TE Bvwg Erkenntnis 2019/2/4 W175 2185672-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.02.2019
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Entscheidungsdatum

04.02.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W175 2185672-1/10E

W175 2185578-1/10E

W175 2185676-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. NEUMANN als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX ,

2.) XXXX , geb. XXXX , 3.) XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.01.2018, Zlen. 1.) 1086723209-161211930, 2.) 1086723601-161211972, 3.) 1086724010-161211985, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

I. Den Beschwerden von XXXX , XXXX , XXXX wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX , XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status von Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass den Beschwerdeführern XXXX , XXXX , XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Erstbeschwerdeführer (in der Folge: BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (in der Folge: BF2) sind Ehegatten. Die Drittbeschwerdeführerin (in der Folge: BF3) ist ihre (mittlerweile volljährige) Tochter.

Die BF sind Staatsangehörige von Afghanistan und stellten am 12.08.2015 einen Antrag gemäß § 35 AsylG bei der Österreichischen Botschaft Teheran, wobei als Bezugsperson der in Österreich (und seinerzeit noch minderjährige) Sohn des BF1 und der BF2 beziehungsweise Bruder der BF3 genannt wurde. Nach Überprüfung der Sachlage, die ergab, dass die Gewährung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen des Familienverfahrens wahrscheinlich sei, reisten die BF am 01.09.2016 legal im Rahmen der Familienzusammenführung in das österreichische Bundesgebiet ein. In weiterer Folge stellten sie am 05.09.2016 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge: AsylG) und wurden am 05.09.2016 einer Erstbefragung unterzogen. Hierbei gaben die BF übereinstimmend an, keine eigenen Fluchtgründe zu haben und die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz deshalb zu stellen, weil der Sohn des BF1 und der BF2 beziehungsweise Bruder der BF3 in Österreich international schutzberechtigt sei und sie denselben Schutz beantragen würden.

Am 09.01.2018 wurden der BF1 und die BF2 einer Einvernahme vor dem BFA unterzogen.

Hierbei gab der BF1 an, in Kabul/Afghanistan geboren worden zu sein und dort bis zuletzt gewohnt zu haben. Er gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an, sei Moslem und Sunnit. Seine Eltern seien bereits verstorben; der Aufenthalt seiner drei Brüder sei ihm unbekannt; seine Schwester würde im Iran leben. Der BF1 gab weiters an, dass es ihm gut gehe, er aber wegen Depressionen in ärztlicher Behandlung stehe (diesbezüglich liegt im Akt ein ärztlicher Befundbericht vom 17.10.2016 mit den Diagnosen "rez. depressive Erkrankung - ggw. mittelschwer depressiv; Spannungskopfschmerzen" auf). Er sei damit einverstanden, den gleichen Schutz wie sein in Österreich aufhältiger, subsidiär schutzberechtigter Sohn zu erhalten. Der BF1 bestätigte, keine eigenen Fluchtgründe, jedoch auch Angst zu haben, vom Iran nach Afghanistan abgeschoben zu werden. Er sei zuletzt 1996 in Afghanistan gewesen. Er sei damals Parteimitglied gewesen und habe auch für den Khad gearbeitet; er habe politische Gefangene transportiert. Aufgrund dessen sei er auch von den Mujaheddin misshandelt und mit dem Tod bedroht worden. Nachdem sie ihn aber verschont und laufen lassen hätten, sei er in den Iran geflohen und habe dort gelebt. Der BF1 gab weiters an, dass die Mujahedin vor vielen Jahren seine Mutter getötet und das Haus und die Grundstücke der Familie an sich genommen hätten. Sie hätten gemeint, dass sie Kommunisten seien und ihr Tod gerechtfertigt sei. Deshalb befürchte er im Falle einer Rückkehr, dass sie ihm oder seiner Familie etwas antun könnten. Der BF1 habe gehört, dass sein Vater nach Afghanistan zurückgekehrt sei und er vermute, dass er getötet worden sei. Der BF1 habe in Afghanistan keine familiären Anknüpfungspunkte mehr. Er wolle in Österreich die Sprache lernen und seinen Beruf als Maler und Anstreicher ausüben.

Die BF2 gab an, in Kapisa/Afghanistan geboren worden zu sein und zuletzt in Kabul gewohnt zu haben. Sie gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an, sei Moslem und Sunnit. Ihr Vater sei getötet worden; ihre Mutter, ihre Schwester und eine Tochter würden noch in Afghanistan leben. Den Aufenthaltsort ihrer Mutter kenne sie aber nicht. Wie der BF1 gab auch die BF2 an, Angst zu haben, vom Iran nach Afghanistan abgeschoben zu werden. Sie habe bereits seit 21 oder 22 Jahren im Iran gelebt, jedoch sei ihr Aufenthalt nur befristet gewesen. Nachdem der Vater der BF2 in Afghanistan getötet worden sei, sei sie zwangsverheiratet worden. Nachdem ihr (erster) Mann (mit dem sie eine Tochter habe) getötet worden sei, hätte dessen Bruder die BF2 heiraten wollen. Sie habe sich jedoch geweigert, weil dieser Dschihadist und verheiratet gewesen sei und bereits fünf Kinder gehabt habe. Aus diesem Grund sei sie von ihm bedroht und geschlagen worden. Als sie ihren jetzigen Mann kennengelernt habe, hätten sie binnen 13 Tagen geheiratet. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan habe die BF2 Angst vor der Bedrohung durch ihren Schwager. Außerdem hätten Frauen in Afghanistan - im Gegensatz zu Frauen in Österreich - keine Rechte. Die BF2 wolle hier in Österreich mit ihrem Mann und ihren Kindern zusammenleben und arbeiten. Sie sei Schneiderin. In Afghanistan habe sie nicht arbeiten dürfen und habe immer die Burka tragen müssen. Im Iran seien die Kleidervorschriften nicht so streng gewesen; die BF2 habe dort auch gearbeitet. Der BF2 wurde in der Einvernahme zur Kenntnis gebracht, dass sie und der Rest der Familie den gleichen Schutzumfang wie ihr in Österreich aufhältiger und subsidiär schutzberechtigter Sohn erhalten würden.

