Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Hon.-Prof. Dr. Dehn und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfle und Peter Schleinbach als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei BUAK Bauarbeiter- Urlaubs- & Abfertigungskasse, Kliebergasse 1a, 1050 Wien, vertreten durch Mag. Vera Noss, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei B***** GmbH, *****, vertreten durch Hasch & Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, wegen 230.711,69 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. Juli 2018, GZ 8 Ra 21/18v-113, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die Klägerin begehrte Zuschläge nach dem BUAG für von der Beklagten nach Österreich entsandte Arbeitnehmer zunächst in Höhe von 84.090,64 EUR. Mit (mittlerweile rechtskräftigem) Zwischenurteil des Oberlandesgerichts Wien vom 16. 6. 2011 wurde festgestellt, dass die Ansprüche der Klägerin dem Grunde nach zu Recht bestehen.
In der Folge dehnte die Klägerin ihre Forderung auf (zuletzt) 230.711,69 EUR aus. Gegen den Zuspruch von 211.543,73 EUR sA wendet sich die außerordentliche Revision der Beklagten.
Rechtliche Beurteilung
1. Ein Zwischenurteil über den Grund des Anspruchs (Grundurteil) entfaltet innerhalb des Rechtsstreits insoweit (innerprozessuale) Bindungswirkung, als die Frage des Anspruchsgrundes nicht neuerlich aufgerollt werden darf (RIS-Justiz RS0040736). Die bindende Wirkung eines den Rechtsbestand des Klagsanspruchs bejahenden Zwischenurteils erstreckt sich auch auf Klagserweiterungen, die erst im Verfahren über die Anspruchshöhe vorgenommen, aber aus demselben Rechtsgrund abgeleitet werden (RIS-Justiz RS0039485).
Ein Zwischenurteil hat aber auch insoweit Präklusionswirkung, als die Parteien keine weiteren Tatsachen vorbringen können, die den Grund des Anspruchs betreffen. Daraus folgt, dass auch im Fall einer Klagserweiterung Einwendungen, die sich auf den Grund des Anspruchs beziehen, nicht mehr geltend gemacht werden können.
2. Die Beklagte argumentiert, dass eine Beitragspflicht eines Arbeitgebers mit Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat für nach Österreich entsendete Arbeitnehmer nach dem BUAG zu einer unionsrechtswidrigen Doppelbelastung führt.
Soweit sie sich damit gegen die Berechtigung der Klägerin, überhaupt Beiträge von ihr zu fordern, wendet, ist sie auf das rechtskräftige Zwischenurteil zu verweisen.
3. Ihre Argumentation kann aber auch so verstanden werden, dass sie sich damit gegen eine unzureichende Anrechnung der von ihr nach dem Vertragsstatut erbrachten Leistungen wendet. Insoweit wären ihre Ausführungen zwar der Höhe des Anspruchs zuzurechnen; es gelingt ihr jedoch nicht, damit eine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen.
4. Zu einer möglichen Konkurrenz von Urlaubsansprüchen gegen die Urlaubskasse mit Ansprüchen gegenüber dem Arbeitgeber nach dem Vertragsstatut hat der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 8 ObA 2/11v vom 25. 10. 2011 ausführlich Stellung genommen. Er hat dabei darauf verwiesen, dass diese ohne Korrektiv zu systemwidrigen Doppelansprüchen bzw Doppelbelastungen führen könnte. Die Konstellation, dass entsandte Arbeitnehmer bezahlten Urlaub in einem Ausmaß tatsächlich konsumierten, auf das sie zwar nach dem Vertragsstatut bereits Anspruch erworben hätten, nach den Regelungen der Urlaubskasse des Empfangsstaats aber noch nicht, sei jedenfalls nicht ungewöhnlich. In solchen Fällen könne sich der Arbeitgeber für denselben Anwartschaftszeitraum einer doppelten Leistung sowohl an den Arbeitnehmer als auch an die Urlaubskasse nicht entziehen, wenn der Empfangsstaat keine Möglichkeit der Anrechnung bereits erbrachter Direktleistungen vorsehe.
Eine derartige Kollision von Ansprüchen war im BUAG zum Zeitpunkt, in dem dieses Erkenntnis ergangen war, noch nicht bedacht und geregelt worden. Der Gesetzgeber hat jedoch in Reaktion auf die zitierte Entscheidung mit BGBl I 2012/117 die Bestimmung des § 33h Abs 1a BUAG eingeführt (vgl ErläutRV 2012 BlgNR 24. GP 5: „Der Oberste Gerichtshof ortet diesbezüglich eine planwidrige Lücke im BUAG. Die Neuregelung sieht eine Schließung dieser Lücke dahingehend vor, dass eine Anrechnung dann vorgesehen wird, wenn der/die Arbeitgeber/in Zahlungen an die BUAK geleistet hat, das Recht des Heimatsstaates günstigere Bestimmungen [betreffend Höhe und Entstehungszeitpunkt des Urlaubsanspruches] vorsieht und der/die Arbeitnehmer/in Urlaub bereits vor dem Einsatz in Österreich konsumiert hat, der rechnerisch in den Entsendungszeitraum fallen würde.“).
