TE Bvwg Erkenntnis 2019/2/12 W144 2178863-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.02.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

12.02.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W144 2178863-1/5E

W144 2178865-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Andreas HUBER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.XXXX, XXXX geb., und 2. XXXX, XXXXgeb., beide StA. von Afghanistan, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 03.11.2017, Zlen: XXXX, XXXX (ad 1.) und XXXX,XXXX (ad 2.), zu Recht:

A)

Den Beschwerden wird stattgegeben und 1. XXXX sowie 2. XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG 2005 kommt 1. XXXXsowie 2. XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter für drei Jahre zu.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass damit 1.XXXX sowie 2. XXXX kraft Gesetz die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der 1.-Beschwerdeführer (1.-BF) und der 2.-Beschwerdeführer (2.-BF) sind Brüder, beide sind Staatsangehörige von Afghanistan, stammen aus der Provinz Helmand, gehören der Volksgruppe der Paschtunen an und bekennen sich zum moslemisch-sunnitischen Glauben.

Ihren eigenen Angaben zufolge verließen die Brüder ihr Heimatland im Jahr 2011 und reisten in den Iran, wo sie in der Folge bis zum Jahr 2015 verblieben. Anfang November 2015 begaben sie sich über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien und Ungarn nach Österreich, wo sie am 15.11.2015 Anträge auf internationalen Schutz stellten.

Den Beschwerden liegen folgende Verwaltungsverfahren zugrunde:

Im Verlauf ihrer Erstbefragungen nach dem Asylgesetz durch die Landespolizeidirektion NÖ vom 16.11.2015 wurde in Bezug auf beide BF wortgleich zu den Fluchtgründen protokolliert, dass sie für das Heer gedient und auch gegen die Taliban gekämpft hätten. Viele ihrer Freunde seien getötet worden und hätten die BF das Land verlassen müssen.

Bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 10.10.2017 rügte der 1.-BF, dass seine Fluchtgründe bei der Erstbefragung nicht richtig aufgenommen worden seien - Protokollinhalte seines Bruders seien in sein Protokoll hineinkopiert worden.

Der 2.-BF erklärte vor dem BFA, dass seine Angaben zum Fluchtgrund bei der Erstbefragung falsch aufgenommen worden seien.

In der Folge erstatteten die BF am 10.10.2017 vor dem BFA nachstehende Angaben zu ihren Ausreisegründen:

1.-BF: Als er 14 Jahre alt geworden sei, hätten seine zwei älteren Brüder mit seinem Vater Probleme gekommen. Sein Vater sei ein Taliban gewesen und habe seine Brüder gezwungen, beim "heiligen Krieg" mitzumachen. Diese hätten sich jedoch dagegen entschieden und hätten Afghanistan verlassen wollen. Er selbst sei von seinen Brüdern gefragt worden, ob er mitgehen wolle, was er bejaht habe. Wäre er bei seiner Familie geblieben, hätte er später selbst am heiligen Krieg teilnehmen müssen. Sein Vater habe ihn persönlich noch nicht gefragt, da er noch zu jung gewesen sei, allerdings habe er gewusst, dass er im Alter von 16 Jahren vom Vater aufgefordert werden würde, am heiligen Krieg teilzunehmen. Was sein Vater bei den Taliban genau gemacht habe, wisse er nicht, aber dieser habe immer ein Gewehr mit sich gehabt. Die Angaben seines Bruders, wonach dieser vom Vater geschlagen worden sei, stimmen; sein Vater sei ein aggressiver Mann gewesen. Der 1.-BF selbst sei ebenfalls vom Vater geschlagen worden, jedoch sei er nicht der einzige gewesen, alle Kinder seien geschlagen worden, auch seine Schwestern. Seit sechs Jahren hätten sie keinen Kontakt mehr zum Vater. Es sei klar, wenn sie nach Afghanistan zurückkehren würden, würden sie nicht überleben. Das Talibannetz sei extrem stark und es sei sehr leicht für die Taliban, eine Person zu finden.

