Entscheidungsdatum
22.02.2019Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W184 2151517-2/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Werner PIPAL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.01.2019, Zl. 1074430101/180922280, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall und Abs. 4, § 10, § 57 AsylG 2005, § 52, § 55 FPG und § 9 BFA-VG als unbegründet abgewiesen.
B)
Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Die beschwerdeführende Partei, ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, brachte nach der illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 20.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz ein.
Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.02.2017 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen, jedoch wurde der beschwerdeführenden Partei gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 23.02.2018 erteilt. In der Begründung wurde ausgeführt, dass Rückkehrer auf Schwierigkeiten stoßen können, wenn sie außerhalb des Familienverbandes oder nach einer längeren Abwesenheit im Ausland zurückkehren und ihnen ein soziales oder familiäres Netzwerk sowie aktuelle Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse fehlen, und dass die beschwerdeführende Partei kein solches Netzwerk in Afghanistan habe, weil seine Familie im Iran lebe.
Diese Aufenthaltsberechtigung wurde in der Folge mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.02.2018, zugestellt am 21.02.2018, bis zum 23.02.2020 verlängert.
Aufgrund des Vorliegens geänderter Umstände leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 28.09.2018 von Amts wegen ein Verfahren zur Aberkennung des subsidiären Schutzes ein.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde folgende Entscheidung getroffen:
"I. Der mit Bescheid vom 23.02.2017 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten wird gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt.
II. Die mit Bescheid vom 23.02.2017 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter wird gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen.
III. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt.
IV. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-VG wird eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen.
V. Es wird gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist.
VI. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung."
Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die Sachverhaltsfeststellungen und die Beweiswürdigung wurden im angefochtenen Bescheid folgendermaßen zusammengefasst (gekürzt und teilweise anonymisiert durch das Bundesverwaltungsgericht):
"... A) Verfahrensgang
...
In der Folge wurden Sie am 07.11.2018 durch einen Organwalter des Bundesamtes niederschriftlich einvernommen. Es folgen die entscheidungsrelevanten Auszüge dieser Einvernahme (LA = Leiter der Amtshandlung, VP = Verfahrenspartei):
LA: Fühlen Sie sich gesundheitlich in der Lage, heute Angaben in Ihrem Verfahren zu machen?
VP: Ja. Ich bin gesund, nehme keine Medikamente und bin bereit.
...
LA: Gegenstand der heutigen Einvernahme: Ihnen wurde mit Bescheid des BFA vom 23.02.2017 aufgrund des Umstandes, dass Sie zu diesem Zeitpunkt noch minderjährig waren, über keine Familienangehörigen in Afghanistan verfügten und Ihnen aufgrund Ihres damaligen Alters keine innerstaatliche Fluchtalternative in Herat, Mazar oder Kabul zugemutet werden konnte, subsidiärer Schutz in Österreich gewährt.
...
LA: Sind Sie aktuell verlobt oder verheiratet? Haben Sie Kinder? Leben Sie mit jemandem in einer Lebensgemeinschaft?
VP: Ich bin ledig.
LA: Wo und in welchen Verhältnissen leben Sie aktuell in Österreich?
VP: Bis letzten Montag habe ich den B1-Deutschkurs besucht. Danach war ich bei einer Firma ..., um zu sehen, ob ich eine Ausbildungsstelle bekomme. Ich habe mich dort vorgestellt. Bis jetzt haben sie mich noch nicht informiert, wann ich kommen soll.
Nachgefragt: Ich habe mich dort für eine Lehre als Tischler beworben. Ich bin gerade auf der Suche nach einer Ausbildungsstelle. Letzten Freitag bin ich mit dem Deutschkurs fertiggeworden.
LA: Können Sie Integrationsunterlagen vorlegen?
VP: Ich lege Ihnen heute meine ÖSD-A1 und -A2-Zertifikate in Kartenform vor. B1 habe ich noch nicht erhalten, ich glaube, ich habe bestanden.
