TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/23 G311 2197077-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.01.2019
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Entscheidungsdatum

23.01.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §18 Abs1 Z2
BFA-VG §18 Abs1 Z4
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a

Spruch

G311 2197077-1/20E

Schriftliche Ausfertigung des am 10.08.2018 mündlich verkündeten Erkenntnisses:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Eva WENDLER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX,

Staatsangehörigkeit: Irak, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für

Fremdenwesen und Asyl vom 27.04.2018, Zahl: XXXX, betreffend die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz sowie die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.08.2018, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am 28.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005.

Am 29.11.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers im Asylverfahren statt. Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab er an, er sei von schiitischen Milizen in Bagdad bedroht worden, weil er und seine Familie der Glaubensrichtung der Sunniten angehören würden. Seine Familie habe deshalb in ein anderes Viertel von Bagdad umziehen müssen. Dennoch sei der Beschwerdeführer von den schiitischen Milizen weiterhin bedroht worden. Im Falle einer Rückkehr fürchte er sich vor einer Eskalation der Situation zwischen Schiiten und Sunniten und vor weiteren Bedrohungen.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX.2018, Zahl XXXX, wurde der Beschwerdeführer wegen versuchten Diebstahls gemäß §§ 15, 127 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Wochen und einer Probezeit von drei Jahren rechtskräftig verurteilt.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX.2018, Zahl XXXX, wurde der Beschwerdeführer wegen Suchtgiftdelikten gemäß §§ 27 Abs. 1 Z 1 erster, zweiter und achter Fall, 27 Abs. 2 SMG zu einer Geldstrafe in Höhe von 50 Tagessätzen à EUR 4,00 (somit insgesamt EUR 200,--) und im Nichteinbringungsfall zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 25 Tagen rechtskräftig verurteilt.

Die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Kärnten, fand am 24.04.2018 statt.

Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass wegen der Zugehörigkeit seiner Familie zu den Sunniten sowohl das Haus seiner Familie als auch jenes seiner Tante von Schiiten im Jahr 2010 gesprengt worden seien. Daraufhin sei die Familie in einen anderen Stadtteil verzogen, jedoch hätten auch die dort lebenden Schiiten die Familie nicht in Ruhe gelassen. Man wisse nie, ob man getötet, verfolgt oder entführt werde. Es gäbe keine Sicherheit, Arbeit und Zukunftschancen im Irak. Der Beschwerdeführer sei persönlich nie bedroht worden, aber sein Bruder schon. Dieser sei zwar freiwillig in den Irak zurückgekehrt, aber bereits zwei Tage danach wieder in die Türkei ausgereist. Der Beschwerdeführer habe keine Probleme mit irakischen Behörden oder Gerichten gehabt, sei kein Parteimitglied gewesen, sei nicht inhaftiert oder festgenommen, oder aus politischen oder persönlichen Gründen wie etwa wegen Religion, Rasse, Nationalität oder sozialer Gruppe verfolgt oder bedroht worden. Im Falle einer Rückkehr wisse er nicht, was passieren werde. Es sei praktisch keine Regierung vorhanden und die Milizen würden machen was sie wollen.

Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes wurde der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), der Antrag bezüglich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.), dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt IV.). Es wurde festgestellt, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist zur freiwilligen Ausreise besteht (Spruchpunkt V.), darüber hinaus einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 und 4 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.) sowie gemäß "§ 53 Fremdenpolizeigesetz" gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von vier Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Begründend wurde zur Abweisung des Antrages des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowie zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer keiner konkreten persönlichen asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung im Irak ausgesetzt war oder eine solche zukünftig zu befürchten wäre. Der Beschwerdeführer habe den Irak vielmehr aus wirtschaftlichen Gründen verlassen. Eine Rückkehr in den Irak sei ihm zumutbar und möglich. Seine gesamte Familie lebe nach wie vor dort. Von allfälligen negativen Lebensumständen im Irak sei der Beschwerdeführer nicht in höherem Maße betroffen als jeder andere Staatsbürger in vergleichbarer Lage. Zum Einreiseverbot wurde sodann begründend ausgeführt, dass die Aufzählung des § 53 FPG eine demonstrative und demnach nicht als abschließend anzusehen sei. Es seien daher auch weitere Verhaltensweisen, welche die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden würden, jedenfalls auch zur Rechtfertigung eines Einreiseverbotes geeignet. Der Beschwerdeführer sei mehrfach straffällig und strafgerichtlich verurteilt worden. Er habe auch eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen müssen. Die hohe Anzahl an Straffälligkeiten bzw. Verwaltungsübertretungen innerhalb eines sehr kurzen Zeitraumes und vor allem die Tatsache, dass der Beschwerdeführer mehrfach wegen derselben Vergehen angezeigt bzw. verurteilt worden sei, lasse eine eindeutige schädliche Neigung erkennen. Es liege eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit vor, da der Beschwerdeführer in regelmäßigen Abständen Straftaten begangen und offen angegeben habe, illegale Drogen zu konsumieren. Aus der Gesamtbeurteilung des Verhaltens des Beschwerdeführers und der daraus abzuleitenden Gefährdungsprognose werde ein Einreiseverbot in der Dauer von vier Jahren erlassen.

Zudem traf die belangte Behörde umfangreiche Länderfeststellungen zur allgemeinen Lage im Irak.

Der Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 01.05.2018 zugestellt.

Mit dem am 28.05.2018 beim Bundesamt eingebrachten Schriftsatz vom 25.05.2018 erhob der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Rechtsvertretung das Rechtsmittel der Beschwerde gegen den ihn betreffenden Bescheid des Bundesamtes. Darin wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge der Beschwerde stattgeben und dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG, in eventu den Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG, zuerkennen; in eventu feststellen, dass die erlassene Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist und die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 AsylG vorliegen sowie eine solche dem Beschwerdeführer von Amts wegen zu erteilen, oder den angefochtenen Bescheid aufzuheben und zur neuerlichen Entscheidung an das Bundesamt zurückzuverweisen, eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchführen; Spruchpunkt VII. (Einreiseverbot) ersatzlos beheben; in eventu die Dauer des Einreiseverbotes verkürzen, sowie der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkennen.

