Entscheidungsdatum
31.01.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W187 2193600-1/17E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hubert REISNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, gegen die Spruchpunkte I. bis V. und VII. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. - V. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm §§ 3 Abs 1, 8 Abs 1 und § 10 Abs 1 Z 3 und § 57 AsylG 2005, iVm § 9 BFA-VG, § 52 FPG als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides wird insoweit stattgegeben, als die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs 2 FPG 14 Tage beträgt.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Einreisebestimmungen in das Bundesgebiet ein und stellte am XXXX (zum damaligen Zeitpunkt noch minderjährig) einen Antrag auf internationalen Schutz.
Im Rahmen seiner Erstbefragung am XXXX wurde der Beschwerdeführer zu seiner Identität, seiner Reiseroute und seinen Fluchtgründen einvernommen. Hier gab er als Beweggrund für seine Ausreise an, dass er von den iranischen Behörden aufgegriffen worden sei, um nach Afghanistan abgeschoben zu werden. Aufgrund des Krieges und der Unsicherheiten in Afghanistan habe er Angst vor einer Abschiebung gehabt und sei nach Europa geflüchtet.
2. Aufgrund seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA, belangte Behörde) gehegter Zweifel an der behaupteten Minderjährigkeit des Beschwerdeführers wurde dieser einer medizinischen Untersuchung zur Feststellung seines Alters unterzogen. Das daraufhin erstattete medizinische Sachverständigengutachten ergab als fiktives Geburtsdatum des Beschwerdeführers den XXXX . Eine Minderjährigkeit des Beschwerdeführers im Zeitpunkt seiner Antragsteller konnte nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.
3. Der Beschwerdeführer wurde vom Ergebnis der Altersfeststellung im Wege einer Verfahrensanordnung des BFA informiert und ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt. Eine Stellungnahme erfolgte nicht.
4. Am XXXX wurde der (zum damaligen Zeitpunkt bereits volljährige) Beschwerdeführer vor dem BFA niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, im Alter von vier oder fünf Jahren gemeinsam mit seiner Familie in den Iran gezogen zu sein. Seine Familie habe Grundstücksstreitigkeiten mit Paschtunen gehabt, bei denen der Onkel des Beschwerdeführers und zwei Paschtunen getötet worden seien. Deswegen hätten sie Afghanistan damals verlassen.
5. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs 1 Z 4 BFA-VG aberkannt (Spruchpunkt VI.) und ausgesprochen, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VII.).
6. Für ein allfälliges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde dem Beschwerdeführer amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.
7. Mit Schreiben vom XXXX [richtig wohl: XXXX ] erhob der Beschwerdeführer, unterstützt durch den beigegebenen Rechtsberater, fristgerecht vollumfängliche Beschwerde gegen den spruchgegenständlichen Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die Beschwerde wendet eine Verfolgung des Beschwerdeführers aufgrund dessen "westlicher" Orientierung ein, verweist auf die Situation von Hazara und Schiiten, trifft Ausführungen zur Sicherheitslage in Afghanistan und behauptet eine fortgeschrittene Integration des Beschwerdeführers. Mit der Beschwerde wurde ein Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gestellt.
8. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.4.2018, W187 2193600-1/3Z, wurde der Beschwerde gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
9. Am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer der Beschwerdeführer im Beisein des ausgewiesenen Rechtsvertreters und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari vom erkennenden Richter zu seinem Antrag auf internationalen Schutz und seinen Beschwerdegründen einvernommen wurde. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.
Die Verhandlungsschrift lautet auszugsweise:
"[...]
Richter: Verstehen Sie die Dolmetscherin gut?
Beschwerdeführer: Ja.
Richter: Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen? Liegen Gründe vor, die Sie daran hindern?
Beschwerdeführer: Ich kann der Verhandlung folgen.
Richter: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente, befinden Sie sich in medizinischer Behandlung?
Beschwerdeführer: Nein.
[...]
Richter: Können Sie sich an Ihre Aussage vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erinnern? Waren diese richtig, vollständig und wahrheitsgetreu?
Beschwerdeführer: Ich kann mich erinnern. Die Angaben waren richtig, vollständig und wahrheitsgetreu.
Richter: Geben Sie Ihr Geburtsdatum an. Wo sind Sie auf die Welt gekommen?
Beschwerdeführer: Mein richtiges Geburtsdatum lautet XXXX , da ich aber keine Dokumente bezüglich meines Geburtsdatums vorlegen konnte wurde ich zu einem Arzt geschickt. Der Arzt hat das Geburtsdatum XXXX festgelegt. Ich konnte mein Geburtsdatum nicht nachweisen. Meine Eltern sagten mir, dass ich in Helmand in XXXX geboren wurde.
Richter: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?
Beschwerdeführer: Da ich im Iran gelebt habe, verstehe ich gut Farsi. Ich kann auch Dari. Hier habe ich Deutsch gelernt. Ich kann Farsi schreiben. Auch Deutsch kann ich schreiben und lesen. Ich habe zwei oder drei Jahre eine Schule besucht. Es war keine öffentliche Schule, sondern Unterricht zu Hause.
Richter: Geben Sie Ihre Volksgruppe, Religion und Ihren Familienstand an.
Beschwerdeführer: Ich bin Afghane, Sayed, diese zählen zu den Hazara und bin Schiit und ledig.
Richter: Haben Sie Kinder?
Beschwerdeführer: Nein.
Richter: Können Sie bitte soweit wie möglich chronologisch angeben, wann und wo Sie sich in Afghanistan aufgehalten haben.
Beschwerdeführer: Ich war noch ein Kind. Ich kann mich nicht erinnern. Meine Eltern sagten mir, dass ich vier oder fünf Jahre alt war, als wir in den Iran gegangen sind. Im Iran haben wir in Teheran im Stadtteil XXXX gelebt, im Ortsteil XXXX .
Richter: Wie haben Sie in Afghanistan und im Iran gewohnt?
Beschwerdeführer: In Afghanistan habe ich nicht gelebt. Meine Eltern haben dort gelebt. Wir haben immer im Ort XXXX gelebt. Wir haben in einem angemieteten Haus gelebt. Da wir im Iran keine Dokumente haben, können wir uns dort auch nichts kaufen.
Richter: Was haben Sie im Iran gemacht, gearbeitet, gelernt oder etwas Anderes?
Beschwerdeführer: Ich habe selbst im Iran nicht gearbeitet, da ich keine Arbeitserlaubnis hatte. Ich habe gelegentlich meinen Vater bei der Arbeit unterstützt. Gelegentlich habe ich auch in der Landwirtschaft gearbeitet. Ich habe auch Obst, wie Äpfel gepflückt.
Richter: Wo und wie leben Ihre Verwandten?
Beschwerdeführer: Im Iran.
Richter: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie (Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Onkel)?
Beschwerdeführer: Ja, einige Male im Monat nehmen wir zueinander Kontakt auf.
