TE Bvwg Erkenntnis 2019/2/25 W147 1414756-4

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.02.2019
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Entscheidungsdatum

25.02.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs3
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs10
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch

W147 1414756-4/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Kanhäuser als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch Dr. Helmut BLUM, Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28. März 2018, Zl. 831151209-180077148, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß den §§ 10 Abs. 3, 55, 58 Abs. 10 Asylgesetz 2005, § 9 BFA-VG, und §§ 46, 52 und 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. erstes Verfahren (in Rechtskraft erwachsen):

Der damals minderjährige Beschwerdeführer, ein Staatsbürger der Russischen Föderation und Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe, gelangte am 13.10.2008 gemeinsam mit seiner Mutter und seiner Schwester von Polen kommend illegal in das Bundesgebiet und stellte am selben Tag vertreten durch seine Mutter als gesetzliche Vertretung einen Antrag auf internationalen Schutz. Diese gab zu den Gründen für das Verlassen ihres Herkunftsstaates an, ihr Lebensgefährte (W 147 1414755) befinde sich bereits im Bundesgebiet. Ihr Mann habe in der Heimat Probleme mit den Behörden, die gesamte Familie sei verfolgt worden. Nach seiner Ausreise haben die Behörden sie bedroht, sie würden sie umbringen, falls ihr Mann nicht zurückkomme. Für ihre beiden Kinder gelten dieselben Gründe, diese hätten keine eigenen Fluchtgründe. Im Fall der Rückkehr befürchte sie, dass die Behörden sie nicht in Ruhe lassen.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 16.07.2010, Zl. 08 09.943-BAT, wurde unter Spruchteil I. der Antrag auf internationalen Schutz vom 13.10.2008 bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen, unter Spruchteil II. gem. § 8 Abs. 1 leg.cit. dieser Antrag auch bezüglich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen und unter Spruchteil III. gem. § 10 Abs. 1 leg.cit. der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch seine Mutter fristgerecht Beschwerde an den Asylgerichtshof, worin vollinhaltlich auf die Beschwerde des Vaters verwiesen wurde.

Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 30.08.2012, GZ. D3 414756-1/2010/6E, wurde die Beschwerde gemäß §§ 3, 8, 10 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

Beweiswürdigend wurde hinsichtlich Spruchpunkt I. ausgeführt, dass sich der Beschwerdeführer in seinem Antrag auf internationalen Schutz auf die Fluchtgründe seines Vaters bezogen habe. Da jedoch die Angaben der Mutter des Beschwerdeführers zu den Ausreisegründen nicht mit jenen ihres Lebensgefährten übereinstimmten, werde nicht vom Zutreffen dieser Vorbringen ausgegangen.

Das Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 30.08.2012 erwuchs in weiterer Folge in Rechtskraft.

2. Zweites Verfahren (in Rechtskraft erwachsen):

Am 07.08.2013 wurden der Beschwerdeführer und seine Familie gemäß der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates von der Bundesrepublik Deutschland nach Österreich rücküberstellt.

Der Beschwerdeführer stellte am 09.08.2013, vertreten durch seine Mutter, den zweiten Antrag auf internationalen Schutz ("Folgeantrag") und wurde seine Mutter dazu am selben Tag von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Sie gab an, Österreich nach Abschluss des ersten Asylverfahrens verlassen zu haben, da sie einen negativen Bescheid erhalten habe und ihr und ihre Familie mitgeteilt worden sei, binnen zwei Wochen Österreich zu verlassen. Sie seien am 10.01.2013 mit dem Zug nach Deutschland gefahren, wo sie einen Asylantrag gestellt haben. Am 07.08.2013 seien sie von den deutschen Behörden nach Österreich abgeschoben worden.

Sie stelle neuerlich einen Asylantrag, weil ihr Ehemann nicht in seine Heimat zurückkehren könne. Sämtliche Fluchtgründe liegen bzw. lagen immer bei ihrem Ehemann. Soviel sie wisse, seien diese ersten Fluchtgründe nach wie vor aufrecht. Ihr Rechtsanwalt in Deutschland habe einige Fehler im österreichischen Asylverfahren gefunden und ihr mitgeteilt, dass in Österreich ihr Verfahren neu geprüft werden müsse. Sie habe von diesem Rechtsanwalt auch eine "Beschwerde" für die deutschen Behörden erhalten und er habe ihr mitgeteilt, dass die österreichischen Behörden diese Beschwerde ebenfalls prüfen sollen.