Begründend wurde zur Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz ausgeführt, dass der Beschwerdeführer sunnitischer Araber sei und vorgebracht habe, wegen der Furcht vor Verfolgung durch schiitische Milizen den Irak verlassen zu haben. Bereits 2010 sei das Haus seiner Tante gesprengt worden, weil die Familie den Sunniten zugehöre. Die Probleme hätten nach einem Umzug in ein anderes Stadtviertel Bagdads weiterbestanden. Die belangte Behörde habe es unter Verletzung der Verfahrensvorschriften unterlassen, den Beschwerdeführer zu seinem Vorbringen, dass seine Freunde Häuser zerstört hätten "und dies und jenes tun wollten" zu befragen. Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) habe in seiner Entscheidung zur Zahl Ra 2017/19/0141 vom 18.10.2017 ausgesprochen, dass Sunniten im Irak GFK-relevanter Gruppenverfolgung unterliegen könnten. Aus den in der Beschwerde angeführten Quellen gehe hervor, dass im Irak "religiös motivierte Säuberungen" in Bezug auf Sunniten und systematische Vertreibungen unter Gewaltanwendung stattfinden würden. Die bewaffneten schiitischen Milizen würden in vielen Landesteilen die staatlichen Sicherheitskräfte ergänzen, ersetzen und auch unterwandern sowie systematisch Sunniten suchen und ermorden. Dazu würden auch die geltenden Anti-Terrorgesetze missbraucht werden. Dies gelte auch für die einigermaßen als sicher, frei und offen geltenden Provinzen wie Kurdistan oder auch Bagdad. Sunniten werde eine innerstaatliche Fluchtalternative in kurdische Gebiete verwehrt und könnten sie auch keinen Schutz von den militant-schiitisch unterwanderten Polizeikräften erwarten. Der Beschwerdeführer habe weiters vorgebracht, wegen der schlechten Lage im Irak geflohen zu sein. Ihm wäre zumindest der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen gewesen. Zur Rückkehrentscheidung werde ausgeführt, dass das Bundesamt nicht berücksichtigt habe, dass der Beschwerdeführer in Österreich eine Freundin habe und auch bei dieser wohne. Das Bundesamt habe es unterlassen, den Beschwerdeführer zu seinem Familienleben mit seiner Freundin zu befragen. Die Rückkehrentscheidung erweise sich wegen des tatsächlichen Bestehens eines Familienlebens als dauerhaft unzulässig. Die Rechtmäßigkeit der Verhängung des Einreiseverbotes werde dem Grunde nach, jedoch in eventu insbesondere bezogen auf die verhängte Dauer, bestritten. Die Dauer des Einreiseverbotes sei nicht nachvollziehbar begründet worden. Die Voraussetzungen für die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde seien nicht vorgelegen. Diese sei dem Beschwerdeführer zu Unrecht aberkannt worden.

Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt vorgelegt und sind am 01.06.2018 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 05.06.2018, Zahl G311 2197077-1/2Z, wurde der gegenständlichen Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Am 06.06.2018 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Beschwerdeergänzung samt neuerlichem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung mit Schriftsatz vom selben Tag per E-Mail am Bundesverwaltungsgericht ein. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt sei es zu einigen Missverständnissen gekommen. Das Bundesamt habe es unterlassen, den Beschwerdeführer dazu näher zu befragen. Die von ihm als "Freunde" bezeichnete Personen seien nicht seine Freunde gewesen, sondern Bewohner seines Viertels, mit welchen er zwangsläufig zusammengetroffen sei und bei welchen es sich um Schiiten und Mitglieder der schiitischen Milizen Asa'ib Ahl al-Haqq sowie der Saraya al-Salam handle. Es habe sich um ein von Schiiten und Sunniten gemischt bewohntes Viertel Bagdads (XXXX) gehandelt. Bereits im vorigen Viertel hätten überwiegend Schiiten gewohnt. Fluchtkausal sei gewesen, dass diese Milizmitglieder aus dem Viertel des Beschwerdeführers ihn dazu gedrängt hätten, zu einer schiitischen Moschee zu kommen und sich anzuhören, welche Pläne die Miliz habe. Er habe zwei bis drei Mal daran teilgenommen, dort dann gesehen, dass diese Personen Waffen haben und verschiedene "Aktionen" planen würden. Er sei auch auf der Straße immer wieder zur Teilnahme aufgefordert worden. Zu seinen Angaben, dass nur sein Bruder bedroht worden sei, sei auszuführen, dass der Beschwerdeführer tatsächlich gemeint habe, dass man den Beschwerdeführer selbst immer nur "aufgefordert" habe, bei der Miliz mitzumachen und des sich dabei um eine implizierte Bedrohung handle. Der Beschwerdeführer habe daher aus politischen und nicht aus wirtschaftlichen Gründen den Irak verlassen.

Der Beschwerdeführer lebe mit einer (namentlich genannten) Lebensgefährtin, einer slowakischen Staatsbürgerin, zusammen und erwarte mit ihr ein gemeinsames Kind. Es lägen daher bedeutende Gründe für die dauerhafte Unzulässigkeit der gegen den Beschwerdeführer erlassenen Rückkehrentscheidung vor. Das erlassene Einreiseverbot stehe zudem dem Kindeswohl entgegen und sei es der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers nicht zumutbar, mit diesem ein gemeinsames Leben im Irak zu führen.

Mit der Beschwerdeergänzung wurden zudem eine Anfragebeantwortung von ACCORD vom 02.02.2018 zu Aktivitäten der Asa'ib Ahl al-Haqq, insbesondere Verhalten gegenüber sunnitischen MuslimInnen, eine Reisepass-Kopie der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers sowie eine Kopie des Mutter-Kind-Passes vorgelegt.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 10.08.2018 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer, seine bevollmächtigte Rechtsvertretung sowie eine Dolmetscherin für die arabische Sprache teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.

Der Beschwerdeführer verwies zu seinen Fluchtgründen befragt auf sein bisheriges Vorbringen, konkretisierte im Wesentlichen zusammengefasst aber, dass tatsächlich "nur" das Nachbarhaus seiner Familie, nämlich das Haus seiner Tante, gesprengt, dadurch jedoch auch das eigene Haus beschädigt worden sei. Die Fenster seien geborsten und die Fassade sei beschädigt gewesen. In diesem ersten Haus (ein Mietshaus in einer rein schiitischen Gegend) hätten neben dem Beschwerdeführer seine Eltern, drei Brüder und eine Schwester gewohnt. Danach sei die gesamte Familie in ein anderes Mietshaus in einem sunnitisch-schiitisch gemischt bewohnten Viertels von Bagdad gezogen. Die Eltern, die Schwester und zwei Brüder des Beschwerdeführers würden nach wie vor dort leben. Ein Bruder sei ebenfalls kurz nach Österreich gekommen, aber wieder zurückgehrt und lebe derzeit in der Türkei. Dieser Bruder sei mit seiner Ermordung bedroht worden und ursprünglich vor dem Beschwerdeführer nach Österreich ausgereist. Einer der noch im Irak lebenden Brüder sei behindert und arbeite nicht. Der andere Bruder arbeite im Schuhverkauf und habe keine Probleme, da er mehr auf seine Arbeit fixiert sei und nicht so viel unterwegs sei wie der Beschwerdeführer. Auch die übrigen im Irak lebenden Angehörigen hätten keine Probleme mehr, sie würden aber den Kontakt zu Nachbarn meiden. Mitglieder der schiitischen Miliz Saraya Al-Salam hätten versucht den Beschwerdeführer anzuwerben und seien mehrmals an ihn herangetreten. Sie hätten jedoch keinen Druck auf ihn ausgeübt. Seine Freunde hätten zu ihm gesagt "komm doch mit". Schlussendlich habe der Beschwerdeführer drei Mal freiwillig zu Besprechungen dieser Miliz in der schiitischen Moschee "XXXX" teilgenommen. Dort seien jeweils etwa 70 Personen aus der näheren Nachbarschaft gewesen. Der Beschwerdeführer habe sich dort angehört, was die Miliz plant, wo sie Menschen Geld wegnehmen oder töten wollten. Er habe deren Gedankengut jedoch missbilligt und nicht mehr an den Besprechungen teilgenommen. Es sei jedoch gefährlich. Wenn man den Inhalt der Gespräche mitangehört habe und dann nicht mehr teilnehme, könne es passieren, dass man getötet werde.

Befragt zu den strafgerichtlichen Verurteilungen gab der Beschwerdeführer an, dass er bei den (versuchten) Diebstählen stark betrunken gewesen sei. Es sei ihm jedoch bewusst, dass es falsch gewesen sei. Zum unerlaubten Umgang mit Suchtgift gab er an, dass er nicht süchtig sei. Er habe damals mit Freunden zusammengesessen und habe einen Joint geraucht, es seien auch weitere Drogen, wie Tabletten, im Raum gewesen, als die Polizei eingetroffen sei. Es sei lediglich der Beschwerdeführer festgenommen worden, da man ihn verdächtigt habe, dass die Drogen ihm alleine gehören würden, was aber nicht der Fall gewesen sei. Er konsumiere nach wie vor etwa alle zwei Wochen ein paar Mal oder bei Partys Marihuana. Er kaufe dieses jedoch nicht, sondern bekomme es von Freunden.

In Österreich lebe er mit seiner aus "Tschechien" stammenden Lebensgefährtin in einer gemeinsamen Wohnung. Sie lebe seit etwa fünfzehn Jahren in Österreich und verfüge über eine Anmeldebescheinigung. Er kenne sie seit einem Jahr und fünf Monaten und führe mit ihr seit einem Jahr eine Beziehung. Die Lebensgefährtin sei im sechsten Monat mit dem gemeinsamen Kind schwanger. Die Mutter und Schwestern der Lebensgefährtin würden ebenfalls in Österreich leben. Darüber hinaus würden ein Großvater (der bereits österreichischer Staatsangehöriger sei) und ein Onkel des Beschwerdeführers mütterlicherseits in Österreich leben, wobei der Großvater trotz Hauptwohnsitzes in Österreich viel reise und sich oft in Frankreich aufhalte. Der Onkel und der Großvater würden in der Nähe des Beschwerdeführers in einer gemeinsamen Wohnung wohnen. Er besuche insbesondere den Onkel oft und fahre mit dem Bus zu ihm. Er habe sowohl zum Großvater als auch dem Onkel regelmäßigen Kontakt. Der Großvater sei jedenfalls Dolmetscher in Österreich gewesen und habe ein fixes Einkommen.

Der Beschwerdeführer habe keinen Deutschkurs besucht, spreche nur ein bisschen Deutsch und verständige sich auch mit der Lebensgefährtin auf Deutsch, was jedoch nicht so gut funktioniere.

Seitens der erkennenden Richterin wurden die im Akt einliegenden Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat in das Verfahren eingebracht und die Möglichkeit eingeräumt, dazu eine Stellungnahme abzugeben. Seitens der Rechtsvertretung wurde sodann eine schriftliche Stellungnahme hinsichtlich schiitischer Milizen sowie zur allgemeinen Situation in Bagdad vorgelegt.

Im Anschluss wurde das gegenständliche Erkenntnis gemäß § 29 Abs. 2 VwGVG mündlich verkündet.

Am 21.08.2018 langte der Antrag des Beschwerdeführers auf schriftliche Ausfertigung des gegenständlichen Erkenntnisses gemäß § 29 Abs. 2a bis 4 VwGVG beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer führt die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und ist Staatsangehöriger des Irak, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zum moslemischen Glauben sunnitischer Ausrichtung. Seine Muttersprache ist Arabisch (vgl etwa Erstbefragung vom 29.11.2015, AS 1ff; Bestätigung der Sicherstellung des Reisepasses, AS 21).

Der Beschwerdeführer verließ seinen Herkunftsstaat etwa Mitte November 2015 mit dem Flugzeug von Bagdad aus nach Istanbul, Türkei, und reiste von dort aus schlepperunterstützt über Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt in das Bundesgebiet ein, wo er am 28.11.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte (vgl etwa Erstbefragung vom 29.11.2015, AS 1ff).

Der Beschwerdeführer wurde im Bundesgebiet bereits zwei Mal strafgerichtlich verurteilt:

Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX.2018, Zahl XXXX, rechtskräftig am XXXX.2018, erging über den Beschwerdeführer (M.S.S.D.) und seinen Mittäter (M.M.M.) folgender Schuldspruch:

"M.S.S.D. und M.M.M. haben im bewussten und gewollten Zusammenwirken am XXXX.01.2018 in P. fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz weggenommen, sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern und zwar

1.) Verfügungsberechtigten der Fa. "M.", nämlich zwei Parfumtester der Marke "Ysl" im Wert von € 92,45 und der Marke "Armani" im Wert von € 90,45, wobei die Tat beim Versuch blieb

2.) Verfügungsberechtigten der Fa. "P." in zwei Angriffen zwei Herrenlangarm T-Shirts der Eigenmarke "P." im Gesamtwert von €

24,--.

Strafbare Handlungen:

Vergehen des Diebstahls nach §§ 127, 15 StGB

Anwendung weiterer gesetzlicher Bestimmungen:

§ 28 StGB

Strafe:

Nach § 127

Freiheitsstrafe von 2 Wochen

gem. § 43 StGB wird die Strafe unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen.

[...]

Strafbemessungsgründe:

mildernd: tw. Geständnis; tw. Versuch, Unbescholtenheit

erschwerend: Faktenhäufung

x fehlende Diversionsvoraussetzungen (§§ 198, 199 StPO):

Ein Vorgehen nach den §§ 198, 199 StPO ist nicht möglich, weil

[...]

x Gesinnungsunwert (Verwerflichkeit der inneren Einstellung des Angeklagten).

[...]"

Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX.2018, Zahl XXXX, rechtskräftig am XXXX.2018, erging über den Beschwerdeführer (M.S.D.) folgender Schuldspruch:

"M.S.D. ist schuldig,

er hat in L. in der Zeit von zumindest August 2016 bis XXXX.09.2017 vorschriftswidrig Suchtgift erworben, besessen und einem anderen überlassen, indem er

1. eine insgesamt unbekannte Menge Marihuana (THC) von namentlich nicht bekannten Personen ankaufte und teils bis zum Eigenkonsum, teils bis zum gemeinsamen Konsum mit den abgesondert verfolgten O.A.J. und M.M. und teils 2 g Marihuana (THC) und einen angerauchten Joint (THC) bis zur Sicherstellung durch Polizeibeamte besaß sowie

2. eine insgesamt unbekannte Menge Morphine erwarb und bis zum Eigenkonsum besaß.

Strafbare Handlungen:

Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 1., 2. und 8. Fall, Abs. 2 SMG

Anwendung weiterer gesetzlicher Bestimmungen:

Gemäß § 42 SMG unterliegt die Verurteilung der beschränkten Auskunft.

Strafe:

Nach § 27 Abs 2 SMG uA. §§ 28, 31 und 40 StGB unter Bedachtnahme auf das Urteil des BG XXXX zu XXXX:

Zusatzgeldstrafe von 50 Tagessätzen à EUR 4,00, insgesamt EUR 200,00, im Nichteinbringungsfall 25 Tage Ersatzfreiheitsstrafe

[...]

Strafbemessungsgründe:

mildernd: Geständnis, Unbescholtenheit, teilweise Alter unter 21 Jahren;

erschwerend: Faktenhäufung

Für die Bemessung des Tagsatzes maßgebende Umstände:

Kein Einkommen, kein Vermögen, keine Schulden, keine Sorgepflichten.

[...]"

Aufgrund der zitierten Urteile der Bezirksgerichte XXXX und XXXX wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer die im genannten Urteil festgestellten strafbaren Handlungen begangen und das je umschriebene Verhalten gesetzt hat.

Der Beschwerdeführer weist im Bundesgebiet die folgenden Wohnsitzmeldungen (vgl Einsicht in das Zentrale Melderegister):

09.12.2015 - 09.12.2015 Hauptwohnsitz

28.12.2015 - 13.12.2017 Hauptwohnsitz

13.12.2017 - laufend Hauptwohnsitz

19.09.2017 - 22.09.2017 Nebenwohnsitz Polizeianhaltezentrum XXXX

Der Beschwerdeführer war im Zeitraum 06.06.2017 bis 23.06.2017 als Saisonarbeiter in der Landwirtschaft sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Im Übrigen übte der Beschwerdeführer im Bundesgebiet keine legale Erwerbstätigkeit aus (vgl Einsicht in die Sozialversicherungsdaten des Beschwerdeführers).

Bis November 2017 bezog der Beschwerdeführer auch Leistungen aus der Grundversorgung und war in Flüchtlingsquartieren untergebracht (vgl Einsicht in das Betreuungsinformationssystem des Bundes über die Grundversorgung - GVS-Auszug). Er lebt in Österreich von der Unterstützung seiner Familie (vgl Angaben des Beschwerdeführers, Niederschrift BFA vom 24.04.2018, AS 145).

Der Beschwerdeführer führt zum Zeitpunkt der mündlichen Verkündung dieser Entscheidung seit etwa einem Jahr eine Lebensgemeinschaft mit XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit: Slowakei, lebt mit ihr im gemeinsamen Haushalt und ist diese im sechsten Monat mit dem Kind des Beschwerdeführers schwanger. Aus dem Mutter-Kind-Pass ergibt sich ein voraussichtlicher Geburtstermin am XXXX.12.2018. Die Lebensgefährtin kam mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern nach Österreich und lebt hier seit über zehn Jahren. Sie verfügt über eine Anmeldebescheinigung (vgl aktenkundige Kopie des Reisepasses sowie des Mutter-Kind-Passes der Lebensgefährtin im Gerichtsakt; Angaben des Beschwerdeführers, Verhandlungsprotokoll vom 10.08.2018, S 5; Einsicht in das Fremdenregister zur Lebensgefährtin).

Darüber hinaus leben im Bundesgebiet ein Großvater des Beschwerdeführers, der seinen Angaben nach bereits über die österreichische Staatsangehörigkeit verfügt, sehr viel reist, sich oft in Frankreich aufhält und ein regelmäßiges Einkommen in Österreich bezieht, sowie ein Onkel des Beschwerdeführers mütterlicherseits. Sowohl Großvater als auch Onkel leben in derselben Wohnung. Der Beschwerdeführer hat regelmäßig Kontakt zu beiden per Telefon und kommt auch mit dem Bus zu Besuch. Ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis des Beschwerdeführers zu seinen im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen konnte nicht festgestellt werden und wurde auch nicht (substanziiert) vorgebracht (vgl Angaben des Beschwerdeführers, Verhandlungsprotokoll vom 10.08.2018, S 5).

Es konnte nicht festgestellt werden, dass für den Beschwerdeführer eine Verpflichtungserklärung abgegeben worden ist.

Der Beschwerdeführer ist kein Mitglied in einem Verein oder einer Organisation und macht auch keine Ausbildung im Bundesgebiet. Der Beschwerdeführer hat keinen Deutschkurs besucht oder eine Deutschsprachprüfung abgeschlossen und verfügt über keine maßgeblichen Deutschkenntnisse. Die Kommunikation mit der Lebensgefährtin auf Deutsch erweist sich als eingeschränkt (vgl Angaben des Beschwerdeführers, Verhandlungsprotokoll vom 10.08.2018, S 6; Angaben des Beschwerdeführers, Niederschrift BFA vom 24.04.2018, AS 145).

Trotz der bereits erfolgten strafgerichtlichen Verurteilung konsumiert der Beschwerdeführer nach wie vor regelmäßig etwa alle zwei Wochen Marihuana (vgl Angaben des Beschwerdeführers, Niederschrift BFA vom 24.04.2018, AS 145; Verhandlungsprotokoll vom 10.08.2018, S 5).

Der vor dem Beschwerdeführer aus dem Irak nach Österreich ausgereiste Bruder ist freiwillig zurückgekehrt und lebt nunmehr in der Türkei. Im Irak leben weiters die Eltern des Beschwerdeführers, seine zwei weiteren Brüder (einer davon ist behindert und nicht arbeitsfähig) sowie seine Schwester nach wie vor im selben Miethaus, in welches die Familie 2010 umgezogen ist. Das Haus verfügt über ein Wohnzimmer und drei Schlafzimmer. Der Vater des Beschwerdeführers ist bereits Pensionist und bezieht eine Pension. Der in Bagdad lebende und arbeitende Bruder ist Schuhverkäufer und 25 Jahre alt. Weder er noch die übrigen in Bagdad lebenden Familienangehörigen haben maßgebliche Probleme im Irak. Der Bruder kann ungehindert seiner Arbeit nachgehen und hat der Beschwerdeführer zu seinen im Irak lebenden Familienangehörigen regelmäßig Kontakt über soziale Medien wie etwa Facebook (vgl Angaben des Beschwerdeführers, Verhandlungsprotokoll vom 10.08.2018, S 4f).

Der Beschwerdeführer hat im Irak sechs Jahre die Grundschule und vier Jahre eine Mittelschule besucht und war anschließend als Maler und in Innendekorateur bis zu seiner Ausreise aus dem Irak berufstätig (vgl Angaben des Beschwerdeführers, Niederschrift BFA vom 24.04.2018, AS 142).

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer an einer lebensbedrohlichen Erkrankung im Endstadium leidet, die im Irak nicht behandelbar ist (vgl Angaben des Beschwerdeführers, Niederschrift vom 24.04.2018, AS 138).

Insgesamt konnten keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer hinreichenden Integration des Beschwerdeführers in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht festgestellt werden.

Der Beschwerdeführer hatte in seinem Herkunftsstaat nach seinen eigenen Angaben nach mit den Behörden des Herkunftsstaates weder aufgrund seines Religionsbekenntnisses noch seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder Sonstigem Probleme. Er war nicht politisch aktiv, gehörte keiner politischen Partei an und wurde nicht inhaftiert oder festgenommen (vgl Angaben des Beschwerdeführers, Niederschrift vom 24.04.2018, AS 144).

Es konnte nicht festgestellt werden, dass das Haus der Tante des Beschwerdeführers im Jahr 2010 tatsächlich gesprengt und dabei das Nachbarhaus seiner eigenen Familie beschädigt worden ist.

Der Beschwerdeführer hat sich aus Eigenem in eine schiitische Moschee geben und hat dort an Vorträgen und Besprechungen der schiitischen Miliz "Saraya Al-Salam" teilgenommen. Er wurde persönlich zu keiner Zeit bedroht, sondern hat Drohungen wegen seines Entschlusses, an den Besprechungen nicht weiter teilzunehmen, befürchtet.

Ein konkreter Anlass oder Vorfall für das (fluchtartige) Verlassen des Herkunftsstaates konnte jedoch nicht festgestellt werden. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt ist oder, dass Gründe vorliegen, die einer Rückkehr oder Rückführung (Abschiebung) in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.

Zur entscheidungsrelevanten Lage im Irak:

Zur allgemeinen Lage im Irak werden die vom Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 10.08.2018 in das Verfahren eingeführten Länderberichte, nämlich ein Konvolut aus fallbezogen relevanten aktueller Länderberichte samt den angeführten Quellen (mit Stand August 2018) auch als entscheidungsrelevante Feststellungen zum endgültigen Gegenstand des Erkenntnisses erhoben.

1. Allgemeine Sicherheitslage:

1.1. Allgemeine Sicherheitslage und Islamischer Staat (IS):

Die allgemeine Sicherheitslage im Irak war seit Oktober 2016 von bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, im Genaueren nichtstaatlichen bewaffneten Milizen, den sogenannten Peshmerga der kurdischen Regionalregierung sowie ausländischen Militärkräften, auf der einen Seite und den bewaffneten Milizen der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) auf der anderen Seite um die Kontrolle der - im Zentrum des seit Sommer 2014 bestehenden Machtbereichs des IS gelegenen - Hauptstadt Mosul der Provinz Ninava gekennzeichnet. Diesen Kämpfen ging die sukzessive Zurückdrängung des IS aus den zuvor ebenfalls von ihm kontrollierten Gebieten innerhalb der Provinzen Anbar, Diyala und Salah al-Din im Zentral- und Südirak voraus. Die kriegerischen Ereignisse im Irak seit 2014 brachten umfangreiche Flüchtlingsbewegungen aus den umkämpften Gebieten in andere Landesteile sowie umgekehrt Rückkehrbewegungen in befreite Landesteile mit sich. Zahlreiche nationale und internationale Hilfsorganisationen unter der Ägide des UNHCR versorgen diese Binnenvertriebenen in Lagern und Durchgangszentren, mit Schwerpunkten in den drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks, in sowie um Bagdad sowie im Umkreis von Kirkuk, im Hinblick auf ihre elementaren Lebensbedürfnisse sowie deren Dokumentation und Relokation, ein geringer Anteil der Vertriebenen sorgt für sich selbst in gemieteten Unterkünften und bei Verwandten und Bekannten. Vor dem Hintergrund einer längerfristigen Tendenz unter den Binnenvertriebenen zur Rückkehr in ihre Herkunftsgebiete waren mit 31.03.2018 noch ca. 2,2 Mio. (seit 2014) Binnenvertriebene innerhalb des Iraks registriert, diesen standen wiederum ca. 3,6 Mio. Zurückgekehrte gegenüber. Ca. 90% der bis Ende März 2018 in ihre Herkunftsregion zurückgekehrten ca. 124.000 Binnenvertriebenen stammten aus den Provinzen Anbar, Kirkuk, Ninava und Salah al-Din, 107.000 kehrten alleine in die Provinz Ninava, ca. 77.000 in den Bezirk Mosul zurück.

Nachdem es den irakischen Sicherheitskräften (ISF) gemeinsam mit schiitischen Milizen, den sogenannten Popular Mobilisation Forces (PMF), sowie mit Unterstützung alliierter ausländischer Militärkräfte im Laufe des Jahres 2016 gelungen war, die Einheiten der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) sowohl aus den von ihr besetzten Teilen der südwestlichen Provinz Al Anbar bzw. deren Metropolen Fallouja und Ramadi als auch aus den nördlich an Bagdad anschließenden Provinzen Diyala und Salah al Din zu verdrängen, beschränkte sich dessen Herrschaftsgebiet in der Folge auf den Sitz seiner irakischen Kommandozentrale bzw. seines "Kalifats" in der Stadt Mosul, Provinz Ninava, sowie deren Umgebung bis hin zur irakisch-syrischen Grenze westlich von Mosul. Ab November 2016 wurden sukzessive die Umgebung von Mosul sowie der Ostteil der Stadt bis zum Ufer des Tigris wieder unter die Kontrolle staatlicher Sicherheitskräfte gebracht, im Westteil wurde der IS von den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, die aus dem Süden, Norden und Westen in das Zentrum der Stadt vordrangen, in der Altstadt von Mosul eingekesselt. Der IS wiederum versuchte parallel zu diesen Geschehnissen durch vereinzelte Selbstmordanschläge in Bagdad und anderen Städten im Süd- sowie Zentralirak seine wenn auch mittlerweile stark eingeschränkte Fähigkeit, die allgemeine Sicherheitslage zu destabilisieren, zu demonstrieren. Anfang Juli 2017 erklärte der irakische Premier Abadi Mosul für vom IS befreit. In der Folge wurden auch frühere Bastionen des IS westlich von Mosul in Richtung der irakisch-syrischen Grenze wie die Stadt Tel Afar durch die Militärallianz vom IS zurückerobert. Zuletzt richteten sich die Operationen der Militärallianz gegen den IS auf letzte Überreste seines früheren Herrschaftsgebiets im äußersten Westen der Provinz Anbar sowie eine Enklave um Hawija südwestlich von Kirkuk. Mit Beginn des Dezember 2017 musste der IS seine letzten territorialen Ansprüche innerhalb des Iraks aufgeben, am 01.12.2017 erklärte Premier Abadi den gesamtem Irak für vom IS befreit.

Im Zuge der Rückeroberungen von IS-Gebieten (IS: sogenannter Islamischer Staat) werden weiterhin Massengräber gefunden. Zuletzt wurde in der Nähe der Militärbasis al-Bakara etwa drei Kilometer vor der Stadt Hawija ein Grab mit mindestens 400 Toten (mutmaßlichen IS-Opfern) entdeckt (MOI 3.11.2017; Standard 11.11.2017). Umgekehrt treten weitere Berichte von Racheakten von Seiten der Befreier zutage, laut Nahostexpertin Gudrun Harrer scheint der Zyklus der Gewalt mit dem Sieg über den IS nicht unterbrochen (Harrer 24.11.2017). Mehr als 3,1 Millionen Iraker (die überwältigende Mehrheit Sunniten) sind weiterhin Vertriebene. Weitere 2,3 Millionen sind in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt. Für den Wiederaufbau ihrer Städte erhielten die Sunniten nicht viel Hilfe von der Zentralregierung, die sich mehr auf die Bekämpfung/Zurückdrängung des IS und zuletzt der Kurden konzentrieren (NYTimes 26.10.2017).

Ab dem 03.11.2017 mit Stand 17.11.2017 wurden die drei letzten irakischen Städte, die sich noch unter der Kontrolle des IS befanden, Al-Qaim, Ana und Rawa (alle drei im Westen des Landes) von den irakischen Streitkräften zurückerobert. Laut der US-geführten Koalition zur Bekämpfung des IS hat dieser nun 95 Prozent jener irakischen und syrischen Territorien verloren, welches er im Jahr 2014 als Kalifat ausgerufen hatte (Telegraph 17.11.2017; IFK 60.11.2017). Das Wüstengebiet nördlich der drei Städte bleibt vorerst weiterhin IS-Terrain. Die Gebiete rund um Kirkuk und Hawija gehören zu jenen Gebieten, bei denen das Halten des Terrains eine große Herausforderung darstellt. (MEE 16.11.2017; Reuters 05.11.2017; BI 13.11.2017). Es stellt sich auch die Frage, wo sich jene IS-Kämpfer aufhalten, die, nicht getötet wurden oder die nicht in Gefängnissen sitzen (alleine in Mossul gab es vor der Rückeroberung 40.000 IS-Kämpfer). Viele sind in die Wüste geflohen oder in der Zivilbevölkerung untergetaucht. Es gab es auch umstrittene Arrangements, die den Abzug von IS-Kämpfern und ihren Familien erlaubten. Der IS ist somit nicht verschwunden, nur sein Territorium (Harrer 24.11.2017).

Seit der IS Offensive im Jahr 2014 ist die Zahl der Opfer im Irak nach wie vor nicht auf den Wert der Zeit zwischen 2008 - 2014 zurückgegangen, in der im Anschluss an den konfessionellen Bürgerkrieg 2006-2007 eine Phase relativer Stabilität einsetzte (MRG 10.2017; vgl. IBC 23.11.2017). Von dem Höchstwert von 4.000 zivilen Todesopfern im Juni 2014 ist die Zahl 2016 [nach den Zahlen von Iraq Body Count] auf 1.500 Opfer pro Monat gesunken; dieser sinkende Trend setzt sich im Jahr 2017 fort (MRG 10.2017). Nach den von Joel Wing dokumentierten Vorfällen, wurden in den Monaten August, September und Oktober 2017 im Irak 2.988 Zivilisten getötet (MOI 09.-11.2017).

1.2. Allgemeine Sicherheitslage in Kurdistan:

Die Sicherheitslage innerhalb der drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks, nämlich Dohuk, Erbil und Suleimaniya, ist angesichts der Maßnahmen der regionalen Sicherheitskräfte wie Grenzkontrollen und innerregionale Aufenthaltsbestimmungen als stabil anzusehen. Am 25.09.2017 hielt die kurdische Regionalregierung ein Referendum für eine mögliche Unabhängigkeitserklärung der Autonomieregion mit zustimmendem Ausgang ab. Seit Oktober 2017 befindet sich die kurdische Regionalregierung in Konflikt mit der irakischen Zentralregierung in der Frage der Kontrolle über die von kurdischen Sicherheitskräften bislang besetzt gehaltenen Grenzregionen südlich der Binnengrenze der Autonomieregion zum übrigen irakischen Staatsgebiet, insbesondere die Region um die Stadt Kirkuk. Am 15.10.2017 wurden die in Kirkuk stationierten kurdischen Sicherheitskräfte von Einheiten der irakischen Armee und der Polizei sowie der sogenannten der Zentralregierung nahestehenden Volksmobilisierungseinheiten angegriffen, die sich in der Folge aus Kirkuk zurückzogen. Zuletzt kam es zur Besetzung weiterer Landstriche entlang der Binnengrenze sowie von Grenzübergängen an der irakisch-syrischen Grenze durch die irakische Armee und die Volksmobilisierungseinheiten, während sich die kurdischen Sicherheitskräfte aus diesen Bereichen zurückzogen. Eine Einreise in die Provinzen der kurdischen Autonomieregion ist aktuell aus Österreich auf dem Luftweg ausgehend vom Flughafen Wien via Amman und via Dubai nach Erbil und auf indirektem Weg via Bagdad möglich.

Nach der Offensive der irakischen Armee und der PMF (Popular Mobilization Forces) in die von den Kurden kontrollierten Gebiete, besteht derzeit ein Waffenstillstand, es herrscht jedoch weiterhin Unsicherheit, nicht nur bezüglich der weiteren Vorgehensweise der irakischen Regierung, sondern auch die wirtschaftliche Situation Kurdistans betreffend. Unterdessen gibt es neue Beweise dafür, dass im Zuge der Offensive in den vorwiegend kurdischen Gebieten Plünderungen, Brandstiftungen, Häuserzerstörungen und willkürliche Angriffe offenbar insbesondere von Seiten der PMF (auch von Seiten turkmenischer PMF-Milizen) stattfanden. Tausende haben dabei ihre Häuser, ihre Geschäfte und ihre sonstigen Besitztümer verloren. (AI 24.10.2017; Bas 14.11.2017; HRW 20.10.2017).

Laut den Vereinten Nationen (VN) kam es im Zuge der Offensive der irakischen Regierung zur Vertreibung von zehntausenden Menschen aus den sogenannten "umstrittenen Gebieten". 180.000 Menschen sind (mit Stand 18.11.2017) nach wie vor vertrieben, 172.000 sind zurückgekehrt. Die meisten dieser Vertriebenen sind Kurden, aber auch Mitglieder anderer Minderheiten, einschließlich sunnitischer Araber und Turkmenen. Die meisten Vertriebenen lebten in den Städten Kirkuk, Daquq (Provinz Kirkuk), sowie Tuz Khurmatu (Rudaw 18.11.2017). Aus Furcht vor Repressalien kehren sie derzeit nicht in ihre Heimatgebiete zurück (Reuters 9.11.2017).

Am Abend des 12.11.2017 fand in der Grenzregion zwischen Iran und Irak ein Erdbeben der Stärke 7,3 statt. Im Irak war dabei die an der Grenze zum Iran befindliche Stadt Halabja (im Autonomen Kurdengebiet) am stärksten betroffen. Acht Menschen starben im Irak, mehr als 500 wurden verletzt und hunderte Familien wurden obdachlos. Zumindest drei Gesundheitszentren wurden beschädigt. Verglichen mit dem Iran war der Irak deutlich geringer von dem Erdbeben betroffen (UNFPA 19.11.2017).

1.3. Sicherheitslage in den südirakischen Provinzen:

Die Sicherheitslage in den südirakischen Provinzen, insbesondere in der Provinz Basra, war, als Folge einer Sicherheitsoffensive staatlicher Militärkräfte im Gefolge interkonfessioneller Gewalt im Jahr 2007, ab 2008 stark verbessert und bis 2014 insgesamt stabil. Auch war die Region nicht unmittelbar von der Invasion der Truppen des IS im Irak in 2013 und 2014 betroffen. Die Gegenoffensive staatlicher Sicherheitskräfte und deren Verbündeter gegen den IS in Anbar und den nördlicher gelegenen Provinzen bedingte vorerst eine Verlagerung von Militär- und Polizeikräften in den Norden, die wiederum eine größere Instabilität im Süden verbunden vor allem mit einem Anstieg an krimineller Gewalt mit sich brachte. Aktuell sind im Gefolge der Vertreibung des IS aus seinem früheren Herrschaftsgebiet im Irak keine maßgeblichen sicherheitsrelevanten Ereignisse bzw. Entwicklungen für die Region bekannt.

1.4. Sicherheitslage im Großraum Bagdad:

1.4.1. Die Sicherheitslage im Großraum Bagdad war im Wesentlichen ebenfalls nicht unmittelbar beeinträchtigt durch die oben genannten Ereignisse im Zusammenhang mit der Bekämpfung des IS im Zentralirak. Im Laufe der Jahre 2016 und 2017 kam es jedoch im Stadtgebiet von Bagdad zu mehreren Anschlägen bzw. Selbstmordattentaten auf öffentliche Einrichtungen oder Plätze mit einer teils erheblichen Zahl an zivilen Opfern, die sich, ausgehend vom Bekenntnis des - als sunnitisch zu bezeichnenden - IS, gegen staatliche Sicherheitsorgane oder gegen schiitische Wohnviertel und Städte richteten um dort ein Klima der Angst sowie religiöse Ressentiments zu erzeugen und staatliche Sicherheitskräfte vor Ort zu binden. Zuletzt wurden am

13. und 15. Jänner 2018 von Selbstmordattentätern zwei Sprengstoffanschläge auf öffentliche Plätze in Bagdad verübt, deren genaue Urheber nicht bekannt wurden. Für den Großraum Bagdad sind im Gefolge der nunmehrigen Vertreibung des IS aus seinem früheren Herrschaftsgebiet darüber hinaus keine außergewöhnlichen sicherheitsrelevanten Ereignisse bzw. Entwicklungen bekannt geworden.

Die Acht-Millionenmetropole Bagdad hat eine höhere Kriminalitätsrate als jede andere Stadt des Landes. Hauptverantwortlich dafür sind der schwache staatliche Sicherheitsapparat sowie die schwache Exekutive. Seit dem Krieg gegen den IS verblieb in Bagdad aufgrund von Militäreinsätzen in anderen Teilen des Landes phasenweise nur eine geringe Zahl an Sicherheitspersonal. Da große Teile der Armee im Sommer 2014 abtrünnig wurden, sind zum Wiederaufbau der Armee mehrere Jahre nötig. Gleichzeitig erschienen bewaffnete Gruppen, vor allem Milizen mit Verbindungen zu den 'Popular Mobilization Forces' (PMF), auf der Bildfläche, mit divergierenden Einflüssen auf die Stabilität der Stadt. Der Zusammenbruch der Armee führte zusätzlich zu einem verstärkten Zugang und zu einer größeren Verfügbarkeit von Waffen und Munition. Dazu kommt die Korruption, die in allen Einrichtungen des Sicherheitsapparates und der Exekutive herrscht. Trotz dieser Probleme gibt es aktuell eine Verbesserung der Situation, die sich auch auf die Meinung der Bewohner über den irakischen Gesetzesvollstreckungsapparat auswirkt. Obwohl konfessionell bedingte Gewalt in Bagdad existiert, ist die Stadt nicht in gleichem Ausmaß in die Spirale der konfessionellen Gewalt des Bürgerkriegs der Jahre 2006-2007 geraten. Stattdessen kommt es zu einem Anstieg der Banden-bedingten Gewalt (Bandenkriege), die meist finanziell motiviert sind, in Kombination mit Rivalitäten zwischen Sicherheitskräften/-akteuren (MRG 10.2017).

Kidnappings und Entführungen kommen überall in Bagdad vor, unterscheiden sich aber in Häufigkeit und Art der Opfer. Man kann generell zwischen finanziell motivierten Entführungen und denen, die politisch oder persönlich motiviert sind, unterscheiden. Während erstere von kriminellen Gangs begangen werden, werden die politisch oder persönlich motivierten von bewaffneten Gruppen oder Individuen ausgeführt. Geschätzte 65-75 Prozent können als kriminelle Akte kategorisiert werden, während zwischen einem Viertel und einem Drittel als politisch oder als Folge von persönlichen Auseinandersetzungen gesehen werden können. Die zentralen und relativ wohlhabenden Bezirke Karkh und Rusafa zeigen die höchsten Zahlen an Kidnappings und sind für etwa die Hälfte der dokumentierten Fälle des gesamten Gouvernements verantwortlich (MRG 10.2017).

Berichten zufolge setzen schiitische Milizen Kidnappings und Erpressungen als einkommensgenerierende Aktivitäten ein. Während es sich dabei um einen kriminellen Akt handelt, kann zusätzlich auch ein politisches oder religiöses Motiv dahinterstehen. Milizen haben z. B. Mitglieder anderer Gruppen entführt und verschleppt. Opfer der von den Gruppen durchgeführten Kidnappings sind tendentiell eher Sunniten als Schiiten. Es ist auch häufig, dass Milizen Kidnappings in Gegenden, die nicht unter ihrer eigenen Kontrolle stehen, ausführen, etwa um ihre Reputation in den von ihnen kontrollierten Gebieten nicht aufs Spiel zu setzen (MRG 10.2017).

Da es zu Protesten in der Bevölkerung kam, und zu Forderungen an den Staat, Maßnahmen zu ergreifen, wurde in den letzten zwei Jahren das Thema Kidnappings in der Öffentlichkeit diskutiert. Immer wieder kam es zu Wellen von Entführungen, die gegen bestimmte Professionen und Gruppen der Gesellschaft gerichtet waren.

Die Fälle von Entführungen haben Regierung und Sicherheitsdienste gezwungen, sich aktiver diesem Problem zu widmen. In vergangenen Jahren, sowie auch in den Jahren 2006-2007, war die Exekutive beinahe gänzlich außerstande, mit dieser Art der Gewalt umzugehen. Heute spricht Premierminister Abadi, der sich manchmal persönlich in Fälle involviert, lautstark über die Bedenken der Bevölkerung, und unternimmt Schritte, um die Kapazitäten der Gesetzesvollstreckung auszuweiten (MRG 10.2017).

Schießereien mit Handfeuerwaffen sind in und rund um die Provinz Bagdad verbreitet, wobei dabei insbesondere die Bezirke Karkh, Rusafa und Adhamiya und dabei insbesondere auch Zivilisten betroffen sind. Hingegen betreffen Vorfälle mit Handfeuerwaffen im ‚Bagdad Belt' üblicherweise Sicherheitsdienste wie die Iraqi Security Forces (ISF) und Mitglieder von sunnitischen und schiitischen Milizen, und finden meistens bei Kontrollpunkten statt. Dies kann man in Abu Ghraib, Mahmudiya und Tarmiya beobachten. Diese Gebiete verzeichnen auch eine große Anzahl an Schießereien in Verbindung mit stammesbezogenen Auseinandersetzungen (MRG 10.2017).

Konfessionalismus und Diskriminierung sind weiterhin ein weit verbreitetes Phänomen in Bagdad, wenn sie auch nicht dasselbe Ausmaß an Gewalt erreicht haben, der während des konfessionellen Krieges in den Jahren 2006-2007 dokumentiert wurde. Entgegen der Erwartungen hat die Ausbreitung des IS ab 2014 zu einem geringeren Ausmaß an Gewalt geführt als während des konfessionellen Krieges 2006-2007. Terrorattacken des IS in Bagdad führen zu Vergeltungsmaßnahmen gegen sunnitische Zivilisten, die vorwiegend von schiitischen Milizen begangen werden. Diese beinhalten Kidnappings, Ermordungen sowie ungesetzlichen Freiheitsentzug. Dennoch ist der offensichtlichere Konfessionalismus - bei dem sunnitische Bewohner Kontrollpunkte nicht passieren konnten ohne namentlich aufgerufen zu werden und manchmal schikaniert oder festgenommen wurden - heute relativ selten.

Dies trifft allerdings nicht auf sunnitische Internvertriebene (IDPs) zu, die in der Provinz Bagdad regelmäßig diskriminiert werden. Nachdem der IS in großen Teilen von Anbar und Salah al-Din die Macht ergriffen hatte, flohen Tausende nach Bagdad. In vielen Fällen war es ihnen von vorne herein nie gestattet, in die Provinz einzureisen. Die, die es dennoch geschafft haben, berichten von extrem eingeschränkter Reisefreiheit (da Personalausweise aufzeigen in welchem Gouvernement sie ausgestellt wurden), von Schwierigkeiten, als Gebietsfremde des Gouvernements an wesentliche Dokumente zu gelangen, sowie von Schikanen aufgrund des Pauschalverdachts der IS-Zugehörigkeit. Für Internvertriebene besteht, aufgrund fehlender Netzwerke für persönliche Unterstützung, auch ein größeres Risiko, entführt zu werden.

Eine weitere Seite des Konfessionalismus sind Verhaftungen, oft willkürlich, welche meist in Verbindung mit einer Anklage wegen Terrorismus nach Artikel 4 vollzogen werden und beinahe ohne Ausnahme Sunniten betreffen. Diese Festnahmen sind nach Terroranschlägen häufig, wenn Sicherheitsdienste Durchsuchungsaktionen durchführen, um Mitglieder oder Unterstützer des IS ausfindig zu machen (MRG 10.2017).

Kleinere Gemeinschaften, inklusive Minderheiten und solche, die sich in einer Minderheitssituation wiederfinden, stehen unter signifikantem Risiko. Die Anzahl an Christen in Bagdad nimmt unter dieser Bedrohungssituation weiterhin ab, wenn auch kleine christliche Gemeinden in gemischten Bezirken bestehen bleiben; so auch in Karkh und in Karrada und Palästina. Faili-Kurden (schiitische Kurden), einschließlich jener, die in Sadirya und im südlichen Teil Bagdads leben, haben unter Bombenangriffen gelitten und berichten von erhöhten Spannungen, die in Zusammenhang mit dem kurdischen Unabhängigkeitsreferendum stehen. Palästinenser, die vorwiegend in al-Baladiyat leben, sind diesen gezielten Attacken ebenso ausgesetzt und bleiben weiterhin besonders gefährdet (MRG 10.2017).

Die Irakischen Sicherheitskräfte (ISF) werden in Bagdad vom 'Baghdad Operations Command' (BOC) repräsentiert, Geheimdienste und irakische Polizeieinheiten, die im Bagdad Gouvernement agieren, sind dem Verteidigungsministerium unterstellt. Der BOC besteht aus mehreren Brigaden, die der 6., 11. und 17. Abteilung der irakischen Armee angehören, sowie aus spezialisierten Militär- und Polizei-Einheiten, inklusive Bereitschaftspolizei und Schutzeinheiten für Diplomaten. Die irakische Armee ist gemeinsam mit staatlichen und lokalen Polizeieinheiten für die Sicherheit verantwortlich. Zusätzlich zu regulären Sicherheitsfunktionen, sind die ISF gemeinsam mit Einheiten, die in Verbindung zum Innenministerium stehen, für die Überprüfung von Internvertriebenen und Rückkehrern und damit in Zusammenhang stehende Regulierungen zuständig (MRG 10.2017).

Polizeikräfte werden oft als Erweiterung der Badr-Partei gesehen. Darüber hinaus wird das Polizeikorps, abgesehen von Teilen der Staatspolizei, als schwer korrupt erachtet. In wenigen Ausnahmen sind Offiziere der Staatspolizei ehemalige Offiziere der Armee und werden als weniger korrupt und konfessionalistisch gesehen. Die meisten sind allerdings durch politische Einflussnahme und Vereinbarungen verschiedener Parteien an ihre Position gelangt (MRG 10.2017).

Im Allgemeinen vertraut die Bevölkerung eher der Armee als der Polizei. Die Mehrheit der Bewohner Bagdads, die in einer Umfrage einer NGO befragt wurden, ob sie in einer Notsituation die Polizei kontaktieren würden, sagten sie würden erst versuchen, das Problem selbst zu beheben. Knapp unter 50 Prozent meinten, sie würden der Polizei unter keinen Umständen Bericht erstatten. Im Vergleich dazu:

über 70 Prozent derer, die in Gebieten leben, in denen die Armee für die Sicherheit verantwortlich ist, gaben an, sie würden, wenn nötig, ihre lokalen Sicherheitskräfte kontaktieren. In derselben Umfrage wurden Bewohner gefragt, ob sie jemals Bestechungsgeld gezahlt hätten, um Unterstützung von offiziellen Sicherheitskräften zu erhalten, was 30 Prozent der Befragten bejahten. Zuletzt wurden Bewohner gefragt ob sich die Sicherheits-Situation in Bagdad verbessern oder verschlechtern würde, worauf beinahe 70 Prozent antworteten, das sie sich verbessere (MRG 10.2017).

In der Provinz Bagdad beschränken sich die Aktivitäten des IS vor allem auf "unkonventionelle Attacken" gegen Zivilisten und hochrangige Opfer - in erster Linie durch die Verwendung von IEDs (MRG 10.2017).

1.4.2. Popular Mobilization Forces (PMF) - Milizen:

Während die PMF generell auf Schlachtfeldern quer durch das Land eingesetzt wurden, bewahren einige eine signifikante Präsenz in Bagdad. Die älteren und größeren [überwiegend schiitischen] Milizen sind jene, die vorwiegend als aktive Gruppen einen Teil der Sicherheitskräfte der Stadt repräsentieren. [...] Sunnitische Milizen kommen in der Stadt Bagdad nicht vor, aber sehr wohl in manchen Teilen des 'Bagdad-Belt', besonders in den Bezirken, die an Anbar und das Gouvernement Salah al-Din grenzen, inklusive Taji, Tarmiya und Abu Ghraib. Auf lokaler Ebene agieren PMF-Einheiten parallel und oft im Konflikt mit den ISF. Bewaffnete Konflikte zwischen ISF und PMUs, wenn auch selten, wurden im Gouvernement Bagdad beobachtet. Während die PMF weitläufig von der schiitischen Bevölkerung unterstützt werden, wurden sie beschuldigt, Menschenrechtsverletzungen gegen sunnitische Zivilisten in Gebieten begangen zu haben, die vom IS zurückerobert wurden, - wie von diversen Organisationen wie z.B. Human Rights Watch, Amnesty International und Minority Rights Group dokumentiert wurde. Berichterstattung dieser Art tendiert dazu, sich auf die Gouvernements zu konzentrieren, in denen in den letzten zwei Jahren Militäreinsätze stattgefunden haben - wie in etwa in Anbar, Ninewa und Salah al-Din - sowie auf Gebiete, in denen außer Frage steht, dass Milizen ungestraft agierten. Aufgrund dessen werden Menschenrechtsverletzungen innerhalb des Gouvernements Bagdad nicht so eingehend verfolgt (MRG 10.2017).

Im Folgenden werden einige Beispiele der wichtigsten PMF-Milizen aufgezählt, die in Bagdad operieren: Badr-Organisation, Asaib Ahl al-Haq, Saraya al-Salam, Saraya al-Khorasani, Kataib Hizbullah (MRG 10.2017).

Durch die staatliche Akzeptanz, teilweise Führung und Bezahlung der Milizen (s. PMF) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren. In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur organisierten Kriminalität durchsetzen (AA 7.2.2017). Insgesamt konnten zivile Behörden nicht immer die Kontrolle über alle Sicherheitskräfte bewahren. Dies betrifft neben den PMF auch die regulären bewaffneten Kräfte, sowie heimische Sicherheitsdienste (USDOS 3.3.2017).

1.4.3. Schiitische Milizen Asa'ib Ahl al-Haqq und Saraya al-Salam und Gewalt gegen Sunniten:

Die Asa'ib Ahl al-Haqq (Liga der Rechtschaffenen oder Khaz'ali-Netzwerk, League of the Righteous) wurde 2006 von Qais al-Khaz'ali gegründet und bekämpfte zu jener Zeit die US-amerikanischen Truppen im Irak. Asa'ib Ahl al-Haqq unternahm den Versuch, sich als politische Kraft zu etablieren, konnte bei den Parlamentswahlen 2014 allerdings nur ein einziges Mandat gewinnen. Ausgegangen wird von einer Gruppengröße von mindestens 3.000 Mann; einige Quellen sprechen von 10.000 bis 15.000 Kämpfern. Die Miliz erhält starke Unterstützung vom Iran und ist wie die Badr-Oganisation und Kata'ib Hizbullah vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv. Sie gilt heute als gefürchtetste, weil besonders gewalttätige Gruppierung innerhalb der Volksmobilisierung, die religiös-politische mit kriminellen Motiven verbindet. Ihr Befehlshaber Khaz'ali ist einer der bekanntesten Anführer der Volksmobilisierungseinheiten (Süß 21.8.2017).

Saraya al-Salam (Schwadronen des Friedens, Peace Brigades) wurden im Juni 2014 nach der Fatwa Sistanis auf Anweisung von Muqtada as-Sadr gegründet und sollten möglichst viele der Freiwilligen vereinigen. Die Gruppierung kann de facto als eine Fortführung der ehemaligen Mahdi-Armee bezeichnet werden. Diese ist zwar 2008 offiziell aufgelöst worden, viele ihrer Kader und Netzwerke blieben jedoch aktiv und konnten 2014 leicht wieder mobi

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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