Richter: Haben Sie in Afghanistan Verwandte oder sonstige wichtige Kontaktpersonen und wie heißen sie? Wo leben sie? Haben Sie zu ihnen Kontakt?
Beschwerdeführer: In Afghanistan habe ich niemanden und ich habe auch zu niemandem Kontakt.
Richter: Wollen Ihre Eltern und Geschwister auch nach Österreich kommen?
Beschwerdeführer: Sie wollten hier her kommen, aber sie haben es wegen finanziellen Problemen nicht geschafft. Ich habe einen Bruder, der beeinträchtigt ist und er braucht Pflege. Da die Schlepperroute sehr schwierig ist können sie es ihm nicht zumuten. Auch ich habe viel durchgemacht und es war sehr schwer hier her zu kommen.
Richter: Wie ist Ihr Leben derzeit in Österreich? Was machen Sie in Österreich?
Beschwerdeführer: Hier lebe ich in Sicherheit. Ich besuche hier eine Schule. Im Iran konnte ich keine Schule besuchen. In Afghanistan habe ich nicht gelebt und im Iran konnte ich keine Berufsausbildung machen. Hier kann ich die Arbeit verrichten, die ich verrichten will. Ich möchte Frisör werden. Ich habe mich auch erkundigt, ich muss den Hauptschulabschluss machen. Entweder heuer noch oder im nächsten Jahr werde ich den Hauptschulabschluss nachholen und danach eine Berufsausbildung machen. Ich habe mich auch als Model beworben, es wurde mir aber gesagt, dass meine Körpergröße um einige cm kleiner als der Durchschnitt ist und ich soll es ein anderes Mal versuchen. Man muss mindestens 1,8 groß sein. Ich lerne zurzeit Gitarre. Ich interessiere mich für Musik. Im Iran konnte ich all dies nicht machen.
Richter: Haben Sie Freunde in Österreich?
Beschwerdeführer: Ja, habe ich. Ich habe sowohl österreichische, als auch afghanische Freunde.
Richter: Sind Sie Mitglied in einem Verein?
Beschwerdeführer: Es gibt eine Musikgruppe namens " XXXX ". Die ist aus XXXX . Jeden Montag gibt es ein Treffen. Bei dieser Gruppe spielen wir Musik, Theater. Wir spielen Fußball und betreiben Sport.
Richter: Hatten Sie Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?
Beschwerdeführer: In Afghanistan war ich nicht. Im Iran hatte ich immer Probleme mit der Polizei, da ich keine Dokumente hatte. Die Polizei hat mich mehrere Male angehalten. Ich wurde dreimal von der Polizei angehalten. Sie haben mir vorgehalten, dass ein Afghane nicht so eine Frisur, wie ich es getragen habe tragen darf und mir wurden die Haare von der Polizei geschnitten. Einmal war ich mit meinen Freunden in einem Park, von vier Seiten sind die Beamten auf uns zugekommen, sie haben sowohl mir als auch meinen Freunden die Haare ab-geschnitten und ich musste mir eine Glatze schneiden. Ein weiteres Mal passierte es auch auf der Straße. Danach hatte ich Angst von zu Hause wegzugehen und ich blieb meisten zu Hause.
Richter: Schildern Sie den Vorfall, der zu Ihrer Flucht geführt hat!
Beschwerdeführer: Mein größtes Problem im Iran war, dass ich dort keine Dokumente hatte. Täglich werden Afghanen von der Polizei angehalten und nach Afghanistan abgeschoben. Bis zum 15ten Lebensjahr wurde man nicht abgeschoben, ab dem 15ten Lebensjahr wurde man angehalten und abgeschoben. Ich konnte dort nicht arbeiten, eine Schule besuchen, weil ich nicht arbeiten kann, kann ich dort auch keine Leben führen. Man wurde ständig von der Polizei kontrolliert und verfolgt, wenn ein Afghane sogar ein Motorrad hat wird er von der Polizei angehalten und man nimmt ihm das Motorrad weg. Zwei Mal hatten einflussreiche Personen im Iran die Absicht mich zu vergewaltigen. Man hat mir mein Telefon und meine anderen Wertgegenstände unter Zwang weggenommen.
Richter: Warum haben Sie im Ergebnis den Iran verlassen? Gab es einen konkreten Anlass, Ereignis oder einen konkreten Vorfall?
Beschwerdeführer: Im Iran hatte ich Angst. Ich konnte nicht aus dem Haus gehen. Dort gibt es viele einflussreiche Menschen. Ich hatte Angst davor, dass sie mich zwingen etwas zu tun. Ich hatte Angst vor einer Vergewaltigung. Ich hatte keine Dokumente im Iran und konnte dort nicht arbeiten.
Richter: Sind Sie jemals persönlich bedroht oder angegriffen worden?
Beschwerdeführer: Ja, zwei Mal. Die Vorfälle habe ich vorher erzählt. Einflussreiche Personen haben mich angehalten und hatten die Absicht mich zu vergewaltigen. Dort gibt es sehr viele einflussreiche Menschen, damit meine ich, dass in dieser Region in der wir lebten, haben viele mächtige Personen gelebt. Es war an einem Abend. Ich bin zu einem Shop gegangen und wollte meine Playstation reparieren lassen. Ich habe meine Playstation zur Reparatur aufgegeben. Es wurde mir gesagt, dass ich diese in einer Stunde abholen kann. Als ich nach einer Stunde wieder in dem Shop war, sagte mir der Mann, dass ein Teil meiner Playstation defekt ist und man muss das ersetzten. Er habe im Lager einen Ersatzteil. Ich soll ihn dorthin begleiten. Er sagte, dass er in seinem Lager diesen Ersatzteil nicht hat, aber ich soll mit ihm gemeinsam zu seinem Freund fahren. Vermutlich hat sein Freund den Ersatzteil, Er hat das Geschäft zugesperrt und wir sind mit dem Motorrad zu seinem Freund gefahren. Ich bemerkte, dass wir außerhalb der Region unterwegs sind und ich fragte seinen Freund, wie er leben würde. Er sagte mir, dass er einem Arbeiter etwas geben muss und danach würden wir zu seinem Freund fahren. Ich glaubte ihm. Wir sind zu einem Obstgarten gefahren. Er hat das Motorrad abgestellt und wir sind aus dem Motorrad ausgestiegen. Ich fragte ihn, dass es hier kein Haus oder sonst etwas gibt. Dann antwortete er mir, dass er vor hat mich zu vergewaltigen. Ich musste weinen. Er sagte mir, wir sollen hier einen Geschlechtsakt durchführen und niemand würde davon erfahren. Ich weinte, er wollte mich vergewaltigen und ich sagte ihm, dass ich zu meinen Eltern gehen werde und ihnen alles erzählen werde. Jeder weiß, dass er einen Shop hat. Ich sagte ihm auch, dass ich ihn anzeigen werde. Er nahm ein Holzstück und wollte mir Angst einjagen. Er versuchte, mich zu vergewaltigen, schaffte es aber nicht. Dann sind wir wieder auf das Motorrad gestiegen und er brachte mich wieder zu seinem Geschäft. Er gab mir meine Playstation zurück. Aus Angst erzählte ich es nicht meiner Familie. Er sagte mir, ich darf es keinem erzählen. Einmal wurde ich von einem Basij, er