Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 2. April 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Rögner als Schriftführerin in der Strafsache gegen H***** wegen der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 20. September 2018, GZ 16 Hv 90/18k-62, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung werden zurückgewiesen.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde H***** (je) der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (I./) und des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB (II./) schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
Danach hat er vom 3. bis 5. April 2018 in G*****
I./ K***** mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem er ihr wiederholt Schläge mit der flachen Hand am ganzen Körper versetzte, bis sie ihren Widerstand aufgab und sodann mehrfach den vaginalen Geschlechtsverkehr an ihr vollzog,
II./ im Zuge der Tathandlungen zu Punkt I./ eine Person, die wegen einer geistigen Behinderung unfähig ist, die Bedeutung des Vorgangs einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, unter Ausnützung dieses Zustands dadurch missbraucht, dass er mit ihr den Beischlaf vornahm, indem er in mehrfachen Angriffen an der aufgrund ihrer körperlichen und geistigen Beeinträchtigung sexuell dispositionsunfähigen K***** unter Ausnützung dieses Zustands den vaginalen Geschlechtsverkehr vornahm, „wobei er sie zudem körperlich misshandelte“.
Nach Urteilsverkündung nahm der – durch Rechtsanwalt Mag. F***** als Substitut für den bestellten Verfahrenshilfeverteidiger Rechtsanwalt Dr. S***** (vgl ON 16) vertretene (vgl ON 61 S 2) – Angeklagte drei Tage Bedenkzeit (ON 61 S 19) bzw gab keine Erklärung ab (ON 61 S 22). Eine Belehrung des Angeklagten über die ihm zustehenden Rechtsmittel ist nicht protokolliert (vgl ON 61 S 18 f).
Laut einem Kanzleivermerk vom 24. September 2018 kam Mag. F***** als Substitut für Dr. S***** zu Gericht und gab an, dass H***** gegen das Urteil vom 20. September 2018 zu AZ 16 Hv 90/18k das Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung (wegen der Aussprüche über die Strafe und die privatrechtlichen Ansprüche) anmelde (ON 1 S 27). Unter diesem Vermerk findet sich neben der Paraphe des aufnehmenden Gerichtsbediensteten eine (offenbar) von Mag. F***** stammende Unterschrift samt „24. 09. 2018“ (ON 1 S 27).
Nach Zustellung der schriftlichen Urteilsausfertigung an den Verfahrenshilfeverteidiger (Zustellnachweis bei ON 62; vgl RIS-Justiz RS0071976) brachte Rechtsanwalt Mag. F***** am 8. Jänner 2019 – unter Berufung auf die ihm erteilte Substitutionsvollmacht (vgl ON 68 S 3) – eine Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung ein (ON 68).
Rechtliche Beurteilung
Dieser Rechtsmittelausführung, in der die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO geltend gemacht werden, liegt keine wirksame Rechtsmittelanmeldung zugrunde:
Gemäß § 284 Abs 1 erster Satz StPO ist die Nichtigkeitsbeschwerde – ebenso wie die Berufung (§ 294 Abs 1 erster Satz StPO) – binnen drei Tagen nach Verkündung des Urteils beim Landesgericht anzumelden.
Eine verfehlte oder unterlassene Rechtsmittelbelehrung ändert nichts am Beginn dieser Frist (Ratz, WK-StPO § 284 Rz 9; Danek, WK-StPO § 268 Rz 15), die demnach – infolge des Wochenendes am 22. und 23. September 2018 – mit Ablauf des 24. September 2018 endete (vgl § 84 Abs 1 Z 5 StPO).
Die in § 84 Abs 2 StPO idF BGBl I 2004/19 vorgesehene generelle Möglichkeit protokollarischen Anbringens in Strafsachen wurde mit dem Budgetbegleitgesetz 2011 (BGBl I 2010/111) beseitigt (vgl § 84 Abs 2 StPO idgF). Nach den EBRV sollte „die Möglichkeit der protokollarischen Anmeldung einer Nichtigkeitsbeschwerde (§ 285a Z 3 StPO) und einer Berufung vor den Bezirksgerichten (§ 467 Abs 4 StPO) […] beibehalten werden, weil die sofortige Anmeldung nach Erteilung der Rechtsmittelbelehrung in der Hauptverhandlung keinen besonderen Mehraufwand erzeugt“ (EBRV 981 BlgNR 24. GP 92).
Nach dem Willen des historischen Gesetzgebers und wie auch aus den an eine mündliche Rechtsmittelanmeldung anknüpfenden §§ 285a Z 3 und 467 Abs 4 (§ 489 Abs 1 zweiter Satz) StPO und der auf eine Anmeldung „sogleich bei Verkündung des Urteils“ bezugnehmenden Bestimmung des § 284 Abs 3 StPO hervorgeht, kann die Nichtigkeitsbeschwerde (und auch die Berufung) weiterhin mündlich, wenngleich nur unmittelbar nach Urteilsverkündung gegenüber dem Verhandlungsrichter angemeldet werden (Hetlinger, JBl 2011, 338, 341; Ratz, WK-StPO § 284 Rz 10; Weiß in Schmölzer/Mühlbacher, StPO § 284 Rz 1, 7; Murschetz, WK-StPO § 84 Rz 11). Eine – im Übrigen stets nur gegenüber einem Richter zulässig gewesene (vgl RIS-Justiz RS0121691, RS0101785) – mündliche Rechtsmittelanmeldung zu einem späteren Zeitpunkt innerhalb der dreitägigen Frist außerhalb der zum Urteil führenden Gerichtssitzung entfaltet hingegen keine Wirkung (vgl die bereits zitierten Autoren). Die in einem – wenn auch allenfalls vom Verteidiger (mit-)unterfertigten – Kanzleivermerk festgehaltene mündliche Erklärung des Verteidigers vom 24. September 2018, Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung anzumelden, stellt demnach keine wirksame Rechtsmittelanmeldung iSv § 84 Abs 2 StPO (§ 81 GOG, § 58 Geo) dar. Der Vollständigkeit halber sei für schriftliche Eingaben von Rechtsanwälten und Verteidigern auf § 89c Abs 5, Abs 6 GOG (RIS-Justiz RS0128921) verwiesen.
In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung des Verteidigers, war die Nichtigkeitsbeschwerde bereits bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen, weil ihr keine wirksame Anmeldung zugrunde liegt (§ 285d Abs 1 Z 1 StPO iVm § 285a Z 1 StPO). Gleiches gilt für die ebenfalls ohne wirksame Anmeldung ausgeführte Berufung (§§ 294 Abs 4, 296 Abs 2 StPO).
Anzumerken verbleibt, dass die in der nunmehr eingebrachten Beschwerde geltend gemachten Nichtigkeitsgründe dem Urteil nicht anhaften und auch kein Anlass zu amtswegigem Vorgehen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall oder § 362 Abs 1 Z 1 StPO) besteht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Textnummer
E124677European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0110OS00026.19M.0402.000Im RIS seit
18.04.2019Zuletzt aktualisiert am
21.01.2022