LA: Wie bestreiten Sie hier in Österreich Ihren Lebensunterhalt? Werden Sie vom Staat versorgt, erhalten Sie sich selbst oder werden Sie von irgendjemandem finanziell unterstützt?
VP: Vom Sozialamt ...
LA: Haben Sie schon einmal gearbeitet, seit Sie subsidiär schutzberechtigt sind?
VP: Ich habe mich bisher immer gebildet. Seit ich volljährig geworden bin, gab es nur zwei Monate, wo ich nichts gemacht habe, die restliche Zeit habe ich immer einen Deutschkurs besucht.
LA: Sie werden aufgefordert, die Behörde nachweislich durch Vorlage geeigneter Unterlagen darüber zu informieren, ob Sie die Lehrstelle erhalten oder nicht und ob Sie das B1-Zertifikat bestanden haben.
VP: Ich habe verstanden.
LA: Woran liegt es, dass Sie in Österreich keine Schule besuchten?
VP: Als ich noch minderjährig war, habe ich das zu meinen Betreuern oft gesagt, aber ich bin nicht in die Schule geschickt worden.
LA: Warum haben Sie ab Februar 2017 noch keine Arbeit angenommen?
VP: Ich war noch nicht so gut in Deutsch, dass ich in einer Arbeit aufgenommen werden konnte.
LA: Wie oft haben Sie schon beim AMS vorgesprochen? Was wurde Ihnen angeboten?
VP: Ich war circa zwei bis drei Mal dort und das jedes Mal wegen der Bildung und des Deutschkurses. Wenn die mir eine Arbeit angeboten hätten, wäre ich hingegangen.
LA: Haben Sie schon Bewerbungen geschrieben?
VP: Ja, viele. Nachgefragt: An die Firmen XXXX , XXXX , als Kellner habe ich mich beworben, als Tischler, Mechaniker.
LA: Sind Sie hier in Österreich Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation?
VP: Nein.
LA: Haben Sie in Österreich Verwandte?
VP: Nein.
LA: Haben Sie zwischenzeitlich in Österreich irgendwelche sozialen oder privaten Bindungen?
VP: Familiär mit niemandem. Ich habe nicht viele Freunde. Die Freunde, die ich habe, sind Afghanen oder Österreicher.
LA: Schildern Sie, wie Ihr Aufenthalt in Österreich bislang verlaufen ist. Was haben Sie alles gemacht?
VP: Ich habe auch ein Einzelcoaching besucht. Fünf Wochen lang hat dieser Kurs gedauert. Und auch diesen Integrationskurs ..., wo man die Gesetze in Österreich lernt, habe ich besucht.
LA: Wurde Ihnen schon einmal Geld nach Österreich von Verwandten oder Bekannten geschickt, um Sie finanziell zu unterstützen?
VP: Nein.
LA: Wo halten sich Ihre Familienangehörigen aktuell auf?
VP: Sie leben im Iran, in XXXX .
LA: Weshalb sind Sie am 20.05.2018 bei der Grenzkontrolle in Schwechat angefallen? Was war der Grund für Ihre Reisebewegung?
VP: Ich habe circa drei Jahre meine Familie nicht gesehen gehabt, ich bin in den Iran, um meine Familie zu treffen. Es war für 14 Tage. Ich hatte meinen Kurs abgeschlossen und hatte 14 Tage Zeit, bis mein nächster Kurs B1 angefangen hätte.
LA: Wie bestreiten Ihre Familienangehörigen den Lebensunterhalt in der Heimatregion bzw. Herkunftsregion (Iran)?
VP: Meine Brüder üben freie Gewerbe aus. Sie machen einfache Tätigkeiten.
LA: Stehen Sie in regelmäßigem Kontakt mit Ihren Familienangehörigen, z. B. per Telefon, E-Mail, Skype, usw.?
