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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §4 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde der MH in R, geboren am 5. Februar 1975, vertreten durch Dr. Dietmar Gollonitsch und Mag. Christian Kies, Rechtsanwälte in 3270 Scheibbs, Gürtel 12, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 29. Juni 1998, Zl. 203.771/0-III/08/98, betreffend Zurückweisung eines Asylantrages (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der "Bundesrepublik Jugoslawien", stellte am 4. Mai 1998 einen Antrag auf Gewährung von Asyl. In der vom Bundesasylamt durchgeführten Ersteinvernahme am 5. Mai 1998 wurde ihr ua. vorgehalten, Asylwerber seien "während des Verfahrens in Ungarn zum Aufenthalt berechtigt", dies nach Art. 14 bis 16 des Asylgesetzes Nr. CXXXIX/1997, das seit 1. März 1998 in Geltung stehe.
Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 9. Juni 1998 wurde der Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 4 Abs. 1 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) als unzulässig zurückgewiesen. Begründend wurde u. a. ausgeführt, aufgrund ihrer Angaben zur Fluchtroute stehe fest, dass sie durch Ungarn gefahren sei. Es bestehe für die Beschwerdeführerin die Möglichkeit, in Ungarn Schutz vor Verfolgung zu finden. Die Begründung zum Recht auf Aufenthalt während des Asylverfahrens in Ungarn entspricht dem Vorhalt anlässlich der niederschriftlichen Einvernahme.
In der dagegen erhobenen Berufung wendete die Beschwerdeführerin ua. ein, es sei "aufgrund der derzeitigen Rechtslage in Ungarn keineswegs sichergestellt, dass ein Asylwerber - internationalen Standards entsprechend - bis zum Ende des zweitinstanzlichen (gerichtlichen) Asylverfahrens in Ungarn bleiben darf". Einer Berufung beim Gericht komme "ex lege keine aufschiebende Wirkung zu und können fremdenpolizeiliche Entscheidungen (z.B. Aufenthaltsverbot, Abschiebung) sofort vollstreckt werden".
Die Berufung wurde vom unabhängigen Bundesasylsenat mit Bescheid vom 20. März 1998 gemäß § 4 Abs. 1 AsylG abgewiesen. Der unabhängige Bundesasylsenat begründete seine Entscheidung damit, dass die über Ungarn in das Bundesgebiet eingereiste Beschwerdeführerin dort Schutz vor Verfolgung finden könne.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt § 4 Abs. 2 AsylG für die Zurückweisung eines Asylantrages wegen Drittstaatsicherheit voraus, dass die Asylbehörden im Einzelfall zunächst die Rechtslage im potentiellen Drittstaat ermitteln und dass diese Prüfung ergibt, dass dem Asylwerber während des gesamten im Drittstaat eingerichteten Asylverfahrens (also sowohl eines behördlichen als auch eines nachprüfenden gerichtlichen Verfahrens) in der Regel ein Bleiberecht zusteht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0284).
Weiters gilt für die Berufungsbehörde nach dem gemäß § 67 AVG auch von ihr anzuwendenden § 60 leg. cit., dass in der Begründung des Berufungsbescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und darauf gestützt die Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen ist. Demnach muss in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung der Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise dargelegt werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einem bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1989), 1044 wiedergegebene ständige hg. Rechtsprechung).
Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die Berufungsbehörde die ungarische Rechtslage festzustellen und darzulegen gehabt hätte, auf Grund welcher Überlegungen sie zu dem Ergebnis gelangte, dass die von ihr ermittelte ungarische Rechtslage derart beschaffen sei, dass rechtlich gemäß § 4 Abs. 2 AsylG zu folgern sei, Asylwerber seien während des gesamten (dh. einschließlich eines gerichtlichen Überprüfungsverfahrens) Asylverfahrens in Ungarn regelmäßig "zum Aufenthalt berechtigt". Diesen Anforderungen wird der angefochtene Bescheid jedoch nicht gerecht. Die belangte Behörde begnügt sich im entscheidenden Punkt ihrer Begründung - nach der Feststellung, seit dem 1. März 1998 stehe in Ungarn das Gesetz Nr. CXXXIX/1997 in Geltung, das die einschlägigen Fragen des Flüchtlingsrechts regle - mit folgenden Ausführungen:
"Des weiteren sind Asylwerber während des Verfahrens in Ungarn zum Aufenthalt berechtigt (vgl. Art. 14, 15 des obgenannten Gesetzes)."
Zum oben wiedergegebenen Berufungseinwand führte die belangte Behörde aus:
"Dem Vorbringen der Berufungswerberin zur mangelnden aufschiebenden Wirkung des Rechtsmittels gegen die meritorische Entscheidung durch die Asylbehörden ist zu entgegnen, dass die Genfer Flüchtlingskonvention keine konkreten Verfahrensvorschriften bzw. einen bestimmten Instanzenzug vorsieht. Das in Ungarn vorgesehene Verfahren mit behördlicher Entscheidung in ersten Instanz und nachgeordneter Kontrolle durch ein unabhängiges Gericht entspricht nach Ansicht der Berufungsbehörde aber jedenfalls dem europäischen Standard zur Gewährleistung eines ausreichenden Rechtsschutzes. Zum Einwand, Art. 47 Abs. 2 des ungarischen Asylgesetzes schließe die aufschiebende Wirkung aus, ist auszuführen, dass diese Bestimmung auch normiert, dass allfällige, während des laufenden Asylverfahrens getroffene Entscheidungen der Fremdenpolizei bzw. der Grenzorgane vor Abschluss des Asylverfahrens nicht zu vollstrecken sind, weswegen die von der Berufungswerberin behauptete Gefahr, unverzüglich abgeschoben zu werden, nicht besteht. Im Übrigen besteht gemäß Art. 332 Abs. 3 des ungarischen Gesetzes über Zivilverfahren die Möglichkeit, beim Gericht einen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung zu stellen."
Der angefochtene Bescheid gleicht im Fehlen einer näheren Auseinandersetzung mit der ungarischen Rechtslage zum Punkt "Aufenthaltsberechtigung während des Asylverfahrens" (§ 4 Abs. 2 AsylG) jenem, der dem hg. Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0284, zu Grunde lag.
Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird daher auf die Begründung dieses Erkenntnisses verwiesen. Aus den dort angeführten Gründen war auch der hier angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die belangte Behörde weist zwar - als Antwort auf das Berufungsvorbringen, dass Art. 47 Abs. 2 des ungarischen Asylgesetzes ein Vollstreckungsverbot nur während des erstinstanzlichen Asylverfahrens vorsehe - auf die Möglichkeit der Gewährung von aufschiebender Wirkung durch das die Asylentscheidung überprüfende Gericht gemäß Art. 332 Abs. 3 des ungarischen Gesetzes über Zivilverfahren hin, trifft jedoch keine Feststellungen zu der Frage, ob von dieser Möglichkeit in einer Weise Gebrauch gemacht wird, dass von einem (praktisch ausnahmslos) zuerkannten Recht auf Aufenthalt auch während des Rechtsmittelverfahrens ausgegangen werden kann (vgl. auch dazu das zitierte hg. Erkenntnis zur Zl. 98/01/0284).
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren hinsichtlich des Schriftsatzaufwandes war abzuweisen, weil neben
dem pauschalierten Ersatz des Schriftsatzaufwandes ein Kostenersatz unter dem Titel der Umsatzsteuer nicht zusteht.
Wien, am 21. April 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1998010374.X00Im RIS seit
20.11.2000