2.-BF: Als er 16 Jahre alt gewesen sei, habe ihn sein Vater gezwungen, als Talibankämpfer zu kämpfen. Sein Vater, sein Onkel und die Cousins seien Taliban gewesen und sei er von diesen verfolgt worden. Er wisse nicht, wie lange sein Vater Taliban gewesen sei, jedoch sei dieser seit er sich zurückerinnern könne bei den Taliban gewesen. Im Alter von 16 Jahren habe ihm sein Vater gesagt, dass er in den heiligen Krieg ziehen und mit ihm mitmachen müsse. Er habe ihm gesagt, dass er als Moslem dies tun müsse, sonst würde er ihn (den 2.-BF) töten. Sein Cousin, habe im Alter von 16 Jahren damals nicht akzeptiert, was sein Vater und sein Onkel gesagt hätten, als Konsequenz hätten sie ihn so geschlagen, dass dieser immer noch "zwischen Leben und Tod" hänge. Sein älterer Bruder habe auch nicht in den heiligen Krieg ziehen wollen und habe ihm den Rat gegeben, dass sie in Begleitung des Bruders XXXX in den Iran gehen sollten. In der Folge hätten sie sich in den Iran begeben. Er selbst sei damals 15 oder 16 Jahre alt und in Afghanistan aufhältig gewesen als sein Cousin geschlagen worden sei; dessen Beine seien gelähmt und ein Auge sei kaputt gewesen - er sei viel auf den Kopf geschlagen worden. Er habe selbst gesehen, wie sein Cousin geschlagen worden sei, dieser lebe nun nach wie vor bei seiner Familie. Seine jüngeren Brüder würden im Alter von 16 Jahren ebenfalls vom Vater gezwungen werden, als Taliban tätig zu sein. Er selbst sei vom Vater geschlagen worden, konkret sei seine Nase gebrochen worden, sei sein Vater auch mit einem Messer auf ihn losgegangen und habe ihn in sein rechtes Bein gestochen. Weiters sei er vom Vater auch mit einem heißen Kochlöffel an der linken Hand verbrannt worden. Sein Bruder, der 1.-BF habe eine Wunde am Kopf, ebenfalls von einer Verletzung durch den Vater stammend. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan würde er nicht überleben.

Mit Bescheiden jeweils vom 03.11.2017 wies das BFA die Anträge der BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (AsylG) idgF (Spruchpunkt I.) ab, erkannte jedoch beiden BF den Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg. cit. zu (Spruchpunkt II.). Gleichzeitig wurde den BF eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 02.11.2018 erteilt (Spruchpunkt III.).

Bezüglich der Ausreisegründe der BF stellte das BFA in beiden Fällen wörtlich fest:

"Sie wurden in Afghanistan geboren und haben ihren Herkunftsstaat aufgrund Bedrohung durch die Taliban verlassen. Sie konnten nicht glaubhaft machen, dass sie in Afghanistan asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt waren bzw. eine solche Verfolgung zukünftig zu befürchten hätten. Aufgrund von Bedrohung durch Private mussten sie ihr Herkunftsland Afghanistan verlassen."

In rechtlicher Hinsicht führte das BFA aus, dass die Angaben der BF, wonach sie vom Vater, der den Taliban angehört habe, misshandelt worden seien und im Alter von 16 Jahren aufgefordert worden seien bzw. werden würden, am heiligen Krieg teilzunehmen, was die BF abgelehnt hätten, nicht asylrelevant seien. Es fehle diesem Fluchtvorbringen ein Anknüpfungspunkt an einen in der GFK genannten Gründe und handle es sich auch nicht um eine dem Staat Afghanistan zurechenbare Verfolgung, sondern einer Verfolgung durch Private. Zudem führte das BFA aus, dass in Afghanistan kein Meldewesen existiere, sodass den BF jedenfalls die Möglichkeit offen gestanden wäre, sich an einem anderen Ort in ihrem Herkunftsstaat zu begeben, um ihren Problemen zu entgehen.

Die Bescheide wurden den BF jeweils am 08.11.2017 rechtswirksam zugestellt.

