TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/29 G304 2126599-1

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Veröffentlicht am 29.11.2018
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Entscheidungsdatum

29.11.2018

Norm

AsylG 2005 §55 Abs1
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

G304 2126599-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Beatrix LEHNER als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX, geb. XXXX, StA.: Bosnien und Herzegowina, vertreten durch RA Mag. Doris EINWALLNER, Schönbrunner Straße 26/3, 1050 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.04.2016, Zl. XXXX, zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG

festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

Dem Beschwerdeführer wird gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), Regionaldirektion Wien, der rechtsfreundlichen Vertreterin der Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) zugestellt am 26.04.2016, wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt, gegen die BF gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß 46 FPG nach Bosnien und Herzegowina zulässig ist (Spruchpunkt II.), gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt (Spruchpunkt III.).

2. Mit dem am 12.05.2016 beim BFA, RD Wien, eingelangten und mit 10.05.2016 datierten Schriftsatz erhob die BF durch ihre rechtsfreundliche Vertreterin Beschwerde gegen den oben angeführten Bescheid. Darin wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung durchführen, den gegenständlichen Bescheid dahingehend abändern, dass eine Rückkehrentscheidung für unzulässig erklärt und ihr eine "Aufenthaltsberechtigung plus" erteilt wird, in eventu den gegenständlichen Bescheid aufheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückverweisen.

3. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) am 19.05.2016 vom BFA vorgelegt.

4. Das BVwG beraumte in der Folge für den 14.07.2016 eine öffentliche mündliche Verhandlung an, an welcher die BF und deren rechtsfreundliche Vertreterin erschienen. Ein Vertreter der belangten Behörde ist bei der Verhandlung unentschuldigt nicht erschienen.

Diese Verhandlung gestaltete sich auszugsweise wie folgt (VR=

verhandlungsleitende Richterin, RV= rechtsfreundliche Vertreterin,

BF= BF):

"VR: Sind die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zu Ihrem Namen und Geburtsdatum sowie zu Ihrer Staatsangehörigkeit korrekt?

BF: Ja.

VR: Gehören Sie einer bestimmten ethnischen Gruppe bzw. Volks- oder Sprachgruppe an?

BF: Nein.

VR: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an?

BF: Moslime.

VR: Sind Sie verheiratet oder leben Sie in einer eingetragenen Partnerschaft oder sonst in einer dauernden Lebensgemeinschaft?

BF: Nein.

VR: Sind Sie verlobt oder beabsichtigen Sie in nächster Zeit zu heiraten?

BF: Nein.

VR: Haben Sie leibliche oder adoptierte Kinder?

BF: Nein.

VR: Haben Sie in Ihrem Herkunftsstaat eine Schulausbildung absolviert bzw. einen Beruf erlernt?

BF: Ich habe das Gymnasium in Bosnien abgeschlossen.

VR: Womit haben Sie sich in Ihrem Herkunftsstaat Ihren Lebensunterhalt verdient bzw. wer ist für Ihren Lebensunterhalt aufgekommen?

BF: Meine Eltern haben meinen Unterhalt finanziert.

Zur derzeitigen Situation in Österreich:

VR: Unterhalten Sie von Österreich aus noch Bindungen an Ihren Herkunftsstaat, insbesondere Kontakte zu dort lebenden Familienangehörigen, Verwandten, Freunden oder zu sonstigen Personen? Wenn ja, wie sieht dieser Kontakt konkret aus (telefonisch, brieflich, per E-Mail) bzw. wie regelmäßig ist dieser Kontakt?

BF: Meine Eltern sind nach wie vor in Bosnien. Mein Vater reist drei bis viermal jährlich geschäftlich nach Deutschland, dann besucht er micht. Ich telefoniere jeden Tag mit meinen Eltern. Meine Mutter besucht mich einmal im Jahr in Österreich. Im Sommer fahre ich in während der Ferien zu meinen Eltern. Ich war mittlerweile seit einem Jahr nicht mehr in Bosnien. Mein Bruder ist ebenfalls in Bosnien.

VR: Haben Sie in Österreich lebende Familienangehörige oder Verwandte?

BF: Ich habe in Österreich einen Cousin, diesen Cousin sehe ich jede Woche. Einen anderen Cousin sehe ich immer, wenn er beruflich in Österreich ist.

VR: Haben Sie Arbeit in Österreich? Gehen Sie einer regelmäßigen Beschäftigung nach?

BF: Ich habe eine Einstellungszusage, die bereits vorgelegt wurde. Aktuell arbeite ich nicht.