VP: Ja.
LA: Haben Sie jemals in Afghanistan gelebt?
VP: Nur, als ich ein Kind war, bis zu meinem 2. oder 3. Lebensjahr.
LA: Sind Sie im Iran je einer Beschäftigung nachgegangen?
VP: Ich habe sieben Jahre lang eine Schule im Iran besucht und nebenbei gearbeitet.
LA: Sind Ihre Familienangehörigen legal oder illegal im Iran aufhältig?
VP: Sie haben Flüchtlingskarten, mit denen sie nur in der Stadt, wo sie wohnen, leben und arbeiten dürfen.
LA. Aus welcher Region Afghanistans stammen Sie?
VP: Aus Kunduz.
LA: Wer sorgt aktuell in Ihrer Herkunftsregion für Sicherheit?
VP: Ich weiß es nicht.
LA: Haben Sie bzw. Ihre Familie aktuell noch persönliche Besitztümer (Grundstück, Ländereien, Firmen, Geschäfte) im Heimatland bzw. Herkunftsland?
VP: Nein.
LA: Welche weiteren Familienangehörigen (Eltern, Geschwister, Onkel, Tanten, sonstige Angehörige) haben Sie noch in Ihrem Heimatland bzw. Herkunftsland?
VP: Ich kenne niemanden in Afghanistan.
LA: Haben Sie in Ihrem Heimatland, in Österreich oder in einem anderen Land strafbare Handlungen begangen bzw. sind Sie vorbestraft?
VP: Ich habe keine strafbare Handlung begangen, aber als ich neu nach Österreich gekommen bin, da wollte ich gar nicht in Österreich bleiben, ich wollte weitergehen. Da musste ich einmal zu Gericht. Ich weiß nicht, was da passiert ist.
LA: Was ist da genau passiert?
VP: Ich wollte vor der Polizei weglaufen, die hat mich aber erwischt. Ich habe die Gesetze nicht gekannt, ich habe gedacht, dass die Polizisten mich schlagen werden, wie das die Polizisten im Iran machen.
...
LA: Sie sind mittlerweile volljährig, verfügen über sieben Jahre Schulausbildung und haben bereits gearbeitet, nämlich in der Müllverarbeitungs- und Recyclingbranche. Die Umstände, aufgrund derer Ihnen im Jahre 2017 subsidiärer Schutz gewährt wurde, liegen aktuell nicht mehr vor. Welche Befürchtungen haben Sie für den Fall einer Rückkehr in Ihr Heimatland, speziell nach Herat, Mazar-e Sharif oder Kabul?
VP: Wenn man niemanden kennt, keinen Platz dort hat, wo soll man dort hingehen, um zu leben. Überhaupt, bei der jetzigen Lage, wo es jeden Tag Explosionen gibt. Ich habe Afghanistan nicht gesehen, aber das, was ich gehört habe über die Medien und die Nachrichten, macht mir Angst.
...
LA: Die Rückkehr in Ihr Heimatland ist zumutbar. Sie könnten in Kabul, Herat oder in Mazar-e Sharif Sicherheit erlangen und auch eine zumutbare Lebenssituation vorfinden. Ebenso ist nichts festzustellen, das eine reale Gefahr für Ihr Leben oder die Gesundheit bedeuten würde oder für Sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Weder lässt sich eine solche Gefahr aus der allgemeinen Situation im Herkunftsstaat noch aus einer etwaigen lebensbedrohlichen und in Ihrem Herkunftsstaat nicht ausreichend behandelbaren Erkrankung Ihrer Person ableiten. Zudem ist festzuhalten, dass es Ihnen zuzumuten ist, selbst unter durchaus schweren Bedingungen am Arbeitsmarkt nach einer Beschäftigung zu suchen und möglicherweise durch das Verrichten von Gelegenheitsarbeiten Ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, umso mehr, als Sie ja auch auf die Unterstützung Ihrer ... Familie zurückgreifen könnten.