Die derzeitige gesetzliche Regelung entspricht daher den in der Judikatur vorgezeichneten Kriterien. Auch die Beklagte behauptet nicht, dass diese Anrechnungsregelung unrichtig angewendet wurde.
In der Entscheidung 9 ObA 145/17i wurde dementsprechend darauf verwiesen, dass dann keine unzulässige Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit vorliegt, wenn eine Doppelbelastung des Arbeitgebers für idente Beschäftigungszeiträume aufgrund zwingender urlaubsrechtlicher Normen des Entsendestaats vermieden wird. Im Entsendungsfall entstehe der Anspruch des Arbeitnehmers auf das Urlaubsentgelt nach § 33f Abs 1 BUAG – anders als bei der Beschäftigung nicht entsandter Arbeitnehmer im Inland (§ 8 Abs 1 Satz 1 BUAG) – nur im Ausmaß jener Anwartschaften, für die der Arbeitgeber die gemäß § 21 BUAG festgesetzten Zuschläge entrichte (§ 33f Abs 2 Satz 1 BUAG). Dieser Anspruch richte sich gegen die Urlaubs- und Abfertigungskasse (§ 33f Abs 2 Satz 2 BUAG). Wenn der Arbeitnehmer seinen Urlaub während der Entsendung verbrauchen wolle, dann habe der Arbeitnehmer (oder der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer) unter Nachweis der Urlaubsvereinbarung den Anspruch auf das Urlaubsentgelt bei der Urlaubs- und Abfertigungskasse geltend zu machen (§ 33f Abs 3 Satz 1 und 2 BUAG). Das Urlaubsentgelt werde dann dem Arbeitnehmer von der Urlaubs- und Abfertigungskasse direkt ausbezahlt (§ 33f Abs 3 Satz 4 BUAG). Werde die im BUAG normierte Vorgangsweise eingehalten, komme es zu keiner „Doppelbelastung“ des Arbeitgebers.
5. Die Beklagte verweist in der außerordentlichen Revision nur allgemein darauf, dass sie Urlaubsansprüche der entsendeten Arbeitnehmer nach dem Vertragsstatut befriedigt habe. Den Ausführungen in der außerordentlichen Revision lässt sich jedoch nicht entnehmen, weshalb ihr die Einhaltung der sich aus dem BUAG ergebenden Vorgangsweise nicht möglich oder zumutbar gewesen wäre, durch die die Befriedigung der den Arbeitnehmern während ihrer Entsendung entstandenen Ansprüche über die Klägerin erfolgt wäre und eine „Doppelbelastung“ durch deckungsgleiche Ansprüche hätte vermieden werden können.
6. Auch der Europäische Gerichtshof hat in der Entscheidung vom 25. 10. 2001 (C-49/98, Finalarte) zur vergleichbaren deutschen Regelung im AEntG ausgeführt, dass die Artikel 59 und 60 EG-Vertrag dem nicht entgegenstehen, dass ein Mitgliedstaat ein in einem anderen Mitgliedstaat ansässiges Unternehmen, das eine Dienstleistung im Gebiet des ersten Mitgliedstaats erbringt, einer nationalen Regelung wie derjenigen des § 1 Abs 3 Satz 1 AEntG unterwirft, durch die den zu diesem Zweck von dem Unternehmen entsandten Arbeitnehmern Urlaubsansprüche garantiert werden, sofern zum einen die Arbeitnehmer nach den Rechtsvorschriften des Niederlassungsmitgliedstaats ihres Arbeitgebers keinen im Wesentlichen vergleichbaren Schutz genießen, sodass die Anwendung der nationalen Regelung des ersten Mitgliedstaats ihnen einen tatsächlichen Vorteil verschafft, der deutlich zu ihrem sozialen Schutz beiträgt, und zum anderen die Anwendung dieser Regelung des ersten Mitgliedstaats im Hinblick auf das verfolgte im Allgemeininteresse liegende Ziel verhältnismäßig ist (Rn 53).
In der Entscheidung vom 18. 7. 2007 (C-490/04, Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Bundesrepublik Deutschland) wiederholte der EuGH, dass die Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht zwei Voraussetzungen habe, deren Erfüllung das nationale Gericht zu prüfen habe. Dieses muss untersuchen, ob die deutschen Rechtsvorschriften über bezahlten Urlaub den Arbeitnehmern, die von außerhalb Deutschlands ansässigen Dienstleistungserbringern entsandt worden seien, einen tatsächlichen zusätzlichen Schutz gewährten und ob die Anwendung dieser Rechtsvorschriften im Hinblick auf die Verwirklichung des Ziels des sozialen Schutzes dieser Arbeitnehmer verhältnismäßig sei (Rn 46). Der Kommission sei nicht gelungen, Anhaltspunkte zu liefern, anhand derer eine Unvereinbarkeit von § 1 AEntG mit Art 49 EG festgestellt werden könnte (Rn 50).