VR: Beziehen Sie derzeit Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung (zB Taschengeld, Unterkunft)?

BF: Nein. Ich werde von meinem Vater unterstützt.

VR: Besuchen Sie in Österreich bestimmte Kurse, eine Schule oder eine Universität oder sind Sie aktives Mitglied in einem Verein oder haben Sie sonstige soziale Kontakte, die Sie erwähnen möchten?

BF: Ich studiere aktuell Anglistik, nachdem ich die Studienrichtung gewechselt habe.

VR: Wurden Sie in Österreich jemals von einem Gericht wegen einer Straftat verurteilt?

BF: Nein.

VR: Könnten Sie wieder in Bosnien leben ohne das damit Ihr Unterhalt bedroht wäre?

BF: Ich könnte jederzeit wieder bei meinen Eltern leben. Ich bin nach Österreich gekommen, um hier erfolgreich zu studieren und dann eine gute Arbeitsstelle zu finden. Mein Cousin ist nach Österreich gekommen und hat hier mit guten Noten studiert, hat einen guten Job gefunden und ist mittlerweile österreichischer Staatsbürger. Dieses Ziel hatte ich auch . In Bosnien sind die wirtschaftlichen Umstände schlechter als in Österreich

RV: Wo wollen Sie leben?

BF: Ich fühle mich hier wie zu Hause. Bosnien ist für mich wie Urlaub. In Österreich habe ich alle meine Freunde. Ich habe hier mein eigenes Leben. Ich habe hier bessere Chancen meine Wünsche und Ambitionen zu verwirklichen.

RV: Alle Ihre freundschaftlichen Beziehungen sind in Österreich?

BF: Ja.

RV: Wann und warum ist es zu Schwierigkeiten im Studium gekommen?

BF: Ich bin in das Sprachgymnasium gegangen. Sprachen liegen mir besser. Es war der Wunsch meines Vaters ein Wirtschaftsstudium abzuschließen. Das Studium lag mir allerdings nicht und studiere ich jetzt endlich etwas, das ich wirklich mag. Ich habe den Studienerfolg nicht nachweisen können, weil ich genau bei einer Prüfung viermal gescheitert bin und dann für dieses Studium gesperrt war. Ich habe für diese Prüfung viel gelernt, hatte aber denke ich auch ein wenig Pech bei der Prüfung. Es hat ein halbes Jahr gedauert bis ich den Bescheid der Zulassung zum Anglistikstudium nachweisen konnte.

VR: Wie setzt sich Ihr Freundeskreis zusammen?

BF: Geschätzte 40 % meiner Freunde sind österreichische Staatsbürger. Der Rest sind EU-Bürger und auch Drittstaatsangehörige.

VR: Haben Sie in Bosnien Freunde?

BF: Ich habe in Bosnien eine Freundin, noch aus Gymnasiumszeiten, wir haben aber eher nur mehr oberflächlichen Kontakt. Ansonsten habe ich noch meine Cousine, mit der ich täglich telefoniere.

RV: Sind die Freunde in Österreich, mit Migrationshintergrund dauerhaft in Österreich?

BF: Es sind alle meine Freunde dauerhaft in Österreich. Einige sind österreischische Staatsbürger mit Migrationshintergrund. Wenn ich diese Personen mitberücksichtige sind mehr als 40% meiner Freunde Österreicher."

5. Mit Schriftsatz vom 04.08.2016 brachte die BF durch ihre rechtsfreundliche Vertreterin im Wesentichen zusammengefasst vor, dass der Umstand, dass sie bis zum rechtskräftigen Abschluss ihers Verfahrens zur Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung stets nur über einen befristeten Aufenthaltstitel verfügt habe, die in dieser Zeit erfolgte Integration bzw. die Schutzwürdigkeit des in Österreich bestehenden Privatlebens nicht mindere. Durch den bekämpften Bescheid werde sie in ihrem Recht auf Privatleben gemäß Art. 8 EMRK verletzt.

6. Mit Erkenntnis des BVwG vom 13.10.2016 wurde die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen.

7. Gegen dieses Erkenntnis wurde fristgerecht Revision erhoben.

8. Mit Erkenntnis des VwGH vom 08.11.2018, Zl. Ra 2016/22/0120-11, wurde 1. der Beschluss gefasst, dass die Revision, soweit sie sich gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 wendet, als unzuläsig zurückgewiesen werde, und 2. Zu Recht erkannt, dass im Übrigen das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben werde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die BF ist Staatsangehörige von Bosnien und Herzegowina und somit Drittstaatsangehörige im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 10 FPG. Die BF verfügt über einen bis 23.01.2025 gültigen Reisepass von Bosnien und Herzegowina.

