TE Bvwg Erkenntnis 2019/2/19 W105 2172538-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.02.2019
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Entscheidungsdatum

19.02.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

W105 2172538-1/15E

Schriftliche Ausfertigung des am 13.02.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald BENDA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , XXXX geb., Staatsangehörigkeit Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.09.2017, Zahl:

1091969106/151605221/BMI-BFA_STM_RD, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13.02.2019 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, § 8 Abs. 1 AsylG 2005, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, § 57 AsylG 2005 sowie §§ 46, 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 22.10.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 22.10.2015 gab der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari an, dass er afghanischer Staatsangehöriger sowie Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken sei. Er sei am XXXX in Kabul geboren. Weiters gab der Antrag der zu Protokoll, er sei Alter von zwei Jahren mit seiner Familie von Afghanistan nach dem Iran verzogen und habe seitdem dort gelebt. Zuletzt habe er schlepperunterstützt den Iran verlassen und sei über die Türkei, Griechenland, Mazedonien und Serbien weiter nach Kroatien und von dort nach Österreich gereist. Seine Familie habe in Afghanistan kein schönes Leben gehabt, weshalb er mit Ihnen in den Iran gezogen sei. Bis vor drei Wochen habe auch er im Iran gelebt und habe er dort eine Freundin gehabt. Eines Tages habe sie ihn angerufen und gesagt, dass niemand da sei und könne er zu ihr kommen. Er sei zu ihr gegangen und hätten sie dort Sex miteinander gehabt. Dann habe sie gesagt, sie werde ihrer Familie erzählen, dass sie Sex gehabt hätten. Er habe Angst gehabt, dass ihn die Brüder umbringen würden und habe deshalb den Iran verlassen. In Afghanistan habe er niemanden, weil seine Familie im Iran lebe.

2. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 15.11.2016 gab er Antragsteller an, seine Eltern hätten zum vormaligen Afghanistan aufgrund der Kriegssituation bzw. aufgrund der schnellen Ausbreitung der Taliban verlassen. Er selbst sei im Iran als Schneider tätig gewesen. In Afghanistan habe er bislang weder Probleme mit Polizei noch anderen staatlichen Stellen oder sonstigen Parteien oder Gruppierungen gehabt. Inhaltlich bezog sich der Antragsteller auf das bereits angesprochene Problem im Iran, wonach er acht oder neun Monate in einer Beziehung zu einem Mädchen gestanden und mit ihr auch Geschlechtsverkehr gehabt habe. Er habe nach einiger Zeit seine Eltern gebeten, um ihre Hand anzuhalten und sei dies jedoch von der anderen Familie abgelehnt worden, da er selbst Sunnit und das Mädchen Schiitin sei. Das Mädchen hätte sodann mit einem anderen Mann verheiratet werden sollen. Sie habe ihm am Telefon gesagt, dass er aus Teheran weggehen solle, da ihre Brüder und ihr Vater ihn nicht in Ruhe lassen würden. Sein Vater habe ihm nach dem Verlassen des Elternhauses mitgeteilt, dass die Familie des Mädchens bei ihm zu Hause gewesen sei und nach ihm gefragt hätte und auch der Vater geschlagen worden sei. Der Vater habe ihm gesagt, dass er nicht in diesem Land bleiben solle. Im Weiteren bekräftigte der Antragsteller auf Befragen, dass seine Familie Afghanistan zum vormaligen Zeitpunkt aufgrund der Bürgerkriegssituation verlassen habe.

3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswüridgen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentsheidung nach § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV). Es wurde gemäß I 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Schließlich wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).

4. Die belangte Behörde traf Feststellungen dergestalt, dass der Antragsteller afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken sei, sowie sunnitischen Glaubens. Er leide an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung. Im Weiteren wurde festgestellt, dass der Antragsteller im Alter von zwei Jahren Afghanistan mit seiner Familie verlassen habe, im Iran vier Jahre lang die Schule besucht sowie seinen Lebensunterhalt als Schneider bestritten hätte.

5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde, in welcher zentral ausgeführt wird, die Behörde habe es unterlassen, ganzheitlich auf das Vorbringen des Beschwerdeführers einzugehen. Der Beschwerdeführer habe im Zuge der Einvernahme Gründe vorgebracht, die eine Auseinandersetzung mit der potentiellen persönlichen Verfolgungsgefahr notwendig machen würden. So habe er erklärt, dass er aufgrund der Liebesbeziehung zu einem Mädchen im Iran, von den Verwandten des Mädchens im Iran und in Afghanistan verfolgt werde. Beim Beschwerdeführer handle sich zwar um einen arbeitsfähigen jungen Mann, jedoch müsse berücksichtigt werden, dass er bei einer etwaigen Rückkehr über keine Kernfamilie bzw. derartige Unterstützung verfügen würde. Eine Neuansiedlung des Beschwerdeführers in Afghanistan sei sohin ausgeschlossen. Eine zumutbare innerstaatliche Schutzalternative liege mangels eines sozialen oder familiären Netzwerks nicht vor. Eine Rückkehr komme sohin nur in Betracht, wenn der Betreffende in Afghanistan nicht in der Lage sei, sich sofort und das Eigenmitteln oder aufgrund von bestehendem Familienanschluss in einem hinreichend sicheren Ort ein sicheres Rückzugsgebiet zu schaffen. Angesichts der derzeitigen politischen Lage in Afghanistan sei zudem ausreichende staatliche Unterstützung sehr unwahrscheinlich. Auch in einem Artikel von Stahlmann sei dargestellt, dass das Land aus Sicherheitsgründen schlecht zugänglich und selbst internationale Organisationen nicht in der Lage seien, die tatsächliche Zahl hilfsbedürftiger Personen zu bestimmen. Weiters würden Krieg und aktuelle Notlagen die soziale Ordnung des Landes und damit die Grundannahmen, wer wem Schutz und Unterstützung gewähre verändern. Im Weiteren wurde auf die schlechte Situation auf dem Arbeitsmarkt verwiesen sowie auf ungeklärte Besitzverhältnisse und die sich daraus ergebenden mangelnden Vorbedingungen der Existenzsicherung. Je prekärer die wirtschaftliche Situation insgesamt sei, desto weniger Verlass sei damit auf den Familienverband. Weiters werde die besondere Lage der Rückkehrer aus Europa nach Afghanistan betont, die danach besonders gefährdet seien, entführt oder ausgeraubt zu werden, da man annehme, dass sie in Europa an Reichtum gekommen seien. Der Antragsteller sei sohin bei Rückkehr dem Risiko einer realen Gefahr der Verletzung der ihm durch Art. 3 EMRK gewährten Rechte ausgesetzt.

6. Der Antragsteller wurde sodann zur anberaumten öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht für den 13.02.2019 vorgeladen und wurden im Rahmen der Ladung das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation mit Stand 29.06.2018 sowie die UNHCR Guidelines - Afghanistan vom 30.08.2018 als Beweismittel zur Situation in Afghanistan in das Verfahren eingeführt.

