TE Bvwg Erkenntnis 2019/2/11 W266 2177288-1

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Veröffentlicht am 11.02.2019
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Entscheidungsdatum

11.02.2019

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W266 2177288-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Stephan WAGNER als Vorsitzenden und die Richterin Mag. Ulrike SCHERZ sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Rudolf HALBAUER, Bakk. Phil. als Beisitzer über die Beschwerde der XXXX, geboren am XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen,

Landesstelle Wien, vom 5.10.2017, OB: XXXX, betreffend den Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses in nicht öffentlicher

Sitzung zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid behoben. Aufgrund des festgestellten Grades der Behinderung in Höhe von 50 von 100 liegen die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses vor.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Mit dem im Spruch zitierten Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien (in der Folge: belangte Behörde) wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 18.7.2017 auf Ausstellung eines Behindertenpasses abgewiesen.

Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen damit, dass im Ermittlungsverfahren ein Gutachten zur Feststellung des Grades der Behinderung eingeholt worden sei und nach diesem Gutachten ein Grad der Behinderung von 30% vorliege.

Die wesentlichen Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien der Beilage, die einen Bestandteil der Begründung bilde, zu entnehmen. Die Ergebnisse der ärztlichen Begutachtung würden als schlüssig anerkannt und in freier Beweiswürdigung zu Grunde gelegt.

Da die ärztliche Begutachtung einen Grad der Behinderung in Höhe von 30% festgestellt habe, lägen die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht vor, da gemäß § 40 Abs. 3 Bundesbehindertengesetz der Grad der Behinderung mindestens 50% zu betragen habe.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen, fristgerechten Beschwerde führt die Beschwerdeführerin - unter Vorlage weiterer Befunde - im Wesentlichen aus, dass ihr ab 1.7.17 mit einem hohen Pflegestundenbedarf von 87 Std/Monat Pflegegeld der Stufe 1 zugesprochen worden wäre und dass ihre Wirbelsäulenprobleme massiv seien und starke Schmerzen verursachten, weshalb ihr der Orthopäde ein stark stützendes Mieder verschrieben habe, das sie ständig tragen müsse.

Vom Bundesverwaltungsgericht wurde in der Folge ein neurologisch/psychiatrisches sowie ein allgemeinmedizinisches zusammenfassendes Gutachten eingeholt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Nach Einsicht in den behördlichen Verwaltungsakt, Einholung von Gutachten einer Fachärztin für Neurologie/Psychiatrie sowie eines Arztes für Allgemeinmedizin, welche auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin basieren, Einsicht in die vorgelegten Befunde sowie Einholung eines aktuellen Auszuges aus dem zentralen Melderegister steht folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt fest:

Die Beschwerdeführerin ist österreichischer Staatsbürger, am XXXX geboren und wohnhaft in XXXX.

Hinsichtlich des Gesundheitszustandes wird folgendes festgestellt:

Allgemeinzustand: gut, Ernährungszustand: gut, Größe: 158 cm,

Gewicht: 85 kg,

Caput/Hals: unauffällig, keine Lippenzyanose, keine Halsvenenstauung, Schilddrüse schluckverschieblich,

Cor: reine Herztöne, rhythmische Herzaktion, Blutdruck: 125/70,

Pulmo: V.A., sonorer KS, Basen atemversch., keine Sprechdyspnoe, keine Kurzatmigkeit bei Bewegungsprüfung im Untersuchungszimmer,

Abdomen: unauffällig, weich, keine Druckpunkte, keine path. Resistenzen palp., Leber am Ribo palp., Milz n.p., Darmgeräusche normal und unauffällig, Nierenlager bds. frei, HWS: Kopfdrehung und -seitneigung: nach rechts und links frei, Inkl. und Rekl. frei, BWS:

gerade, LWS: Rumpfdrehung und -seitneigung endlagig eingeschränkt,

Extremitäten: obere Extremitäten:

Schultergelenk rechts: Armvorheben und Armseitheben altersentsprechend frei, Nackengriff frei, Schürzengriff endlagig eingeschränkt, Schultergelenk links: Armseitheben 90° aktiv, 95° passiv, Armvorheben 120° aktiv, 130° passiv, Nackengriff durchführbar, Schürzengriff endlagig eingeschränkt Ellenbogengelenke beidseits frei beweglich, Handgelenke frei beweglich, Fingergelenke bds. frei, Daumengelenke bds. frei, leichte Schwäche rechte obere Extremität,

