TE Vwgh Erkenntnis 1999/4/13 97/08/0025

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Veröffentlicht am 13.04.1999
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Index

20 Privatrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
60 Arbeitsrecht;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66 Sozialversicherung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;
68/02 Sonstiges Sozialrecht;

Norm

AlVG 1977 §10 Abs1;
AlVG 1977 §9 Abs1 idF 1993/502;
AlVG 1977 §9 Abs1;
AMFG §19 Abs1 litb;
AVG §66 Abs4;
BeschäftigungssicherungsNov 1993 Art4 Z1;
BeschäftigungssicherungsNov 1993 Art4 Z11;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der H in W, vertreten durch Dr. Paul Friedl, Rechtsanwalt in 8552 Eibiswald 20, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 16. Dezember 1996, Zl. 12/1218/56-920/3018230748, betreffend Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe gemäß § 10 AlVG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Mit Bescheid vom 4. September 1996 sprach eine regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice aus, dass die Beschwerdeführerin den Anspruch auf Notstandshilfe gemäß § 38 in Verbindung mit § 10 AlVG für die Zeit vom 29. Juli 1996 bis zum 8. September 1996 verloren habe. In der Begründung wurde nach auszugsweiser Wiedergabe der im Spruch genannten Gesetzesstellen ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe eine vom Arbeitsmarktservice angebotene Kursmaßnahme vereitelt. Berücksichtigungswürdige Gründe für eine Nachsicht lägen nicht vor.

Die Beschwerdeführerin erhob Berufung. Darin führte sie aus, sie habe die Kursmaßnahme nicht abgelehnt. Die beiden Kursleiterinnen hätten sie nicht in den Kurs aufgenommen, weil dieser in Anbetracht ihrer gerade laufenden Bemühungen, sich selbständig zu machen, für die Beschwerdeführerin überhaupt keinen Sinn habe.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. In der Begründung wurde nach Darstellung der Rechtslage und des Verwaltungsgeschehens ohne Feststellung eines Sachverhalts lediglich ausgeführt, "dass der erstinstanzliche Bescheid zu bestätigen ist, da Ihre vorgebrachten Entschuldigungsgründe nicht berücksichtigungswürdig sind."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legt die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in ihrer Gegenschrift, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

2. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 9 Abs. 1 AlVG ist arbeitswillig, wer (u.a.) bereit ist, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen und auch sonst alle gebotenen Anstrengungen von sich aus unternimmt, eine Beschäftigung zu erlangen, soweit ihm dies nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbar ist.

Gemäß § 10 Abs. 1 AlVG verliert ein Arbeitsloser, der ohne wichtigen Grund die Teilnahme an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt verweigert oder den Erfolg der Maßnahme vereitelt, für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden sechs Wochen den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Diese Bestimmung ist gemäß § 38 AlVG auch auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

Diese Bestimmungen sind Ausdruck des dem gesamten Arbeitslosenversicherungsrecht zugrunde liegenden Gesetzeszwecks, den arbeitslos gewordenen Versicherten, der trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keinerlei Beschäftigung gefunden hat, möglichst wieder durch Vermittlung in eine ihm zumutbare Beschäftigung einzugliedern und ihn so in die Lage zu versetzen, seinen Lebensunterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. Wer eine Leistung der Versichertengemeinschaft der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nimmt, muss sich daher darauf einstellen, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt auch teilzunehmen (vgl. die zur Bereitschaft, eine vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen, ergangenen hg. Erkenntnisse vom 23. Februar 1984, Slg. Nr. 11.337/A, und vom 27. April 1993, Zl. 92/08/0219). Um sich durch die Teilnahme an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt arbeitswillig zu zeigen, bedarf es grundsätzlich einerseits eines auf die Teilnahme ausgerichteten aktiven Handelns des Arbeitslosen, andererseits aber auch der Unterlassung jedes Verhaltens, welches objektiv geeignet ist, den Erfolg der Maßnahme zu vereiteln.

2.1. Der Beschwerdeführerin wurde am 16. Juli 1996 als Wiedereingliederungsmaßnahme ein Kurs "Berufsorientierungsmaßnahme für Langzeitarbeitslose" mit Beginn 29. Juli 1996 angeboten. Zu einer Teilnahme an diesem Kurs kam es jedoch nicht.

Die Kursleiterin gab dazu an, die Beschwerdeführerin habe an dem Kurs nicht teilnehmen wollen.

In der Niederschrift vom 13. August 1996 hat die Beschwerdeführerin die Nichtannahme der Wiedereingliederungsmaßnahme wie folgt begründet:

"Dieser Kurs hat für mich keinen Sinn, da ich in den Jahren vor meiner Arbeitslosigkeit selbständig war und zur Zeit daran arbeite, mich wieder selbständig machen zu können.