7. Mit Schreiben vom 03.02.2019 erstattete zuvor das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Stellungnahme nachstehenden Inhalts:

"Das BFA erlaubt sich daher, zu den angeführten UNHCR-Richtlinien folgende Stellungnahme

abzugeben:

Die UNHCR Richtlinien wurden vom BFA im Hinblick auf die Anwendbarkeit und Bedeutung für Verfahren auf internationalen Schutz aus länderkundlicher und rechtlicher Sicht bewertet. Ebenso werden die wesentlichen Gemeinsamkeiten/Unterschiede zur EASO Country Guidance, auf die sich das BFA in seiner derzeitigen Entscheidungspraxis maßgeblich stützt, aufgezeigt.

Kernaussagen:

Zusammenfassend kann ausgeführt werden, dass die UNHCR Richtlinien die wesentlichen Schlussfolgerungen der EASO Country Guidance nicht beeinträchtigen. Die überwiegenden Unterschiede bestehen in der unterschiedlichen Aufbereitung und Prüfweise einzelner Kapitel im Zusammenhang mit internationalem Schutz. Während sich die UNHCR Richtlinien oft auf allgemeine theoretische Formulierungen beschränken, stellt die EASO Country Guidance ein praktisches Hilfsmittel mit konkreten rechtlichen Schlussfolgerungen für Entscheidungsfinder dar.

Unter Zugrundelegung der selben Prüfkriterien wie UNHCR, erachtet das BFA eine IFA in Kabul-Stadt als grundsätzlich zumutbar, jedoch sehr stark abhängig von individuellen Faktoren des Einzelfalls, wie Z.B. Vorhandensein ausreichender Anknüpfungspunkte in der Stadt, bereits längerer Aufenthalt in der Stadt. Ob und für welche Fälle UNHCR eine IFA in Kabul-Stadt für zumutbar hält, bleibt derzeit offen.

Vorbemerkung zur rechtlichen Qualität der Richtlinien:

Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH ist UNHCR-Richtlinien besondere Beachtung zu schenken ("Indizwirkung") und kommt diesen zweifelsohne Gewicht zu, wenn es um die Beurteilung der allgemeinen Verhältnisse vor Ort geht. Sie ersparen jedoch nicht eine nähere Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt (vgl. Z.B. VwGH 8.8.2017, Ra 2017/19/0118). Sie stellen daher für Verfahren auf internationalem Schutz lediglich eine Orientierungshilfe dar und sind für den konkreten Fall nicht bindend.

Allgemeine Sicherheitslage:

Die in Kapitel II der Richtlinie enthaltenen Informationen zur Übersicht über die Situation in

Afghanistan stimmen grundsätzlich mit dem aktuellen LIB der Staatendokumentation sowie den Länderinformationen von EASO überein. Insbesondere wird auf die Steigerung öffentlichkeitswirksamer Vorfälle sowie die vermehrt vom IS verübten Anschläge hingewiesen. Ebenso wird von den weiterhin stattfindenden bewaffneten Zusammenstößen zwischen regierungsfeindlichen Gruppierungen und den afghanischen Sicherheitskräften berichtet.

Die UNHCR Richtlinien (so auch das LIB der Staatendokumentation) beinhalten auch

einige jüngere Ereignisse wie Z.B. Waffenstillstand vom Juni 2018, Gewalt im Zusammenhang mit Wahlen und die Beschreibung der Sicherheitslage im zweiten Quartal von 2018, während die EASO Country Guidance aufgrund des kürzeren Berichtszeitraums diese Vorfälle nicht enthält.

UNHCR gibt ebenso nur einen Überblick über die Lage im gesamten Land (keine konkreten Informationen/Einschätzungen pro Provinz). In der EASO Country Guidance werden hingegen die einzelnen Provinzen rechtlich detailliert bewertet. Für die Bewertung der Lage werden Indikatoren wie Art und Natur der Vorfälle, Häufigkeit der Vorfälle, geografisches Ausmaß, konkretes Ziel der Anschläge, etc. herangezogen (einige Provinzen sind mehr vom Konflikt betroffen; Unterteilung in Kategorien: siehe Kapitel III. Art. 15c QD der Country Guidance; Sliding Scale iSd EuGH 17.2.2009, C-465/07, Elgafaji).

Profilgruppen:

UNHCR behandelt eine Reihe an Profilgruppen, die in Afghanistan bestimmten Risiken ausgesetzt sein können (z.B. Regierungsmitarbeiter, Frauen in bestimmten Situationen, ethnische und religiöse Minderheiten). Die auf S. 5 der UNHCR-Richtlinie aufgelisteten Hauptprofilgruppen stimmen im Allgemeinen mit den Profilgruppen der EASO Country Guidance überein. Zur näheren

Beschreibung und Prüfung der jeweiligen Profilgruppen zeigen sich jedoch gewisse Unterschiede auf:

UNHCR verwendet bei den Zusammenfassungen der jeweiligen Risikogruppen

("Summary") sehr allgemein gehaltene Formulierungen (eher theoretischer Natur) und führt keine konkrete Risikobewertung durch, während in der EASO Country Guidance

Unterteilungen in die Kapitel "COI Summary", "Risk analysis" und "Nexus" stattfinden und daher sehr praxisnahe und konkrete Schlussfolgerungen angeführt werden;

Aufgrund dieser detaillierteren Prüfung wurden in der EASO Country Guidance die

Profilgruppen in Kategorien unterteilt (gemessen anhand des Risikos einer Verfolgung).

Dabei wurden auch einige Profilgruppen definiert, bei denen das Risiko hinsichtlich einer Verfolgung gering ist bzw. bei denen grundsätzlich keine asylrelevante Verfolgungsgefahr

besteht (z.B. Hazara, reiche Afghanen, Personen die im Iran/Pakistan aufgewachsen sind). Ebenso verweist UNHCR lediglich allgemein auf das Vorliegen möglicher

Konventionsgründe ohne praxisbezogene Zusammenhänge bzw. konkrete Beispiele näher zu beschreiben. Insbesondere der Begriff der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe wird von UNHCR weiter ausgelegt ("a particular social group is a group of persons who share a common characteristic other than their risk of being persecuted, or who are perceived as a group by society"), als Z.B. in der StatusRL, wodurch der

Anwendungsbereich für Fallkonstellationen als "soziale Gruppe" größer ist.

Innerstaatliche Fluchtalternative:

Hinsichtlich der Kriterien, die bei der Prüfung der Möglichkeit ("Relevance Analysis") und

Zumutbarkeit ("Reasonableness Analysis") einer IFA zu berücksichtigen sind, stimmt die UNHCR-Richtlinie im Allgemeinen mit der EASO Country Guidance überein. Zu berücksichtigen ist einerseits die Sicherheitslage in der betreffenden Region und deren sichere, "praktische" und "legate" Erreichbarkeit sowie die Versorgungslage, andererseits die individuelle Situation des Asylwerbers (Alter, Geschlecht, Gesundheit, Beeinträchtigungen, familiäre Situation und Beziehungen, Bildung, Arbeitserfahrung).