Im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat fürchte die Mutter des Beschwerdeführers, dass ihr Ehemann getötet werde.

Die Kinder hätten keine eigenen Fluchtgründe.

Die Mutter des Beschwerdeführers wurde am 22.08.2013 vom Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle XXXX , im Beisein eines geeigneten Dolmetschers für die russische Sprache niederschriftlich einvernommen und gab an, dass sie sich psychisch und physisch in der Lage sehe, Angaben zu ihrem Asylverfahren zu machen.

Derzeit befinde sich der Beschwerdeführer in einem "Abschiebelager" in Österreich. Sie sei derzeit nicht in der Grundversorgung. Die Mutter sei nicht berufstätig und auch nie gewesen. Sie habe keine Deutschkurse besucht, spreche aber ein wenig Deutsch. In Österreich habe sie außer ihrem Mann und den Kindern keine Verwandten. Im Herkunftsstaat leben die Großeltern des Beschwerdeführers.

Die Mutter des Beschwerdeführers stelle neuerlich einen Asylantrag, weil eine Rückkehr in den Herkunftsstaat zu gefährlich sei. Damals sei ihr Sohn, der Beschwerdeführer, klein gewesen. Jetzt sei er schon größer und auch für ihn sei es gefährlich. Gemäß ihren Sitten gehe nämlich die Blutrache auch auf die Nachkommen über. Im Falle einer Rückkehr fürchte sie um ihren Mann und die Kinder. Das Problem, dass sie vor fünf Jahren schon erzählt habe, gelte bis heute.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 25.11.2013, Fz. 13 11.512-EAST XXXX , wurde der Antrag auf internationalem Schutz vom 09.08.2013 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.) und der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt II.).

Gegen den Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit für sämtliche Familienmitglieder gleichlautendem Schriftsatz vom 02.12.2013 fristgerecht Beschwerde in vollem Umfang wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften durch Abgehen vom Akteninhalt und Ignorieren des Parteienvorbringens sowie durch unrichtige Beweiswürdigung aufgrund unrichtiger Tatsachenfeststellung. Im Wesentlichen wurde das Vorbringen des Vaters des Beschwerdeführers wiedergegeben und Ausführungen zu dessen Gesundheitszustand getätigt.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.05.2014, W223 1414756-2/5E, wurde die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 1 iVm Abs 2 VwGVG als unbegründet abgewiesen und das Verfahren gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 idgF insoweit zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

Dieses Erkenntnis erwuchs in weiterer Folge in Rechtskraft.

3. Drittes Verfahren (in Rechtskraft erwachsen):

Am 13. September 2014 brachte der Beschwerdeführer, neuerlich durch seine Mutter als gesetzliche Vertreterin, den dritten Antrag auf internationalen Schutz ein. Diese begründete ihre dahinter liegende Motivation damit, ihr Lebensgefährte habe entschieden, dass die Familie neuerlich einen Antrag einbringe, da sie heute eine Aufforderung zur Ausreise erhalten habe. Als Grund hiefür brachte die Mutter des Beschwerdeführers vor, die ganze Familie habe auf Grund ihres Mannes Probleme mit den russischen Behörden und könne daher die Familie nicht in ihren Herkunftsstaat zurückkehren. Über die Probleme ihres Mannes könne sie keine genaueren Angaben machen, da ihr dieser nichts davon berichte, auch über allfällige Veränderungen und Neuigkeiten gegenüber den alten Fluchtgründen könne sie daher keine Angaben tätigen. In persönlicher Hinsicht sehe sie als neuen Grund, dass die Familie seit sechs Jahren gut in Österreich integriert sei und ihre Kinder bereits besser Deutsch als Russisch sprechen würden.