war ein Mitglied der Revolutionsgarden. Ich kannte ihn schon seit meiner Kindheit. Die Aufgabe der Basij ist den Leuten, die nicht sittenhaft gekleidet sind bzw. auch einen ungewöhnlichen Haarschnitt tragen von dieser Revolutionsgarde angehalten und festgenommen werden. Diese Person kannte ich, er war mit unserem Nachbarn befreundet. Ich wollte mich immer schön anziehen und auch eine schöne Frisur tragen. Dieser Mann hat mir einige male gesagt, dass ich meine Haare nicht so wie ich sie trug, tragen soll. Er habe zwar mit mir nichts zu tun, aber wenn seine Kollegen mich so antreffen, dann werden sie bestimmt etwas gegen mich unternehmen. Wir sind dann aus diesem Haus umgezogen und lebten wo anders. Wir hatten zu dem Mann keinen Kontakt mehr. Eines Tages hat er mich angerufen und mir gesagt, dass er Malerarbeiten hat und ob ich ihn nicht unterstützen kann. Ich war zwar erkältet, aber ich habe zugesagt, da ich mir dachte, dass es ein Bekannter ist und ich ihm helfen muss. Ich wollte ihm auch deshalb unterstützen, damit er seinen Kameraden auch sagt, dass sie mich nicht belästigen, wenn sie mich auf der Straße sehen. Ich habe zugesagt, wir machten einen Treffpunkt aus. Er ist dann mit dem Auto gekommen. Wir haben uns unterhalten. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass sowas passiert. Er brachte mich in eine Villa, die neu gebaut wurde. Ich glaubte auch, dass hier Bauarbeiten stattfinden. Er öffnete die Türe, wir gingen dann in Haus und danach brachte er mich in ein Zimmer und sperrte die Türe zu. Ich fragte ihn, was wir anstreichen sollen und welche Arbeiten zu machen sind. Er antwortete darauf, dass ich meine Hose ausziehen soll. Es war sehr eigenartig. Er sagte mir, dass er mir einige Male gesagt hätte, dass ich nicht so herumlaufen solle. Er hätte mich auch gewarnt und ich hätte mich nicht daran gehalten. Ich habe ihn angefleht, dass er mir nichts antun soll und dass ich in Zukunft das befolgen werde, was er mir aufträgt. Er hörte mir nicht zu. Ich bekam eine Augenbinde und dieser Mann sagte mir, ich muss meine Hose ausziehen. Ich wehrte mich. Er hat ein Teasergerät bei sich gehabt. Er holte das Gerät aus seiner Tasche. Er hat das Gerät nicht an mir angewendet, aber er hat es demonstriert. Ich war sehr verängstigt. Ich habe diesen Mann angefleht und seine Hand genommen und ich habe ihn angefleht mir das nicht anzutun. Er hat mich weggestoßen und er meinte, ich sei erkältet und ihm nicht in die Nähe kommen. Er meinte ich soll das machen, was er von mir verlangte. Ich hatte noch die Augenbinde. Ich musste meine Hose ausziehen und mich mit dem Gesicht zur Wand stellen. Ich weiß nicht, was er vorhatte, ob er ein Video drehen wollte oder Fotos machen. Ich hatte eine Augenbinde und konnte es nicht sehen. Nachdem ich ihn wieder anflehte, nahm er mir die Augenbinde ab. Er sagte "Zieh deine Hose wieder an und du wirst in Zukunft das machen, was ich dir sage". Ich wusste nicht, was er mit mir machen wollte. Mir ging es psychisch sehr schlecht. Ich hatte Depressionen. Ich konnte nicht aus dem Haus gehen, ich hatte Angst. Diese Vorfälle passierten im Iran. Das war ein zweiter Versuch einer Vergewaltigung. Es gab auch noch kleiner Vorfälle, aber das waren die größeren Vorfälle.
Richter: Warum haben Sie beim BFA davon nichts erzählt?
Beschwerdeführer: Ich wurde nicht gefragt. Mir wurde gesagt, das, was im Iran vorgefallen ist sei nicht wichtig. Die Probleme in Afghanistan seien wichtig und ich solle diese angeben. Zum Iran sagte ich, dass mich die Polizei angehalten hat.
Richter: Wodurch sind Sie in Afghanistan bedroht?
Beschwerdeführer: In Afghanistan gibt es viele Gefahren. Einer dieser Gefahren ist es, dass dort täglich Anschläge verübt werden. Die Hazara gehören zur Minderheit. Da sie eine Minderheit sind, werden sie von den anderen Stämmen unterdrückt. Da ich im Iran lebte, wird es ein großes Problem für mich sein, wenn ich nach Afghanistan zurückkehre. Da ich im Iran lebte, habe ich auch einen anderen Akzent, wenn ich spreche. Auch mein äußeres Erscheinungsbild unterscheidet sich. Es kann auch sein, dass ich in die Hände der Taliban falle.
Richter: Wie sind Sie nach Österreich gekommen?
Beschwerdeführer: Illegal mit einem Schlepper. Ich bin mit dem Schlepper in die Türkei gefahren und von dort mit dem Schlauchboot nach Griechenland. In Griechenland sind wir auf der Insel Kos gelandet. Dort haben wir einige Tage auf eine Fähre gewartet. Ich hatte keine Unterkunft und musste auf der Straße schlafen. Mit der Fähre sind wir nach Athen gefahren. Von -Athen sind wir mit dem Bus Richtung Mazedonien gefahren. Von Mazedonien sind wir über Kroatien und Slowenien nach Österreich gekommen. Die Reise dauerte einen Monat.
Richter: Wie haben Sie die Reise bezahlt?
Beschwerdeführer: Mein Vater hat sie bezahlt, sonst hatte ich niemanden. Ich glaube, bei der Erstbefragung wurde dies falsch protokolliert.
Richter: Schildern Sie bitte nochmals die Gründe Ihrer Beschwerde!
Beschwerdeführer: Ich kann wirklich nicht nach Afghanistan zurückkehren. Dort bin ich mit Gefahren und Bedrohungen konfrontiert. Dort ist es unsicher. Ich habe im Iran gelebt und es besteht die Gefahr, dass ich in Afghanistan von den Taliban festgenommen werde. In Afghanistan werden Burschen, die gut aussehen als Bacha Bazi gehalten. Ich habe dort niemanden. Ich habe auch keine Berufsausbildung, um dort arbeiten zu können. Meine Eltern haben dort auch eine Feindschaft. Es kann auch sein, dass diese Leute an mir Rache ausüben. Ich kann mit der Kultur dort nicht leben. Das, was ich machen möchte, kann ich dort nicht ausüben. Ich möchte noch sagen, ich akzeptiere die Gesetze dort nicht und ich möchte auch nicht mit diesen Gesetzen etwas zu tun haben. Männer und Frauen haben nicht dieselben Rechte. Frauen müssen einen Hijab tragen. Eine Frau kann dort nicht alles machen. In Zukunft möchte ich heiraten. Ich möchte, dass meine Frau ihre Freiheiten hat und auch arbeitet. Sie soll mit mir leben und ein freies Leben führen. Wenn ich nach Afghanistan zurückkehre und dort heirate, kann es meine Frau nicht machen. Frauen müssen immer einen Hijab tragen und Frauen werden immer als etwas Schlechtes angesehen.
