TE Vwgh Erkenntnis 1999/4/14 98/04/0243

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Veröffentlicht am 14.04.1999
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
50/01 Gewerbeordnung;
60/02 Arbeitnehmerschutz;

Norm

ASchG 1972 §24;
ASchG 1972 §27 Abs2;
GewO 1973 §353;
GewO 1973 §74 Abs2;
GewO 1973 §74 Abs3;
GewO 1973 §74;
GewO 1973 §77;
GewO 1973 §81;
GewO 1994 §353;
GewO 1994 §74 Abs2;
GewO 1994 §74 Abs3;
GewO 1994 §77 Abs1;
GewO 1994 §77;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Stöberl, Dr. Blaschek und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Martschin, über die Beschwerde der B Aktiengesellschaft in W, vertreten durch Dr. C und Dr. W, Rechtsanwälte in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 12. November 1998, Zl. 317.727/9-III/A/13/98, betreffend Verfahren gemäß § 77 GewO 1994, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem als Ersatzbescheid für den mit hg. Erkenntnis vom 26. Mai 1998, Zl. 98/04/0012, aufgehobenen Bescheid vom 1. Dezember 1997 ergangenen Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 12. November 1998 wurde der Beschwerdeführerin gemäß "§§ 74, 77 GewO 1973 und § 77 Abs. 2 ANSchG" die gewerbebehördliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb eines Nahversorgungsmarktes an einem näher bezeichneten Standort unter Vorschreibung zahlreicher Auflagen erteilt. Die Auflagenpunkte 29., 36., 37. und 42. haben folgenden Wortlaut:

"29. Bei Errichtung der Sitz/Stehkassenarbeitsplätze sind folgende Anforderungen zu erfüllen:

a) Eine Pulthöhe gemessen zwischen Pultoberkante und Kassenraumbodenniveau von 88 cm bis 93 cm ist vorzusehen.

b) Ein drehbarer Arbeitsstuhl mit einem der Pulthöhe angepassten Mindestverstellbereich von 18 cm ist zur Verfügung zu stellen. Der Arbeitsstuhl gilt dann der Pulthöhe ausreichend angepasst, wenn der Verstellbereich den Sitzflächenhöhenbereich von 60 cm bis 72 cm enthält. Der Arbeitsstuhl muss über eine Aufstiegshilfe, ein fünfstrahliges Gestell mit Gleitern und eine verstellbare Rückenlehne verfügen. Die Arbeitsstühle dürfen keine Armlehnen aufweisen. Ist die Aufstiegshilfe an der Sitzfläche befestigt, so dürfen die Drehstühle als Mindestanforderung zumindest nur stark gebremst drehbar bzw. mit einer Drehungsverriegelung, die im Sitzen und Stehen betätigt werden kann, ausgestattet sein.

c) Der Bewegungsraum im Arbeitsbereich des Steh- und Sitzarbeitsplatzes ist so zu gestalten, dass ein sicheres Auf- und Absteigen auf den Arbeitsstuhl möglich ist und ausreichend Platz für die Stehposition neben dem gleichzeitig vorhandenen weggeschobenen Arbeitsstuhl bietet. Das Mindestmaß des Bewegungsraumes beträgt 0,6 m x 1,2 m. Der Beinfreiraum ist derart zu gestalten, dass nach einer Seite ein volles Herausschwenken mit dem Arbeitssessel ohne Hindernis möglich ist.

....

36. Die Warenförderbänder sind so anzuordnen, daß die von den Kunden aufgelegte Ware in den der entsprechenden Hand zugeordneten kleinen Greifraum (Definition siehe ÖNORM A 5910) befördert und von dort in Richtung Warenzellen oder Einpackflächen weitertransportiert wird. Falls ein Vorlaufband und ein Nachlaufband vorgesehen sind, ist deren Abstand möglichst klein zu halten. Der vertikale Abstand zwischen der ebenen Pultoberseite und der Oberseite der Förderbänder darf innerhalb des Greifraumes des Kassenpersonals 20 mm nicht überschreiten. Die Bandgeschwindigkeit ist so zu wählen, daß ein sicherer Transport der Ware (zB. Vermeiden des Umkippens von Flaschen) gegeben ist.