Zu den vom EuGH angesprochenen Kriterien wurde bereits in der Entscheidung 8 ObA 2/11v in Punkt 8. ausgeführt: „Eine überbetriebliche Urlaubskasse bietet schon abstrakt ein höheres Schutzniveau als gesetzliche Urlaubsansprüche gegen den individuellen Arbeitgeber (vgl auch § 13 Abs 2 dBUrlG). Ihr herausragender Zweck und Vorteil liegt in Branchen mit hoher Fluktuation darin, die Urlaubsansprüche zum nächsten Arbeitgeber mitnehmen zu können und zu gewährleisten, dass ein zusammenhängender Erholungsurlaub tatsächlich konsumiert und nicht nur finanziell abgegolten werden kann. Darüber hinaus steht damit den Arbeitnehmern eine Institution zur Verfügung, die durch Eintreibung der Beiträge dafür sorgt, dass die Urlaubsansprüche auch tatsächlich gewährt werden, weil sie es für Arbeitgeber unattraktiv macht, sich ihnen zu entziehen. Den Arbeitnehmern wird erspart, ihre Ansprüche in gerichtlichen Verfahren gegen den Arbeitgeber durchsetzen zu müssen. Im Fall einer grenzüberschreitenden Entsendung können die behördlichen Kontrollmechanismen im Empfangsstaat bei bloß gesetzlichen oder vertraglichen Ansprüchen außerdem nicht sicherstellen, dass sie nach Ende der Entsendung im Herkunftsland tatsächlich gewährt bzw bezahlt werden.“
Aufgrund der im Wesentlichen der deutschen Regelung entsprechenden Bestimmungen des BUAG besteht daher keine Veranlassung zu einer neuerlichen Befassung des EuGH.
7. Die Einrede der Verjährung berührt den Grund des Anspruchs, muss daher schon im Zwischenverfahren erledigt werden und kann im Verfahren über die Höhe des Anspruchs grundsätzlich nicht mehr nachgetragen werden (vgl 10 Ob 110/05g ua). Allerdings kann sich die Präklusionswirkung des Zwischenurteils nur auf solche, den Anspruchsgrund betreffende Tatsachen und Einwendungen erstrecken, die vor Schluss der Verhandlung über den Grund des Anspruchs eingetreten waren und in diesem Verfahrensabschnitt geltend gemacht werden konnten. Betrifft der Verjährungseinwand lediglich Anspruchsteile, die nach Fällung des Zwischenurteils (durch Klagsausdehnung) geltend gemacht wurden, dann konnte insoweit vorher Verjährung nicht eingewendet werden und es betrifft dann dieser Einwand nicht den Grund des Anspruchs, sondern dessen Höhe (RIS-Justiz RS0040736 [T3]).
8. Mit dem Einwand der Verjährung in Bezug auf die nach Erlassung des Zwischenurteils ausgedehnten Ansprüche hat sich das Berufungsgericht ausführlich auseinandergesetzt. Die außerordentliche Revision unterlässt es darzulegen, aus welchen Gründen diese Beurteilung unrichtig erscheint und setzt sich mit den Argumenten in der Berufungsentscheidung nicht auseinander. Insoweit ist die Rechtsrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt (RIS-Justiz RS0043605).
Zusätzlich ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die außerordentliche Revision auch nicht darstellt, weshalb die zweijährige Einforderungsverjährung des § 29 Abs 1 lit b BUAG vor Rechtskraft der entsprechenden Vorschreibung (im konkreten Fall daher vor Rechtskraft des die zu zahlenden Zuschläge festsetzenden Urteils) – und der damit auch erstmals gegebenen Möglichkeit der exekutiven Einbringlichmachung – zu laufen beginnen sollte. Zutreffend hat das Berufungsgericht auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zur vergleichbaren Bestimmung des § 68 ASVG verwiesen, wonach dem Gesetzgeber, der bei der Feststellungsverjährung eine längere Frist vorgesehen hat als bei der Einhebungsverjährung, nicht ein Norminhalt zugesonnen werden könne, nach welchem eine zB bescheidmäßige Feststellung der Beitragspflicht gleichsam ins Leere ginge, wenn sie zwar unter dem Aspekt der Feststellungsverjährung rechtzeitig wäre, unter dem Aspekt der Einhebungsverjährung aber dann nicht mehr vollstreckt werden könnte, weil dieser Bescheid zB mehr als zwei Jahre nach der erstmaligen Erlassung eines Rückstandsausweises erlassen worden sei (VwGH 2004/08/0099). Insoweit wäre für die Beklagte auch durch eine analoge Anwendung des § 68 ASVG nichts zu gewinnen.
9. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
Textnummer
E124664European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:009OBA00111.18S.0328.000Im RIS seit
18.04.2019Zuletzt aktualisiert am
15.05.2020