Rechtsvertreter: Sie haben abgegeben, dass Sie gerne als Frisör arbeiten würden. Würden Sie dann Männern und Frauen gleichermaßen die Haare schneiden?
Beschwerdeführer: Ich möchte Frisör werden, in meiner Asylunterkunft schneide ich auch anderen Asylwerbern die Haare und sie sind sehr zufrieden. Wenn ich in Afghanistan bin, dann kann ich einer Frau die Haare nicht schneiden, denn das ist verboten. Hier in Österreich würde ich es schon machen. In Österreich ist es erlaubt.
Rechtsvertreter: Ich möchte in der Beschwerde richtig stellen, dass der Beschwerdeführer nicht Lehrer werden will, sondern eine Lehre absolvieren möchte.
[...]
Beschwerdeführer: Ich heiße XXXX .
Der Beschwerdeführer legt keine weiteren Beweisanträge vor.
Richter: Haben Sie die Dolmetscherin gut verstanden?
Beschwerdeführer: Ja."
Die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers legte im Rahmen der mündlichen Verhandlung Integrationsunterlagen des Beschwerdeführers, eine ACCORD-Anfragebeantwortung vom 12.6.2015 über die Situation von AfghanInnen, die ihr gesamtes Leben im Iran verbracht haben [A-9219] sowie eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 17.10.2017 mit dem Titel "Männerohrringe, Löcher in den Ohren" vor. Weiter wurde auf einen Bericht zur Präsentation der Afghanistan-Beauftragten von UNHCR vom 12.3.2018 und auf das Gutachten von Friederike Stahlmann vom 28.3.2018 verwiesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen
1. Feststellungen (Sachverhalt)
1.1 Zur Person des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX alias XXXX , ist volljährig und afghanischer Staatsangehöriger. Seine Muttersprache ist Dari. Er spricht auch Farsi. Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos.
Der Beschwerdeführer gehört der Volksgruppe der Sayed, Hazara, an und ist schiitischer Moslem. Er wurde in Afghanistan in der Provinz Helmand geboren und zog als Kind im Alter von vier oder fünf Jahren gemeinsam mit seiner Familie in den Iran. Im Iran lebte er bis zu seiner Ausreise gemeinsam mit seinen Eltern und seinen zwei Geschwistern im afghanischen Familienverband. Der Beschwerdeführer besuchte im Iran nach eigenen Angaben keine öffentliche Schule, erhielt aber zwei oder drei Jahre Schulunterricht von zu Hause aus. Er verfügt über keine Berufsausbildung, verrichtete im Iran aber unterschiedliche Hilfsarbeiten.
Die Familie des Beschwerdeführers hält sich nach wie vor im Iran auf. Der Kontakt ist aufrecht. Der Beschwerdeführer gab an, in Afghanistan keine Familienangehörigen zu haben.
1.2 Zu seinen Fluchtgründen und der Rückkehr nach Afghanistan
Der Beschwerdeführer verließ den Iran im Herbst 2015 und stellte am XXXX in Österreich gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung persönlich bedroht oder verfolgt wurde oder eine Verfolgung im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan zu befürchten hätte.
Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer in Afghanistan infolge seines Aufenthalts in Europa, aufgrund seines äußeren Erscheinungsbildes oder wegen seines in Österreich ausgeübten "westlichen" Lebensstils eine Verfolgung aufgrund einer ihm unterstellen politischen oder religiösen Gesinnung drohen würde.
1.3 Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich
Der Beschwerdeführer hält sich seit November 2015 in Österreich auf. Er reiste illegal in das Bundesgebiet ein und hatte nie ein nicht auf das Asylverfahren gegründetes Aufenthaltsrecht in Österreich. Der Beschwerdeführer bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und ist nicht erwerbstätig.
Der Beschwerdeführer legte Sprachzertifikate für das Deutsch-Niveau A1 und A2 sowie eine Teilnahmebestätigung für einen Werte- und Orientierungskurs des ÖIF vor. Von Dezember 2016 bis Mai 2017 nahm er an Computerkursen einer Neuen Mittelschule teil. Der Beschwerdeführer besuchte im Schuljahr 2017/18 als ordentlicher Schüler die internationale Klasse der Freien Waldorfschule XXXX und nahm an dem Unterrichtsfach "Gartenbau" teil. Er legte Unterstützungsschreiben vor. In seiner Freizeit besucht der Beschwerdeführer einen Verein zur Förderung des interkulturellen Austauschs junger Menschen. Dort macht er Musik, spielt Theater oder betreibt Sport. Zurzeit lernt der Beschwerdeführer das Gitarre-Spielen.
Der Beschwerdeführer gab in der mündlichen Verhandlung an, in naher Zukunft den Hauptschulabschluss nachholen und anschließend eine Berufsausbildung als Friseur machen zu wollen. Entsprechende Bestätigungen wurden bis zum Entscheidungszeitpunkt nicht vorgelegt.
In Österreich leben keine Verwandten oder Familienangehörige des Beschwerdeführers, zu denen ein besonderes Naheverhältnis besteht. Zu seinem angeblich in Österreich aufhältigen Onkel mütterlicherseits hat der Beschwerdeführer keinen Kontakt. Es besteht jedenfalls kein gemeinsamer Haushalt mit diesem Verwandten.
Auch besteht weder eine Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers in Österreich noch gibt es in Österreich geborene Kinder des Beschwerdeführers.
Der Beschwerdeführer ist gesund, benötigt keine Medikamente und befindet sich nicht in ärztlicher Behandlung.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
1.4 Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers
Es werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffen (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 2.3.2017, Stand: 30.1.2018):
1.4.1 Aktualisierung der Sicherheitslage - Q1.2018
Landesweit haben in den letzten Monaten Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (The Guardian; vgl. BBC 29.1.2018). Die Gewalt Aufständischer gegen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen hat in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban erhöhen ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (Asia Pacific 30.1.2018).
Im Stadtzentrum und im Diplomatenviertel wurden Dutzende Hindernisse, Kontrollpunkte und Sicherheitskameras errichtet. Lastwagen, die nach Kabul fahren, werden von Sicherheitskräften, Spürhunden und weiteren Scannern kontrolliert, um sicherzustellen, dass keine Sprengstoffe, Raketen oder Sprengstoffwesten transportiert werden. Die zeitaufwändigen Kontrollen führen zu langen Wartezeiten; sollten die korrekten Papiere nicht mitgeführt werden, so werden sie zum Umkehren gezwungen. Ebenso werden die Passagiere in Autos von der Polizei kontrolliert (Asia Pacific 30.1.2018).
Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie 29.1.2019
Am Montag den 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der Islamische Staat bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).
Quellen zufolge operiert der IS in den Bergen der östlichen Provinz Nangarhar (The Guardian 29.1.2018); die Provinzhauptstadt Jalalabad wird als eine Festung des IS erachtet, dessen Kämpfer seit 2015 dort aktiv sind (BBC 24.1.2018). Nachdem der IS in Ostafghanistan unter anhaltenden militärischen Druck gekommen war, hatte dieser immer mehr Angriffe in den Städten für sich beansprucht. Nationale und internationale Expert/innen sehen die Angriffe in den Städten als Überlappung zwischen dem IS und dem Haqqani-Netzwerk (einem extremen Arm der Taliban) (NYT 28.1.2018).
Angriff im Regierungs- und Diplomatenviertel in Kabul am 27.1.2018
Bei einem der schwersten Angriffe der letzten Monate tötete am Samstag den 27.1.2018 ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 28.1.2018; vgl. The Guardian 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (The Guardian 27.1.2018; vgl. The Guardian 28.1.2018). Der Vorfall ereignete sich im Regierungs- und Diplomatenviertel und wird als einer der schwersten seit dem Angriff vom Mai 2017 betrachtet, bei dem eine Bombe in der Nähe der deutschen Botschaft explodiert war und 150 Menschen getötet hatte (Reuters 28.1.2018).
Die Taliban verlautbarten in einer Aussendung, der jüngste Angriff sei eine Nachricht an den US-amerikanischen Präsidenten, der im letzten Jahr mehr Truppen nach Afghanistan entsendete und Luftangriffe sowie andere Hilfestellungen an die afghanischen Sicherheitskräfte verstärkte (Reuters 28.1.2018).
Angriff auf die NGO Save the Children am 24.1.2018
Am Morgen des 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden dabei getötet und zwölf weitere verletzt. Zum Zeitpunkt des Angriffs befanden sich 50 Mitarbeiter/innen im Gebäude. Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018).
Der jüngste Angriff auf eine ausländische Hilfseinrichtung in Afghanistan unterstreicht die wachsende Gefahr, denen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in Afghanistan ausgesetzt sind (The Guardian 24.1.2018).
Das Gelände der NGO Save the Children befindet sich in jener Gegend von Jalalabad, in der sich auch andere Hilfsorganisationen sowie Regierungsgebäude befinden (BBC 24.1.2018). In einer Aussendung des IS werden die Autobombe und drei weitere Angriffe auf Institutionen der britischen, schwedischen und afghanischen Regierungen (Reuters 24.1.2018).
Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul am 20.1.2018
Der Angriff bewaffneter Männer auf das Luxushotel Intercontinental in Kabul, wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018). Fünf bewaffnete Männer mit Sprengstoffwesten hatten sich Zutritt zu dem Hotel verschafft (DW 21.1.2018). Die exakte Opferzahl ist unklar. Einem Regierungssprecher zufolge sollen 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet worden sein. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle Fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).
Wie die Angreifer die Sicherheitsvorkehrungen durchbrechen konnten, ist Teil von Untersuchungen. Erst seit zwei Wochen ist eine private Firma für die Sicherheit des Hotels verantwortlich. Das Intercontinental in Kabul ist trotz des Namens nicht Teil der weltweiten Hotelkette, sondern im Besitz der afghanischen Regierung. In diesem Hotel werden oftmals Hochzeiten, Konferenzen und politische Zusammentreffen abgehalten (BBC 21.1.2018). Zum Zeitpunkt des Angriffes war eine IT-Konferenz im Gange, an der mehr als 100 IT-Manager und Ingenieure teilgenommen hatten (Reuters 20.1.2018; vgl. NYT 21.1.2018).
Insgesamt handelte es sich um den zweiten Angriff auf das Hotel in den letzten acht Jahren (NYT 21.1.2018). Zu dem Angriff im Jahr 2011 hatten sich ebenso die Taliban bekannt (Reuters 20.1.2018).
Unter den Opfern waren ausländische Mitarbeiter/innen der afghanischen Fluggesellschaft Kam Air, u.a. aus Kirgisistan, Griechenland (DW 21.1.2018), der Ukraine und Venezuela. Die Fluglinie verbindet jene Gegenden Afghanistans, die auf dem Straßenweg schwer erreichbar sind (NYT 29.1.2018).
1.4.2 Aktualisierung der Sicherheitslage - Q4.2017
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil - der Konflikt zwischen regierungsfeindlichen Kräften und Regierungskräften hält landesweit an (UN GASC 20.12.2017). Zur Verschlechterung der Sicherheitslage haben die sich intensivierende Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften beigetragen (SIGAR 30.10.2017; vgl. SCR 30.11.2017).
Die afghanischen und internationalen Sicherheitskräfte verstärkten deutlich ihre Luftoperationen (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die in 22 Provinzen registriert wurden. So haben sich im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) Luftangriffe um 73% gegenüber dem Vorjahreswert erhöht (UN GASC 20.12.2017). Der Großteil dieser Luftangriffe wurde in der südlichen Provinz Helmand und in der östlichen Provinz Nangarhar erfasst (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die als Hochburgen des IS und der Taliban gelten (SIGAR 30.10.2017). Verstärkte Luftangriffe hatten wesentliche Auswirkungen und führten zu hohen Opferzahlen bei Zivilist/innen und regierungsfeindlichen Elementen (UN GASC 20.12.2017). Zusätzlich ist die Gewalt in Ostafghanistan auf die zunehmende Anzahl von Operationen der ANDSF und der Koalitionskräfte zurück zu führen (SIGAR 30.10.2017). Landesweit kam es immer wieder zu Sicherheitsoperationen, bei denen sowohl aufständische Gruppierungen als auch afghanische Sicherheitskräfte Opfer zu verzeichnen hatten (Pajhwok 1.12.2017; TP 20.12.2017; Xinhua 21.12.2017; Tolonews 5.12.2017; NYT11.12.2017). Den Vereinten Nationen zufolge hat sich der Konflikt seit Anfang des Jahres verändert, sichvon einer asymmetrischen Kriegsführung entfernt und in einen traditionellen Konflikt verwandelt, der von bewaffneten Zusammenstößen zwischen regierungsfeindliche Elementen und der Regierung gekennzeichnet ist. Häufigere bewaffnete Zusammenstöße werden auch als verstärkte Offensive der ANDSF-Operationen gesehen um die Initiative von den Taliban und dem ISKP zu nehmen - in diesem Quartal wurde im Vergleich zum Vorjahreine höhere Anzahl an bewaffneten Zusammenstößen erfasst (SIGAR 30.10.2017).
