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24/01 Strafgesetzbuch;Norm
AufG 1992 §5 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Schattleitner, über die Beschwerde des 1973 geborenen BO, vertreten durch Mag. Dr. I, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 18. September 1997, Zl. 302.341/4-III/11/96, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer verfügte nach der Aktenlage zuletzt über einen am 7. Juni 1993 von der Bundespolizeidirektion Wien ausgestellten, bis zum 30. November 1993 gültigen Wiedereinreise-Sichtvermerk (vgl. OZl. 8 des Verwaltungsaktes). Ein am 8. November 1993 beim Magistrat der Stadt Wien eingelangter, als "Verlängerungsantrag" bezeichneter Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung wurde vom Landeshauptmann von Wien mit Bescheid vom 30. Jänner 1994 gemäß § 4 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) abgewiesen. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.
Am 29. April 1994 stellte der Beschwerdeführer bei der österreichischen Botschaft in Preßburg neuerlich einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung, der am 5. Mai 1994 beim Magistrat der Stadt Wien einlangte und mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 24. August 1994 gemäß § 9 Abs. 3 AufG abgewiesen wurde. Auch dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.
Am 28. März 1995 stellte der Beschwerdeführer bei der österreichischen Botschaft in Budapest einen dritten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung, der am 3. April 1995 beim Magistrat der Stadt Wien einlangte. Dieser Antrag war erneut als "Verlängerungsantrag" bezeichnet.
Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 11. Mai 1995 wurde auch dieser Antrag, diesmal gemäß § 4 Abs. 1 AufG, abgewiesen. In der dagegen erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, er habe seine langjährige Lebensgefährtin am 25. Februar 1995 geheiratet und habe aus der Lebensgemeinschaft mit ihr zwei Kinder im Alter von fünf bzw. drei Jahren. Seine nunmehrige Ehegattin halte sich seit elf Jahren rechtmäßig in Österreich auf.
In Erledigung dieser Berufung behob der Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 28. Juli 1995 den Bescheid der Behörde erster Instanz.
Mit Bescheid vom 8. August 1996 wies der Landeshauptmann von Wien den Antrag des Beschwerdeführers neuerlich, diesmal gemäß § 6 Abs. 2 AufG, ab. Der Beschwerdeführer erhob abermals Berufung.
Mit Schreiben vom 26. Juni 1997 hielt der Bundesminister für Inneres dem Beschwerdeführer vor, Erhebungen hätten ergeben, dass er bei einer am 6. Oktober 1995 durchgeführten Grenzkontrolle durch die deutsche Grenzpolizei sich mit einem "verfälschten/gefälschten Reisedokument" (§ 223 und § 224 StGB) ausgewiesen hätte. Zu diesem Vorwurf nahm der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter mit Schreiben vom 9. Juli 1997 Stellung und führte dazu aus, dass "diesbezüglich" bereits ein Strafverfahren stattgefunden habe, in dem der Beschwerdeführer vom Landesgericht für Strafsachen Wien am 14. November 1996 zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten, bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt worden sei. Dieses Urteil sei in Rechtskraft erwachsen. Weiters brachte der Beschwerdeführer vor, sowohl seine Ehegattin als auch seine beiden Kinder verfügten über gültige Aufenthaltsbewilligungen bis März 1999.
Der Bundesminister für Inneres wies die Berufung mit Bescheid vom 18. September 1997 gemäß § 5 Abs. 1 AufG und § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes 1992 (FrG) ab. In der Begründung führte der Bundesminister für Inneres aus, die Berufungsbehörde habe festgestellt, dass sich der Beschwerdeführer anlässlich einer im Oktober 1995 durchgeführten Grenzkontrolle mit einem verfälschten Reisepass ausgewiesen habe und er diesbezüglich vom Landesgericht für Strafsachen Wien am 14. November 1996 zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten, bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt worden sei. Durch sein Verhalten habe er gezeigt, dass er nicht gewillt sei, die österreichische Rechtsordnung zu respektieren und einzuhalten, zumal das zu seiner Verurteilung führende Verhalten seine verwerfliche Einstellung zeige und die Annahme rechtfertige, dass sein Aufenthalt eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit darstelle. Damit liege der Sichtvermerksversagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG vor, weshalb keine Aufenthaltsbewilligung erteilt werden dürfe.
Gemäß Art. 8 Abs. 2 MRK sei die Verweigerung der Aufenthaltsbewilligung, sofern damit in das Privat- und Familienleben des Antragstellers eingegriffen würde, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 MRK genannten Ziele notwendig sei. Im Sinne der "damit geforderten Notwendigkeit" dürfe die Aufenthaltsbewilligung nicht verweigert werden, wenn die Auswirkungen einer solchen Entscheidung auf die Lebenssituation des Fremden oder seiner Familie schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Nichterteilung der Bewilligung. Bei dieser Abwägung sei auf die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Antragstellers und seiner Familienangehörigen sowie auf die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen Bedacht zu nehmen.
Trotz der vom Beschwerdeführer angeführten Interessen im Bundesgebiet ("Ihre familiären Bindungen"), welche auch beträchtlich sein mögen, stehe "Ihnen aber das Strafgericht der gegen die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung sprechenden öffentlichen Interessen gegenüber". Die der rechtskräftigen Verurteilung zugrunde liegende strafbare Handlung sei von solcher Bedeutung, dass zur Wahrung der öffentlichen Ordnung, zur Verhinderung von (weiteren) strafbaren Handlungen und zum Schutz der Rechte anderer (Art. 8 Abs. 2 MRK) die durch die Versagung der Aufenthaltsbewilligung tangierten privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers zurückzustehen hätten.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (die Zustellung erfolgte am 29. September 1997) ist für die Überprüfung seiner Rechtmäßigkeit durch den Verwaltungsgerichtshof die Rechtslage nach der Novelle zum Aufenthaltsgesetz BGBl. Nr. 201/1996 maßgeblich.
