Entscheidungsdatum
04.02.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W158 2203742-1/14E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Yoko KUROKI-HASENÖHRL über die Beschwerde des XXXX alias XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Land Salzburg als Kinder- und Jugendhilfeträger, dieses vertreten durch den Bürgermeister der Stadt Salzburg (Jugendamt), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger Afghanistans, reiste in das Bundesgebiet ein und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.
I.2. Am XXXX wurde der BF im Beisein seines gesetzlichen Vertreters und einer Rechtsberaterin durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Oberösterreich niederschriftlich erstbefragt. Dabei gab er an, am XXXX in XXXX geboren worden zu sein und zwei Jahre die Schule besucht zu haben. Befragt nach seinen Fluchtgründen führte der BF aus, sein Onkel, der mit den Amerikanern zusammengearbeitet habe, sei in Afghanistan getötet und vor die Haustür gelegt worden. Daraufhin habe seine Familie Afghanistan verlassen. Er habe auch nicht regelmäßig eine Schule besuchen können.
I.3. Am XXXX langte ein Amtsvermerk der LPD XXXX ein, wonach der BF des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt verdächtig sei.
I.4. Mit Verfahrensanordnung vom XXXX wurde dem BF mitgeteilt, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) aufgrund der am BF vorgenommenen Untersuchungen von einem Mindestalter von 14,9 Jahren ausgehe und daher den XXXX als Geburtsdatum annehme.
I.5. Am XXXX langte ein Zwischenbericht der LPD XXXX ein, wonach der BF des Raufhandels und der Sachbeschädigung verdächtig sei.
I.6. Am XXXX langte ein Abschlussbericht ein, wonach der BF des Raubes verdächtig sei.
I.7. Mit Schreiben vom XXXX teilte das Landesgericht XXXX mit, dass gegen den BF wegen vorsätzlich begangener strafbarer Handlungen ein rechtskräftiges Urteil ergangen sei.
I.8. Am XXXX langte ein weiterer Abschlussbericht der LPD XXXX ein, wonach der BF der Körperverletzung verdächtig sei.
I.9. Am XXXX fragte das AMS hinsichtlich der Aufenthaltsberechtigung des BF an, da ein Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung gestellt worden sei.
I.10. Am XXXX erstattete die LPD XXXX Meldung, dass der BF eines Vergehens gegen das Suchtmittelgesetz verdächtig sei.
I.11. Am XXXX langte eine Meldung der LPD XXXX ein, wonach der BF wegen des Verdachts des schweren sexuellen Missbrauchs Unmündiger angehalten worden sei. Am XXXX verständigte die Staatsanwaltschaft XXXX das BFA, dass das Ermittlungsverfahren in Bezug auf diesen Vorwurf eingestellt worden sei.
I.12. Am XXXX wurde das BFA von einer rechtskräftigen Verurteilung des BF verständigt.
I.13. Am XXXX erstattete die LPD XXXX Bericht, dass der BF gemeinsam mit anderen Jugendlichen im Zuge einer Auseinandersetzung einen Mann angegriffen und im Gesichtsbereich verletzt hätte.
I.14. Am XXXX verständigte die Staatsanwaltschaft XXXX das BFA, dass gegen den BF Anklage wegen vorsätzlich begangener strafbarer Handlungen erhoben worden sei.
I.15. Am XXXX langte eine Verständigung einer rechtskräftigen Verurteilung ein.
I.16. Am XXXX erstattete die LPD XXXX Bericht, dass der BF in einer Schlägerei verwickelt gewesen sei.
I.17. Am XXXX übermittelte das AMS eine Beschäftigungsbewilligung für den BF.
