TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/22 W274 2177900-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.01.2019
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Entscheidungsdatum

22.01.2019

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs3
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W274 2177900-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch Mag. LUGHOFER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA Iran, XXXX , vertreten durch Verein ZEIGE, Ottakringer Str. 54/4/TOP 2, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.10.2017, Zl. 1098434606 - 151943372/BMI-BFA_STM_RD, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht:

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Der Beschwerdeführer (BF) stellte am 06.12.2015 - ebenso wie seine Eltern und seine Schwester - einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung am 07.12.2015 gab er an, er sei mit seiner Familie nach Europa gereist, um hier Christ zu werden. Im Iran sei es nicht möglich, seine Religion zu wechseln.

Bei der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gab er im Wesentlichen an, er sei jetzt Christ, zuvor sei er schiitischer Moslem gewesen. Sein Vater habe Probleme bekommen, weil er eine Hauskirche im Iran besucht habe und persönliche Dokumente, darunter auch Dokumente des BF, in der Hauskirche vergessen habe und die Hauskirche entdeckt worden sei. Aus diesem Grund habe der Vater des BF das Land verlassen müssen und der BF sei mit ihm ausgereist. Der Vater des BF sei über einen Freund zum christlichen Glauben gekommen. Manchmal habe auch der BF gemeinsam mit seinem Vater Sendungen über SAT7 und Mohabat TV geschaut. Der Vater des BF habe im Iran einige Hauskirchen besucht. Der BF selbst habe mit einem Freund manchmal über das Christentum gesprochen und sei dann zum Christentum übergetreten, weil sein Vater sich durch den neuen Glauben wesentlich verändert habe. In Österreich besuche der BF regelmäßig die Kirche und den protestantischen Religionsunterricht in der Schule. Am 10.08.2017 sei er in Österreich getauft worden. Im Falle einer Rückkehr in den Iran würde der BF als Christ hingerichtet werden.

Das BFA wies mit dem angefochtenen Bescheid den Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkte I. und II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt und gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung in den Iran zulässig sei (Spruchpunkt III.), und die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen festgesetzt (Spruchpunkt IV.). Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass nicht festgestellt habe werden können, dass der BF Christ sei und im Iran aufgrund eines in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Grundes verfolgt werde oder aktuell einer relevanten Bedrohungssituation für Leib und Leben ausgesetzt sei. Ebensowenig habe eine Verfolgung oder Bedrohungssituation im Falle einer Rückkehr festgestellt werden können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit dem primären Antrag, dem BF den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.

Am 19.11.2018 fand eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, in der die Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung verbunden wurden und der BF als BF1, sein Vater XXXX als BF2, seine Schwester XXXX als BF3 und seine Mutter XXXX als BF4 jeweils als Parteien und Matthias Weigold (Pfarrer der Evangelischen Pfarrgemeinde XXXX ) als Zeuge vernommen wurden.

Die Beschwerde ist im Ergebnis berechtigt:

Festgestellt wird:

Der Iran ist eine Islamische Republik. Der Islam schiitischer Prägung ist im Iran Staatsreligion. Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen.

Da Konversion vom Islam zu einer anderen Religion verboten ist, erkennt die Regierung nur armenische oder assyrische Christen an, da diese Gruppen schon vor dem Islam im Land waren bzw. es sich um Staatsbürger handelt, die beweisen können, dass ihre Familien schon vor 1979 [Islamische Revolution] Christen waren. Die in der iranischen Verfassung anerkannten "Buchreligionen" (Christen, Juden, Zoroastrier) dürfen ihren Glauben im Land relativ frei ausüben. Eine wichtige Einschränkung ist das Proselytismusverbot, das für alle religiösen Minderheiten gilt. Jegliche missionarische Tätigkeit ist verboten und wird streng bestraft. Jegliche Missionstätigkeit kann als "mohareb" (Krieg gegen Gott) verfolgt und mit dem Tod bestraft werden.