Faustschluß bds. komplett durchführbar, Zangengriff bds. durchführbar, Greif- und Haltefunktion beidseits erhalten,

UE: Hüftgelenk rechts: Flexion 90°, Abd. endlagig eingeschränkt und Add. altersentsprechend frei,

Hüftgelenk links: Flexion 90°, Abduktion endlagig eingeschränkt und Adduktion frei, Kniegelenk rechts: Beugung und Streckung frei, bandstabil, Kniegelenk links: Beugung und Streckung frei, bandstabil, Beugung endlagig schmerzhaft, Sprunggelenke bds. frei, Zehenbeweglichkeit unauffällig, Krallenzehen-Bildung beidseits,

Hocke mit Anhalten inkomplett durchführbar - die Hände erreichen Kniegelenkshöhe,

Fußheben und -senken bds. frei durchführbar, beide UE können gering von der Unterlage abgehoben werden, Beinpulse beidseits tastbar,

Fußpulse beidseits schwach tastbar, Venen: verstärkte Venenzeichnung beidseits,

Ödeme: keine. Stuhl: breiig, regelmäßig,

Harn: etwas erhöhte Harnentleerungsfrequenz, Anamneseerhebung und Kommunikation unauffällig und gut möglich.

Gang:

kommt mit 2 Unterarmstützkrücken bei sicherem und flüssigem Gangbild, ohne Hilfsmittelverwendung stellt sich das Gangbild breitbeinig, ataktisch und unsicher wirkend dar. Aufsetzen aus liegender Körperhaltung schwerfällig selbstständig möglich. Zehenspitzen- und Fersenstand beidseits mit Anhalten durchführbar. Freies Stehen sicher möglich. Konfektionssportschuhe.

Neurologischer Status:

im Kopf- und im Hirnnervenbereich keine Auffälligkeiten bis auf leichte Hörverminderung. Nur diskrete Halbseitenzeichen an den oberen Extremitäten. Leichtes Absinken im Halteversuch rechts. Leichte Schwäche rechts. Kraftgrad rechts 4-5. Sonst seitengleiche Verhältnisse bezüglich Tonus, Sensibilität und Reflexe an den oberen Extremitäten. Nur Kribbeln und Bamstigkeit in den Handinnenflächen. An den unteren Extremitäten Reflexe schwach und Achillessehnenreflex fehlend. Dys- und Parästhesien beidseits bis zur Wade. Keine pathologischen Reflexe. Sämtliche Koordinationsversuche regelrecht. Romberg unsicher. Unterberger nicht durchführbar. Zehen- und Fersenstand unsicher und wackelig. Gangbild breitbeinig, ataktisch und unsicher.

Psychischer Status:

Bewusstseinsklar und allseits orientiert. Keine Denkstörungen. Keine psychotische Symptomatik.

Konzentration, Aufmerksamkeit und Merkfähigkeit regelrecht. Gedankenductus regelrecht. Befindlichkeit deprimiert, schlafgestört, aber kooperativ. Vermindert mitschwingend. Etwas instabil. Keine Suizidalität.

Die Funktionseinschränkungen des Beschwerdeführers entsprechen der folgenden Leidensposition

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktions-einschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos.Nr.

Gdb %

1

Zustand nach wiederholten Insulten 2009 und 2017 mit Halbseitenzeichen rechts Oberer Rahmensatz, da Schwäche armbetont rechts und Koordinationsstörungen sowie Ataxie.

04.01.01

40

2

Polyneuropathie 2 Stufen über dem unteren Rahmensatz, da nicht nur sensible Störungen, sondern auch Schmerzen vorhanden sind.

04.06.01

30

3

Funktionseinschränkungen des Bewegungsapparates Oberer Rahmensatz dieser Position, da insgesamt geringgradige funktionelle Einschränkungen der Schultergelenke, des linken Kniegelenks sowie der Fingergelenke.

02.02.01

20

4

Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule

02.01.01

20

5

Nierenfunktionseinschränkung bei Bluthochdruck 1 Stufe über dem unteren Rahmensatz, da Kreatinin zwischen 1,3-1,6 mg/dl bei medikamentös befriedigend eingestelltem Bluthochdruck und unauffälliger Herzfunktion bei dokumentierten Veränderungen der Herzklappen, unauffälliges rotes Blutbild ohne Hinweise auf Anämie.