Eine IFA stehe grundsätzlich in solchen Regionen nicht zur Verfügung, die unter der effektiven Kontrolle regierungsfeindlicher Kräfte stehen und die von aktiven Kämpfen zwischen Regierungstruppen und AGEs bzw. zwischen unterschiedlen AGEs betroffen sind. Dieser Grundsatz stimmt mit der EASO Country Guidance überein, wonach sich die IFA auf die Städte Kabul, Herat und Mazar-e Sharif (unter aufrechter Regierungskontrolle) fokussiert.

Ebenso wie in der EASO Country Guidance, wird der Fokus hinsichtlich der Erreichbarkeit von Regionen auf Flugverbindungen gelegt (vgl. Kapitel V., S. 100).

So wie in der EASO Country Guidance (vgl. Kapitel V., S. 102) unterscheidet auch UNHCR hinsichtlich der Möglichkeit einer IFA (Aspekt der Sicherheit) je nachdem, um welchen Verfolgungsakteur es sich im konkreten Fall handelt (z.B. afghanischer Staat - grundsätzlich keine IFA, Taliban - abhängig von individuellen Faktoren insb. high/low profile).

Für die Beurteilung einer ausreichenden Versorgungslage (Zugang zu einer Unterkunft, zu grundlegenden Dienstleistungen wie Sanitäreinrichtungen, Nahrungsmittel, Unterkunft etc., Erwerbsmöglichkeiten, medizinischer Versorgung), verwendet UNHCR für die Frage der Zumutbarkeit zusätzliche Elemente als die EASO Country Guidance:

• Die Country Guidance bezieht sich lediglich auf grundlegende medizinische Versorgung allgemein sowie grundlegende Bildungsmöglichkeiten für Kinder, während UNHCR medizinische Versorgung und Bildung allgemein für relevant erachtet;

• Ebenso verwendet UNHCR beim Zugang zu den Versorgungsleistungen Formulierungen wie "adequate standard of living", "proven and sustainable" support, etc., während in der EASO Country Guidance keine derartigen Qualifikationen verlangt sind (vgl. EASO Practical Guide: Qualification for international protection, April 2018).

Nichtsdestotrotz stimmen die inhaltlichen Schlussfolgerungen zur Zumutbarkeit einer IFA für einzelne Personengruppen mit der EASO Country Guidance (vgl. Kapitel V., S. 108ff) im Allgemeinen überein

-> Notwendigkeit externer Unterstützung (l): Eine Unterstützung durch

Familienmitglieder oder "Mitglieder der ethnischen Gruppe" ist grundsätzlich erforderlich. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt lediglich für alleinstehende, gesunde und arbeitsfähige

Männer sowie verheiratete Paare (ohne Kinder), die keine besonderen Bedürfnisse aufweisen.

In einem eigenen Kapitel setzt sich UNHCR näher mit der aktuellen Lage in Kabul-Stadt auseinander und hält eine IFA dort in der Regel ("generally") für nicht zumutbar. Als Begründung verweist es auf die allgemeine Gewalt in der Stadt und die daraus resultierende bzw. steigende Anzahl ziviler Opfer in den Jahren 2017 und den ersten sechs Monaten 2018 sowie der schwach ausgeprägten infrastrukturellen Gegebenheiten in der Stadt insbesondere aufgrund der hohen Anzahl an IDPs. Ob es diesbezüglich Ausnahmeregelungen gibt, erwähnt UNHCR nicht explizit und bleibt daher offen. Es scheint offenbar - wenn überhaupt - nur in besonderen Konstellationen möglich zu sein.

Nach Ansicht des BFA ist eine IFA in Kabul-Stadt grundsätzlich nach wie vor möglich, jedoch sehr stark abhängig von individuellen Faktoren, insbesondere wenn es im konkreten Fall ausreichend Anknüpfungspunkte zu Kabul gibt (z.B. der AW hat bereits für ein paar Jahre in der Stadt gelebt oder der AW verfügt dort über ein ausreichend familiäres/soziales

Netzwerk). Denn unter Zugrundelegung aktueller Länderinformationen kann rechtlich geschlussfolgert werden, dass der dort vorherrschende Konflikt nicht von einem solchen Ausmaß ist, dass eine Person bloß aufgrund ihrer Anwesenheit einen ernsthaften Schaden iSd § 8 AsylG bzw. Art 15 StatusRL erleiden würde. Die Anzahl der Anschläge in der Hauptstadt sind zwar gestiegen, jedoch finden diese hauptsächlich in bestimmten Bezirken statt bzw. richten sich gegen bestimmte Ziele (z.B. Regierungsviertel, militärische Stutzpunkte, Behörden zurWahlregistrierung, Dasht-e Barchi). So auch in der EASO Country Guidance, wonach Kabul dzt nicht mehr in die " general no real risk" Kategorie einordenbar ist, eine IFA jedoch dennoch möglich bleibt und eine ausführlichere individuelle Prüfung erforderlich ist (vgl. Kapitel III. S. 84 und Kapitel V., S. 100)."

8. Mit Schreiben vom 05.02.2019 erstattete die Vertretung des Antragstellers eine Stellungnahme nachstehenden Inhalts:

"Hinsichtlich der Situation in Afghanistan und des Asylverfahren des Beschwerdeführers, ist die Verfolgung, der er im Falle einer Abschiebung ausgesetzt wären, aus den Länderberichten deutlich ersichtlich.

Dazu verweisen wir auf das Gutachten von Fredericke Stahlmann (s. 9-12) vom 28.03.2018 welche die Möglichkeit und die Gefahren für Rückkehrer sehr detailliert aufzeigt.

Die aktuellen Berichte belegen deutlich, dass die Sicherheitslage Afghanistans eine tiefgreifende Verschlechterung erfahren hat. Die Befürchtungen des BF harmonisieren mit den nationalen als auch internationalen Berichten, sodass mit einer Abschiebung seine verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechte verletzt werden. Die sich durchgehend ändernde Situation in Afghanistan macht es notwendig, dass man von veralteten Pauschalentscheidungen abgehen muss, auch wenn diese nur wenige Jahre in der Vergangenheit liegen.

Das aktualisierte Länderinformationsblatt vom 29.06.2018 bestätigt ebenfalls den BF

in seinen Befürchtungen. Aus dem LIB entnimmt man die katastrophale Sicherheits­ und Wirtschaftslage, wie die mangelnde Effizienz und Durchschlagskraft der Zentralbehörden, jemanden wie den BF zu beschützen.

Nicht nur das LIB bestätigt den BF, sondern auch die UNHCR. Vor kurzem hat die UNHCR eine Richtlinie (30. August 2018) zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender veröffentlicht. Mit der folgenden Liste der UNHCR, die jene Personengruppen aufzählt, die einer erhöhten Gefahr unterliegen, wird verdeutlicht, dass der BF sich von der Masse der Bevölkerung abhebt und dadurch kein sicheres Leben in Afghanistan führen kann.