37. Durch entsprechende Gestaltung des Kassenarbeitsplatzes muss dem Kassenpersonal zu Kontrollzwecken ein vollständiger Einblick in Einkaufswagen und -körbe möglich sein, ohne die Sitzposition ändern zu müssen. Wenn notwendig, sind Spiegel bzw. andere Kontrollvorrichtungen anzubringen. Die Sichtfreiheit des Kassenpersonals in Richtung herannahender Kunden muss gegeben sein.

...

42. Die Leuchtstoffbalken der Beleuchtungsanlage sind gegen mechanische Beschädigung zu schützen."

Zur Begründung führte der Bundesminister aus, die von ihm beigezogene, namentlich genannte arbeitsmedizinische Fachärztin habe mit Datum 15. September 1998 folgendes Gutachten abgegeben:

"Sitz-Stehkassenarbeitsplätze:

Arbeitsposition:

Der Arbeitsablauf bei der Kassiertätigkeit wird wesentlich durch die Geschwindigkeit des Förderbandes, des Funktionierens des Scanners und der Größe der Warenablagefläche bestimmt. Die Waren müssen von den Kunden bzw. durch das Förderband in den kleinen maximalen Greifraum des Kassenpersonals gebracht werden. Zur Feststellung des zu registrierenden Preises ist es notwendig, dass das Kassenpersonal die Waren anhebt, dreht, wegschiebt oder berührt. Dies sollte vorwiegend im kleinen funktionalen Greifraum erfolgen, der Zahlungsverkehr erstreckt sich vom kleinen maximalen Greifraum (Geldlade) bis zum großen maximalen Greifraum (Wechselgeldrückgabe). Zwischen sitzender und stehender Tätigkeit an der Kasse sind bezüglich der Manipulation innerhalb des Greifraumes nur geringfügige Unterschiede. Es besteht jedoch die Tendenz bei stehender Tätigkeit, die Waren auch aus größerer Distanz zu ergreifen. Dies bedeutet eine erhöhte Belastung der Lendenwirbelsäule durch verstärkte Beuge- und Torsionsbewegungen im Lendenwirbelsäulenbereich. Bei den in Europa bestehenden Kassenarbeitsplätzen handelt es sich vorwiegend um Tätigkeiten, die sitzend ausgeführt werden. Diese werden jedoch aufgrund des Tätigkeitsfeldes des Kassenpersonals auch durch kurze stehende Tätigkeiten unterbrochen.

Aus arbeitsmedizinischer Sicht ist ein möglicher Wechsel der Arbeitspositionen Stehen und Sitzen zu begrüßen. Arbeiten vorwiegend im Stehen verrichtet, bedeuten eine Belastung der Durchblutung der Gefäße der unteren Extremitäten (Bildung von Krampfadern). Die Kassiertätigkeit in reiner stehender Haltung ist aus arbeitsmedizinischer Sicht deshalb abzulehnen, da dies hauptsächlich eine statische Haltearbeit für Muskel und Skelettapparat und die unteren Extremitäten bedeutet. Ergonomisch richtig ausgestaltete Sitze tragen hingegen zu einer Entlastung der Beine und des Kreislaufes bei und sind mit weniger statischer Muskelarbeit verbunden als eine stehende Tätigkeit, weil die Wirbelsäule besser abgestützt wird. Auch führt die Möglichkeit des sogenannten 'dynamischen Sitzens', die Ausgleichsbewegungen in der Sitzhaltung zuläßt und so einerseits durchblutungsfördernd wirkt andererseits die Wirbelsäule entlastet, zu einer Ermüdungsvermeidung. Deshalb wäre primär die Möglichkeit Sitzarbeitsplätze in Richtung dynamischen Sitzens zu verbessern, wichtiger als Steh-Sitz-Arbeitsplätze einzurichten. Die Tätigkeit des Kassenpersonals sollte in aufrechter (mittlerer) Sitzposition durchgeführt werden und für Ausgleichsbewegungen und Ruhestellung sind auch eine vordere und hintere Sitzhaltung zu ermöglichen.