Gegen diese Bescheide erhoben die BF fristgerecht Beschwerde und machten dabei zunächst geltend, dass es bei der Erstbefragung beider BF zu offensichtlichen Fehlern gekommen sei, da bei beiden BF wortgleich dieselben Angaben zum Ausreisegrund protokolliert worden seien. Weiters wurde gerügt, dass sich aus den angefochtenen Bescheiden zum einen an mehreren Stellen ergebe, dass das Vorbringen der BF für glaubwürdig erachtet und der Entscheidung zugrunde gelegt worden sei, so etwa in Bezug auf die Misshandlungen der BF durch ihren Vater, der Angehörigkeit des Vaters zu den Taliban und seiner Aufforderung an die BF mitzukämpfen, dass andererseits aber zum Teil auch ausgeführt worden sei, dass die BF keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen hätten können. Die Begründung sei diesbezüglich in sich widersprüchlich. Schließlich halte die Behörde eine Verfolgung durch Private, den Taliban, an sich schon für nicht asylrelevant, was nicht der Rechtsprechung entspreche, da auch eine auf einem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private dann dem Herkunftsstaat zurechenbar sei, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage sei, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Bei den BF komme noch erschwerend hinzu, dass sie die Söhne eines Taliban-Machthabers seien, der mittlerweile in der Heimatprovinz Helmand auch eine hochrangige Taliban-Position innehabe. Im Falle einer Rückkehr der BF nach Afghanistan in ihre Heimatprovinz würde ihnen vorgeworfen werden, dass sie eine Zusammenarbeit mit den Taliban verweigert und damit eine feindliche, oppositionelle Gesinnung gegenüber den Taliban kundgetan hätten. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte den BF daher der Status von Asylberechtigten zuerkannt werden müssen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Die Verfahren beider BF werden aufgrund der Gleichgelagertheit der Fälle zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

1. Feststellungen:

Die von den BF vor dem BFA und in ihren Beschwerden geltend gemachten Umstände, weshalb sie ihr Heimatland verlassen hätten bzw. sich vor einer Rückkehr dorthin fürchten, werden - neben dem oben dargestellten Verfahrensgang - als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt.

Die BF sind in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Zur allgemeinen politischen und menschenrechtlichen Situation in Afghanistan wird in Ergänzung zu den erstinstanzlichen Feststellungen festgestellt, dass die Heimatprovinz Helmand der BF nach wie vor bekannt dafür ist, eine "Festung der Taliban" und volatil zu sein.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang, u.a. insbesondere der rechtlich relevante Umstand, dass den BF subsidiärer Schutz gewährt wurde, ergibt sich aus den Verwaltungsakten.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie zu den Ausreisegründen beider BF gründen auf ihren Angaben vor dem BFA, die übereinstimmen und einen in sich stimmigen Lebenssachverhalt, der in das Bild der allgemeinen Gegebenheiten in Afghanistan passt, beschreiben.

Soweit in der Erstbefragung beider BF andere Ausreisegründe protokolliert worden sind, ist auszuführen, dass den Erstbefragungsprotokollen aufgrund offensichtlicher Fehlerhaftigkeit kein tragender Beweiswert zukommt. Es kann ausgeschlossen werden, dass bei ihren jeweiligen Einvernahmen beide BF zufällig wortgleiches (!) Vorbringen erstattet hätten. Vielmehr ist offensichtlich, dass Erstbefragungsprotokoll bzw. darin enthaltene Textstellen bloß "hineinkopiert" worden sind, sodass auf deren Richtigkeit nicht vertraut werden darf.

Im Übrigen hat auch bereits das BFA in den angefochtenen Bescheiden wiederholt ausgeführt, dass das Vorbringen der BF, wonach sie von ihrem Vater misshandelt und im wehrfähigen Alter zum Kampf an der Seite der Taliban aufgefordert worden sind bzw. bei Erreichen des Alters aufgefordert worden wären, als glaubhaft angesehen wurde und den Entscheidungen zugrunde gelegt worden ist. Soweit das BFA in den angefochtenen Bescheiden zum Teil - wie in den Beschwerden gerügt wird, dem entgegenstehend - ausgeführt hat, dass die BF asylrelevante Verfolgung "nicht hätten glaubhaft darlegen können", ist erkennbar, dass das BFA damit dem Vorbringen nicht die Glaubwürdigkeit, sondern bloß die asylrechtliche Relevanz absprechen wollte, was freilich keine beweiswürdigenden, sondern vielmehr rechtliche Erwägungen sind, auf die unten eigegangen wird.