Sicherheitsrelevante Vorfälle
In den ersten acht Monaten wurden insgesamt 16.290 sicherheitsrelevante Vorfälle von den Vereinten Nationen (UN) registriert; in ihrem Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) für das dritte Quartal, wurden 5.532 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. Laut UN haben sich bewaffnete Zusammenstöße um 5% erhöht und machen nach wie vor 64% aller registrierten Vorfälle aus. 2017 gab es wieder mehr lange bewaffnete Zusammenstöße zwischen Regierung und regierungsfeindlichen Gruppierungen. Im Gegensatz zum Vergleichszeitraums des Jahres 2016, verzeichnen die UN einen Rückgang von 3% bei Anschlägen mit Sprengfallen [IEDs - improvised explosive device], Selbstmordangriffen, Ermordungen und Entführungen - nichtsdestotrotz waren sie Hauptursache für zivile Opfer. Die östliche Region verzeichnete die höchste Anzahl von Vorfällen, gefolgt von der südlichen Region (UN GASC 21.9.2017).
Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan von 1.1.-31.8.2017 19.636 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (Stand: 31.8.2017) (INSO o.D.).
Zivilist/innen
Im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des letzten Jahres registrierte die UNAMA zwischen 1.1. und 30.9.2017 8.019 zivile Opfer (2.640 Tote und 5.379 Verletzte). Dies deutet insgesamt einen Rückgang von fast 6% gegenüber dem Vorjahreswert an (UNAMA 10.2017); konkret hat sich die Anzahl getöteter Zivilist/innen um 1% erhöht, während sich die Zahl verletzter Zivilist/innen um 9% verringert hat (UN GASC 20.12.2017). Wenngleich Bodenoffensiven auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer waren - führte der Rückgang der Anzahl von Bodenoffensiven zu einer deutlichen Verringerung von 15% bei zivilen Opfern. Viele Zivilist/innen fielen Selbstmordattentaten, sowie komplexen Angriffen und IEDs zum Opfer - speziell in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Kandahar und Faryab (UNAMA 10.2017).
Zivile Opfer, die regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben wurden, sind um 37% zurückgegangen: Von insgesamt 849 waren 228 Tote und 621 Verletzte zu verzeichnen. Im Gegensatz dazu erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Elementen zugeschrieben werden, um 7%: von den 1.150 zivilen Opfer starben 225, während 895 verletzt wurden. Die restlichen Opfer konnten keiner Tätergruppe zugeschrieben werden (UNAMA 10.2017).
High-profile Angriffe
Am 31.10.2017 sprengte sich ein Selbstmordattentäter in der "Green Zone" der Hauptstadt Kabul in die Luft. Der angebliche Täter soll Quellen zufolge zwischen 12-13 Jahren alt gewesen sein. Mindestens vier Menschen starben bei dem Angriff und ein Dutzend weitere wurden verletzt. Dies war der erste Angriff in der "Green Zone" seit dem schweren Selbstmordattentat im Mai 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall Ende Oktober 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017; UN GASC 20.12.2017)
Am 20.10.2017 sprengte sich ein Angreifer in der Shia Imam Zamam Moschee in Kabul in die Luft; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet und 45 weitere verletzt. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017; UN GASC 20.12.2017). In dem Distrikt Solaina, in der westlichen Provinz Ghor, wurde ebenso eine Moschee angegriffen - in diesem Fall handelt es sich um eine sunnitische Moschee. Die tatsächliche Opferzahl ist umstritten: je nach Quellen sind zwischen 9 und 39 Menschen bei dem Angriff gestorben (Independent 20.10.2017; vgl. NYT 20.10.2017; al Jazeera 20.10.2017).
Am 19.10.2017 wurde im Rahmen eines landesweit koordinierten Angriffes der Taliban 58 afghanische Sicherheitskräfte getötet: ein militärisches Gelände, eine Polizeistationen und ein militärischer Stützpunkt in Kandahar wären beinahe überrannt worden (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017). Einige Tage vor diesem Angriff töteten ein Selbstmordattentäter und ein Schütze mindestens 41 Menschen, als sie ein Polizeiausbildungszentrum in der Provinzhauptstadt Gardez stürmten (Provinz Paktia) (BBC 21.10.2017). In der Woche davor wurden 14 Offiziere der Militärakademie auf dem Weg nach Hause getötet, als ein Selbstmordattentäter den Minibus in die Luft sprengte in dem sie unterwegs waren (NYT 20.10.2017). Die afghanische Armee und Polizei haben dieses Jahrschwere Verlusten aufgrund der Taliban erlitten (BBC 21.10.2017).
Am 7.11.2017 griffen als Polizisten verkleidete Personen/regierungsfeindliche Kräfte eine Fernsehstation "Shamshad TV" an; dabei wurde mindestens eine Person getötet und zwei Dutzend weitere verletzt. Die afghanischen Spezialkräfte konnten nach drei Stunden Kampf, die Angreifer überwältigen. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Guardian 7.11.2017; vgl. NYT 7.11.2017; UN GASC 20.12.2017). (Guardian 7.11.2017)
Bei einem Selbstmordangriff im November 2017 wurden mindestens neun Menschen getötet und einige weitere verletzt; die Versammelten hatten einem Treffen beigewohnt, um den Gouverneur der Provinz Balkh - Atta Noor - zu unterstützen; auch hier bekannte sich der ISzu diesem Selbstmordattentat (Reuters 16.11.2017; vgl. UN GASC 20.12.2017)
Interreligiöse Angriffe "Green Zone" in Kabul
Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017).
Eine Erweiterung der sogenannten Green Zone ist geplant; damit wird Verbündeten der NATO und der US-Amerikaner ermöglicht, auch weiterhin in der Hauptstadt Kabul zu bleiben ohne dabei Risiken ausgesetzt zu sein. Kabul City Compound - auch bekannt als das ehemalige Hauptquartier der amerikanischen Spezialkräfte, wird sich ebenso innerhalb der Green Zone befinden. Die Zone soll hinkünftig vom Rest der Stadt getrennt sein, indem ein Netzwerk an Kontrollpunkten durch Polizei, Militär und privaten Sicherheitsfirmen geschaffen wird. Die Erweiterung ist ein großes öffentliches Projekt, das in den nächsten zwei Jahren das Zentrum der Stadt umgestalten soll; auch sollen fast alle westlichen Botschaften, wichtige Ministerien, sowie das Hauptquartier der NATO und des US-amerikanischen Militärs in dieser geschützten Zone sein. Derzeit pendeln tagtäglich tausende Afghaninnen und Afghanen durch diese Zone zu Schulen und Arbeitsplätzen (NYT 16.9.2017).