Durch abwechselndes Stehen und Sitzen werden verschiedene Muskelgruppen beansprucht d.h. ein Positionswechsel ist aus gesundheitlichen Gründen günstiger als eine länger andauernde Zwangshaltung. Bei Kassenarbeitsplätzen haben Arbeitsablaufstudien des Instituts der Umwelthygiene der Universität Wien aber gezeigt, dass ArbeitnehmerInnen in der Regel so und so 1 bis 10 mal pro Stunde aufstehen müssen. Die Gründe dafür sind neben der notwendigen Einsicht in den Einkaufswagen, das Heben von schweren Waren, das Nachschauenmüssen von Nummern- und Preistafeln, der Austausch oder das Wiegen von Waren etc. Die Einsicht in den Einkaufswagen sollte demnach auch ohne die sitzende Position zu ändern durch zB. Anbringen von Spiegeln möglich sein. Der dabei nach oben gerichtete Blickwinkel ist, da ansonsten der Blick der Kassiererin vorwiegend nach unten oder geradeaus gerichtet ist, als entlastend für die Halswirbelsäule zu bewerten.

Freie unverstellbare Stehfläche:

Stehen oder Bewegungsmöglichkeiten hat nicht nur negative Auswirkungen auf den Halte- und Stützapparat, sondern auch auf die psychische Leistungsfähigkeit. Deshalb ist eine ausreichend freie unverstellte Stehfläche unbedingt erforderlich. Aus ergonomischer Sicht ist zu fordern, dass sich der Arbeitsstuhl im Kassenraum befinden muss (sonst ist ja ein Wechsel der Arbeitsposition nicht möglich oder zu aufwendig und deshalb nicht praktikabel), daraus resultiert aber ein erhöhter Raumbedarf, der durch die Kassengestaltungsziele - möglichst viel Platz für Kunden und wenig für den Kassenraum - weiter verschärft wird. Meistens bieten deshalb die Kassenarbeitsplätze nicht ausreichend Platz. Der Bewegungsraum im Kassenbereich der Steh-Sitzarbeitsplätze ist deshalb so gross zu gestalten, dass ein gesichertes Auf- und Absteigen, ohne Unfall- oder Verletzungsgefahr möglich ist und um eine Verwindung des Oberkörpers zu vermeiden. Derzeit gibt es allerdings noch keine endgültigen von Ergonomen akzeptierten Werte für die 'freie unverstellte Fläche' im Kassenraum. Es ist aber derzeit als Mindestmass eine freie Fläche von 0,6 m x 1,2 m anzusehen.

Manuelle Lasthandhabung:

In sitzender Arbeitshaltung sollen nach Empfehlungen von Ergonomen nicht mehr als 5 kg pro Lastenhandhabung manipuliert werden. Im Handel gibt es jedoch häufig schwerere Produkte. Müssen Lasten von mehr als 5 kg gehandhabt werden, sollte dies in stehender Position erfolgen. In diesem Fall sind Steh-Sitz-Arbeitsplätze von Vorteil. Die durchschnittliche Gesamtmasse (in kg/h) beträgt laut einer vor kurzem veröffentlichten Untersuchung des Institutes für Umwelthygiene der Universität Wien (Reisz, Kundi), bei sitzender Arbeitsposition 127 kg/h (gezogen) und 303 kg/h angehoben und bei stehender Arbeitsposition 154 kg/h (gezogen) und 268 kg/h (angehoben).

Unfallgefahr durch Arbeitsstühle:

Die Unfallgefahr (Kippen) bei Steh-Sitz-Arbeitsplätzen (Hochstühle) ist höher als bei normalen Arbeitsstühlen. Die höhere Unfallgefahr kann aber durch technische Maßnahmen, wie ein drehbarer Arbeitsstuhl mit einem fünfstrahligen Gestell mit Gleitern anstelle von Rollen und eine verstellbare Rückenlehne, entsprechend begrenzt werden.