Zu Beginn einer niederschriftlichen Einvernahme am 5. Mai 2015 legte die Mutter des Beschwerdeführers für sich und ihre Familie vier Bestätigungen über besuchte Deutschkurse, zwei Empfehlungsschreiben, ein Schreiben über die Mitgliedschaft des Lebensgefährten bei den Grünen und zwei Schulbesuchsbestätigungen der Kinder vor.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11. November 2015, Zl. 13-831151209-14967963/BMI-BFA_STM_RD, wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 13. September 2014 gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Weiters wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG, bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen und wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG unter einem festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Begründend wurde kurz zusammengefasst ausgeführt, dass der Vater des Beschwerdeführers, auf dessen Fluchtgründe sich der Beschwerdeführer bezieht, keine asylrelevante Verfolgung(sgefahr) glaubhaft gemacht habe. Die vom Vater des Beschwerdeführers angegebenen Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates hätten sich als unglaubwürdig erwiesen. Weiters lägen keine Anhaltspunkte vor, dass dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat die reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention drohe oder mit dieser für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes einhergehe. Im Hinblick auf die Ausweisungsentscheidung führte die belangte Behörde unter anderem aus, dass der Beschwerdeführer illegal eingereist sei und nahe Angehörige im Herkunftsstaat habe, weshalb eine Ausweisung zulässig sei.

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde im Familienverfahren erhoben. Die erstinstanzliche Erledigung wurde unter näherer Begründung wegen Rechtswidrigkeit infolge mangelhafter Beweiswürdigung, unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften vollinhaltlich angefochten.

Am 3. Oktober 2017 fand zur Ermittlung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung statt, an welcher der Beschwerdeführer, seine Eltern und seine Schwester sowie eine geeignete Dolmetscherin teilgenommen haben. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hatte mit Schreiben mitgeteilt, keinen Vertreter zu entsenden. Im Rahmen der Verhandlung wurden der Beschwerdeführer im Beisein seiner Mutter und dessen Eltern zu Ausreisegründen und Lebensumständen im Herkunftsstaat, sowie zum Gesundheitszustand und Leben in Österreich befragt.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25. Oktober 2017, W147 1414756-3/9E, wurde die Beschwerde gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 iVm §§ 10 Abs. 1 Z 3, 55, 57 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100 jeweils in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, § 9 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 in der Fassung BGBl. I Nr. 144/2013, und §§ 52, 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100 jeweils in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013, als unbegründet abgewiesen.

In Bezug auf die Rückkehrentscheidung wurde durch das Gericht festgestellt, dass der Beschwerdeführer die im Spruch genannten Personalien führt und Staatsangehöriger der Russischen Föderation ist. Er ist der Sohn der Beschwerdeführer zu W147 1414754-3 und W147 1414755-3 und Bruder der Beschwerdeführer zu W147 1414757-3 und W147 2118213-1.

Der Beschwerdeführer leidet an keinen chronischen oder lebensbedrohlichen Krankheiten, welche einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat entgegenstehen würden. Dem Beschwerdeführer ist bereits eine Teilnahme am Erwerbsleben möglich.

Der unbescholtene Beschwerdeführer hat während des Aufenthaltes in Österreich der Schulpflicht folgend die Hauptschule besucht und befindet sich derzeit in einer Höheren Technischen Lehranstalt für Maschinenbau. Er geht derzeit keiner Arbeit nach und lebt von der Grundversorgung. Der Beschwerdeführer hat - mit Ausnahme seiner Eltern und Geschwister, deren Beschwerden mit heutigem Tag ebenfalls als unbegründet abgewiesen wurden ? keine Angehörigen im Bundesgebiet, mit denen er in einem gemeinsamen Haushalt lebt oder zu denen ein Abhängigkeitsverhältnis besteht. Im Falle des Beschwerdeführers konnten keine nennenswerten Anknüpfungspunkte wirtschaftlicher oder sozialer Natur im Bundesgebiet festgestellt und kann auch vor dem Hintergrund der Aufenthaltsdauer von keiner besonderen Verfestigung im Bundesgebiet gesprochen werden.

