TE OGH 2019/2/27 7Ob92/18g

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.02.2019
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*****Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Mag. Guido Leitgeb, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei E***** M*****, vertreten durch Pichler Rechtsanwalt GmbH in Dornbirn, wegen 8.653,62 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 7. Februar 2018, GZ 22 R 390/17g-20, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 11. September 2017, GZ 12 C 1272/16h-15, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 831,36 EUR (darin enthalten 138,56 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile schlossen am 1. November 2004 auf unbefristete Zeit einen Vertriebsvertrag über den Verkauf von Vignetten durch die Beklagte in einer von ihr gepachteten Tankstelle im Namen und auf Rechnung der Klägerin. Das Vertriebsgebiet war auf diese Tankstelle beschränkt. Beide Vertragspartner konnten den Vertrag unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von 3 Monaten zum Monatsletzten mittels Brief kündigen.

Wegen der Beendigung ihres Tankstellenpachtvertrags durch die Verpächterin wollte die Beklagte den Vertriebsvertrag mit der Klägerin zeitgleich beenden. Die Klägerin selbst „wollte“ das Vertriebsverhältnis zur Beklagten nicht aufkündigen und tat dies auch nicht.

Mit E-Mail vom 15. Juni 2016 kündigte die Beklagte den Vertriebsvertrag zum 31. Juli 2016. Mit E-Mail vom 28. Juni 2016 erklärte die Beklagte den Widerruf der Kündigung „aufgrund Irrtums und da diese nicht den vertraglichen Kündigungsbestimmungen entspricht“.

Mit E-Mail vom 19. Juli 2016 zeigte sich die Beklagte erstaunt, dass ihr Vertrag „bereits ordnungsgemäß mit 31. Juli 2016 gekündigt wurde (laut Vertrag wäre dazu nämlich ein eingeschriebener Brief zwei Monate vorher notwendig gewesen)“.

Die Abrechnung der zurückgegebenen Vignetten ergab eine Forderung der Klägerin gegenüber der Beklagten in Höhe von 16.653,62 EUR. Die Klägerin forderte die Beklagte auf, diesen Betrag bis 31. August 2016 zu bezahlen. Infolge Nichtbezahlung rief die Klägerin die Bankgarantie in Höhe von 8.000 EUR ab.

Die Klägerin begehrt die Zahlung des restlichen Abrechnungsbetrags von 8.653,62 EUR sA. Die Beklagte habe den Vertriebsvertrag aufgekündigt.

Die Beklagte bestritt die Klagsforderung nicht, wandte aber compensando bis zur Höhe der Klagsforderung einen Ausgleichsanspruch in Höhe einer durchschnittlichen Jahresprovision von 8.650 EUR für neu angeworbene Kunden ein. Die Klägerin habe den Vertrag gekündigt, weil ihr seitens der Klägerin mitgeteilt worden sei, dass das Vertragsverhältnis beendet werden müsse. Es seien neue Verträge mit der Nachpächterin abgeschlossen worden. Ansonsten würden ihr die gelieferten Vignetten auch nach dem 31. 7. 2016 verrechnet. Die Auflösung sei daher zumindest einvernehmlich erfolgt. Hilfsweise werde die Gegenforderung auf Schadenersatz gestützt.

Die Gegenforderung bestritt die Klägerin im Wesentlichen damit, dass der Vertrag nicht einvernehmlich beendet worden sei. Die Klägerin habe lediglich die Kündigung der Beklagten unter Verzicht auf die Einhaltung der dreimonatigen Kündigungsfrist akzeptiert.

Das Erstgericht sprach aus, dass die Klagsforderung zu Recht, die Gegenforderung nicht zu Recht bestehe und gab daher dem Klagebegehren statt. Die Beklagte habe den Vertriebsvertrag gekündigt, weil sie den Vertrag zur Mineralölgesellschaft verloren habe. Die Klägerin habe keine Kündigung ausgesprochen und die Beklagte weder in Irrtum geführt noch habe sie sie zur Kündigung veranlasst. Eine einvernehmliche Vertragsbeendigung liege nicht vor, sondern die Klägerin habe nur die von der Beklagten geäußerte Willenserklärung auf Kündigung des Vertrags akzeptiert.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Durch die Aufkündigung des Tankstellenpachtvertrags habe die Beklagte ihren Betriebsstandort zum 31. Juli 2016 verloren. Damit sei die wesentliche Geschäftsgrundlage für den Verkauf von Vignetten weggefallen. Aufgrund dieses Umstands komme der Beweis- und Tatsachenrüge keine entscheidungsrelevante Bedeutung zu. (Die Beklagte bekämpfte folgende erstgerichtlichen Feststellungen: Die Beklagte rief im Juni 2016 bei der Klägerin an und teilte mit, dass sie den Vertriebsvertrag zur Klägerin kündigen wolle. Die Angestellte der Klägerin sagte der Beklagten nicht, dass für den Fall, dass die Beklagte keine Kündigung übersende, die Vignetten an einen Nachpächter geliefert, aber der Beklagten weiter verrechnet würden. Sie begehrt statt dessen folgende Feststellungen: Die Angestellte der Klägerin rief die Beklagte an und teilte ihr mit, dass der Vertriebsvertrag noch nicht gekündigt sei, die Beklagte aber schon einen neuen Vertriebspartner habe und ansonsten die Vignetten dem Nachpächter gebracht, allerdings der Klägerin verrechnet würden, weil ihr Vertrag weiterlaufe.) Der Beklagten habe klar sein müssen, dass mit Beendigung des Tankstellenpachtvertrags auch der Verkauf der Vignetten ein Ende finden müsse. § 24 HVertrG komme als Grundlage für Ausgleichsansprüche der Beklagten auch schon mangels der dort normierten Voraussetzungen (Zuführung neuer Kunden oder wesentliche Erweiterung bereits bestehender Geschäftsverbindungen; erheblicher Vorteilszuwachs aus diesen Geschäftsverbindungen auch nach Auflösung des Vertragsverhältnisses) nicht in Betracht.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision nachträglich zur Frage der Anwendung des HVertrG und der Notwendigkeit einer Auflösungserklärung trotz Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu.

Dagegen richtet sich die Revision der Beklagen mit dem Antrag, die Klage abzuweisen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

1. Nach § 24 HVertrG steht dem Handelsvertreter unter bestimmten, in seinem Abs 1 näher geregelten Voraussetzungen nach Beendigung des Vertragsverhältnisses ein angemessener Ausgleichsanspruch zu. Der Anspruch besteht nach seinem Abs 3 unter anderem nicht, wenn (Z 1) der Handelsvertreter das Vertragsverhältnis gekündigt oder vorzeitig aufgelöst hat, es sei denn, dass dem Unternehmer zurechenbare Umstände, auch wenn sie keinen wichtigen Grund nach § 22 darstellen, hiezu begründeten Anlass gegeben haben, oder (Z 2) der Unternehmer das Vertragsverhältnis wegen eines schuldhaften, einen wichtigen Grund nach § 22 darstellenden Verhaltens des Handelsvertreters gekündigt oder vorzeitig aufgelöst hat.

2. Für die Vertragsbeendigung durch einvernehmliche Auflösung statuiert § 24 HVertrG keine Einschränkungen des Ausgleichsanspruchs (Nocker, HVertrG § 24 Rz 268ff mwN). Eine solche einvernehmliche Lösung muss aber vom rechtsgeschäftlichen Willen beider Vertragsteile getragen sein. Es bedarf übereinstimmender Willenserklärungen der Vertragsparteien (vgl RIS-Justiz RS0017197). Solche übereinstimmenden Willenserklärungen ergeben sich aber nicht aus einer Zusammenschau des unbekämpften und des gewünschten Sachverhalts, steht doch (unbekämpft) fest, dass die Klägerin den Vertriebsvertrag nicht kündigen wollte. Ein dennoch als Einverständnis zu verstehendes Verhalten der Mitarbeiterin der Klägerin ist dem Sachverhalt nicht zu entnehmen. Allein die Willensübereinstimmung zur Verkürzung der Kündigungsfrist bewirkt im Zweifel noch keine einvernehmliche Auflösung des Vertragsverhältnisses (vgl 8 Ob 62/04g; RIS-Justiz RS0028544; Nocker, HVertrG § 24 Rz 269).

Dass der Vertriebsvertrag vereinbarungsgemäß bei jeder Auflösung des Tankstellenpachtvertrags ohne Kündigung enden sollte, ist weder dem unstrittigen Vertragsinhalt noch den Feststellungen zu entnehmen und wird dies von der Revisionswerberin auch nicht weiter begründet.

Der Vertriebsvertrag endete daher mit der Kündigung der Beklagten. Die Kündigung ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung (vgl RIS-Justiz RS0028555, RS0028636). Sie ist mit dem Zeitpunkt des Zugangs an den Erklärungsempfänger wirksam (RIS-Justiz RS0027780 [T59]). Sie kann nicht einseitig widerrufen werden (vgl RIS-Justiz RS0041470, RS0028711; Nocker, HVertrG § 21 Rz 12f). Die Beklagte konnte damit die Kündigung einseitig nicht wirksam widerrufen. Dies wäre nur mit Zustimmung der Klägerin möglich gewesen, die nicht behauptet wurde.

3. § 24 Abs 3 HVertrG schließt als Ausnahme zur Regel des Abs 1 leg cit den Ausgleichsanspruch aus und normiert gleichzeitig für gewisse Kündigungssituationen Unterausnahmen, bei deren Vorliegen der Ausgleich wiederum zusteht (vgl Tschuk, Der Ausgleichsanspruch bei Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses, 15; Petsche/Petsche-Demmel, Handelsvertretergesetz § 24 Rz 17). Bei einer Kündigung des Handelsvertreters steht der Ausgleichsanspruch nach § 24 Abs 3 Z 1 HVertrG als Ausnahme dann zu, wenn dem Unternehmer zurechenbare Umstände, auch wenn sie keinen wichtigen Grund nach § 22 HVertrG darstellen, hiezu begründeten Anlass gegeben haben.

Der Gesetzgeber hat § 24 Abs 3 Z 1 HVertrG zum Schutz des Handelsvertreters eingeführt. Die dem Unternehmer zurechenbaren Umstände und der Begriff des begründeten Anlasses sind weit auszulegen. Der Anlass kann in jedem Verhalten (Tun oder Unterlassen) des Unternehmers bestehen (9 ObA 91/08k; 9 ObA 18/09a). Darunter fallen alle in der Sphäre des Unternehmers entstandenen Motive für die Auflösung. Ein Verschulden des Unternehmers ist nicht notwendig (RIS-Justiz RS0124101 [insbesondere T1]; Tschuk, Der Ausgleichsanspruch bei Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses, 88).

Letztlich geht es darum, dass der Handelsvertreter durch in der Sphäre des Unternehmers liegende Umstände in eine für ihn nicht mehr haltbare Lage gebracht wird, ihm daher die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht mehr zumutbar ist (9 ObA 18/09a; 9 ObA 91/08k; Nocker, HVertrG § 24 Rz 314 ff; Petsche/Petsche-Demmel, Handelsvertretergesetz § 24 Rz 122; Tschuk, Der Ausgleichsanspruch bei Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses, 87). Selbst bei der gebotenen „handelsvertreterfreundlichsten Normauslegung“ ergibt sich aber keine Zurechnung externer Risken an den Unternehmer (9 ObA 90/16z).

4. Für den vorliegenden Fall kommt es daher entscheidend darauf an, wessen Sphäre der Kündigungsgrund zuzurechnen ist. Die Beklagte durfte nach dem Vertriebsvertrag die Vignetten der Klägerin nur an der gepachteten Tankstelle vertreiben. Der Tankstellenpachtvertrag wurde von ihrer Verpächterin aufgelöst. Dies ist der Sphäre der Beklagten zuzurechnen. Dass auch die Klägerin zur Beendigung des Tankstellenpachtvertrags beigetragen hätte, wurde von der behauptungs- und beweispflichtigen Beklagten (7 Ob 122/06a; Tschuk, Der Ausgleichsanspruch bei Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses, 89) nicht dargetan und ist dies auch nicht erkennbar. Ein Ausgleichsanspruch besteht daher infolge Kündigung des Vertriebsvertrags durch die Beklagte nicht zu Recht.

5. Die Beklagte stützt ihren Schadenersatzanspruch darauf, dass sie durch Falschinformationen durch die Mitarbeiterin der Klägerin dazu veranlasst worden sei, eine ihren Ausgleichsanspruch beeinträchtigende Vertragsbeendigung herbeigeführt zu haben. Unabhängig davon, ob den Unternehmer überhaupt nach § 6 HVertrG unter Missachtung der eigenen wirtschaftlichen Interessen aus Rücksicht auf die Ansprüche des Handelsvertreters eine Aufklärungspflicht treffen könnte (dies verneinend: Nocker, HVertrG § 6 Rz 12; Petsche/Petsche-Demmel, Handelsvertretergesetz § 6 Rz 8), ist für die Beurteilung des Schadenersatzanspruchs die unbekämpft gebliebene Feststellung entscheidend, dass die Klägerin zu einer Kündigung nicht bereit war. Es wäre daher auch bei entsprechender Aufklärung der Beklagten zugefallen, das Vertriebsvertragsverhältnis zu beenden. Soweit die Beklagte argumentiert, dass sie bei entsprechender Aufklärung, nicht gekündigt, sondern „einfach keine Geschäfte mehr für die Klägerin“ abgeschlossen hätte, ist ihr zu erwidern, dass ihr in diesem Fall mangels Beendigung des Vertriebsvertrags auch kein Ausgleichsanspruch zugestanden wäre.

Die Gegenforderung besteht daher schon aus diesen Gründen nicht zu Recht, sodass es darauf, ob die Beklagte der Klägerin überhaupt Neukunden zugeführt hat, nicht mehr ankommt. Die Frage der Anwendbarkeit des HVertrG auf das vorliegende Vertriebsvertragsverhältnis muss damit ebenfalls nicht vertieft werden.

Der Revision ist ein Erfolg zu versagen.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.

Textnummer

E124602

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00092.18G.0227.000

Im RIS seit

15.04.2019

Zuletzt aktualisiert am

21.02.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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