Feststellungen zur allgemeinen Situation in Afghanistan hat bereits das BFA getroffen und ergibt sich der Umstand, dass die Heimatprovinz Helmand der BF nach wie vor volatil und eine Hochburg der Taliban ist, aus dem aktuellen LIB (vom 29.06.2018 in der Letztfassung 08.01.2019) zu Afghanistan, die als notorisch zu bezeichnen ist und letztlich vom BFA (Staatendokumentation) selbst stammt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Auf Fremde, die einen Antrag auf internationalen Schutz vor dem 15. November 2015 gestellt haben, sind gemäß § 75 Abs. 24 AsylG 2005 die §§ 2 Abs. 1 Z 15, 3 Abs. 4 bis 4b, 7 Abs. 2a und 51a in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2016 nicht anzuwenden. Für diese Fremden gilt weiter § 2 Abs. 1 Z 15 in der Fassung vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2016.

Da die BF die verfahrensgegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz genau am 15.11.2015 gestellt haben, kommt die in §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 idF nach dem BGBl. I Nr. 24/2016 normierte befristete Aufenthaltsberechtigung bereits zur Anwendung.

Zu A)

3.1. Zuerkennung des Status des Asylberechtigten

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Flüchtling im Sinne der GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung". Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. zB. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.1.2001, 2001/20/0011).

Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, 95/01/0454; VwGH 09.04.1997, 95/01/055), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse, sondern erfordert eine Prognose (vgl. VwGH 16.02.2000, 99/01/0397). Verfolgungshandlungen die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0318).

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH 15.03.2001, 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (vgl. VwGH 16.06.1994, 94/19/0183).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt eine dem Staat zuzurechnende Verfolgungshandlung nicht nur dann vor, wenn diese unmittelbar von staatlichen Organen aus Gründen der Konvention gesetzt wird, sondern es kann eine dem Staat zuzurechnende asylrelevante Verfolgungssituation unter anderem auch dann gegeben sein, wenn der Staat nicht gewillt ist, von Privatpersonen ausgehende Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, sofern diesen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - Asylrelevanz zukommen sollte (vgl. VwGH 21.09.2000, 98/20/0434). Einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt sohin dann Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (vgl. VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119; VwGH 16.11.2016, Ra 2016/18/0233; VwGH 21.04.2011, 2011/01/0100). Aber auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat dann asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119; VwGH 16.11.2016, Ra 2016/18/0233; VwGH 20.05.2015, Ra 2015/20/0030).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen; entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119; VwGH 16.11.2016, Ra 2016/18/0233). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er aufgrund staatlicher Verfolgung mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ihm dieser Nachteil aufgrund einer von dritten Personen ausgehenden, vom Staat nicht ausreichend verhinderbaren Verfolgung mit derselben Wahrscheinlichkeit droht; in beiden Fällen ist es ihm nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohl begründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191).

Als politisch kann alles qualifiziert werden, was für den Staat, für die Gestaltung bzw. Erhaltung der Ordnung des Gemeinwesens und des geordneten Zusammenlebens der menschlichen Individuen in der Gemeinschaft von Bedeutung ist (vgl. VwGH 30.09.2004, 2002/20/0293). Für das Vorliegen einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr ist nicht maßgeblich, ob der Asylwerber wegen einer von ihm tatsächlich vertretenen oppositionellen Gesinnung verfolgt wird. Für die Annahme einer asylrechtlich relevanten Verfolgung aus Gründen der politischen Gesinnung reicht es aus, dass eine staatsfeindliche politische Gesinnung zumindest unterstellt wird und die Aussicht auf ein faires staatliches Verfahren zur Entkräftung dieser Unterstellung nicht zu erwarten ist (vgl. VwGH 06.05.2004, 2002/20/0156).