Die BF ist seit 08.05.2007 durchgehend in Österreich behördlich gemeldet und wurde ihr erstmals mit 10.04.2007 ein Aufenthaltstitel "Studierende" erteilt, der in der Folge mehrmals verlängert wurde. Die BF war zuletzt auf Grund einer Aufenthaltsbewilligung für Studierende (§ 64 NAG) mit Gültigkeit bis 05.04.2015 (Aufenthaltstitel Nr. 29121739) rechtmäßig in Österreich aufhältig.

Am 03.04.2015 stellte die BF beim Magistrat XXXX einen Verlängerungsantrag, welcher mit Bescheid des Landeshauptmannes XXXX, XXXX, vom 19.08.2015, XXXX, gemäß § 64 Abs. 3 NAG, § 8 Z. 7 lit. b NAG-DV, § 75 Universitätsgesetz, mangels Nachweises eines Studienerfolges abgewiesen wurde. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes XXXX vom 13.01.2016, XXXX, als unbegründet abgewiesen.

Die BF hält sich seither unrechtmäßig im Bundesgebiet auf.

Sie verfügt abseits eines Cousins über keine familiären Bindungen in Österreich. Die Eltern der BF sowie ein Bruder sind nach wie vor in Bosnien und Herzegowina wohnhaft. Die BF verfügt insofern über Deutschkenntnisse auf dem Niveau B2, als sie die Ergänzungsprüfung aus Deutsch erfolgreich absolviert hat.

Die BF war ab 25.11.2011 bis einschließlich Oktober 2018 im Bundesgebiet geringfügig beschäftigt. Sie hat auch eine Einstellungszusage erhalten. Zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes wird sie von ihrem Vater finanziell unterstützt.

2. Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Verfahrensgang und der festgestellte Sachverhalt ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.

Die Feststellungen hinsichtlich der der bisher BF erteilten Aufenthaltsberechtigungen basieren auf dem unstrittigen und unzweifelhaften Akteninhalt und entsprechen diese dem Amtswissen (Einsichtnahme in das Informationssystem des Bundes).

Die Feststellungen betreffend die Deutschkenntnisse der BF auf dem Niveau B2 ergeben sich aus dem im Akt einliegenden Zeugnis über die Ergänzungsprüfung aus Deutsch der Universität Wien vom 27.11.2007.

Die Feststellung bezüglich der bisherigen beruflichen Tätigkeiten der BF in Österreich basiert auf dem unstrittigen und unzweifelhaften Akteninhalt und entspricht diese dem Amtswissen (Einsichtnahme in den Versicherungsdatenauszug der Österreichischen Sozialversicherung). Die Feststellung betreffend die Einstellungszusage ergibt sich aus dem von der BF vorgelegten arbeitsrechtlichen Vorvertrag vom 29.06.2016.

Die Feststellungen betreffend die familiären Anbindungen der BF im Bundesgebiet und in ihrem Herkunftsstaat ergeben sich aus dem glaubwürdigen Vorbringen der BF.

Die Feststellung, dass die BF von ihrem Vater finanziell unterstützt wird, ergibt sich aus ihren eigenen Angaben und dem im Akt einliegenden Schreiben des Vaters der BF vom 10.02.2016.

In der vorliegenden Beschwerde wurde kein dem festgestellten Sachverhalt entgegenstehendes oder darüber hinaus gehendes Vorbringen in konkreter und substantiierter Weise erstattet.

Der oben festgestellte Sachverhalt wird daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit:

Gemäß § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, und § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, entscheidet das BVwG über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA.

Da sich die gegenständliche - zulässige und rechtzeitige - Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA richtet, ist das BVwG für die Entscheidung zuständig.

3.2. Zur Abweisung der Beschwerde betreffend Rückkehrentscheidung:

3.2.1. Gemäß § 52 Abs. 1 FPG hat das BFA gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält (Z 1) oder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde (Z 2).

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das BFA mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

Gemäß § 58 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 hat das BFA die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.

Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 hat das BFA einen Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG rechtskräftig auf Dauer unzulässig erklärt wurde; § 73 AVG gilt.

Gemäß § 58 Abs. 3 AsylG 2005 hat das BFA über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 AsylG 2005 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 BFA-VG lautet:

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden, wenn

1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, es sei denn, eine der Voraussetzungen für die Erlassung eines Einreiseverbotes von mehr als fünf Jahren gemäß § 53 Abs. 3 Z 6, 7 oder 8 FPG liegt vor, oder

2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt."