Viertes, verfahrensgegenständliches Verfahren:

Der Beschwerdeführer und seine Familie verblieben im Bundesgebiet und stellten diese am 23. Jänner 2018 bei der Behörde einlangend Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen. Der Beschwerdeführer fügte seinem Antrag eine Schulbesuchsbestätigung als außerordentlicher Schüler einer HTLBA für den Zeitraum von 11.9.2017 bis 6.7.2018 an.

Mit Schreiben vom 6.2.2018 wurde der Beschwerdeführer und seine Familie über die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen aufgeklärt und zur Vorlage entsprechender Dokumente aufgefordert.

Eine weitere Anleitung für die Voraussetzungen einer Erteilung eines Aufenthaltstitels in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen erfolgte anlässlich einer persönlichen Vorsprache des damaligen gewillkürten Vertreters vor der belangten Behörde am 20.2.2018.

Mit Schriftsatz vom 23.2.2018 wurden die Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Asylgesetz 2005 abgeändert. Ausgeführt wurde, dass es sich um eine sehr gut integrierte Familie handle, wobei die betroffenen Frauen nicht einmal das obligate Kopftuch tragen würden und deren Verwandte allesamt eine Aufenthaltsrecht, Asyl oder die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen würden. Bis auf eine Person, die zu wenig verdiene und deshalb Sozialhilfe beziehe, seien alle im Erwerb. Vorort bei den Familien würden sie in geordneten Verhältnissen leben. Die Familien würden auch die antragstellende Familie unterstützen. Es gebe keinerlei Neigung zum Extremismus, ein großer Teil lebe areligiös oder liberal muslimisch. Alle hätten ihr Möglichstes zur Weiterbildung getan. Die im gegenständlichen Beschwerdeverfahren nicht betroffene Tochter sei bei einer Tante und absolviere dort ein Praktikum. Der Vater des Beschwerdeführers hätte zwei Arbeitszusagen, wobei eine verbindlich sei. Alle seien bei der Gebietskrankenkasse versichert. Auf Grund ihrer Geschichte, ihrem Mitwirken, besonders über ihre lange Aufenthaltsdauer aber auch ihrer Unbescholtenheit sei der Familie ein Bleiberecht nach § 55 AsylG zu gewähren.

Mit nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 Asylgesetz 2005 gemäß § 58 Abs. 10 AsylG zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt II.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist von 14 Tagen zur freiwilligen Ausreise gewährt (Spruchpunkt IV.).

Mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG vom 29.3.2018 wurde dem Beschwerdeführer für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt wird.

Gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde mit Schriftsatz vom 26.4.2018 fristgerecht verfahrensgegenständliche Beschwerde für alle Familienmitglieder erhoben und die erstinstanzliche Erledigung wegen mangelhaftem Verfahren und Rechtswidrigkeit des Inhaltes in vollem Umfang angefochten.

Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 4.5.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Infolge der geltenden Geschäftsverteilung wurde die Beschwerdesache der volljährigen Schwester des Beschwerdeführers einer anderen Gerichtsabteilung zugewiesen.

Am 23.1.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentlich mündliche Beschwerdeverhandlung statt, in welcher der Beschwerdeführer und seine Eltern neuerlich zu Privat- und Familienleben und Gesundheitszustand befragt wurden.

Mit Schriftsatz vom 6.2.2019 nahm der Beschwerdeführer durch seine nunmehrige Vertretung zu den ausgehändigten Länderberichten und den Ergebnissen der mündlichen Verhandlung Stellung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Auf Grundlage des Verwaltungsaktes der belangten Behörde, den Ergebnissen der Beschwerdeverhandlung und der in diesem Verfahren herangezogenen Hintergrundberichte zur aktuellen relevanten Lage in der Russischen Föderation, wird seitens des Bundesverwaltungsgerichts Folgendes festgestellt:

1.1. Der Beschwerdeführer führt die im Spruch genannten Personalien und ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation. Er ist der Sohn der Beschwerdeführer zu W147 1414754-4 und W147 1414755-4 und Bruder der Beschwerdeführer zu W247 1414757-4 und W147 2118213-2.

Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen würde oder von der Todesstrafe bedroht wäre.

