TE Bvwg Erkenntnis 2019/3/7 W261 2168854-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.03.2019
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Entscheidungsdatum

07.03.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W261 2168854-1/22E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.08.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der nunmehrige Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben am 06.10.2015 in die Republik Österreich ein und stellte am selben Tag gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung am 08.11.2015 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu an, dass er aus Afghanistan ausgereist sei, weil sein Bruder von den Taliban verschleppt worden sei. Sein Vater habe Angst um das Leben des BF gehabt, weswegen er ihn weggeschickt habe. Der BF habe in weiterer Folge sechs Jahre lang in Griechenland gelebt, bevor er nach Österreich aufgebrochen sei.

Am 12.06.2017 erfolgte die niederschriftliche Ersteinvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge belangte Behörde) im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu. Er gab an, er sei in der Provinz Baghlan geboren, sei Paschtune und habe bis zu seinem 14. Lebensjahr in seinem Heimatdorf gelebt. Er habe keine Schule besucht, er spreche jedoch einige Sprachen. Er habe Afghanistan verlassen, nachdem die Taliban bereits seinen Bruder gezwungen hätten, für diesen zu kämpfen, und der Bruder dabei getötet worden sei. Seine Familie sei auch ins Visier der Regierung gekommen, weil bekannt geworden sei, dass sein Bruder für die Taliban gefallen sei. Er habe sodann sechs Jahre lang in Samos gelebt. Er könne nicht nach Afghanistan zurückkehren, weil die Taliban ihn überall finden würden.

Mit nunmehr angefochtenem Bescheid wies die belangte Behörde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Gemäß § 57 AsylG 2005 erteilte die belangte Behörde dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen und erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt III.). Die belangte Behörde stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei. Weiters sprach die belangte Behörde aus, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV).

Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates bzw. zu der Situation im Falle einer Rückkehr stellte die belangte Behörde insbesondere fest, der BF habe eine Furcht vor Verfolgung durch die Taliban bzw. die Regierung nicht glaubhaft gemacht. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der BF einer konkreten persönlichen asylrelevanten Bedrohung in Afghanistan ausgesetzt gewesen sei, bzw. eine solche zukünftig zu befürchten hätte. Der BF sei volljährig, gesund und arbeitsfähig und könne seinen Lebensunterhalt in Kabul bestreiten. Er liefe nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse nicht befriedigen zu können und in eine aussichtlose Lage zu geraten.

Der BF erhob mit Eingabe vom 24.08.2017, bevollmächtigt vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen diesen Bescheid fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde und führte begründend aus, dass er aus einer Region stamme, in welcher die Taliban aktiv seien. Der BF laufe Gefahr, von den Taliban zwangsrekrutiert zu werden, und der afghanische Staat sei nicht in der Lage, den BF vor dieser Bedrohung zu schützen. Eine zumutbare innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative stehe dem BF nicht zur Verfügung. Der BF habe Afghanistan aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen, weswegen ihm der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen sei. In eventu sei ihm subsidiärer Schutz zu gewähren. Der BF verwies auf eine Reihe von Länderinformationen und legte Integrationsunterlagen vor.

Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 25.08.2017 beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) ein.

Der Verein Menschenrechte Österreich informierte das BVwG mit Emailnachricht vom 22.02.2018 über die Beendigung des Vollmachtsverhältnisses.

Das BVwG führte am 22.02.2018 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der die belangte Behörde entschuldigt nicht teilnahm. Der BF wurde im Beisein seiner Rechtsvertreterin der Caritas und einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu zu seinen Fluchtgründen und zu seiner Situation in Österreich befragt und wurde ihm Gelegenheit gegeben, zu den aktuellen Feststellungen zur Situation in Afghanistan Stellung zu nehmen. Der BF legte in der mündlichen Beschwerdeverhandlung eine Reihe von Integrationsunterlagen und Länderinformationen, ua. Artikel der Afghanistanexpertin Fredericke Stahlmann, vor.

Das BVwG legte im Rahmen der Verhandlung die aktuellen Länderinformationen zu Afghanistan, genauer das Länderinformationsblatt Afghanistan in der Fassung vom 30.01.2018, die Arbeitsübersetzung Landinfo Report Afghanistan: Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne, Auszüge aus der UNHCR Richtlinie vom April 2016, eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 09.08.2017 zu Afghanistan: Taliban-Zwangsrekrutierung von Kindern und die Arbeitsübersetzung über einen EASO Bericht zu Afghanistan Netzwerke vom Jänner 2018, vor und räumte den Parteien des Verfahrens die Möglichkeit ein, hierzu innerhalb einer Frist von drei Wochen eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

Der BF, bevollmächtigt vertreten durch die Caritas, führte in seiner Stellungnahme vom 14.03.2018 im Wesentlichen aus, dass dem BF in Afghanistan von mehreren Seiten asylrelevante Verfolgung drohe. Sein Bruder sei im Dienste der Taliban gestorben, weil er für die Taliban gekämpft habe. Dies sei den afghanischen Sicherheitsbehörden bekannt, weswegen der Vater des BF in Haft genommen und schwer misshandelt worden sei. Die Taliban würden nun fordern, dass entweder der Vater oder der BF sich diesen anschließe. Die Familie habe aufgrund dieser zweifachen Bedrohung Afghanistan verlassen. Die Taliban würden die Identität des BF kennen und der afghanische Staat sei weder gewillt noch in der Lage, den BF vor dieser Bedrohung zu schützen. Der BF sei zudem einem maßgeblichen Risiko ausgesetzt, Opfer willkürlicher Gewalt gegen die Zivilgesellschaft zu werden. Dem BF sei es gelungen, sein Fluchtvorbringen glaubhaft zu machen. Er sei seiner Mitwirkungsverpflichtung umfassend nachgekommen. Dem BF sei daher Asyl zu gewähren. In eventu würden jedenfalls die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes vorliegen. Der BF sei der Gefahr willkürlicher Gewalt ausgesetzt. Die Sicherheitslage habe sich in ganz Afghanistan massiv verschlechtert. Das Europäische Parlament habe jüngst festgestellt, dass Abschiebungen nach Afghanistan völkerrechtswidrig seien. Die Herkunftsprovinz des BF sei besonders volatil. Der BF selbst sei eine vulnerable Person, er lebe bereits seit neun Jahren im Ausland, er leide an einer nicht behandelbaren Störung der Stimmbänder, was insbesondere bei der Arbeitsplatzsuche negativ auffalle. Der BF habe eine angegriffene Gesundheit, sei Analphabet aus dem ländlichen Raum, habe kein Einkommen, kein Vermögen und verfüge über kein soziales Netz. Eine innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative liege nicht vor. Die Großstädte seien nicht sicher, insbesondere Kabul sei gefährlich.