3.2.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich:

Mit Erkenntnis des BVwG vom 13.10.2016 wurde die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen.

Mit Erkenntnis des VwGH vom 08.11.2018, Zl. Ra 2016/22/0120-11, wurde 1. die Revision, soweit sie sich gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 wendet, als unzulässig zurückgewiesen, und 2. das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Begründend für die Behebung wurde ausgeführt, dass im Erkenntnis des BVwG vom 13.10.2016 in Bezug auf die für die Abweisung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 gleichermaßen wie für die Erlassung der Rückkehrentscheidung maßgebliche Interessensabwägung gemäß § 9 BFA-VG von der Rechtsprechung des VwGH abgewichen ist.

Der VwGH betonte, dass aufgrund des zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG sich die BF jedenfalls bereits neuneinhalb Jahre lang und davon die weit überwiegende Zeit rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe und bereits deswegen von einem Überwiegen der persönlichen Interessen auszugehen sei. Es könne auch nicht ausgegangen werden, dass die BF die Zeit ihres Aufenthalts überhaupt nicht genützt hätte, um sich in Österreich zu integrieren.

Die BF hält sich zum gegenständlichen Entscheidungszeitpunkt bereits elfeinhalb Jahre lang im Bundesgebiet auf und verfügte seit April 2007 über wiederholt verlängerte Aufenthaltsbewilligungen für Studierende, zuletzt mit Gültigkeit bis zum 05.04.2015. Ein von ihr am 03.04.2015 gestellter weiterer Verlängerungsantrag wurde mit Bescheid des Landeshauptmanns XXXX vom 19.08.2015 abgewiesen, ihre Beschwerde dagegen wurde mit Erkenntnis des VwGHXXXX vom 13.01.2016 - nach der Aktenlage zugestellt am darauffolgenden Tag - als unbegründet abgewiesen. Seit rechtskräftiger Entscheidung am 13.01.2016 hält sich die BF unrechtmäßig im Bundesgebiet auf.

Zum gegenständlichen Entscheidungszeitpunkt, zu welchem sich die BF bereits seit elfeinhalb Jahre lang im Bundesgebiet aufhält, davon die ersten achteinhalb Jahre lang rechtmäßig, ist § 9 Abs. 6 BFA-VG von Relevanz. Nach dieser Bestimmung, die auch zum Zeitpunkt der Entscheidung des Erkenntnisses des BVwG vom 13.10.2016 bestand, darf gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen.

Da die BF während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet sich nichts zuschulden kommen lassen hat und keine Voraussetzung nach § 53 Abs. 3 FPG erfüllt, sondern im Gegenteil vielmehr einige berücksichtigungswürdige Integrationsschritte im Bundesgebiet gesetzt hat - die Ergänzungsprüfung Deutsch abgelegt und Deutschkenntnisse auf dem Niveau B2 erworben und zudem jahrelang neben ihrem Studium geringfügigen Beschäftigungen nachgegangen, zuletzt bis Oktober 2018, und auch eine Einstellungszusage erhalten hat, ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung jedenfalls nicht zulässig und für auf Dauer unzulässig zu erklären.

§ 55 AsylG lautet:

"§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird."

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen."

Das Modul 1 nach § 7 Abs. 2 Z. 1 IntG dient dem Erwerb von Kenntnissen der deutschen Sprache zur vertieften elementaren Sprachverwendung auf dem Sprachniveau A2 gemäß dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen und der Vermittlung der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung.

Die BF legte ein Zeugnis über die Ergänzungsprüfung aus Deutsch von November 2007 zur Zulassung zu einem ordentlichen Studium in Österreich vor.

Mit dem vorgelegten "Zeugnis über die Ergänzungsprüfung aus Deutsch" von November 2007 hat die BF jedenfalls das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 56 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 erfüllt, wobei noch anzumerken ist, dass in der Beschwerdeverhandlung am 14.07.2016 kein Dolmetscher beigezogen werden musste.

Da sie mit ihrem vorgelegten Zeugnis jedenfalls nach § 9 Integrationsgesetz Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt, erfüllt sie neben der Voraussetzung nach § 55 Abs. 1 Z. 1 AsylG auch eine Voraussetzung nach § 55 Abs. 1 Z. 2 AsylG, weshalb ihr nach § 55 Abs. 1 AsylG eine "Aufenthaltsberechtigung plus" erteilt wird.

3.4. Zu Spruchpunkt B. (Unzulässigkeit der Revision):

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus, Deutschkenntnisse, Integration,
Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:G304.2126599.1.00

Zuletzt aktualisiert am

17.04.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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