Die BF3 wurde sodann am 11.01.2018 einvernommen und gab hierbei an, im Iran geboren worden, jedoch afghanische Staatsangehörige zu sein. Sie gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an, sei Moslem und Sunnit. Sie sei ledig. Die BF3 sei gesund, habe schon einige Deutschkurse besucht und den Abschluss für die Pflichtschule gemacht. Sie habe seit ihrer Geburt im Iran gelebt und sei dort auch zur Schule gegangen. Aufgrund ihrer Herkunft sei sie in der Schule aber schikaniert worden. Da ihr Aufenthaltstitel im Iran nur befristet gewesen sei, habe sie Angst vor einer Abschiebung nach Afghanistan gehabt. Ihre Eltern seien damals aus Afghanistan geflohen, weil ihr Leben in Gefahr gewesen sei; mehr wisse sie nicht dazu. Die BF3 habe grundsätzlich Angst vor der Gesetzeslage in Afghanistan. Frauen hätten dort keine Rechte und keine Freiheiten. Es gebe auch viele Fälle von Vergewaltigung. Die BF3 besuche in Österreich das Jugendcollege, gehe manchmal zum Gitarren- oder Pianokurs, treffe Freundinnen und verbringen die Abende mit der Familie. Ihr Vater sei mit ihrem Verhalten einverstanden; er unterstütze sie sogar. Die BF3 könne sich nicht vorstellen, einen afghanischen Mann zu heiraten und sich ihm zu unterwerfen. Sie wolle Zahnärztin werden.

Im Einvernahmeprotokoll wurde vermerkt, dass die BF3 modisch beziehungsweise modern gekleidet sei und die Haare offen trage.

Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheid vom 22.01.2018, die Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.) und erkannte den BF den Status von Asylberechtigten nicht zu. Das BFA erkannte ihnen weiters den Status von subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Afghanistan zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihnen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung gültig bis 03.06.2018 (Spruchpunkt III.).

In der Bescheidbegründung traf die Erstbehörde Feststellungen zur Person der BF und zur Lage in ihrem Herkunftsstaat. Hinsichtlich des BF1 und der BF2 wurde festgehalten, dass den Gründen, die sie zur Ausreise aus Afghanistan veranlasst hätten, gänzlich die Aktualität fehle. Aufgrund der gegenwärtigen Lage in Afghanistan könnten keine dahingehenden Rückschlüsse auf eine Verfolgung ihrer Person gezogen werden. Hinsichtlich der BF3 wurde vorgebracht, dass sie im Iran geboren worden und zu keinem Zeitpunkt Verfolgungen ausgesetzt gewesen sei. Ihr Asylantrag sei aufgrund des Fehlens der Flüchtlingseigenschaft abzuweisen gewesen.

Fest stehe aber, dass dem Sohn des BF1 und der BF2 beziehungsweise dem Bruder der BF3 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden sei, womit auch den BF derselbe Status zuzuerkennen gewesen sei.

Mit Schreiben vom 06.02.2018 brachten die BF das Rechtsmittel der Beschwerde ein, mit dem die Bescheide hinsichtlich Spruchpunkt I. angefochten und eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) beantragt wurde.

In der Beschwerdebegründung wurden im Wesentlichen die bereits geschilderten Fluchtgründe des BF1 und der BF2 aus Afghanistan wiederholt und ausgeführt, dass die BF3 im Iran geboren und aufgewachsen sei. Sie habe sich dort aber als Mensch zweiter Klasse gefühlt und Angst vor einer Abschiebung gehabt. Sie habe am 31.01.2018 das Jugendcollege abgeschlossen und könne gut Deutsch. Sie wolle die Schule abschließen und studieren. Sie wolle Zahnärztin werden. Der BF1 und die BF2 würden hier Deutschkurse besuchen, um hier arbeiten zu können. Die BF2 genieße ihre Freiheit, allein spazieren zu gehen, Kurse zu besuchen und einkaufen zu gehen, was in dieser Weise in Afghanistan nicht möglich wäre. Im Falle einer Rückkehr wäre der BF1 wahrscheinlich immer noch einer Verfolgungssituation ausgesetzt; zudem würde ihm eine Verfolgung durch die Taliban drohen, vor welchen der afghanische Staat aktuell nicht in der Lage sei, ihn zu schützen. Die BF2 und die BF3 würden bei einer Rückkehr nach Afghanistan als Frauen den strengen muslimischen Regeln folgen müssen, nach denen sie nicht einmal ohne männliche Begleitung einkaufen gehen könnten. Sie seien als Frauen in Afghanistan Teil einer sozialen Gruppe im Sinne der GFK anzusehen. Darüber hinaus sei noch auf die instabile Sicherheitslage in Afghanistan hinzuweisen.

Am 12.04.2018 brachten die BF Anträge auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung beim BFA ein. In weiterer Folge wurde ihnen mit Bescheiden des BFA vom 30.05.2018 gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 03.06.2020 erteilt.

Am 12.09.2018 fand eine öffentliche, mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt.

Der BF1 führte hierbei aus, dass seine Eltern bei der demokratischen Volkspartei Afghanistan gewesen seien, die sich für die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen und gegen Gewalt in der Familie eingesetzt habe. Die Anhänger der islamischen Mujaheddin Partei seien der Meinung gewesen, dass seine Mutter eine Spionin gewesen sei, weshalb sie sie getötet hätten. Ein paar Tage zuvor sei der Verlobte der Schwester des BF1 getötet worden. Später sei auch noch sein Vater angeschossen worden, habe diesen Überfall aber überlebt. Die islamische Mujaheddin Partei habe die Immobilien der BF beschlagnahmt und sie als Kommunisten bezeichnet. Die BF hätten ihr ganzes Hab und Gut zurückgelassen und seien nach Kabul gezogen. Der BF1 habe sich dort für eine von der Regierung ausgeschriebene Stelle beworben. Der BF1 habe eine fünf- bis sechsmonatige Ausbildung gemacht. Sein Hauptaufgabengebiet sei es gewesen, Nachforschungen über politische Gefangene anzustellen beziehungsweise politische Gefangene vom Gefängnis zum Gericht oder auch ins Spital zu begleiten. Entwaffnung und Festnahmen hätten nicht zu seinen Aufgaben gezählt, deshalb sei er auch darin nicht ausgebildet worden. Aufgrund dieser Position habe man oft versucht, ihn zu bestechen beziehungsweise habe man ihm auch gedroht, weil viele gedacht hätten, dass er für ihre Strafe verantwortlich sei. Ein Gefängnisinsasse habe sich nach dessen Entlassung tatsächlich beim BF1 gerächt. Er habe den BF1 geschlagen und ihm seinen Dienstausweis abgenommen. Hätten ihm andere Leute in dieser Situation nicht geholfen, wäre er an diesem Tag von dieser Person getötet worden. Auch wenn es schon lange her sei, seien Mitglieder der Demokratischen Volkspartei Afghanistan für die Terroristen ein Hindernis für die Erreichung ihrer Ziele. Deshalb sei die Bedrohung noch aktuell.