Das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit wird sowohl durch Gesetze als auch im täglichen Leben systematisch verletzt. Personen, die zum Christentum übergetreten sind, erhielten hohe Gefängnisstrafen, die in einigen Fällen von zehn bis 15 Jahren reichten. Unter besonderer Beobachtung stehen insbesondere auch hauskirchliche Vereinigungen, deren Versammlungen regelmäßig aufgelöst und deren Angehörige gelegentlich festgenommen werden. Muslimische Konvertiten und Mitglieder protestantischer Freikirchen sind willkürlichen Verhaftungen und Schikanen ausgesetzt.

Apostasie (d.h. Abtrünnigkeit vom Islam) ist im Iran verboten und mit langen Haftstrafen (bis hin zur Todesstrafe) bedroht. Im iranischen Strafgesetzbuch ist der Tatbestand zwar nicht definiert, die Verfassung sieht aber vor, dass die Gerichte in Abwesenheit einer definitiven Regelung entsprechend der islamischen Jurisprudenz zu entscheiden haben. Dabei folgen die Richter im Regelfall einer sehr strengen Auslegung auf Basis der Ansicht von konservativen Geistlichen wie Staatsgründer Ayatollah Khomenei, der für die Abkehr vom Islam die Todesstrafe verlangte. Konvertierte werden jedoch zumeist nicht wegen Apostasie bestraft, sondern aufgrund anderer Delikte, wie zum Beispiel "moharebeh" ("Waffenaufnahme gegen Gott"), "mofsid-fil-arz/fisad-al-arz" ("Verdorbenheit auf Erden"), oder "Handlungen gegen die nationale Sicherheit". In der Praxis sind Verurteilungen wegen Apostasie selten, bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gibt es Hinweise darauf, dass Apostasie einer bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war. Hingegen wurden im Jahr 2016 25 Sunniten u.a. wegen "moharebeh" exekutiert. Christliche Konvertiten werden normalerweise nicht wegen Apostasie bestraft, sondern Fälle von Konversion werden als Angelegenheiten der nationalen Sicherheit angesehen und diese werden vor den Revolutionsgerichten verhandelt. Konversion wird als politische Aktivität angesehen. Die Todesstrafe ist bei Fällen, die mit Konversion zusammenhängen, keine geläufige Bestrafung.

Es kann zumindest nicht ausgeschlossen werden, dass auch ein im Ausland Konvertierter in Iran wegen Apostasie verfolgt wird. Einige Geistliche, die in der Vergangenheit in Iran verfolgt oder ermordet wurden, waren im Ausland zum Christentum konvertiert. Die Tragweite der Konsequenzen für jene Christen, die im Ausland konvertiert sind und nach Iran zurückkehren, hängt von der religiösen und konservativen Einstellung ihres Umfeldes ab. Jedoch wird von familiärer Ausgrenzung berichtet, sowie von Problemen, sich in der islamischen Struktur des Staates zurechtzufinden (z.B. Eheschließung, soziales Leben).

Konvertierte Rückkehrer, die keine Aktivitäten in Bezug auf das Christentum setzen, werden für die Behörden nicht von Interesse sein. Wenn ein Konvertit schon vor seiner Ausreise den Behörden bekannt war, könnte dies anders sein. Wenn er den Behörden nicht bekannt war, dann wäre eine Rückkehr nach Iran kein Problem. Konvertiten, die ihre Konversion aber öffentlich machen, können sich Problemen gegenübersehen.

Das Gesetz sieht Bewegungsfreiheit im Land, Auslandsreisen, Emigration und Repatriierung vor, es gibt jedoch einige Einschränkungen in der Praxis. Die Regierung verlangt von allen Bürgern für Auslandsreisen Ausreisebewilligungen. Zur Ausreise aus Iran benötigt ein iranischer Staatsangehöriger darüber hinaus einen gültigen Reisepass und einen Nachweis über die Bezahlung der Ausreisegebühr (derzeit 750.000 IRR, ca. 19 Euro). Die illegale Ausreise erfolgt zumeist auf dem Landweg unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Türkei (LIB der Staatendokumentation Iran, Stand 03.07.2018, insbesondere S. 42 - 50 samt Quellenangaben).

Der am XXXX in XXXX geborene, ledige BF besuchte im Iran elf Jahre die Schule, ehe er den Iran verließ. Er war schiitischer Moslem, lebte seinen Glauben jedoch nicht aktiv aus, da Religion für ihn nicht wichtig war. Schon im Iran begann der BF Interesse für das Christentum zu entwickeln, indem er mit einem armenischen Schulkollegen über das Christentum sprach und gemeinsam mit seiner Familie Fernsehkanäle mit christlichen Inhalten schaute.

Der BF reiste gemeinsam mit seinem Vater im Dezember 2015 ohne gültige Reisedokumente in Österreich ein. Der BF und sein Vater befanden sich zunächst in unterschiedlichen Asylunterkünften in Salzburg bzw. Oberösterreich und ab März 2016 in XXXX . Seit Mai 2016 lebt die Familie in einer Mietwohnung in XXXX . Die Mutter und Schwester des BF reisten im Februar 2016 nach Österreich und stießen in XXXX zum BF und seinem Vater. Die gesamte Familie befindet sich in Grundversorgung. In XXXX bekamen der BF und seine Familie Unterstützung von einer Frau, die auch den Kontakt zur (persisch-sprachigen) persisch evangelischen Kirche herstellte. Der BF besuchte daher gemeinsam mit seiner Familie circa seit dem Frühjahr 2016 die Persisch Evangelische Kirche in XXXX . Im Zug der Kirchenbesuche wurden der BF und seine Familie auf die Taufe vorbereitet. Am 10.08.2016 wurden der BF und seine Familie in XXXX evangelisch getauft. Seit etwa November 2017 besucht der BF gemeinsam mit seiner Familie - da sich ihr Deutsch verbessert hatte und sie nun keinen persischen Gottesdienst mehr benötigen - wöchentlich den Gottesdienst in der XXXX oder in der XXXX -Heilandskirche. Der BF bekennt sich zum christlichen Glauben, ist praktizierender Angehöriger der evangelischen Kirche und beteiligt sich aktiv am christlichen Leben der genannten Pfarrgemeinde, indem er wöchentlich am Gottesdienst teilnimmt, den Religionsunterricht in der Schule besucht, regelmäßig zum Pfarrcafé kommt, sich an Bibelgesprächen beteiligt, zu kirchlichen Feierlichkeiten beiträgt und an der (auch inhaltlichen) Gestaltung des Kindergottesdienstes mitwirkt. Der BF besitzt auch selbst eine Bibel auf Farsi, die er liest. Der BF verfügt über ein - gemessen an seiner Aufenthaltsdauer - beachtliches Wissen über die Bibel, die christlichen Feiertage und Traditionen.

Bei einer Rückkehr in den Iran würde der BF nicht zum Islam zurückkehren, sondern Christ bleiben, seine Religion aktiv ausüben und versuchen seine Religion auch weiterzugeben.

Nicht festgestellt werden konnte, dass der Vater des BF persönliche Unterlagen, unter anderem auch solche des BF, in einer Hauskirche im Iran vergessen hatte und dass diese in weiterer Folge von iranischen Behörden - im Rahmen der Aufdeckung der Hauskirche - dort gefunden wurden.

