological Organisation (IPSO) in Kabul, die Medica Afghanistan und die PARSA (LIB, Seite 342 f).

Traditionell mangelt es in Afghanistan an einem Konzept für psychisch Kranke. Sie werden nicht selten in spirituellen Schreinen unter teilweise unmenschlichen Bedingungen "behandelt" oder es wird ihnen durch eine "Therapie" mit Brot, Wasser und Pfeffer der "böse Geist ausgetrieben". Es gibt jedoch aktuelle Bemühungen, die Akzeptanz und Kapazitäten für psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten zu stärken und auch Aufklärung sowohl über das Internet als auch in Form von Comics (für Analphabeten) zu betreiben. Beispielweise wurde in der Provinz Badakhshan durch internationale Zusammenarbeit ein Projekt durchgeführt, bei dem konventionelle und kostengünstige e-Gesundheitslösungen angewendet werden, um die vier häufigsten psychischen Erkrankungen zu behandeln: Depressionen, Psychosen, posttraumatische Belastungsstörungen und Suchterkrankungen. Erste Evaluierungen deuten darauf hin, dass in abgelegenen Regionen die Qualität der Gesundheitsversorgung verbessert werden konnte. Auch die gesellschaftliche Stigmatisierung psychisch Erkrankter konnte reduziert werden (LIB, Seite 343).

Trotzdem findet die Behandlung von psychischen Erkrankungen - insbesondere Kriegstraumata - abgesehen von einzelnen Projekten von NGOs nach wie vor nicht in ausreichendem Maße statt (LIB, Seite 343).

zur Situation im Falle einer Rückkehr

Im Jahr 2017 kehrten sowohl freiwillig, als auch zwangsweise insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (LIB; Seite 349).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung, wo Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden können (LIB, Seite 351).

IOM, IRARA, ACE und AKAH bieten Unterstützung und nachhaltige Begleitung bei der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Schulungen an. AMASO bietet zwangsweise zurückgekehrten Personen aus Europa Beratung und Unterstützung. Unter anderem betreibt AMASO ein Schutzhaus, welches von privaten Spendern finanziert wird. NRC bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an und hilft bei Grundstücksstreitigkeiten. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden (LIB, Seite 351 ff).

Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben - alle Leistungen sind kostenfrei. Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO. Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden; möglicherweise mangelt es diesen aber an Kapazitäten (LIB, Seite 352 ff).

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Nur sehr wenige Afghanen in Europa verlieren den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Dennoch haben alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (LIB, S. 353 ff).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB, S. 353 ff).

Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB, Seite 354).

2. Beweiswürdigung:

Die einzelnen Feststellungen beruhen jeweils auf den in der Klammer angeführten Beweismitteln.

1. zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor der belangten Behörde, in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers (Name und Geburtsdatum) getroffen werden, gelten diese ausschließlich für die Identifizierung der Person des Beschwerdeführers.

Die Feststellungen zu seiner Staatsangehörigkeit, seiner Herkunft, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seinen Sprachkenntnissen und seinen Aufenthalten in Afghanistan ergeben sich aus seinen diesbezüglich weitestgehend gleichbleibenden und glaubhaften Angaben; das Bundesverwaltungsgericht sieht keine Veranlassung, an diesen Angaben zu zweifeln.

Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem schulischen und beruflichen Werdegang stützen sich auf seine glaubhaften Aussagen im Rahmen der mündlichen Verhandlung in Zusammenhalt mit seinen Angaben in seiner Einvernahme vor der belangten Behörde und den diesbezüglich vorgelegten Unterlagen (OZ 1 AS 43 f, AS 49, AS 52, Verhandlungsschrift Seite 6, 8 und 19).