Nach einer Reihe von Selbstmordattentaten, die hunderte Opfer gefordert haben, erhöhte die afghanische Regierung die Sicherheit in der zentralen Region der Hauptstadt Kabul - dieser Bereich ist Sitz ausländischer Botschaften und Regierungsgebäude. Die Sicherheit in diesem diplomatischen Bereich ist höchste Priorität, da, laut amtierenden Polizeichef von Kabul, das größte Bedrohungsniveau in dieser Gegend verortet ist und eine bessere Sicherheit benötigt wird. Die neuen Maßnahmen sehen 27 neue Kontrollpunkte vor, die an 42 Straßen errichtet werden. Eingesetzt werden mobile Röntgengeräte, Spürhunde und Sicherheitskameras. Außerdem werden 9 weitere Straßen teilweise gesperrt, während die restlichen sechs Straßen für Autos ganz gesperrt werden. 1.200 Polizist/innen werden in diesem Bereich den Dienst verrichten, inklusive spezieller Patrouillen auf Motorrädern. Diese Maßnahmen sollen in den nächsten sechs Monaten schrittweise umgesetzt werden (Reuters 6.8.2017).
Ein erweiterter Bereich, die sogenannte "Blue Zone" soll ebenso errichtet werden, die den Großteil des Stadtzentrums beinhalten soll - in diesem Bereich werden strenge Bewegungseinschränkungen, speziell für Lastwagen, gelten. Lastwagen werden an einem speziellen externen Kontrollpunkt untersucht. Um in die Zone zu gelangen, müssen sie über die Hauptstraße (die auch zum Flughafen führt) zufahren (BBC 6.8.2017; vgl. Reuters 6.8.2017).
ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte
Informationen zur Stärke der ANDSF und ihrer Opferzahlen werden von den US amerikanischen Kräften in Afghanistan (USFOR-A) geheim gehalten; im Bericht des US Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR) werden Schätzungen angegeben:
Die Stärke der ANDSF ist in diesem Quartal zurückgegangen; laut USFOR-A Betrug die Stärke der ANDSF mit Stand August 2017 etwa 320.000 Mann - dies deutet einen Rückgang von 9.000 Mann gegenüber dem vorhergehenden Quartal an. Dennoch erhöhte sich der Wert um
3.500 Mann gegenüber dem Vorjahr (SIGAR 30.10.2017). Die Schwundquote der afghanischen Nationalpolizei war nach wie vor ein großes Anliegen; die Polizei litt unter hohen Opferzahlen (UN GASC 20.12.2017). Im Rahmen eines Memorandum of Understanding (MoU) zwischen dem afghanischen Verteidigungs- und Innenministerium wurde die afghanische Grenzpolizei (Afghan Border Police) und die afghanische Polizei für zivile Ordnung (Afghan National Civil Order Police) dem Verteidigungsministerium übertragen (UN GASC 20.12.2017). Um sogenanntem "Geisterpersonal" vorzubeugen, werden seit 1.1.2017 Gehälter nur noch an jenes Personal im Innen- und Verteidigungsministerium ausbezahlt, welches ordnungsgemäß registriert wurde (SIGAR 30.10.2017)
Regierungsfeindliche Gruppierungen
Taliban
Die Taliban waren landesweit handlungsfähig und zwangen damit die Regierung erhebliche Ressourcen einzusetzen, um den Status Quo zu erhalten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive im April, haben die Taliban - im Gegensatz zum Jahr 2016 - keine größeren Versuche unternommen Provinzhauptstädte einzunehmen. Nichtsdestotrotz, gelang es den Taliban zumindest temporär einige Distriktzentren zu überrennen und zu halten; dazu zählen der Distrikt Taywara in der westlichen Provinz Ghor, die Distrikte Kohistan und Ghormach in der nördlichen Provinz Faryab und der Distrikt Jani Khel in der östlichen Provinz Paktia. Im Nordosten übten die Taliban intensiven Druck auf mehrere Distrikte entlang des Autobahnabschnittes Maimana-Andkhoy in der Provinz Faryab aus; die betroffenen Distrikte waren: Qaramol, Dawlat Abad, Shirin Tagab und Khwajah Sabz Posh. Im Süden verstärkten die Taliban ihre Angriffe auf Distrikte, die an die Provinzhauptstädte von Kandahar und Helmand angrenzten (UN GASC 21.9.2017).
IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh
Die Operationen des ISIL-KP in Afghanistan sind weiterhin auf die östliche Region Afghanistans beschränkt - nichtsdestotrotz bekannte sich die Gruppierung landesweit zu acht nennenswerten Vorfällen, die im Berichtszeitraum von den UN registriert wurden. ISIL-KP verdichtete ihre Präsenz in der Provinz Kunar und setze ihre Operationen in Gegenden der Provinz Nangarhar fort, die von den ANDSF bereits geräumt worden waren. Angeblich wurden Aktivitäten des ISIL-KP in den nördlichen Provinzen Jawzjan und Sar-e Pul, und den westlichen Provinzen Herat und Ghor berichtet (UN GASC 21.9.2017).
Im sich zuspitzenden Kampf gegen den ISIL-KP können sowohl die ANDSF, als auch die Koalitionskräfte auf mehrere wichtige Erfolge im zweiten Quartal verweisen (SIGAR 31.7.2017): Im Juli wurde im Rahmen eines Luftangriffes in der Provinz Kunar der ISIL-KP-Emir, Abu Sayed, getötet. Im August wurden ein weiterer Emir des ISIL-KP, und drei hochrangige ISIL-KP-Führer durch einen Luftangriff getötet. Seit Juli 2016 wurden bereits drei Emire des ISIL-KP getötet (Reuters 13.8.2017); im April wurde Sheikh Abdul Hasib, gemeinsam mit 35 weiteren Kämpfern und anderen hochrangigen Führern in einer militärischen Operation in der Provinz Nangarhar getötet (WT 8.5.2017; vgl. SIGAR 31.7.2017). Ebenso in Nangarhar, wurde im Juni der ISIL-KP-Verantwortliche für mediale Produktionen, Jawad Khan, durch einen Luftangriff getötet (SIGAR 31.7.2017; vgl.: Tolonews 17.6.2017).
Politische Entwicklungen
Die Vereinten Nationen registrierten eine Stärkung der Nationalen Einheitsregierung. Präsident Ghani und CEO Abdullah einigten sich auf die Ernennung hochrangiger Posten - dies war in der Vergangenheit Grund für Streitigkeiten zwischen den beiden Führern gewesen (UN GASC 21.9.2017).
Die parlamentarische Bestätigung einiger war nach wie vor ausständig; derzeit üben daher einige Minister ihr Amt kommissarisch aus. Die unabhängige afghanische Wahlkommission (IEC) verlautbarte, dass die Parlaments- und Distriktratswahlen am 7. Juli 2018 abgehalten werden (UN GASC 21.9.2017).
