TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/31 W274 2179601-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.01.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

31.01.2019

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs3
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W274 2179601-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch Mag. LUGHOFER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, iranischer Staatsbürger, XXXX gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.11.2017, Zl. 1093049702/151668797, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht:

Der Beschwerde wird Folge gegeben und XXXX gemäß §3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß §3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX damit Kraft des Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Der Beschwerdeführer (BF) beantragte, nachdem er am 02.02.2015 mit einem Studentenvisum nach Österreich eingereist war, am 22.10.2015 vor der Abteilung Fremdenpolizei und Anhaltevollzug der Landespolizeidirektion Wien internationalen Schutz. Im Rahmen der Erstbefragung am 02.11.2015 gab er an, vor ca. 10 Jahren den Islam (Glaube) verlassen zu haben und zum Christentum konvertiert zu sein. Deswegen werde er im Iran verfolgt und könne nicht mehr zurück. Er sei vor zwei Wochen bei einer Moschee in der Nähe seines Wohnortes im Iran in Abwesenheit durch den Imam zum Tode verurteilt worden, was er durch Telefon erfahren habe.

Bei der Einvernahme vor dem BFA am 31.10.2017 gab er im Wesentlichen an, vor ca. 12 oder 13 Jahren praktisch von der Religion abgefallen zu sein. Er habe vor Freunden und Nachbarn verbreitet, ohne Bekenntnis zu sein, wobei er damals noch an Gott geglaubt habe. In der Nachbarschaft seien auch Angehörige der Basiji und Sepah gewesen. In der nächsten Zeit habe ihn ein Auto bewusst überfahren, wodurch er mehrere Knochenbrüche erlitten habe. Das Auto sei weggefahren. Später hätten ihn Nachbarn mit dem Tod bedroht. Eine Knochentransplantation bzw. Beinamputation habe gedroht. Er habe an Jesus Christus gedacht und dieser habe ihn geheilt. Am 20.01.2005 sei er fest von Jesus Christus überzeugt gewesen. Etwa zwei Wochen vor der Asylantragsstellung hab er seine Schwester missioniert. Diese habe darüber mit deren Mutter gesprochen. Die Mutter habe eine offene Hirn OP gehabt und sei abgelenkt gewesen. Aus Versehen habe sie dem Seelsorger über seinen neuen Glauben erzählt. Deshalb sei sein Leben in Gefahr.

Er sei in Österreich ein Mitglied der Kirche und in Österreich getauft worden.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies das BFA den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten sowie des subsidiär Schutzberechigten mit Bezug auf den Herkunftsstaat Iran ab (Spruchpunk I. und II.), erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen gemäß § 57 AsylG, erließ eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG und stellte fest, dass die Abschiebung nach Iran zulässig sei (Spruchpunkt III.) und bestimmte die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.). Begründend führte das BFA zusammengefasst aus, die Fluchtgeschichte rund um Bedrohungen aufgrund einer vermeintlichen Konversion sei als nicht glaubhaft einzustufen, weshalb keine GFK relevanten Fluchtgründe vorlägen. Aus den Feststellungen zum Iran ergäbe sich kein Hinweis, dass im gesamten Staatsgebiet eine extreme Gefahrenlage mit exzessiver und unkontrollierter Gewaltanwendung gegenüber der Zivilbevölkerung oder eine unmenschliche Behandlung bewirkende humanitäre Situation vorliege. Auch die medizinische und ökonomische Versorgung sei grundsätzlich gewährleistet. Es hätten sich auch keine Anhaltspunkte ergeben, die die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz rechtfertigen würden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit dem primären Antrag, dem BF den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.

Am 14.11.2018 fand vor dem BVwG eine mündliche Verhandlung statt, in der der BF sowie der Zeuge XXXX einvernommen sowie weitere Urkunden vorgelegt wurden.

Die Beschwerde ist im Ergebnis berechtigt:

Festgestellt wird:

Fallbezogen stellt sich die Situation im Iran derzeit wie folgt dar:

Allgemeine Lage

Iran ist eine islamische Republik mit etwa 80 Millionen Einwohnern. Staatsoberhaupt und Revolutionsführer ist Ayatollah Seyed Als Khamene-i, Präsident seit 2013 Hassan Rohani. Dem Staatsoberhaupt unterstehen u.a. die Revolutionsgarden (Pasdaran) und die mehrere Millionen Mitglieder umfassenden Basij-Milizen. Islamische und demokratische Elemente bestehen nebeneinander. Eine demokratische Verfassung im europäischen Sinn besteht nicht. Die allgemeine Sicherheitslage ist mit Ausnahme der Provinzen Sistan-Belutschistan, Kurdistan und West-Aserbaidschan, in denen es immer wieder zu Konflikten zwischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppen und Anschlägen gegen die Sicherheitskräfte kommt, ruhig, wobei latente Spannungen bestehen. Die verfassungsrechtlich festgeschriebene Unabhängigkeit der Justiz unterliegt Begrenzungen. Vor allem der Sicherheitsapparat nimmt in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung. Allgemein erfüllen Gerichtsverfahren internationale Standards nicht. Obwohl nach der Verfassung primär kodifiziertes Recht anzuwenden ist, kann im Zweifelsfall nach der iranischen Verfassung die Scharia vorrangig angewandt werden. Nach wie vor werden Körperstrafen und Todesstrafe angewandt. Es kommt immer wieder zu willkürlichen Verhaftungen, insbesondere im Zusammenhang mit politischer Überzeugung. Basij-Kräfte sind eine freiwillige paramilitärische Gruppierung, die oft bei der Unterdrückung von Oppositionellen oder der Einschüchterung von Zivilisten, die den strikten Moralkodex nicht befolgen, involviert sind. Die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasadaran-e Enghelab-e Islami - IRGC) sind herausragend im Sicherheitasapparat, sie sind eine Parallelarmee und haben Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchsetzt. Sie verfügen über eigene Gefängnisse. Mit willkürlichen Verhaftungen muß im Iran gerechnet werden. Auffälliges Hören von (westlicher) Musik, die Äußerung einer eigenen Meinung zum Islam, gemeinsame Autofahrten junger nicht verheirateter Männer und Frauen, gemischtgeschlechtliche Partys oder das Verstoßen gegen Bekleidungsvorschriften kann den Unmut zufällig anwesender Basijs bzw. mit diesen sympathisierenden Personen hervorrufen. Es kann auch zu einem Verprügeln durch Basij kommen. Die genaue Überwachungskapazität der iranischen Behörden ist unbekannt.

Auch 2017 wurden grausame und unmenschliche Strafen (zB. Peitschenhiebe, Amputationen) vollstreckt. Die Todesstrafe steht auf Mord, Sexualdelikte, gemeinschaftlichen Raub, wiederholten schweren Diebstahl, Drogenschmuggel, schwerwiegende Verbrechen gegen die Staatssicherheit, Abfall vom islamischen Glauben und homosexuelle Handlungen. Der Häufigkeit nach wird sie primär bei Drogendelikten, dann Mord und Sexualdelikten angewandt. Laut AI wurden 2017 mindestens 507 Personen hingerichtet. Auch 2016 war Iran mit hoher Wahrscheinlichkeit das Land mit der weltweit höchsten Hinrichtungszahl im Verhältnis zur Bevölkerung.

Religionsfreiheit, Situation von Christen und Konversion

99% der Bevölkerung gehören dem Islam (Staatsreligion) an. Etwa 90% der Bevölkerung sind Schiiten, ca. 9% Sunniten, der Rest Christen, Juden, Zorostrier, Baha-i, Sufis und kleinere religiöse Gruppen. Die in Art. 13 der iranischen Verfassung anerkannten "Buchreligionen" (Christen, Juden, Zoroastrier) dürfen ihren Glauben relativ frei ausüben. In Fragen des Ehe-und Familienrechts genießen sie verfassungsrechtlich Autonomie. Etwa 100.000 bis 300.000 - vornehmlich armenische - Christen leben im Iran, hauptsächlich in Teheran und Isfahan. Ihnen stehen zwei der 290 Parlamentssitze zu. Die Mehrheit der iranischen Christen ist den ethnischen Christen zuzuordnen (armenische, assyrische und chaldäische). Die nicht-ethnischen Christen gehören hauptsächlich der katholischen und protestantischen Kirche an und haben ihren Ursprung in der Zeit des Schah-Regimes. Jegliche Missionstätigkeit kann als "mohareb" (Krieg gegen Gott) verfolgt und mit dem Tod bestraft werden. Ihre Vertreter unterliegen Beschränkungen beim Zugang von höheren Staatsämtern. Anerkannte religiöse Minderheiten - Zoroastrier, Juden, armenische und assyrische Christen - werden diskriminiert, nicht anerkannte nicht-schiitische Gruppen (Bahá'í, konvertierte evangelikale Christen, Sufi, Atheisten) in unterschiedlichem Grad verfolgt. Sunniten werden v.a. beim beruflichen Aufstieg diskriminiert. Anerkannte religiöse Minderheiten sind in ihrer Glaubensausübung nur geringen Einschränkungen unterworfen (religiöse Aktivitäten sind nur in den jeweiligen Gotteshäusern und Gemeindezentren erlaubt, christliche Gottesdienste in Farsi sowie missionarische Tätigkeiten sind verboten).