Der BF besuchte mehrere Deutschkurse (bis zum Niveau B1) sowie einen Erste-Hilfe-Kurs, war regelmäßig als ehrenamtlicher Dolmetscher im Rahmen der Transitflüchtlingsbetreuung in der Stadt XXXX tätig und half auch bei anderen Tätigkeiten in der Flüchtlingsbetreuung durch das Rote Kreuz mit, wobei ihm besondere Zuverlässigkeit und Bereitschaft zur Integration bescheinigt wurden (Bestätigung des Österreichischen Roten Kreuzes XXXX vom 09.02.2016). Ab 02.08.2017 war er als freiwilliger Mitarbeiter bei der Team Österreich Tafel tätig (Bestätigung des Österreichischen Roten Kreuzes XXXX vom 05.11.2018). Im Zeitraum von 20.08.2018 bis 24.08.2018 leistete er für die Jugend am Werk GmbH gemeinnützige Arbeit in Form von Straßenreinigung in der Stadt XXXX . Der BF schloss die 5. und 6. Klasse des Privaten Oberstufenrealgymnasiums XXXX als ordentlicher Schüler erfolgreich ab und besucht die 7. Klasse des Privaten Oberstufenrealgymnasiums XXXX im Jahr 2018/19.

Der BF ist in Österreich unbescholten (Strafregisterauskunft vom 11.10.2018).

Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Person des BF und seinem Leben im Iran ergeben sich aus seinen diesbezüglich gleichlautenden und in sich schlüssigen Angaben vor dem BFA sowie vor dem Bundesverwaltungsgericht. Damit übereinstimmend erweisen sich auch die Aussagen der Eltern des BF im Verfahren zu GZ. W274 2177906-1 und W274 2177909-1 sowie der Aussagen seiner Schwester im Verfahren zu GZ. W274 2177902-1. Die Feststellungen zum bisherigen Aufenthalt des BF in Österreich ergeben sich aus den im Akt befindlichen Unterlagen. Wie der BF in Österreich zur Kirche fand, dass er getauft und insbesondere durch den Besuch von Gottesdiensten über ein Jahr lang auf die Taufe vorbereitet wurde, ergibt sich aus seinen widerspruchsfreien Angaben sowie den übereinstimmenden Angaben seiner Familienangehörigen in deren Verfahren und wurde auch vom Pfarrer der Evangelischen Pfarrgemeinde XXXX in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie durch die vorliegende pfarramtliche Bestätigung der Evangelischen Pfarrgemeinde XXXX vom 30.10.2018 bestätigt.

Der BF hat sowohl vor dem BFA als auch vor dem Bundesverwaltungsgericht konsistent geschildert, dass es bereits im Iran zu ersten Berührungspunkten mit der christlichen Glaubenslehre kam. Einerseits habe er einen gebürtigen Christen als Schulfreund gehabt, mit dem er sich manchmal über das Christentum unterhalten habe. Andererseits sei er über seinen Vater dazu gekommen, Fernsehkanäle mit christlichen Inhalten (SAT7, Mohabat TV) anzuschauen. Es gibt fallbezogen keine Anhaltspunkte, die nahelegen würden, diese Aussagen des BF als unglaubhaft zu erachten. Diese Aussagen schildern ein in sich stimmiges, widerspruchsfreies Bild und stimmen auch mit den Aussagen der Familienmitglieder des BF überein. So gab etwa sein Vater bei der Einvernahme vor dem BFA an, über den Vater des armenischen Schulfreundes des BF zum christlichen Glauben gekommen zu sein, da jener ihm zuerst die Fernsehkanäle SAT7 und Mohabat TV und später auch eine Hauskirche gezeigt habe. Auch die Mutter sowie die Schwester des BF schilderten, wie der Vater der Familie über den Vater eines Schulfreundes des BF zum christlichen Glauben gekommen sei, ihnen die Fernsehkanäle gezeigt habe und diese Fernsehkanäle bei allen Familienangehörigen Interesse hervorgerufen hätten. Auch das Vorbringen des BF zu den Fernsehkanälen deckt sich mit den weiteren Ermittlungen des Bundesverwaltungsgerichts. Sowohl der Fernsehkanal "SAT7" (siehe www.sat7.org, abgerufen am 03.01.2019) als auch der Fernsehkanal "Mohabat TV" (siehe www.mohabat.tv, abgerufen am 03.01.2019) sind Fernsehkanäle für Christen, die auch in Farsi, der Muttersprache des BF, übertragen werden.

Hinsichtlich der behaupteten Konversion des BF kann sowohl der Niederschrift über die Einvernahme vor dem BFA als auch dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ein gutes Allgemeinwissen des BF zum Christentum entnommen werden (zB. Kenntnisse zu den einzelnen Feiertagen, zur Hl. Maria, zum letzten Abendmahl, zum Aufbau der Bibel und den Evangelisten sowie zu wesentlichen Bibelinhalten). Der BF zeigte auch Unterschiede zwischen Christentum und Islam auf, die für ihn persönlich als Grund für den Glaubenswechsel dienten. Darüber hinaus manifestiert sich der christliche Glaube des BF in äußeren Aktivitäten. Der BF liest die Bibel, betet, nimmt an Bibelgesprächen teil, gestaltet den Kindergottesdienst mit und stellt dem Pfarrer theologische Fragen. Der BF nimmt auch aktiv an der christlichen Gemeinschaft teil. Besonders nachvollziehbar schilderte dies der Pfarrer der Evangelischen Pfarrgemeinde XXXX in der mündlichen Verhandlung: "Die Familie tritt meist zu viert, manchmal auch zu zweit oder zu dritt auf. Es ist durchaus ungewöhnlich, dass vor allem Kinder in diesem Alter pfarrlich in Erscheinung treten. Sie kommen regelmäßig in den Gottesdienst. Sie sind auch regelmäßig beim Kirchenkaffee dabei. [...] Ich kenne sie weiters aus den Bibelgesprächen, an denen sie sich rege beteiligen. Sie beteiligen sich durch mitdenken und mitreden. [...] Sie sind immer wieder, entweder nach oder vor dem Gottesdienst, mit theologischen Fragen zu mir gekommen und wollten es wirklich genau wissen. Ich habe mich mal gefragt, wie sie auf diese Fragen kommen und bin darauf gekommen, dass sie Bibel lesen. Sie pflegen eine Urform evangelischer Frömmigkeit, Bibel lesen und beten. Wenn ich sehe wie ihre Bibel ausschauen, das sind bearbeitete Bücher. Sie holen sich, von mir wahrgenommen, Kraft von den Gebeten und den Gottesdiensten. [...] Besonders bei XXXX ist mir aufgefallen, dass er aus der Kombination seiner Sprachkenntnisse und dem Religionsunterricht die Fähigkeit hat, im Kindergottesdienst mitzuarbeiten, nicht nur Sesselherrichten, sondern auch inhaltlich und thematisch. Erstmals hat er das am Karfreitag 2018 gemacht."

Dass der BF seine Kenntnisse zur Religion bzw. zur Bibel nicht auswendig gelernt, sondern auch dem Sinn nach erfasst und verinnerlicht hat, zeigen einerseits seine spontanen Antworten auch auf komplexere Fragen (siehe zB. das Protokoll über die mündliche Verhandlung, wo der BF über Vorhalt, dass in der Bibel "Auge um Auge, Zahn um Zahn" stehe, ausführte: "In der Bibel steht aber auch, dass man Verzeihen muss.

Auf Basis der im Verfahren dargelegten inneren Überzeugung des BF vom Christentum ist auch seine Aussage glaubhaft, dass er im Falle einer Rückkehr in den Iran eine Kirche bräuchte und die Möglichkeit haben müsse, den Leuten zu erzählen, was Jesus gemacht hat.