Nicht festgestellt werden kann darüber hinaus, dass der Beschwerdeführer an dermaßen schweren physischen oder psychischen, akut lebensbedrohlichen und zudem im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankungen leiden würde, welche eine Rückkehr in die Russische Föderation iSd Art. 3 EMRK unzulässig machen würden. Dem Beschwerdeführer ist eine Teilnahme am Erwerbsleben möglich.

Der Beschwerdeführer ist illegal eingereist, hat drei unbegründete Anträge auf internationalen Schutz gestellt und war die Familie nicht gewillt, nach negativem Ausgang eines dieser Verfahren freiwillig das Bundesgebiet zu verlassen.

Der unbescholtene Beschwerdeführer besucht derzeit keine Bildungseinrichtung. Er hat während des Aufenthaltes in Österreich der Schulpflicht folgend die Hauptschule und danach ein Jahr lang eine Höhere Technische Lehranstalt für Maschinenbau besucht. Er spricht perfekt die deutsche Sprache. Innerhalb des Familienverbandes erfolgt die Kommunikation hauptsächlich in tschetschenisch. Der Beschwerdeführer ist gesund und in keinen Vereinen aktiv. Sein Freundeskreis umfasst sowohl österreichische Staatsbürger als auch tschetschenische Volksgruppenzugehörige. Der Beschwerdeführer bemüht sich um eine Lehrstelle, ist jedoch zum Entscheidungszeitpunkt nicht selbsterhaltungsfähig und lebt von der Grundversorgung.

Der Beschwerdeführer hat - mit Ausnahme seiner Eltern und Geschwister, deren Beschwerden mit heutigem Tag ebenfalls als unbegründet abgewiesen wurden - keine Angehörigen im Bundesgebiet, mit denen er in einem gemeinsamen Haushalt lebt oder zu denen ein Abhängigkeitsverhältnis besteht. Seine volljährige Schwester (W247 1414757-4) lebt derzeit bei einer Tante in XXXX . Im Falle des Beschwerdeführers konnten keine nennenswerten Anknüpfungspunkte wirtschaftlicher oder sozialer Natur im Bundesgebiet festgestellt und kann auch vor dem Hintergrund der Aufenthaltsdauer von keiner besonderen Verfestigung im Bundesgebiet gesprochen werden.

Bis zur Ausreise lebte der Beschwerdeführer mit seinen Eltern und weiteren Geschwistern auf einem Bauernhof, welcher derzeit von Verwandten betrieben wird, und besuchte die erste Schulstufe. Im selben Dorf leben weitere zahlreiche Verwandte des Beschwerdeführers.

Hinweise auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen kamen nicht hervor.

Seit dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25. Oktober 2017, W147 1414756-3/9E, haben sich keinerlei Umstände hervor getan, die auf eine vertiefende Integration des Beschwerdeführers hindeuten.

1.2. Zur aktuellen politischen und menschenrechtlichen Situation in der Russischen Föderation werden folgende Feststellungen getroffen:

0. "Politische Lage

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 12.7.2018, vgl. GIZ 7.2018c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2018a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 7.2018a). Wladimir Putin ist im März 2018, bei der Präsidentschaftswahl im Amt mit 76,7% bestätigt worden. Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl ärgster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Parlament - Staatsduma und Föderationsrat - ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus der Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Siebenprozentklausel. Wichtige Parteien sind die regierungsnahen Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist. Die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist, die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern, die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern, die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2018a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 5.2018b).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Einordnung der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges, Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2018a, vgl. AA 5.2018b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2018a).

Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 7.2018a).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (5.2018b): Russische Föderation - Außen- und Europapolitik,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederation/201534, Zugriff 1.8.2018

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CIA - Central Intelligence Agency (12.7.2018): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 1.8.2018

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EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 1.8.2018

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FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 1.8.2018

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 1.8.2018

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 1.8.2018

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OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report,

https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 29.8.2018

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Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen",

https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 1.8.2018

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Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident,

https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 1.8.2018

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Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 1.8.2018

0.1. Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647 km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 1.1.2018 beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1,4 Millionen (GKS 25.1.2018), wobei die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum (ÖB Moskau 12.2017). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien somit mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik.

Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 12.2017). Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten immer wieder von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 21.5.2018). Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die danach trachteten, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtsaktivisten sowie von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert (ÖB Moskau 12.2017).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als "Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute föderale Machtvertikale dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum "inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür

des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

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GKS - Staatliches Statistikamt (25.1.2018): Bevölkerungsverteilung zum 1.1.2018,

http://www.gks.ru/free_doc/new_site/population/demo/PrPopul2018.xlsx, Zugriff 1.8.2018

-

ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

-

Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/, Zugriff 1.8.2018

-

SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 1.8.2018

0.2. Dagestan

Dagestan ist mit ungefähr drei Millionen Einwohnern die größte kaukasische Teilrepublik und wegen seiner Lage am Kaspischen Meer für Russland strategisch wichtig. Dagestan ist das ethnisch vielfältigste Gebiet des Kaukasus (ACCORD 16.5.2018, vgl. IOM 6.2014). Im Unterschied zu den faktisch mono-ethnischen Republiken Tschetschenien und Inguschetien setzt sich die Bevölkerung Dagestans aus einer Vielzahl von Ethnien zusammen. In der Republik gibt es 60 verschiedene Nationalitäten, einschließlich der Vertreter der 30 alteingesessenen Ethnien. Alle sprechen unterschiedliche Sprachen. Dieser Umstand legt die Vielzahl der in Dagestan wirkenden Kräfte fest, begründet die Notwendigkeit eines Interessenausgleichs bei der Lösung entstehender Konflikte und stellt ein Hindernis für eine starke autoritäre Zentralmacht in der Republik dar. Allerdings findet dieser "Interessenausgleich" traditionellerweise nicht auf dem rechtlichen Wege statt, was in Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Clans münden kann (IOM 6.2014).

Dagestan ist hinsichtlich persönlicher Freiheiten besser gestellt als Tschetschenien, bleibt allerdings eine der ärmsten Regionen Russlands, in der die Sicherheitslage zwar angespannt ist, sich in jüngerer Zeit aber verbessert hat. War die weit überwiegende Anzahl von Gewaltopfern bei Auseinandersetzungen zwischen "Aufständischen" und Sicherheitskräften in den Jahren 2015 und 2016 in Dagestan zu verzeichnen, hat die Gewalt in den letzten Jahren abgenommen (AA 21.5.2018). Gründe für den Rückgang der Gewalt sind die konsequente Politik der Repression radikaler Elemente und das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak (ÖB Moskau 12.2017).