Die UNHCR Richtlinien bezüglich afghanischer Flüchtlinge sagen unter anderem:

''.A. Potenzielle Risikoprofile

1. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) greifen Berichten zufolge systematisch und gezielt Zivilisten an, die tatsächlich oder vermeintlich die afghanische Regierung, die afghanische Zivilgesellschaft und die internationale Gemeinschaft in Afghanistan, einschließlich der internationalen Streitkräfte und der internationalen humanitären Hilfs- und Entwicklungsakteure, unterstützen bzw. mit diesen verbunden sind. UNAMA zufolge fielen 2015 1.335 Zivilisten (790 Tote und 545 Verletzte) gezielten oder versuchten gezielten Tötungen durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) zum Opfer. Die Taliban übernahmen für 135 Vorfälle mit 336 zivilen Opfern (168 Tote und 168 Verletzte) die Verantwortung. Die Anzahl der zivilen Opfer stieg im Vergleich zu 2014 (mit 716 Toten und 353 Verletzten) um 25 Prozent, die Anzahl der Vorfälle, für die die Taliban die Verantwortung übernahmen, um 59 Prozent. Außerdem führten 2015 17 vorsätzliche und gezielte Angriffe, die UNAMA mit ISIS verbundenen Gruppen zurechnet, zu 26 zivilen Opfern (17 Tote und neun Verletzte).Zu den primären Zielen solcher Anschläge gehören nationale und lokale politische Führungskräfte, Regierungsmitarbeiter, Lehrer und andere Staatsbedienstete, Polizisten außer Dienst, Stammesälteste, religiöse Führer, Frauen im öffentlichen Leben, Zivilisten, die der Spionage für regierungsnahe Kräfte bezichtigt werden, Menschenrechtsaktivisten, Mitarbeiter von humanitären Hilfs- oder Entwicklungsorganisationen und Bauarbeiter.

Am 22. April 2015 gaben die Taliban bekannt, dass sich die Frühlingsoffensive wie schon in den Jahren zuvor spezifisch gegen Regierungsverlreter und andere Personen richte, die mutmaßlich die Regierung und die internationale Gemeinschaft unterstützen. Trotz des erk/ärlen Ziels der Taliban, Opfer unter Zivilisten zu reduzieren, gibt es weiterhin Berichte, denen zufolge die Taliban Zivilisten und nach humanitärem Völkerrecht geschützte Objekte gezielt angriffen. 2015 räumten die Taliban ein, dass sie für zivile Opfer durch zwei Vorfälle verantworllich waren, gaben jedoch Berichten zufolge nicht das volle Ausmaß der Auswirkungen dieser Vorfälle auf Zivilisten an.

Ober gezielte Tötungen hinaus setzen die regierungsfeindlichen Kräfte Berichten zufolge Bedrohungen, Einschüchterungen, Entführungen und Brandanschläge ein, um Gemeinschaften und Einzelpersonen einzuschüchtern und auf diese Weise ihren Einfluss und ihre Kontrolle zu erweitern, indem diejenigen angegriffen werden, die ihre Autorität und Anschauungen infrage stellen.

a) Regierungsmitarbeiter und Staatsbedienstete

Für den gesamten Zeitraum 2014 und 2015 dokumentierle UNAMA mehrere gezielte Angriffe auf zivile Staatsbedienstete durch regierungsfeindliche Gruppen bei Bodenoffensiven sowie auf Bürogebäude der zivilen Regierung und andere Gebäude.

Zivile Staatsbedienstete zählten häufig zu den Opfern gezielter Tötungen.214

Politiker und Mitarbeiter der Regierung auf lokaler, Provinz- und nationaler Ebene wurden zu Zielen regierungsfeindlicher Kräfte, darunter Parlamentsmitglieder und Mitglieder des Hohen Friedensrates, Provinz- und Distrikt-Gouverneure und

-Ratsmitglieder.

Insbesondere anvisierl wurden von der Regierung ernannte eingesetzte Richter und Staatsanwälte. UNAMA berichtet von 188 zivilen Opfern (46 Toten und 142 Verletzten) durch gezielte Anschläge auf Richter, Staatsanwälte und Justizeinrichtungen im Jahr 2015. Dies entspricht einem Anstieg um 109 Prozent im Vergleich zum Jahr 2014.

Lehrer, Schulwächter und Mitarbeiter der Bildungsbehörde wurden ebenfalls häufig gezielt

angegriffen, ebenso wie medizinisches Personal, andere Staatsbedienstete und sogar zivile

Auftragnehmer.

b) Mitglieder der afghanischen nationalen Polizei und der afghanischen lokalen Polizei

Die afghanischen Sicherheitskräfte, insbesondere Mitglieder der afghanischen

nationalen Polizei, werden zunehmend in gezielten Kampagnen angegriffen. Seit dem weitgehenden Rückzug der internationalen Streitkräfte im Jahr 2014 gerieten Polizeistützpunkte und Kontrollstellen zunehmend ins Visier regierungsfeindlicher Kräfte. Polizisten der afghanischen nationalen Polizei (ANP) wurden sowohl im Dienst als auch außerhalb des Dienstes angegriffen.

Auch gezielte Angriffe auf Mitglieder der afghanischen lokalen Polizei (ALP) sind weit verbreitet. Schätzungen zufolge ist die Zahl der Opfer unter der afghanischen lokalen Polizei dreimal so hoch wie die unter anderen Mitgliedern der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte (ANSF), da die afghanische lokale Polizei (ALP) häufig in unsichereren Gebieten stationierl ist. Berichten zufolge greifen regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) auch Mitarbeiter anderer Polizeikräfte in Afghanistan sowie ehemalige Mitglieder Mitglieder der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte an.

c) Zivilisten, die mit den afghanischen nationalen Sicherheitskräften/regierungsnahen Kräften verbunden sind oder diese vermeintlich unterstützen

Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) greifen zahlreichen Berichten zufolge Zivilisten an, die der Zusammenarbeit oder der "Spionage" für regierungsnahe Kräfte, darunter für die afghanischen nationalen Sicherheitskräfte, verdächtigt werden.

d) Zivilisten, die mit den internationalen Streitkräften verbunden sind oder diese vermeintlich unterstützen

Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) haben Berichten zufolge afghanische Zivilisten, die für die

internationalen Streitkräfte als Fahrer, Dolmetscher oder in anderen zivilen Funktionen arbeiten, bedroht und angegriffen. Aus Berichten geht auch hervor, dass regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) ehemalige Mitarbeiter der internationalen Streitkräfte und der Regierung angreifen.

e) Mitarbeiter von humanitären Hilfs- und Entwicklungsorganisationen Regierungsfeindliche Kräfte greifen Berichten zufolge Zivilisten an, die Mitarbeiter internationaler oder afghanischer humanitärer Hilfsorganisationen sind, darunter afghanische Staatsbürger, die für Organisationen der Vereinten Nationen arbeiten, Mitarbeiter internationaler Entwicklungsorganisationen, nationaler und internationaler Nichtregierungsorganisationen sowie LKW-Fahrer, Bauarbeiter und Personen, die in Bergbau- und anderen Entwicklungsprojekten tätig sind. Personen mit diesen Profilen wurden Berichten zufolge getötet, entführt und eingeschüchtert.