§ 5 Abs. 1 AufG lautete (auszugsweise):
"§ 5. (1) Eine Bewilligung darf Fremden nicht erteilt werden, bei denen ein Sichtvermerksversagungsgrund (§ 10 Abs. 1 FrG) vorliegt, ..."
§ 10 Abs. 1 Z. 4 FrG lautete:
"§ 10. (1) Die Erteilung eines Sichtvermerkes ist zu versagen, wenn
...
4. der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde;"
Weder nach der Aktenlage noch nach dem Beschwerdevorbringen verfügte der Beschwerdeführer jemals über eine Aufenthaltsbewilligung. Da ein vor Ablauf seines zuletzt am 7. Juni 1993 erteilten, bis zum 30. November 1993 gültigen Wiedereinreise-Sichtvermerkes gestellter Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung bereits rechtskräftig abgewiesen worden war, wertete die belangte Behörde den nunmehrigen (verfahrensgegenständlichen) Antrag des Beschwerdeführers zu Recht nicht als Verlängerungsantrag. Der angefochtene Bescheid ist daher auch nicht gemäß § 113 Abs. 6 oder 7 des Fremdengesetzes 1997 mit Ablauf des 31. Dezember 1997 außer Kraft getreten.
Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, er sei zur Inlandsantragstellung berechtigt gewesen, verkennt er, dass die belangte Behörde ihren Bescheid nicht auf § 6 Abs. 2 AufG gestützt hat.
Die Verfahrensrüge des Beschwerdeführers erweist sich, soweit er den Wechsel des Versagungsgrundes durch die Berufungsbehörde rügt, nicht als berechtigt, weil die belangte Behörde im Berufungsverfahren dem Beschwerdeführer ausdrücklich vorgehalten hat, sich bei einer Grenzkontrolle mit einem verfälschten Reisedokument ausgewiesen zu haben. Da der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme von sich aus angab, er sei bereits vom Landesgericht Wien am 14. November 1996 zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten, bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt worden, konnte auch die belangte Behörde frei von Verfahrensmängeln eine entsprechende Feststellung im angefochtenen Bescheid treffen. Diese Feststellung wird in der Beschwerde im Übrigen nicht bestritten.
Dennoch ist der Beschwerde Erfolg beschieden.
Wie die belangte Behörde im Ergebnis richtig erkannte, rechtfertigt bereits die einmalige Fälschung einer besonders geschützten Urkunde (bzw. der Gebrauch einer solchen) wie eines Reisedokumentes die Annahme, der Aufenthalt eines Fremden stelle eine Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung oder Sicherheit im Bundesgebiet dar (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Mai 1997, Zl. 95/19/0817). Wie die belangte Behörde weiters ebenfalls zutreffend erkannte, hatte sie bei Anwendung des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG auf die privaten und familiären Interessen eines Fremden derart Bedacht zu nehmen, dass sie zu prüfen hat, ob sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit derart gefährden würde, dass die in Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen einen Eingriff in sein Privat- und Familienleben rechtfertigen (vgl. auch hiezu das erwähnte hg. Erkenntnis vom 21. Mai 1997).
Bereits in seiner Berufung gegen der Bescheid der Behörde erster Instanz vom 8. August 1996 hatte der Beschwerdeführer vorgebracht, sich seit 1989 mit gültigen Aufenthaltsberechtigungen in Österreich aufgehalten zu haben. Aktenkundig sind derartige Berechtigungen zumindest seit 7. April 1992 (bis zum Ablauf des zuletzt erteilten gewöhnlichen Sichtvermerkes am 30. November 1993). Ebenso hatte der Beschwerdeführer in der Berufung darauf hingewiesen, dass sich seine Ehegattin bereits über 11 Jahre rechtmäßig in Österreich aufhalte und ebenso wie die - nach der Aktenlage in Österreich geborenen - gemeinsamen Kinder über eine Aufenthaltsbewilligung bis zum März 1999 verfüge.
Ungeachtet der Ausführungen im angefochtenen Bescheid, wonach für die Erforderlichkeitsprüfung im Sinne des Art. 8 Abs. 2 MRK auf die Dauer des Aufenthaltes des Antragstellers und das Ausmaß seiner Integration sowie der seiner Familienangehörigen sowie auf die Intensität der familiären und sonstigen Bindungen Bedacht zu nehmen sei, hat die belangte Behörde die dazu erforderlichen Feststellungen unterlassen und sich mit einem Hinweis auf "familiäre Bindungen" des Beschwerdeführers begnügt. Im Hinblick auf die Intensität der oben wiedergegebenen familiären und privaten Interessen des Beschwerdeführers kann nicht ausgeschlossen werden, dass die belangte Behörde, hätte sie die erforderlichen Feststellungen getroffen und sich mit den familiären Interessen des Beschwerdeführers auseinander gesetzt, trotz der Schwere der diesem zur Last fallenden gerichtlichen Verurteilung zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 20. April 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1997191690.X00Im RIS seit
02.05.2001