Das Recht, eine Religion zu wechseln oder aufzugeben, wird weiterhin verletzt. Personen, die zum Christentum übergetreten waren, erhielten hohe Gefängnisstrafen (10 bis 15 Jahre). Es gab weiterhin Razzien in Hauskirchen. Personen, die sich zum Atheismus bekannten, konnten jederzeit willkürlich festgenommen, inhaftiert, gefoltert und misshandelt werden. Sie liefen Gefahr, wegen "Apostasie" (Abfall vom Glauben) zum Tode verurteilt zu werden. Unter besonderer Beobachtung stehen hauskirchliche Vereinigungen, deren Versammlungen regelmäßig aufgelöst und deren Angehörige gelegentlich festgenommen werden. Muslimische Konvertiten und Mitglieder protestantischer Freikirchen sind willkürlichen Verhaftungen und Schikanen ausgesetzt. 2016 sollen 198 Gefangene wegen "Feindschaft gegen Gott", 31 wegen "Beleidigung des Islam" und 12 wegen "Korruption auf Erden" inhaftiert gewesen sein. Laut der Gefangenenliste von Open Doors mit Stand September 2017 befanden sich 56 Christen in Haft, fünf wurden freigelassen, 13 wurden auf Kaution freigelassen und zehn mit dem Verbot das Land zu verlassen freigelassen.

Apostasie (Abtrünnigkeit vom Islam) ist verboten und mit langen Haftstrafen bis zur Todesstrafe bedroht. Im iranischen Strafgesetzbuch ist der Tatbestand zwar nicht definiert, die Verfassung sieht aber vor, dass die Gerichte in Abwesenheit einer definitiven Regelung entsprechend der islamischen Jurisprudenz zu entscheiden haben. Dabei folgen die Richter im Regelfall einer sehr strengen Auslegung auf Basis der Ansicht von konservativen Geistlichen wie Staatsgründer Ayatollah Khomenei, der für die Abkehr vom Islam die Todesstrafe verlangte. Konvertierte werden jedoch zumeist nicht wegen Apostasie bestraft, sondern aufgrund anderer Delikte, wie zum Beispiel "moharebeh" ("Waffenaufnahme gegen Gott"), Verdorbenheit auf Erden, oder "Handlungen gegen die nationale Sicherheit". Bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gibt es Hinweise darauf, dass Apostasie einer bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war. Christliche Konvertiten werden normalerweise nicht wegen Apostasie bestraft, sondern solche Fälle als Angelegenheiten der nationalen Sicherheit angesehen und vor den Revolutionsgerichten verhandelt. Konversion wird als politische Aktivität angesehen. Für Konversion wurde in den letzten zehn Jahren keine Todesstrafe ausgesprochen. Allein wegen Konversion werden keine Gerichtsverfahren geführt. Missionstätigkeit unter Muslimen kann eine Anklage wegen Apostasie und Sanktionen bis zur Todesstrafe nach sich ziehen. In Iran Konvertierte nehmen von öffentlichen Bezeugungen ihrer Konversion naturgemäß abstand, behalten ihren muslimischen Namen und treten in Schulen, Universitäten und am Arbeitsplatz als Muslime auf.