Die belangte Behörde gab keine Stellungnahme ab.

Das BVwG übermittelte den Parteien des Verfahrens mit Schreiben vom 13.07.2018 das Länderinformationsblatt Afghanistan in der Fassung vom 29.06.2018 und räumte die Möglichkeit ein, hierzu eine Stellungnahme abzugeben.

In seiner Stellungnahme vom 13.09.2018, welche der BF durch seine Rechtsvertreterin der Caritas abgab, führte der BF neuerlich aus, dass er individuell von den Taliban verfolgt werde. Unter Zitierung aktueller Länderinformationen verwies der BF darauf, dass ihm eine zumutbare innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative nicht zur Verfügung stehe. Der BF legte wiederum eine Reihe von Integrationsunterlagen vor.

Die belangte Behörde gab keine Stellungnahme ab.

Mit Eingabe vom 26.09.2018 machte der BF darauf aufmerksam, dass die aktuelle UNHCR Richtlinie vom 30.08.2018 explizit darauf hinweise, dass auch Familienangehörige von Rekruten der Antiregierungstruppen Drohungen, Einschüchterungen, psychischer Gewalt und sogar Tötungen ausgesetzt seien.

Das BVwG führte am 10.01.2019 eine Abfrage im GVS System durch, wonach der BF seit 17.11.2015 Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung bezieht.

Aus dem vom BVwG am 10.01.2019 eingeholten Auszug aus dem Strafregister ist ersichtlich, dass der BF im Strafregister der Republik Österreich für den BF keine Verurteilungen aufscheinen.

Das BVwG übermittelte dem BF mit Schreiben vom 15.02.2019 die aktuellen UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018, Auszüge aus den EASO Leitlinien vom Juni 2018 und den aktuellen Länderinformationsbericht 08.01.2019 und die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zum Christen, Konvertiten und Abtrünnigen aus dem Jahr 2017 im Rahmen des Parteiengehörs.

Der BF gab, vertreten durch die Österreichische Caritas, mit Eingabe vom 19.02.2019 eine Stellungnahme ab, wonach der BF freiwillige Tätigkeit beim Hilfswerk im Ausmaß von 64 Stunden ausgeübt habe. Er legte auch ein Empfehlungsschreiben vom 12.02.2019 vor, wonach ihm Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Höflichkeit ebenso beschieden werde, wie der Wunsch, sich in Österreich eine Zukunft aufzubauen. Dies würde die hervorragende Integration des BF belegen. Der BF habe große Angst vor der Abschiebung nach Afghanistan und sei dadurch psychisch sehr belastet. Es werde um baldige Entscheidung gebeten.

In einer weiteren Stellungnahme vom 06.03.2019 führte der BF durch seine Vertreterin der Caritas aus, dass er bereits in seiner Stellungnahme vom 14.03.2018 auf seine besondere Vulnerabilität hingewiesen habe. Er habe sich lange im verpönten Ausland aufgehalten, sei Analphabet, stamme aus dem ländlichen Bereich, verfüge über kein soziales Netzwerk und habe ein auffälliges und ihn beeinträchtigendes Sprachproblem. Aus den übermittelten Länderberichten sei zu entnehmen, dass eine zunehmende Betroffenheit sämtlicher ziviler BürgerInnen, insbesondere auch in den Großstädten Afghanistans vorliege. Auch zu den UNHCR Richtlinien sei bereits in der Stellungahme vom 13.09.2018 sowie mit Faxnachricht vom 26.09.2018 ausgeführt worden. Daraus ergebe sich, dass die Annahme einer (zumutbaren) innerstaatlichen Flucht- und Schutzalternative individuell zu prüfen sei, und dass diese in Kabul generell nicht und in Großstädten häufig nicht gegeben sei. Laut UNHCR würde sich der Großteil der RückkehrerInen in den Slums rund um die Hauptstädte aufhalten, wobei die große Mehrheit der urbanen Bevölkerung dauerhaft arbeitslos oder unterbeschäftigt sei, wobei RückkehrerInnen ohne soziale Netzwerke besonders benachteiligt seien. Derartige Slums seinen laut UNHCR keine zumutbare Flucht- und Schutzalternative.