f) Menschenrechtsaktivisten

Regierungsfeindliche Kräfte nehmen Berichten zufolge Menschenrechtsaktivisten ins Visier und töten oder verletzen sie bei gezielten Angriffen. Besonders gefährdet sind Berichten zufolge weibliche Menschenrechtsverteidiger.

g) Andere Zivilisten, die vermeintlich die Regierung oder die internationale Gemeinschaft

unterstützen

Regierungsfeindliche Kräfte haben Berichten zufolge Zivilisten zur Strafe und zur Warnung anderer Personen dafür getötet, dass sie die Regierung unterstützten.240 Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) setzen Berichten zufolge auch Drohnachrichten per SMS, über lokale Radiosender ausgestrahlte Mitteilungen, soziale Medien und shab nameha („nächtliche Drohbriefe'? ein, um Zivilisten vor einer Unterstützung der Regierung zu warnen. In Gebieten, in denen die regierungsfeindlichen Kräfte keine öffentliche Unterstützung gewinnen konnten, bedrängen sie Berichten zufolge lokale Gemeinschaften, schüchtern sie ein und verhängen Strafen gegen die örtliche Bevölkerung aufgrund ihrer Unterstützung der Regierung. Zivilisten, denen

"Spionage" für die Regierung vorgeworfen wird, werden Berichten zufolge im Rahmen von Schnellverfahren in parallelen und illegalen Justizverfahren verurteilt, die durch die regierungsfeindlichen Kräfte eingerichtet wurden. Die Strafe für derartige vermeintliche "Straftaten" ist in der Regel die Hinrichtung.

h) Stammesälteste und religiöse Führer

Regierungsfeindliche Kräfte greifen Berichten zufolge lokale traditionelle Führer wie Stammesälteste an, die ihrer Wahrnehmung nach die Regierung oder die internationale Gemeinschaft unterstützen bzw.die regierungsfeindlichen Kräfte nicht unterstützen. Außerdem werden Berichten zufolge religiöse Führer aufgrund ihrer mutmaßlichen Unterstützung der Regierung oder aufgrund ihrer jeweiligen Auslegung des Islam von regierungsfeindlichen Kräften angegriffen. Imame wurden Berichten zufolge angegriffen, weil sie Begräbnisrituale für Mitglieder der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte und für von den Ta/iban getötete Personen durchführten.

i) Frauen im öffentlichen Leben

Obwohl Frauen seit 2001 einige Führungspositionen in der afghanischen Regierung und in der Zivilgesellschaft, einschließlich als Richterinnen und Parlamentsmitglieder, übernommen haben, werden Frauen im öffentlichen Leben und in öffentlichen Amtern weiterhin bedroht, eingeschüchtert und gewaltsam angegriffen. Zahlreichen Berichten zufolge werden im öffentlichen Leben stehende Frauen wie etwa weibliche Parlamentsmitglieder, weibliche Mitglieder des Provinzrates, weibliche Staatsbedienstete, Journalistinnen, Rechtsanwältinnen, Polizeibeamtinnen, Lehrerinnen, Menschenrechtsaktivistinnen und in internationalen Organisationen tätige Frauen angegriffen. Die Angriffe gehen von regierungsfeindlichen Gruppen, lokalen traditionellen und religiösen Machthabern, Mitgliedern ihrer Gemeinschaften und staatlichen Behörden aus. Die Beteiligung von Frauen am öffentlichen Leben wird oftmals als Überschreitung gesellschaftlicher Normen wahrgenommen und als

"unmoralisch" verurteilt. Diese Frauen werden Ziele von Einschüchterung Schikanierung oder Gewalt. Regierungsfeindliche Gruppen haben Berichten zufolge Frauen, die am öffentlichen Leben teilnehmen, bedroht und eingeschüchtert. Es liegen zahlreiche Berichte darüber vor, dass Frauen, die sich öffentlich engagierten, getötet wurden. Laut Menschenrechtsaktivisten blieben die Strafverfolgungsbehörden in Fällen, bei denen Frauen aufgrund ihrer Teilnahme am öffentlichen Leben schikaniert und angegriffen wurden, vielfach untätig.

j) Als "verwestlicht" wahrgenommene Personen

Berichten zufolge werden Personen von regierungsfeindlichen Kräften angegriffen, die vermeintlich Werte und/oder ein Erscheinungsbild angenommen haben, die mit westlichen Ländern in Verbindung gebracht werden, und denen deshalb unterstellt wird, die Regierung und die internationale Gemeinschaft zu unterstützen. Es liegen Berichte über Personen vor, die aus westlichen Ländern nach Afghanistan zurückkehrten und von regierungsfeind/ichen Gruppen als "Ausländer" oder vermeintliche für ein westliches Land tätige Spione gefoltert oder getötet wurden. Ahn/ich kann Personen mit Profilen gemäß 1.e (Mitarbeiter von humanitären Hilfs­ und Entwicklungsorganisationen) und 1.i (Frauen im öffentlichen Leben) von regierungsfeindlichen Gruppen zur Last gelegt werden, Wette und/oder ein Erscheinungsbild übernommen zu haben, die mit westlichen Ländern in Zusammenhang gebracht werden. Auch aus diesem Grund können sie Opfer von Angriffen werden.

k) Familienangehörige von Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft verbunden sind, oder diese tatsächlich oder

vermeintlich unterstützen Regierungsfeindliche Kräfte haben Berichten zufolge Familienangehörige von Personen mit den oben angefühlten Profilen als Vergeltungsmaßnahme und gemäß dem Prinzip der Sippenhaft angegriffen. Insbesondere wurden Verwandte, darunter Frauen und Kinder, von Regierungsmitarbeitern und Mitgliedern der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte Opfer von Schikanen, Entführungen, Gewalt und Tötungen.

I) Zusammenfassung

UNHCR ist auf Grundlage der vorangegangenen Analyse der Ansicht, dass - je nach den Umständen des Einzelfalls - für Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind, oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer (zugeschriebenen) politischen Oberzeugung oder aufgrund anderer relevanter Gründe bestehen kann.

Zu diesen Personen gehören:

a) Regierungsmitarbeiter und Staatsbedienstete;

b) Mitglieder der afghanischen nationalen Polizei und der afghanischen lokalen Polizei;

c) Zivilisten, die mit den afghanischen nationalen Sicherheitskräftenlregierungsnahen Kräften verbunden sind oder diese vermeintlich unterstützen;

d) Zivilisten, die mit den internationalen Streitkräften verbunden sind oder diese vermeintlich unterstützen;

e) Mitarbeiter von humanitären Hilfs- und Entwicklungsorganisationen;

f) Menschenrechtsaktivisten;

g) Andere Zivilisten, die vermeintlich die Regierung oder die internationale Gemeinschaft unterstützen;

h) Stammesälteste und religiöse Führer;

i) Frauen im öffentlichen Leben;

j) Als "verwestlicht" wahrgenommene Personen;

k) Familienangehörige von Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen."