05.04.01

20

6

Obstruktives Schlafapnoesyndrom Unterer Rahmensatz dieser Position, da mittels nächtlicher Beatmungstherapie kompensierbar.

06.11.01

20

7

Carpaltunnelsyndrom beidseits, rechts mehr als links Unterer Rahmensatz, da nur gering ausgeprägt.

g.z. 04.05.06

10

8

Hashimoto-Thyreoiditis Unterer Rahmensatz dieser Position, da medikamentös kompensierbar.

09.01.01

10

9

Periphere arterielle Verschlusskrankheit der unteren Extremitäten Wahl dieser Position, da tastbare Beinpulse ohne Hinweis auf maßgebliche Störungen des Hautbildes, fehlender Interventionsbedarf.

05.03.01

10

10

Zustand nach Lungeninfarkt und Lungenentzündung Unterer Rahmensatz, da das Auftreten einer belastungsabhängigen Kurzatmigkeit berichtet wird bei jedoch Vorliegen einer auskultatorisch unauffälligen Lunge und fehlender Erfordernis einer lungenärztlichen Medikation.

g.z. 06.06.01

10

und beträgt

der Grad der Behinderung 50%.

Leiden 2 wirkt mit dem führenden Leiden 1 wechselseitig ungünstig zusammen und erhöht um eine Stufe. Die Leiden 3 und 4 wirken mit dem führenden Leiden 1 nicht auf maßgebliche Weise wechselseitig negativ zusammen und erhöhen nicht weiter. Die übrigen Leiden wirken mit dem führenden Leiden 1 nicht auf maßgebliche Weise funktionell negativ zusammen und erhöhen nicht weiter.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen beruhen betreffend Geburtsdatum, Staatsbürgerschaft und Wohnadresse auf den glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerin am Antragsformular, sowie auf den übereinstimmenden Unterlagen im Verwaltungsakt sowie auf dem eingeholten Auszug aus dem zentralen Melderegister.

Hinsichtlich des Gesundheitszustandes und des Grades der Behinderung beruhen die Feststellungen auf den vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Gutachten, welche auf einer persönlichen Untersuchung basieren. Diese sind in sich schlüssig, nachvollziehbar und vollständig. Es wird darin vollständig und in nachvollziehbarer Art und Weise auf alle, von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Leidenszustände unter Berücksichtigung der vorgelegten Befunde eingegangen.

Die neurologische Sachverständige ordnet das Leiden 1 (Zustand nach wiederholten Insulten 2009 und 2017 mit Halbseitenzeichen rechts) schlüssig und nachvollziehbar der Position 04.01.01 der Einschätzungsverordnung mit dem oberen Rahmensatz in Höhe von 40% zu, da eine Schwäche armbetont rechts, Koordinationsstörungen sowie Ataxie vorliegen. Dies entspricht den Kriterien der EVO für den Rahmensatz von 30-40% (Ausfall einzelner Muskelgruppen).

Ebenso schlüssig ist die Begründung der Sachverständigen für die vom Gutachten der belangten Behörde abweichenden Einstufung, da die Behinderungen durch die Schlaganfälle aus neurologischer Sicht stärker als nur gering ausfallen.

Das Leiden 2 (Polyneuropathie) wird von der neurologischen Sachverständigen mit 2 Stufen über dem unteren Rahmensatz in Höhe von 30% der Position 04.06.01 zugeordnet, da nicht nur sensible Störungen, sondern auch Schmerzen vorhanden sind. Dies entspricht den Kriterien der EVO die für sensible und motorische Ausfälle leichten Grades einen Grad der Behinderung von 10 - 40 % vorsehen, wobei sich die Einstufung an den Ausfallserscheinungen orientiert. Das Abweichen vom Gutachten der belangten Behörde wird schlüssig damit begründet, dass sich aus dem Elektroneurodiagnostischem Befund vom 1.2.2017 ein sensomotorisches axonales Neuropathiesyndrom an der UE ergibt und klinisch deutliche Zeichen der Polyneuropathie mit Sensibilitätsstörungen und Schmerzen vorliegen.

Die Neuaufnahme des Leidens 7 (Carpaltunnelsyndroms beidseits, rechts mehr als links) wird nachvollziehbar damit begründet, dass es befundmäßig dokumentiert ist und wird schlüssig dem unteren Rahmensatz der Position g.z. 04.05.06 in Höhe von 10% zugeordnet, da es nur gering ausgeprägt ist. Dies entspricht den Kriterien der EVO, da bei den angeführten Einschätzungswerten der untere Wert jeweils die Schwäche und der obere Wert die vollständige Lähmung ausdrückt.