VP: Wenn man niemanden kennt, wo soll man hingehen?
...
B) Beweismittel
Die Behörde zog die folgenden Beweismittel heran:
Von Ihnen vorgelegte Beweismittel:
Teilnahmebestätigung Deutschkurs der Marktgemeinde ... vom Juli
2016;
Volkshochschulkurs "Deutsch als Fremdsprache AnfängerInnen, Niveau A1 vom 22.07.2016;
Volkshochschulkurs "Deutsch als Fremdsprache A2/Teil 1, Niveau A2 vom 30.01.2017;
Werte- und Orientierungskurs vom 08.02.2017;
ÖSD-Zertifikat A1 vom 04.10.2017;
ÖSD-Karte Zertifikat A2.
Weitere von der Behörde herangezogene Beweismittel:
Niederschriftliche Einvernahmen Ihrer Person;
Ihr Bescheid vom 19.02.2018;
Die Länderfeststellungen der Staatendokumentation;
Sämtliche weiteren Aktenteile Ihres Asylaktes;
Meldung über Auslandsreise (BMI Referat III/5/b);
Kopie Ihres Fremdenpasses und Ihres iranischen Visums;
Gerichtsurteil ...
C) Feststellungen
Der Entscheidung liegen folgende Feststellungen zugrunde:
Zu Ihrer Person:
Sie führen als Verfahrensidentität den Namen ... und das
Geburtsdatum XXXX . Sie sind afghanischer Staatsangehöriger, gehören der Volksgruppe der Tadschiken an und sind sunnitischer Moslem. Sie wurden in der Provinz Kunduz geboren. Seit Ihrem dritten Lebensjahr lebten Sie in der Stadt XXXX im Iran. Sie besuchten sieben Jahre die Schule und haben im Iran Müll gesammelt und diesen dann verkauft.
Sie haben Kenntnis vom Aufenthaltsort Ihrer Familie, zumal Sie diese im Mai 2018 für 14 Tage im Iran besuchten. Zudem stehen Sie mit Ihrer Familie in regelmäßigem Kontakt. Sie leiden an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung. Sie sind ledig und haben keine Kinder.
Sie sind in Österreich bereits straffällig geworden. Sie wurden am 15.06.2016, rechtskräftig am 15.06.2016, wegen Strafbarkeit des Versuches, Widerstandes gegen die Staatsgewalt, Körperverletzung und schwerer Körperverletzung gemäß § 15 StGB, § 269 Abs. 1, 1. Fall, StGB, § 83 Abs. 1, § 84 Abs. 2 Z 4 StGB vom Landesgericht für
Strafsachen ... zu einer bedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten
unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.
Zu den Gründen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und zu Ihrer Situation im Fall Ihrer Rückkehr:
Die Gründe für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten liegen nicht mehr vor. Ihre subjektive Lage hat sich im Vergleich zum seinerzeitigen Entscheidungszeitpunkt, als Ihnen subsidiärer Schutz gewährt wurde, geändert. Eine aktuelle bzw. individuelle Furcht vor Verfolgung bei einer Rückkehr nach Afghanistan konnten Sie nicht darlegen. In Ihrem Fall besteht eine taugliche innerstaatliche Fluchtalternative. Sie können Ihren Lebensunterhalt in Mazar-e Sharif oder Herat bestreiten und würden ebendort Arbeitsmöglichkeiten vorfinden. Sie könnten auch auf die Unterstützungsleistung Ihrer Familie, die im Iran lebt, zählen.
Es kann nicht festgestellt werden, dass Sie im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einem realen Risiko einer ernsthaften Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt bzw. der Gefährdung des Lebens, Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wären oder der Gefahr ausgesetzt wären, in eine existenzbedrohende Notlage zu geraten.