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand ergeben sich aus den eigenen Angaben des Beschwerdeführers im Rahmen der mündlichen Verhandlung sowie den diesbezüglich vorgelegten medizinischen Unterlagen (Beilagen ./A bis ./C, Urkundenvorlage vom 21. August 2018, Verhandlungsschrift Seite 4 f, Seite 13). Bezugnehmend auf seine psychische Erkrankung führte der Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Verhandlung und auch im Rahmen seiner Stellungnahme vom 17. Jänner 2019 selbst aus, nur in medikamentöser Behandlung zu stehen (Verhandlungsschrift Seite 4 f, Seite 13, Stellungnahme vom 17. Jänner 2019, Seite 14). In Bezug auf die vorgebrachten Fuß- und Knieschmerzen geht aus dem vorgelegten orthopädischen Ambulanzbericht vom 23. März 2017 hervor, dass dem Beschwerdeführer eine Physio- und Schmerztherapie empfohlen wird;

Kontrolluntersuchungen deswegen jedoch nur bei Bedarf vorgesehen sind. Dem Beschwerdeführer ist es auch möglich, seinen zahlreichen ehrenamtlichen Tätigkeiten nachzugehen, wodurch von einer grundsätzlichen Arbeitsfähigkeit ausgegangen werden kann.

Die Feststellungen zu seiner Familie ergeben sich aus den eigenen im Wesentlichen übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren; das Bundesverwaltungsgericht sieht keine Veranlassung, an diesen Angaben zu zweifeln (OZ 1 AS 7, 53 und Verhandlungsschrift Seite 8 f). So führte er im Rahmen der mündlichen Verhandlung selbst aus, dass seine Mutter, seine beiden Brüder und seine Schwester ungefähr einen Monat nach seiner Ausreise aus Afghanistan in den Iran gegangen seien und einer seiner beiden Brüder mittlerweile in Frankreich lebe (Verhandlungsschrift Seite 9). Auch führte er an, dass er mit seinem in Frankreich lebenden Bruder derzeit Kontakt habe und er auch davon ausgehe, dass dieser wiederum in Kontakt zu seiner Mutter und den restlichen Geschwistern im Iran stehe (Verhandlungsschrift Seite 10). Ebenso gab der Beschwerdeführer vor dem erkennenden Gericht an, dass sein Onkel mütterlicherseits vor seiner Ausreise - wie auch seine restliche Familie - in Kabul gelebt habe. Gründe, die dafür sprechen würden, dass dieser Onkel - so wie die restliche Familie des Beschwerdeführers - zwischenzeitig Kabul verlassen habe, sind nicht hervorgekommen und wurde dies vom Beschwerdeführer auch gar nicht behauptet. Dass der Beschwerdeführer über den Verbleib bzw. eine Ausreise seines Onkels nicht informiert worden wäre, ist angesichts des bestehenden Kontaktes zu seiner Familie nicht anzunehmen (Verhandlungsschrift Seite 13ff).

Die Feststellung, dass die Familie den Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr finanziell unterstützen kann, ergibt sich aus einer Zusammenschau der eigenen Angaben des Beschwerdeführers im behördlichen und im gerichtlichen Verfahren zur finanziellen Situation seiner Familie. In Bezug auf die finanzielle Lage seiner Familie führte der Beschwerdeführer im Rahmen der Erstbefragung aus, dass diese mittelmäßig sei und seine Familie in Kabul ein Grundstück besitze und sein Bruder durch dessen Arbeit im Verteidigungsministerium die Familie versorge (OZ 1 AS 9). In der mündlichen Verhandlung führte der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang aus, dass seine Familie an seinem Geburtsort über ein Grundstück samt Haus und Geschäft und in Kabul über ein Grundstück verfüge (Verhandlungsschrift Seite 11 f). Seinem im Iran lebenden Bruder sei es möglich gewesen, sich durch Arbeit etwas aufzubauen und habe sich seine Familie "vielleicht" auch etwas Geld aus Afghanistan mitgenommen (Verhandlungsschrift Seite 10 und 27). Vor dem Hintergrund dieser Aussagen und des Umstands, wonach sein Bruder seine Ausreise finanziert habe (Verhandlungsschrift Seite 7) kann davon ausgegangen werden, dass die Familie des Beschwerdeführers diesen im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan bei Bedarf unterstützen kann und auch wird.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer über ein Bankguthaben in Kabul verfügt, ergibt sich aus dem eigenen Vorbringen des Beschwerdeführers vor dem erkennenden Gericht (Verhandlungsschrift Seite 16).

Die Feststellung seiner strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.

Die Feststellungen zu seinem Leben und seiner Integration in Österreich ergeben sich aus seinem diesbezüglichen Vorbringen in Zusammenhalt mit den vorgelegten Bestätigungen.

