TE Bvwg Erkenntnis 2019/3/7 W226 2160474-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.03.2019
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Entscheidungsdatum

07.03.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z1
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1

Spruch

W226 2160474-2/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. WINDHAGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA.:

Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.01.2019, Zl., 67180509-150445395, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Verfahren über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten:

1.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, reiste am 20. April 2003 gemeinsam mit seiner Familie in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt schilderte der BF, dass er Anfang XXXX von russischen Soldaten verschleppt und nach einem Tag von Verwandten freigekauft worden sei. Im April 2003 sei er dann mit seiner Familie aus Tschetschenien nach Inguschetien gefahren und sei von dort auf nicht näher beschreibbaren Wegen illegal bis Österreich gekommen.

Nach der Verschleppung für einen Tag durch russische Soldaten habe er sich in den Bergen versteckt gehalten und habe bei der Rückkehr nach Hause von den Eltern erfahren, dass er "weiterhin von den russischen Soldaten gesucht" werde. Sein Onkel, mit dem er zusammen festgenommen worden sei, sei tot aufgefunden worden.

In einer weiteren niederschriftlichen Einvernahme schilderte der BF damals ausführlich, dass er im XXXX bei einer Autofahrt von russischen Soldaten angehalten worden sei, er sei von den russischen Soldaten dann geschlagen und an einen nicht näher beschreibbaren Ort gebracht worden. Dabei sei der BF nach drei Onkeln befragt worden, einer der Onkel habe während des ersten Krieges an Kampfhandlungen teilgenommen. Zu diesem Onkel sei der BF gefragt worden, außerdem sei er gefragt worden, wer sonst noch im Dorf gegen die Russen kämpfe.

Der BF schilderte, dass bei dieser Festnahme durch russische Soldaten der einvernehmende Soldat offensichtlich einen Freund im Kampf gegen Tschetschenen verloren habe und dieser Mann sich jetzt dafür rächen wollte. Der BF sei misshandelt worden, am nächsten Tag habe er dem einvernehmenden Beamten falsche Informationen gegeben.

Auf Grund dieser Angaben - Verschleppung und Misshandlung durch russische Soldaten im Jahr 2002 - wurde dem BF mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 13.07.2003 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

2. Verfahren über die Aberkennung des Status des Asylberechtigten:

Der BF wurde in weiterer Folge im Bundesgebiet mehrfach straffällig und wie folgt verurteilt:

1) LG XXXX , XXXX , vom XXXX , wegen §§ 83/1, 84/1 StGB, Freiheitsstrafe fünf Monate bedingt

2) LG XXXX , XXXX , vom XXXX , wegen § 107 Absatz 1 StGB, Freiheitsstrafe: 5 Monate bedingt

3) LG XXXX , XXXX , vom XXXX wegen §§ 146, 147 Absatz 2, 148 1. Fall StGB, § 15 StGB, Freiheitsstrafe 10 Monate bedingt

4) BG XXXX , XXXX , vom XXXX wegen § 83 Absatz 1 StGB, Freiheitsstrafe 4 Monate bedingt

5) LG XXXX , XXXX , vom XXXX wegen § 114 Absatz 1, 114 Absatz 3 Ziffer 1 FPG, §§ 27(1) Ziffer 1, 1. Fall, 27 (1) Ziffer 1 2. Fall, 27 Absatz 2 SMG, § 28a Absatz 1, 5. Fall SMG, §§ 50 (Absatz 1, Ziffer 1), 50 Absatz 1, Ziffer 2 WaffG, Freiheitsstrafe 2 Jahre

6) LG XXXX , XXXX , vom XXXX , wegen §§ 83 Absatz 1 StGB, 105 Absatz 1 StGB, 125 StGB, Freiheitsstrafe: 6 Monate.

Am 16.10.2018 leitete die belangte Behörde ein Aberkennungsverfahren gemäß § 7 Asylgesetz ein. Mit Schreiben vom 16.10.2018 wurde der BF davon verständigt, dass auf Grund der von ihm begangenen Straftaten die Aberkennung des Asylstatus beabsichtigt sei.