Zu Ihrem Privat- und Familienleben:
Sie haben keine Verwandten in Österreich. Ihre sozialen Kontakte beschränken sich nur auf einige wenige Bekanntschaften. Sie haben in Österreich keine besonderen beruflichen oder wirtschaftlichen Verbindungen und gehen keiner Arbeit nach. Sie haben wenige Deutschkenntnisse ...
Zur Lage in Ihrem Herkunftsstaat:
...
Politische Lage
Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).
Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).
Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.9.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.9.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.2.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).
Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).
Parlament und Parlamentswahlen
Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga, auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 20.4.2018, USDOS 15.8.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.1.2017).
Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.2.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.4.2018; vgl. USDOS 15.8.2017).
Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z. T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).
Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.1.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20. Oktober 2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.4.2018; vgl. AAN 22.1.2017, AAN 18.12.2016).
Parteien
Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.8.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).
Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z. B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 6.5.2018).
Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 6.5.2018).
Parteienlandschaft und Opposition
Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.1.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.9.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.1.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 3.5.2017). Am 4.5.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 4.5.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u. a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung, sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.3.2018).
Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb-e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) (AB 18.11.2017; vgl. AAN 6.5.2018).
Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 11.10.2017).
Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, verbündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam nehmen diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositionsgruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vgl. AB 29.5.2017).
Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram (AB 15.1.2016; vgl. AB 29.5.2017).
Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 21.8.2017).
Friedens- und Versöhnungsprozess
Am 28. Februar 2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.3.2018; vgl. TS 28.2.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 7.3.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.3.2018; vgl. TD 7.3.2018, NZZ 28.2.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.4.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3. "Sicherheitslage").
Am 19.5.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.5.2018).
Am 7.6.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.6.2018 - 20.6.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich am 4.6.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 7.6.2018, RFL/RL 5.6.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 5.6.2018). Die Taliban selbst gingen am 9.6.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.6.2018; vgl. TH 10.6.2018, Tolonews 9.6.2018).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (5.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan ...;
AA - Auswärtiges Amt (9.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan ...;
AAN - Afghanistan Analysts Network (6.5.2018): Afghanistan's Paradoxical Political Party System: A new AAN report ...;
AAN - Afghanistan Analysts Network (12.4.2018): Afghanistan Election Conundrum (6): Another new date for elections ...;
AAN - Afghanistan Analysts Network (25.11.2017): A Matter of
Registration: Factional tensions in Hezb-e Islami ...;
AAN - Afghanistan Analysts Network (11.10.2017): Mehwar-e Mardom-e
Afghanistan: New opposition group with an ambiguous link to Karzai
...;
AAN - Afghanistan Analysts Network (21.8.2017): The Ghost of
Najibullah: Hezb-e Watan announces (another) relaunch ...;
AAN - Afghanistan Analysts Network (4.5.2017): Hekmatyar's Return to
Kabul: Background reading by AAN ...;
AAN - Afghanistan Analysts Network (3.5.2017): Charismatic,
Absolutist, Divisive: Hekmatyar and the impact of his return ...;
AAN - Afghanistan Analysts Network (22.1.2017): Afghanistan's