Die BF2 gab im Zuge der mündlichen Verhandlung an, hier Deutsch zu lernen und auch das Radfahren gelernt zu haben. Sie könne jederzeit mit Freunden oder Freundinnen ausgehen, ohne daran gehindert zu werden. Manchmal gehe sie alleine spazieren; sie gehe auch alleine oder mit ihrer Tochter einkaufen. Zudem führe sie im Flüchtlingsheim täglich Reinigungsarbeiten durch. Sie genieße ihre Freiheiten in Österreich und könne sich ein Leben in Afghanistan nicht vorstellen.

Die BF3 gab - zu den Fluchtgründen ihrer Eltern befragt - zunächst an, dass ihre Mutter zwangsverheiratet worden sei. Nachdem ihr erster Mann verstorben sei (mit diesem habe sie eine Tochter), hätte sie dessen Bruder heiraten sollen. Sie habe sich jedoch geweigert, weil dieser Mann bereits verheiratet gewesen sei und fünf Kinder gehabt habe. Einige Zeit danach habe ihre Mutter den Vater der BF3 geheiratet. Hinsichtlich ihres Vaters gab die BF3 an, dass sein Leben wegen seiner parteipolitischen Stellung in Gefahr gewesen sei. Seine Mutter und der Verlobte seiner Schwester seien getötet worden; sein Bruder sei verschollen und sein Vater sei auch angeschossen worden. Für die BF3 sei ein Leben in Afghanistan unmöglich. Sie sei in einem anderen Land geboren und mit den afghanischen sozialen Gegebenheiten nicht vertraut. In Afghanistan gebe es keine Sicherheit. Zudem sei es möglich, dass die BF3 in Afghanistan auch Probleme mit den Feinden ihres Vaters bekomme. Zu ihrem Leben in Österreich befragt, gab die BF3 an, dass sie bald ihren Pflichtschulabschluss fertig habe und danach eine Lehrstelle finden wolle. Sie interessiere sich für den Beruf der Zahntechnikerin. Ihr Ziel sei aber eigentlich, Zahnärztin zu werden. Sie habe nächste Woche ein einwöchiges Praktikum und danach einen Termin in einem Zahntechniklabor. Das Leben in Österreich sei sehr schön, weil sie hier ihre Freiheiten genießen könne. Sie könne hier studieren, wobei ihr die Studienrichtung überlassen sei; sie lerne Gitarre und Klavier spielen; sie habe Radfahren gelernt und könne sich aussuchen, mit wem sie in Zukunft zusammenlebe. In Afghanistan wäre das alles nicht möglich. Mit ihren jetzigen Eigenschaften würde sie in Afghanistan sofort getötet werden. Es sei bekannt, dass dort Frauenbelästigungen und Vergewaltigungen oft vorkommen, Frauen nicht studieren dürfen und über keine Rechte verfügen würden.

Im Zuge der mündlichen Verhandlung legten die BF einige integrationsbegründende Unterlangen vor (Deutschkursbestätigungen;

Bestätigungen des BF1 und der BF2 über ihre Aushilfsarbeiten;

Nachweise die BF3 betreffend den Besuch des Pflichtschulabschlusslehrgangs, über die bestandene A2 Deutschprüfung, über diverse Workshops - Gitarre, Klavier, Graffiti, Siebdruck - sowie über ihre Anmeldung zu Berufsschnuppertagen zur Berufsorientierung über den Beruf der Zahntechnikerin).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch Einsicht in:

- die dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakten des BFA, beinhaltend vor allem die Niederschriften der Erstbefragungen am 05.09.2016, die Niederschriften der Einvernahmen vor dem BFA am 09.01.2018 bzw. 11.01.2018 sowie die Beschwerden

Weiters herangezogen wurden die Angaben des BF1, der BF2 und der BF3 in der Verhandlung vor dem BVwG am 12.09.2018, sowie die vorgelegten Unterlagen.

2. Feststellungen (Sachverhalt):

1. Die BF sind afghanische Staatsangehörige, Angehörige der Volksgruppe der Tadschiken und sind der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam zuzurechnen. Der BF1 und die BF2 sind verheiratet, die BF3 ist ihre leibliche (mittlerweile volljährige) Tochter.

2. Die BF lebten eine lange Zeit im Iran, wo die BF3 geboren und aufgewachsen ist und die Schule besucht hat.

3. Die BF sind in Afghanistan weder vorbestraft, noch wurden sie jemals inhaftiert oder hatten mit den dortigen Behörden sonstige Probleme.

Im vorliegenden Fall steht die persönliche Haltung der BF2 und der BF3 über die grundsätzliche Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft im eindeutigen Widerspruch zu den in Afghanistan bislang vorherrschenden gesellschaftlich-religiösen Zwängen, denen Frauen im Herkunftsstaat mehrheitlich unterworfen sind. Die BF2 und die BF3 sind von ihrer persönlichen Wertehaltung her überwiegend an dem in Europa mehrheitlich gelebten, selbstbestimmten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert.

Eine darüber hinaus gehende wie auch immer geartete Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung konnten die BF weder glaubhaft machen, noch geht sie aus dem Akt hervor.

4. Zur Situation in Afghanistan werden auszugsweise folgende Feststellungen aus dem BFA-Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zitiert. Hinsichtlich der Situation in Afghanistan hat sich seit den Länderfeststellungen im Bescheid für den vorliegenden Fall nichts Wesentliches geändert. Zudem hat das Bundesverwaltungsgericht auch in die vorliegenden, aktuellen Länderfeststellungen zu Afghanistan Einsicht genommen, wobei sich - für den gegenständlichen Fall relevant - im Wesentlichen ein einheitliches Bild mit den bislang zugrunde gelegten Feststellungen zu Afghanistan ergibt.

Kabul

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden und (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Stadt hat 22 Stadtgemeinden und 14 administrative Einheiten (Pajhwok o.D.z). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.523.718 geschätzt (CSO 2016)

Quellen:

CSO - Central Statistics Organization (CSO) Afghanistan (2016):

Afghanistan - Estimated Population 2016/2017, https://data.humdata.org/dataset/estimated-population-of-afghanistan-2016-2017, Zugriff 22.2.2017

Die Zeit (5.1.2015): Bei den Hazara von Daikundi, http://www.zeit.de/politik/ausland/2013-12/fs-daikundi-hazara-hochland-berge-afghanistan--2, Zugriff 18.11.2015

EASO - European Asylum Support Office (11.2016): EASO Country of Origin Information Report Afghanistan Security Situation, https://www.ecoi.net/file_upload/90_1479191564_2016-11-09-easo-afghanistan-security-situation.pdf, Zugriff 30.1.2017

France Soir (1.8.2016): Afghanistan: le long combat de Masooma Muradi, première et seule femme gouverneur du pays, http://www.francesoir.fr/politique-france/afghanistan-le-long-combat-de-masooma-muradi-premiere-et-seule-femme-gouverneur-du, Zugriff 6.2.2017