Schon die letzte Richtlinie vom April 2016 hatte die bedauerliche Situation in Afghanistan klar aufgezeigt, sodass kurz darauf, im Dezember 2016, eine Anmerkung der UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern erfolgte. Darin wird deutlich gemacht, dass seit der Veröffentlichung der Richtlinie im April 2016, die Situation in Afghanistan sich umso mehr verschlechtert hat, weswegen es unverständlich ist, wie die Quote an positiven Bescheiden/Entscheidungen im Vergleich zum Vorjahr gesunken sein kann. Der Konflikt hat sich verschärft, die zivilen Opfer haben sich vermehrt, Vertreibungen aufgrund bewaffneter Konflikte sind in einem Rekordniveau, die Aufnahmekapazität und Infrastruktur unterliegt einer gravierenden Belastung. Derartiges zeigen deutlich die Funktionslosigkeit des Staates, sodass auf diese Umstände und Verschlechterung auf jeden Fall bedacht zu nehmen ist.

Die sich verschlechternde Situation, wie sie von der UNHCR wahrgenommen wird, findet sich im LIB vom 29.06.2018 ebenfalls wieder. Darin ist vermerkt, dass die Vereinten Nationen im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil erklärt und aufgrund der schlechten Lage wieder als Konfliktland eingestuft haben. Die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle zeigt jedes Jahr einen neuen Hochpunkt an. Auch Kabul wurde von diesen Geschehnissen nicht verschont.

Öfters wird behauptet, dass Kabul ein sicherer Zufluchtsort sei und die Stadt als innerstaatliche Fluchtalternative in Frage kommt. Diese Sicht entspricht jedoch nicht den vielen Berichten sowie dem LIB selbst. Das LIB vom 29.06.2018 verdeutlicht, dass, aufgrund der sich verschlechternde Sicherheitslage in Kabul, im Jahresvergleich, immer mehr Menschen Opfer terroristischer Angriffe werden. Die Verschlechterung ist insbesondere seit dem Abzug der internationalen Truppen zu spüren. Die letzten Monate haben bewiesen, dass Terroristische Gruppierungen in der Lage sind, in streng bewachten Regionen Kabuls Attentate beziehungsweise Entführungen zu vollziehen. Die Schutzmaßnahmen innerhalb der Stadt sind nicht ausreichend, um derartige Gruppierungen vor der Verfolgung bestimmter Personen zu hindern.

Unter den vielen internationalen Berichten bestätigt auch die EASO die bedenkliche Situation. Der mangelnde Schutz wird ausgenützt, so besagt der EASO Bericht vom Mai 2018 (sowie das Länderinformationsblatt), dass in der Provinz Kabul im Vergleich zu 2016 eine vier prozentige Steigerung bei den zivilen Opfern zu melden ist. Die Stadt Kabul hat sogar eine stärkere Verschlechterung erfahren, in der eine Steigerung der zivilen Opfer von 17 Prozent gemeldet wird:

"In 2017, UNAMA documented the highest amount of civili an casualties in the country in Kabul province (including Kabul city),with 1831 civilian victims(479 deaths and 1352 injured). This represents an increase of 4% compared to 2016. Most ofthe victims were casualties from suicide or complex attacks in Kabul city, non - suicide IEDs, and deliberate and targeted killings. UNHCR stated that an 'increasing use of magnetic IEDs has led to serious concem among the population in Kabul, particularly of high profi/e figures [who] feared being targeted. lt has also contributed to the number of civi/ian casualties in Kabul.

In 2017, Kabul province accounted for the highest number of civilian casualties in Afghanistan, which is due mainly to deliberate attacks in Kabul city; 16% of all civilian casualties in Afghanistan occurred in Kabul. Suicide attacks and complex attacks, as weil as other types of incidents which also include the use of IEDs, pushed up the rate of civilian casualties in Kabul. One high - profile attack in May 2017 alone

accounted for a third of all civi/ian casualties. UNAMA stated that in 2017, in Kabul

city, suicide and complex attacks caused 1612 civilian casualties (440 deaths and 1172 injured), a 17% increase compared to 2016. In January 2018, at least 174 people were killed in attacks in Kabul city alone"

(EASO Report Afghanistan: Security Situation,05I2018, 26f)

Diese Zustandsverschlechterung wurde in der ersten Jahreshälfte von 2018 weiterhin bestätigt. Heftige Terroranschläge haben die Stadt Kabul erschüttert, die umso mehr verdeutlichen, dass Kabul kein sicherer Zufluchtsort darstellt und die Stadt für terroristische Gruppierungen im Grunde offen steht. In derartigen Umstände kann man nicht davon ausgehen, dass Kabul ein sicherer Zufluchtsort sein soll. Wenn die Taliban beziehungsweise andere terroristische Gruppierungen in regelmäßigen

Abständen derartige Terroranschläge in stark kontrollierten Orten verüben können,

dann kann man nicht bezweifeln, dass es für derartige Gruppierungen auch kein Problem darstellt, gezielt einzelne Personen in Kabul zu verfolgen. Zwar bemüht sich die Regierung ersichtlich, Kabul und andere wichtige Orte ausreichend zu schützen, doch in der Praxis ist dieser Schutz nicht effektiv, weswegen man nicht davon ausgehen kann, dass mit einer Flucht in die Hauptstadt, die begründete Furcht obsolet wird. Die nachfolgende Liste der EASO stellt einen Überblick über die verschiedenen Anschläge in Kabul dar, die unter anderem von der Taliban als auch vom islamischen Staat für sich reklamiert wurden: „

• In January 2018, a suicide attack, claimed by ISKP, ... , killed

13 civilians and injured an additional 19, ... The officers kil/ed

in the attack were not engaged in the armed conflict'. ... .

Tolonews reported that the death toll had risen to 20, while 30 others were wounded.

• Also in January, the Taliban ... kil/ed at least 22 persons. ... .

• Later in January 2018, an ambulance Jaden with explosives exploded

... killing ... at least 95 people, and injuring 158 more. Afghan

officials raised the number of victims to 103 killed and 235

wounded. ... .

• In February 2018, a truck loaded with 2000kg explosives was seized

enroute to Parwan from Kabul. This demonstrates, according to UNHCR, the ability of AGEs to conduct attacks despite security measures by

ANSF.

• End of February 2018, a suicide bomber killed three and wounded five to seven in the diplomatic area of Kabul, near the US Embassy and NATO headquarters.

• A former Deputy Speaker for the Upper Hause of Parliament and former Adviser to Afghan Chief Executive Officer Abdul/ah Abdullah, was gunned down in Kabul, together with his bodyguard, in Kabul in February 2018. .. .

• In March 2018, a car bomb targeting foreign embassy vehic/es kil/ed a girl instead, and wounded 22 people more, none of them related to the target.

• A suicide car bomb targeting a foreign security company inside the city killed three civilians and wounded two others in March 2018.

• A so-cal/ed sticky bomb or magnetic /ED exploded in the vicinity of a protest tent in support of the fate of Pashtun in Pakistan, killing one person and wounding 13 more

• In March 2018, a suicide bomber tried to enter .... When intercepted by

the police, he detonated his explosives, killing seven to ten persons, including policemen, and wounding 22 more.

