Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §69 Abs1 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober, den Hofrat Dr. Sutter sowie die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des N S, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hahngasse 25/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Juni 2018, GZ W134 2162821-2/6E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber ist afghanischer Staatsangehöriger und stellte am 30. März 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet.
2 Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. November 2017 wurde - im Beschwerdeverfahren - sein Antrag auf internationalen Schutz zur Gänze abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise gesetzt.
3 Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, der Revisionswerber stamme aus der Provinz Logar und gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an. Die Muttersprache des Revisionswerbers sei Dari. Er habe zwölf Jahre lang die Schule besucht und anschließend als Englischlehrer gearbeitet. Der Revisionswerber habe Englisch- und Computerkurse angeboten. Das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers, wonach er aufgrund seiner Tätigkeit als Kursleiter und Nachhilfelehrer von den Taliban entführt, gefoltert und mit dem Tod bedroht worden sei, wertete das Bundesverwaltungsgericht nur insofern als glaubhaft, als davon auszugehen sei, dass der Revisionswerber als Lehrer tätig gewesen sei und Schüler unterrichtet habe. Weiters hielt das Gericht fest, dass es, selbst wenn - wie vom Revisionswerber vorgebracht - Verfolgungshandlungen durch die Taliban tatsächlich stattgefunden hätten, nicht nachvollziehbar sei, aus welchem Grund der Revisionswerber aktuell, wo er die den Taliban missfallenden Kurse nicht mehr abhalte, weiterhin einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt sein sollte. Zudem bestehe für den jungen und arbeitsfähigen Revisionswerber eine innerstaatliche Fluchtalternative in den ausreichend sicheren afghanischen Städten Mazar-e-Sharif, Herat sowie Kabul. Es sei nicht davon auszugehen, dass die Taliban den Revisionswerber weiträumig verfolgen würden, weil er durch das Schließen der Kurse bereits den Wünschen der Taliban nachgekommen sei. Er habe zudem das Gebäude, das die Taliban als Stützpunkt nützen wollten, nicht mehr inne. Gegenteiliges ergebe sich auch nicht aus dem vom Revisionswerber vorgelegten "allgemeinen Report zu den Taliban" (vgl. zur weiteren Vorgeschichte den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. März 2018, Ra 2018/18/0032, mit dem die gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. November 2017 erhobene außerordentliche Revision zurückgewiesen wurde).
4 Mit Schreiben vom 21. November 2017 beantragte der Revisionswerber die Wiederaufnahme des mit Erkenntnis vom 8. November 2017 abgeschlossenen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Begründend führte er zusammengefasst aus, er habe am 16. November 2017 Beweismittel von seinem Bruder zu seinem Fluchtvorbringen erhalten, und zwar eine Whatsapp-Sprachnachricht, zwei Lichtbilder und ein Video, welche bewiesen, dass er nach wie vor von den Taliban verfolgt werde. Auf dem Video sei zu sehen, dass sein Bruder von den Taliban entführt worden sei, um den Revisionswerber zu einer Rückkehr nach Afghanistan in die Heimatprovinz Logar zu zwingen. Die Beweismittel schienen zu beweisen, dass die Taliban nach wie vor massives Interesse daran hätten, den Revisionswerber zu fassen, und sogar bereit seien, dessen Angehörige als Geisel zu nehmen.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht den Antrag auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. November 2017 abgeschlossenen Verfahrens gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG als unbegründet ab. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Gericht für nicht zulässig.