Die Feststellung, wonach der Beschwerdeführer zu seiner in Österreich lebenden Cousine keinen engen Kontakt hat, ergibt sich aus seinen Aussagen in der mündlichen Verhandlung. Darin führte er aus, dass er im laufenden Kontakt mit seiner Cousine stehe und eine freundschaftliche Beziehung zu ihr unterhalte. Er habe sie schon drei bis viermal in Wien besucht und helfe er ihr bei den Hausarbeiten (Verhandlungsschrift Seite 16). Aus diesem Aussageverhalten lässt sich keine darüberhinausgehende Beziehung bzw. Unterstützung ableiten, sodass auch von keinem Abhängigkeitsverhältnis auszugehen war.

2. zu den Nichtfeststellungen in Bezug auf individuelle gegen den Beschwerdeführer gerichtete Bedrohungen in Afghanistan:

Der Beschwerdeführer behauptete im Rahmen seiner Erstbefragung eine Verfolgung durch eine ihm namentlich nicht bekannte Mafiabande, weil er deren Verlangen, Häftlinge an diese zu übergeben, als Polizeibeamter nicht nachgekommen sei (AS 3ff).

Vor der belangten Behörde führte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt aus, er habe als Polizist in einem Gefängnis gearbeitet. Eine inhaftierte, ihm nicht näher bekannte Mafiabande habe von ihm verlangt, dass er ihnen Utensilien, welche ihm von Personen außerhalb des Gefängnisses übergeben werden würden, weiterleite. Da er dies verneint habe, seien er und seine Familie bedroht und zu Hause aufgesucht worden. Weitere Fluchtgründe würden nicht vorliegen (AS 54ff).

In seiner Beschwerde verweist der Beschwerdeführer auf sein bisher erstattetes Fluchtvorbringen in Bezug auf die sich aufgrund seiner Tätigkeit als Polizeibeamter ergebenden Probleme. Die Ernsthaftigkeit der Bedrohung sei aufgrund des Umstandes, dass der Beschwerdeführer zu Hause aufgesucht worden sei, nicht zu unterschätzen.

Im Rahmen der Befragung vor dem erkennenden Gericht führt der Beschwerdeführer aus, er werde in Afghanistan auf mehrfache Weise verfolgt und zwar drohe ihm Verfolgung 1) durch den Staat, weil er als Polizist ohne Mitteilung geflohen sei 2) durch eine Mafiabande, weil deren Führungsperson, namens XXXX 2014 im Gefängnis des Beschwerdeführers inhaftiert und auch zu Tode gekommen sei, 3) durch die Bande des Jihadistenführers XXXX , weil er sich geweigert habe, dem im Gefängnis des Beschwerdeführers inhaftierten Bodyguard des XXXX mittels Überbringung von diversen Utensilien zur Flucht zu verhelfen und 4) durch seinen Chef, weil er wisse, dass dieser 2014 zu Unrecht einen Gefangenen freigelassen habe.

In seiner Stellungnahme vom 17. Jänner 2019 behauptet der Beschwerdeführer (5)) auch eine Verfolgung durch die Taliban, weil er als Polizist tätig gewesen sei und solche laut den UNHCR Richtlinien vom 30. August 2018 häufig durch die Taliban angegriffen bzw. von diesen ins Visier genommen werden würden.

Dazu ist bereits an dieser Stelle anzumerken, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe sowohl im Rahmen der Erstbefragung, als auch im Rahmen der Befragung vor der belangten Behörde auf die - unter Punkt 3) angeführte - Verfolgung wegen einer Verweigerung zur Fluchthilfe beschränkte. Die von ihm in weiterer Folge bei der Einvernahme vor dem erkennenden Gericht und in seiner Stellungnahme geäußerten unter den Punkten 1), 2), 4) und 5) angeführten Probleme nannte der Beschwerdeführer bis dahin hingegen nicht.

Dass ihm die belangte Behörde - wie von ihm moniert - keine ausreichende Gelegenheit zur diesbezüglichen Äußerung gewährt habe, überzeugt nicht, weil der Beschwerdeführer - wie dem Protokoll zu entnehmen ist - weitere Fluchtgründe von sich aus selbst ausgeschlossen hat (AS 54: "LA: Wollen Sie noch weitere Gründe geltend machen? VP: Nein."). Davon abgesehen findet sich auch in seiner an das Bundesverwaltungsgericht verfassten Beschwerde kein Hinweis auf weitere (bisher nicht genannte) Fluchtgründe.