I.18. Am XXXX wurde der BF von einem Organwalter des BFA und in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und seiner gesetzlichen Vertreterin niederschriftlich einvernommen. Der BF wurde dabei u.a. zu seinem Gesundheitszustand, seiner Identität, seinen Lebensumständen in Afghanistan, seinen Familienangehörigen und seinen Lebensumständen in Österreich befragt. Nach den Gründen befragt, die den BF bewogen hätten, seine Heimat zu verlassen, gab dieser an, er wisse nicht, warum seine Familie Afghanistan verlassen habe. Er könne nicht nach Afghanistan zurückkehren, da er dort niemanden habe. Nachgefragt gab er weiters an, sein Onkel und sein Vater seien am Flughafen in XXXX als Schweißer tätig gewesen. Er habe gehört, dass sein Onkel getötet und vor dessen Haustüre gelegt worden sei.
Als Beilage zur Niederschrift wurden diverse Integrationsunterlagen des BF genommen.
I.19. Am XXXX langte eine Verständigung des Bezirksgerichts XXXX ein, wonach der BF rechtskräftig verurteilt worden sei.
I.20. Am XXXX verständigte die Staatsanwaltschaft XXXX das BFA, dass gegen den BF Anklage erhoben worden sei.
I.21. Mit Verfahrensanordnung vom XXXX teilte das BFA dem BF den Verlust seines Aufenthaltsrechts mit.
I.22. Am XXXX langte eine Meldung der LPD XXXX ein, wonach gegen den BF der Verdacht der Unterschlagung bestehe.
I.23. Am XXXX verständigte die Staatsanwaltschaft XXXX das BFA, dass gegen den BF Anklage erhoben worden sei.
I.24. Mit Bescheid vom XXXX , dem gesetzlichen Vertreter des BF am XXXX zugestellt, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan unzulässig und sein Aufenthalt daher geduldet sei (Spruchpunkt V.). Zudem wurde gegen den BF ein Einreiseverbot von fünf Jahren erlassen (Spruchpunkt VI.) und festgestellt, dass er sein Recht zum Aufenthalt ab dem XXXX verloren habe.
Der BF habe für seinen Herkunftsstaat keine asylrelevanten Fluchtgründe glaubhaft geltend gemacht. Eine Verfolgung iSd GFK habe daher nicht festgestellt und dem BF der Status eines Asylberechtigten nicht gewährt werden können. Aufgrund seiner Minderjährigkeit und dem fehlenden familiären Anschluss in Afghanistan würde der BF bei einer Rückkehr einer realen Gefahr einer Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK ausgesetzt sein. Es sei ihm jedoch kein subsidiärer Schutz zu gewähren, da er mehrmals verurteilt worden sei. Gemäß § 57 AsylG sei eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nicht zu erteilen, da die Voraussetzungen nicht vorlägen. Es hätten auch keine Gründe festgestellt werden können, wonach bei einer Rückkehr des BF gegen Art. 8 Abs. 2 EMRK verstoßen würde, weswegen auch eine Rückkehrentscheidung zulässig sei. Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung aus dem österreichischen Bundesgebiet sei unzulässig, da einer Rückkehr Art. 3 EMRK entgegenstehe. Aufgrund seiner Straftaten sei ein Einreiseverbot zu verhängen, da eine negative Zukunftsprognose zu erstellen sei.
I.25. Mit Verfahrensanordnung vom XXXX wurde dem BF amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.
I.26. Am XXXX wurde das BFA von der Staatsanwaltschaft XXXX verständigt, dass gegen den BF ein Strafantrag eingebracht worden sei.
I.27. Am XXXX erstattete die LPD XXXX Bericht, dass der BF wegen des Verdachts der Körperverletzung angezeigt werde.
I.28. Am XXXX erhob der BF durch seinen Vertreter Beschwerde wegen unrichtiger Beweiswürdigung, unrichtiger rechtlicher Beurteilung, unvollständiger Sachverhaltserhebung und unterlassener Einholung maßgeblicher Beweismittel. Es wurde beantragt dem BF den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, in eventu ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu gewähren, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen; in eventu den angefochtenen Bescheid zu beheben und zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverweisen; in eventu die Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig zu erklären und ihm einen Aufenthaltstitel zu erteilen.
