TE Vwgh Erkenntnis 1999/4/13 97/08/0154

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Veröffentlicht am 13.04.1999
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

ABGB §1297;
AlVG 1977 §25 Abs1;
AlVG 1977 §38;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des F in W, vertreten durch Dr. Felix Hurdes, Rechtsanwalt in Wien I, Riemergasse 4, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 17. Jänner 1997, Zl. LGSW/Abt. 12/1218/56/1997, betreffend Widerruf der Zuerkennung und Rückforderung von Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer bezog bis 1. April 1996 Arbeitslosengeld und danach Notstandshilfe. Nach dem Inhalt einer am 15. April 1996 mit ihm aufgenommenen Niederschrift wurde ihm an diesem Tag auf sein Ersuchen "ausnahmsweise, erstmalig und letztmalig" eine Barauszahlung in der Höhe von S 2.000,-- gewährt (Akt Seite 26). Vom 15. bis zum 21. April 1996 bezog der Beschwerdeführer insgesamt S 1.992,20 Krankengeld. Ab 24. April 1996 stand er in einem Dienstverhältnis. Beide Umstände wurden dem Arbeitsmarktservice rechtzeitig gemeldet. Aufgrund einer verspäteten Bearbeitung dieser Meldungen (so die Darstellung der belangten Behörde in der Gegenschrift) wurden dem Beschwerdeführer für April 1996 jedoch im Nachhinein weitere S 7.350,-- an Notstandshilfe angewiesen, womit sich die für diesen Monat von ihm bezogene Notstandshilfe - unter Hinzurechnung der Barauszahlung - auf S 9.350,-- erhöhte.

Mit dem erstinstanzlichen Bescheid vom 17. Mai 1996 wurde die Zuerkennung der Notstandshilfe für die Zeiträume vom 15. April 1996 bis zum 21. April 1996 und vom 24. April 1996 bis zum 30. April 1996 widerrufen und der Beschwerdeführer zur Rückzahlung von S 4.312,-- verpflichtet.

In seinem Rechtsmittel gegen diese Entscheidung brachte der Beschwerdeführer vor, er habe sich persönlich abgemeldet "und keinen Notstand bezogen".

Am 23. Dezember 1996 wurde dem Beschwerdeführer in einer vor der belangten Behörde mit ihm aufgenommenen Niederschrift vorgehalten, er habe für April 1996 insgesamt S 9.350,-- an Notstandshilfe erhalten. Dazu gab er an, den Vorschuss im April 1996 - im Gegensatz zur nachträglichen Überweisung von S 7.350,-- - nie erhalten zu haben. Einen Vorschuss habe er erstmals im November 1996 beantragt. Den weiteren Vorhalt, er habe nicht mit der nachträglichen Überweisung eines vollen Monatsbezuges rechnen können, beantwortete der Beschwerdeführer damit, dass sein Arbeitslosengeld zuvor S 13.184,-- im Monat betragen habe. Nachdem er sich im April 1996 "ca. ein halbes Monat abgemeldet" habe, habe er geglaubt, dass ihm die S 7.350,-- zustünden. Zum Vorhalt, er habe mit einem im Vergleich zum Arbeitslosengeld geringeren Bezug rechnen müssen, gab er an, er habe das erste Mal Notstandshilfe bezogen und "nicht genau" gewusst, wieviel ihm zustehe. Eine Unterfertigung der Niederschrift verweigerte er mit dem Hinweis, dass er damit "die Einbehaltungen anerkennen" müsste (Akt Seite 97 ff).

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. Sie bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid, ging im Sachverhalt davon aus, der Beschwerdeführer habe auch die Barauszahlung am 15. April 1996 erhalten, und vertrat zur Rückforderung in rechtlicher Hinsicht die Meinung, der Beschwerdeführer hätte erkennen müssen, dass die nachträgliche Überweisung bei Berücksichtigung der Barauszahlung und des Krankengeldes zu hoch gewesen sei. Wenn der Beschwerdeführer einwende, er habe für einen halben Monat mit der Hälfte der Leistung gerechnet, so sei darauf zu erwidern, dass der monatliche Anspruch demnach mehr als S 18.500,-- hätte betragen müssen, wohingegen es aber eine allseits bekannte Tatsache sei, dass die Notstandshilfe geringer sei als das Arbeitslosengeld. Der Beschwerdeführer habe daher nicht damit rechnen können, dass er "für den halben April 1996" Notstandshilfe in der Höhe (gemeint: auch nur) der Hälfte des Arbeitslosengeldes erhalten würde. Zudem habe der Beschwerdeführer für April 1996 auch noch aus seinem Dienstverhältnis S 4.031,-- brutto bezogen.

Gegen diesen Bescheid - und zwar nach der Formulierung des Beschwerdepunktes und der Begründung der Beschwerde nur gegen die Rückforderung des Überbezuges - richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Gemäß § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG in Verbindung mit § 38 AlVG ist der Empfänger der Notstandshilfe bei Einstellung, Herabsetzung, Widerruf oder Berichtigung einer Leistung u.a. dann zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte.

