Entscheidungsdatum
12.02.2019Index
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art. 151 Abs51 Z8Text
Das Verwaltungsgericht Wien fasst durch seinen Richter Mag. Pichler über den Antrag des Landeshauptmannes von Wien, Magistratsabteilung 35 - Einwanderung, Staatsbürgerschaft - Niederlassungsbewilligungen u. Ausländergrunderwerb vom 01.06.2017 Zl. …, mit welchem beantragt wird, das rechtskräftig abgeschlossene Verfahren (Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 20.12.2012 zur Zahl …, mit welchem der Berufung gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 19.06.2012 stattgegeben wurde, und ein Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" für die Dauer von 12 Monaten erteilt wurde) wieder aufzunehmen und den Antrag vom 12.07.2011 auf Erteilung des Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" wegen Vorliegens einer Aufenthaltsehe abzuweisen, den
BESCHLUSS
I. Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird gemäß § 3 Abs. 6 Vwgbk-ÜG iVm § 32 VwGVG zurückgewiesen.
II. Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 und Abs. 9 B-VG unzulässig.
Begründung
1. Frau A. B. (im Folgenden: Beteiligte) heiratete am 9. Mai 2011 vor dem Standesamt Wien-D. Herrn C. B.. Diese Ehe wurde mit Beschluss des Bezirksgerichtes … Wien vom 10. Dezember 2015, …, geschieden. Mit Bescheid der Bundesministerin für Inneres (als Berufungsbehörde) vom 20. Dezember 2012, …, wurde der Beteiligten aufgrund ihres Antrages vom 12. Juli 2011 erstmalig ein Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ für die Dauer von 12 Monaten erteilt. Der Aufenthaltstitel wurde durch die antragstellende Behörde zunächst mit Gültigkeit bis 11. Jänner 2015 und sodann mit Gültigkeit bis 27. Mai 2016 verlängert. In weiterer Folge wurde der Beschwerdeführerin ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ mit Gültigkeit bis 27. Mai 2019 erteilt.
Aus Anlass des Antrages von Herrn E. F., der die Beteiligte am 29. September 2016 in Serbien geheiratet hatte, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“, beauftragte der Landeshauptmann von Wien, MA 35, die Landespolizeidirektion Wien gemäß § 37 Abs. 4 NAG mit Ermittlungen dahingehend, ob es sich bei der Ehe zwischen der Beteiligten und Herrn C. B. um eine Aufenthaltsehe gehandelt habe. Der Bericht der Landespolizeidirektion Wien vom 11. April 2017, wonach vom Verdacht einer Aufenthaltsehe auszugehen sei, langte am 5. Mai 2017 bei der antragstellenden Behörde ein.
Mit Schreiben vom 1. Juni 2017 – beim Verwaltungsgericht Wien eingelangt am 18. August 2017 – stellte der Landeshauptmann von Wien, MA 35, den Antrag, das Verwaltungsgericht Wien möge das mit Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 20. Dezember 2012 abgeschlossene Verfahren wiederaufnehmen. Gleichzeitig regte die antragstellende Behörde eine amtswegige Wiederaufnahme des erwähnten Verfahrens durch das Verwaltungsgericht Wien an.
Mit Beschluss des Geschäftsverteilungsausschusses vom 18. April 2018 wurde die gegenständliche Rechtssache dem Richter … abgenommen und in weiterer Folge neu zugeteilt.
Mit Verfügung vom 14. Jänner 2019 teilte das Verwaltungsgericht Wien dem Landeshauptmann von Wien, MA 35, mit, dass nach Auffassung des Verwaltungsgerichtes Wien die zweiwöchige Frist des § 32 Abs. 2 erster Satz VwGVG mit dem Einlangen des Berichtes der Landespolizeidirektion Wien, wonach von einer Aufenthaltsehe zwischen Herrn C. B. und der Beteiligten auszugehen sei, bei der antragstellenden Behörde am 4. Mai 2017 zu laufen begonnen habe, weil die antragstellende Behörde spätestens ab diesem Zeitpunkt Kenntnis vom (möglichen) Vorliegen des Wiederaufnahmegrundes gehabt habe
Von der vom Verwaltungsgericht Wien eingeräumten Möglichkeit zur Stellungnahme hat die antragstellende Behörde keinen Gebrauch gemacht.
2. Diese Feststellungen beruhen auf der unstrittigen Aktenlage, insbesondere den Behördenakten betreffend die Beteiligte und dem entsprechenden, auf dem LPD Bericht vermerkten Eingangsstempel mit dem Datum 4. Mai 2017.
3. Art. 151 Abs. 51 Z 8 B-VG lautet:
„Artikel 151.
[…]
(51)
[…]
8. Mit 1. Jänner 2014 werden die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern, das Bundesvergabeamt und der unabhängige Finanzsenat (im Folgenden: unabhängige Verwaltungsbehörden) aufgelöst; ferner werden die in der Anlage genannten Verwaltungsbehörden (im Folgenden: sonstige unabhängige Verwaltungsbehörden) aufgelöst. Die Zuständigkeit zur Weiterführung der mit Ablauf des 31. Dezember 2013 bei diesen Behörden anhängigen Verfahren sowie der bei den Aufsichtsbehörden anhängigen Verfahren über Vorstellungen (Art. 119a Abs. 5) geht auf die Verwaltungsgerichte über; dies gilt auch für die bei sonstigen Behörden anhängigen Verfahren, in denen diese Behörden sachlich in Betracht kommende Oberbehörde oder im Instanzenzug übergeordnete Behörde sind, mit Ausnahme von Organen der Gemeinde.“
§ 3 Abs. 6 VwGbk-ÜG lautet:
„Verwaltungsgerichte
§ 3.
[…]
(6) Die Verwaltungsgerichte entscheiden ab 1. Jänner 2014 über die Wiederaufnahme von und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Verfahren, die entweder in diesem Zeitpunkt gemäß Art. 151 Abs. 51 Z 8 B-VG auf die Verwaltungsgerichte übergegangen sind, oder, wären sie in diesem Zeitpunkt noch anhängig, übergehen würden. Die §§ 32 und 33 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes – VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, sind sinngemäß anzuwenden.“
§ 32 VwGVG lautet (auszugsweise):
„Wiederaufnahme des Verfahrens
§ 32. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn
1. das Erkenntnis durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder
2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten, oder
3. das Erkenntnis von Vorfragen (§ 38 AVG) abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde oder
4. nachträglich ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bekannt wird, der bzw. die einer Aufhebung oder Abänderung auf Antrag einer Partei nicht unterliegt und die im Verfahren des Verwaltungsgerichtes die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte.
(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.
(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.
[…]“.
4. In rechtlicher Hinsicht folgt:
Der Beteiligten wurde von der Bundesministerin für Inneres als Berufungsbehörde mit Bescheid vom 20. Dezember 2012 ein Aufenthaltstitel Familienangehörige erteilt. Wäre dieses Verfahren am 1. Jänner 2014 noch bei der Bundesministerin für Inneres anhängig gewesen, wäre die Zuständigkeit zur Entscheidung über das Rechtsmittel der Beteiligten gemäß Art. 151 Abs. 51 Z 8 B-VG auf das Verwaltungsgericht Wien übergegangen. Art. 151 Abs. 51 Z 8 B-VG und § 3 Abs. 6 VwGbk-ÜG lässt nämlich die Intention des Gesetzgebers erkennen, dass ab 1. Jänner 2014 die Verwaltungsgerichte im Hinblick auf alle Zuständigkeiten, die nach dem System der Verwaltungsgerichtsbarkeit von Verwaltungsgerichten wahrgenommen werden sollen, an die Stelle der bis dahin zuständigen Berufungsbehörden treten; dies unabhängig davon, ob die Verfahren am 1. Jänner 2014 (noch) anhängig waren oder nicht (vgl. VwGH 3.8.2016, Ro 2017/07/0007). Das Verwaltungsgericht Wien ist daher zur Entscheidung über den Antrag des Landeshauptmannes von Wien, MA 35, zuständig, wobei gemäß § 3 Abs. 6 VwGbk-ÜG § 32 VwGVG in einem solchen Verfahren sinngemäß anzuwenden ist.