Beinfreiraum:

Es muss gewährleistet sein, dass ein nach einer Seite volles Herausschwenken mit dem Arbeitssessel ohne Hindernis möglich ist.

Für die ergonomische Gestaltung der Sitz-, Stehkassenarbeitsplätze sind aufgrund der Ausführungen und nach Anpassung an neueste Erkenntnisse folgende Maßnahmen erforderlich:

-

Eine Pulthöhe, gemessen zwischen Pultoberkante und Kassenraumbodenniveau, von 88 bis 93 cm ist erforderlich.

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Ein drehbarer Arbeitsstuhl mit einem der Pulthöhe angepaßten Mindestverstellbereich von 18 cm ist zur Verfügung zu stellen. Der Arbeitsstuhl gilt dann der Pulthöhe ausreichend angepaßt, wenn der Verstellbereich den Sitzflächenhöhenbereich von 60 bis 72 cm enthält.

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Der Arbeitsstuhl muss über eine Aufstiegshilfe, ein fünfstrahliges Gestell mit Gleitern anstelle von Rollen und eine verstellbare Rückenlehne verfügen.

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Die Arbeitsstühle dürfen jedoch keine Armlehnen aufweisen.

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Ist die Aufstiegshilfe an der Sitzfläche befestigt, so dürfen die Drehstühle als Mindestanforderung zumindest nur stark gebremst drehbar sein. (Über diese Mindestanforderung hinaus ist selbstverständlich die ausgereiftere Variante einer Drehungsverriegelung, die im Sitzen und Stehen betätigt werden kann, zuzulassen.)

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Der Bewegungsraum im Arbeitsbereich des Steh- und Sitzarbeitsplatzes ist so zu gestalten, dass ein sicheres Auf- und Absteigen auf den Arbeitsstuhl möglich ist und ausreichend Platz für die Stehposition neben dem gleichzeitig vorhandenen weggeschobenen Arbeitsstuhl bietet."

Der Bundesminister führte sodann aus, seine Entscheidung gründe sich auf diese eindeutigen, klaren und schlüssigen Aussagen der arbeitsmedizinischen Gutachterin, nach deren Vorschlägen die Auflagen vorgeschrieben worden seien. Zur Neufassung des Auflagenpunktes 42. sei auf die Regel der Technik

ÖVE-EN 1/Teil 2/1993 § 25.1.6. zu verweisen, wonach bei der Auswahl von elektrischen Betriebsmitteln der ungünstigste Betriebszustand zugrunde zu legen sei. Demnach müßten in Bereichen, in denen mit einer mechanischen Beschädigung der Leuchtstoffbalken zu rechnen sei, diese dagegen z. B. mit einem Schutzkorb geschützt werden. Zu einem Vorbringen der Beschwerdeführerin sei darauf zu verweisen, daß das dem Parteiengehör zugeführte arbeitsmedizinische Gutachten eindeutig einer namentlich genannten Person zuzuordnen sei, da sich darauf die entsprechende leserliche Unterschrift befinde. Es handle sich also keinesfalls um ein "anonymes" Gutachten, sondern um eines einer qualifizierten Gutachterin aus dem Bereich der Arbeitsmedizin. Weiters sei darauf hinzuweisen, daß im Betriebsanlagengenehmigungsverfahren natürlich auch Auflagen für schon Vorhandenes vorzuschreiben seien. Wäre dem nicht so, so würde sich ein Genehmigungsverfahren ad absurdum führen und wäre eine jederzeitige Änderung einer Betriebsanlage ohne Durchführung eines förmlichen Verfahrens möglich.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid "insofern in ihren Rechten verletzt, als

-

kein gesetzmäßiges Verfahren durchgeführt wurde, insbesondere kein ausreichendes, mängelfreies, nachvollziehbares Sachverständigengutachten darüber eingeholt wurde, ob die mit den bekämpften Auflagen vorgeschriebene Gestaltung der Kassenarbeitsplätze im Interesse des Arbeitnehmerschutzes notwendig oder zumindest zweckmäßig ist, und keinerlei ausreichende Sachverhaltsermittlung dahingehend durchgeführt wurde, ob es erforderlich ist, die Leuchtstoffbalken in genau bezeichneten Räumen vor mechanischen Beschädigungen zu schützen;

