Entscheidungsdatum
29.01.2019Norm
B-VG Art.133 Abs4Spruch
G314 2212243-1/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde der XXXX, geboren am XXXX,
Staatsangehörigkeit: Bosnien und Herzegowina, vertreten durch den Rechtsanwalt XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamts für
Fremdenwesen und Asyl vom 17.11.2018, Zl. XXXX:
A) Der Beschwerde wird insofern Folge gegeben, als der angefochtene
Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen wird.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
Verfahrensgang und Sachverhalt:
Am 26.02.2016 wurde der Beschwerdeführerin (BF) aufgrund ihrer Ehe mit dem slowakischen Staatsangehörigen XXXX antragsgemäß eine Aufenthaltskarte als Angehöriger eines EWR-Bürgers ausgestellt.
Wegen des Verdachts einer Aufenthaltsehe informierte die Magistratsabteilung 35 der Stadt Wien mit Schreiben vom 10.08.2018 die Landespolizeidirektion Wien gemäß § 37 Abs 4 NAG. Diese stellte Erhebungen an und erstattete entsprechende Berichte, die den Verdacht erhärteten.
Am 23.10.2018 wurde die BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vernommen; Gegenstand der Amtshandlung waren laut Niederschrift die Überprüfung des Aufenthalts und die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme. Der BF wurde mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, gegen sie eine Rückkehrentscheidung und eventuell ein Einreiseverbot zu erlassen.
Mit dem oben angeführten Bescheid wurde der BF kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG erteilt und eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt I.), die Zulässigkeit ihrer Abschiebung nach Serbien festgestellt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt (Spruchpunkt III.). Die Rückkehrentscheidung wurde mit ihrem nicht rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet begründet. Sie sei nicht als begünstigte Drittstaatsangehörige anzusehen, weil ihr Ehemann Österreich schon lange verlassen habe und von einer Aufenthaltsehe auszugehen sei.
Dagegen richtet sich die Beschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Bescheids. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag gestellt. Die BF begründet die Beschwerde im Wesentlichen damit, dass sie keine Aufenthaltsehe geschlossen habe und sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte.
Das BFA legte die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor, wo sie am 07.01.2019 einlangten.
Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang und der oben wiedergegebene Sachverhalt ergeben sich ohne entscheidungswesentliche Widersprüche aus dem Inhalt der vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens und des Gerichtsakts des BVwG. Die Aufenthaltskarte der BF ist im Fremdenregister dokumentiert. Kopien aus dem Reisepass der BF, die ihre Identität und ihre bosnisch-herzegowinische Staatsangehörigkeit belegen, wurden vorgelegt.
Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über eine Bescheidbeschwerde gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG, wie sie hier vorliegt, in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2). Wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs 3 VwGVG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist dann an die rechtliche Beurteilung gebunden, von der das Verwaltungsgericht ausgegangen ist. Von der Möglichkeit einer Zurückverweisung kann nur bei besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren2 § 28 VwGVG Anm 13).
Solche krassen Ermittlungslücken liegen hier vor. Dabei ist von folgender rechtlicher Beurteilung auszugehen: Die BF ist als Ehegattin eines EWR-Bürgers, der sein unionsrechtliches Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hat, begünstigte Drittstaatsangehörige iSd § 2 Abs 4 Z 11 FPG. Bei Wegfall des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, welches eine Aufenthaltskarte dokumentieren soll, ist nicht automatisch auch der rechtmäßige Aufenthalt im Bundesgebiet beendet. Ein Fremder, für den eine Dokumentation eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts ausgestellt wurde, bleibt selbst bei Wegfall des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts bis zum Abschluss des nach § 55 NAG vorgesehenen Verfahrens gemäß § 31 Abs 1 Z 2 FPG rechtmäßig aufhältig. Es soll ihm möglich sein, trotz des Wegfalls der Voraussetzungen für ein aus dem Unionsrecht abgeleitetes Aufenthaltsrecht während seines Aufenthalts im Inland auf einen für seinen künftigen Aufenthaltszweck passenden Aufenthaltstitel "umzusteigen", ohne dass dies zur Folge hätte, dass während dieses Verfahrens sein Aufenthalt unrechtmäßig wäre (VwGH 18.06.2013, 2012/18/0005; siehe auch Abermann et al, Kommentar NAG 2016, § 55 Rz 7 ff).
Kommt die Niederlassungsbehörde bei der Prüfung des Fortbestands der Voraussetzungen für das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen dafür nicht mehr vorliegen, hat sie die in § 55 Abs 3 NAG vorgesehenen Verfahrensschritte (Befassung des BFA und Information des Betroffenen) zu setzen.
Die Frage des Bestehens des gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltsrechts und der Zulässigkeit einer Aufenthaltsbeendigung hat dann das BFA zu beurteilen (vgl VwGH 17.11.2011, 2009/21/0378). Diese Frage ist anhand des § 66 FPG zu prüfen, ohne dass es auf das Vorliegen einer Eigenschaft des Fremden als begünstigter Drittstaatsangehöriger
iSd § 2 Abs 4 Z 11 FPG ankommt.