Lobe Log Foreign Policy (14.9.2016): There Is No Military Path to Victory in Afghanistan,

https://lobelog.com/there-is-no-military-path-to-victory-in-afghanistan/, Zugriff 22.2.2017

Pajhwok (25.3.2015): Kajran district may fall to Taliban, residents warn,

http://www.pajhwok.com/en/2015/03/25/kajran-district-may-fall-taliban-residents-warn, Zugriff 18.11.2015

Pajhwok (o.D.ac): Daikundi province background profile, http://www.elections.pajhwok.com/en/content/daikundi-province-background-profile, Zugriff 29.10.2014

Tolonews (15.11.2016): Daikundi Relatively Secure But Undeveloped:

Residents,

https://www.google.com/?gws_rd=ssl#q=Daikundi+relatively+among+province, Zugriff 7.2.2016

UN OCHA - United Nation Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (26.8.2015): Afghanistan: Population Estimate for 2015, https://www.humanitarianresponse.info/en/system/files/documents/files/afg_mm_population_aug2015_a3.pdf, Zugriff 2.2.2017

Xinhua (1.10.2016): News Analysis: China's investment in Afghanistan helps stabilize peace, revive economy: Afghan economist, http://news.xinhuanet.com/english/2016-10/01/c_135727265.htm, Zugriff 7.2.2017

Kapisa

Kapisa zählt zu den zentralen Provinzen Afghanistans. Die Provinz Panjshir befindet sich im Norden, die Provinzen Kabul und Parwan im Westen, Kabul im Süden, die Provinz Laghman liegt sowohl im Süden, als auch im Osten der Provinz Kapisa (Pajhwok o.D.s). Zu den Distrikten in der Provinz zählen: Hesa Dovon Kohistan, Hesa Aval Kohistan, Koh Band, Nijrab, Ala Sai, Tag Ab und die Provinzhauptstadt Mahmud-i-Raqi (NPS o.D.). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 448.245 geschätzt (CSO 2016).

...

Im Zeitraum 1.9.2015 - 31.5.2016 wurden in der Provinz Kapisa 126 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

In der Provinz Kapisa ist ein flächendeckender Zugriff der Sicherheitskräfte gewährleistet (The Diplomat 31.5.2016). Einem Anrainer zufolge, hat sich die Sicherheitslage in Kapisa verbessert, seit der Polizeichef Fahim Qayam seinen Posten angetreten hat (Pajhwok 5.9.2016). Nach 13 Jahren gelang es der Regierung, Kontrolle über Mineralvorkommen in der Provinz Kapisa zu erlangen. Aufständische hatten über lange Zeit die Kontrolle über die reichen Vorkommen im Distriktzentrum Ala Sai und in der Gegend von Hassan Abad. Die Sicherheitskräfte (ANA und ALP) wurden in den Distrikt entsandt und haben Aktivitäten und Operationen der Aufständischen eingedämmt (Pajhwok 12.2.2017).

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden von Aufständischen zu befreien (Tolonews 23.1.2017; Xinhua 22.1.2017; vgl. auch: Khaama Press 22.1.2017;

Khaama Press 15.1.2017; Tolonews 12.1.2017; Khaama Press 30.8.2016;

Khaama Press 31.3.2016); dabei wurden unter anderem Aufständische getötet (Sputnik News 20.1.2017; Tolonews 19.1.2017; Khaama Press 7.1.2017; Kabul Tribune 4.1.2017; Pajhwok 28.4.2016).

Im April 2016 berichtet Pajhwok, dass Bauarbeiten an verschieden Straßen und an einer großen Brücke begonnen wurde - damit sollte die Verbindung der Transitrouten zwischen den Provinzen Kapisa und Parwan und in weiterer Folge nach Panjshir, sowie auf der Kabul-Jalalabad-Autobahn gewährleistet werden (Pajhwok 13.4.2016).

Quellen:

CSO - Central Statistics Organization (CSO) Afghanistan (2016):

Afghanistan - Estimated Population 2016/2017, https://data.humdata.org/dataset/estimated-population-of-afghanistan-2016-2017, Zugriff 22.2.2017

EASO - European Asylum Support Office (11.2016): EASO Country of Origin Information Report Afghanistan Security Situation, https://www.ecoi.net/file_upload/90_1479191564_2016-11-09-easo-afghanistan-security-situation.pdf, Zugriff 30.1.2017

Kabul Tribune (4.1.2017): Ex-Jihadi Leader Killed In Kapisa, http://www.kabultribune.com/index.php/2017/01/04/ex-jihadi-leader-killed-in-kapisa/, Zugriff 20.2.2017

Khaama Press (22.1.2017): 41 militants killed in counter-terrorism operations, MoD claims,

http://www.khaama.com/41-militants-killed-in-counter-terrorism-operations-mod-claims-02726, Zugriff 20.2.2017

Khaama Press (15.1.2017): Senior Taliban commander among 21 killed in latest operations: MoI,

http://www.khaama.com/senior-taliban-commander-among-21-killed-in-latest-operations-moi-02677, Zugriff 20.2.2017

Khaama Press (7.1.2017): 2 key Taliban leaders among 19 killed in Afghan forces operations: MoD,

http://www.khaama.com/2-key-taliban-leaders-among-19-killed-in-afghan-forces-operations-mod-02627, Zugriff 20.2.2017

Khaama Press (30.8.2016): 4 suicide bombing vests, large cache of explosives seized near Kabul,

http://www.khaama.com/4-suicide-bombing-vests-large-cache-of-explosives-seized-near-kabul-01802, Zugriff 20.2.2017

Khaama Press (31.3.2016): Taliban suffer heavy casualties in Kapisa military operation,

http://www.khaama.com/taliban-suffer-heavy-casualties-in-kapisa-military-operation-0494, Zugriff 20.2.2017

NPS (o.D.): Province: Kapisa,

http://www.nps.edu/programs/ccs/Docs/Executive%20Summaries/Kapisa%20Executive%20Summary.pdf, Zugriff 30.10.2014

Pajhwok (12.2.2017): Govt takes control of Kapisa mines after 13 years,

http://www.pajhwok.com/en/2017/02/12/govt-takes-control-kapisa-mines-after-13-years, Zugriff 20.2.2017

Pajhwok (5.9.2016): Kapisa residents rally against possible police chief's dismissal,

http://www.pajhwok.com/en/2016/09/05/kapisa-residents-rally-against-possible-police-chief%E2%80%99s-dismissal, Zugriff 20.2.2017

Pajhwok (28.4.2016): 17 insurgents eliminated in Kapisa, Logar provinces,

http://www.pajhwok.com/en/2016/04/28/17-insurgents-eliminated-kapisa-logar-provinces, Zugriff 20.2.2017

Pajwhok (13.4.2016): Work launched on bridge, road projects in Kapisa,

http://www.pajhwok.com/en/2016/04/13/work-launched-bridge-road-projects-kapisa, zugriff 20.2.2017

Pajhwok (oD.s): Background Profile of Kapisa, http://www.elections.pajhwok.com/en/content/background-profile-kapisa, Zugriff 20.10.2014

Sputnik News (20.1.2017): Afghan Army Reportedly Kills Five Militants in Kapisa Province,

https://sputniknews.com/asia/201701201049792597-afghan-army-kills-five-militants/, Zugriff 20.2.2017

The Diplomat (31.5.2016): 5 Reasons Why Helmand Matters to the Taliban,

http://thediplomat.com/2016/06/5-reasons-why-helmand-matters-to-the-taliban/, Zugriff 20.2.2017

Tolonews (23.1.2017): 45 Insurgents Killed in Clearing Operations Across The Country,

http://www.tolonews.com/afghanistan/45-insurgents-killed-clearing-operations-across-country, Zugriff 21.2.2017

Tolonews (19.1.2017): Five Insurgents Killed In Kapisa Operation, http://www.tolonews.com/afghanistan/five-insurgents-killed-kapisa-operation, Zugriff 20.2.2017

Tolonews (12.1.2017): Four Taliban Insurgents Killed in Kapisa Operation,

http://www.tolonews.com/afghanistan/four-taliban-insurgents-killed-kapisa-operation, Zugriff 20.2.2017

Tolonews (6.1.2017): Military Operation Ongoing Against Taliban In Kapisa District,

http://www.tolonews.com/afghanistan/military-operation-ongoing-against-taliban-kapisa-district, Zugriff 20.2.2017

UN OCHA - United Nation Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (26.8.2015): Afghanistan: Population Estimate for 2015, https://www.humanitarianresponse.info/en/system/files/documents/files/afg_mm_population_aug2015_a3.pdf, Zugriff 2.2.2017

Xinhua (22.1.2017): 41 militants killed, 25 injured in Afghanistan in past 24 hrs: gov't,

http://news.xinhuanet.com/english/2017-01/22/c_136004512.htm, Zugriff 20.2.2017

...

Rechtsschutz/Justizwesen

Trotz großer legislativer Fortschritte in den vergangenen 14 Jahren gibt es keine einheitliche und korrekte Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen (kodifiziertes Recht, Scharia (islamisches Gesetz), Gewohnheits-/Stammesrecht) (AA 9.2016; vgl. auch: USIDP o.D. und WP 31.5.2015). Fast 80% der Dispute werden außerhalb des formellen Justizsystems gelöst - üblicherweise durch Schuras, Jirgas, Mullahs und andere in der Gemeinschaft verankerte Akteure (USIP o.D.; vgl. auch: USDOS 13.4.2016).

Traditionelle Rechtsprechungsmechanismen bleiben für viele Menschen, insbesondere in den ländlichen Gebieten, weiterhin der bevorzugte Rechtsweg (USDOS 13.4.2016, vgl. auch: FH 27.1.2016). Das kodifizierte Recht wird unterschiedlich eingehalten, wobei Gerichte gesetzliche Vorschriften oft zugunsten der Scharia oder lokaler Gepflogenheiten missachteten (USDOS 13.4.2016). In einigen Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle setzen die Taliban ein paralleles Rechtssystem um (FH 27.1.2016).

Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan weitverbreitet akzeptiert ist, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang. Unter den religiösen Führern in Afghanistan bestehen weiterhin tiefgreifende Auffassungsunterschiede darüber, wie das islamische Recht tatsächlich zu einer Reihe von rechtlichen Angelegenheiten steht. Dazu zählen unter anderem Frauenrecht, Strafrecht und -verfahren, Verbindlichkeit von Rechten gemäß internationalem Recht und der gesamte Bereich der Grundrechte (USIP o. D.). Das formale Justizsystem ist in den städtischen Zentren relativ stark verankert, da die Zentralregierung dort am stärksten ist, während es in den ländlichen Gebieten - wo ungefähr 76% der Bevölkerung leben - schwächer ausgeprägt ist (USDOS 13.4.2016).

Dem Justizsystem mangelt es weiterhin an der Leistungsfähigkeit um die hohe Zahl an neuen und novellierten Gesetzen zu beherrschen. Der Mangel an qualifiziertem, juristischem Personal behindert die Gerichte. Die Zahl der Richter/innen, welche ein Rechtsstudium absolviert haben erhöht sich weiterhin (USDOS 13.4.2016). Im Jahr 2014 wurde die Zahl der Richter/innen landesweit mit 1.300 beziffert (SZ 29.9.2014; vgl. auch: CRS 8.11.2016), davon waren rund 200 Richterinnen (CRS 8.11.2016). Im Jahr 2015 wurde von Präsident Ghani eine führende Anwältin als erste Frau zur Richterin des Supreme Courts ernannt (RFE/RL 30.6.2016). Die Zahl registrierter Anwälte/innen hat sich in den letzten fünf Jahren mehr als verdoppelt (WP 31.5.2015). Der Zugang zu Gesetzestexten wird besser, ihre geringe Verfügbarkeit stellt für einige Richter/innen und Staatsanwälte immer noch eine Behinderung dar (USDOS 13.4.2016).

Ein Mangel an qualifiziertem Justizpersonal behindert die Gerichte (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: FH 27.1.2016). Manche Amtsträger/innen in Gemeinden und Provinzen verfügen über eine eingeschränkte Ausbildung und gründen ihre Entscheidungen daher auf ihrem persönlichen Verständnis der Scharia, ohne jeglichen Bezug zum kodifizierten Recht, Stammeskodex oder traditionellen Bräuchen (USDOS 13.4.2016).

Innerhalb des Gerichtswesens ist Korruption weiterhin vorhanden (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: FH 27.1.2016); Richter/innen und Anwält/innen sind oftmals Ziel von Bedrohung oder Bestechung durch lokale Anführer oder bewaffneten Gruppen (FH 27.1.2016), um Entlassungen oder Reduzierungen von Haftstrafen zu erwirken (USDOS 13.4.2016). Afghanische Gerichte sind durch öffentliche Meinung und politische Führer leicht beeinflussbar (WP 31.5.2015). Im Juni 2016 errichtete Präsident Ghani das Strafrechtszentrum für Anti-Korruption, um innerhalb des Rechtssystems gegen korrupte Minister/innen, Richter/innen und Gouverneure/innen vorzugehen, die meist vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt waren (Reuters 12.11.2016).