6 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht zusammengefasst aus, dass die Fotos dem Revisionswerber nach dessen Angaben am 16. November 2017, also acht Tage nachdem das abweisende Erkenntnis über seinen Antrag auf internationalen Schutz ergangen sei, von seinem Bruder per Whatsapp übermittelt worden seien. Wann genau das Video und die Fotos aufgenommen worden seien, habe der Revisionswerber nicht angegeben. Dieser Zeitpunkt habe auch - trotz einer diesbezüglich an ihn ergangenen Aufforderung durch das Bundesverwaltungsgericht - nicht ermittelt werden können, weil es dem Revisionswerber nicht möglich gewesen sei, zu seinen Familienangehörigen Kontakt aufzunehmen. Es habe daher nicht festgestellt werden können, ob die Beweismittel beim Abschluss des Verfahrens, dessen Wiederaufnahme beantragt werde, schon vorhanden gewesen seien oder ob es sich um erst nachträglich entstandene neue Beweismittel handle. Selbst im Fall jedoch, dass die Beweismittel schon bei Abschluss des Verfahrens vorhanden gewesen sein sollten, sei dem Wiederaufnahmeantrag nicht stattzugeben, weil das Hervorkommen neuer Tatsachen und Beweise allein nicht genüge, um das Verfahren wieder aufzunehmen. Es handle sich bei diesem "Neuerungstatbestand" nämlich um einen relativen Wiederaufnahmegrund und es sei für die Wiederaufnahme weiters erforderlich, dass die neuen Tatsachen und Beweise voraussichtlich zu einem anderen Verfahrensergebnis führen würden. Fallbezogen hätten die vom Revisionswerber vorgelegten Beweismittel weder allein noch in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich eine im Hauptinhalt des Spruchs anderslautende Entscheidung herbeigeführt. In seinem Erkenntnis vom 8. November 2017 habe das Bundesverwaltungsgericht beweiswürdigend festgehalten, dass sich der Revisionswerber durch Umzug in eine sicherere Stadt wie etwa Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat den Taliban entziehen könne. Er habe nicht nachvollziehbar darlegen können, dass er im Fall seiner Ansiedlung z.B. in Kabul tatsächlich ein erhöhtes Risikoprofil aufweise, sodass es prognostisch wahrscheinlich sei, dass er beispielsweise in Kabul einer Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt sei. Falls es sich bei der Person auf dem Video tatsächlich um den Bruder des Revisionswerbers handle, ließen diese Aufnahmen unter Umständen darauf schließen, dass der Revisionswerber in seiner Herkunftsprovinz Logar einer Bedrohung durch die Taliban ausgesetzt wäre. Es könne jedoch nicht mit Sicherheit festgestellt werden, dass ihm diese Gefährdung auch in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat drohe. Es handle sich dabei um Großstädte ohne Meldewesen, in denen der Revisionswerber nur schwer auffindbar wäre. Zudem sei nach wie vor nicht erkennbar, welches Interesse die Taliban am Revisionswerber haben sollten, um - obwohl er alle ihre Forderungen erfüllt habe - so viel Aufwand zu betreiben, dass sie ihn sogar weitläufig suchen würden. Die vorgelegten Beweismittel hätten daher keine im Hauptinhalt des Spruchs anders lautende Entscheidung herbeiführen können. Der Antrag auf Wiederaufnahme sei daher abzuweisen gewesen.
7 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit
u. a. vorgebracht wird, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es die vorgelegten Beweismittel nicht auf ihre abstrakte Eignung überprüft habe, in einem wiederaufgenommenen Verfahren voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Ergebnis herbeizuführen, sondern die Überprüfung des geltend gemachten Wiederaufnahmegrundes sogleich inhaltlich vorgenommen habe, indem es eine Prognoseentscheidung über das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative getroffen habe.
Weiters habe das Gericht verkannt, dass die Beurteilung der vorgelegten Beweismittel auf ihre abstrakte Eignung, voraussichtlich im Hauptinhalt des Spruchs ein anders lautendes Ergebnis herbeizuführen, anhand des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. November 2017 und nicht anhand des (die außerordentliche Revision gegen die zuletzt genannte Entscheidung zurückweisenden) Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. März 2018, Ra 2018/18/0032, zu erfolgen habe.
Ferner erweise sich die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses insofern als mangelhaft begründet und unschlüssig, als gänzlich offen bleibe, weshalb ausgehend von den vorgelegten Beweismitteln und von einer aktuellen Verfolgung in der Herkunftsregion (Logar) das Interesse der Taliban am Revisionswerber nicht so groß sein sollte, dass ihm nicht auch eine Verfolgung in jenen afghanischen Großstädten drohe, hinsichtlich derer das Bundesverwaltungsgericht das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative angenommen habe. Die Relevanz des unter diesem Gesichtspunkt vorliegenden, wesentliche Grundsätze des Verfahrensrechts berührenden Verfahrensmangels, nämlich das Fehlen einer Begründung in einem zentralen Punkt, sei offenkundig.
8 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Die Voraussetzungen nach Art. 133 Abs. 4 B-VG liegen nicht vor:
Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Ein Wiederaufnahmegrund im Sinne des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG setzt unter anderem voraus, dass neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten.
10 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG rechtfertigen neu hervorgekommene Tatsachen und Beweismittel (also solche, die bereits zur Zeit des früheren Verfahrens bestanden haben, aber erst später bekannt wurden) - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - eine Wiederaufnahme des Verfahrens, wenn sie die Richtigkeit des angenommenen Sachverhalts in einem wesentlichen Punkt als zweifelhaft erscheinen lassen; gleiches gilt nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für neu entstandene Beweismittel, sofern sie sich auf "alte" - d.h. nicht erst nach Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens entstandene - Tatsachen beziehen (vgl. VwGH vom 18.1.2017, Ra 2016/18/0197; 8.9.2015, Ra 2014/18/0089, mwN).
11 Weiters hat der Wiederaufnahmewerber den Grund, auf den sich das Wiederaufnahmebegehren stützt, in seinem Antrag aus eigenem Antrieb konkretisiert und schlüssig darzulegen. Sein Antrag kann nur dann zur Wiederaufnahme führen, wenn er Tatsachen vorbringt, auf die mit hoher Wahrscheinlichkeit zutrifft, dass sie im wiederaufzunehmenden Verfahren zu einem anderen Bescheid geführt hätten (vgl. zu § 69 Abs. 1 Z 2 AVG VwGH 19.2.2014, 2013/08/0275; 26.4.2013, 2011/11/0051, mwN; zur Übertragbarkeit der zu § 69 Abs. 1 Z 2 AVG ergangenen Judikatur auf den wortgleichen § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG siehe VwGH 8.9.2015, Ra 2014/18/0089).
12 Den zuletzt genannten Anforderungen genügt der in Rede stehende Wiederaufnahmeantrag schon deshalb nicht, weil der Revisionswerber gänzlich offen ließ, zu welchem Zeitpunkt die Tatsachen, auf die sich die vorgelegten Beweismittel beziehen, entstanden sind. Es mangelte seinem Antrag somit jedenfalls an der konkretisierten und schlüssigen Behauptung, dass überhaupt Tatsachen oder Beweismittel im Sinn von § 69 Abs. 1 Z 2 AVG neu hervorgekommen seien (zur Abgrenzung zwischen Wiederaufnahmeverfahren und Folgeantrag siehe ebenfalls VwGH 8.9.2015, Ra 2014/18/0089). Ungeachtet dessen setzt die Revision auch der Feststellung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach das Entstehen der Beweismittel vor Erlassung des Erkenntnisses vom 8. November 2017 (und somit eine der Wiederaufnahmevoraussetzungen im Sinn von § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG) nicht habe festgestellt werden können, nichts entgegen. Bereits vor diesem Hintergrund gelingt es der Revision nicht aufzuzeigen, dass ihre Lösung von den in der Zulässigkeitsbegründung als grundsätzlich erachteten Rechtsfragen abhinge.
13 Aus der dargelegten Erwägungen erweist sich die Revision als unzulässig. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 und Abs. 3 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.
Wien, am 14. März 2019
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018180403.L00Im RIS seit
18.04.2019Zuletzt aktualisiert am
26.04.2019