Begründend wurde ausgeführt, aufgrund der Minderjährigkeit des BF habe das BFA eine erhöhte Ermittlungspflicht getroffen. Eine Auseinandersetzung mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln habe jedoch nicht in ausreichender Weise stattgefunden. Hätte das BFA die Minderjährigkeit des BF in seiner Beweiswürdigung beachtet, hätte es von einer Glaubwürdigkeit des BF ausgehen müssen. Zudem habe es das BFA unterlassen sich mit der Situation von schiitischen Hazara auseinanderzusetzen. Auch aus diesem Grund drohe dem BF jedoch eine Verfolgung. Der BF übernehme die Verantwortung für seine Taten, habe eine Lehre begonnen und spreche sehr gut Deutsch. Es sei daher die Rückkehrentscheidung unzulässig und das Einreiseverbot aufzuheben.
I.29. Am XXXX benachrichtigte die Staatsanwaltschaft XXXX das BFA, dass ein Ermittlungsverfahren gegen den BF eingestellt worden sei.
I.30. Am XXXX langte die gegenständliche Beschwerde samt dem Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht ein.
I.31. Am XXXX legte das BFA eine Verständigung der Staatsanwaltschaft XXXX vor, wonach gegen den BF Anklage erhoben worden sei.
I.32. Am XXXX legte das BFA eine weitere Verständigung der Staatsanwaltschaft XXXX vor, wonach gegen den BF ein Strafantrag eingebracht worden sei.
I.33. Am XXXX führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der der BF, seine Rechtsvertreterin und das BFA teilnahmen. Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurde der BF im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari u.a. zu seiner Identität und Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen, zu seinem Gesundheitszustand, seinen Familienangehörigen, seinen Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen sowie zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich befragt. Als Zeuge wurde der Betreuer des BF in seiner Wohneinrichtung vernommen.
I.34. Am XXXX legte der Verein menschen.leben mit sofortiger Wirkung die Vollmacht zurück.
Als Beilage zur Niederschrift wurden Empfehlungsschreiben, eine Verständigung von einer weiteren rechtskräftigen Verurteilung und die dazugehörige gekürzte Urteilsausfertigung sowie zwei Verständigungen, dass gegen den BF wegen weiterer Delikte Anklage erhoben worden sei, genommen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:
-
Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA betreffend den BF; insbesondere in die Befragungsprotokolle;
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Befragung des BF und des Zeugen im Rahmen einer öffentlich mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am
XXXX ;
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Einsicht in die in das Verfahren eingeführte Länderberichte zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat;
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Einsicht in das Strafregister, das Melderegister und das Grundversorgungssystem.
II.1. Sachverhaltsfeststellungen:
II.1.1. Zum BF und seiner Situation im Falle einer Rückkehr:
Der BF ist Staatsangehöriger von Afghanistan und gehört der Volksgruppe der Hazara und der schiitischen Glaubensgemeinschaft an. Seine Identität kann nicht festgestellt werden. Die Muttersprache des BF ist Dari.
Der BF stammt aus der Provinz XXXX , wo eine entfernte Verwandte des BF wohnt. Der Aufenthalt der restlichen Familienmitglieder ist unbekannt.
Dem BF droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan keine Verfolgung aufgrund von Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung.
Bei der Herkunftsprovinz des BF handelt es sich um eine unsichere Provinz Afghanistans, in der die Taliban insbesondere in den Anfangsmonaten des Jahres 2018 ihre Aktivitäten verstärkten. Dem BF würde im Falle einer Rückkehr in diese Provinz die reale Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung drohen.
Der BF liefe aber auch bei einer Ansiedelung außerhalb seiner Herkunftsprovinz, etwa in der Stadt Kabul oder ähnlichen sicheren Gebieten Afghanistans, mangels sozialer und familiärer Anknüpfungspunkte oder Unterstützung, der hohen Zahl an minderjährigen Opfern auch in zentralen Regionen und Städten, der dadurch eingeschränkten Bewegungsfreiheit sowie mangels ausreichender Unterkunftsmöglichkeiten wegen seiner Minderjährigkeit Gefahr, grundlegende Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft für sich nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose beziehungsweise existenzbedrohende Situation zu geraten. Es wäre ihm dort nicht möglich ein Leben wie seine Landsleute zu führen.