Mit Eingabe vom 30.10.2018 nahm der rechtsfreundlich vertretene BF dazu dahingehend Stellung, dass er derzeit seine restliche Strafhaft verbüße, seine Frau sei Hausfrau und kümmere sich um die insgesamt sieben Kinder. Dies falle ihr sehr schwer, der BF könne sie ja nicht unterstützen, die Frau habe zudem stressbedingt ein Kind verloren und sei wegen des damit einhergehenden massiven Blutverlustes seither krank. Die gesamte Familie würde in Österreich leben und habe keinen Bezug mehr zum Herkunftsland. Mit Tschetschenien setze er sich nur mehr aus der Entfernung auseinander und habe er sich in Österreich hinreißen lassen, im Internet den derzeitigen Präsidenten von Tschetschenien zu kritisieren. Daher hätte er für den Fall der Rückkehr nach Russland sein "eigenes Todesurteil unterschrieben". Nach näheren Schilderungen, warum sich der BF zu einer solchen Äußerung im Internet habe hinreißen lassen, führte der BF aus, dass dieses Posting vom XXXX auf Anraten und Drängen der Familie wieder gelöscht worden sei, es habe jedoch von einigen Personen gesehen werden können und müsse davon ausgegangen werden, dass "auch der tschetschenische Präsident nunmehr Kenntnis davon erlangt" habe. Er wisse von einem gewissen Mithäftling in XXXX , dass dieser ebenfalls den tschetschenischen Präsidenten kritisiert habe, nach seiner Abschiebung sei dieser Bekannte aus dem Gefängnis verschwunden. Seine Familie gehe davon aus, dass dieser Mithäftling "sofort nach seiner Rückkehr nach Russland getötet wurde." Es sei deshalb mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass auch der BF auf Grund seines Postings - sollte er abgeschoben werden, in Russland "sofort getötet" würde. Er habe lediglich zwei Verurteilungen, eine davon befinde sich im Akt, die andere habe sich während der Haft ereignet. Davor und seither habe er "sich wohlverhalten und würde dies auch in Zukunft tun, sollte von einer Abschiebung Abstand genommen werden." Die Kinder würden in die Schule und in den Kindergarten gehen, seine Frau sei wegen des Blutverlustes sehr krank und er selbst habe auf Grund seiner Kriegserlebnisse in Tschetschenien eine posttraumatische Belastungsstörung.

Am 27.11.2018 wurde der BF durch die belangte Behörde niederschriftlich einvernommen. Bei der Einvernahme - der BF sprach nur gebrochen Deutsch - war eine Dolmetscherin für die russische Sprache beigezogen. Der BF schilderte, dass ihn seine Frau in der Justizanstalt einmal im Monat besuchen komme, es sei sehr teuer, vorher in XXXX sei er öfters besucht worden. Er habe insgesamt sieben Kinder, der BF gab dazu drei Vornamen und drei Geburtsdaten an, die anderen Daten habe er nach eigener Angabe vergessen. Es würden immer zwei bis drei Kinder mit der Mutter mitkommen, wenn diese ihn einmal im Monat in der Justizhaft besuche. Er befinde sich seit April 2003 in Österreich, in Russland sei er damals abgeholt worden und hätten "sie wollen, dass ich für sie arbeite." Die russische Regierung habe damals seine beiden Onkel umgebracht. Er meine damit den russischen Geheimdienst. Auf die Frage, wann er sich das letzte Mal in der Russischen Föderation aufgehalten habe, schilderte der BF, dass er den Jahreswechsel 2013 dort verbracht habe. Er sei meistens bei einem Freund in einem namentlich genannten Dorf gewesen, in einem anderen Dorf sei er bei der Oma und einem Onkel gewesen. Er sei mit fünf Bekannten nach Tschetschenien gereist, von denen er nur mehr die Vornamen kenne. Danach sei er nicht mehr in der Russischen Föderation gewesen. In Österreich habe er noch seine Eltern, die Großmutter und Geschwister, alle seien nach ihm nach Österreich gekommen. In Tschetschenien habe er noch diverse Onkel väterlicher- und mütterlicherseits und entfernte Verwandte. Mit den Angehörigen in Tschetschenien habe er zuletzt im August 2018 von der Justizanstalt aus über WhatsApp Kontakt gehabt. In Österreich habe er von eigener Arbeit gelebt, in den Pausen habe er Arbeitslosengeld und Mindestsicherung bezogen. Sonst habe er Sport gemacht und mit der Familie Zeit verbracht, auch mit Österreichern und Russen habe er etwas in der Freizeit unternommen. Nach Tschetschenien würde er zurückkehren, wenn das Regime, das mit dem russischen Präsidenten Putin zusammenarbeite, weg sei. Sein Traum wäre der eines freien Tschetscheniens, dort könnte er mit seiner großen Familie leben. An eine Rückkehr in andere Landesteile der Russischen Föderation habe er nicht gedacht, denn Tschetschenien gehöre offiziell zu Russland, aber "wir wollen das nicht." Die Tschetschenen würden eigenständig sein wollen.