Mir gegenüber sagte die Beraterin, dass diese Maßnahme für mich völlig sinnlos sei und mir nichts bringe. Die von der Kursbetreuerin gemachten Mitteilungen an das AMS Esteplatz entsprechen nicht ganz der Richtigkeit bezüglich einer Kursverweigerung."

Ihre Berufung vom 10. September 1996 begründete die Beschwerdeführerin unter anderem folgendermaßen:

"Die Dame am WIFI fragte mich, was ich derzeit mache, worauf ich den Tatsachen entsprechend antwortete, dass ich damit beschäftigt bin, ein MLM-Unternehmen (Multi Level-Marketing) zu starten, um wieder selbständig arbeiten zu können.

Darauf wurde ich gefragt, warum ich zu diesem Termin erschienen sei?

Ich sagte, weil mir dies vom Arbeitsamt vorgeschrieben wurde und ich dies machen muss. Die Damen (es waren zwei) meinten, dieser Kurs hat doch für sie überhaupt keinen Sinn, wir werden sie nicht in diesen Kurs aufnehmen!"

Diese Angaben hat die Beschwerdeführerin bei ihrer Einvernahme vom 21. November 1996 bestätigt und weiter ausgeführt, dass sie krankheitsbedingt nur zwei bis drei Stunden sitzen könne, weil sie sonst fürchterliche Schmerzen bekomme.

2.2. Gemäß § 58 Abs. 2 AVG sind Bescheide zu begründen, wenn dem Standpunkt der Partei nicht vollinhaltlich Rechnung getragen oder über Einwendungen oder Anträge von Beteiligten abgesprochen wird. Gemäß § 60 AVG sind in der Begründung die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen.

Dem angefochtenen Bescheid ist nicht zu entnehmen, von welchen Tatsachenfeststellungen die belangte Behörde ausgegangen ist. Es fehlt auch jede Auseinandersetzung mit den Beweisergebnissen, insbesondere den Ausführungen zur Beweiswürdigung, die schon im Hinblick auf die diametral gegenüberstehenden Angaben der Beschwerdeführerin sowie der Kursleiterin über die Gründe der unterbliebenen Teilnahme an der angebotenen Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt angezeigt gewesen wären (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 1998, Zl. 95/08/0056).

2.3. Auch mit der Einwendung der Beschwerdeführerin, sie könne aus gesundheitlichen Gründen nicht länger als zwei Stunden sitzen, hat sich die belangte Behörde nicht auseinander gesetzt und ihren Bescheid insofern mit einem Feststellungsmangel belastet, als derartige gesundheitliche Beeinträchtigungen einen wichtigen Grund im Sinn des § 10 Abs. 1 AlVG darstellen könnten, die Kursteilnahme zu verweigern.

2.4. Die belangte Behörde hätte sich auch mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin auseinander setzen müssen, sie stehe unmittelbar vor Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit. Einer derartigen Feststellung könnte Relevanz im Hinblick auf § 10 Abs. 2 AlVG zukommen, wonach der Ausschluss vom Bezug des Arbeitslosengeldes in berücksichtigungswürdigen Fällen, wie zB Aufnahme einer anderen Beschäftigung, ganz oder teilweise nachzusehen ist.

Schließlich wird die belangte Behörde zu berücksichtigen haben, dass die Zuweisung zu einer Nach- oder Umschulung zur Voraussetzung hat, dass die Kenntnisse des Arbeitslosen für die Vermittlung einer zumutbaren Beschäftigung nach Lage des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes nicht ausreichend sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. September 1997, Zl. 97/08/0414). Ebenso kann ein Arbeitsloser, dem eine Wiedereingliederungsmaßnahme ("Arbeitstraining") ohne nähere Spezifikation und ohne Vorhalt jener Umstände zugewiesen wird, aus denen sich das Arbeitsmarktservice zur Zuweisung berechtigt erachtet, im Falle der Weigerung, einer solchen Zuweisung Folge zu leisten, nicht vom Bezug der Geldleistung aus der Arbeitslosenversicherung i.S.d. § 10 Abs. 1 AlVG ausgeschlossen werden (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 26. September 1995, Zl. 94/08/0131 und vom 30. März 1993, Zl. 92/08/0216). Diese inhaltliche Rechtswidrigkeit war vorrangig als Aufhebungsgrund gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG heranzuziehen.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 13. April 1999

Schlagworte

Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und Beweise

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1997080025.X00

Im RIS seit

18.10.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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