Laut dem allgemeinen Islamvorbehalt in der Verfassung darf kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, so ist nicht festgelegt, welches Gesetz in Fällen des Konflikts zwischen traditionellem islamischem Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und eine fehlende Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen (AA 9.2016).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt (9.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan

CRS - Congressional Research Service (8.11.2016): Afghanistan:

Post-Taliban Governance, Security, and U.S. Policy, https://www.fas.org/sgp/crs/row/RL30588.pdf, Zugriff 6.12.2016

FH - Freedom House (27.1.2016): Freedom in the World 2016 - Afghanistan, http://www.ecoi.net/local_link/327649/468275_de.html, Zugriff 5.12.2016

RFE/RL - Radio Free Europe Radio Liberty (30.6.2015): Afghanistan Nominates First Female Judge To Supreme Court, http://www.rferl.org/a/afghanistan-female-judge-supreme-court/27102086.html, Zugriff 5.12.2016

Reuters (12.11.2016): Afghan's new anti-graft court hears first cases in Kabul,

http://www.reuters.com/article/us-afghanistan-corruption-idUSKBN13709F, Zugriff 6.12.2016

SZ - Süddeutsche Zeitung (29.9.2014): Große Reformen in Afghanistan, http://www.sueddeutsche.de/politik/ende-der-aera-karsai-in-afghanistan-der-zieher-geht-die-strippen-bleiben-1.2150136-2, Zugriff 5.12.2016

USIP - United States Institute of Peace (o.D.): Rule of Law in Afghanistan,

http://www.usip.org/programs/projects/rule-of-law-in-afghanistan, Zugriff 5.12.2016

USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2014 - Afghanistan, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm#wrapper, Zugriff 13.10.2015

WP - Washington Post (31.5.2015): Afghanistan's justice system is moving faster - maybe too fast, https://www.washingtonpost.com/world/asia_pacific/afghanistans-justice-system-is-moving-faster--maybe-too-fast/2015/05/28/38e99638-fe70-11e4-8c77-bf274685e1df_story.html?utm_term=.907b60e1b1d9, Zugriff 5.12.2016

Sicherheitsbehörden

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) bestehen aus folgenden Komponenten: der afghanischen Nationalarmee (ANA), welche auch die Luftwaffe (AAF) und das ANA-Kommando für Spezialoperationen (ANASOC) beinhaltet; der afghanischen Nationalpolizei (ANP), die ebenso die uniformierte afghanische Polizei beinhaltet (AUP), der afghanischen Nationalpolizei für zivile Ordnung (ANCOP), der afghanischen Grenzpolizei (ABP) und der afghanischen Polizei die Verbrechen bekämpft (AACP). Sie stehen unter der Kontrolle des Verteidigungsministeriums Die afghanische Lokalpolizei (ALP), sowie ihre Komponenten (etwa die afghanischen Kräfte zum Schutz der Öffentlichkeit (APPF) und die afghanische Polizei zur Drogenbekämpfung (CNPA) sind unter der Führung des Innenministeriums (USDOD 6. 2016).

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (Afghan National Defense and Security Forces, ANDSF) haben - wenn auch unbeständig - Fortschritte gemacht. Sie führten ihre Frühjahrs- und Sommeroperationen erfolgreich durch. Ihnen gelang im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln, und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern. Schwierigkeiten in Schlüsselbereichen wie Spionage, Luftfahrt und Logistik, verbesserten sich, beeinträchtigten dennoch die Schlagkraft. Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016).

Die afghanischen Sicherheitskräfte haben zwar im Jahr 2015 die volle Verantwortung für die Sicherheit des Landes übernommen (AA 9.2016; vgl. auch: USIP 5.2016); dennoch werden sie teilweise durch US-amerikanische bzw. Koalitionskräfte unterstützt (USDOD 6.2016).

Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan's Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die Afghan Local Police (ALP). Die (Afghan National Police (ANP) untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig. Ihre primäre Aufgabe ist die Bekämpfung der Aufständischen. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen (USDOS 13.4.2016).

Die autorisierte Truppenstärke der ANDSF wird mit 352.000 beziffert (USDOD 6.2016), davon 4.228 Frauen (SIGAR 30.7.2016).

Die monatlichen Ausfälle (umfasst alle geplanten und ungeplanten Ausfälle von Pensionierungen über unerlaubte Abwesenheit bis hin zu Gefallenen) der ANDSF liegen bei 2.4% - eine leichte Erhöhung gegenüber dem Dreijahresmittel von 2.2% (USDOD 6.2016).

Afghan National Police (ANP) und Afghan Local Police (ALP)

Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption und die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit aber in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Das Langzeitziel der ANP ist weiterhin, sich in einen traditionellen Polizeiapparat zu verwandeln. Mit Stand 31.5.2016 beträgt die Stärke der ANP etwa 148.000 Mann. Dies beinhaltet nicht die rund 6.500 Auszubildenden in Polizeiakademien und andere die Ausbildungszentren landesweit ausgebildet werden. Frauen machen sind mit etwa 1.8% in der ANP vertreten (USDOD 6.2016). 2.834 Polizistinnen sind derzeit bei der Polizei, dies beinhaltete auch jene die in Ausbildung sind (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: Sputnik News 14.6.2016).

Die Personalstärke der ALP beträgt etwa 28.800 Mann; zusätzlich autorisiert sind weitere 30.000 Mann, welche nicht in der allgemeinen ANDSF-Struktur inkludiert sind (USDOD 6.2016). Aufgabe der ALP ist, Sicherheit innerhalb von Dörfern und ländlichen Gebieten zu gewährleisten - indem die Bevölkerung vor Angriffen durch Aufständische geschützt wird, Anlagen gesichert und lokale Aktionen gegen Rebellen durchgeführt werden (USDOD 6.2016).

Die monatlichen Ausfälle der ANP betragen über die letzten Jahre relativ stabil durchschnittlich 1.9% (USDOD 6.2016).

Afghanische Nationalarmee (ANA)

Die afghanische Nationalarmee (ANA) untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit verantwortlich, primär bekämpft sie den Aufstand im Inneren (USDOS 13.4.2016).

Mit Stand 31. Mai 2016 betrug der autorisierte Personalstand der ANA 171.000 Mann, inklusive 7.100 Mann in den Luftstreitkräften (Afghan Air Force - AAF); etwa 820 Frauen sind in der ANA, inklusive AAF. Die Ausfälle in der ANA sind je nach Einheit unterschiedlich. Die allgemeine Ausfallsquote lag unter 3%, gegenüber 2,5% in der letzten Berichtsperiode. Die Einheiten der Luftstreitkräfte und der afghanischen Spezialeinheiten (ASSF) hielten weiterhin die niedrigsten Ausfallsquoten und die höchsten Verbleibquoten aller ANDSF-Teile (USDOD 6.2016).