Der BF nahm an Deutschkursen teil und kann sich im Alltag auf Deutsch verständigen. Der BF besuchte im Schuljahr 2016/17 vom 06.03.2017 bis 07.07.2017 die Neue Informatik-Mittelschule XXXX und wurde in keinem Gegenstand beurteilt. Von 02.01.2018 bis 08.02.2018 war der BF Lehrling für den Beruf Restaurantfachmann bei der XXXX . Von 10.04.2018 bis 05.05.2018 war der BF als Lehrling für den Beruf als Restaurantfachmann bei XXXX beschäftigt. Seit 10.09.2018 besucht der BF den Pflichtschulabschluss der Volkshochschule XXXX . Der BF beteiligt sich in seiner Unterkunft an gemeinsamen Aktivitäten. Er hat einen großen Freundeskreis, zu dem auch Österreicher zählen. In seiner Einrichtung ist der BF gut integriert.
Der BF befindet sich seit XXXX in wöchentlicher psychotherapeutischer Behandlung. Zuvor war er mehrmals ambulant in der fachärztlichen Ambulanz des Uniklinikums Salzburg für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Behandlung. Er leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung, einer Anpassungsstörung mit gemischter Reaktion (depressive Symptome, Schwierigkeit im Verhalten) und einer schweren psychosozialen Belastung.
Der BF hat am XXXX mit zwei Mittätern zwei Polizeibeamte mit Gewalt und zwar durch das Versetzen von Schlägen und Ellbogenstößen sowie durch Würgen an Amtshandlungen, nämlich an einer Identitätsfeststellung und einer Anhaltung gehindert und dadurch versucht diese Beamten während und wegen der Vollziehung ihrer Aufgaben und Erfüllung ihrer Pflichten am Körper zu verletzen. Am XXXX hat er gemeinsam mit einem unmündigen Mittäter einen Dritten durch das Versetzen von Faustschlägen in dessen Gesicht am Körper verletzt und dadurch dessen schwere Körperverletzung, nämlich einen Nasenbeinbruch mit Verschiebung der Bruchenden samt operativer Notwendigkeit herbeigeführt. Er wurde dafür vom Landesgericht XXXX mit Urteil vom XXXX zu XXXX , rechtskräftig seit XXXX , des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs 1 dritter Fall StGB, den Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 15 Abs 1, 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB und dem Verbrechen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten verurteilt. Die verhängte Freiheitsstrafe wurde unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Als mildernd wurden die teilweise geständige Verantwortung und die Unbescholtenheit als erschwerend das Zusammentreffen von Verbrechen und mehreren Vergehen gewertet.
Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , rechtskräftig seit XXXX , zu XXXX wurde der BF wegen des Verbrechens des Raubs nach § 142 Abs 1 StGB und wegen des Vergehens der dauernden Sachentziehung nach § 135 Abs 1 StGB unter Bedachtnahme auf die vorhergehende Verurteilung zu einer Zusatzstrafe gemäß §§ 31, 40 StGB in der Dauer von sieben Monaten verurteilt, deren Vollzug unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Diesem Urteil liegt zugrunde, dass der BF am XXXX gemeinsam mit einem Mittäter nach einer kurzen verbalen Auseinandersetzung auf das Opfer einschlug und eintrat und ihm einen Schlüsselbund und eine Schachtel Zigaretten wegnahm.
Am XXXX hat der BF mit einem Mittäter in zumindest zehn Angriffen an einem allgemein zugänglichen Ort öffentlich und unter Umständen, unter denen ihr Verhalten geeignet ist, durch unmittelbare Wahrnehmung berechtigtes Ärgernis zu erregen, zumindest zehn unbekannten Suchtgiftabnehmern insgesamt zumindest zehn Gramm Cannabiskraut (Wirkstoff: Delta-9-THC) zum Preis von zumindest EUR 10,00 pro Gramm, sohin anderen gegen Entgelt überlassen. Er wurde deswegen durch das Landesgericht XXXX mit Urteil vom XXXX , rechtskräftig seit XXXX , zu XXXX der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 2a SMG schuldig gesprochen. Gemäß §§ 31, 40 StGB wurde unter Bedachtnahme auf die früheren Verurteilungen von der Verhängung einer Zusatzstrafe abgesehen. Als mildernd wurde das Geständnis, als erschwerend die Tatbegehung während des laufenden Verfahrens gewertet.
Mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX , rechtskräftig seit XXXX , zu XXXX wurde der BF wegen des Vergehens des Raufhandels nach § 91 Abs 2 StGB und des Vergehens der Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs 2 StGB unter Bedachtnahme auf die vorangehenden Verurteilungen zu einer Zusatzstrafe gemäß §§ 31, 40 in der Dauer von einem Monat verurteilt, deren Vollzug unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.
Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Frühjahr XXXX bis zur Sicherstellung durch die Polizei am XXXX hat der BF in Salzburg ein unbares Zahlungsmittel über das er nicht verfügen dürfte, nämlich eine fremde Bankomatkarte, mit dem Vorsatz, dessen Verwendung im Rechtsverkehr zu verhindern, dadurch, dass er sie für sich behielt, unterdrückt. Am XXXX beschädigte der BF fremde Sachen, indem er Elektrogeräte in seiner Unterkunft vom Tisch warf und dadurch die Verglasung der Terrassentür traf, wodurch ein Gesamtschaden in Höhe von ungefähr EUR 268,15 entstand. Er wurde dafür vom Bezirksgericht XXXX mit Urteil vom XXXX , rechtskräftig seit XXXX , zu XXXX des Vergehens der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 3 StGB und des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Monat verurteilt. Als mildernd wurden das umfassende und reumütige Geständnis, das junge Alter und die teilweise eingeschränkte Zurechnungsfähigkeit aufgrund von Alkohol und als erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Vergehen, eine einschlägige Vorstrafe und die Begehung während offener Probezeit gewertet. Mit Beschluss vom selben Tag wurde vom Widerruf der bedingten Strafnachsichten abgesehen und gleichzeitig die Probezeit auf jeweils fünf Jahre verlängert.
Der BF befand sich vom XXXX Uhr bis XXXX Uhr, in Untersuchungshaft. Diese wurde dem BF auf die zu XXXX verhängte Strafe angerechnet.
Gegen den BF ist derzeit ein Verfahren beim Landesgericht XXXX wegen der Vergehen der Körperverletzung und des Verbrechens der schweren Nötigung anhängig.
II.1.2. Zur Situation in Afghanistan:
KI vom 11.09.2018, Angriffe des Islamischen Staates (IS/ISKP) in Kabul, Anschläge in Nangarhar und Aktivitäten der Taliban in den Provinzen Sar-i Pul und Jawzjan
Anschläge in Nangarhar 11.9.2018
Am 11.9.2018 kamen nach einem Selbstmordanschlag während einer Demostration im Distrikt Mohamad Dara der Provinz Nangarhar mindestens acht Menschen ums Leben und weitere 35 wurden verletzt (Tolonews 11.9.2018; vgl. TWP 11.9.2018, RFE/RL 11.9.2018). Kurz zuvor wurde am Vormittag des 11.9.2018 ein Anschlag mit zwei Bomben vor der Mädchenschule "Malika Omaira" in Jalalabad verübt, bei dem ein Schüler einer nahegelegenen Jungenschule ums Leben kam und weitere vier Schüler verletzt wurden, statt (RFE/RL 11.9.2018; AFP 11.9.2018). Davor gab es vor der Mädchenschule "Biba Hawa" im naheligenden Distrikt Behsud eine weitere Explosion, die keine Opfer forderte, weil die Schülerinnen noch nicht zum Unterricht erschienen waren (AFP 11.9.2018).
Weder die Taliban noch der IS/ISKP bekannten sich zu den Anschlägen, obwohl beide Gruppierungen in der Provinz Nangarhar aktiv sind (AFP 11.9.2018; vgl. RFE/RL 11.9.2018, TWP 11.9.2018).
Kämpfe in den Provinzen Sar-e Pul und Jawzjan 11.9.2018
Am Montag, dem 10.9.2018, eroberten die Taliban die Hauptstadt des Kham Aab Distrikts in der Provinz Jawzjan nachdem es zu schweren Zusammenstößen zwischen den Taliban und den afghanischen Sicherheitskräften gekommen war (Tolonews 10.9.2018a; Tolonews 10.9.2018b). Sowohl die afghanischen Streitkräfte als auch die Taliban erlitten Verluste (Khaama Press 10.9.2018a).
Am Sonntag, dem 9.9.2018, starteten die Taliban eine Offensive zur Eroberung der Hauptstadt der Provinz Sar-i Pul, wo nach wie vor u.a. mit Einsatz der Luftwaffe gekämpft wird (Tolonews 10.9.2018b; vgl. FAZ 10.9.2018). Quellen zufolge haben die Taliban das Gebiet Balghali im Zentrum der Provinzhauptstadt eingenommen und unter ihre Kontrolle gebracht (FAZ 10.9.2018). Sar-i-Pul-Stadt gehört zu den zehn Provinzhauptstädten, die Quellen zufolge das höchste Risiko tragen, von den Taliban eingenommen zu werden. Dazu zählen auch Farah-Stadt, Faizabad in Badakhshan, Ghazni-Stadt, Tarinkot in Uruzgan, Kunduz-Stadt, Maimana in Faryab und Pul-i- Khumri in Baghlan (LWJ 10.9.2018; vgl. LWJ 30.8.2018). Weiteren Quellen zufolge sind auch die Städte Lashkar Gar in Helmand und Gardez in Paktia von einer Kontrollübernahme durch die Taliban bedroht (LWJ 10.9.2018).
IS-Angriff während Massoud-Festzug in Kabul 9.9.2018
Bei einem Selbstmordanschlag im Kabuler Stadtteil Taimani kamen am 9.9.2018 mindestens sieben Menschen ums Leben und ungefähr 24 weitere wurden verletzt. Der Anschlag, zu dem sich der Islamische Staat (IS/ISKP) bekannte, fand während eines Festzugs zu Ehren des verstorbenen Mudschahedin-Kämpfers Ahmad Shah Massoud statt (AJ 10.9.2018; vgl. Khaama Press 10.9.2018b).
IS Angriff auf Sportverein in Kabul 5.9.2018
Am Mittwoch, dem 5.9.2018, kamen bei einem Doppelanschlag auf einen Wrestling-Klub im Kabuler Distrikt Dasht-e Barchi mindestens 20 Personen ums Leben und ungefähr 70 weitere wurden verletzt (AJ 6.9.2018; vgl. CNN 6.9.2018, TG 5.9.2018). Zuerst sprengte sich innerhalb des Sportvereins ein Attentäter in die Luft, kurz darauf explodierte eine Autobombe in der sich vor dem Klub versammelnden Menge (SO 5.9.2018) Der Islamische Staat (IS/ISKP) bekannte sich zum Anschlag (RFE/RL 5.9.2018).
Quellen:
-
AFP - Agence France-Presse (11.9.2018): Student killed in twin bomb attack near Afghan girls' school, https://www.afp.com/en/news/23/student-killed-twin-bomb-attack-near-afghan-girls-schooldoc-1904hc1, Zugriff 11.9.2018
-
AJ - Al Jazeera (10.9.2018): Afghanistan: Bomb attack hits Ahmed Shah Massoud supporters,
https://www.aljazeera.com/news/2018/09/afghanistan-bomb-attack-hits-ahmed-shah-massoudsupporters- 180909112746171.html, Zugriff 11.9.2018
-
AJ - Al Jazeera (6.9.2018): Afghanistan: Two journalists among 20 killed in Kabul blasts,
https://www.aljazeera.com/news/2018/09/afghanistan-deadly-suicide-attack-kabul-sports-club-180905142909428.html, Zugriff 11.9.2018
-
CNN - Cable News Network (6.9.2018): Two journalists among 20 killed in wrestling club blasts in Kabul, https://edition.cnn.com/2018/09/06/asia/kabul-attack-wrestling-intl/index.html, Zugriff 11.9.2018
-
FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (3.8.2018): Totei bei Angriff auf Schiiten-Moschee,
http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/afghanistan-tote-bei-angriff-auf-schiiten-moschee- 15721269.html, Zugriff 21.8.2018
-
Khaama Press (10.9.2018a): Taliban militants overrun Khamab district in Jawzjan proince,
https://www.khaama.com/taliban-militants-overrun-khamab-district-in-jawzjan-province-05929/, Zugriff 11.9.2018
-
Khaama Press (10.9.2018b): ISIS claims suicide attack on the supporters of Massoud in Kabul, https://www.khaama.com/isis-claims-suicide-attack-on-the-supporters-of-massoud-in-kabul-05926/, Zugriff 11.9.2018
-
LWJ - Long War Journal (10.9.2018): Taliban threatens Sar-i-Pul City, captures district in Jawzjan, https://www.longwarjournal.org/archives/2018/09/taliban-threatens-sar-i-pul-city-captures-districtin-jawzjan.php, Zugriff 11.9.2018
-
LWJ - Long War Journal (30.8.2018): Faryab capital under Taliban threats as Afghan troops desert bases, https://www.longwarjournal.org/archives/2018/08/faryab-capital-under-taliban-threatas-afghan-troops-desert-bases.php, Zugriff 11.9.2018
-
RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (11.9.2018): Suicide Attack, Bombing Strike Eastern Afghanistan, https://www.rferl.org/a/suicide-attack-bombings-strike-eastern-afghanistan/29483707.html, Zugriff 11.9.2018
-
RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (5.9.2018): At Least 20 People Reported Killed, Including Two Journalists, In Twin Kabul Blasts, https://www.rferl.org/a/at-least-four-killed-insuicideattack-at-wrestling-club-in-kabul/29473678.html, Zugriff 11.9.2018
-
RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (17.8.2018): 'Goodbye, Dad': Father Remembers Afghan Twins Killed In Kabul Bombing, https://www.rferl.org/a/goodbye-dad-father-remembersafghan-twins-killed-in-kabul-bombing/29439516.html, Zugriff 20.8.2018
-
SO - Spiegel Online (5.9.2018): Tote und Verletzte bei Doppelanschlag in Kabul,
http://www.spiegel.de/politik/ausland/afghanistan-tote-und-verletzte-bei-doppelanschlag-in-kabul-a-1226712.html, Zugriff 11.9.2018
-
TG - The Guardian (5.9.2018): At least 20 people killed in separate bombings at Kabul wrestlingclub, https://www.theguardian.com/world/2018/sep/05/at-least-20-people-killed-in-separatebombings-at-kabul-wrestling-club, Zugriff 11.9.2018
-
Tolonews (11.9.2018): Suicide Bomber Targets Protest in Nangarhar; Eight Killed,
https://www.tolonews.com/afghanistan/suicide-bomber-targets-protest-nangarhar Zugriff 11.9.2018
-
Tolonews (10.9.2018a): Center of Jawzjan's Kham Aab District falls to Taliban,
https://www.tolonews.com/index.php/afghanistan/center-jawzjan%E2%80%99s-kham-aab-districtfalls%C2%A0-taliban, Zugriff 11.9.2018
-
Tolonews (10.9.2018b): Dozens of Afghan Forces Killed in North, https://www.tolonews.com/index.php/afghanistan/afghan-forces-suffer-huge-casualty-toll-%C2%A0north, Zugriff 11.9.2018
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TWP - The Washington Post (11.9.2018): Afghan official: Suicide bomber kills 20 in Nangarhar,
https://www.washingtonpost.com/world/asia_pacific/afghan-official-suicide-bomber-kills-20-innangarhar/2018/09/11/3ba8ec50-b5a8-11e8-ae4f-2c1439c96d79_story.html?noredirect=on&utm_term=.2748ace6475c, Zugriff 11.9.2018
Politische Lage:
Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).
Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).
Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.9.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.9.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.2.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).
Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).
Parlament und Parlamentswahlen
Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 20.4.2018, USDOS 15.8.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.1.2017).
Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.2.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.4.2018; vgl. USDOS 15.8.2017).
Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z. T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).
Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.1.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20. Oktober 2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.4.2018; vgl. AAN 22.1.2017, AAN 18.12.2016).
Parteien
Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.8.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).
Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 6.5.2018).
Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 6.5.2018).
Parteienlandschaft und Opposition
Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.1.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.9.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.1.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 3.5.2017). Am 4.5.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 4.5.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.3.2018).
Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb-e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) (AB 18.11.2017; vgl. AAN 6.5.2018).
Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 11.10.2017).
Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, verbündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam nehmen diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositionsgruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vgl. AB 29.5.2017).
Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram (AB 15.1.2016; vgl. AB 29.5.2017).
Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 21.8.2017).
Friedens- und Versöhnungsprozess
Am 28. Februar 2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.3.2018; vgl. TS 28.2.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 7.3.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.3.2018; vgl. TD 7.3.2018, NZZ 28.2.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.4.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3. "Sicherheitslage").
Am 19.5.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.5.2018).
Am 7.6.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.6.2018 - 20.6.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich am 4.6.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 7.6.2018, RFL/RL 5.6.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 5.6.2018). Die Taliban selbst gingen am 9.6.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.6.2018; vgl. TH 10.6.2018, Tolonews 9.6.2018).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (5.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/1434081.html, Zugriff 4.6.2018
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AA - Auswärtiges Amt (9.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1253781/4598_1478857553_3-deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-afghanistan-19-10-2016.pdf, Zugriff 23.4.2018
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AAN - Afghanistan Analysts Network (6.5.2018): Afghanistan's Paradoxical Political Party System: A new AAN report, https://www.afghanistan-analysts.org/publication/aan-papers/outside-inside-afghanistans-paradoxical-political-party-system-2001-16/, Zugriff 28.5.2018
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AAN - Afghanistan Analysts Network (12.4.2018): Afghanistan Election Conundrum (6): Another new date for elections, https://www.afghanistan-analysts.org/afghanistan-election-conundrum-6-another-new-date-for-elections/, Zugriff 16.4.2018
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AAN - Afghanistan Analysts Network (25.11.2017): A Matter of Regisration: Factional tensions in Hezb-e Islami, https://www.afghanistan-analysts.org/a-matter-of-registration-factional-tensions-in-hezb-e-islami/, Zugriff 16.4.2018
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AAN - Afghanistan Analysts Network (11.10.2017): Mehwar-e Mardom-e Afghanistan: New opposition group with an ambiguous link to Karzai, https://www.afghanistan-analysts.org/mehwar-e-mardom-e-afghanistan-new-opposition-group-with-an-ambiguous-link-to-karzai/, Zugriff 28.5.2018
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AAN - Afghanistan Analysts Network (21.8.2017): The Ghost of Najibullah: Hezb-e Watan announces (another) relaunch, https://www.afghanistan-analysts.org/the-ghost-of-najibullah-hezb-e-watan-announces-another-relaunch/, Zugriff 28.5.2018
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AAN - Afghanistan Analysts Network (4.5.2017): Hekmatyar's Return to Kabul: Background reading by AAN, https://www.afghanistan-analysts.org/hekmatyars-return-to-kabul-background-reading-by-aan/, Zugriff 17.4.2018