Auch unter Berücksichtigung der EASO Leitlinien sei davon auszugehen, dass in Afghanistan ein landesweit (mit Ausnahme Panjir) interner bewaffneter Konflikt im Sinne von Artikel 15 (c) der Qualifizierungsrichtlinie bestehe. Daher sei der BF als Zivilist im Sinne von EASO besonders betroffen, da er sich nirgends in Afghanistan auskenne (er habe Afghanistan bereits als Kind verlassen), verfüge über keinerlei soziales Schutz- oder Unterstützungsnetz, und er würde sich im Falle seiner Rückkehr mit aller Voraussicht in einer wirtschaftlich "extrem prekären Lage" befinden. Hinsichtlich der den BF betreffenden individuellen Bedrohung durch den Staat stelle EASO fest, dass jedenfalls keine IFA in Frage komme. Auch hinsichtlich der konkret für die Verfolgung durch die Taliban stelle EASO konkrete Faktoren für die Beurteilung einer IFA fest. Diesbezüglich verweise der BF auf seine Ausführungen in seiner Stellungnahme vom 14.11.2018. Gerade in den Großstädten seien Zivilisten sehr häufig on Attentaten und Anschlägen bedroht. Auch der Sachverständige Dr. Rasuly bestätige in einem Gutachten in einem Beschwerdeverfahren im Jänner 2018, dass die Sicherheitslage in Kabul prekär sei. EASO würde auch beschreiben, wann unzumutbare Härten vorliegen würden, jedenfalls müsse der Zugang zu einem Hilfsnetz und zu finanziellen Mitteln möglich sein. Es seien Ortskenntnisse ebenso erforderlich, dies alles gelte vor allem auch für jene Antragsteller, welche außerhalb Afghanistans geboren seien bzw. über einen sehr langen Zeitraum im Ausland gelebt hätten. Der BF verfüge über kein soziales Netzwerk und keine finanziellen Mittel und könne daher erwarten, keinen unterhaltssicherenden Arbeitsplatz zu bekommen, er werde keine Unterkunft finden, werde keinen Zugang zur medizinischen Versorgung, keinen Zugang zu Sanitäreinrichtungen und werde daher auch seine Basisbedürfnisse nicht stillen können.

Die in der Anfragebeantwortung zu Christen, Konvertiten und Apostaten in Afghanistan angeführte Feststellung, dass Rückehrer/innen aus Europa ganz normal behandelt werden würden, stelle die unbegründete und unbelegt Einzelmeinung eines nicht namentlich genannten Afghanen dar. In diesem Zusammenhang werde auf ein namentlich genanntes Forschungspapier aus dem Jahr 2017 zu "westernised returnees to Kabul" verwiesen, wonach von Rückkehrern große Probleme berichtet werden würden, welche insbesondere ökonomischer Natur seien, welche aber auch die eigene Sicherheit betreffen würden. Insbesondere würden Personen, die von Abschiebungen aus dem weiter entfernten Ausland betroffen seien, erheblich stigmatisiert werden. Insbesondere würden Rückkehrer aus dem Westen als "kontaminiert" angesehen werden, und würden deutlich weniger Zugang zu medizinischer Grundversorgung erhalten. Es gebe auch Berichte, wonach die Taliban an einem Checkpoint einen "Westerner" aus dem Bus gezerrt, gefoltert und exekutiert hätten. Personen, die einen verwestlichten Lebensstil angenommen hätten, seien insbesondere in Kabul als besonders vulnerabel anzusehen. Eine interne Schutzalternative sei besonders problematisch für stigmatisierte Rückkehrer aus dem Westen. Diesen drohe Verfolgung in ihrem ursprünglichen Herkunftsort und Obdachlosigkeit beim Versuch einer Neuansiedlung in einem anderen Landesteil. Insbesondere sei das fehlende soziale Netzwerk ein großes Hindernis bei der Jobsuche. Heimkehrern aus dem Westen werde von der örtlichen Gemeinschaft, aber auch von Staatsbeamten oft Misstrauen entgegengebracht, was zu Diskriminierung und Isolierung führe. Es sei dem BF daher - auch unter Berücksichtigung der bisher bereits ergangenen umfangreichen Stellungnahmen - Asyl zu gewähren, jedenfalls sei ihm jedoch der Status des Subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers

Der BF führt den Namen XXXX , geboren im Dorf XXXX , im Distrikt XXXX , in der Provinz Baghlan, ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an, ist sunnitischer Moslem und ledig. Der BF kennt sein Geburtsdatum nicht. Zu Identifikationszwecken wird das Geburtsdatum mit XXXX festgelegt. Die Muttersprache des BF ist Paschtu. Der BF spricht auch Dari, etwas Griechisch, etwas Urdu und Deutsch auf Niveau A2.

Der BF lebte bis zu seinem 14. Lebensjahr in seinem Heimatdorf.

Der Vater des BF heißt XXXX , er ist über 60 Jahre alt. Seine Mutter heißt XXXX , auch sie ist über 60 Jahre alt. Es kann nicht festgestellt werden, wo die Eltern des BF aktuell leben.

Der BF hat Geschwister, einen älteren Bruder, XXXX , und eine ältere Schwester, XXXX . Es kann nicht festgestellt werden, dass der Bruder des BF bereits verstorben ist. Seine Schwester ist in der Provinz Baghlan verheiratet.

Der Vater des BF war als Landwirt tätig und bewirtschaftete die familieneigenen Grundstücke. Die Mutter des BF ist Hausfrau.

Die Familie des BF war Eigentümerin eines Hauses und von Grundstücken im Geburtsort des BF.

Der BF hat eine Tante väterlicherseits, die noch in Afghanistan lebt.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF weder zu seiner Schwester noch zu seiner Tante Kontakt hat.

Der BF besuchte keine Schule und war Analphabet. Er half seinen Vater in der Landwirtschaft. Der BF kann Malerarbeiten leisten und Erfahrung im Verkauf. Der BF ist Zivilist.

Der BF reiste im Alter von ca. 14 Jahren aus Afghanistan aus und gelangte über den Pakistan, den Iran, die Türkei nach Griechenland, wo er sechs Jahre lang lebte und auch arbeitete. Im Jahr 2015, als die Grenzen offen waren, reiste er nach Österreich, wo er am 06.10.2015 illegal einreiste und am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Der BF leidet an einer funktionellen Dysphonie mit ausgeprägten Taschenbandpressen, einer Erkrankung der Stimme, bei welcher der Stimmklang im Sinne einer Heiserkeit gestört und die stimmliche Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist. Dies führt zu einer Einschränkung der alltäglichen Kommunikationsfähigkeit.