Es kann zumindest nicht ausgeschlossen werden, dass auch ein im Ausland Konvertierter in Iran wegen Apostasie verfolgt wird. Die Tragweite der Konsequenzen für jene Christen, die im Ausland konvertiert sind und nach Iran zurückkehren, hängt von der religiösen und konservativen Einstellung ihres Umfeldes ab. Es wird diesbezüglich von familiärer Ausgrenzung berichtet sowie von Problemen, sich in der islamischen Struktur des Staates zurechtzufinden. In Familien eines öffentlich Bediensteten oder eines Polizisten wird die Konversion als Familienmitglied als heikel eingeschätzt, wobei es sein kann, dass der Konvertit aus der Familie verbannt oder den Behörden gemeldet wird, um die Arbeit des Amtsträgers nicht zu beeinträchtigen. Die Schließungen der "Assembly of God" Kirchen im Jahr 2013 führten zu einer Ausbreitung der Hauskirchen. Deren Anzahl steigt. Es ist schwierig diese zu kontrollieren, da sie verstreut, unstrukturiert und ihre Örtlichkeiten meist nicht bekannt sind. Sie werden teils überwacht. Die Behörden nutzen Informanten, die die Hauskirchen infiltrieren. Diese organisieren sich daher in kleinen und mobilen Gruppen. Wenn Behörden Informationen bezüglich einer Hauskirche bekommen, wird ein Überwachungsprozess in Gang gesetzt. Ob die Behörden eingreifen, hängt von den Aktivitäten und der Größe der Hauskirche ab. Die Überwachung von Telekommunikation, Social Media und Online-Aktivitäten ist weitverbreitet. In den letzten Jahren gab es mehrere Razzien in Hauskirchen und Anführer und Mitglieder wurden verhaftet. Eine Hauskirche kann beispielsweise durch Nachbarn aufgedeckt werden, die abnormale Aktivitäten um ein Haus bemerken. Ansonsten haben die Behörden kaum Möglichkeiten, eine Hauskirche zu entdecken, da die Mitglieder in der Regel sehr diskret sind. Organisatoren von Hauskirchen können sich dem Risiko ausgesetzt sehen, wegen "Verbrechen gegen Gott" angeklagt zu werden, worauf die Todesstrafe steht. Es ist aber kein Fall bekannt, bei dem diese Beschuldigung auch tatsächlich zu einer Exekution geführt hätte. Nicht verlässlich bekannt ist, ob nur Anführer oder auch einfache Mitglieder verfolgt werden. Primär zielen die Behörden auf Anführer der Hauskirchen ab. Ein Hauskirchenmitglied, das zum ersten Mal festgenommen wird, wird normalerweise nach 24 Stunden wieder freigelassen. Die typische Vorgehensweise gegen eine Hauskirche ist, dass der Anführer der Hauskirche verhaftet und wieder freigelassen wird, um die Gemeinschaft anzugreifen und zu schwächen. Ob ein Mitglied einer Hauskirche im Visier der Behörden ist, hängt auch von seinen durchgeführten Aktivitäten und ob er/sie auch im Ausland bekannt ist, ab. Eine Konversion und ein anonymes Leben als konvertierter Christ allein führen nicht zu einer Verhaftung. Wenn der Konversion andere Aktivitäten nachfolgen, wie zum Beispiel Missionierung oder Unterricht anderer Personen im Glauben, kann dies zu einem Problem werden. Wenn ein Konvertit nicht missioniert oder eine Hauskirche bewirbt, werden die Behörden i.d.R. nicht über ihn Bescheid wissen.

Konvertierte Rückkehrer, die keine Aktivitäten in Bezug auf das Christentum setzen, sind für die Behörden mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht von Interesse. Wenn ein Konvertit schon vor seiner Ausreise den Behörden bekannt war, könnte dies anders sein. Wenn er den Behörden nicht bekannt war, ist eine Rückkehr nach Iran kein Problem. Wenn ein zurückgekehrter Konvertit sehr freimütig über seine Konversion in den Social Media-Kanälen, einschließlich Facebook berichtet, können die Behörden auf ihn aufmerksam werden und ihn bei der Rückkehr verhaften und befragen. Wenn der Konvertit kein "high-profile"-Fall ist und nicht missionarisch tätig ist bzw. keine anderen Aktivitäten setzt, die als Bedrohung der nationalen Sicherheit angesehen werden, ist nicht von einer harschen Bestrafung auszugehen. Eine Bekanntgabe der Konversion auf Facebook allein wird nicht zu einer Verfolgung führen. Ob eine Taufe für die iranischen Behörden Bedeutung hat, steht nicht fest.

Rückkehr:

Allein der Umstand, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, löst bei der Rückkehr keine staatlichen Repressionen aus. In der Regel dürften die Umstände der Wiedereinreise den iranischen Behörden gar nicht bekannt werden. Trotzdem kann es in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt kommen. Bisher wurde kein Fall bekannt, in dem Zurückgeführte im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert wurden. Personen, die das Land illegal verlassen und sonst keine weiteren Straftaten begangen haben, können von den iranischen Auslandsvertretungen ein Passersatzpapier bekommen und nach Iran zurückkehren. In Einzelfällen konnte im Falle von Rückkehrern aus Deutschland festgestellt werden, dass diese bei niederschwelligem Verhalten und Abstandnahme von politischen Aktivitäten, mit Ausnahme von Einvernahmen durch die iranischen Behörden unmittelbar nach der Einreise, keine Repressalien zu gewärtigen hatten. Für die Rückkehr nach Iran braucht man eine offizielle Erlaubnis des iranischen Staates. Die Rückkehr wird mit den Behörden von Fall zu Fall verhandelt. Iraner, die im Ausland leben, sich dort öffentlich regimekritisch äußern und dann nach Iran zurückkehren, können von Repressionen bedroht sein (auszugsweise Wiedergabe des Länderinformationsblatts der Staatendokumentation Iran, Gesamtaktualisierung am 03.07.2018, unter Bezugnahme auf die dort genannten Quellen).