Die Vereinigten Staaten von Amerika errichteten fünf Militärbasen in: Herat, Gardez, Kandahar, Mazar-e Sharif und Kabul (CRS 8.11.2016).

Resolute Support Mission

Die "Resolute Support Mission" ist eine von der NATO-geführte Mission, die mit 1. Jänner 2015 ins Leben gerufen wurde. Hauptsächlich konzentriert sie sich auf Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsaktivitäten auf ministerieller und Behördenebene, sowie in höheren Ebenen der Armee und Polizei. Die personelle Stärke der Resolute Support Mission beträgt 13.000 (durch NATO und anderen Partnernationen). Das Hauptquartier ist in Kabul (Bagram), mit vier weiteren Niederlassungen in: Mazar-e-Sharif, Herat, Kandahar und Laghman (NATO 5.2016).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt (9.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan

CRS - Congressional Research Service (8.11.2016): Afghanistan:

Post-Taliban Governance, Security, and U.S. Policy, https://www.fas.org/sgp/crs/row/RL30588.pdf, Zugriff 6.12.2016

CRS - Congressional Research Service (15.10.2015): Afghanistan:

Post-Taliban Governance, Security, and U.S. Policy, https://www.fas.org/sgp/crs/row/RL30588.pdf, Zugriff 6.12.2016

NATO - North Atlantic Treaty Organization (5.2016): A new chapter in NATO-Afghanistan relations,

http://www.nato.int/nato_static_fl2014/assets/pdf/pdf_2016_05/20160518_1605-backgrounder-afghanistan-en.pdf, Zugriff 7.12.2016

SIGAR - Special Inspector General For Afghanistan Reconstruction (30.7.2016): Security Contents, https://www.sigar.mil/pdf/quarterlyreports/2016-07-30qr-section3-security.pdf, Zugriff 7.12.2016

Sputnik News (14.6.2016): Mit Kopftuch und Kalaschnikow gegen Terror: Kabul will 10.000 Polizistinnen ausbilden, https://de.sputniknews.com/politik/20160614310595644-afghanistan-frauen-polizei/, Zugriff 22.12.2016

USDOD - Department of Defense (12.2016): Enhancing Security and Stability in Afghanistan,

https://www.defense.gov/Portals/1/Documents/pubs/Afghanistan-1225-Report-December-2016.pdf, Zugriff 13.2.2017

USDOD - US Department of Defense (6.2016): Report on Enhancing Security and Stability in Afghanistan, http://www.defense.gov/Portals/1/Documents/Enhancing_Security_and_Stability_in_Afghanistan-June_2016.pdf, , Zugriff 6.12.2016

USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2014 - Afghanistan, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm#wrapper, Zugriff 13.10.2016

USIP - United States Institute of Peace (5.2016): Afghanistan national defense and security forces, http://www.usip.org/sites/default/files/PW115-Afghanistan-National-Defense-and-Security-Forces-Mission-Challenges-and-Sustainability.pdf, Zugriff 7.12.2016

...

NGOs und Menschenrechtsaktivisten

Die afghanische Zivilgesellschaft spielt eine wichtige Rolle - speziell in den städtischen Regionen - wo tausende Kultur-, Wohlfahrts- und Sportvereinigungen mit wenig Einschränkung durch Behörden operieren (FH 27.1.2016). Registriert sind 4.001 lokale NGOs und 434 internationale NGOs (ICNL 26.10.2016). Drohungen und Gewalt durch Taliban und andere Akteure haben NGO-Aktivitäten gedämpft und die Rekrutierung von ausländischen Entwicklungsmitarbeiter/innen erschwert (FH 27.1.2016).

Eine Vielzahl nationaler und internationaler Menschenrechtsgruppen arbeitet generell ohne Einmischung der Regierung, untersucht Menschenrechtsfälle und veröffentlicht ihre Ergebnisse (USDOS 13.4.2016). Eine systematische Politik der Einschränkung der Arbeit von Menschenrechtsverteidigern oder zivilgesellschaftlichen Akteuren gibt es in Afghanistan nicht (AA 9.2016). Während Regierungsbeamte einigermaßen kooperativ sind und auf deren Sichtweise eingehen, gibt es dennoch Fälle von Einschüchterung von Menschenrechtsgruppen durch Regierungsbeamte (USDOS 13.4.2016). Gleichwohl sind nationale und internationale Menschenrechtsgruppen regelmäßig Behinderungen bei der Informationsbeschaffung ausgesetzt; ihre Beteiligung an wichtigen Vorhaben (Gesetzesentwürfe, Ratsversammlungen/Jirgas) wird nicht selten nur auf internationalen Druck ermöglicht. Das Netzwerk von Frauenrechtsaktivistinnen "Afghan Women's Network" berichtet von Behinderungen der Arbeit ihrer Mitglieder bis hin zu Bedrohungen und Übergriffen, teilweise von sehr konservativen und religiösen Kreisen (AA 9.2016).

Derzeit stehen mehrere die Zivilgesellschaft betreffende Reforminitiativen an:

Änderungen des NGO-Gesetzes

Gesetzentwurf bezüglich Stiftungen

Gesetzentwurf über Freiwilligenarbeit

Vorschläge zur Änderung des Einkommensteuergesetzes (ICNL 26.10.2016).

Am 31. Mai 2016 hat das afghanische Wirtschaftsministerium unter Beteiligung von NGOs eine Arbeitsgruppe eingerichtet, um das NGO-Gesetz zu überarbeiten (AA 9.2016).

Es gibt keine gesetzlichen Hindernisse für die Aktivitäten von NGOs oder Vereinigungen (ICNL 26.10.2016).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt (9.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan

FH - Freedom House (27.1.2016): Freedom in the World 2016 - Afghanistan, http://www.ecoi.net/local_link/327649/468275_de.html, Zugriff 17.1.2017

ICNL - The International Center for Not-for-profit-Law (26.10.2016):

Civic Freedom Monitor: Afghanistan, http://www.icnl.org/research/monitor/afghanistan.html, Zugriff 22.12.2016

USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Afghanistan, https://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm#wrapper , Zugriff 17.1.2017

Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen erhebliche Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine starke Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern nur schwer durchzusetzen. Die Menschenrechte haben in Afghanistan eine klare gesetzliche Grundlage (AA 9.2016). Die 2004 verabschiedete afghanische Verfassung enthält einen umfassenden Grundrechtekatalog (AA 9.2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Afghanistan hat die meisten der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge - zum Teil mit Vorbehalten - unterzeichnet und/oder ratifiziert (AA 9.2016).