• In March 2018, a suicide bomber again targeted .... Wearing a suicide vest, the attacker first tried to throw a hand grenade into

a class with 600 students. ... .

• In a suicide attack ... in March 2018, 29 civilians ce/ebrating Newroz were reportedly kil/ed and 52 wounded. The attack was c/aimed by ISKP."

(EASO Report Afghanistan: Security Situation,05/2018, 28ft)

Auch die UNHCR Richtlinie vom 30. August 2018 bestätigen die dargestellte Lage. Die Verschlechterung der Sicherheitslage macht klar, dass in der jetzigen Situation Kabul in keinster Weise eine innerstaatliche Fluchtalternative wäre. Eine Rückkehr beziehungsweise eine Rückschiebung aus Österreich nach Kabul ändert nichts an der Tatsache, dass Kabul nicht mehr jene Sicherheit anbieten kann, die sie bis vor einigen Jahren noch konnte. Diese Sichtweise wird auf der Seite 114 wie folgt zusammengefasst:

UNHCR considers that given the current security, human rights and humanitarian situation in Kabul, an !FA/IRA is generally not available in the city.

Die sich verschlechternde Sicherheitslage ist auch sehr gut aus dem aktuellen Länderinformationsblatt zu entnehmen, demzufolge sich die Zahl der Binnenvertriebenen auf 1 728 157 Menschen erhöht hat. Die Verschlechterung erkennt man auch deutlich daran, dass allein im Jahr 2017 475 433 Menschen zu Binnenflüchtlinge geworden sind. Wie das Blatt weiter anführt, sind diejenigen

aufgrund des mangelnden Besitzes an Vermögen besonders gefährdet, sodass 80

Prozent der Vertriebenen eine Nahrungsmittelhilfe benötigen.

Das französische Asylgericht (Decision N° 17045561, 9 March 2018) hat aktuell erkannt, dass selbst für einen jungen, männlichen afghanischen Asylwerber eine Rückkehr nach Kabul unzumutbar ist, insbesondere aufgrund der in den beigelegten Berichten ersichtlichen Wohnungsnot, Arbeitsnot und völlig fehlenden staatlichen Unterstützung für afghanische Rückkehrer. Die Verschlechterung der Sicherheitslage hat einen derartigen Umfang eingenommen, dass die Gewährung des subsidiären Schutzes als notwendig angesehen wurde.

Wie das LIB eine Erkenntnisquelle ist, so ist auch das Gutachten von Stahlmann vom 28.03.2018 eine Erkenntnisquelle, welches Informationen aus anderen Quellen zusammenträgt. Die Quellen, die andere, als objektiv anerkannte, Berichte genutzt haben (LIB, EASO, UHNCR, ACCORD (-> zitiert das Stahlmann Gutachten in mehreren Anfragebeantwortungen sogar direkt), ...), überschneiden sich teilweise auch mit jenen Quellen, die für die nachkommenden Passagen im Stahlmann Gutachten verwendet wurden, sodass von einem gleichwertigen Beweiswert gesprochen werden kann. Nachdem das LIB keine ausführliche Darlegung zur Situation von jungen Männern in Afghanistan anbieten kann, wird auf das Gutachten von Stahlmann in dieser konkreten Angelegenheit verwiesen.

Man darf im Fall von Afghanistan nicht davon ausgehen, dass junge Männer automatisch eine höhere Chance besitzen, ein neues Leben zu führen. Dem Gutachten von Stahlmann vom 28.03.2018 kann man entnehmen, dass junge afghanische Männer eher der Gefahr ausgesetzt sind, Opfer von Morden durch terroristische Gruppierungen zu werden. In diesem Umstand ist eine pauschalierte Behauptung, dass man als junger Mann keiner Gefahr ausgesetzt sein könnte, nicht gerechtfertigt. Es ist eindeutig klar gestellt, dass dabei die Prominenz dieser Männer unerheblich ist. Von einer kleineren Gefahr auszugehen, nur weil ein junger Mann keine Bekanntheit in Afghanistan ist, entspricht nicht der Tatsache. Vielmehr bewirkt die Verfolgung von weniger prominenten Männern einen höheren Effekt für derartige Gruppierungen, als in diesem Sinne eine stärkere Abschreckungswirkung innerhalb der Bevölkerung entfaltet wird. Junge Männer werden dadurch eingeschüchtert, bei Verlangen, mit terroristischen Gruppierungen zu kooperieren. Eine Flucht vor einer Zusammenarbeit wird sogar als Widerstand angesehen.

"Forme/Je und informelle Methoden der landesweiten Überwachung und Velfolgung greifen so ineinander und das elfolgreich etablierte Wissen um die Ernsthaftigkeit der Bedrohung und ihre Unausweichlichkeit auch in offiziell von der Regierung kontrolliertem Kabul hat sich längst als überlebenswichtiges Alltagswissen durchgesetzt. So Dr. Mostafa Danesch: „In Kabul kommt es häufig zu Fällen, in denen junge Männer getötet werden und Gerüchte wollen wissen, dass es sich um Racheakte der Taliban handle. Die Kabuler Kriminalpolizei bestätigt, dass in Kabul sehr häufig junge Männer ,verschwinden'. Auf ihre Vermisstenanzeigen erhalten die Angehörigen bei der Polizei oft die Auskunft, dann seien sie vermutlich von den Taliban entführt worden. Häufig werden Leichen von Verschwundenen in der Umgebung von Kabul gefunden."

(zitiert in Christ 08.04.2016: 14) Die meisten Tötungen und Anschläge finden hierbei nach Talibanangaben außerhalb des Zentrums in den weniger geschützten Bezirken statt (Giustozzi 23.8.2017b: 10)." (Stahlmann Gutachten vom 28.03.2018, Seite 50)

„Da die Velfolgung von Gegnern, wie oben dargestellt, der Abschreckung, Einschüchterung und als Druck zur Kooperation dient, würde sie weitgehend ihre Macht verlieren, wenn man

ihr alleine durch einen Wechsel der Provinz entkommen könnte. Stattdessen stellt die Flucht vor der Zusammenarbeit selbst einen Akt des Widerstands dar (vgl. 13) und so unterschiedlich

lokale Talibanverbände sein mögen, teilen sie doch das Interesse, dass die Autorität der Taliban grundsätzlich nicht in Frage gestellt wird. Je weniger prominent Opfer dieser Verfolgung sind, desto großer ist hierbei die abschreckende Breitenwirkung. Es ist also unabhängig von Rang, Berufsstand oder Prominenz davon auszugehen, dass Flucht nicht geduldet wird das Velfolgungsinteresse landesweit besteht." (Stahlmann Gutachten vom 28.03.2018, Seite 47)

Weiteres erkennt man aus dem Gutachten sehr deutlich, dass ausgerechnet junge Menschen, sowohl von der Regierungsseite als auch von der Nicht-Regierungsseite, konstant ausgenutzt werden. Menschen, die aufgrund des Aufenthalts im Ausland keine soziale Bindung zum Herkunftsstaat mehr haben oder kein (familiäres) Auffangnetz im Herkunftsstaat besitzen, sind eher der Gefahr ausgesetzt, in einen dieser Kreise zu gelangen, als Personen, die durchgehend in Afghanistan leben. Wie die Praxis der sexuellen Ausbeutung innerhalb der Polizeistruktur zeigt, ist die Sicherheit eines Menschen nicht einmal bei diesen automatisch sichergestellt.

