TE OGH 2019/2/26 4Ob143/18k

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Veröffentlicht am 26.02.2019
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache des Klägers Ing. A***** K*****, vertreten durch Mag. Michael Raffaseder, Rechtsanwalt in Freistadt, gegen die Beklagte Mag. C***** B*****, vertreten durch GKP Gabl Kogler Leitner Stöglehner Bodingbauer Rechtsanwälte OG in Linz, wegen Unterfertigung eines Kaufvertrags (Streitwert 19.000 EUR), über die Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 23. April 2018, GZ 6 R 38/18b-17, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 16. Februar 2018, GZ 38 Cg 62/17f-13, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung der Beklagten an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Zwischen dem Kläger als Eigentümer des (angeblich) herrschenden und der Beklagten als Eigentümerin des (angeblich) dienenden Grundstücks kam es zu mehreren gerichtlichen Auseinandersetzungen über das Bestehen einer Wegeservitut. Im Zuge eines solchen Verfahrens traten die Parteien, jeweils vertreten durch ihre Rechtsanwälte, in Vergleichsverhandlungen über den Verkauf des Beklagtengrundstücks an den Kläger ein. Die Korrespondenz wurde von den Vertretern der Parteien über E-Mail-Verkehr geführt, den E-Mails war jeweils ein „Anwaltsbrief“ als PDF-Dokument angefügt, in denen sich die eigentlichen Erklärungen fanden. Die E-Mails des Anwalts der Beklagten enthielten einen Disclaimer, wonach per E-Mail abgegebene Erklärungen ohne nachfolgende schriftliche Bestätigung keine Rechtswirkungen nach sich zögen. Weder dem Vertreter des Klägers noch diesem selbst fiel diese Erklärung auf.

Nachdem der Klagevertreter einen Kaufvertragsentwurf ausgearbeitet und die vom Vertreter der Beklagten gewünschten Änderungen eingefügt hatte, verweigerte die Beklagte die Unterfertigung des Kaufvertrags und kündigte die Schenkung eines Teils der Liegenschaft an die Gemeinde an.

Der Kläger begehrt, die Beklagte schuldig zu erkennen, den Kaufvertrag in verbücherungsfähiger Form zu unterzeichnen.

Die Beklagte wandte, soweit in dritter Instanz relevant, ein, aufgrund des Disclaimers sei die Schriftform vereinbart worden, welche nicht erfüllt sei.

Das Erstgericht gab der Klage statt.

Es traf ua folgende Feststellungen:

„Spätestens zu diesem Zeitpunkt bestand zwischen den Parteien ein (natürlicher) Konsens betreffend den Verkauf der Liegenschaft. Dass dieser unter einem 'Formvorbehalt' stünde, wurde von niemandem angenommen.“

Rechtlich folgerte es, die Parteien hätten nicht nur über Ware und Preis, sondern auch über sämtliche Nebenpunkte Einigung erzielt; es fehle jeder Anhaltspunkt dafür, dass sie sich wegen eines Formvorbehalts nicht gebunden fühlten. Der Formvorbehalt im Disclaimer sei einerseits nach § 864a ABGB unwirksam, andererseits bezöge er sich nur auf in der E-Mail selbst enthaltene Äußerungen, nicht jedoch auf als PDF angehängte Schreiben.

Das Berufungsgericht wies die Klage ab. Die Beweisrüge gegen die Feststellung zum Konsens der Parteien und zu ihrem Verständnis des Disclaimers ließ es unerledigt, weil diese überschießend und deswegen – sowie wegen des Vorrangs des objektiven Erklärungswerts – unbeachtlich sei. Auch ein einseitig erklärter Formvorbehalt sei wirksam. Er sei auch nicht überraschend iSd § 864a ABGB und daher wirksam zustande gekommen. In Stellvertretungsfällen bedeute der Vorbehalt in der Regel, dass der Bevollmächtigte keine Vollmacht zur Abgabe formfreier Erklärungen besitze.

Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zur Beurteilung einseitiger Formvorbehalte in E-Mail-Disclaimern zugelassene Revision des Klägers mit dem Antrag, das klagestattgebende Ersturteil wiederherzustellen, in eventu das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt.

1.1. Grundsätzlich kann von einem vereinbarten Formvorbehalt einseitig nicht wieder abgegangen werden (RIS-Justiz RS0038673). Bezugspunkt dieser Rechtsprechung sind zwei- (oder mehr-)seitige Verträge, in denen die Parteien einen solchen Formvorbehalt einverständlich festgelegt haben.

1.2. Im konkreten Fall geht es aber um einen Formvorbehalt in Bezug auf die Wirksamkeit einseitiger Erklärungen im vorvertraglichen Bereich. Diesbezüglich ist in Rechtsprechung und Lehre anerkannt, dass eine Partei nicht nur einseitig bestimmen kann, dass die Annahme ihres Angebots in einer bestimmten Form erfolgen müsse (RIS-Justiz RS0014022; RS0015804), sondern auch, dass sie die Wirksamkeit einer selbst abgegebenen Erklärung unter die Bedingung der Einhaltung einer bestimmten Form stellen kann (RIS-Justiz RS0017194, 3 Ob 432/54 = SZ 27/192; Riedler in Schwimann/Kodek4 § 884 ABGB Rz 1; Kolmasch in Schwimann/Neumayr, ABGB Taschenkommentar4 § 884 Rz 1; Dullinger in Rummel/Lukas4 § 884 ABGB Rz 1; P. Bydlinski in KBB5, § 884 Rz 1). Durch eine solche Beifügung gibt der Erklärende zu erkennen, dass es ihm in Bezug auf seine Erklärung vor Einhaltung der Form am endgültigen Bindungswillen fehlt (vgl RIS-Justiz RS0078937).

2.1. Wie auch bei zweiseitigen Verträgen ein (konkludentes) Abgehen von der gewillkürten Schriftform (RIS-Justiz RS0014378) oder, zur Widerlegung der Vermutung des § 884 ABGB, der Beweis eines trotz Formvorbehalts gefassten Bindungswillens möglich und zulässig ist (RIS-Justiz RS0017283; RS0017286; 3 Ob 133/13z), ist dies auch bei einseitigen Erklärungen der Fall (vgl 7 Ob 571/95). Auch hier hat die Partei bei Erklärung des Formvorbehalts in der Regel nicht den Fall bedacht, dass sie eine spätere Erklärung verbindlich meint, ohne an den Formvorbehalt zu denken (vgl 9 ObA 156/12z, Rummel, Probleme gewillkürter Schriftform, JBl 1980, 236 [238]).

2.2. Die vom Berufungsgericht genannte Einschränkung in Vertretungsverhältnissen betrifft den Fall, dass der Vertretene für die Gültigkeit der Erklärungen seines Vertreters die Schriftform bestimmt (vgl Kalss in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON § 884 Rz 9 mwN). Dort bewirkt die Erklärung zugleich eine Vollmachtsbeschränkung, die der Vertreter nicht einseitig aufheben kann (RIS-Justiz RS0017244). Dass dies hier der Fall sei, ist aber nicht festgestellt. Für vom Vertreter aus eigenem abgegebene Formvorbehalte ist diese Rechtsprechung daher nicht einschlägig.

3.1. Das Erstgericht hat festgestellt, dass von keinem der Beteiligten (trotz des Disclaimers) ein Formvorbehalt angenommen worden sei, vielmehr hätten die Parteien natürlichen Konsens über den Verkauf der Liegenschaft erzielt.

3.2. Soweit das Berufungsgericht dazu ausführt, es komme nicht auf das Verständnis der Parteien in Bezug auf die konkrete Erklärung, sondern (nur) auf den objektiven Erklärungswert des Disclaimers an, setzt es sich über den allgemeinen Grundsatz der Auslegung von Verträgen bzw einseitigen Erklärungen (RIS-Justiz RS0014169; RS0017894) hinweg (vgl RIS-Justiz RS0042776; RS0042779), dass bei übereinstimmendem Verständnis der Parteien der objektive Erklärungswert hinter dem natürlichen Konsens zurückzustehen hat (RIS-Justiz RS0017741; RS0014005 [insb T5]).

3.3. Die vom Erstgericht getroffene (in der Berufung der Beklagten bekämpfte) Feststellung, die Parteien hätten (spätestens) am 10. 8. 2017 natürlichen Konsens erzielt, ist nicht überschießend. Unbeachtliche, überschießende Feststellungen liegen nicht schon dann vor, wenn sie sich nicht wörtlich mit den Parteienbehauptungen decken (vgl 4 Ob 25/16d), sondern nur dann, wenn sie sich nicht mehr im Rahmen des Klagsgrundes oder der erhobenen Einwendungen halten (RIS-Justiz RS0040318 [T1]; RS0037972 [T9]). Hier brachte der Kläger wörtlich vor, „spätestens zu diesem Zeitpunkt (9. 8. 2017)“ habe „eine vollständige vertragliche Einigung“ bzw eine „vollständige Willensübereinstimmung“ der Parteien vorgelegen. Darin findet die vom Erstgericht getroffene Feststellung jedenfalls Deckung. Auch dass die Parteien und insbesondere nicht (einmal) der Vertreter der Beklagten von einem Formvorbehalt ausgingen, findet Deckung im Vorbringen des Klägers, Zweck des Disclaimers sei es nicht gewesen, einen Formvorbehalt zu vereinbaren.

3.4. Die im Berufungsverfahren als unrichtig bekämpften Feststellungen sind daher beachtlich. Sie sind aus den oben dargelegten Gründen auch relevant, tragen sie doch die Annahme, dass die Parteien den Disclaimer nicht als (einseitigen) Formvorbehalt für auf das konkrete Rechtsgeschäft bezogene Erklärungen des Vertreters der Beklagten verstanden bzw trotzdem bindende Erklärungen abgegeben haben.

3.5. Das Berufungsgericht wird daher die Beweisrüge der Berufung zu erledigen und sodann neuerlich über die Rechtsfrage zu entscheiden haben.

4. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Schlagworte

E?Mail?Disclaimer,

Textnummer

E124515

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0040OB00143.18K.0226.000

Im RIS seit

09.04.2019

Zuletzt aktualisiert am

10.02.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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