Die erstmalige Nennung von bisher vom Beschwerdeführer sogar dezidiert ausgeschlossenen weiteren Fluchtgründen vor dem erkennenden Gericht ist für das Bundesverwaltungsgericht daher nicht nachvollziehbar. Vielmehr entstand dadurch verstärkt der Eindruck, der Beschwerdeführer sei bemüht, sein Asylverfahren durch erweitertes Vorbringen umständlich zu verlängern und damit gezielt aufrecht zu erhalten. Dafür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer vor dem erkennenden Gericht die ihm bislang immer unbekannten Verfolger zu Punkt 3) plötzlich und ohne plausible Gründe konkret benennen konnte (siehe die oben wiedergegebene Erstbefragung; siehe auch die Befragung vor der belangten Behörde AS 54: "LA: Erklären Sie mir, um welche Bande es sich gehandelt hat? VP: Das weiß ich nicht." sowie Verhandlungsschrift Seite 21: "R: Sie haben vorher ausgesagt, dass es sich bei dem betreffenden Gefangenen um den Bodyguard von XXXX gehandelt habe. Bei der belangten Behörde haben sie ausgesagt, dass sie über die "Bande" noch keine Angaben machen könnten. Was sagen Sie dazu? BF: Bei meinem vorherigen Interview hat man mich nicht ausreden lassen. Ich war nicht einmal fertig, als der Richter oder diese Person hinausging und als er zurückkam, drückte er zwei oder drei Blätter aus, zerriss diese und sagte dann, wir sind fertig, obwohl ich noch nicht alles gesagt hatte. R: Es geht nicht darum, dass Sie nicht alles sagen konnten, sondern, dass Sie andere Angaben gemacht haben. BF: Was habe ich anderes gesagt? R: Dass Sie über die "Bande" keine Angaben machen können. BF: Das ist sicher ein Missverständnis. Man hat mich nicht ausreden lassen, auch in Bezug auf Angaben über meinen Bruder, hat man mich nicht ausreden lassen. Die Geschichte von XXXX hat man mich auch nicht vollständig erzählen lassen.").

Schon allein aus diesen Erwägungen ist das Vorbringen des Beschwerdeführers (und zwar) insgesamt stark in Zweifel zu ziehen.

Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer in Bezug auf die von ihm in der mündlichen Verhandlung bzw. in der Stellungnahme erstmals präsentierten und unter den Punkten 1), 2) und 5) zusammengefassten Fluchtgeschichten eine konkret ihn betreffende Bedrohung nicht einmal vorgebracht hat (Verhandlungsschrift Seite 15 und Seite 25:

"R: Gab es sonstige gegen Sie oder Ihre Familie gerichtete Bedrohungen in Afghanistan? BF: Diese Drohung wegen diesem Gefangenen XXXX , was ich vorher erwähnt hatte. Und zweitens wegen der zweiten Drohung habe ich es auch meinem Chef nicht erzählt, weil er zuvor schon einem Gefangenen geholfen hatte, zu entkommen. R:

Meinen Sie damit eine Bedrohung wegen XXXX ? BF: Ja, ich wurde deswegen bedroht, nicht nur ich, sondern alle Polizisten, die dort waren. R: Nach Ihren vorherigen Angaben wurde XXXX im Jahr 2014 erhängt. Sie sind laut Ihren Angaben im Jahr 2015 geflohen. Können Sie mir bitte näher schildern, in welcher Weise Sie in diesem Zusammenhang bedroht worden sind? BF: Wie ich Ihnen schon zuvor erzählte, nachdem er erhängt wurde, kam jemand vom Sicherheitsstab und sagte, dass alle Polizisten, die mit dem Fall zu tun hatten, sollen auf sich Acht geben, weil sie uns nicht schützen können. R:

Aber wurden Sie in diesem Zusammenhang auch bedroht? BF: Die Bedrohung galt für alle, die mit XXXX zu tun hatten oder ihn gesehen hatten. R wiederholt die Frage. BF: Ja

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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