Incomplete New Electoral Law: Changes and Controversies ...;
AAN - Afghanistan Analysts Network (18.12.2016): Update on Afghanistan's Electoral Process: Electoral deadlock - for now ...;
AAN - Afghanistan Analysts Network (13.2.2015): The President's CEO Decree: Managing rather thean executive powers (now with full translation of the document) ...;
AAN - Afghanistan Analysts Network (o.D.): The 'government of national unity' deal (full text) ...;
AB - Afghan Bios (18.11.2017): Understanding Council of Political Currents of Afghanistan ...;
AB - Afghan Bios (29.5.2017): New National Front of Afghanistan
(NNF) ...;
AB - Afghan Bios (15.1.2016): National Congress Party ...;
AE - Afghan Embassy (o.D.): Islamic Republic of Afghanistan, The Constitution of Afghanistan ...;
AJ - Al Jazeera (19.5.2018): Taliban pledge not to target army, police who leave "enemy ranks" ...;
AM - Asia Maior (2015): Afghanistan 2015: the national unity government at work: reforms, war, and the search for stability ...;
BFA Staatendokumentation (7.2016): Dossier der Staatendokumentation, AfPak - Grundlagen der Stammes- & Clanstruktur ...;
BFA Staatendokumentation (3.2014): Afghanistan; 2014 and beyond ...;
Casolino, Ugo Timoteo (2011): "Post-war constitutions" in Afghanistan ed Iraq, PhD thesis, Università degli studi di Tor Vergata - Roma ...;
CRS - Congressional Research Service (13.12.2017): Afghanistan:
Post-Taliban Governance, Security, and U.S. Policy ...;
CRS - Congressional Research Service (12.1.2017): Afghanistan:
Post-Taliban Governance, Security, and U.S. Policy ...;
DW - Deutsche Welle (29.9.2016): Friedensabkommen in Afghanistan unterzeichnet ...;
DW - Deutsche Welle (30.9.2014): Understanding Afghanistan's Chief Executive Officer ...;
DZ - Die Zeit (7.3.2018): Wir sind besiegt ...;
HDN - Hürriyet Daily News (10.6.2018): Taliban agrees to unprecedented Eid ceasefire with Afghan forces ...;
IPU - Inter-Parliamentary Union (27.2.2018): Afghanistan - Meshrano Jirga (House of Elders) ...;
MPI - Max Planck Institut (27.1.2004): Die Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan ...;
NZZ - Neue Zürcher Zeitung (28.2.2018): Die afghanische Regierung macht den Taliban ein konkretes Angebot ...;
NYT - The New York Times (11.3.2018): An Unprecedent Peace Offer to the Taliban ...;
Reuters (7.6.2018): Afghanistan announces ceasefire with Taliban, until June 20 ...;
Reuters (5.6.2018): Afghan President backs suicide bomb fatwa after 14 killed ...;
RFE/RL - Radio Free Europe Radio Liberty (5.6.2018): Ghani Says Kabul Attack 'Against Values Of Islam', Backs Suicide Bomb Fatwa
...;
TD - The Diplomat (24.3.2018): Uzbekistan's Afghanistan Peace Conference: What to Expect ...;
TD - The Diplomat (7.3.2018): A Way Forward for Afghanistan After 2nd Kabul Process Conference ...;
TH - The Hindu (10.6.2018): Taliban agrees to ceasefire during Id
...;
Tolonews (9.6.2018): Taliban Orders Three-Day Eid Ceasefire ...;
Tolonews (7.6.2018): Afghan Govt Announces Ceasefire With Taliban
...;
Tolonews (29.4.2018): Six Wounded in Blast Close to Registration Center ...;
Tolonews (16.4.2018): Taliban Rejects Ghani's Call For Them To Take Part In Elections ...;
Tolonews (11.4.2018): Taliban Discussing Peace Offer, Says Former Member ...;
Tolonews (14.3.2018): Hizb-e-Islami Dismisses Three Senior Members
...;
Tolonews (19.12.2017): Special Interview With Arghandiwal - Head of Hizb-e Islami ...;
TS - Der Tagesspiegel (28.2.2018): Präsident Ghani macht den Taliban ein Friedensangebot ...;
USDOS - U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Afghanistan ...;
USDOS - U.S. Department of State (15.8.2017): International Religious Freedom Report for 2016 - Afghanistan ...;
USIP - United States Institute of Peace (3.2015): Political Parties in Afghanistan ...
Sicherheitslage
Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).
Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).
...
Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).
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Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).
Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Die östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016 ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).
...
Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und die Luftwaffe sowie verstärkten Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).
Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen, gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).
Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele
Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen, wie der Islamische Staat (IS), verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).
Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).
Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeitern von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).
Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).
Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit):
Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).
Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018).
Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).
Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).
Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).
Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u. a. rumänische Soldaten (Tolonews 30.4.2018b; vgl. APN 30.4.2018b, Focus 30.4.2018, IM 30.4.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.4.2018; vgl. Tolonews 30.4.2018b).
Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u. a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).
Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).
Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).
Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden getötet und zwölf weitere verletzt; der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018, TG 24.1.2018).
Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018; vgl. DW 21.1.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer und vier Afghanen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).
Selbstmordattentat mit einem mit Sprengstoff beladenen Tanklaster:
Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt (FAZ 6.6.2017; vgl. AJ 31.5.2017, BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (FN 7.6.2017).
Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten
Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017).
Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: Landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).
Zur Veranschaulichung werden im Folgenden auszugsweise einige Beispiele von Anschlägen gegen Gläubige und Glaubensstätten wiedergegeben (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit):
Angriff auf Treffen der Religionsgelehrten in Kabul: Am 4.6.2018 fand während einer loya jirga zwischen mehr als 2.000 afghanischen Religionsgelehrten, die durch eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aufriefen, ein Selbstmordanschlag statt. Bei dem Angriff kamen 14 Personen ums Leben und weitere wurden verletzt (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 5.6.2018). Quellen zufolge bekannte sich der IS zum Angriff (Reuters 5.6.2018; vgl. RFE/RL 5.6.2018).
Angriff auf Kricket-Stadion in Jalalabad: Am 18.5.2018, einen Tag nach Anfang des Fastenmonats Ramadan, kamen bei einem Angriff während eines Kricket-Matchs in der Provinzhauptstadt Nangarhars Jalalabad mindestens acht Personen ums Leben und mindestens 43 wurden verletzt (TRT 19.5.2018; vgl. Tolonews 19.5.2018, TG 20.5.2018). Quellen zufolge waren das direkte Ziel dieses Angriffes zivile Zuschauer des Matchs (TG 20.5.2018; RFE/RL 19.5.2018), dennoch befanden sich auch Amtspersonen unter den Opfern (TNI 19.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich keine regierungsfeindliche Gruppierung zum Angriff (RFE/RL 19.5.2018); die Taliban dementierten ihre Beteiligung an dem Anschlag (Tolonews 19.5.2018; vgl. TG 20.5.2018)
Selbstmordanschlag während Nowruz-Feierlichkeiten: Am 21.3.2018 (Nowruz-Fest; persisches Neujahr) kam es zu einem Selbstmordangriff in der Nähe des schiitischen Kart-e Sakhi-Schreins, der von vielen afghanischen Gemeinschaften - insbesondere auch der schiitischen Minderheit - verehrt wird. Sie ist ein zentraler Ort, an dem das Neujahrsgebet in Kabul abgehalten wird. Viele junge Menschen, die tanzten, sangen und feierten, befanden sich unter den 31 getöteten; 65 weitere wurden verletzt (BBC 21.3.2018). Die Feierlichkeiten zu Nowruz dauern in Afghanistan mehrere Tage und erreichen ihren Höhepunkt am 21. März (NZZ 21.3.2018). Der IS bekannte sich auf seiner Propaganda Website Amaq zu dem Vorfall (RFE/RL 21.3.2018).
Angriffe auf Moscheen: Am 20.10.2017 fanden sowohl in Kabul als auch in der Provinz Ghor Angriffe auf Moscheen statt: Während des Freitagsgebets detonierte ein Selbstmordattentäter seine Sprengstoffweste in der schiitischen Moschee, Imam Zaman, in Kabul. Dabei tötete er mindestens 30 Menschen und verletzte 45 weitere. Am selben Tag, ebenso während des Freitagsgebetes, griff ein Selbstmordattentäter eine sunnitische Moschee in Ghor an und tötete 33 Menschen (Telegraph 20.10.2017; vgl. TG 20.10.2017).
Töt