§ 32 Abs. 2 VwGVG normiert, dass ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens innerhalb einer Frist von zwei Wochen ab Kenntnis des Wiederaufnahmegrundes durch den Antragsteller beim Verwaltungsgericht einzubringen ist. Die in § 32 Abs. 2 VwGVG vorgesehene subjektive Frist beginnt bereits mit der Kenntnis des Antragstellers von dem Sachverhalt, der den Wiederaufnahmegrund bilden soll; entscheidend ist die Kenntnis von einem Sachverhalt, nicht aber die rechtliche Wertung dieses Sachverhalts. Für den Fristenlauf ist daher nicht maßgebend, ob dem Antragsteller die mögliche Qualifizierung eines Sachverhalts als Wiederaufnahmegrund bewusst ist (vgl. VwGH 20.9.2018, Ra 2018/09/0050). Für die Fristberechnung der verfahrensrechtlichen Frist sind §§ 32 und 33 AVG maßgeblich. Sie ist als gesetzliche Frist grundsätzlich nicht erstreckbar. Ein nach Ablauf der zweiwöchigen subjektiven Frist gestellter Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ist als unzulässig, weil verspätet eingebracht, zurückzuweisen (VwGH 20. 3. 1990, 90/06/0013; 15. 7. 2003, 2003/05/0080).
Gemäß den getroffenen Feststellungen hatte die antragstellende Behörde spätestens am 4. Mai 2017 (Einlangen des LPD Berichtes) Kenntnis von jenen Sachverhaltselementen, die den Wiederaufnahmegrund bilden sollten. Die Frist zur Einbringung eines Wiederaufnahmeantrages endete daher am 18. Mai 2017. Der (auf den 1. Juni 2017 datierte) und erst am 17. August 2017 beim Verwaltungsgericht Wien eingebrachte Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens erfolgte nach Ablauf dieser Frist und erweist sich daher als verspätet.
Ferner normiert § 32 Abs. 2 VwGVG auch eine dreijährige (objektive) Frist zur Einbringung eines Wiederaufnahmeantrages. Nach dieser Bestimmung ist ein Antrag auf Wiederaufnahme – gleichgültig aus welchem Wiederaufnahmegrund – nur innerhalb von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses (im vorliegenden Fall des Berufungsbescheides der Bundesministerin für Inneres vom 20. Dezember 2012, zugestellt und somit erlassen am 27. Dezember 2012) zulässig (vgl. – ebenfalls zu einem Übergangsfall gemäß § 3 Abs. 6 VwGbk-ÜG – VwGH 24.2.2015, Ra 2015/05/0004). Die dreijährige Frist war im Zeitpunkt der Einbringung des Antrages beim Verwaltungsgericht Wien am 17. August 2017 bereits verstrichen, der Antrag ist daher auch aus diesem Grund verspätet.
5. Der Antrag des Landeshauptmannes von Wien, MA 35, vom 1. Juni 2017 ist daher zurückzuweisen.
6. Die Frage, ob – wie vom Landeshauptmann von Wien, MA 35, in seinem Schreiben vom 1. Juni 2017 ebenfalls angeregt – eine Wiederaufnahme des mit Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 20. Dezember 2012, …, abgeschlossen Verfahrens durch das Verwaltungsgericht Wien von Amts wegen zu erfolgen hat, wird im hg. Verfahren zur Zl. … zu klären sein.
7. Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Wiederaufnahmegrund; Antrag; Landeshauptmann von Wien; subjektive Frist; objektive FristEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2019:VGW.151.019.11472.2017Zuletzt aktualisiert am
19.04.2019