TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/5 G314 2208559-1

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Veröffentlicht am 05.11.2018
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Entscheidungsdatum

05.11.2018

Norm

BFA-VG §18 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2

Spruch

G314 2208559-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a BAUMGARTNER über die Beschwerde der XXXX, geboren am XXXX, rumänische Staatsangehörige, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 17.10.2018, Zl. XXXX, zu Recht:

A) Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung

zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

B) Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid

ersatzlos behoben.

C) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin (BF) wurde am 15.06.2018 vom Landesgericht XXXX zu einer teilbedingten Geldstrafe verurteilt.

Mit dem Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 17.07.2018 wurde sie aufgefordert, eine Stellungnahme im Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme (Ausweisung oder Aufenthaltsverbot) abzugeben. Sie erstattete keine Stellungnahme.

Mit dem oben angeführten Bescheid wurde gegen die BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein zweijähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit der strafgerichtlichen Verurteilung der BF und der aus dem Fehlen ausreichender Mittel für ihren Lebensunterhalt resultierenden Wiederholungsgefahr begründet. Der damit verbundene Eingriff in ihr Privat- und Familienleben sei verhältnismäßig.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde der BF mit den Anträgen, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen und das Aufenthaltsverbot aufzuheben. Hilfsweise werden die Herabsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbots beantragt und ein Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag gestellt. Die BF begründet die Beschwerde zusammengefasst damit, dass sie sich seit Februar 2018 in Österreich aufgehalten habe, weil sie hier arbeiten wollte. Ihr Aufenthalt sei aufgrund ihres unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts rechtmäßig gewesen. Am 23.10.2018 sei sie nach Rumänien ausgereist. Von ihr gehe angesichts ihrer erstmaligen strafgerichtlichen Verurteilung keine solche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit aus, die ein zweijähriges Aufenthaltsverbot erforderlich mache.

Die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens wurden dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vorgelegt, wo sie am 30.10.2018 einlangten. Das BFA erstattete eine Gegenäußerung zur Beschwerde und beantragte, diese abzuweisen.

Feststellungen:

Die BF ist eine im 30. Lebensjahr stehende rumänische Staatsangehörige. Sie spricht Rumänisch.

Die BF hielt sich erstmal 2009/2010 in Österreich auf, als sie als Obdachlose in XXXX lebte und ihr zwischen Oktober und Dezember 2009 sowie zwischen Mai und September 2010 Hauptwohnsitzbestätigungen gemäß § 19a MeldeG ausgestellt wurden. Danach trat sie erst wieder 2016 im Bundesgebiet in Erscheinung, als sie zwischen 07. und 16.06.2016 als Arbeiterin in Oberösterreich erwerbstätig war. Eine Wohnsitzmeldung lag zu dieser Zeit nicht vor. Zwischen 10.11.2017 und 31.01.2018 war die BF mit Hauptwohnsitz in XXXX gemeldet. Anschließend verließ sie das Bundesgebiet. Ab 19.02.2018 war sie wieder in Österreich aufhältig und mit Hauptwohnsitz in XXXX gemeldet. Bei diesem Aufenthalt war sie - wie auch schon beim vorangegangenen - im Bundesgebiet nicht erwerbstätig und verfügte über keine Krankenversicherung. Ihr wurde nie eine Anmeldebescheinigung ausgestellt.

Der Verurteilung der BF mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom 15.06.2018, XXXX, liegt zugrunde, dass sie am XXXX2018 gemeinsam mit einem Mittäter einem anderen dessen Handy mit Bereicherungsvorsatz wegnahm. Sie wurde deshalb wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen à EUR 4 verurteilt; ein Strafteil von 30 Tagessätzen wurde für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehen. Der unbedingte Strafteil wurde am 19.07.2018 vollzogen. Es handelt sich um die erste strafgerichtliche Verurteilung der BF. Ihre Unbescholtenheit und die Schadensgutmachung wurden als mildernd berücksichtigt; besondere Erschwerungsgründe lagen nicht vor.

Es liegen keine Anhaltspunkte für eine über die Feststellungen hinausgehende Integration oder Anbindung der BF in Österreich vor. Sie verfügt über keine ausreichenden Mittel zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten. Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen nicht vor.

Die Identität des BF wird durch ihren (dem BVwG in Kopie vorliegenden) Personalausweis belegt, der im Oktober 2013 in Rumänien ausgestellt wurde.

Die Inlandsaufenthalte der BF ergeben sich aus den Meldungen laut dem Zentralen Melderegister (ZMR). Es gibt (abgesehen von der Tätigkeit als Arbeiterin zwischen 07. und 16.06.2016, die im Versicherungsdatenauszug aufscheint) keine Anhaltspunkte für eine Erwerbstätigkeit oder eine Krankenversicherung im Inland. Es gibt keine Hinweise darauf, dass die BF je die Ausstellung einer Anmeldebescheinigung beantragte (was insbesondere nicht aus dem Fremdenregister hervorgeht).

Rumänischkenntnisse der BF sind aufgrund ihrer Herkunft plausibel und ergeben sich insbesondere daraus, dass im Strafverfahren die Verständigung mit der Dolmetscherin für diese Sprache erfolgte.

Die Feststellungen zur von der BF begangenen Straftat, zu ihrer Verurteilung und zu den Strafzumessungsgründen basieren auf dem Strafurteil. Die Rechtskraft der Verurteilung wird durch den entsprechenden Eintrag im österreichischen Strafregister belegt, in dem keine weiteren Verurteilungen aufscheinen. In Ermangelung von Hinweisen auf eine Verurteilung der BF in einem anderen Staat ist davon auszugehen, dass es sich um ihre bislang einzige strafgerichtliche Verurteilung handelt. Dafür spricht insbesondere, dass ihre Unbescholtenheit als Milderungsgrund berücksichtigt wurde. Die Rechtskraft der Verurteilung und der Vollzug des unbedingten Strafteils gehen aus dem Strafregister hervor.

Die Mittellosigkeit der BF ergibt sich aus den Fehlen einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit und aus ihren Angaben zum Fehlen finanzieller Mittel im Antrag auf Rückkehrhilfe. Anhaltspunkte für eine über die Feststellungen hinausgehende Integration oder Anbindung der BF in Österreich sind nicht aktenkundig.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Aufgrund der in § 18 Abs 5 BFA-VG nunmehr auch ausdrücklich angeordneten amtswegigen Prüfung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG ist der Antrag des BF, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, weder notwendig noch zulässig und daher zurückzuweisen.

Zu Spruchteil B):

Gegen die BF als EWR-Bürgerin iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG, die weder ihren Aufenthalt seit zehn Jahren kontinuierlich im Bundesgebiet hatte noch das Daueraufenthaltsrecht erworben hat, ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots nach dem ersten bis vierten Satz des § 67 Abs 1 FPG zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet wäre. Das persönliche Verhalten muss nach dieser Bestimmung eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahme nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen oder verwaltungsrechtliche Bestrafungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 19.05.2015, Ra 2014/21/0057).

§ 67 Abs 1 erster bis vierter Satz FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt") enthält einen höheren Gefährdungsmaßstab als § 53 Abs 3 FPG ("schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit"; vgl VwGH 07.05.2014, 2013/22/0233). Die BF wurde zwar von einem Gericht wegen einer innerhalb von drei Monaten nach ihrer Einreise begangenen Vorsatztat rechtskräftig verurteilt, was indiziert, dass ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt (vgl § 53 Abs 3 Z 2 FPG). Gegen sie wurde aber lediglich eine teilbedingte Geldstrafe verhängt, sodass der Tatbestand des § 53 Abs 3 Z 1 FPG (Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen) nicht erfüllt wäre.

Da die BF aber zum ersten Mal strafgerichtlich verurteilt wurde und ihr nur eine einzige Tathandlung gegen fremdes Vermögen ohne besondere Erschwerungsgründe, aber mit wesentlichen Milderungsgründen zur Last fällt, lässt sich aus ihrem Fehlverhalten keine solche Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ableiten, dass der Gefährdungsmaßstab nach § 67 Abs 1 erster bis vierter Satz FPG erfüllt wäre. Auch ihr Gesamtverhalten verwirklicht diesen Gefährdungsmaßstab noch nicht. Weder der von ihr begangene Diebstahl noch das Fehlen einer Erwerbstätigkeit, der notwendigen Existenzmittel und einer Krankenversicherung sind so gravierend, dass deshalb das Vorliegen einer tatsächlichen, gegenwärtigen und erheblichen, ein Grundinteresse der Gesellschaft berührenden Gefahr anzunehmen wäre.

Da aus dem Verhalten der BF keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in maßgeblicher Intensität abgeleitet werden kann, ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen sie unzulässig, ohne dass auf die Frage der Verhältnismäßigkeit eines allenfalls damit verbundenen Eingriffs in ihr Privat- und Familienleben eingegangen und eine Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG vorgenommen werden muss. Sollte sie in Zukunft neuerlich wegen entsprechend schwerwiegender Taten strafgerichtlich verurteilt werden, wird die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen sie neuerlich zu prüfen sein.

Da die BF bereits freiwillig nach Rumänien zurückkehrte, kommt ein Vorgehen nach § 66 FPG, das angesichts ihres Aufenthalts in Österreich ohne Beschäftigung, ohne ausreichende Existenzmittel und ohne Krankenversicherungsschutz nahe gelegen wäre, nicht (mehr) in Betracht, zumal eine Ausweisung einen Inlandsaufenthalt voraussetzt (siehe VwGH 25.01.2018, Ra 2017/21/0237).

Da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist, kann eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG entfallen.

Zu Spruchteil C):

Die einzelfallbezogene Beurteilung betreffend die Gefährdungsprognose hinsichtlich eines Aufenthaltsverbots iSd § 67 Abs 1 erster bis vierter Satz FPG ist im Allgemeinen nicht revisibel (vgl VwGH 01.03.2018, Ra 2018/19/0014). Die Revision war nicht zuzulassen, weil sich das BVwG dabei an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot, aufschiebende Wirkung - Entfall, Privat- und
Familienleben, strafrechtliche Verurteilung, Voraussetzungen,
Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:G314.2208559.1.00

Zuletzt aktualisiert am

11.04.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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