"So betont USDOS den andauernden Raub und sexuellen Missbrauch von Jungen und Mädchen durch Einheiten der ANP und ALP (USDOS 2017a: 42f., USDOS 2017b: 66) Das ist nicht nur beunruhigend, als die Vorwürfe lang bekannt sind (vgl. Babak/lWPR 02.03.2017, HRW September 2011: 41f., SFH 13.02.2013), sondern auch weil sich diese Praxis als akut gefährdend für Polizeieinheiten erwiesen hat: So ist eine Taktik der Taliban Jungen als Selbstmordattentäter in Polizeistationen einzuschleusen - in der verlässlichen Annahme, dass diese die Jungen zur sexuellen Ausbeutung aufnehmen werden. Die sexuelle Ausbeutung von Jungen an Polizeistützpunkten wurde so mitunter von Polizeikommandanten als die "größte Schwachstelle" der Polizei bezeichnet. Viele Polizisten würden sich dennoch weigern Posten anzutreten, wenn nicht Jungen zur sexuellen Ausbeutung und als Dienstboten zur Verfügung ständen. Versuchen die Jungen den Misshandlungen zu entkommen, droht ihnen regelmäßig die Verfolgung als ,Taliban'. (Chopra/AFP 16.06.2016)" (Stahlmann Gutachten vom 28.03.2018, Seite 118)

Nicht nur das Gutachten von Stahlmann, sondern auch andere Berichte belegen, dass die Situation von jungen afghanischen Männern ein menschenwürdiges Leben in Afghanistan nicht zulässt. So zeigt die

74. Fußnote der aktuellen UNHCR Richtlinie, dass ausgerechnet junge Männer eine niedrigere Chance haben, in Afghanistan einen Lebensunterhalt sicherzustellen, um damit ein überleben: „Job opportunities for young people are particularly scarce".

Auch unterliegen junge Männer einer erhöhten Gefahr, gezwungen zu werden als Soldaten zu Kämpfen und folglich auch zu sterben, entweder im Kampf oder durch einen Mord, der mit einer Ablehnung in Verbindung steht. Die Rekrutierungsmaßnahmen folgen sowohl von Seiten der terroristischen Gruppierungen als auch von Seiten der Pro-Regierung: „Pro-govemment armed groups have also been reported to force fami/ies to send young men to join the fight against the Taliban and other AGEs." (S. 55 UNHCR Richtlinie 30.08.2018); „In areas where AGEs exercise effective control over territory and the population, they are reported to use a variety of mechanisms to recruit fighters, inc!uding recruitment mechanisms based on coerciv estrategies. Persons who resist recruitment, and their family members, are reportedly at risk of being killed or punished." (S. 52f UNHCR Richtlinie 30.08.2018)

Wie schon aus der oben angeführten Richtlinie der UNHCR ersichtlich ist, unterliegen Personen, die als verwestlicht angesehen werden, einer Lebensgefahr. Von terroristischen Gruppierungen werden verwestlichte Personen als Feinde angesehen:

i)

Jndividuals oerceived as "Westernized"

There are reports of individua/s who returned from Western countries having been threatened, tortured or killed by AGEs on the grounds that they were perceived to have adopted values associated with these countries, or they had become "foreigners" or that they were spies for or supported a Western country. Returnees are reportedly offen treated with suspicion by the local community as weil as by State officia/s, /eading to discrimination and iso/ation. Jndividua/s who fall under other profi/es, such as profi/e 1.e (humanitarian workers and development workers) and profile 1.i (women in the public sphere) may similarly be accused by AGEs for having adopted va/ues andlor appearances associated with Western countries, and may be targeted for that reason.

(UNHCR Richtlinie vom 30.08.2018)

"Generally, it can be said that Afghans identifying with western va/ues may be targeted by insurgent groups, since they can be perceived as un-Js/amic, or pro­ government, or can be considered spies [Society-based targeting, 8.2]." (EASO Country Guidance: Afghanistan, 06/2018, 57)

Die Aussagen im Stahlmann Gutachten bezüglich der Verwestlichung harmonisieren mit anderen Berichten, wie zum Beispiel dem EASO Bericht vom Dezember 2017. So ist erkenntlich, dass es nicht einmal notwendig ist, dass deutliche Akte oder Zeichen einer Verwestlichung vorliegen müssen, damit eine soziale Ausgrenzung beziehungsweise eine gezielte Verfolgung durch kriminelle/terroristische Gruppierungen folgt. Kleinigkeiten, wie die Etablierung eines Akzents, Nachlassen in der Religionspraxis, Hobbys, die als "un-afghanisch" angesehen werden, eine andere Redensart oder ein anderer Kleidungsstil reichen für schwerwiegende Zweifeln aus, die dann zu Gerüchten umgewandelt werden, welche im Ergebnis nicht aufzuhalten ist.

"Der implizite Verdacht, dem alle Rückkehrer unterliegen, ist, dass sie sich europäischer Kultur und Lebensweisen angepasst haben. Vor dem Hintergrund der auf Hierarchie und Kontrolle basierenden afghanischen Sozialordnung scheint es für

alle, die nicht selber im Westen gelebt und sehr engen Kontakt mit Europäern gepflegt haben, schwer bis gar nicht vorstellbar, dass in dem freizügigen europäischen Kontext überhaupt Regeln gelten und sich Migrierte ohne die Kontrolle ihrer Familien und des sozialen Umfelds an Regeln halten. Doch auch die tatsächlichen Regeln, die sozialen Umgang im europäischen Alltag prägen, widersprechen so grundlegend traditionellen afghanischen Normen, dass sie kaum vermittelbar sind. Zumindest ist meine Erfahrung in Afghanistan, dass ich auch in freundschaftlichen und vertrauensvollen Beziehungen mit der Vermittlung der in Europa geltenden Gesetze und gesellschaftlichen Normen grundlegend gescheitert bin und afghanische Bekannte und Freunde in Deutschland erzählen mir von den gleichen Erfahrungen mit ihren Familien.

Häufig beziehen sich diese Annahmen eher auf Zerrbilder europäischen Alltags, wie etwa der Annahme, dass in Europa jeder mit jedem jederzeit und überall sexuelle Beziehungen eingehen würde. Aber auch Bilder, die regulären Alltag in europäischen Ländern dokumentieren, ob das der ungezwungene Umgang zwischen Männern und Frauen ist, oder reguläre Freizeitbeschäftigung im öffentlichen Raum (Extrembeispiel wären Bilder vom sommerlichen Baden), sind aus Sicht vieler Afghanen verstörend und ahndungswürdig."(Stahlmann Gutachten vom 28.03.2018, 312)

"According to some sources, Afghan deportees and returnees are seen with suspi

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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