Zum erwähnten Posting im Internet führte der BF aus, dass er das Anfang August 2018 gemacht habe, genauer könne er sich nicht mehr erinnern. Er sei schon länger böse auf Kadyrow gewesen und habe seine Meinung äußern wollen. Er habe das auf seiner Instagram-Seite geschrieben, er habe sich zurückgehalten beim Posten. Kadyrow aber würde alle Seiten überprüfen und "wahrscheinlich habe er das gesehen". Er habe vier oder fünf Tage nach dem Tod eines Tschetschenen, über den sich Kadyrow geäußert habe, gepostet. Das sei aber ein unüberlegter Schritt gewesen, denn es sei besser, mit dem tschetschenischen Präsidenten keine Scherze zu machen.

Er sei nach diesem Posting nicht bedroht worden, aber er wolle darauf hinweisen, dass eine Journalistin über Kadyrow geschrieben habe. Sie sei dann von diesem beleidigt worden. In Österreich habe er ein paar Deutschkurse besucht, er habe den Beruf des Schweißers erlernt und die diesbezügliche Ausbildung abgeschlossen.

Sonst sei er nicht Mitglied in einem Verein, in einer religiösen Gruppe oder in einer Organisation.

3. Mit dem im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.01.2019 wurde der dem Beschwerdeführer mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 13.10.2003 zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen. Weiters wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf 8 Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Begründend führte das Bundesamt zusammengefasst aus, dass vor dem Hintergrund der Verurteilungen des Beschwerdeführers der Aberkennungsgrund gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 vorliege.

Es könne nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer in der Russischen Föderation Verfolgung drohen würde, er habe dort Verwandte, sei gesund und nicht in medizinischer Behandlung.

Die belangte Behörde verwies insbesonders auf das Urteil des LG XXXX vom XXXX , wonach der BF wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Absatz 1, 5. Fall SMG, sowie wegen des Verbrechens der Schlepperei und wegen des Vergehens nach § 50 Absatz 1 Ziffer 1 und 2 WaffG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren verurteilt wurde. Die Palette der vom BF begangenen Straftaten würden in Summe schwere Körperverletzung, gefährliche Drohung, gewerbsmäßigen Betrug, wiederholte Körperverletzung, Suchtgifthandel, unerlaubten Umgang mit Suchtgiften, Schlepperei und unbefugten Besitz von Schusswaffen und verbotener Munition, sowie Nötigung und Sachbeschädigung aufzeigen. Gegen den BF seien insgesamt 54 Monate Freiheitsstrafe ausgesprochen worden, er befinde sich aktuell in einer Justizanstalt. Der BF sei aus näher dargestellten Gründen als gemeingefährlich einzustufen, er sei immer wieder binnen kurzer Zeit straffällig geworden. Selbst in der Haft habe er das Vergehen der Körperverletzung zusätzlich begangen und die Haftzeit somit verlängert. Selbst der Umstand der sechsfachen Vaterschaft habe den BF nicht von der Begehung von Straftaten abhalten können und könne nicht ausgeschlossen werden, dass der BF nach der Entlassung aus der Strafhaft wieder rückfällig werde und stelle dieser offensichtlich eine Gefährdung dar.

Betreffend Rückkehrgefährdung führte die belangte Behörde in der Beweiswürdigung aus, dass das primäre Vorbringen - ein kritisches Posting über den tschetschenischen Präsidenten auf der mittlerweile gelöschten Instagram-Seite - angezweifelt werde. Es sei zudem nicht glaubhaft, dass die eigene Schwester um XXXX Uhr in der Nacht einen Screen-Shot dieses Postings angefertigt habe, nach seinen eigenen Angaben wäre dieses Posting zudem nur wenige Stunden auf der Seite gewesen und habe der BF selbst angegeben, dass er seit dem Posting in keinster Weise bedroht worden sei.

Die belangte Behörde verwies auch darauf, dass der BF selbst eingestanden habe, den Jahreswechsel 2013 wieder in der Russischen Föderation verbracht zu haben, weshalb davon auszugehen sei, dass der BF keinerlei Probleme bei einer Rückkehr in die Russische Föderation haben würde. Der BF habe die ersten 22 Lebensjahre im Herkunftsstaat verbracht, er spreche Russisch und Tschetschenisch und verfüge über Angehörige. Den in Österreich lebenden Angehörigen sei es im Bedarfsfall möglich, den BF auch bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat finanziell zu unterstützen.

Die belangte Behörde konnte somit keine Gründe erkennen, die die Einräumung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden. Außergewöhnliche Umstände würden nicht vorliegen. Die Rückkehrentscheidung und das im Anschluss daran erlassene Einreiseverbot wurde von der belangten Behörde unter Hinweis auf die sechs strafrechtlichen Verurteilungen begründet. Das kontinuierlich straffällige Verhalten und die Missachtung der österreichischen Rechtsordnung würden die privaten und familiären Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet verdrängen. Eine Verhaltensprognose könne nicht positiv ausfallen, der BF habe die österreichische Rechtsordnung wiederholt missachtet. Das auf § 53 Absatz 3 Ziffer 1 FPG gestützte Einreiseverbot wurde von der belangten Behörde dahingehend begründet, dass das Fehlverhalten des BF schwer wiege. Bei einer Abwägungsentscheidung habe sich ergeben, dass die Erlassung des Einreiseverbotes trotz der familiären und privaten Anknüpfungspunkte dringend geboten sei.

4. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Die Bedrohung, auf Grund welcher dem BF der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden sei, würde nach wie vor bestehen, andererseits habe sich der BF hinreißen lassen, den tschetschenischen Präsidenten öffentlich zu kritisieren. Aufständische und Kritiker seien repressiven Maßnahmen und Gewalt, bis hin zum Tod, ausgesetzt. Der BF vermeint in der Beschwerde, dass die Voraussetzungen für die Aberkennung des Asyls nicht vorliegen würden, die Tatsache, dass die gesamte Familie des BF in Österreich lebe, sei "ebenfalls als Integration zu werten." Seine Kernfamilie lebe in Österreich, die meisten der in Österreich geborenen Kinder seien noch minderjährig und "sohin nicht in der Lage, eine Kommunikation mit dem Vater aufrecht zu erhalten." Zudem sei das Kindeswohl zu berücksichtigen und mit den öffentlichen Interessen aufzuwiegen. Ein Besuch des BF sei - wie der belangten Behörde hoffentlich bewusst sein werde - aus zahlreichen Gründen unmöglich. Der BF verweist somit erneut auf sein vorgetragenes Posting, die Löschung des Postings würde darlegen, dass mit der Kritik eine konkrete Gefährdung verbunden sei. Die tschetschenische Community sei weit vernetzt und würden sich derartige Nachrichten "wie ein Lauffeuer verbreiten." Es sei davon auszugehen, dass nicht nur die Schwester des BF einen Screenshot gemacht habe, sondern auch andere. Die 2003 vorgebrachten Fluchtgründe hätten keinerlei Erwähnung oder Berücksichtigung gefunden und sei darüber hinaus der gesamte Bescheid mangelhaft begründet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Auf Grundlage der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungs- und Gerichtsakten des Beschwerdeführers, der Einsichtnahmen in das zentrale Melderegister, in das Grundversorgungs-Informationssystem und in das Strafregister werden die folgenden Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zum wesentlichen Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer kam im April 2003 gemeinsam mit seiner Familie nach Österreich, wo er am 20.04.2003 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Dem Beschwerdeführer wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 13.10.2003 der Status des Asylberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 7 AsylG 1997 zuerkannt.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.01.2019, wurde der dem Beschwerdeführer zuerkannte Status des Asylberechtigten aberkannt und ihm weder der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt noch ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt. Weiters wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig ist. Gegen den Beschwerdeführer wurde zudem ein mit 8 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde.

1.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

1.2.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, sowie muslimischen Glaubens. Seine Identität steht fest und ist aus dem Spruchkopf der vorliegenden Entscheidung ersichtlich.

Der Beschwerdeführer verließ die Russische Föderation im Frühjahr 2003; bis dahin lebte er in Tschetschenien, wo er geboren wurde. Er hielt sich nach seiner Einreise in das österreichische Bundesgebiet zunächst aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz und anschließend aufgrund seines Status als Asylberechtigter durchgängig rechtmäßig in Österreich auf. Der Beschwerdeführer beherrscht die Tschetschenische und die Russische Sprache.

Der Beschwerdeführer ist gesund, arbeitsfähig und verheiratet, er hat 6 Kinder.

1.2.2. Für den Beschwerdeführer scheinen im österreichischen Strafregister folgende Verurteilungen auf:

1) LG XXXX , XXXX , vom XXXX , wegen §§ 83/1, 84/1 StGB, Freiheitsstrafe fünf Monate bedingt

2) LG XXXX , XXXX , vom XXXX , wegen § 107 Absatz 1 StGB, Freiheitsstrafe: 5 Monate bedingt

3) LG XXXX , XXXX , vom XXXX wegen §§ 146, 147 Absatz 2, 148 1. Fall StGB, § 15 StGB, Freiheitsstrafe: 10 Monate bedingt

4) BG XXXX , XXXX , vom XXXX wegen § 83 Absatz 1 StGB, Freiheitsstrafe: 4 Monate bedingt

5) LG XXXX , XXXX , vom XXXX wegen § 114 Absatz 1, 114 Absatz 3 Ziffer 1 FPG, §§ 27(1) Ziffer 1, 1. Fall, 27 Absatz 1 Ziffer 1 2. Fall, 27 Absatz 2 SMG, § 28a Absatz 1, 5. Fall SMG, §§ 50 (Absatz 1, Ziffer 1), 50 Absatz 1, Ziffer 2 WaffG, Freiheitsstrafe 2 Jahre

6) LG XXXX , XXXX , vom XXXX , wegen §§ 83 Absatz 1 StGB, 105 Absatz 1 StGB, 125 StGB, Freiheitsstrafe: 6 Monate.

Festgestellt wird, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt.

Ein Abhängigkeitsverhältnis zu den in Österreich aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen des Beschwerdeführers aus gesundheitlichen oder anderen Gründen besteht nicht. Die Beziehung, die im Wesentlichen seit 2 Jahren aufgrund der Haftaufenthalte des Beschwerdeführers nur durch fallweise Besuche in der Haft gelebt wurde, kann auch von der Russischen Föderation aus über elektronische Medien und Internet aufrechterhalten werden.

Im Herkunftsstaat verfügt der Beschwerdeführer noch über entfernte Verwandte (Onkel und Cousins).

1.3. Zur Situation im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation:

Beim BF wurde im Februar XXXX im Zuge polizeilicher Ermittlungen ein Russischer Auslandspass sichergestellt, gültig vom XXXX bis XXXX . Mit diesem hat der BF die von ihm eingestandene Reise nach Tschetschenien unternommen.

Festgestellt wird, dass dem Beschwerdeführer in der gesamten Russischen Föderation keine asylrelevante Verfolgung droht.

Dem Beschwerdeführer droht in der Russischen Föderation, jedenfalls außerhalb des Nordkaukasus, insbesondere außerhalb von Tschetschenien keine Verfolgung. Dem Beschwerdeführer droht im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation, jedenfalls auch außerhalb der Teilrepublik Tschetschenien und des Föderationskreises Nordkaukasus keine Folter oder unmenschliche Behandlung. Dem Beschwerdeführer droht auch keine Verfolgung wegen seines Aussehens oder seiner ethnischen Volksgruppenzugehörigkeit. Ihm droht im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation außerhalb des Nordkaukasus, insbesondere außerhalb Tschetscheniens, keine Verfolgung wegen der Asylantragstellung in Österreich und wegen des langjährigen Aufenthaltes außerhalb der Russischen Föderation.

Es ist dem Beschwerdeführer möglich und zumutbar, sich in der Russischen Föderation, etwa auch außerhalb der Teilrepublik Tschetschenien und des Föderationskreises Nordkaukasus niederzulassen und anzumelden. Die wirtschaftlich stärkeren Metropolen und Regionen in Russland bieten trotz der derzeitigen Wirtschaftskrise bei vorhandener Arbeitswilligkeit entsprechende Chancen auch für russische Staatsangehörige aus den Kaukasusrepubliken. Der Beschwerdeführer hat auch Zugang zu Sozialbeihilfen, Krankenversicherung und medizinischer Versorgung. Es besteht keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer in anderen Teilen der Russischen Föderation Opfer fingierter Strafverfahren würde. Dem Beschwerdeführer droht auch keine Verfolgung bei der Wiedereinreise in die Russische Föderation außerhalb der Teilrepublik Tschetschenien und des Föderationskreises Nordkaukasus.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation:

Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich auf folgende Quellen:

? Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 21.07.2017 (letzte Kurzinformation eingefügt am 07.05.2018);

? Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 31.08.2018;

? Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 29.06.2017, Russische Föderation, Menschenrechtsverletzungen von im Ausland verurteilten Personen wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation;

? ACCORD Anfragebeantwortung vom 31.05.2016, Russische Föderation, Lage von Personen, die nach negativem Asylbescheid zurückgekehrt sind;

? Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 24.05.2016 (Auszug), Russische Föderation, Lage von aus Syrien zurückkehrenden Kämpfern;

Aus diesen Länderberichten werden folgende Feststellungen getroffen:

1.4.1. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 31.08.2018:

1.4.1.1. Politische Lage im Allgemeinen

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 12.7.2018, vgl. GIZ 7.2018c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2018a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 7.2018a). Wladimir Putin ist im März 2018, bei der Präsidentschaftswahl im Amt mit 76,7% bestätigt worden. Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl ärgster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Parlament - Staatsduma und Föderationsrat - ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus der Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Siebenprozentklausel. Wichtige Parteien sind die regierungsnahen Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist. Die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist, die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern, die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern, die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2018a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 5.2018b).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Einordnung der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges, Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2018a, vgl. AA 5.2018b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2018a).

Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 7.2018a).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (5.2018b): Russische Föderation - Außen- und Europapolitik,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederation/201534, Zugriff 1.8.2018

-CIA - Central Intelligence Agency (12.7.2018): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 1.8.2018

-EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 1.8.2018

-FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 1.8.2018

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 1.8.2018

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 1.8.2018

-OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report,

https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 29.8.2018

-Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen",

https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 1.8.2018

-Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident,

https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 1.8.2018

-Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 1.8.2018

1.4.1.1.a. Politische Lage in Tschetschenien im Besonderen

Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647 km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 1.1.2018 beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1,4 Millionen (GKS 25.1.2018), wobei die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum (ÖB Moskau 12.2017). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien somit mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik.

Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 12.2017). Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten immer wieder von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 21.5.2018). Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die danach trachteten, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtsaktivisten sowie von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert (ÖB Moskau 12.2017).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als "Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute föderale Machtvertikale dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum "inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

-GKS - Staatliches Statistikamt (25.1.2018): Bevölkerungsverteilung zum 1.1.2018,

http://www.gks.ru/free_doc/new_site/population/demo/PrPopul2018.xlsx, Zugriff 1.8.2018

-ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

-Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/, Zugriff 1.8.2018

-SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 1.8.2018

1.4.1.2. Sicherheitslage im Allgemeinen

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 28.8.2018a, vgl. BMeiA 28.8.2018, GIZ 6.2018d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 28.8.2018).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sogenannten IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (28.8.2018a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 28.8.2018

-BmeiA (28.8.2018): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 28.8.2018

-Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden,

https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 29.8.2018

-EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (28.8.2018): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 28.8.2018

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2018d): Russland, Alltag,

https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 28.8.2018

-SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

1.4.1.2.a. Sicherheitslage im Nordkaukasus im Allgemeinen

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 21.5.2018). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level insurgency" umschrieben (SWP 4.2017).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sogenannten IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaya Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015). Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich in den vergangenen Jahren die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sogenannten IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt haben soll. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem sogenannten IS zuzurechnen waren (ÖB Moskau 12.2017). Offiziell kämpfen bis zu 800 erwachsene Tschetschenen für die Terrormiliz IS. Die Dunkelziffer dürfte höher sein (DW 25.1.2018).

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Während in den Republiken Inguschetien und Kabardino-Balkarien auf einen Dialog innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gesetzt wird, verfolgen die Republiken Tschetschenien und Dagestan eine konsequente Politik der Repression radikaler Elemente (ÖB Moskau 12.2017).

Im gesamten Jahr 2017 gab es im ganzen Nordkaukasus 175 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 134 Todesopfer (82 Aufständische, 30 Zivilisten, 22 Exekutivkräfte) und 41 Verwundete (31 Exekutivkräfte, neun Zivilisten, ein Aufständischer) (Caucasian Knot 29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es im gesamten Nordkaukasus 27 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 20 Todesopfer (12 Aufständische, sechs Zivilisten, 2 Exekutivkräfte) und sieben Verwundete (fünf Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 21.6.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

-Caucasian Knot (29.1.2018): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus for 2017 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/42208/, Zugriff 28.8.2018

-Caucasian Knot (21.6.2018): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2018 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/43519/, Zugriff 28.8.2018

-DW - Deutsche Welle (25.1.2018): Tschetschenien: "Wir sind beim IS beliebt",

https://www.dw.com/de/tschetschenien-wir-sind-beim-is-beliebt/a-42302520, Zugriff 28.8.2018

-ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

-SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den "Islamischen Staat" (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

-SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

1.4.1.2.b. Sicherheitslage in Tschetschenien im Besonderen

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat - etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, auch in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der "Tschetschenisierung" wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

Im gesamten Jahr 2017 gab es in Tschetschenien 75 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 59 Todesopfer (20 Aufständische, 26 Zivilisten, 13 Exekutivkräfte) und 16 Verwundete (14 Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es in Tschetschenien acht Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon sieben Todesopfer (sechs Aufständische, eine Exekutivkraft) und ein Verwundeter (eine Exekutivkraft) (Caucasian Knot 21.6.2018).

Quellen:

-Caucasian Knot (29.1.2018): Infographics.Statistics of victims in Northern Caucasus for 2017 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/42208/, Zugriff 28.8.2018

-Caucasian Knot (21.6.2018): Infographics.Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2018 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/43519/, Zugriff 28.8.2018

-SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan:

Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 28.8.2018

-SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

1.4.1.3. Rechtsschutz / Justizwesen im Allgemeinen

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassungs-, Zivil-, Administrativ- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR, EuR) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 12.2017). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kreml gebunden (FH 1.2018).

In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Laut einer Umfrage des Levada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen aus Ende 2014 rangiert die Justiz (gemeinsam mit der Polizei) im letzten Drittel. 45% der Befragten zweifeln daran, dass man der Justiz trauen kann, 17% sind überzeugt, dass die Justiz das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdient und nur 26% geben an, den Gerichten zu vertrauen (ÖB Moskau 12.2017). Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen: So wurde in einem aufsehenerregenden Fall der amtierende russische Wirtschaftsminister Alexei Ulyukayev im November 2016 verhaftet und im Dezember 2017 wegen Korruptionsvorwürfen seitens des mächtigen Leiters des Rohstoffunternehmens Rosneft zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, FH 1.2018).

2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte (ÖB Moskau 12.2017). Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass bei einer der russischen Verfassung widersprechenden Konventionsauslegung seitens des EGMR das russische Rechtssystem aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt, welches dem VfGH das Recht einräumt, Urteile internationaler Menschenrechtsinstitutionen nicht umzusetzen, wenn diese nicht mit der russischen Verfassung im Einklang stehen. Das Gesetz wurde bereits einmal im Fall der Verurteilung Russlands durch den EGMR in Bezug auf das Wahlrecht von Häftlingen 61 angewendet (zugunsten der russischen Position) und ist auch für den YUKOS-Fall von Relevanz. Der russische Verfassungsgerichtshof zeigt sich allerdings um grundsätzlichen Einklang zwischen internationalen gerichtlichen Entscheidungen und der russischen Verfassung bemüht (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, US DOS 20.4.2018).

Am 10.2.2017 fällte das Verfassungsgericht eine Entscheidung zu

Artikel 212.1 des Strafgesetzbuchs, der wiederholte Verstöße gegen das Versammlungsrecht als Straftat definiert. Die Richter entschieden, die Abhaltung einer "nichtgenehmigten" friedlichen Versammlung allein stelle noch keine Straftat dar. Am 22. Februar überprüfte das Oberste Gericht das Urteil gegen den Aktivisten Ildar Dadin, der wegen seiner friedlichen Proteste eine Freiheitsstrafe auf Grundlage von Artikel 212.1. erhalten hatte, und ordnete seine Freilassung an. Im Juli 2017 trat eine neue Bestimmung in Kraft, wonach die Behörden Personen die russische Staatsbürgerschaft aberkennen können, wenn sie diese mit der "Absicht" angenommen haben, die "Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes anzugreifen". NGOs kritisierten den Wortlaut des Gesetzes, der nach ihrer Ansicht Spielraum für willkürliche Auslegungen bietet (AI 22.2.2018).

Bemerkenswert ist die extrem hohe Verurteilungsquote bei Strafprozessen. Die Strafen in der Russischen Föderation sind generell erheblich höher, besonders im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität. Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet dabei nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Für zu lebenslanger Haft Verurteilte bzw. bei entsprechend umgewandelter Todesstrafe besteht bei guter Führung die Möglichkeit einer Freilassung frühestens nach 25 Jahren. Eine Begnadigung durch den Präsidenten ist möglich. Auch unabhängig von politisch oder ökonomisch motivierten Strafprozessen begünstigt ein Wetteifern zwischen Strafverfolgungsbehörden um hohe Verurteilungsquoten die Anwendung illegaler Methoden zum Erhalt von "Geständnissen" (AA 21.5.2018).

Repressionen Dritter, die sich gezielt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe richten, äußern sich hauptsächlich in homophoben, fremdenfeindlichen oder antisemitischen Straftaten, die von Seiten des Staates nur in einer Minderheit der Fälle zufriedenstellend verfolgt und aufgeklärt werden (AA 21.5.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

-AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html, Zugriff 2.8.2018

-EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 2.8.2018

-FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 1.8.2018

-ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

-US DOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430116.html, Zugriff 2.8.2018

1.4.1.3.a. Rechtsschutz / Justizwesen in Tschetschenien im Besonderen

Das russische föderale Recht gilt für die gesamte Russische Föderation, einschließlich Tschetscheniens. Neben dem russischen föderalen Recht spielen sowohl Adat als auch Scharia eine wichtige Rolle in Tschetschenien. Republiksoberhaupt Ramzan Kadyrow unterstreicht die Bedeutung, die der Einhaltung des russischen Rechts zukommt, verweist zugleich aber auch auf den Ste

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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