Hinsichtlich des Gesamtgrades der Behinderung in Höhe von 50% führt der allgemeinmedizische Sachverständige unter Berücksichtigung des neurologischen Gutachtens schlüssig und nachvollziehbar aus, dass das Leiden 2 mit dem führenden Leiden 1 wechselseitig ungünstig zusammenwirkt und um eine Stufe erhöht. Die Leiden 3 und 4 wirken mit dem führenden Leiden 1 nicht auf maßgebliche Weise wechselseitig negativ zusammen und erhöhen nicht weiter. Die übrigen Leiden wirken mit dem führenden Leiden 1 nicht auf maßgebliche Weise funktionell negativ zusammen und erhöhen nicht weiter.

Die gegenständlichen Sachverständigengutachten werden daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zugrunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 17 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist,.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

Gemäß § 1 Abs. 2 Bundesbehindertengesetz (BBG) ist unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Gemäß § 40 Abs. 1 BBG ist behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpaß auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

Gemäß § 41 Abs. 1 BBG gilt als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

Gemäß § 46 BBG beträgt die Beschwerdefrist abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.

Gemäß § 1. Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) ist unter Behinderung im Sinne dieser Verordnung die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, insbesondere am allgemeinen Erwerbsleben, zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Gemäß § 2 Abs. 1 Einschätzungsverordnung sind die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

Die relevanten Positionen der Anlage zur Einschätzungsverordnung lauten:

04.01 Cerebrale Lähmungen

Tabelle kann nicht abgebildet werden

04.06 Polyneuropathien und Polyneurotiden

Die Einstufung orientiert sich an den jeweiligen Ausfallserscheinungen.

04.06.01

Sensible und motorische Ausfälle leichten Grades

10 - 40 %

02.02 Generalisierte Erkrankungen des Bewegungsapparates

Es ist die resultierende Gesamtfunktionseinschränkung bei entzündlich rheumatischen

Systemerkrankungen, degenerative rheumatischen Erkrankungen und systemischen

Erkrankungen der Muskulatur einzuschätzen.

Falls sie mit Lähmungserscheinungen einhergehen, sind sie entsprechend den funktionellen

Defiziten nach Abschnitt 04. "Neuromuskuläre Erkrankungen" im Kapitel

"Nervensystem" zu beurteilen.

Tabelle kann nicht abgebildet werden

02.01 Wirbelsäule

Tabelle kann nicht abgebildet werden

05.04 Niere

Tabelle kann nicht abgebildet werden

06.11 Obstruktives Schlafaponoe-Syndrom (Osas)

Tabelle kann nicht abgebildet werden

04.05 Lähmungen der peripheren Nerven

Es wurde auf die Version Gegenarm und Gebrauchsarm verzichtet, da die Erfahrungen

zeigen, dass es relativ rasch zu einer Adaptierung kommt.

Bei den angeführten Einschätzungswerten drückt der untere Wert jeweils die Schwäche

aus und der obere Wert die vollständige Lähmung aus.

Tabelle kann nicht abgebildet werden

05.03 Arterielles Gefäßsystem

Tabelle kann nicht abgebildet werden

06.06 Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD)

Tabelle kann nicht abgebildet werden

Gemäß § 3 Abs. 1 Einschätzungsverordnung ist eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

Gemäß § 3 Abs. 2 Einschätzungsverordnung ist bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.

Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.

Gemäß § 3 Abs. 3 Einschätzungsverordnung liegt eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, vor, wenn

-

sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,

-

zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.

Gemäß § 3 Abs. 4 Einschätzungsverordnung ist eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.

Gemäß § 4 Abs. 1 Einschätzungsverordnung bildet die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.

Gemäß § 4 Abs. 2 Einschätzungsverordnung hat das Gutachten neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten.

Daraus folgt:

Die vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Gutachten einer Fachärztin für Neurologie/Psychologie und eines Arztes für Allgemeinmedizin entsprechen den formalen und inhaltlichen Voraussetzungen der Einschätzungsverordnung und werden, aus den unter Punkt 2 näher ausgeführten Gründen, der Entscheidung zugrunde gelegt.