1.2 Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers

Das vom BF dargelegte Fluchtvorbringen betreffend die Gefahr, von den Taliban zwangsrekrutiert zu werden und von der afghanischen Regierung aufgrund des Umstandes, dass sein Bruder im Kampf für die Taliban gefallen sei, verfolgt zu werden, ist nicht glaubhaft.

Der BF war in seinem Heimatland Afghanistan keiner psychischen oder physischen Gewalt aus Gründen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ausgesetzt, noch hat er eine solche im Falle seiner Rückkehr zu befürchten.

Auf Grund der Tatsache, dass sich der BF seit insgesamt neun Jahren in Europa aufhält und eine "westliche Wertehaltung" eingenommen hat, droht ihm im Falle einer Rückkehr keine psychische und/oder psychische Gewalt, ebenso wenig, wie jedem afghanischen Staatsangehörigen, der aus Europa nach Afghanistan zurückkehrt, in Afghanistan psychische und/oder physische Gewalt droht.

Auch sonst haben sich keine Hinweise für eine dem BF in Afghanistan individuell drohende Verfolgung ergeben.

1.3 Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der BF befindet sich seit seiner Antragstellung im Oktober 2015 auf Grund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet. Er bezieht seit seiner Einreise Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung.

Der BF besuchte Deutschkurse, zuletzt auf Niveau B1, und verfügt über recht gute Kenntnisse der deutschen Sprache. In seiner Freizeit besuchte er einen Kickbox-Verein und besucht aktuell das Fitnessstudio. Da der BF keine Arbeitserlaubnis hat, kann er in Österreich nicht arbeiten. Er leistete freiwillige Tätigkeit für das Hilfswerk im Ausmaß von 64 Stunden. Der BF hat in Österreich keine Familienangehörigen. Neben Freundschaften konnten keine weiteren substantiellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens des BF in Österreich festgestellt werden.

Der BF wird als freundlich, hilfsbereit und höflich beschrieben.

Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.4 Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Es kann nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass dem BF bei einer Überstellung in seine Herkunftsprovinz Baghlan aufgrund der volatilen Sicherheitslage in dieser Provinz ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde.

Dem BF steht als interstaatliche Flucht- und Schutzalternative eine Rückkehr in der Stadt Mazar-e Sharif zur Verfügung, wo es ihm möglich ist, ohne Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können bzw. in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten, zu leben. Dem BF würde bei seiner Rückkehr in diese Stadt kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.

Der BF ist jung und arbeitsfähig. Seine Existenz kann er in Mazar-e Sharif - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Er ist auch in der Lage, eine einfache Unterkunft zu finden. Der BF hat auch die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Er hat eine zwar keine Schulausbildung, er hat jedoch bereits Berufserfahrung als Maler und im Verkauf gesammelt, die er auch in Mazar- e Sharif wird nutzen können. Der BF spricht neben seiner Muttersprache Paschtu auch Dari und weitere Fremdsprachen.

Der BF ist weitgehend gesund. Er außer der festgestellten Heiserkeit der Stimme keine anderen gesundheitlichen Probleme. Der BF läuft im Falle der Rückkehr in eine nach Mazar-e Sharif nicht Gefahr, aufgrund seines derzeitigen Gesundheitszustandes in einen unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand zu geraten, oder dass sich eine Erkrankung in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern wird. Es sind auch sonst keine objektivierten Hinweise hervorgekommen, dass allenfalls andere schwerwiegende körperliche oder psychische Erkrankungen einer Rückführung des BF in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.

1.5 Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Zur Lage in Afghanistan werden die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Gesamtaktualisierung vom 29.06.2018 Stand 08.01.2019, in den UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018 und den EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2018, der Arbeitsübersetzung Landinfo report "Afghanistan: Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne" vom 23.08.2017, in der in der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation "Afghanistan: Taliban - Zwangsrekrutierung von Kindern" vom 09.08.2017 und in der Anfragebeantwortung der Staatentendokumentation zu "Afghanistan:

Christen, Konvertiten und Abtrünnige" vom 12.07.2017 enthaltenen folgenden Informationen als entscheidungsrelevant festgestellt:

1.5.1 Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. In einigen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung. In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht. Bewaffnete Aufständischengruppen betreiben illegale Checkpoints und erpressen Geld und Waren.

1.5.1.1. Provinz Baghlan

Baghlan, die Herkunftsprovinz des BF, liegt in Nordostafghanistan und gilt als eine der industriellen Provinzen Afghanistans. Sie befindet sich auf der Route der Autobahn Kabul-Nord, welche neun Provinzen miteinander verbindet. Ihre Hauptstadt heißt Pul-i-Khumri und ist als Wirtschaftszentrum bekannt. Die Provinz besteht aus folgenden Distrikten: Andarab, Baghlan-e-Jadid/Baghlan-e Markazi, Burka, Dahana-e-Ghori, Dehsalah/Banu, Doshi, Fereng Wa Gharu, Guzargah-e-Nur, Khenjan, Khost Wa Fereng, Nahrin, Pul-e-Hasar, Pul-e-Khumri, Tala Wa Barfak/Barfak, Jalga/Khwajahejran. Im Nordosten grenzt Baghlan an die Provinzen Panjsher, Takhar und Kunduz, im Westen an Samangan und Bamyan, im Süden grenzt sie an die Provinz Parwan. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 943.394 geschätzt.