Im Februar 2016 hat Präsident Ghani, den ehemaligen Leiter der afghanischen Menschenrechtskommission, Mohammad Farid Hamidi, zum Generalstaatsanwalt ernannt (USDOD 6.2016; vgl. auch NYT 3.9.2016).

Drohungen, Einschüchterungen und Angriffe gegen Menschenrechtsverteidiger hielten in einem Klima der Straflosigkeit an, nachdem die Regierung es verabsäumt hatte, Fälle zu untersuchen und Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen.

Menschenrechtsverteidiger wurden sowohl durch staatliche, als auch nicht-staatliche Akteure angegriffen und getötet - (AI 24.2.2016).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt (9.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan

AI - Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Afghanistan, https://www.amnesty.org/en/countries/asia-and-the-pacific/afghanistan/report-afghanistan/, Zugriff 17.2.2017

Max Planck Institut (27.1.2004): Die Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan,

http://www.mpipriv.de/files/pdf4/verfassung_2004_deutsch_mpil_webseite.pdf, Zugriff 22.12.2016

NYT - The New York Times (3.9.2016): New Afghan Attorney General Seeks Justice in System Rife With Graft, https://www.nytimes.com/2016/09/04/world/asia/new-afghan-attorney-general-seeks-justice-in-system-rife-with-graft.html, Zugriff 17.1.2016

USDOD - US Department of Defense (6.2015): Report on Enhancing Security and Stability in Afghanistan, https://www.defense.gov/Portals/1/Documents/Enhancing_Security_and_Stability_in_Afghanistan-June_2016.pdf, Zugriff 17.1.2016

Religionsfreiheit

Etwa 99.7% der Bevölkerung sind Muslime, davon sind 84.7-89.7% Sunniten (CIA 21.11.2016; vgl. USCIRF 4.2016). Schätzungen zufolge, sind etwa 10-19% der Bevölkerung Schiiten (AA 9.2016; vgl. auch: CIA 21.10.2016). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie z.B. Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen zusammen nicht mehr als 1% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (AA 9.2016).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Religionsfreiheit ist in der afghanischen Verfassung verankert, dies gilt allerdings ausdrücklich nur für Anhänger/innen anderer Religionen als dem Islam. Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze sind allesamt im Lichte des generellen Islamvorbehalts (Art. 3 der Verfassung) zu verstehen (AA 9.2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Die Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionsauswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan daher für Muslime nicht. Darüber hinaus ist die Abkehr vom Islam (Apostasie) nach Scharia-Recht auch strafbewehrt (AA 9.11.2016).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 verbessert, wird aber noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformierte Muslime behindert. Blasphemie und Abtrünnigkeit werden als Kapitalverbrechen angesehen. Nichtmuslimische Religionen sind erlaubt, doch wird stark versucht, deren Missionierungsbestrebungen zu behindern (FH 27.1.2016). Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (FH 27.1.2016; vgl. auch:

CSR 8.11.2016).

Im Strafgesetzbuch gibt es keine Definition für Apostasie. Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, für Frauen lebenslange Haft, sofern sie die Apostasie nicht bereuen. Ein Richter kann eine mindere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte - dennoch hatten Individuen, die vom Islam konvertierten, Angst vor Konsequenzen. Christen berichteten, dass sie aus Furcht vor Vergeltung, Situationen vermieden, in denen es gegenüber der Regierung so aussehe, als ob sie missionieren würden (USDOS 10.8.2016).

Nichtmuslimische Minderheiten, wie Sikh, Hindu und Christen, sind sozialer Diskriminierung und Belästigung ausgesetzt, und in manchen Fällen, sogar Gewalt. Dieses Vorgehen ist jedoch nicht systematisch (USDOS 10.8.2016). Dennoch bekleiden Mitglieder dieser Gemeinschaften vereinzelt Ämter auf höchster Ebene (CSR 8.11.2016). Im Mai 2014 bekleidete ein Hindu den Posten des afghanischen Botschafters in Kanada (RFERL 15.5.2014). Davor war Sham Lal Bathija als hochrangiger Wirtschaftsberater von Karzai tätig (The New Indian Express16.5.2012).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Bildungsplan einrichten und umsetzen, der auf den Bestimmungen des Islams basiert; auch sollen religiöse Kurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime ist es nicht erforderlich den Islam an öffentlichen Schulen zu lernen (USDOS 10.8.2016).

Nicht-muslimische religiöse Minderheiten werden durch das geltende Recht diskriminiert. So gilt die sunnitische-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürgerinnen und Bürger, unabhängig von ihrer Religion (AA 9.2016). Für die religiöse Minderheit der Schiiten gilt in Personenstandsfragen das schiitische Recht (USDOS 10.8.2016).

Militante Gruppen haben sich unter anderem als Teil eines größeren zivilen Konfliktes gegen Moschen und Gelehrte gerichtet. Konservative soziale Einstellungen, Intoleranz und das Unvermögen oder die Widerwilligkeit von Polizeibeamten individuelle Freiheiten zu verteidigen bedeuten, dass jene, die religiöse und soziale Normen brechen, anfällig für Misshandlung sind (FH 27.1.2016).

Blasphemie - welche anti-islamische Schriften oder Ansprachen beinhaltet, ist ein Kapitalverbrechen im Rahmen der gerichtlichen Interpretation des islamischen Rechtes. Ähnlich wie bei Apostasie, gibt das Gericht Blasphemisten drei Tage um ihr Vorhaben zu widerrufen oder sie sind dem Tod ausgesetzt (CRS 8.11.2016).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin der zwei anderen abrahamitischen Religionen, Christentum und Judentum, ist. Einer Muslima ist nicht erlaubt einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nicht-muslimischen Glauben deklariert (USDOS 10.8.2016).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt (9.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan

CIA - Central Intelligence Agency (21.11.2016): The World Factbook - Afghanistan,

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/af.html, Zugriff 29.11.2016

CRS - Congressional Research Service (8.11.2016): Afghanistan:

Post-Taliban Governance, Security, and U.S. Policy, https://www.fas.org/sgp/crs/row/RL30588.pdf, Zugriff 30.11.2016

FH - Freedom House (28.4.2015): Freedom of the Press 2015 - Afghanistan, http://www.ecoi.net/local_link/311145/449187_de.html, Zugriff 21.10.2015

Max Planck Institut (27.1.2004): Die Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan,

http://www.mpipriv.de/files/pdf4/verfassung_2004_deutsch_mpil_webseite.pdf, Zugriff 28.11.2016

RFERL - Radio Free Europe/Radio Liberty (15.5.2014): First Afghan Hindu Envoy Takes Pride In Serving His Country, http://gandhara.rferl.org/content/article/25386024.html, Zugriff 29.11.2016

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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