Zum BF:

Der BF ist Perser und entstammt der Provinz Lorestan, der Stadt Khorram Abad. Mit Unterbrechungen im Rahmen von Studium und Arbeit lebte er ab dem 12. Lebensjahr bis zur Ausreise in der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz Hamedan. Der BF studierte Nutztierengineering, erlangte am 2.3.2014 das Diplom über den Abschluss eines Bachelor-Studiums Tierproduktionstechnik-Ingenieurswesen (AS 171) und war im Iran als Imker und auf Tierbauernhöfen mit der Aufgabe künstlicher Befruchtung befasst. Er bemühte sich ab etwa 2014 um Zulassungen an Universitäten in Europa und kam am 02.02.2015 mit dem Studentenvisum D nach Wien. Die Gültigkeit des ersten Aufenthaltstitels in Österreich ging bis 17.03.2016 (AS. 37). Nachdem er zunächst zum Bachelorstudium Agrarwissenschaften für das Wintersemester 2014/2015 zugelassen war (Bescheid AS 183) besuchte er zunächst Deutschkurse. Die Voraussetzung zum Beginn des Studiums (Erlangung des Zertifikats B2) besteht für ihn bis dato nicht. Am 16.01.2017 wurde durch den ÖSD bestätigt, dass die schriftliche Prüfung für B1 am 15.12.2016 nicht bestanden wurde, die mündliche Prüfung am 16.12.2016 bestanden wurde, das Zertifikat somit nicht als bestanden gilt (AS 135).

Der BF ist ledig und in keiner Lebensgemeinschaft. Bei ihm wurde eine bipolare Störung (Depression) bereits 2016 diagnostiziert (z.B. AS 199). Der BF bringt diese im Zusammenhang mit Heimweh. Am 07.12.2017 meldete der BF das Gewerbe zur Güterbeförderung mit Kraftfahrzeugen, die ein Gesamtgewicht von 3.500 kg nicht übersteigen, an. Er betreibt dieses Gewerbe seit damals, zunächst als Botendienstfahrer für Veloce, derzeit für Amazon. Er führt Zustellungen mit dem Auto durch. Das Nettoeinkommen beträgt etwa €

1.500,--. Der BF ist Untermieter in einer Mietwohnung von 35 m2 und bezahlt monatlich für die Untermiete € 400.

Der BF ist als schiitischer Muslim im Iran geboren. Er war in Österreich auf der Suche nach einer Kirche. Mehr oder weniger zufällig gelangte er zunächst zur Hamgam Gemeinde, einer evangelisch-evangelikalen Freikirche in 1150 Wien, Tiefenbachgasse

60. Seit 21.12.2015 hat diese ihre bis dahin bestehende Rechtspersönlichkeit als "Freikirche in Österreich" verloren (Verlautbarung auf der Homepage des Kultusamts im BKA). Er nahm dort seit 01.05.2015 an sonntäglichen Gottesdiensten teil, absolvierte einen Grundkurs über den christlichen Glauben und wurde am 12.06.2016 getauft (AS 81 und 305). Nach der Taufe besuchte er vier Einheiten des Mitgliedschaftskurses dieser Gemeinde.

Seit April 2018 besucht der BF die Baptistengemeinde "Projekt Gemeinde" in der Krummgasse 7, 1030 Wien. Er lernte dortXXXX, Universitätsprofessor für Energie- und Verfahrenstechnik an der BOKU, Gemeindeältester der oben genannten Baptistengemeinde und Leiter der Gruppe "Farsi", kennen. Die genannte zum Bund der Baptisten gehörende und somit gesetzlich anerkannte Freikirche umfasst Sprachgruppen für Deutsch, Farsi und Spanisch. Der BF kommt in der Regel jeden Sonntag zum Glaubenskurs (Beginn 11:00 Uhr), nimmt dann um 12:30 Uhr das Mittagessen ein und besucht um 13:30 Uhr den Gottesdienst. Der BF bringt sich am vom von XXXX gehaltenen Glaubenskurs ein.

Der BF ist in dem Sinne innerlich konvertiert, als er den christlichen Glauben aufrichtig angenommen hat und im Rahmen einer freikirchlichen Gemeinde lebt. Er hätte aufgrund dessen das Bedürfnis, seinen christlichen Glauben auch unter geänderten Lebensumständen wie zB im Iran durch Gottesdienstbesuche, Gespräche mit seiner Umgebung und Glaubensbezeugungen auszuleben.

Der BF meldete am 13.10.2017 den Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft beim Magistrat der Stadt Wien (AS 83).

Er ist unbescholten (Strafregisterauskunft vom 14.11.2018).