1.4.3 Aktualisierung der Sicherheitslage - Q3.2017
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil; die Regierung und die Taliban wechselten sich während des Berichtszeitraumes bei Kontrolle mehrerer Distriktzentren ab - auf beiden Seiten waren Opfer zu beklagen (UN GASC 21.9.2017). Der Konflikt in Afghanistan ist gekennzeichnet von zermürbenden Guerilla-Angriffen, sporadischen bewaffneten Zusammenstößen und gelegentlichen Versuchen Ballungszentren zu überrennen. Mehrere Provinzhauptstädte sind nach wie vor in der Hand der Regierung; dies aber auch nur aufgrund der Unterstützung durch US-amerikanische Luftangriffe. Dennoch gelingt es den Regierungskräften kleine Erfolge zu verbuchen, indem sie mit unkonventionellen Methoden zurückschlagen (The Guardian 3.8.2017). Der afghanische Präsident Ghani hat mehrere Schritte unternommen, um die herausfordernde Sicherheitssituation in den Griff zu bekommen. So hielt er sein Versprechen den Sicherheitssektor zu reformieren, indem er korrupte oder inkompetente Minister im Innen- und Verteidigungsministerium feuerte, bzw. diese selbst zurücktraten; die afghanische Regierung begann den strategischen 4-Jahres Sicherheitsplan für die ANDSF umzusetzen (dabei sollen die Fähigkeiten der ANDSF gesteigert werden, größere Bevölkerungszentren zu halten); im Rahmen des Sicherheitsplanes sollen Anreize geschaffen werden, um die Taliban mit der afghanischen Regierung zu versöhnen; Präsident Ghani bewilligte die Erweiterung bilateraler Beziehungen zu Pakistan, so werden unter anderem gemeinsamen Anti-Terror Operationen durchgeführt werden (SIGAR 31.7.2017). Zwar endete die Kampfmission der US-Amerikaner gegen die Taliban bereits im Jahr 2014, dennoch werden, laut US-amerikanischem Verteidigungsminister, aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage 3.000 weitere Soldaten nach Afghanistan geschickt. Nach wie vor sind über 8.000 US-amerikanische Spezialkräfte in Afghanistan, um die afghanischen Truppen zu unterstützen (BBC 18.9.2017).
ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte
Laut einem Bericht des amerikanischen Verteidigungsministeriums behielten die ANDSF, im Berichtszeitraum 1.12.2016-31.5.2017 trotz aufständischer Gruppierungen, auch weiterhin Kontrolle über große Bevölkerungszentren: Die ANDSF waren im Allgemeinen fähig große Bevölkerungszentren zu schützen, die Taliban davon abzuhalten gewisse Gebiete für einen längeren Zeitraum zu halten und auf Talibanangriffe zu reagieren. Die ANDSF konnten in städtischen Gebieten Siege für sich verbuchen, während die Taliban in gewissen ländlichen Gebieten Erfolge erzielen konnten, in denen die ANDSF keine dauernde Präsenz hatten. Spezialeinheiten der afghanischen Sicherheitskräfte (ASSF - Afghan Special Security Forces) leiteten effektiv offensive Befreiungsoperationen (US DOD 6.2017).
Bis Ende April 2017 lag die Truppenstärke der afghanischen Armee [ANA - Afghan National Army] bei 90,4% und die der afghanischen Nationalpolizei [ANP - Afghan National Police] bei 95,1% ihrer Sollstärke (UN GASC 20.6.2017).
High-profile Angriffe
Als sichere Gebiete werden in der Regel die Hauptstadt Kabul und die regionalen Zentren Herat und Mazar-e Sharif genannt. Die Wahrscheinlichkeit, hier Opfer von Kampfhandlungen zu werden, ist relativ geringer als zum Beispiel in den stark umkämpften Provinzen Helmand, Nangarhar und Kunduz (DW 31.5.2017).
Hauptstadt Kabul
Kabul wird immer wieder von Attentaten erschüttert (DW 31.5.2017).
Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben und mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt als ein Selbstmordattentäter einen Sprengstoff beladenen Tanklaster mitten im Diplomatenviertel in die Luft sprengte (FAZ 6.6.2017; vgl. auch:
al-Jazeera 31.5.2017; The Guardian 31.5.2017; BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Bedeutend ist der Angriffsort auch deswegen, da dieser als der sicherste und belebteste Teil der afghanischen Hauptstadt gilt. Kabul war in den Wochen vor diesem Anschlag relativ ruhig (al-Jazeera 31.5.2017).
Zunächst übernahm keine Gruppe Verantwortung für diesen Angriff; ein Talibansprecher verlautbarte nicht für diesen Vorfall verantwortlich zu sein (al-Jazeera 31.5.2017). Der afghanische Geheimdienst (NDS) macht das Haqqani-Netzwerk für diesen Vorfall verantwortlich (The Guardian 2.6.2017; vgl. auch: Fars News 7.6.2017); schlussendlich bekannte sich der Islamische Staat dazu (Fars News 7.6.2017).
Nach dem Anschlag im Diplomatenviertel in Kabul haben rund 1.000 Menschen, für mehr Sicherheit im Land und eine Verbesserung der Sicherheit in Kabul demonstriert (FAZ 2.6.2017). Bei dieser Demonstration kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Demonstranten und den Sicherheitskräften (The Guardian 2.6.2017); dabei wurden mindestens sieben Menschen getötet und zahlreiche verletzt (FAZ 2.6.2017).
Auf der Trauerfeier für einen getöteten Demonstranten- den Sohn des stellvertretenden Senatspräsidenten - kam es am 3.6.2017 erneut zu einem Angriff, bei dem mindestens 20 Menschen getötet und 119 weitere verletzt worden waren. Polizeiberichten zufolge, waren während des Begräbnisses drei Bomben in schneller Folge explodiert (FAZ 3.6.2017; vgl. auch: The Guardian 3.6.2017); die Selbstmordattentäter waren als Trauergäste verkleidet (The Guardian 3.6.2017). Hochrangige Regierungsvertreter, unter anderem auch Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, hatten an der Trauerfeier teilgenommen (FAZ 3.6.2017; vgl. auch: The Guardian 3.6.2017).
Herat
Anfang Juni 2017 explodierte eine Bombe beim Haupteingang der historischen Moschee Jama Masjid; bei diesem Vorfall wurden mindestens 7 Menschen getötet und 15 weitere verletzt (Reuters 6.6.2017; vgl. auch: TMN 7.6.2017). Zu diesem Vorfall hat sich keine Terrrorgruppe bekannt (TMN 7.6.2017; vgl. auch: US News 12.6.2017). Sirajuddin Haqqani - stellvertretender Leiter der Taliban und Führer des Haqqani Netzwerkes - verlautbarte, die Taliban wären für diese Angriffe in Kabul und Herat nicht verantwortlich (WP 12.6.2017).
Mazar-e Sharif
Auf der Militärbase Camp Shaheen in der nördlichen Stadt Mazar-e Sharif eröffnete Mitte Juni 2017 ein afghanischer Soldat das Feuer auf seine Kameraden und verletzte mindestens acht Soldaten (sieben US-amerikanische und einen afghanischen) (RFE/RL 17.6.2017).
Die Anzahl solcher "Insider-Angriffe" [Anm.: auch green-on-blue attack genannt] hat sich in den letzten Monaten erhöht. Unklar ist, ob die Angreifer abtrünnige Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte sind oder ob sie Eindringlinge sind, die Uniformen der a