Was das politische Klima betrifft, gilt die Republik Dagestan im Vergleich zu Tschetschenien noch als relativ liberal. Die Zivilgesellschaft ist hier stärker vertreten als in Tschetschenien. Ebenso existiert - anders als in der Nachbarrepublik - zumindest eine begrenzte Pressefreiheit. Die ethnische Diversität stützt ein gewisses Maß an politischem Pluralismus und steht autokratischen Herrschaftsverhältnissen entgegen. Im Jahr 2006 wurde Muchu Alijew vom Kreml als Präsident an die Spitze der Republik gesetzt. 2013 wurde er von Magomedsalam Magomedow ersetzt. Magomedow war vor allem mit Korruption und Vetternwirtschaft konfrontiert, die auch sein Vorgänger nicht lösen konnte. Anfang 2013 ersetzte der Kreml Magomedow durch Ramzan Abdulatipow, den in Moskau wohl bekanntesten Dagestaner. Abdulatipow galt dort als Experte für interethnische Beziehungen und religiöse Konflikte im Nordkaukasus. Abdulatipows Kampf gegen Korruption und Nepotismus führte zwar zum Austausch von Personal, doch die Strukturen, die dem Problem zugrunde liegen, wurden kaum angetastet. Es war auch nicht zu erwarten, dass sich ein Phänomen wie das Clan- und Seilschaftsprinzip, das für Dagestan so grundlegende gesellschaftlich-politische Bedeutung hat, ohne weiteres würde überwinden lassen. Dieses Prinzip wird nicht nur durch ethnische, sondern auch durch viele andere Zuordnungs- und Gemeinschaftskriterien bestimmt und prägt Politik wie Geschäftsleben der Republik auf entscheidende Weise. Zudem blieb der Kampf gegen den bewaffneten Untergrund oberste Priorität, was reformpolitische Programme in den Hintergrund rückte. Dabei zeugt die Praxis der Anti-Terror-Operationen in der Ära Abdulatipow von einer deutlichen Stärkung der "Siloviki", das heißt des Sicherheitspersonals. Zur Bekämpfung der Rebellen setzt der Sicherheitsapparat alte Methoden ein. Wie in Tschetschenien werden die Häuser von Verwandten der Untergrundkämpfer gesprengt, und verhaftete "Terrorverdächtige" können kaum ein faires Gerichtsverfahren erwarten. Auf Beschwerden von Bürgern über Willkür und Straflosigkeit der Sicherheitskräfte reagierte Abdulatipow mit dem Argument, Dagestan müsse sich "reinigen", was ein hohes Maß an Geduld erfordere (SWP 4.2015). Im Herbst 2017 setzte Präsident Putin ein neues Republiksoberhaupt ein. Mit dem Fraktionsvorsitzenden der Staatspartei Einiges Russland in der Staatsduma und ehemaligen hohen Polizeifunktionär Wladimir Wassiljew schreckte der Kreml die lokalen Eliten auf. Wassiljew ist keiner von ihnen, er war mit Blick auf das zuvor behutsam gepflegte Gleichgewicht der Ethnien wie eine Faust aufs Auge. Der Kreml hatte länger schon damit begonnen, ortsfremde Funktionäre in die Regionen zu entsenden. Im Nordkaukasus hatte er davon Abstand genommen. Immerhin dürfte Wassiljew für ethnische Fragen ein gewisses Gespür mitbringen. Er ist selbst halb Kasache, halb Russe. Wassiljew ist das Gegenmodell zu Kadyrows ungestümer Selbstherrlichkeit. Er ist ein altgedienter Funktionär und einer, der durch den Zugriff Moskaus auf Dagestan - und nicht in Abgrenzung von der Zentralmacht - Ordnung, Sicherheit und wirtschaftliche Prosperität herstellen soll. Mit Wassiljew tritt jemand mit wirklich direktem Draht zur Zentralmacht im Nordkaukasus auf. Das könnte ihn, zumindest für einige Zeit, zum starken Mann in der ganzen Region machen. Dafür allerdings benötigt er genauso die Akzeptanz der Einheimischen (NZZ 12.2.2018).

Anfang 2018 wurden in der Hauptstadt Dagestans, Machatschkala, der damalige Regierungschef [Abdussamad Gamidow], zwei seiner Stellvertreter und ein kurz vorher abgesetzter Minister von föderalen Kräften verhaftet und nach Moskau gebracht. Ihnen wird vorgeworfen, sie hätten eine organisierte kriminelle Gruppierung gebildet zur Ausbeutung der wirtschaftlich abgeschlagenen und am stärksten von allen russischen Regionen am Tropf des Zentralstaats hängenden Nordkaukasus-Republik. Kurz vorher waren bereits der Bürgermeister von Machatschkala und der Stadtarchitekt festgenommen worden (NZZ 12.2.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

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ACCORD (16.5.2018): Themendossier Sicherheitslage in Dagestan & Zeitachse von Angriffen,

https://www.ecoi.net/de/laender/russische-foederation/themendossiers/sicherheitslage-in-dagestan-zeitachse-von-angriffen/, Zugriff 2.8.2018

-

IOM - International Organisation of Migration (6.2014):

Länderinformationsblatt Russische Föderation

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NZZ - Neue Zürcher Zeitung (12.2.2018): Durchgreifen in Dagestan:

Moskau räumt im Nordkaukasus auf, https://www.nzz.ch/international/moskau-raeumt-im-nordkaukasus-auf-ld.1356351, Zugriff 2.8.2018

-

ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan:

Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 2.8.2018

1. Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 28.8.2018a, vgl. BMeiA 28.8.2018, GIZ 6.2018d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 28.8.2018).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sogenannten IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (28.8.2018a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise,

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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