Nicht festgestellt werden konnte hingegen, das der BF bereits aufgrund von Satellitenempfang von christlichen Kanälen im Jahr 2005 im Iran einerseits vom Islam abgefallen, andererseits näheres Interesse für das Christentum entwickelt hatte. Ebensowenig konnte festgestellt werden, dass er im Jahr 2005 im Iran von einem Fahrzeug angefahren wurde, dabei schwere Verletzungen an den Beinen erlitt und in weiterer Folge unter Bezugnahme auf diese Attacke Nachbarn, die der paramilitärischen Formation der Basij angehören, Drohungen gegen den BF im Zusammenhang mit von diesem in der Vergangenheit geäußerten kritischen Anmerkungen gegen den Islam aussprachen. Es konnte insbesondere nicht festgestellt werden, dass die - vom BF tatsächlich erlittenen - schweren Beinverletzungen in der Vergangenheit von einem absichtlich herbeigeführten Begegnungsunfall mit einem Auto herrühren. Nicht festgestellt werden konnte auch, das dem BF etwa im September 2018 von seiner Schwester telefonisch mitgeteilt wurde, dass der BF von seinen Onkeln mütterlicherseits mit dem Tod bedroht werde, weil die Mutter des BF diesen erzählt hätte, dass der BF Christ geworden sei. Nicht festgestellt werden konnte auch, das "die iranische Regierung" etwa seit Oktober 2015 wusste, dass der BF das Christentum weitervermittelt habe und dass die Mutter des BF zu einem Imam oder Hoja gegangen ist und ihm erzählt hat, dass ihr Sohn ein Christ geworden ist, woraufhin dieser sagte, der BF sei ein Mortat.

Beweiswürdigung:

Vorauszuschicken ist, dass der zur Zeit der mündlichen Verhandlungen vor dem BVwG nicht mehr vertretene BF die Verhandlung allein bestritt und großteiles mit dem Richter auf Deutsch kommunizierte.

Grundsätzlich waren die Angaben des BF zu seiner Biografie sowie dem Verlauf seines Aufenthalts in Österreich glaubwürdig, nachvollziehbar und im Einklang mit den vorgelegten Urkunden. Dass er kurz nach Beginn seines Aufenthalts in Österreich Kontakt zu einer farsi-sprachigen Untergemeinde einer Freikirche fand, ist einerseits nicht ungewöhnlich und andererseits durch ein individuelles Schreiben des dortigen Pastors XXXX belegt. Dies schließt auch die Angaben zum Taufkurs, zum Taufdatum sowie zu weiteren "Mitgliedschaftskursen" ein. Dass diese Gemeinde ihren Status als gesetzlich anerkannte Kirche bzw Religionsgemeinschaft in weiterer Folge verloren hat, geht aus der oben zitierten Online-Recherche beim BKA (BKA-KA6.400/0035-Kultusamt/Referat b/2015) hervor. Dies ändert nichts an der Tatsache der auch ab diesem Zeitpunkt weiterhin dort "gelebten" Glaubensgeschichte des BF. Glaubhaft ist auch, das der BF -nach der Niederschrift beim BFA

-

im April 2018 über einen Bekannten zu einer Baptisten Gemeinde wechselte, die ebenfalls über eine Farsi Gruppe verfügt. Der BF gab glaubwürdig und nachvollziehbar an, dass er die kulturelle Vielgestaltigkeit dieser Kirche der vormaligen Gemeinde vorzog, ebenso, dass dort die Kurse von verschiedenen Vortragenden angeboten werden. Dem BFA ist zwar zuzustimmen, dass im Rahmen der Niederschrift Wissenslücken auftraten. Davon, dass Mitgliedern evangelikaler und baptistischer Gemeinden aber jedenfalls der von den großen Evangelischen Kirchen A.B. und H.B. begangene Reformationstag bekannt sein muss, ist nicht jedenfalls auszugehen. Andererseits konnte der BF durchaus auf die schwierige Frage nach der Rechtfertigungslehre in Grundsätzen richtig beantworten. Dass er die Zahl der Thesen Luthers nicht wusste und die genaue Herkunft einer sehr spezifischen Bibelstelle, ist kein gewichtiges Argument gegen ein grundlegendes Verständnis der christlichen Religion aus Sicht der evangelikalen bzw. baptistischen Gemeinde. Der BF besucht

-

glaubwürdig bezeugt bzw bescheinigt - seit langem, mehr als zweieinhalb Jahre, regelmäßig Gottesdienste und damit verbundene Glaubenskurse. Der Zeuge XXXX, Universitätsprofessor und glaubwürdiger Weise nach der Kirchenverfassung als Gemeindeältester mit Leitungsaufgaben der Gemeinde betrauter Laie, gab konkret und in nachvollziehbarer Weise Angaben zur äußeren Mitwirkung des BF am Gemeindeleben und an den Gottesdiensten und erweckte den Eindruck, das nach seiner Sichtweise der BF ein „solides Glaubensleben" habe. Diese Beobachtung beziehe er aus seinen Kontakten zum BF im von ihm gehaltenen Glaubenskurs am Sonntagvormittag und in informellen Gesprächen. Insgesamt war eine - im Laufe der Zeit in Österreich erfolgte - innere Hinwendung des BF zur christlichen Religion für das Gericht daher hinreichend glaubhaft. Die Feststellung, dass der BF auch bei geänderten Verhältnissen und im Iran das innere Bedürfnis hätte, seinen christlichen Glauben durch Gottesdienstbesuche, Gespräche mit seiner Umgebung und Glaubensbezeugungen auszuleben, somit eine Prognose, ist die Konsequenz aus der - oben begründeten - Feststellung der inneren Konversion.

Die Negativfeststellungen zum Vorbringen des nach außen getragenen "Glaubensabfalls" 2005, die damit in Zusammenhang stehende "Autoattacke" sowie die ihm telefonisch zugetragenen Bedrohungen durch einen Imam bzw. Verwandte der Mutter in den Jahren 2015 bis 2018 folgen folgenden Überlegungen:

Eine konkrete Motivation, weshalb der BF bereits vor so langer Zeit vom islamischen Glauben abgefallen sein soll, kam nicht hervor. Der Vorwurf eines massiven Anfahrens an den BF als Fußgänger mit einem Auto als Teil einer Drohung durch Nachbarn, weil sich der BF islamkritisch geäußert habe, ist sehr schwerwiegend. Selbst angesichts des Umstandes, dass der BF Namen jener "Feinde" nannte, die ihn damals bedroht hätten, lässt selbst unter Rückgriff auf die Länderinformation zum Iran keine nachvollziehbaren Gründe erkennen, derartig lebensbedrohlich gegen den BF vorzugehen und sich ihm gegenüber sodann dieser Tat "zu outen". Es erscheint auch schwer vorstellbar, dass der BF sodann 10 weitere Jahre trotz massivster Verletzungen im Iran gelebt hat und ohne weiteren diesbezüglichen Vorfall das Land lediglich zum Zweck des Studierens verlassen hätte. Es erschien zwar durchaus nachvollziehbar, dass der BF seiner Schwester, zu der er offensichtlich Vertrauen hat, am Telefon von seinen nunmehrigen Lebensumständen, daher auch von seiner christlichen Entwicklung, erzählte. Dass die Mutter diese Umstände krankheitsbedingt auf eine Weise in ihrem Umfeld erzählte, dass es dadurch zu schwerwiegenden Drohungen kam, ist allein auf Grund der diesbezüglichen Angaben des BF aber nicht in einem Maß glaubwürdig, dass diesbezüglich positive Feststellungen ergehen könnten.

Der BF besuchte erst von August bis September 2016 den Deutsch-Integrationskurs A2 (AS 141). Er war zum Zeitpunkt des Endes der Gültigkeit des Studentenvisums weit von der Zulassungsvoraussetzung zum Studium (Absolvierung des Kurses B2 samt Prüfung) entfernt. Im Hinblick auf den insgesamt guten Eindruck des BF vor Gericht, der unvertreten die Verhandlung großteils auf Deutsch absolvierte, ist aber vom Umstand, dass betreffend des oben dargestellten Vorbringens negative Feststellungen erfolgten, nicht auf eine Unglaubwürdigkeit der Aussagen des BF generell zu schließen.

Die weiteren Feststellungen betreffend Sprachkenntnisse, Integration sowie selbstständige Arbeit und Einkommen gründen auf den diesbezüglich glaubwürdigen mit der Realität in Einklang zu bringenden Angaben des BF und sind großteils urkundlich belegt.

Die Feststellungen zur Verfolgungssituation von Christen im Iran beruhen auf dem LIB der Staatendokumentation in der zitierten Fassung.

Rechtlich folgt:

Gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Gemäß Abs 2 kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Heimatstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).

Gemäß Abs 3 ist der Antrag abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative offen steht oder ein Asylauschlussgrund gesetzt wurde.

Gemäß § 2 Abs 1 Z 11 und 12 ist Verfolgung jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art 9 Statusrichtline, Verfolgungsgrund ein in Art 10 Statusrichtlinie genannter Grund.

Nach Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Nach Art 9 der Statusrichtlinie (2011/95/EU) muss eine Verfolgungshandlung iSd Genfer Flüchtlingskonvention aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sein, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt oder in einer Kulminierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend sind, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist.