-

das Parteiengehör der Beschwerdeführerin verletzt wurde;

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der angefochtene Bescheid keine gesetzmäßige Begründung aufweist und

-

der Beschwerdeführerin in gesetzwidriger Weise eine bestimmte Gestaltung der Kassenarbeitsplätze auferlegt wird und in gesetzwidriger Weise vorgeschrieben wird, in genau bezeichneten Räumen die Leuchtstoffbalken vor mechanischer Beschädigung zu schützen, wobei die Gesetzwidrigkeit insbesondere darin begründet ist, daß die bekämpften Auflagen nicht hinreichend konkret und zum Schutz der im Betriebsanlagengenehmigungsverfahren zu berücksichtigenden Interessen nicht erforderlich sind."

In Ausführung des so bezeichneten Beschwerdepunktes bringt sie vor, das von der belangten Behörde eingeholte arbeitsmedizinische Gutachten weise weder einen Briefkopf noch den Namen des Gutachters auf, noch sei die angegebene Qualifikation "Fachärztin für Arbeitsmedizin" nachprüfbar. Es handle sich somit bloß um eine anonyme Meinungsäußerung. Es bestehe auch der Verdacht, daß sich dieses Gutachten gar nicht auf die verfahrensgegenständliche Betriebsanlage beziehe. Die Gutachterin sei auch mit den Verhältnissen in der gegenständlichen Filiale der Beschwerdeführerin nicht vertraut, weil sie überhaupt nicht darauf eingehe, daß von zwei grundsätzlich verschiedenen "Kassiersituationen" auszugehen sei, nämlich einerseits der während der weniger frequentierten Zeit, in der die Kassierinnen mit Regalschlichtarbeiten u.dgl. beschäftigt seien und nur kurzfristig die Kassa aufsuchten, um dort die Kassiertätigkeit bei einem oder höchstens einigen wenigen Kunden auszuführen und andererseits der Situation während der frequentierten Zeiten, zu denen die Kassierinnen längere Zeit Kassiertätigkeiten ausübten und während dieser Zeit (allenfalls mit geringfügigen Unterbrechungen) säßen. In dem Gutachten werde selbst zugegeben, daß es derzeit noch keine endgültig von Ergonomen akzeptierten Werte für die freie und verstellte Fläche im Kassenraum gebe, doch werde darin ohne jede Begründung ein Mindestmaß angeführt, ohne in irgendeiner Weise darauf einzugehen, wie eine geringere Fläche zu bewerten sei. Völlig im dunklen bleibe, welche Bedeutung die Ausführungen zur manuellen Lasthandhabung im vorliegenden Fall haben sollten. Die Darlegungen zur Unfallsgefahr durch Arbeitsstühle entbehrten einer nachvollziehbaren Begründung. Daß die Gutachterin keine Kenntnis von der konkreten Situation habe, ergebe sich auch daraus, daß in ihrem Gutachten Spezifikationen gefordert würden, die ohnedies bereits vorhanden seien. Das gelte insbesondere für die Pulthöhe, die Drehbarkeit des Arbeitsstuhls, die Aufstiegshilfe, das fünfstrahlige Gestell, die verstellbare Rückenlehne und das Fehlen von Armlehnen. Die Vorschreibung von Auflagen sei aber nur dann zulässig, wenn nicht ohnehin die Betriebsanlage "in Ansehung ihrer Ausführung" Gefährdungen nicht befürchten lasse. Vorhandenes sei somit nicht vorzuschreiben. Die im Gutachten vorgeschlagenen Maßnahmen dienten ausdrücklich der ergonomischen Gestaltung der Kassenarbeitsplätze. Das stehe im Gegensatz zur Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes. Die Beschwerdeführerin habe im Berufungsverfahren ein Privatgutachten vorgelegt, auf das in dem von der belangten Behörde eingeholten Gutachten in keiner Weise eingegangen werde. Die Auflage Nr. 29 spreche von "einer Pulthöhe" und "einem drehbaren Arbeitsstuhl", obwohl in der gegenständlichen Betriebsanlage mehrere Kassenarbeitsplätze existierten. Es sei somit für die Beschwerdeführerin nicht erkennbar, für welchen Kassenarbeitsplatz die Pulthöhe und das Vorhandensein eines drehbaren Arbeitsstuhles vorgeschrieben werde. In der Auflage Nr. 36 sei eine Vorschrift über den Abstand zwischen Vorlauf- und Nachlaufband vorgesehen. Es bleibe aber rätselhaft, an welchen Abstand die belangte Behörde gedacht habe. Auch bleibe unklar, was die belangte Behörde unter dem "vertikalen Abstand zwischen der ebenen Pultoberseite und der Oberseite der Förderbänder" verstanden habe. Auch die Vorschreibung über die Bandgeschwindigkeit sei zu unkonkret. Die Auflage Nr. 37 habe keinerlei konkreten Inhalt und es sei völlig unklar, wie der letzte Satz über die Sichtfreiheit des Kassenpersonals in Richtung herannahender Kunden zu verstehen sei. Zur Auflage Nr. 42 enthalte das von der belangten Behörde eingeholte Gutachten keinerlei Ausführungen. Es bleibe auch unklar, welcher Raum mit "Frischdienst" gemeint sei, da es sich bei diesem Begriff allenfalls um einen Teil der Anbotspalette der Beschwerdeführerin handle, nicht aber um die Bezeichnung eines Raumes. Auch fehlten entsprechende Beweisergebnisse, daß in den angeführten Räumen Leuchtstoffbalken vorhanden seien, die in Gefahr seien, mechanisch beschädigt zu werden, was unerläßliche Voraussetzung für die Vorschreibung der Auflage wäre. Dem angefochtenen Bescheid mangle es auch an einer gesetzmäßigen Begründung, weil die belangte Behörde sich allein auf das von ihr eingeholte Gutachten stütze, ohne auf die von der Beschwerdeführerin dagegen erhobenen Einwände einzugehen. Es sei auch die in der Begründung ausgedrückte Rechtsansicht falsch, Bestandteile des zur Genehmigung eingereichten Projektes dürften als Auflage vorgeschrieben werden. Unverständlich bleibe auch, weshalb die belangte Behörde den von der Beschwerdeführerin gestellten Antrag auf Durchführung einer Augenscheinsverhandlung abgewiesen habe, obwohl die von der Beschwerdeführerin detailliert erhobenen Einwände gegen das vorliegende Gutachten eine derartige Augenscheinsverhandlung unter Zuziehung der Gutachterin geradezu unerläßlich habe erscheinen lassen.

Der Verwaltungsgerichtshof vermag zunächst nicht die Meinung der Beschwerdeführerin zu teilen, das von der belangten Behörde eingeholte Gutachten sei keiner bestimmten Person zuzuordnen. Wie schon die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid ausgeführt hat, ist dieses Gutachten mit einer leserlichen Unterschrift und der Beifügung "Fachärztin für Arbeitsmedizin" versehen, aus der sowohl Name als auch Qualifikation jener Person ersichtlich sind, unter deren Verantwortung das Gutachten erstellt wurde.

Zu Unrecht vermißt die Beschwerdeführerin auch eine Auseinandersetzung in diesem Gutachten mit den Ausführungen in dem von der Beschwerdeführerin beigebrachten Privatgutachten vom 9. Jänner 1995, weil die in beiden Gutachten enthaltenen getroffenen Aussagen in keinem Widerspruch zueinander stehen.

Der Verwaltungsgerichtshof vermag auch nicht die Rechtsansicht der Beschwerdeführerin zu teilen, es dürften in einem Verfahren gemäß § 77 im Wege von Auflagen keine Maßnahmen vorgeschrieben werden, die ohnedies bereits tatsächlich verwirklicht seien. Beim Verfahren zur Genehmigung einer gewerblichen Betriebsanlage handelt es sich nämlich um ein Projektverfahren. Grundlage der Prüfung der Genehmigungsvoraussetzungen ist allein das vom Konsenswerber zur Genehmigung eingereichte Projekt ohne Rücksicht darauf, ob dieses bereits errichtet wurde oder nicht (vgl. z. B. das hg. Erkenntnis vom 10. September 1991, Zlen. 91/04/0105 bis 0107). Grundlage der Prüfung, ob und allenfalls welche Auflagen für die Gestaltung der in Rede stehenden Kassenarbeitsplätze im vorliegenden Verfahren vorzuschreiben sind, sind daher allein die Angaben der Beschwerdeführerin in ihrem zur Genehmigung eingereichten Projekt über die von ihr geplante Gestaltung dieser Kassenarbeitsplätze.

Zu Recht rügt die Beschwerdeführerin aber die mangelnde Begründung der Erforderlichkeit der in Rede stehenden Auflagen.

Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem in diesem Verfahren ergangenen, eingangs zitierten Erkenntnis vom 26. Mai 1998, Zl. 98/04/0012, dargelegt hat, sind nach der mit Rücksicht auf den Zeitpunkt der Antragstellung hier anzuwendenden Bestimmung des § 27 Abs. 2 ANSchG 1972 im Rahmen einer gewerbebehördlichen Betriebsanlagengenehmigung unter dem Gesichtspunkt des Arbeitnehmerschutzes Bedingungen und Auflagen nur vorzuschreiben, wenn dies zum Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer notwendig ist. Diese Gesetzesstelle bietet daher insbesondere keine Rechtsgrundlage zur Vorschreibung von Auflagen, die allein einer ergonomisch zweckmäßigen, nicht aber unter dem Gesichtspunkt eines Schutzes des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer erforderlichen Gestaltung des Arbeitsplatzes dienen.

Aus dem von der belangten Behörde eingeholten arbeitsmedizinischen Gutachten läßt sich nun zwar unzweifelhaft entnehmen, daß die in der Auflage Nr. 29 vorgeschriebenen Maßnahmen für eine ergonomisch zweckmäßige Gestaltung der in Rede stehenden Kassenarbeitsplätze wünschenswert sind. Abgesehen vom Erfordernis eines drehbaren Arbeitsstuhles mit einem fünfstrahligen Gestell mit Gleitern anstelle von Rollen und einer verstellbaren Rückenlehne, das erkennbar zur Vermeidung von Unfällen und damit zum Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer dient, ist diesem Gutachten nicht zu entnehmen, ob diese Maßnahmen nicht bloß ergonomisch zweckmäßig, sondern auch zum Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer (vor welchen Gefahren?) erforderlich sind. Sinngemäß gilt dies auch für die Auflagen Nr. 36 und 37., für deren Notwendigkeit unter dem oben genannten Aspekt weder aus dem von der belangten Behörde eingeholten Gutachten noch aus der sonstigen Begründung des angefochtenen Bescheides Anhaltspunkte zu entnehmen sind. Zur Auflage Nr. 37. unterließ es die belangte Behörde ferner, den hiezu schon im hg. Erkenntnis vom 26. Mai 1998, Zl. 98/04/0012, enthaltenen Ausführungen nachzukommen.

Durchaus nachvollziehbar sind die Ausführungen der belangten Behörde über die Notwendigkeit des Schutzes elektrischer Betriebsmittel vor mechanischer Beschädigung der Leuchtstoffbalken, doch fehlt es an jeglicher Begründung, warum einerseits in den in der Auflage 42. genannten Räumen die Gefahr einer solchen Beschädigung droht und andererseits, inwiefern mit einer solchen Beschädigung die Gefahr einer Verletzung der im § 74 Abs. 2 GewO 1994 und im § 27 Abs. 2 ANSchG 1972 genannten Interessen verbunden wäre.

Schon aus diesen Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 14. April 1999

Schlagworte

Rechtsgrundsätze Auflagen und Bedingungen VwRallg6/4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1998040243.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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