Im vorliegenden Fall befürchten die BF im Falle einer Rückkehr aufgrund ihrer Weigerung am Djihad teilzunehmen von den Taliban verfolgt zu werden. Dass eine solche Verfolgungsgefahr in der Heimatprovinz der BF als hoch zu bezeichnen ist, ergibt sich in den konkreten Fällen schon daraus, dass der Vater der BF selbst zu den Taliban gehört, und - wie sich aus der Beschwerde ergibt - mittlerweile auch einen hochrangigen Posten innerhalb der Talibanstruktur in Helmand innehat. Vor diesem Hintergrund kann nicht gesagt werden, dass eine allfällige Rückkehr der BF in ihre Heimatprovinz unentdeckt bleiben würde, da nach menschlichem Ermessen damit zu rechnen ist, dass die Rückkehr der BF in ihre Heimatprovinz ihrer Familie und damit auch jenen Familienangehörigen, die den Taliban angehören, jedenfalls mittelfristig nicht verborgen bleiben würde. Eine mit Vernunft begabte Personen in der Situation der BF würde sich zurecht davor fürchten, dass sie im Falle ihrer Rückkehr in ihre Heimatprovinz seitens der den Taliban zugehörigen Familienmitglieder (Vater, Onkeln, Cousins) als politisch missliebige Personen, die die Sache der Taliban ablehnen, qualifiziert werden würden. Vor dem Hintergrund, dass der Vater der BF bereits in der Vergangenheit gewalttätig gegen die BF vorgegangen ist, müsste aller Voraussicht nach damit gerechnet werden, dass dieser eine Rückkehr seiner Söhne nicht konsequenzlos tolerieren, sondern vielmehr Verfolgungshandlungen gegen seine Söhne betreiben würde. Dass der afghanische Staat die BF in der von den Taliban durchsetzten Provinz Helmand vor derartigen Übergriffen nicht schützen könnte, ist evident, zumal bereits das BFA in den angefochtenen Bescheiden ausgeführt hat, dass die BF allenfalls in andere Gegenden Afghanistans umziehen könnten, um den geltend gemachten Problemen zu entgehen. Hieraus erhellt, dass bereits das BFA davon ausgegangen ist, dass eine Rückkehr der BF in ihre Heimatprovinz angesichts der allgemeinen Lage dort nicht in Frage kommt.

Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht (Z 1) oder der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat (Z 2).

Somit bliebe lediglich das Vorliegen einer inländischen Fluchtalternative zu prüfen, wobei in den vorliegenden Fällen jedoch bereits rechtskräftig subsidiärer Schutz an beide BF zuerkannt worden ist, sodass sich hieraus ergibt, dass das BFA bereits rechtskräftig erkannt hat, dass den BF in Afghanistan landesweit keine Örtlichkeit zur Verfügung steht, in der sie nicht iSd Art. 3 EMRK bedroht wären, da andernfalls auch eine Gewährung subsidiären Schutzes nicht statthaft gewesen wäre.

Somit scheidet ein Verweisen der BF an eine "inländische Fluchtalternative" aus rechtlichen Gründen aus, und ist wiederholend zu betonen, dass ihnen in ihrer Heimatprovinz asylrechtlich relevante Verfolgung wegen unterstellter, missliebiger politischer Gesinnung seitens der Taliban und insbesondere seitens ihrer Verwandten (Vater, Onkeln) droht, wogegen ihnen kein ausreichender staatlicher Schutz geboten werden könnte, sodass den BF bei richtiger rechtlicher Würdigung der Status von Asylberechtigten zuzuerkennen war, zumal sich im Verfahren auch keine Hinweise auf das Vorliegen von Ausschlussgründen gemäß § 6 AsylG 2005 ergeben haben.

3.2. Da die BF ihre Anträge nicht vor dem 15.11.2015 gestellt haben, war ihnen gemäß § 3 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung in der Dauer von drei Jahren zu erteilen.

3.3. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 ist diese Entscheidung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem BF damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.4. Eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung konnte unterbleiben, da der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits vor dem BFA festgestanden ist, dieses jedoch lediglich die Rechtslage in Bezug auf die Asylgewährung verkannt hat.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich im vorliegenden Fall auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu A) wiedergegeben. Insoweit die dort angeführte Judikatur zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung, befristete
Aufenthaltsberechtigung, private Verfolgung, Schutzunfähigkeit,
unterstellte politische Gesinnung, wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W144.2178863.1.00

Zuletzt aktualisiert am

08.04.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten