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10 VerfassungsrechtNorm
StGG Art12 / VersammlungsrechtLeitsatz
Keine Verletzung der Versammlungsfreiheit durch die rechtmäßige Auflösung einer Straßenblockade und durch die Verhängung von Verwaltungsstrafen wegen Nichtbefolgen der Anordnung des sofortigen Verlassens des Versammlungsortes; rechtmäßiges Absehen vom Durchführen einer mündlichen VerhandlungSpruch
Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch in einem Recht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Vorarlberg (UVS Vlbg.) erkannte mit den im Instanzenzug ergangenen (im wesentlichen gleichlautenden) Bescheiden vom 28. Februar 1996 die Beschwerdeführer schuldig, am 23. Juni 1993 um etwa 23,20 Uhr als Teilnehmer einer für aufgelöst erklärten Versammlung auf der Baustelle L 52 in Rankweil-Brederis auf der Höhe der Florianistraße der Anordnung des Bezirkshauptmannes, den Versammlungsort sogleich zu verlassen, nicht Folge geleistet hätten, indem sie sich geweigert hätten, den neben der Trasse errichteten Unterstand zu verlassen. Sie hätten dadurch Verwaltungsübertretungen nach §14 Abs1 iVm §19 Versammlungsgesetz 1953 (VersG 1953) begangen. Über die Beschwerdeführer wurden Geldstrafen und Ersatzfreiheitsstrafen verhängt.
2. Gegen diese Bescheide wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten, verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten ("Recht auf ein faires Verfahren (Art6 EMRK), Eigentumsrecht, Willkürverbot, Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter") behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragt wird.
3. Der UVS Vlbg. als jene Behörde, die die angefochtenen Bescheide erlassen hat, legte die Akten der Verwaltungsverfahren vor und erstattete eine Gegenschrift, in der begehrt wird, die Beschwerde abzuweisen.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Wie bereits in dem u.a. die beiden Beschwerdeführer betreffenden, über eine gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gerichtete Beschwerde absprechenden Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 30. November 1995, B262-267/95, dargelegt wurde, nahmen neben anderen Personen die beiden Beschwerdeführer am 23. Juni 1993 an einer Zusammenkunft teil, die gegen den Bau der Landesstraße L 52 (Umfahrung Brederis, Gemeindegebiet Rankweil) gerichtet war. Etwa 15 Demonstranten hielten sich auch nachts in einem von ihnen errichteten Unterstand auf. Der Bezirkshauptmann von Feldkirch erklärte gegen 23,20 Uhr die von ihm als Versammlung gewertete Zusammenkunft als aufgelöst. Im zitierten Erkenntnis wird dargetan, daß die Wertung als Versammlung i.S. des VersG 1953 richtig war und daß auch deren Auflösung dem Gesetz (nämlich dem §13 VersG 1953) entsprach.
Die beiden nunmehr (neuerlich) als Beschwerdeführer auftretenden Personen beschwerten sich zu B262-267/95 auch gegen ihre Festnahme. Der Verfassungsgerichtshof wies mit der erwähnten Vorentscheidung auch den sich darauf beziehenden Beschwerdeteil ab und führte aus:
"Wie oben (.....) dargetan, wurde die Versammlung zu Recht aufgelöst; die beiden Beschwerdeführer kamen den wiederholten Aufforderungen, den Versammlungsort zu verlassen, nicht nach. Die Annahme des UVS, die gesetzlichen Voraussetzungen für die Festnahme und kurzfristige Anhaltung der Beschwerdeführer Sch. und S. seien gegeben gewesen, ist unter diesen Umständen zumindest vertretbar."
2. Die vorliegende Beschwerde geht auf dieses Erkenntnis mit keinem Wort ein, sondern argumentiert lediglich mit der Behauptung, im Verwaltungsstrafverfahren hätten gravierende Verfahrensfehler stattgefunden, die die Verletzung der oben zu I.2. angeführten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte bewirkt hätten:
a) Die angefochtenen Bescheide konkretisierten nicht, worin die Weigerung der Beschwerdeführer, den neben der Trasse errichteten Unterstand zu verlassen und worin ihre Widerstandshandlungen bestanden hätten.
b) Der UVS Vlbg. habe es - entgegen dem Art6 EMRK - unterlassen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen.
c) Die Straferkenntnisse erster Instanz seien vom Bezirkshauptmann von Feldkirch gefertigt worden. Im Hinblick darauf, daß dieser die Versammlung aufgelöst und die Teilnehmer zum Verlassen des Unterstandes aufgefordert habe, sei er befangen gewesen.
3.a) Der Verfassungsgerichtshof ist bei der Entscheidung über Beschwerden nach Art144 B-VG nicht an die Beschwerdebehauptungen gebunden, soweit damit die Verletzung bestimmter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte geltend gemacht wird; vielmehr hat er zu untersuchen, ob der Beschwerdeführer in irgendeinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt wurde (vgl. z.B. VfSlg. 4062/1961, 7370/1974 und 12166/1989).
b) Hier liegt am nächsten zu untersuchen, ob die Beschwerdeführer durch die bekämpften Bescheide im verfassungsgesetzlich geschützten Recht auf Versammlungsfreiheit verletzt wurden. Dieses Recht gewährleistet nämlich nicht bloß, sich zu versammeln, sondern auch versammelt zu bleiben, also nicht auseinandergehen zu müssen.
Nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (vgl. z.B. VfSlg. 8685/1979, 9107/1981, 9603/1983; VfGH 30.11.1995 B1495/94) kann auch eine Bestrafung wegen Übertretung des VersG 1953 in das erwähnte Grundrecht eingreifen.
Jede Verletzung des VersG 1953, die in die Versammlungsfreiheit eingreift, ist als Verletzung des durch Art12 StGG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes zu werten (vgl. z.B. VfSlg. 9103/1981, 9303/1981, 9646/1983, 9783/1983, 10443/1985; VfGH 30.11.1995 B262-267/95). Auch Verfahrensmängel können dieses Recht verletzen (vgl. z.B. VfSlg. 11832/1988). Auf die Einhaltung des im VersG 1953, im AVG und sonst in der Rechtsordnung geregelten Verfahrens besteht ein verfassungsgesetzlich gewährleisteter Anspruch, der unter Berufung auf die Versammlungsfreiheit geltend gemacht werden kann, sofern sich der unterlaufene Mangel als wesentlich darstellt, d.h., wenn die Behörde bei Beachtung der Verfahrensnormen zu einem anderen Spruch hätte kommen können (vgl. z.B. VfSlg. 3786/1960, 11832/1988; VfGH 30.11.1995 B1495/94).
c) Eine Verletzung des VersG 1953 oder von Verfahrensnormen ist hier nicht vorgekommen:
Gemäß §14 Abs1 VersG 1953 sind, sobald eine Versammlung für aufgelöst erklärt wurde, alle Anwesenden verpflichtet, den Versammlungsort sogleich zu verlassen und auseinanderzugehen. Zuwiderhandelnde sind nach §19 VersG 1953 zu bestrafen.
Aus den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt sich, daß die Behörde eine Versammlung rechtmäßig aufgelöst hat und daß die beiden Beschwerdeführer den Versammlungsort (den Unterstand) nicht sogleich verlassen haben. Dieser Sachverhalt wurde bereits im zitierten Vorerkenntnis als erwiesen angenommen.
Wenn die Beschwerdeführer nähere Feststellungen darüber vermissen, daß sie gegen das Auseinandergehen Widerstand geleistet hätten, ist ihnen entgegenzuhalten, daß ein derartiges Verhalten nicht Tatbestandsmerkmal ist. Das - eindeutig erwiesene - Unterlassen, unverzüglich nach Auflösung der Versammlung den Versammlungsort zu verlassen, erfüllt bereits den Tatbestand nach den §§14 und 19 VersG 1953. Allein schon deshalb ist es entbehrlich, daß der Verfassungsgerichtshof - wie von den Beschwerdeführern begehrt - Beweise (Ansehen eines Videofilmes) aufnimmt.
Dem §51e Abs2 VStG zufolge kann eine mündliche Verhandlung vor dem UVS u.a. dann unterbleiben, wenn im bekämpften Bescheid eine 3.000 S nicht übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, es sei denn, daß eine Partei die Durchführung einer Verhandlung ausdrücklich verlangt. Gegen diese Bestimmung bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. VfSlg. 11855/1988, 13432/1993). Hier waren Geldstrafen von je 1.000 S verhängt worden; eine Verhandlung hatten die Beschwerdeführer nicht begehrt. Daraus folgt, daß es rechtmäßig war, von der Durchführung einer Verhandlung abzusehen.
Was schließlich den dritten Vorwurf der Beschwerde anlangt, der Bezirkshauptmann, der die in erster Instanz ergangenen Straferkenntnisse genehmigte, sei befangen gewesen, ist dieser allein schon deshalb nicht zielführend, weil die Mitwirkung eines befangenen Organs bei der Entscheidung der ersten Instanz durch eine Berufungsentscheidung, der dieser Mangel nicht anhaftet, gegenstandslos wird (s. VwGH 7.2.1969, Zl. 1307/68, ebenso VwGH 11.1.1984, Zl. 83/03/0070, 0072; vgl. im übrigen VwGH 20.2.1985, Zl. 82/01/0229 und die dort zitierte weitere Vorjudikatur, wonach ein Verwaltungsorgan nicht deshalb befangen ist, weil es die Anzeige veranlaßt hat).
Die Beschwerdeführer wurden sohin durch die angefochtenen Bescheide nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Versammlungsrecht verletzt.
d) Im Hinblick darauf, daß die Bescheide - wie dargetan - inhaltlich und prozessual dem Gesetz entsprechen, ist es ausgeschlossen, daß die Beschwerdeführer in einem sonstigen Recht (etwa nach Art11 EMRK) verletzt wurden.
e) Gegen die angewendeten Rechtsvorschriften bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Beschwerdeführer wurden daher auch nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt.
f) Die Beschwerde war also abzuweisen.
4. Die Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Versammlungsrecht, Verhandlung mündliche, VfGH / Prüfungsmaßstab, BefangenheitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1997:B1382.1996Dokumentnummer
JFT_10029772_96B01382_00