Soweit die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde auf die Zusatzeintragung der "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aufgrund einer Behinderung" eingeht, ist dazu auszuführen, dass der angefochtene Bescheid nicht über diese Zusatzeintragung abspricht und dieser Antrag demgemäß noch unerledigt ist.

Für die Ausstellung eines Behindertenpasses ist gemäß § 40 Abs. 1 BBG neben den formalen Erfordernissen ein Grad der Behinderung in Höhe von zumindest 50% Voraussetzung.

Die Funktionsbeeinträchtigungen der Beschwerdeführerin betragen aufgrund der vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Gutachten, wie festgestellt, 50% da diese, wie bereits oben ausgeführt, von den Amtssachverständigen schlüssig und nachvollziehbar den oben genannten Positionen der Anlage zur Einschätzungsverordnung zugeordnet wurden.

Da der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin sohin entsprechend § 2 Abs. 1 Einschätzungsverordnung iVm Punkt 04.01.01, 04.06.01, 02.02.01, 02.01.01, 05.04.01, 06.11.01, 04.05.06, 09.01.01, 05.03.01 und 06.06.01 der Anlage zur Einschätzungsverordnung 50% beträgt und die Beschwerdeführerin über einen Wohnsitz im Inland verfügt, liegen alle Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses vor.

Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC), ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Wurde - wie im vorliegenden Fall - kein entsprechender Antrag gestellt, ist die Frage, ob von Amts wegen eine Verhandlung durchgeführt wird, in das pflichtgemäße und zu begründende Ermessen des Verwaltungsgerichtes gestellt, wobei die in § 24 Abs. 2, 3, 4 und 5 VwGVG normierten Ausnahmebestimmungen als Anhaltspunkte der Ermessensübung anzusehen sind (vgl. zur insofern gleichartigen Regelungsstruktur des § 67d Abs. 1 und 2 bis 4 AVG [alte Fassung] die Darstellung bei Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 17 und 29, mwH).

Unter dem Gesichtspunkt des Art. 6 EMRK (Art. 47 GRC) führte der Verwaltungsgerichtshof zur Frage der Durchführung einer beantragten mündlichen Verhandlung im Erkenntnis vom 16.12.2013, 2011/11/0180 (mit Hinweis auf EGMR 13.10.2011, Fexler gg. Schweden, Beschw. Nr. 36.801/06) aus, dass eine solche unterbleiben kann, wenn der Ausgang des Verfahrens vor allem vom Ergebnis der Gutachten medizinischer Sachverständiger abhängt und der Beschwerdeführer auch nicht behauptet, dass er den von der Behörde eingeholten Gutachten entgegentritt. Dies gilt nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes umso mehr für den Fall einer von den Parteien nicht beantragten mündlichen Verhandlung.

In diesem Zusammenhang wird auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) verwiesen, die im Bereich von Entscheidungen, die eher technischer Natur ("rather technical in nature") sind und deren Ausgang von schriftlichen medizinischen Sachverständigengutachten abhängt ("the outcome depended on the written medical opinions") unter Rücksichtnahme u.a. auf die genannten Umstände von der Zulässigkeit des Absehens einer mündlichen Verhandlung ausgeht, dies nicht nur im Verfahren vor dem jeweils zuständigen Höchstgericht, sondern auch in Verfahren vor dem als erste gerichtliche Tatsacheninstanz zuständigen (Verwaltungs)Gericht, dem die nachprüfende Kontrolle verwaltungsbehördlicher Entscheidungen zukommt (vgl. etwa EGMR [Unzulässigkeitsentscheidung] 22.05.2012, Osorio gg. Schweden, Beschw. Nr. 21.660/09, sowie VwGH 03.10.2013, 2012/06/0221, mit Hinweis auf EGMR 18.07.2013, Beschw. Nr. 56.422/09, Schädler-Eberle gg. Liechtenstein; EGMR 10.05.2007, Beschw. Nr. 7401/04, Hofbauer gg. Österreich Nr. 2; EGMR 03.05.2007, Beschw. Nr. 17.912/05, Bösch gg. Österreich).

Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus den vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten und als schlüssig erachteten Gutachten zweier medizinischer Sachverständiger gegen die die Beschwerdeführerin keine Einwände erhoben hat. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

ZU B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Vielmehr hängt die Entscheidung im Gegenstand von Tatsachenfragen ab. Maßgebend sind die Art des Leidens und das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.

Schlagworte

Behindertenpass, Grad der Behinderung, Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W266.2177288.1.00

Zuletzt aktualisiert am

15.04.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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