TE OGH 2019/3/25 8ObA8/19p

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Veröffentlicht am 25.03.2019
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. 

Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und den Hofrat Dr. 

Stefula als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Werner Hallas und Ing. Karl Melichar in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. B***** H*****, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei T***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Anfechtung einer Kündigung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 17. Dezember 2018, GZ 8 Ra 103/18b-59, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO

zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Der 1966 geborene Kläger arbeitete von 2004 bis 2013 für mit der Beklagten verbundene Gesellschaften sowie für die Beklagte selbst, auf die das Dienstverhältnis letztlich überging, als Einkäufer. Er hatte ein außerordentliches Geschick im Verhandeln von Verträgen. Weil er seinerzeit bei der Besetzung der Position des Leiters der Einkaufsabteilung nicht berücksichtigt worden war, man aber sein Wissen über von ihm verhandelte Verträge nicht verlieren wollte, verdiente er etwa doppelt so viel wie Kollegen. Aufgrund von Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit mit Kollegen wurde der Kläger 2013 zunächst nach Mexiko und in weiterer Folge nach Brüssel entsandt, wo er die Tätigkeit des „Leiters European Affairs“ ausübte. Mitte 2016 wurde der Kläger, zumal das Büro in Brüssel geschlossen wurde, nach Wien zurückbeordert. Im Bereich, in dem der Kläger eingestuft war („KV 7“), waren aber keine Positionen verfügbar. Da weiterhin „kein passender“ Arbeitsplatz für den Kläger bei der Beklagten vorhanden war und die Einigungsgespräche scheiterten, sprach die Beklagte mit Schreiben vom 9. 12. 2016 die Kündigung zum 15. 3. 2017 aus.

Von März 2015 bis November 2016 war bei der Beklagten keine Funktion im Bereich Einkauf mit einer Einstufung in KV 7 ausgeschrieben worden. In der Einstufung KV 6 waren es wenige Positionen in einer neu gegründeten Organisationseinheit für Produktmanagement, auf die sich der Kläger nicht bewarb.

Das Erstgericht wies die Kündigungsanfechtung des Klägers ab.

Das Berufungsgericht änderte das Urteil im klagsstattgebenden Sinn ab. Der Kläger habe bereits im erstinstanzlichen Verfahren ausdrücklich vorgebracht, dass ihm eine andere Verwendungsmöglichkeit von der Beklagten nicht einmal angeboten worden sei. Die Beklagte habe vorgebracht, dass es keine Einsatzmöglichkeiten für den Kläger gebe, da keine offenen Stellen mit seinem Einstufungsgrad bestünden. Gleichzeitig habe sie ausgeführt, es seien bloß Stellen in niedrigeren Kollektivvertrags-Verwendungsgruppen ausgeschrieben gewesen. Der Kläger wäre noch auf Positionen mit deutlich geringerer Kollektivvertrags-Einstufung einsetzbar, die ihm aber im Hinblick auf die zu erwartenden Gehaltseinbußen mit mehr als 50 % nicht angeboten worden seien. Aus den Feststellungen lasse sich nun gerade nicht ableiten, dass im bisherigen Tätigkeitsbereich des Klägers keine freien Stellen vorhanden gewesen wären und insbesondere, dass diese – wenn auch allenfalls geringer entlohnt – dem Kläger von der Beklagten angeboten worden wären. Dass der Kläger selbst hätte initiativ werden und seine Bereitschaft zur Ausübung schlechter entlohnter Tätigkeiten hätte mitteilen müssen, gelte nur für von der bisherigen Tätigkeit stark abweichende, schlechter entlohnte Posten. Demgegenüber verpflichte die soziale Gestaltungspflicht den Arbeitgeber zum Anbot freier Arbeitsplätze, wenn diese der bisherigen Berufspraxis des Arbeitnehmers entsprechen. Der behauptungs- und beweispflichtigen Beklagten sei es daher nicht gelungen nachzuweisen, dass sie ihrer sozialen Gestaltungspflicht nachgekommen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Beklagten gegen diese Entscheidung erhobene außerordentliche Revision

zeigt keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf und ist deshalb nicht zulässig.

1. Es ist nach herrschender Rechtsprechung prozessual unbedenklich, unstrittiges Parteivorbringen ohne weiteres der Entscheidung zugrundezulegen (

2 Ob 206/09x; RIS-Justiz RS0121557 [T8]). Dies gilt auch für das Verfahren in zweiter (1 Ob 68/07t) oder sogar dritter Instanz (2 Ob 206/09x). Dass das Erstgericht nicht feststellte, dass dem Kläger eine andere Verwendungsmöglichkeit von der Beklagten nicht einmal angeboten worden sei, hinderte das Berufungsgericht daher nicht, ausgehend vom Vorbringen der Parteien Besagtes seiner Entscheidung als unstrittig zugrundezulegen (§§ 266 f ZPO).

2.1. Das Gericht hat bei einer Kündigungsanfechtung wegen Sozialwidrigkeit zunächst zu prüfen, ob durch die Kündigung wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigt werden. Ist dies – wie hier nicht mehr strittig – der Fall, so ist das Vorliegen von subjektiven oder objektiven Kündigungsrechtfertigungsgründen zu prüfen und anschließend eine Interessenabwägung vorzunehmen. Bei Vorliegen objektiver Rechtfertigungsgründe ist zu fragen, ob der Arbeitgeber seiner sozialen

Gestaltungspflicht nachgekommen ist; die objektiv betriebsbedingte Kündigung ist nur dann gerechtfertigt, wenn sie als letztes Mittel eingesetzt wird. Kann der Arbeitnehmer auf einem anderen
– freien – Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden, so ist ihm dieser Arbeitsplatz vor Ausspruch der Kündigung anzubieten. Unterlässt der Arbeitgeber dieses Anbot, so ist die Kündigung sozial ungerechtfertigt (RIS-Justiz RS0116698).

2.2. Bei die wesentlichen Interessen der Arbeitnehmer beeinträchtigenden Kündigungen müssen vom Arbeitgeber alle Möglichkeiten zur Weiterbeschäftigung ausgeschöpft werden, um trotz Rationalisierungsmaßnahmen die bisherigen Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen (RIS-Justiz RS0110154 [T2]; RS0052008).

Dabei ist nicht nur auf die vom Arbeitnehmer zuletzt ausgeübte Tätigkeit abzustellen; vielmehr sind sämtliche Tätigkeiten zu berücksichtigen, die er auszuüben bereit und in der Lage ist (9 ObA 233/98z). Mit anderen Worten verpflichtet die soziale Gestaltungspflicht den Arbeitgeber insoweit zum Anbot freier Arbeitsplätze, als diese der bisherigen Berufspraxis des Arbeitnehmers entsprechen (RIS-Justiz RS0051707 [T2]).

Lediglich dann, wenn es sich um eine ungewöhnliche Möglichkeit der Weiterverwendung im Betrieb handelt, muss der Arbeitnehmer selbst initiativ werden und sich um diese Stellen bewerben (RIS-Justiz RS0051923).

2.3. Die

Gestaltungspflicht des Arbeitgebers geht nicht so weit, dass er dem zu kündigenden Arbeitnehmer einen weniger qualifizierten Posten ohne Verringerung des Einkommens anbieten müsste (8 ObA 30/15t; RIS-Justiz RS0116698 [T3]). Handelt es sich aber um einen freien Posten innerhalb der bisherigen Berufspraxis des Arbeitnehmers, so ist ihm dieser vom Arbeitgeber auch dann anzubieten, wenn er schlechter entlohnt ist (9 ObA 233/98z = RIS-Justiz RS0110154 [T1] ähnlich 8 ObA 87/04k; Mair, Betriebliche Erfordernisse und soziale Gestaltungspflicht, wbl 2005, 445 [450]; Wolligger in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 105 ArbVG Rz 216). Dagegen spricht auch nicht die zu 8 ObA 74/08b gebilligte Verneinung einer Verletzung der sozialen Gestaltungspflicht des Arbeitgebers durch das Berufungsgericht. Die einzige Weiterbeschäftigungs-möglichkeit für den Arbeitnehmer hätte nicht nur eine Entgeltverringerung unter die Hälfte des bisherigen Einkommens, sondern auch ein Verlassen der bisherigen Berufspraxis des Arbeitnehmers – eines ausgebildeten Restaurators, wohingegen dessen neue Tätigkeit im Aufsichtsdienst bestanden hätte –bedeutet.

2.4. Der Arbeitgeber hat alle Umstände zu behaupten und zu beweisen, die für die Annahme des Ausnahmetatbestands „betrieblicher Erfordernisse“ der Kündigung wesentlich sind (RIS-Justiz RS0110154).

2.5. Mit diesen Grundsätzen steht das Urteil des Berufungsgerichts im Einklang. Die Beklagte hat, obgleich der Kläger noch auf Positionen mit – wenngleich deutlich geringerer – KV-Einstufung einsetzbar war, ihm diese Positionen – naturgemäß zu dem dafür zustehenden geringeren Entgelt – gar nicht angeboten. Es wurde weder von der Beklagten behauptet, dass sich diese Positionen außerhalb der bisherigen Berufspraxis des Klägers befanden, noch kann den Feststellungen entnommen werden, dass es ausgeschlossen gewesen wäre, dass der Kläger, wäre ihm eine solche Position – wenngleich zu einem wesentlich geringeren Gehalt – konkret angeboten worden, dies abgelehnt hätte. Dies ist insbesondere auch nicht aus der Feststellung ableitbar, dass sich der Kläger auf die Position eines Experten in der Personalentwicklung mit der Einstufung in die Gehaltsklasse KV 5 bewarb, davon aber wieder Abstand nahm, nachdem er von dem zu erwartenden Bruttojahresgehalt zwischen 60.000 und 65.000 EUR erfuhr (der Kläger verdiente zuletzt 180.000 EUR).

3. Soweit sich die Beklagte in der außerordentlichen Revision auf eine Minderleistung des Klägers als subjektiven Kündigungsrechtfertigungsgrund beruft, übergeht sie, dass sie – obgleich auch insofern behauptungs- und beweispflichtig – kein konkretes Vorbringen erstattete, welche Arbeitspflicht der Kläger nicht erfüllt haben soll.

4. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Zurückweisungsbeschluss nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

Textnummer

E124625

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:008OBA00008.19P.0325.000

Im RIS seit

16.04.2019

Zuletzt aktualisiert am

20.02.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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