§ 66 FPG erfasst - wie der Verweis auf § 55 Abs 3 NAG zeigt - auch Fälle wie den hier zu beurteilenden, in dem geprüft werden soll, ob für einen Drittstaatsangehörigen, der über eine Aufenthaltskarte verfügt, die Voraussetzungen für das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht, also auch begünstigter Drittstaatsangehöriger zu sein, nicht mehr vorliegen (siehe VwGH 18.06.2013, 2012/18/0005).
Die Parteien eines Verwaltungsverfahrens haben gemäß § 37 AVG das Recht, im Ermittlungsverfahren gehört zu werden. Gemäß § 45 Abs 3 AVG ist ihnen insbesondere Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen. Daher sind ihnen alle im Rahmen des Beweisverfahrens getroffenen Tatsachenfeststellungen von Amts wegen zur Kenntnis zu bringen (vgl Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10 Rz 334).
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das BFA hier den entscheidungswesentlichen Sachverhalt unzureichend festgestellt. Auf der Grundlage des bisherigen Beweisverfahrens ist die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts nicht möglich; dieser ist vielmehr in wesentlichen Teilen ergänzungsbedürftig. Es wurden lediglich Ermittlungen im Hinblick auf die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbots vorgenommen, nicht aber im Hinblick auf die Erlassung einer Ausweisung iSd § 66 FPG oder allenfalls (bei einer entsprechend schwerwiegenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit durch das Verhalten der BF) eines Aufenthaltsverbots iSd § 67 FPG.
Gegen die BF hätte keine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 1 Z 1 FPG erlassen werden dürfen. Die Annahme des BFA, ihr Aufenthalt sei nicht rechtmäßig, ist trotz der Trennung von ihrem Ehemann und dessen Rückkehr in die Slowakei falsch, sogar wenn eine Aufenthaltsehe vorliegen sollte. Letzteres hat das BFA bislang - wie die Beschwerde richtig moniert - noch gar nicht eindeutig festgestellt. Aufgrund der Berichte der Landespolizeidirektion Wien hätte es die Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbots prüfen müssen. Es wurden jedoch keine Ermittlungen zum Vorliegen der Voraussetzungen dafür vorgenommen. Weder wurde die BF dazu gehört noch wurden entsprechende Feststellungen getroffen. Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids ist überdies insofern mangelhaft, als es keine Anhaltspunkte dafür gibt, die Abschiebung der BF nach Serbien für zulässig zu erklären, zumal in erster Linie ihr Herkunftsstaat Bosnien und Herzegowina als Zielstaat einer Abschiebung in Betracht kommt.
Die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung durch das Gericht nicht vor, weil es weder zu einer Kostenersparnis noch zu einer Verfahrensbeschleunigung führt, wenn das BVwG die notwendigen Erhebungen selbst vornimmt, zumal zu den tragenden Sachverhaltselementen überhaupt keine Beweisergebnisse vorliegen und der BF zu den entscheidungswesentlichen Tatsachen kein Parteiengehör gewährt wurde. Mit einer Entscheidung nach §§ 66 f FPG würde das BVwG überdies die durch den angefochtenen Bescheid festgelegte Verwaltungssache (Erlassung einer Rückkehrentscheidung) überschreiten, sodass die von der BF primär angestrebte meritorische Entscheidung durch das Gericht nicht in Betracht kommt. Ihre Beschwerde ist aber im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungs- und Rückverweisungsantrags berechtigt.
Das BFA wird im fortgesetzten Verfahren (ausgehend vom nach wie vor rechtmäßigen Aufenthalt der BF im Bundesgebiet) insbesondere zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen für ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht weggefallen sind, ob eine Ausweisung gemäß § 66 FPG zulässig ist und ob allenfalls die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 FPG durch das Eingehen einer Aufenthaltsehe vorliegen. Es wird der BF Gelegenheit zur Stellungnahme dazu geben und erforderlichenfalls eindeutige, durch eine nachvollziehbare Beweiswürdigung begründete Feststellungen zum Vorliegen einer Aufenthaltsehe treffen müssen. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass der Ehemann der BF laut Firmenbuch zwischen November 2013 und Oktober 2017 Geschäftsführer und danach Liquidator der mittlerweile infolge Vermögenslosigkeit gelöschten XXXX GmbH (FN XXXX) mit Sitz in XXXX war, über deren Vermögen laut Insolvenzdatei mit dem Beschluss des Handelsgerichts XXXX vom XXXX2017, XXXX, mangels Kostendeckung kein Insolvenzverfahren eröffnet wurde.
Eine mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG, weil schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Die Revision war wegen der Einzelfallbezogenheit der Entscheidung über die Anwendung des § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG, die keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG begründet, nicht zuzulassen (siehe z.B. VwGH 25.01.2017, Ra 2016/12/0109).
Schlagworte
Aufenthaltsrecht, Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:G314.2212243.1.00Zuletzt aktualisiert am
17.04.2019