In der Beschwerde wird dazu folgende Auffassung vertreten:

"§ 25 AlVG spricht von erkennen müssen, daß die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebühre. Dies indiziert, daß nicht berechtigter Bezug geradezu augenfällig und ohne besondere Aufmerksamkeit erkennbar sein muß. D.h. für jedermann müßte leicht erkennbar sein, daß er Zahlungen grundlos bezogen hat. Ich habe im April 1996 Notstandshilfe von S 7.350,-- erhalten, und zwar ungefähr für ein halbes Monat (vom 15.4.1996 bis 21.4.1996 bezog ich Krankengeld und vom 24.4. bis 30.4.1996 stand ich in einem Dienstverhältnis). Im Vergleich dazu bezog ich im März 1996 S 9.192,-- (wobei ich vom 17. bis 25.3. Krankengeld bezog). D.h. für ungefähr drei Wochen bezog ich im März S 9.192,-- und für ungefähr zwei Wochen im April S 7.350,--. Schon allein aus diesem Vergleich mußte mir ein unberechtigter Bezug für April 1996 nicht erkennbar sein und war er mir dies auch nicht.

Da mir somit nicht erkennbar war und auch nicht erkennbar sein mußte, daß mir die Höhe der bezogenen Leistung nicht gebührte, kann ich nicht nach § 25 Abs. 1 AlVG zum Rückersatz verpflichtet werden."

Dem ist zunächst sachverhaltsbezogen zu erwidern, dass der Beschwerdeführer nach den Feststellungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid auch die Barauszahlung vom 15. April 1996 und für April 1996 somit insgesamt nicht S 7.350,--, sondern S 9.350,-- an Notstandshilfe erhalten hat. Der nicht näher begründeten Ansicht der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe auch die Barauszahlung erhalten, tritt die Beschwerde - die dieses Thema nicht berührt - nicht entgegen. Es wird weder im Sinne der Behauptung des Beschwerdeführers gegenüber der belangten Behörde geltend gemacht, der Beschwerdeführer habe die Barauszahlung im April 1996 gar nicht beantragt (und die Unterschrift auf der Niederschrift stamme in Wahrheit nicht von ihm), noch als Verfahrensmangel gerügt, dass die belangte Behörde dieser Behauptung nicht folgte, ohne dies (etwa durch Hinweis auf diese Niederschrift) näher zu begründen. Angesichts der Aktenlage, im Besonderen der Niederschrift über die Gewährung der Barauszahlung, ist der Überprüfung des Bescheides daher auch in diesem Punkt der von der belangten Behörde angenommene Sachverhalt zugrundezulegen.

Zur Frage der Erkennbarkeit des Überbezuges vertritt der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, das Gesetz statuiere eine (freilich zunächst nicht näher bestimmte) Diligenzpflicht. Aus der Gegenüberstellung mit den zwei anderen in § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG genannten Rückforderungstatbeständen (unwahre Angaben, Verschweigung maßgebender Tatsachen) werde jedoch deutlich, dass für die Anwendung des dritten Rückforderungstatbestandes eine gegenüber den beiden anderen Tatbeständen abgeschwächte Verschuldensform, nämlich Fahrlässigkeit, genüge. Fahrlässige Unkenntnis, dass die Geldleistung nicht oder nicht in der konkreten Höhe gebührt habe, setze voraus, dass die Ungebühr bei Gebrauch der (im Sinne des § 1297 ABGB zu vermutenden) gewöhnlichen Fähigkeiten erkennbar gewesen sei. Ob dies zutreffe, sei im Einzelfall zu beurteilen, wobei jedoch der Grad der pflichtgemäßen Aufmerksamkeit weder überspannt noch überdurchschnittliche geistige Fähigkeiten verlangt werden dürften (vgl. dazu aus jüngerer Zeit etwa das Erkenntnis vom 19. Oktober 1993, Zl. 92/08/0210). Zuletzt hat der Verwaltungsgerichtshof auch ausgeführt, im Falle des "Erkennenmüssens" handle es sich definitionsgemäß um Sachverhalte, bei denen nicht der Leistungsempfänger, sondern in der Regel die Behörde selbst den Überbezug einer Leistung verursacht habe. Soweit daher der Leistungsempfänger am Entstehen eines Überbezuges nicht mitgewirkt habe, sei es sachlich nicht angebracht, vermeidbare Behördenfehler durch überstrenge Anforderungen an den vom Leistungsempfänger zu beobachtenden Sorgfaltsmaßstab zu kompensieren. Schlechtgläubig im Sinne des § 25 Abs. 1 AlVG sei daher nur ein Leistungsbezieher, der nach den konkret zu beurteilenden Umständen des Einzelfalles ohne weiteres den Überbezug hätte erkennen müssen. Dem Leistungsbezieher müsse der Umstand, dass er den Überbezug tatsächlich nicht erkannt habe - ohne dass ihn zunächst besondere Erkundungspflichten träfen - nach seinen diesbezüglichen Lebensverhältnissen und Rechtsverhältnissen vorwerfbar sein (Erkenntnis vom 20. Oktober 1998, Zl. 98/08/0161).

Hatte der Beschwerdeführer im März 1996 für etwa drei Wochen ein Arbeitslosengeld in der Höhe von S 9.192,-- bezogen, so hätte dem für ungefähr zwei Wochen im April 1996 - selbst bei unverminderter Höhe des täglichen Anspruches - ein Betrag von nur S 6.128,-- entsprochen. Da der Beschwerdeführer stattdessen S 9.350,-- erhielt, bedeutet es nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes keine Überspannung von Sorgfaltspflichten im Sinne der dargestellten Grundsätze, wenn die belangte Behörde davon ausging, der Beschwerdeführer hätte den Überbezug erkennen müssen.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 13. April 1999

Schlagworte

Rechtsgrundsätze Treu und Glauben erworbene Rechte VwRallg6/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1997080154.X00

Im RIS seit

18.10.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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