Nicht nachvollziehbar war hingegen der vom BF und auch von den übrigen Familienmitgliedern geschilderte Vorfall, wonach der Vater des BF persönliche Dokumente der Familie in der Hauskirche vergessen habe und die Hauskirche sodann entdeckt und umstellt worden sei. Zunächst erscheint es sehr unwahrscheinlich, dass die Hauskirche gerade an jenem Tag, an dem der Vater des Unterlagen dort vergessen haben will, aufgedeckt worden sei. Nach den Schilderungen des BF war dieser Vorfall Anlass für eine etwa halbstündige Familienbesprechung in einem Park, bei der entschieden worden sei, dass die ganze Familie das Land verlassen müsse. Der BF sowie sein Vater seien kaum zwölf Stunden später bereits in einem Flugzeug in die Türkei gesessen. Dieses Vorbringen erscheint nicht plausibel, da einerseits die Regierung von allen Bürgern für Auslandsreisen Ausreisebewilligungen verlangt. Zur Ausreise aus Iran benötigt ein iranischer Staatsangehöriger auch einen gültigen Reisepass und einen Nachweis über die Bezahlung der Ausreisegebühr. Es erscheint daher bereits aus organisatorischen Gründen nicht wahrscheinlich, dass eine so kurzfristige Flucht möglich war. Andererseits erscheint es wenig nachvollziehbar, dass es dem Vater gelungen ist, in so kurzer Zeit (nach den Angaben der Familienmitglieder habe man das gesamte Vorgehen bei einem Treffen im Park, welches etwa eine halbe Stunde gedauert habe, beschlossen) seine ganze Familie, die im Iran ein wirtschaftlich gutes Leben geführt hat, davon zu überzeugen, dieses gesamte Leben (samt Ausbildung, Job, Freunden, Familie, Immobilie etc.) hinter sich zu lassen und - ohne ein einziges Mal zum Familienhaus zurückzukehren - das Heimatland bzw. die Heimatstadt zu verlassen. Diese gravierende Entscheidung ist insbesondere auch vor dem Hintergrund der in den Länderfeststellungen geschilderten Konsequenzen eines (wie vom Vater geschilderten) Hauskirchenbesuches nicht nachvollziehbar. Entsprechend den Länderfeststellungen werden in der Regel nur Organisatoren der Hauskirchen gerichtlich verfolgt, während Hauskirchenmitglieder, die zum ersten Mal festgenommen werden, normalerweise nach 24 Stunden wieder freigelassen werden. Die Gefährdung für den Vater des BF und die restliche Familie war daher nicht so groß, dass eine so abrupte Flucht der ganzen Familie die denklogische Konsequenz darstellt.

Die Feststellungen zur Verfolgungssituation von Christen im Iran beruhen auf dem LIB in der zitierten Fassung.

Rechtlich folgt:

Gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Gemäß Abs 2 kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Heimatstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).

Gemäß Abs 3 ist der Antrag abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht oder ein Asylauschlussgrund gesetzt wurde.

Gemäß § 2 Abs 1 Z 11 und 12 ist Verfolgung jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art 9 Statusrichtlinie, Verfolgungsgrund ein in Art 10 Statusrichtlinie genannter Grund.

Nach Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Nach Art 9 der Statusrichtlinie (2011/95/EU) muss eine Verfolgungshandlung iSd Genfer Flüchtlingskonvention aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sein, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt oder in einer Kulminierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend sind, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist.

Unter anderem können als Verfolgung folgende Handlungen gelten:

? Anwendung physischer oder psychischer, einschließlich sexueller Gewalt,

? gesetzliche, administrative, polizeiliche und/oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder diskriminierend angewandt werden,

? unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,

? Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,

? Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich des Art 12 Abs 2 fallen und

? Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob der Antragsteller tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

Nach den alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union bindenden normativen Vorgaben des Artikel 10 Absatz 1 b, RL 2011/95/EG, kann einem Flüchtling nicht zugesonnen werden, sich bei der Religionsausübung auf das "Forum Internum" zu beschränken, somit seinen Glauben heimlich auszuüben. Diesem muss die öffentliche Ausübung des christlichen Glaubens in Lehre, Gottesdienst und Sakramentsverwaltung möglich sein (Forum Externum)".

Der VwGH hat sich mehrfach mit drohender Verfolgung von zum christlichen Glauben konvertierten Muslimen im Iran befasst (zB. Erkenntnis vom 19.12.2001, 2000/20/0369; Ra 2014/01/0117). Danach kommt es darauf an, ob der Asylwerber bei weiterer Ausführung des inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, aus diesem Grund mit einer die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktion belegt zu werden. Feststellungen zu behaupteten aktuell bestehenden Glaubensüberzeugung sind im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von - allfälligen - Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln (Erkenntnis des VwGH vom 23.6.2015, Ra 2014/01/0117 mwN).

Wie in den Länderfeststellungen aufgezeigt, bedeutet der Abfall vom Islam nach islamischem Verständnis einen hochverratsähnlichen Angriff auf das Staats- und Gesellschaftssystem und es ist nicht auszuschließen, dass der BF bei einer Rückkehr in den Iran dort Verfolgungshandlungen bis hin zur Todesstrafe ausgesetzt ist.

Nach den Feststellungen liegt beim BF eine Verfestigung des christlichen Glaubens im Sinne einer inneren Konversion vor. Im Fall einer Rückkehr in den Iran könnte er als nicht geborener Christ keinerlei der jetzigen Glaubensbetätigung entsprechende Ausübung des christlichen Glaubens vornehmen, ohne mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit von im Rahmen des Artikel 1, Abschnitt A, Ziffer 2 der Genfer Flüchtlingskonvention relevanten Verfolgungsmaßnahmen betroffen zu sein. Im Falle der Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit, wie etwa der Teilnahme an öffentlichen Gottesdiensten oder Gebeten in Gemeinschaft mit anderen oder letztlich im Falle des Versuches, andere vom Christentum überzeugen zu wollen, würde sich der BF einer beachtlichen Gefahr staatlicher Willkürmaßnahmen aussetzen. Er würde daher bei Rückkehr in sein Heimatland Gefahr laufen, auf Grund seiner Religionszugehörigkeit asylrelevant verfolgt zu werden.

Eine innerstaatliche Fluchtalternative ist auf Grund des Umstands, dass die Verfolgung im gesamten Staatsgebiet des Iran besteht, auszuschließen.

Da der BF daher den Flüchtlingsbegriff des Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 Genfer Flüchtlingskonvention erfüllt und kein Ausschlussgrund gemäß § 6 AsylG 2005 besteht, war der Beschwerde Folge zu geben, dem BF der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen und gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 festzustellen, dass diesem kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Angesichts des Umstandes, dass seit der erstinstanzlichen Entscheidung mittlerweile ein Zeitraum von über einem Jahr vergangen ist, in dem sich die Beschäftigung mit der christlichen Glaubenslehre und die Ausübung des Glaubens durch den BF fortgesetzt und intensiviert hat, kann eine nähere Auseinandersetzung mit der Argumentation des BFA, die auf einer nunmehr als überholt zu betrachtenden Sachlage beruht, dahinstehen.

Die Unzulässigkeit der Revision gründet auf Art 133 Abs 4 B-VG, wobei zur asylrechtlichen Bedeutung von Konversion allgemein und speziell bei Iranern bereits umfangreiche höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliegt und im Wesentlichen Umstände des Einzelfalls zu beurteilen waren.

Schlagworte

Asylgewährung, asylrechtlich relevante Verfolgung, Asylverfahren,
Christentum, erhebliche Intensität, Gesamtbetrachtung,
Glaubhaftmachung, Glaubwürdigkeit, inländische Schutzalternative,
innerstaatliche Fluchtalternative, Konversion, maßgebliche
Wahrscheinlichkeit, mündliche Verhandlung, Nachvollziehbarkeit,
Religionsausübung, Religionsfreiheit, religiöse Gründe,
Unzumutbarkeit, Verfolgungsgefahr, Verfolgungshandlung, Willkür,
wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W274.2177900.1.00

Zuletzt aktualisiert am

10.04.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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