Im Februar 2017 galt Baghlan als eine der am schwersten umkämpften Provinzen des Landes. Die Sicherheitslage hatte sich seit Anfang 2016 verschlechtert, nachdem die Taliban anfingen, koordinierte Angriffe in Schlüsseldistrikten in der Nähe der Hauptstadt auszuführen. Dies führte zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften. Quellen zufolge versuchen regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen ihre Aktivitäten in einigen Schlüsselprovinzen des Nordens und Nordostens zu verstärken. Nichtsdestotrotz gehen die afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräfte mit Anti-Terrorismus-Operationen gegen diese Gruppierungen vor. Als einer der Gründe für die sich verschlechternde Sicherheitslage wird vom Gouverneur der Provinz die Korruption angegeben, die er gleichzeitig zu bekämpfen versprach. Baghlan zu jenen Provinzen, in denen eine hohe Anzahl an Zivilisten aufgrund explosiver Kampfmittelrückstände und indirekter Waffeneinwirkung ums Leben kam. Im Zeitraum 01.01.2017-30.04.2018 wurden in der Provinz 102 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden von UNAMA 222 zivile Opfer (66 getötete Zivilisten und 156 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von Blindgängern/Landminen und gezielten Tötungen. Dies bedeutet einen Rückgang von 38% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016.

In Baghlan werden militärische Operationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden der Provinz von Aufständischen zu befreien. Bei diesen Militäroperationen werden Aufständische und in manchen Fällen auch ihre Anführer getötet.

Berichten zufolge waren im August 2017 die Taliban im Nordwesten der Provinz aktiv. Anfang 2017 fiel der Distrikt Tala Wa Barfak an die Taliban; später wurde er jedoch von den Regierungsmächten wieder eingenommen.

In Baghlan stellen Kohlenbergwerke, nach der Drogenproduktion, eine der Haupteinnahmequellen der Taliban dar, nachdem im Jahr 2017 einige Bergwerke der Provinz unter Kontrolle aufständischer Gruppierungen gekommen war. Berichtet wurde von Vorfällen, in denen die Gruppierung Check-Points errichtete, um Geld von Kohle-transportierenden Fahrzeugen.

Bei der Provinz Baghlan handelt es laut den notorischen EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2018 um einen Landesteil Afghanistans, wo willkürliche Gewalt stattfindet und allenfalls eine reelle Gefahr festgestellt werden kann, dass der BF ernsthaften Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie nehmen könnte - vorausgesetzt, dass er aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse von derartigen Risikofaktoren konkret betroffen ist.

1.5.1.2 Provinz Balkh

Hingegen handelt es sich bei der Provinz Balkh, mit deren Hauptstadt Mazar- e Sharif, laut EASO um einen jener Landesteile, wo willkürliche Gewalt ein derart niedriges Ausmaß erreicht, dass für Zivilisten im Allgemeinen keine reele Gefahr besteht, von willkürlicher Gewalt im Sinne von Art 15 (c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen zu sein.

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften, oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte. Im Zeitraum 01.01.2017 - 30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Im gesamten Jahr 2017 wurden 129 zivile Opfer (52 getötete Zivilisten und 77 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet einen Rückgang von 68% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt. Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben.

1.5.2 Sichere Einreise

Die Stadt Mazar-eSharif ist über den internationalen Flughafen sicher erreichbar. Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher.

1.5.3 Wirtschafts- und Versorgungslage

Zur Wirtschafts- und Versorgungslage ist festzuhalten, dass Afghanistan weiterhin ein Land mit hoher Armutsrate und Arbeitslosigkeit ist. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist. Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut auch im Jahr 2018 weiterhin zu.

In den Jahren 2016-2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten im Jahr 2018 als arbeitslos oder unterbeschäftigt. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können.

Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant.

1.5.3.1 Wirtschafts- und Versorgungslage der Stadt Mazar-e Sharif

Mazar-e Sharif ist ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. In Mazar-e Sharif besteht laut EASO grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Als Alternative dazu stehen ferner günstige Unterkünfte in "Teehäusern" zur Verfügung. Generell besteht in Mazar-e Sharif laut EASO, trotz der im Umland herrschenden Dürre, keinerlei Lebensmittelknappheit. In Mazar-eSharif haben die meisten Leute laut EASO Zugang zu erschlossenen Wasserquellen sowie auch zu besseren Sanitäreinrichtungen. Schulische Einrichtungen sind in Mazar-e Sharif vorhanden.

1.5.4 Medizinische Versorgung

Medizinische Versorgung ist in Afghanistan insbesondere in größeren Städten wie etwa auch in Mazar-e Sharif sowohl in staatlichen als auch privaten Krankenhäusern verfügbar. In Mazar-e Sharif zählt dazu das Alemi Krankenhaus.

Theoretisch ist die medizinische Versorgung in staatlichen Krankenhäusern kostenlos. Dennoch ist es üblich, dass Patienten Ärzte und Krankenschwestern bestechen, um bessere bzw. schnellere medizinische Versorgung zu bekommen. Eine begrenzte Anzahl an staatlichen Krankenhäusern in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. Für den Zugang zur medizinischen Versorgung sind der Besitz der afghanischen Staatsbürgerschaft und die Mitnahme eines gültigen Ausweises bzw. der Tazkira erforderlich. In öffentlichen Krankenhäusern in den größeren Städten Afghanistans können leichte und saisonbedingte Krankheiten sowie medizinische Notfälle behandelt werden. Chirurgische Eingriffe können nur in bestimmten Orten geboten werden, die meist einen Mangel an Ausstattung und Personal aufweisen. Wenn eine bestimmte medizinische Behandlung in Afghanistan nicht möglich ist, sehen sich Patienten gezwungen ins Ausland, meistens nach Indien, in den Iran, nach Pakistan und in die Türkei zu reisen. Da die medizinische Behandlung im Ausland kostenintensiv ist, haben zahlreiche Patienten, die es sich nicht leisten können, keinen Zugang zu einer angemessenen medizinischen Behandlung.

Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände - die oft durch den Krieg hervorgerufen wurden - sind in Afghanistan weit verbreitet, es gibt aber nur geringe Kapazitäten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Spezifische Medikamente sind grundsätzlich verfügbar.

1.5.5 Ethnien und Religion - Paschtunen und Sunniten

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34,1 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht.

Schätzungen zufolge, sind: 40% Paschtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri. Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen.

Ethnische Paschtunen sind die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pasht. Die Paschtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert.

Paschtunen siedeln in einem halbmondförmigen Gebiet, das sich von Nordwestafghanistan über den gesamten Süden und die Gebiete östlich von Kabul bis in den Nordwesten Pakistans erstreckt. Kleinere Gruppen sind über das gesamte Land verstreut, auch im Norden des Landes, wo Paschtunen Ende des 19. Jahrhunderts speziell angesiedelt wurden, und sich seitdem auch selbst angesiedelt haben.

Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Pashtunwali zusammengefasst werden und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen.

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten, wie es auch der BF ist.

1.5.6 Aufständische und Taliban

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte grundsätzlich vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden: das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus. Die Taliban haben hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet. Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans. Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten.

Der Großteil der Rekrutierungen durch die Taliban erfolgt nicht durch Zwangsrekrutierung, wiewohl es grundsätzlich Fälle von Zwangsrekrutierungen in Afghanistan gibt. Taliban nehmen bei der Rekrutierung Zuflucht zu traditionellen Systemen, wo über Lossysteme oder per Quote rekrutiert wird. Kinder werden durch die Taliban indoktriniert und erhalten eine militärische Ausbildung, wie u.a. das Verwenden von kleinen Waffen sowie das Herstellen und Einsetzen von Sprengkörpern. Kinder aus verarmten und ländlichen Gegenden, vor allem unter Talibankontrolle, sind besonders anfällig für Rekrutierungen.

1.5.7 Rückkehrer

In der Zeit von 2012 bis 2017 sind 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt, wobei der Großteil der Rückkehrer aus Pakistan und dem Iran kommen. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück. In der Provinz Balkh ließen sich von den insgesamt ca. 1,8 Millionen Rückkehrer/innen in der Zeit von 2012 bis 2017 109.845 Personen nieder.

Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen besteht auch für zurückkehrende Flüchtlinge das Risiko, in die Armut abzurutschen. Sowohl das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations World Food Programme) als auch andere UN-Organisationen arbeiten mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Kapazität humanitärer Hilfe zu verstärken, rasch Unterkünfte zur Verfügung zu stellen und Hygiene- und Nahrungsbedürfnisse zu stillen.

Die afghanische Regierung kooperierte mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung vulnerable Personen zu unterstützen, einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran, bleibt begrenzt und ist weiterhin auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen. Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig (BFA Staatendokumentation 4.2018). Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung. Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer/innen aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind. Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen die Grundstücksvergabe als entscheidend für den Erfolg anhaltender Lösungen. Hinsichtlich der Grundstücksvergabe wird es als besonders wichtig erachtet, das derzeitige Gesetz zu ändern, da es als anfällig für Korruption und Missmanagement gilt. Auch wenn nicht bekannt ist, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben - und zu welchen Bedingungen - sehen Experten dies als möglichen Anreiz für jene Menschen, die Afghanistan schon vor langer Zeit verlassen haben und deren Zukunftsplanung von der Entscheidung europäischer Staaten über ihre Abschiebungen abhängig ist.

Die Großfamilie ist für Zurückkehrende die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Quellen zufolge verlieren nur sehr wenige Afghanen in Europa den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Quellen zufolge haben aber alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen. Quellen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren.

Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere, wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen "professionellen" Netzwerken (Kolleg/innen, Kommilitonen etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden.

Rückkehrer/innen aus Europa werden ganz normal behandelt. Manche von ihnen werden sogar bewundert, sowohl von der Regierung als auch von der Gesellschaft - außer es gibt einen Grund für die schlechtere Behandlung.

2. Beweiswürdigung:

2.1 Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Herkunft, ethnischen und religiösen Zugehörigkeit sowie zu den Aufenthaltsorten, Familienangehörigen, Sprachkenntnissen, der Schulbildung und Berufserfahrung des BF beruhen auf dessen plausiblen, im Wesentlichen gleichbleibenden Angaben im Laufe des Asylverfahrens.

Der BF gab bei seiner Ersteinvernahme am 12.06.2017 an, dass seine Eltern nach Pakistan gezogen seien, jedoch nach Afghanistan hätten zurückkehren müssen. Er habe seit fünf oder sechs Monaten keinen Kontakt mit diesen (vgl. AS 51). Bei der mündlichen Beschwerdeverhandlung gab der BF an, dass er keinen Kontakt zu seinen Eltern habe, seitdem er Pakistan verlassen habe (vgl. S 9 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung). Angesprochen auf diesen Widerspruch in seinen Aussagen berichtigte der BF seine Aussage, und gab an, dass er zuletzt vor 11 oder 12 Monaten mit seinem Vater telefoniert habe. Obwohl seine Rechtsvertreterin unmittelbar nach diesen Angaben ausführte, dass es sich hierbei um ein sprachliches Missverständnis gehandelt haben müsse, bestätigte die Dolmetscherin, dass der BF "ich" (gemeint seine Ausreise aus Pakistan) gesagt hat (vgl. S 9 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung). Diese Ungereimtheiten legen die Vermutung nahe, dass es sich bei der Aussage, dass der BF keinen Kontakt mehr zu seinen Eltern hat, und er nicht weiß, wo sich diese derzeit aufhalten, um eine reine Schutzbehauptung handelt. Dies ist umso mehr von Bedeutung, als sich der BF allen seinen Stellungnahmen als Hauptargument, weswegen er keinesfalls nach Afghanistan zurückehren könne, darauf bezieht, dass er keinerlei familiäre oder soziale Anknüpfungspunkte in Afghanistan habe. Diese Argumentationslinie wäre naturgemäß gefährdet, wenn der BF zugeben würde, dass er nach wie vor Kontakt zu seinen Eltern hat und diese sich sogar in Afghanistan aufhalten. Zudem steht diese Aussage im Widerspruch zu den zitierten Länderfeststellungen, wonach nur sehr wenige Afghanen in Europa den Kontakt zu ihrer Familie verlieren. Vielmehr stellt sich die Situation nach den zitierten Länderinformationen so dar, dass alleinstehende afghanische Männer wie der BF, egal ob sie kürzer oder länger im Ausland waren, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan haben, zu der sie zurückkehren können. Dementsprechend wird die Feststellung getroffen, dass nicht festgestellt werden kann, wo die Eltern des BF derzeit leben.

Dies gilt auch für die Feststellung, dass nicht festgestellt werden kann, dass der Bruder des BF verstorben ist. Der BF machte auch hierzu widersprüchliche Angaben. Während er bei seiner Erstbefragung angab, dass sein Bruder verschollen ist (AS 9), sagte er bei seiner Ersteinvernahme erstmals aus, dass dieser von den Taliban umgebracht worden sei, wobei er auch an dieser Stelle angab, dass sein Bruder verschollen sei (vgl. AS 51). In weiterer Folge spricht er dann zu seinen Fluchtgründen befragt darüber, dass die Taliban den Leichnam des Bruders vor die Tür gelegt hätten, nachdem sie ihn drei Monate davor mitgenommen hätten (vgl. AS 53). Es macht einen Unterschied ob jemand verschollen ist, oder ob jemand getötet wurde. Daher wecken auch diese widersprüchlichen Angaben des BF zu seinem Bruder den begründeten Zweifel, dass der Bruder tatsächlich verstorben ist. Vielmehr besteht der begründete Eindruck, dass es sich auch bei diesen Aussagen um Schutzbehauptungen handelt, zumal das gesamte Fluchtvorbringen des BF darauf basiert. Dazu im Detail unter Punkt

2.2. Aus diesem Grund wird zum Bruder des BF die entsprechende Feststellung getroffen.

Ebenso wenig ist glaubhaft, dass der BF nicht wissen will, wo sich seine Schwester oder seine Tante aufhalten, und dass er mit beiden keinen Kontakt hat. Wie schon ausgeführt, halten im Ausland aufhältige Afghanen üblicherweise Kontakt zu ihren Familien in Afghanistan. Es wird auch angezweifelt, dass die Eltern des BF so wenige bzw. gar keine, wie im Fall seiner Mutter, Geschwister hatten. Auch diese Ausführungen werden als Schutzbehauptung gewürdigt und runden das Bild ab, dass der BF den Eindruck vermitteln will, dass er in Afghanistan auf sich alleine gestellt sei.

Die Identität des BF konnte mangels Vorlage geeigneter Dokumente nicht festgestellt werden. Die Angaben dienen zur Identifizierung im Asylverfahren.

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers

Bereits die belangte Behörde wertete das Vorbringen des BF betreffend eine asylrelevante Verfolgungsgefahr wegen einer drohenden Zwangsrekrutierung durch die Taliban aufgrund vager und unplausibler Angaben sowie aufgrund von Widersprüchen der vorgebrachten Ereignisse als unglaubhaft. Dem schließt sich das BVwG aus folgenden Gründen an:

Gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 dient die Erstbefragung zwar "insbesondere" der Ermittlung der Identität und der Reiseroute eines Fremden und hat sich nicht auf die "näheren" Fluchtgründe zu beziehen (vgl. hierzu auch VfGH 27.06.2012, U 98/12), ein Beweisverwertungsverbot ist damit jedoch nicht normiert; die Verwaltungsbehörde bzw. das BVwG können in ihrer Beweiswürdigung also durchaus die Ergebnisse der Erstbefragung in ihre Beurteilung miteinbeziehen. Es wird im vorliegenden Fall zwar nicht verkannt, dass sich die Erstbefragung des BF nicht in erster Linie auf seine Fluchtgründe bezog, und diese daher nur in aller Kürze angegeben und protokolliert wurden. Der BF war zum Zeitpunkt seiner Erstbefragung bereits ca. 20 Jahre alt, und somit volljährig.

Der BF gab bei der Erstbefragung jedoch zu seinem Bruder und zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass dieser verschollen sei (vgl. AS 9: Bruder XXXX , ca. 28 Jahre verschollen und AS 13 befragt zu seinem Fluchtgrund: "Mein Bruder wurde von den Taliban verschleppt, mein Vater hatte Angst um mein Leben. Deswegen schickte mich mein Vater aus Afghanistan weg, obwohl ich nur 14 Jahre alt war.") Er spricht bei seiner Erstbefragung nicht davon, dass dieser bereits verstorben sein soll, wie er dies erstmals bei seiner Ersteinvernahme behauptet. Dort gib er zu seinem Bruder befragt wiederum an, dass dieser verschollen sei. Er sei durch die Taliban umgebracht worden, die Taliban hätten ihn mitgenommen, um Krieg zu führen (vgl. AS 51). Zu seinen Fluchtgründen befragt sagt er bei der Ersteinvernahme vor der belangten Behörde erstmals aus, dass die Taliban seinen Bruder mitgenommen hätten, nach ca. drei Monaten hätten sie den Leichnam des Bruders vor die Tür gelegt, und sie hätten die Leiche beerdigt. (vgl. AS 53) Es ist nicht nachvollziehbar, weswegen der BF einerseits davon spricht, dass sein Bruder verschollen sei (vgl. AS 9, 13 und 51), während er etwas später behauptet, dass er tot sei, und "wir die Leiche beerdigt" haben (vgl. AS 53). Es macht einen Unterscheid, ob jemand verschollen ist, dh, dass dessen Aufenthaltsort unbekannt ist, oder ob jemand tot ist und sein Grab bekannt ist. Gänzlich unnachvollziehbar ist, dass der BF, für den Fall, dass der Bruder tatsächlich tot vor der Haustür lag, und dies das fluchtauslösende Momentum war, wie er dies darzustellen versucht, er dies mit keinem Wort bei seiner Erstbefragung erwähnt. Bei einem derartig dramatischen Ereignis, wie es der Tod eines Bruders ist, wird bei dessen tatsächlichen Eintreten niemand davon sprechen, dass dieser "verschollen" ist. Vielmehr liegt die begründete Vermutung nahe, dass es sich bei diesem Vorbringen um ein Konstrukt handelt, um eine asylrelevante Verfolgung belegen zu können, was dem BF jedoch nicht gelungen ist, glaubhaft darzustellen.

Es ist nicht glaubhaft, dass sich die Taliban die Mühe machen und sich der Gefahr aussetzen, einen Leichnam eines Mannes, der im Kampf getötet wurde, zum Haus dessen Familie zurückzubringen, und diesen Mann quasi vor die Haustüre zu leben, wie dies der BF behauptet.

Zudem führt der BF erstmals bei der Ersteinvernahme aus, dass auch die Polizei zur Familie des BF gekommen sei, dies jedoch erst nach der Beerdigung des Bruders (vgl. AS 53: "Wir haben die Leiche beerdigt, dann kam die Polizei"). Auch hier gibt es einen Widerspruch, führte der BF doch bei der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG, aus, dass die Polizei den Vater bereits vor der Beerdigung mitgenommen habe. (vgl. S 14 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung: "Dennoch hat die Polizei keine Rücksicht genommen und meinen Vater mitgenommen. Ich blieb alleine mit der Leiche.")

Auch hier handelt es sich um dramatische Vorfälle, vor allem wenn berücksichtigt wird, dass der BF damals erst ca. 14 Jahre alt war. Es macht einen Unterschied, ob der BF den Bruder alleine beerdigen musste, wie er dies bei der mündlichen Beschwerdeverhandlung schilderte, oder ob der Vater zum Zeitpunkt der Beerdigung noch anwesend war, wie er dies bei seiner Ersteinvernahme darstellte.

Ebenso wenig ist glaubhaft, dass die Polizei den Vater des BF und in weiterer Folge auch den BF bedrohe, weil dessen Sohn bzw. Bruder für die Taliban im Kampf gefallen sei. Zwar ist auch durch notorische ältere Länderinformationen zu Afghanistan aus den Jahren 2009 und 2010 belegt, dass Aufständische in der Provinz Baghlan tätig waren. Der BF vermochte jedoch nicht nachvollziehbar darzustellen, welchen Vorwurf die Polizei dem Vater des BF noch gemacht haben will, wenn dieser ohnehin angegeben haben soll, dass der Bruder des BF anders zu Tode gekommen sei, und eben nicht im Kampf für die Taliban gefallen sei (vgl. S 14 der Beschwerdeverhandlung).

In weiterer Folge seien die Taliban neuerlich ins Haus gekommen und hätten den BF oder seinen Vater mitnehmen wollen. Auch diese Aussage ist nicht glaubhaft. Der Vater des BF war zum damaligen Zeitpunkt bereits für afghanische Verhältnisse ein alter Mann und der BF war noch ein vierzehnjähriges Kind. Der BF vermochte nicht darzutun, welches Interesse die Taliban gehabt haben sollen, den Vater des BF oder gar den damals erst 14jährigen BF mitzunehmen. Aus den zitierten Länderinformationen ist ersichtlich, dass der Großteil der Rekrutierungen durch die Taliban nicht durch Zwangsrekrutierung erfolgt, wiewohl es grundsätzlich Fälle von Zwangsrekrutierung gibt. Zwar sind Kinder aus verarmten Gebieten, vor allem unter Talibankontrolle, besonders anfällig für Rekrutierungen, nur erfolgen diese Rekrutierungen durch Indoktrinierungen und Ausbildung im Herstellen und Einsetzen von Sprengkörpern. Dass die Taliban die Kinder mitnehmen, um diese im Kampf einzusetzen, wie dies der BF behauptet, deckt sich nicht mit den zitierten Länderinformationen.

Auch wenn der BF in seiner Beschwerde und seinen Stellungnahmen sehr umfangreich und ausführlich, auch unter Zitierung diverser Länderinformationen über Afghanistan ausführt, dass Menschen, die eine Zusammenarbeit mit den Taliban verweigern, einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt seien, ist dem entgegen zu halten, dass diese Informationen und Aussagen grundsätzlich richtig sind, jedoch nur dann zur Anwendung kommen können, wenn der BF einen Vorfall glaubhaft machen kann, wonach er ins Visier der Taliban geraten ist, oder sein kann. Derartiges ist dem BF nicht gelungen, vielmehr wird sein diesbezügliches Vorbringen auch vom BVwG aus den oben näher ausgeführten Gründen als unglaubhaft gewürdigt.

Im Gesamtzusammenhang betrachtet ist daher nicht davon auszugehen, dass dem BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan Übergriffe durch die Taliban drohen. Selbst wenn diese Vorfälle stattgefunden haben sollen, ist dies ca. 10 Jahre her, und es ist dem BF nicht gelungen darzutun, welches Interesse die Taliban nach so langer Zeit noch am BF haben sollten. Der BF gab zude

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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