Unter anderem können als Verfolgung folgende Handlungen gelten:

Anwendung physischer oder psychischer, einschließlich sexueller Gewalt,

gesetzliche, administrative, polizeiliche und/oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder diskriminierend angewandt werden,

unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,

Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,

Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich des Art 12 Abs 2 fallen und

Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

Der Begriff der Religion umfasst nach Art 10 insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob der Antragsteller tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

Der VwGH hat sich mehrfach mit drohender Verfolgung von zum christlichen Glauben konvertierten Muslimen im Iran befasst (zB Erkenntnis vom 19.12.2001, 2000/20/0369; Ra 2014/01/0117). Danach kommt es darauf an, ob der Asylwerber bei weiterer Ausführung des inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, aus diesem Grund mit einer die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktion belegt zu werden. Feststellungen zu behaupteten aktuell bestehenden Glaubensüberzeugung sind im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von - allfälligen - Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln (Erkenntnis des VwGH vom 23.6.2015, Ra 2014/01/0117 mwN).

Wie festgestellt, beteiligt sich der BF über einen Zeitraum von etwa dreieinhalb Jahren als Christ zunächst in einer evangelikalen, seit neun Monaten bei einer baptistischen Gemeinde. Er verfügt über ein seiner Lebenssituation und der derzeit seines Aufenthalts angemessenes Wissen und ist, wie festgestellt ernsthaft und aufrichtig dem christlichen Glauben zugewandt, somit "innerlich" konvertiert. Aufgrund seiner innerhalb einer in einem Zeitraum von dreieinhalb Jahren, in dem er regelmäßig an Gottesdiensten, Glaubenskursen und dem Gemeindeleben teilnahm, erfolgten inneren Konversion ist es durchaus glaubhaft, dass dem BF im Falle eine Rückkehr in den Heimatstaat bei zuzubilligender weiterer Auslebung seines Glaubens Verfolgungsgefahr droht. Im Fall einer Rückkehr in den Iran könnte er als nicht geborener Christ keinerlei der jetzigen Glaubensbetätigung entsprechende Ausübung des christlichen Glaubens vornehmen, ohne mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit von im Rahmen des Artikel 1, Abschnitt A, Ziffer 2 der Genfer Flüchtlingskonvention relevanten Verfolgungsmaßnahmen betroffen zu sein. Im Falle der Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit, wie etwa der Teilnahme an öffentlichen Gottesdiensten oder Gebeten in Gemeinschaft mit anderen oder letztlich im Falle des Versuches, andere vom Christentum zu überzeugen, würde sich der BF einer beachtlichen Gefahr staatlicher Willkürmaßnahmen aussetzen. Er würde daher bei Rückkehr in sein Heimatland Gefahr laufen, auf Grund seiner Religionszugehörigkeit asylrelevant verfolgt zu werden.

Eine innerstaatliche Fluchtalternative ist auf Grund des Umstands, dass die Verfolgungssituation von nicht geborenen Christen im gesamten Staatsgebiet des Iran besteht, auszuschließen.

Da der BF daher den Flüchtlingsbegriff des Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 Genfer Flüchtlingskonvention erfüllt - es liegt ein Nachfluchtgrund iSd § 3 Abs 2 AsylG 2005 vor - und kein Ausschlussgrund gemäß § 6 AsylG 2005 hervorkam, war der Beschwerde Folge zu geben, dem BF der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen und gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 festzustellen, dass diesem kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Angesichts des Umstandes, dass seit der erstinstanzlichen Entscheidung mittlerweile ein Zeitraum von über einem Jahr vergangen ist, in dem sich die Beschäftigung des BF mit der christlichen Glaubenslehre und die Ausübung des Glaubens fortgesetzt und in Folge eines nachvollziehbar begründeten Gemeindewechsels intensiviert hat, kann eine nähere Auseinandersetzung mit der Argumentation des BFA, die auf einer nunmehr teilweise als überholt zu betrachtenden Sachlage beruht, dahinstehen. Auf einzelne Punkte der Beweiswürdigung der angefochtenen Entscheidung wurde oben bei der Beweiswürdigung eingegangen.

Der Beschwerde kommt daher im Ergebnis Berechtigung zu.

Die Unzulässigkeit der Revision gründet auf Art 133 Abs 4 B-VG, wobei zur asylrechtlichen Bedeutung von Konversion allgemein und speziell bei Iranern bereits umfangreiche höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliegt und im Wesentlichen Umstände des Einzelfalls zu beurteilen waren.

Schlagworte

Asylgewährung, asylrechtlich relevante Verfolgung, Asylverfahren,
Christentum, erhebliche Intensität, Gesamtbetrachtung,
Glaubhaftmachung, Glaubwürdigkeit, inländische Schutzalternative,
innerstaatliche Fluchtalternative, Konversion, maßgebliche
Wahrscheinlichkeit, mündliche Verhandlung, Nachvollziehbarkeit,
Religionsausübung, Religionsfreiheit, religiöse Gründe,
Unzumutbarkeit, Verfolgungsgefahr, Verfolgungshandlung, Willkür,
wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W274.2179601.1.00

Zuletzt aktualisiert am

10.04.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten