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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
B-VG Art133 Abs6Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie die Hofräte Mag. Dr. Köller und Dr. N. Bachler, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision der Finanzmarktaufsichtsbehörde
gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juni 2018, Zl. W204 2152855-1/7E, betreffend Übertretungen des BWG bzw. des FM-GwG (mitbeteiligte Partei: D GmbH in Liqu. in W, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schottenring 19; weitere Partei: Bundesminister für Finanzen), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis vom 3. März 2017 legte die revisionswerbende Partei der mitbeteiligten Partei als juristischer Person nach § 99d Bankwesengesetz (BWG) die Verletzung der in § 40 Abs. 2a Z 1 und 3 BWG normierten Sorgfaltspflichten im Zeitraum von 1. Jänner 2014 bis 4. August 2015 zur Last und verhängte über sie gemäß § 35 Abs. 3 iVm. § 34 Abs. 1 Z 2 Finanzmarkt-Geldwäschegesetz (FM-GwG) eine Geldstrafe in der Höhe von insgesamt EUR 160.000,--.
2 Der dagegen erhobenen Beschwerde der mitbeteiligten Partei gab das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis Folge, behob das Straferkenntnis ersatzlos und stellte das Verwaltungsstrafverfahren ein. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte es für zulässig.
3 In seiner Begründung nahm das Verwaltungsgericht - wie auch die revisionswerbende Partei im Straferkenntnis - zunächst einen Günstigkeitsvergleich nach § 1 Abs. 2 VStG vor. Hinsichtlich der zur Last gelegten Verwaltungsübertretungen habe sich die materielle Rechtslage (gemeint: nach dem am 1. Jänner 2017 in Kraft getretenen FM-GwG) nicht geändert. Allerdings habe sich der Strafrahmen (gemeint: des § 99d Abs. 3 BWG) von bis zu 10 vH des jährlichen Gesamtnettoumsatzes (mit Inkrafttreten des § 35 Abs. 3 FM-GwG) auf EUR 150.000,-- reduziert. Da diese Änderung in ihrer Gesamtauswirkung für die mitbeteiligte Partei günstiger sei, sei für die Strafbemessung das zur Zeit der Entscheidung geltende Recht (damit gemeint: die Strafnorm des § 35 Abs. 3 FM-GwG) anzuwenden.
4 Zur Strafbarkeit der mitbeteiligten Partei führte das Verwaltungsgericht aus, die Anlasstat müsse von einer nach außen zur Vertretung befugten Person rechtswidrig und schuldhaft begangen worden sein, um in einem weiteren Schritt der juristischen Person zugerechnet zu werden. Der rechtskräftige Schuldspruch über die natürliche Person ermögliche erst die Strafbarkeit der juristischen Person. Im vorliegenden Verfahren sei unstrittig zu keiner Zeit ein rechtskräftiger Schuldspruch gegen eine nach außen zur Vertretung befugte Person der mitbeteiligten Partei erlassen worden. Auch sei gegen eine solche keine Verfolgungshandlung gesetzt worden, vor allem nicht vor Ablauf der in diesem Verfahren noch zu beachtenden Verfolgungsverjährungsfrist des "§ 31 Abs. 1 VStG iVm § 99b BWG aF" in der Dauer von 18 Monaten. Somit sei der Nachweis der Tatbegehung nicht erfolgt und könne vom Verwaltungsgericht auch nicht mehr nachgeholt werden, weshalb der Beschwerde stattzugeben, das Straferkenntnis zu beheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen gewesen sei.
5 Die Revision erachtete das Verwaltungsgericht für zulässig, weil Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage fehle, ob die Verhängung einer Geldstrafe über eine juristische Person zunächst die Feststellung eines rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens einer der juristischen Person zurechenbaren natürlichen Person bedürfe, um sodann dieses Verhalten der juristischen Person zurechnen zu können ("zweistufiges Prüfsystem").
6 Das angefochtene Erkenntnis wurde sowohl der revisionswerbenden Partei als auch der mitbeteiligten Partei am 28. Juni 2018 zugestellt.
7 Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsrevision wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts, die nach der Aktenlage am 8. August 2018 von der revisionswerbenden Partei elektronisch gefertigt wurde und am 10. August 2018 beim Verwaltungsgericht einlangte.
8 Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die kostenpflichtige Zurück- oder Abweisung der Revision beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
9 In der Zulässigkeitsbegründung der Amtsrevision wird im Wesentlichen auf die vom Verwaltungsgericht aufgeworfene Rechtsfrage Bezug genommen.
10 Die mitbeteiligte Partei bringt dagegen vor, im vorliegenden Fall sei die dreijährige Frist des § 31 Abs. 2 VStG und nicht die längere fünfjährige Frist des § 36 FM-GwG über die Strafbarkeitsverjährung anzuwenden. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts habe das (allenfalls) strafbare Verhalten der mitbeteiligten Partei spätestens am 4. August 2015 geendet, weshalb die angelasteten Verwaltungsübertretungen spätestens mit Ablauf des 4. August 2018 verjährt seien. Der nunmehr außerhalb der Strafbarkeitsverjährungsfrist eingelangten Amtsrevision fehle daher das rechtliche Interesse an einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes.
11 Dem ist entgegenzuhalten, dass Amtsrevisionen die Verletzung eines subjektiven Rechts der belangten Behörde nicht voraussetzen (vgl. § 28 Abs. 2 VwGG). Bei einer Amtsrevision handelt es sich vielmehr um ein Instrument zur Sicherung der Einheit und Gesetzmäßigkeit der Vollziehung, mit welchem losgelöst vom individuellen Parteieninteresse die objektive Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses geltend gemacht wird. Anders als bei einer Parteienrevision, bei der der Wegfall des Rechtsschutzinteresses vor Erhebung der Revision zur Zurückweisung der Revision führt, kann ein Rechtsschutzinteresse bei einer Amtsrevision nicht wegfallen. Sohin hat der Eintritt der Strafbarkeitsverjährung zwischen Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses und Erhebung der Amtsrevision keine Auswirkungen auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 15.4.2016, Ra 2014/02/0058; 5.9.2013, 2013/09/0091).
12 Es trifft zwar zu, dass die vorliegende Amtsrevision nach dem 4. August 2018 beim Verwaltungsgericht eingelangt ist. Dieses hat das angefochtene Erkenntnis jedoch unstrittig bereits am 28. Juni 2018 - und damit noch innerhalb der dreijährigen Verjährungsfrist des § 31 Abs. 2 VStG - gegenüber der mitbeteiligten Partei rechtswirksam erlassen (vgl. dazu VwGH 13.11.2018, Ra 2018/17/0172). Eine allenfalls nachträglich eingetretene Strafbarkeitsverjährung wirkt sich auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über die vorliegende Amtsrevision nicht aus, weil damit nur die objektive Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses geltend gemacht wird. Daher kann für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof auch dahingestellt bleiben, ob die längere fünfjährige Verjährungsfrist des § 36 FM-GwG auf das gegenständliche Verwaltungsstrafverfahren anzuwenden gewesen wäre. Die von der mitbeteiligten Partei beantragte Zurückweisung der Revision aufgrund fehlenden "rechtlichen Interesses" der revisionswerbenden Partei kommt jedenfalls nicht in Betracht.
13 Die mitbeteiligte Partei bringt zudem vor, dass das BWG keine besondere Verjährungsfristen für Verwaltungsübertretungen nach § 99d BWG enthalte. Aufgrund des eindeutigen Wortlautes des § 99b BWG gelte die längere (18-monatige) Verfolgungsverjährungsfri st nur bei Verwaltungsübertretungen nach §§ 98 und 99 BWG, beziehe sich aber nicht auf § 99d BWG und gelte daher für § 99d BWG nicht. Dies ergebe sich "aus der Zusammenschau" mit den nunmehr in § 36 FM-GwG normierten besonderen Verjährungsbestimmungen. Zudem sei § 99b BWG "historisch" vor Einführung des § 99d in Kraft getreten und könne sich daher gar nicht auf § 99d BWG bezogen haben. Zum Zeitpunkt der ersten Verfolgungshandlung sei die einjährige Verfolgungsverjährung gemäß § 31 Abs. 1 VStG bereits eingetreten.
14 Diesen Ausführungen steht der eindeutige Gesetzeswortlaut des § 99b BWG entgegen, wonach bei Verwaltungsübertretungen "nach diesem Bundesgesetz" anstelle der Verjährungsfrist des § 31 Abs. 1 VStG eine Verjährungsfrist von 18 Monaten gilt. Damit bezieht sich diese Vorschrift selbstredend auch auf Verwaltungsübertretungen nach § 99d BWG.
15 Inwieweit sich das von der mitbeteiligten Partei angedachte Ergebnis "aus der Zusammenschau" mit den in § 36 FM-GwG normierten Verjährungsbestimmungen ergeben sollte, ist angesichts des eindeutigen Wortlautes des § 99b BWG nicht nachvollziehbar. Aus der Tatsache, dass § 99b BWG "historisch" vor der Einführung des § 99d BWG in Kraft getreten ist, ist für den Rechtsstandpunkt der mitbeteiligten Partei nichts zu gewinnen. Vielmehr dürfte dann die mit BGBl. I 2013/33 eingeführte einjährige Frist des § 31 Abs. 1 VStG, die mit 1. Juli 2013 - somit ebenso "historisch" vor Einführung des § 99d BWG - in Kraft getreten ist, auch keine Anwendung finden.
16 Die Amtsrevision erweist sich vielmehr wegen der vom Verwaltungsgericht aufgeworfenen Rechtsfrage als zulässig und berechtigt:
17 In dieser Hinsicht gleicht der vorliegende Fall in allen Sach- und Rechtsfragen jenen im Erkenntnis vom heutigen Tage, Ro 2018/02/0023. Aus den dort angeführten Gründen, auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, war auch im vorliegenden Revisionsfall das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 29. März 2019
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1Besondere RechtsgebieteIndividuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2Rechtsgrundsätze Verjährung im öffentlichen Recht VwRallg6/6European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RO2018020028.J00Im RIS seit
18.06.2019Zuletzt aktualisiert am
18.06.2019