TE Bvwg Erkenntnis 2019/2/26 W240 2181741-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.02.2019
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Entscheidungsdatum

26.02.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W240 2181741-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. FEICHTER über die Beschwerde von XXXX , StA. Afghanistan gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.11.2017, Zl. 1080677806/150985352, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.02.2019 zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG

2005 idgF der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 idgF wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin, eine afghanische Staatsangehörige und Angehörige der Volksgruppe der Tadschiken, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet ein. Sie stellte am 31.07.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen der Erstbefragung am 01.08.2015 gab die Beschwerdeführerin an, am XXXX in XXXX /Iran, geboren zu sein. Sie sei ledig und habe acht Jahre die Grundschule in XXXX besucht. Zuletzt habe sie als Hilfskraft in einer Schneiderei gearbeitet. Ihren Vater, ihre Mutter und ihre Schwester habe sie vor etwa einem Monat in der Türkei aus den Augen verloren, als sie von Schleppern getrennt worden seien. Sie sei im Iran geboren und dort aufgewachsen. In Afghanistan sei sie noch nie gewesen. Zuletzt habe sie mit ihrer Familie in der Stadt XXXX gelebt. Die finanzielle Situation ihrer Familie sehe schlecht aus, sie würden keine Ländereien, Grundstücke oder Firmen besitzen. Den Entschluss den Iran zu verlassen, hätten ihre Eltern vor etwa zwei Monaten gefasst. Sie sei im Iran geboren und habe dort bis zu ihrer Ausreise vor etwa zwei Monaten gelebt. Den Kontakt zum Schlepper habe ihr Vater hergestellt. Als Fluchtgrund gab die Beschwerdeführerin an, ihre Familie habe den Iran verlassen, weil die Lebensumstände dort zunehmend schlechter geworden seien. Sie hätten eine Abschiebung nach Afghanistan befürchtet und nach Deutschland gewollt, damit sie dort eine Ausbildung machen könne. In Afghanistan habe sie niemanden.

3. Im Rahmen der am 31.10.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) erfolgten Einvernahme, führte die Beschwerdeführerin insbesondere wie folgt aus:

"(...)

F: Sind Sie gesund?

A: Ja.

F: Befinden Sie sich in ärztlicher Behandlung, in Therapie oder nehmen Sie zurzeit Medikamente ein?

A: Ich gehe zu einem Psychologen. Therapie oder Medikamente nehme ich keine. Nachgefragt gehe ich zum Psychologen, weil alle Minderjährigen in den Camp wo ich war jede Woche oder alle zwei Wochen dorthin. Ab meinem 18. Lebensjahr durfte ich es mir selbst aussuchen, ob ich weiter gehe oder nicht und ich wollte weiter. Ansonsten bin ich aber gesund.

F: Können Sie medizinische Unterlagen zur Vorlage bringen?

AW legt medizinische Unterlagen vor. Werden in Kopie zum Akt genommen.

F: Sind Sie mit der Weitergabe Ihrer medizinischen Daten an das Bundesamt f. Fremdenwesen und Asyl und einer damit einhergehenden Entbindung Ihrer behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht einverstanden?

A: Ja.

F: Wie heißen Sie, wann und wo sind Sie geboren?

A: XXXX

F: Woher kommt dann der XXXX , Iran als Geburtsort, wie laut Erstbefragung?

A: Meine Dolmetscherin war eine, die Paschtu gesprochen hat und es war für uns beide schwer, uns gegenseitig zu verstehen. Es steht auch im Protokoll, dass ich im Iran geboren bin was nicht stimmt. Ich bin in Afghanistan geboren und bin mit 1 Jahr in den Iran mit meiner Familie ausgereist.

F: Haben Sie Unterlagen, die Ihr Geburtsdatum belegen können?

A: Nein, leider nicht. Ihr wisst eh selber, dass die Unterlagen bei den Eltern immer bleiben. Nachgefragt habe ich keine Möglichkeit, dass ich mir die schicken lasse - ich kenne niemanden.

AW wird informiert, dass ohne Belege das Geburtsdatum nicht als Originalidentität festgestellt werden kann, das nunmehr angeführte Geburtsdatum jedoch als Alias-Identität aufgenommen wird.

F: Führten Sie irgendwann einmal einen anderen Namen?

A: Nein.

F: Wie lautet Ihr Geburtsdatum im afghanischen Kalender?

A: XXXX - deswegen wurde das auch ursprünglich falsch protokolliert.

F: Woher wissen Sie Ihr Geburtsdatum?

A: Hat mir meine Mutter gesagt.

F: Können Sie mittlerweile Deutsch sprechen?

A: Ja.

F: Können Sie die lateinische Schrift lesen?

A: Ja.

F: Welche Staatsangehörigkeit haben Sie?

A: Afghanistan

F: Aus welcher Provinz, Distrikt, Stadt (Stadtviertel) bzw. Dorf Ihres Heimatstaates Afghanistan kommen Sie?

A: XXXX , den genauen Ort weiß ich nicht... ich war damals ein Jahr alt.

F: Welcher Volksgruppe und Religion gehören Sie an?

A: Tadschike, Moslem, Sunnit

F: Verstehen Sie den Dolmetsch einwandfrei?

A: Ja.

(...)

F: Sind Sie verheiratet?

A: Nein.

F: Sind Sie verlobt?

A: Nein.

F: Haben Sie Kinder?

A: Nein.

F: Wie heißen Ihre Eltern, wie alt sind diese und wo befinden sie sich derzeit?

A: XXXX

Ich habe sie auf der Grenze Iran-Türkei auf unserem Weg nach Europa verloren.

(...)

F: Haben Sie Geschwister, wie heißen diese und wie alt und wo sind diese?

A: XXXX

Wir waren bei der Reise alle zusammen, auch sie habe ich verloren bei dem geschilderten Vorfall.

F: Wann sind Sie in Österreich eingereist?

A: Es war zur Ramadanzeit 2015. Unterwegs waren wir ca. 1,5-2 Monate vom Iran nach Österreich.

(...)

F: Wann genau haben Sie sich dazu entschlossen, dass Sie Afghanistan verlassen bzw. wer hat das entschieden?

A: Ich war ein Jahr alt. Meine Eltern haben das entschieden.

F: Wohin haben Sie Afghanistan verlassen?

A: Iran.

F: War die Ausreise aus Afghanistan legal oder illegal?

A: Illegal

F: Mit wem sind Sie da ausgereist?

A: Meine Eltern, meine Schwester und ich.

F: Waren Sie seitdem wieder in Afghanistan?

A: Nein.

F: Kennen Sie den Grund, weshalb Sie mit Ihren Eltern Afghanistan verlassen haben?

A: Es war Krieg. Die Taliban waren vermehrt in XXXX . Finanziell ging es uns auch nicht gut. Meine Eltern hatten keine Arbeit. Deshalb hatten das meine Eltern beschlossen.

F: Nennen Sie bitte Ihre letzte Adresse in Afghanistan.

A: XXXX

F: Seit wann bzw. wie lange haben Sie sich dort aufgehalten?

A: Von meiner Geburt bis zur Ausreise.

F: Beschreiben Sie bitte Ihre Wohnbedingungen dort!

A: Es war eine Mietwohnung. Mein Vater hat nachts beim Gebäude nebenan aufgepasst und Tagsüber war glaube ich eine Schweißerei drinnen. Das weiß ich von meinen Eltern.

F: Wer hat dort gelebt?

A: Ich, meine Eltern und meine Schwester.

F: Was ist mit dieser Wohnung geschehen?

A: Weiß ich nicht.

F: Wie lange waren Sie im Iran?

A: Ich war 16, als ich nach Österreich kam. Davor war ich im Iran.

F: War Ihr Aufenthalt im Iran legal oder illegal?

A: Ich weiß nicht. Wir hatten so Karten vom Iran und ich weiß nicht, ob das legal oder illegal war. Wir wurden nie kontrolliert von der Polizei, deshalb weiß ich es nicht.

F: Nennen Sie mir bitte Ihre Adresse im Iran!

A: XXXX

F: Schildern Sie mir bitte die Lebens- bzw. Wohnbedingungen dort.

A: Es war eine Mietwohnung.

F: Wie sah Ihr Leben im Iran aus, was haben Sie so den ganzen Tag gemacht?

A: Ich bin 8 Jahre dort zur Schule gegangen, verglichen mit hier die Hauptschule, das habe ich abgeschlossen. Meine Mutter war Schneiderin, meinen Vater habe ich schon erwähnt. Meine Schwester ist auch zur Schule gegangen. Als sie 17 war, hat sie die Prüfung nicht geschafft. Sie hat sich immer bei Prüfungen schwer getan, die letzte Prüfung hat sie nicht geschafft und mein Vater hat dann beschlossen, sie zu verheiraten.

Nachgefragt bin ich bis zum 14. Lebensjahr zur Schule gegangen. Die Afghanen mussten immer mehr bezahlen. Ich wollte dann das Gymnasium besuchen, meine Eltern konnten das nicht bezahlen. Daher habe ich dann vom 14. Bis zum 16. Lebensjahr in einer Schneiderei gearbeitet - ich habe Zuschnitte gemacht oder gezeichnet, Hilfstätigkeiten.

(...)

F: Haben Sie zuletzt auch was gearbeitet und wo?

A: Ich habe zwei Jahre in der Schneiderei bis zur Ausreise gearbeitet. Die Firma war im Heimatort im Iran.

F: Womit haben Sie Ihren Lebensunterhalt im Iran bestritten?

A: Ja, unsere finanzielle Lage war sehr schlecht, deswegen musste ich auch arbeiten.

F: Was haben Ihre Eltern gearbeitet?

A: Mein Vater war tagsüber Schweißer und Abends hat er auf das Gebäude aufgepasst. Und die Mutter war Schneiderin.

F: Konnten diese ihrer Arbeit bis zur Ausreise aus dem Iran nachgehen?

A: Ja.

F: Welche Angehörigen leben noch in Ihrer Heimat Afghanistan? Geben Sie Provinz, Distrikt, Stadt oder Dorf an.

A: Was ich gehört habe, von meiner Mutter: Die erste Großmutter ist gestorben, die zweite Großmutter lebt noch dort. Von anderen Angehörigen weiß ich nichts.

F: Wo lebt denn die noch lebende Großmutter?

A: Vielleicht auch in XXXX . Nachgefragt gibt es keinen Großvater dazu.

F: Wie heißt die Großmutter?

A: Das weiß ich nicht, weil ich habe keinen Kontakt.

F: Wann haben Sie bzw. Ihre Familie das letzte Mal Kontakt mit der Großmutter gehabt?

A: Ich habe noch nie mit Ihr Kontakt gehabt. Nachgefragt hat meine Mutter vielleicht mir ihr Kontakt gehabt.

F: Haben Sie nie nachgefragt bzw. hat Sie nie interessiert, wer Ihre Großmutter ist?

A: Ich habe noch nie nach ihren Namen gefragt. Meine Mutter hat nicht viel über unsere Familienangehörigen erzählt.

F: Welche engeren Freunde leben noch in Ihrer Heimat Afghanistan? Geben Sie Provinz, Distrikt, Stadt oder Dorf an.

A: Ich habe keine.

F: Haben Sie noch irgendeinen Kontakt oder Bezug (Grundstücke, Haus, etc.) nach Afghanistan?

A: Nein, aber keinen Kontakt. Einen Bezug weiß ich nicht. Nachgefragt weiß ich nicht, ob es von meinen Eltern noch Verwandte in Afghanistan gibt.

F: Beantworten Sie die nachstehenden Fragen mit "Ja" oder "Nein". Sie haben später noch die Gelegenheit, sich ausführlich zu diesen Fragen zu äußern:

F: Sind Sie vorbestraft oder waren Sie in Ihrem Heimatland inhaftiert oder hatten Sie Probleme mit den Behörden?

A: 3x nein.

F: Bestehen gegen Sie aktuelle staatliche Fahndungsmaßnahmen wie Haftbefehl, Strafanzeige, Steckbrief, etc.?

A: Nein.

F: Sind oder waren Sie politisch tätig?

A: Nein.

F: Sind oder waren Sie Mitglied einer politischen Partei?

A: Nein.

F: Sind oder waren Familienangehörige Mitglied einer politischen Partei?

A: Ich weiß nicht.... vielleicht die Großmutter.

F: Hatten Sie in ihrem Herkunftsstaat aufgrund Ihres Religionsbekenntnisses Probleme?

A: Nein.

F: Hatten Sie in ihrem Herkunftsstaat aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit Probleme?

A: Nein.

F: Hatten Sie gröbere Probleme mit Privatpersonen (Blutfehden, Racheakte etc.)?

A: Nein.

F: Nahmen Sie in Ihrem Heimatland an bewaffneten oder gewalttätigen Auseinandersetzungen aktiv teil?

A: Nein.

F: Schildern Sie nochmals die Gründe, warum Sie Ihr Heimatland verlassen und einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, von sich aus vollständig und wahrheitsgemäß. Sie werden darauf hingewiesen, dass falsche Angaben die Glaubwürdigkeit Ihres Vorbringens beeinträchtigen können. Soweit Sie auf Ereignisse Bezug nehmen, werden Sie auch aufgefordert, den Ort und die Zeit zu nennen, wann diese stattfanden und die Personen, die daran beteiligt waren. Sie haben jetzt auch Gelegenheit, sich zu den Fragen, die von ihnen mit "Ja" oder "Nein" beantwortet wurden, zu äußern.

A: Es gab keine richtige Arbeit im Iran. Mein Vater hat dort zwar gearbeitet, aber er hat nicht immer den vollen Betrag bekommen. Wenn wir dann zu seinem Arbeitgeber hingekommen sind, hat er ihm auch nicht das Geld gegeben. Im Iran ist es so, wenn man zur Schule geht, machen die immer einen Unterschied zwischen Afghanen und Iraner. Es war keine Freiheit, wir mussten uns dort bedecken. Einmal hat mich die Polizei wegen meinem Kopftuch aufgehalten. Ohne meine Eltern konnte ich auch nicht rausgehen. Ich konnte auch nicht zur Schule gehen. Das wars.

F: Haben Sie sämtliche Gründe, die Sie veranlasst haben, Ihr Heimatland zu verlassen, vollständig geschildert?

A: In Afghanistan ist Krieg und Gewalt und die Frauen haben keine Rechte.

F: Was würde Sie konkret erwarten, wenn Sie jetzt in Ihren Herkunftsstaat Afghanistan zurückkehren müssten?

A: So wie ich jetzt ausschaue, bringen sie mich um. Wenn du dort einen Freund hast, dann wirst du gesteinigt.

F: Es wird aber sicher ein paar Afghaninnen geben, die einen Freund haben. Sonst gäbe es keine Paare dort.

A: Es kann versteckt sein. Aber ich schwöre euch: wenn sie erwischt werden, dann werden sie umgebracht. Ich kenne dort niemanden.

F: Woher wissen Sie dass dann, dass es dort so ist?

A: Es steht überall - in Facebook, in den Nachrichten, ich habe es auch von meinen Eltern so gehört.

F: Die Polizei hat Sie im Iran aufgehalten. Was hat sie da zu Ihnen gesagt?

A: Ich hatte mein Kopftuch nicht richtig auf, man konnte eine Haarsträhne von mir sehen. Der Polizist sagte, ich soll mein Kopftuch richtig herrichten und ich sagte, was geht das ihm an. Sie haben mir dann Handschellen angelegt. Das war nicht die normale Polizei, das war die Geheimpolizei Basiji. Es war an einem Donnerstag. Sie haben mich zu einer Polizeistation gebracht. Um 4 Uhr nachmittag hätten sie dort zugesperrt. Es war ca. 15.30 Uhr. Ich war dort und sie sagten zu mir, meine Mutter soll mir ein Kopftuch vorbeibringen, sonst hätte ich bis Samstag dort sitzen müssen. Meine Mutter war dann zum Glück schnell da und dann hat alles wieder zum Glück gepasst.

F: Ich verstehe nicht, weshalb das im Iran so restriktiv ist. Im Fernsehen sieht man ja des Öfteren Dokumentationen, wo Jugendliche beim Party-Machen in normalen Kleidern- wie hier in Österreich üblich - gezeigt werden.

A: Ja, in Teheran ist es nicht so streng. Aber außerhalb ist es viel strenger. Ich bin ja ca. 6 Stunden von Teheran entfernt.

F: Ist Ihnen - abgesehen von dem geschilderten Vorfall - irgendetwas passiert?

A: Nein, zum Glück nicht. Aber die Karten, die wir im Iran hatten, mussten wir jedes Jahr verlängern. Die Polizisten hatten einen Kunststoffstab und die hatten die Männer damit geschlagen. Mir ist aber nichts zugestoßen.

F: Wurden Sie in Afghanistan persönlich verfolgt oder bedroht?

A: Nein.

F: Wurden ihre Familienangehörigen in Afghanistan irgendwie verfolgt oder bedroht?

A: Das weiß ich nicht.

F: Ist Ihren Familienangehörigen jemals irgendetwas passiert?

A: Mein Vater wurde auch mal von der Polizei festgenommen. Er kam wohin, wo alle Flüchtlinge festgehalten wurden. Er war ca. 3-4 Wochen dort im Gefängnis, dann wurde er freigelassen. Er wurde festgenommen, weil er Flüchtling war.

F: Wann war das?

A: Vielleicht 3-4 Jahre vor unserer Ausreise....das war im Sommer.

F: In welchen anderen Provinzen Ihres Heimatstaates Afghanistan waren Sie schon in Ihrem Leben?

A: Nirgends.

F: Haben Sie in Kabul Bekannte oder Verwandte?

A: Nein.

F: Sie könnten in eine sichere, derzeit ungefährliche Provinz/Stadt (wie z.B. Kabul, Herat oder Mazar-i-Sharif) in Afghanistan gehen. Was sagen Sie dazu?

A: Dort gibt es keine Sicherheit. Genau das sind die Ortschaften, wo am Meisten was passiert. Und wenn ich dort niemanden kenne, zu wen soll ich da hin.

F: Wären Sie im Fall einer Rückkehrentscheidung an einer freiwilligen Rückkehr und Integrationsprojekten in Afghanistan interessiert?

A: Nein. Ich kann nicht zurück.

F: Haben Sie Angehörige in Europa oder in einem anderen Land?

A: Nein.

F: Haben Sie Verwandte in Österreich? Wenn ja welche und wo wohnen diese? Wie gestaltet sich der Kontakt zu diesen?

A: Nein.

F: Haben Sie in Österreich eine Schule besucht bzw. eine Ausbildung genossen? Wenn ja welche und wie lange?

A: Deutschkurse, Hauptschule und jetzt gehe ich ins Abendgymnasium. AW legt Bestätigungen vor. Werden in Kopie zum Akt genommen.

F: Arbeiten Sie in Österreich?

A: Nein.

F: Haben Sie in der Vergangenheit in Österreich gearbeitet?

A: Nein.

F: Sind Sie in Vereinen? Wenn ja, ist die Vorlage einer Bestätigung möglich?

A: Nein.

F: Haben Sie sich schonmal um Aufnahme oder zumindest Beteiligung an einem Verein bemüht?

A: Ich habe mich beim Verein " XXXX " schonmal beteiligt. Bestätigung wurde bereits vorgelegt.

F: Gehen Sie einer ehrenamtlichen Tätigkeit nach? Wenn ja, ist die Vorlage einer Bestätigung möglich?

A: Nein.

F: Wie sieht Ihr soziales Umfeld in Österreich aus?

A: Ich gehe ins Fitnessstudio. Abends besuche ich das Gymnasium. Vor zwei Wochen war ich noch im Deutschkurs. Ich habe Freunde - wir gehen spazieren, jetzt im Winter dann wieder Eislaufen, ich gehe auch schwimmen und Fahrrad fahren.

F: Haben Sie in Österreich Freunde bzw. Bekannte (Name, Staatszugehörigkeit)?

A: Sehr viele. Auch Österreicher und auch Flüchtlinge wie ich aus verschiedenen Ländern. Nachgefragt habe ich gleich viel Kontakt mit den Österreichern und den anderen Flüchtlingen.

F: Wie oft treffen Sie Ihre Freunde und was machen Sie dann?

A: Vielleicht 3x pro Woche.... mehr am Wochenende. Hier auch wieder gleich viel mit den Österreichern und mit den anderen.

F: Wie heißen Ihre besten österreichischen Freunde?

A: XXXX ....... nachgefragt weiß ich die Familiennamen nicht.

F: In welcher Sprache verständigen Sie sich mit den Freunden in Österreich?

A: Deutsch. Mit den türkischen Freundinnen spreche ich Türkisch, mit den iranischen und afgh. Freundinnen manchmal Deutsch und manchmal Persisch.

F: Wo wohnen Sie in Österreich?

A: Kapellenstraße 8 in einem Schülerheim hier in Linz. Es ist von der Volkshilfe, ich bezahle aber 180 Euro monatlich dafür.

F: Wovon leben Sie in Österreich?

A: Grundversorgung.

F: Wer kümmert sich um den Haushalt?

A: Mein Zimmer reinige ich selbst. Montag bis Freitag bekommen wir dort was zum Essen.

F: Wer erledigt den täglichen Einkauf?

A: Ich selbst.

F: Welche Lebensmittelgeschäfte kennen Sie in Österreich?

A: Merkur, Billa, Hofer, Spar

F: Wo gehen Sie denn am Liebsten hin?

A: Zum Merkur, oder zum Billa und zum Hofer.

F: Wer hat die Kleidung für den heutigen Tag ausgesucht?

A: Ich selbst.

F: Wo haben Sie die gekauft?

A: In Wien beim Tallj Weijl und das andere hier in Linz.

F: Was erwarten Sie sich in Österreich, wovon möchten Sie in Österreich leben?

A: Ich will als bautechnische Zeichnerin hier arbeiten und auch studieren. AW legt Bewerbungsschreiben vor.

F: Haben Sie Privatbesitz in Österreich?

A: Nein.

F: Haben Sie in Österreich einen Freund oder Lebensgefährten? Wenn ja wie heißt er?

A: Nein.

F: Sind Sie in Österreich in irgendeiner Art mit dem Gesetz in Konflikt geraten?

A: Nein.

AW werden die aktuellen Länderinformationsblätter zu Afghanistan ausgehändigt.

F: Sie haben nun die Möglichkeit, binnen einer Frist von einer Woche eine Stellungnahme zum Länderinformationsblatt abzugeben. Möchten Sie von diesem Recht Gebrauch machen?

A: Ja, ich mache von diesem Recht Gebrauch.

F: Sind Sie mit amtswegigen Erhebungen vor Ort unter Wahrung Ihrer Anonymität, eventuell unter Beiziehung der Österreichischen Botschaft und eines Vertrauensanwaltes einverstanden?

A: Ja.

F: Ich beende jetzt die Befragung. Hatten Sie Gelegenheit und wurde Ihnen ausreichend Zeit eingeräumt, alles ausführlich und vollständig vorzubringen, was Ihnen wichtig erscheint?

A: Ja, es wurde mir ausreichend Zeit gegeben.

F: Haben Sie den Dolmetscher während der gesamten Einvernahme einwandfrei verstanden?

A: Ja.

F: Es wird Ihnen nunmehr die Niederschrift rückübersetzt und Sie haben danach die Möglichkeit noch etwas richtig zu stellen oder hinzuzufügen.

F: Haben Sie nun nach Rückübersetzung Einwendungen gegen die Niederschrift selbst, wurde Ihre Einvernahme richtig und vollständig protokolliert?

A: Auf Seite 16 möchte ich korrigieren, dass das Heim, wo ich wohne, nicht von der Volkshilfe ist. Es wurde ansonsten alles richtig und vollständig protokolliert.

F: Möchten Sie noch etwas ergänzen?

A: Nein.

(...)"

Im Akt liegen folgende Dokumente auf:

-

Anfrage Interviewtermin vom 18.08.2017 und vom 05.10.2017

-

Fragebogen einer österreichischen Krankenkasse vom 24.08.2016

-

Erstaufnahmeblatt vom 17.08.2016. Aus diesem geht hervor, dass die Beschwerdeführerin mit dem Fahrrad gestürzt ist.

-

Arztbrief vom 17.08.2016 und vom 22.08.2018 mit der Diagnose:

"Fractura capitis radii dext.; Excor. Prof. praepatellaris gen. Sin." (Anm. BVwG: Ellbogenfraktur; Hautabschürfungen)

-

Ambulanzblatt vom 12.07.2016 invl. Laborbefund und medizinischem Behandlungsbeiblatt mit der Diagnose: "Combust I° reg palm man dext"

(

-

Integrationsbestätigung vom 30.10.2017 über die Teilnahme bei verschiedenen Projekten

-

Neun Unterstützungserklärungen und eine Unterschriftenliste vom Oktober 2017

-

Bewerbungsschreiben vom 14.02.2017 incl. Lebenslauf und Deutschkursbestätigungen, zuletzt B2 Teil 2 vom 13.10.2017

-

Semesterzeugnis vom 07.07.2017

-

Schulbesuchsbestätigung vom 30.03.2017

-

Zeugnis über die Pflichtschulabschlussprüfung

-

Suchantrag Rotes Kreuz vom 01.04.2016

4. Mit Stellungnahme, eingelangt beim BFA am 06.11.2017, wurde vorgebracht, dass die Beschwerdeführerin in der XXXX geboren worden sei. Als sie ein Jahr alt gewesen sei, seien ihre Eltern in den Iran gegangen, sie habe seit ihrem ersten Lebensjahr im Iran gelebt. Mit ihrer Kernfamilie sei sie Mitte 2015 aus dem Iran geflohen, wobei sie diese während der Flucht an der türkischen Grenze aus den Augen verloren habe. Seitdem habe sie keinen Kontakt zu ihrer Familie. In Afghanistan habe sie keine Familienangehörigen und keine Freunde und verfüge über kein soziales Netz. Zudem kenne sie weder die Sitten noch die Gebräuche der afghanischen Gesellschaft. Wie sie bereits vorgebracht habe, habe sie Angst in Afghanistan umgebracht zu werden, da sie eine junge moderne Frau sei. Frauen hätten in Afghanistan keinerlei Rechte und würden hierfür bestraft werden. Sie pflege einen modernen, westlichen Kleidungsstil und trage kein Kopftuch. Im Gegensatz zu Afghanistan, wo ihr auch diesbezüglich strenge Vorschriften gemacht werden würden, genieße sie derlei Freiheiten und habe den selbstbestimmten Lebensstil in Österreich bereits verinnerlicht. Bisher habe sie in Österreich die Hauptschule abgeschlossen und besuche derzeit das Abendgymnasium. Sie habe eine klare Zukunftsperspektive und wolle in Österreich eine Ausbildung zur bautechnischen Zeichnerin machen und studieren. Sie sei eine zielstrebige, selbstbewusste, bildungshungrige junge Frau, der es nicht zumutbar wäre, auf eine weiterführende Bildung zu verzichten und sich den strengen traditionellen Zwängen der afghanischen Gesellschaft anzupassen. Zudem verfüge sie in Österreich über viele Freunde und Unterstützer und sei sehr gut in die österreichische Gesellschaft integriert.

Die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan sei sehr schlecht. Unter Verweis auf ausgewählte Berichte wurde festgehalten, dass aufgrund der Konflikte zahlreicher Akteure und einer Wiedererstarkung der Taliban die Sicherheitslage Afghanistans besorgniserregend und nicht vorhersehbar sei. Festgehalten wurde, dass keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe, da die Beschwerdeführerin als junge moderne Frau ohne familiäres Protektorat sei. Aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe alleinstehender Frauen, der Tatsache, dass sie keine praktizierende Muslima sei und sie sich einen westlichen Lebensstil angeeignet habe, falle die Beschwerdeführerin in zumindest drei Risikoprofile der UNHCR Richtlinie.

5. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Beschwerdeführerin der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung gem. § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 22.11.2018 erteilt.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich aus dem gesamten Vorbringen der Beschwerdeführerin kein Hinweis auf eine asylrelevante Verfolgung ergibt. Soweit die Beschwerdeführerin zur Einvernahme ohne Kopftuch erschienen sei, sei festzuhalten, dass alleine die Verpflichtung die Kleidervorschriften in Afghanistan einzuhalten, noch keine asylrelevante Gefährdung darstelle.

6. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. In der Beschwerde wurde u.a. ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr nach Afghanistan als "verwestliche" Frau, die fast ihr ganzes Leben im Iran bzw. Europa verbracht habe, der Verfolgung ausgesetzt sei. Zudem seien die Länderfeststellungen unzureichend. Hätte die belangte Behörde ein ordentliches Ermittlungsverfahren sowie eine korrekte Beweiswürdigung durchgeführt, hätte sie zu dem Schluss kommen müssen, dass die Beschwerdeführerin in Afghanistan einer Verfolgung ausgesetzt sei. Es liege eine asylrelevante Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zu der sozialen Gruppe der alleinstehenden Frauen, die einen westlichen Lebensstil pflegen würden, ihren Glauben nicht praktizieren und zudem fast ihr gesamtes Leben im Iran verbracht hätten, vor.

7. Am 11.02.2019 fand vor dem BVwG eine mündliche Verhandlung statt, an welcher die Beschwerdeführerin sowie ihre Rechtsvertretung teilnahm.

Die Rechtsvertretung gab folgende Stellungnahme ab:

"Der VwGH beurteilt die westliche Orientierung nach der Selbständigkeit der Lebensführung in Österreich und nach der inneren Einstellung. Diese Elemente müssen zu einem wesentlichen Teil der Gesamtidentität geworden sein. Im vorliegenden Fall ist eine westliche Orientierung eindeutig gegeben. Die Beschwerdeführerin ist eine äußerst willensstarke und selbstbewusste junge Frau, die alleine in Österreich lebt und sehr konkrete berufliche Zukunftspläne hat. Im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan müsste sie auf Grund ihres Lebensstils mit Verfolgung rechnen."

Im Zuge der Verhandlung wurde eine Einberufung zur Berufsschule vom 15.01.2018 und eine Schulbesuchsbestätigung für das Schuljahr 2018/2019 vorgelegt.

Es wurden dem Beschwerdevorbringen entsprechend folgende Dokumente zur Kenntnis gebracht:

* LIB Afghanistan vom 29.06.2018 (letzte Kurzinformation vom 31.01.2019)

* UNHCR-Richtlinie vom 30.08.2018

* Accord Anfragebeantwortung vom 12.06.2015, a-9219, Rückkehrer aus dem Iran

* Gutachterliche Stellungnahme der Ländersachverständigen Asef vom 15.09.2017 zur Situation von Rückkehren in Afghanistan

* Analyse der Staatendokumentation zur Lage der Frauen in Afghanistan vom 02.07.2014

* Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 18.09.2017 zur Situation von Frauen urbanen Zentren in Afghanistan

Am Ende der Einvernahme wurden der Beschwerdeführerin Kopien der vorliegenden Berichte und Feststellungen ausgefolgt und für eine allfällige schriftliche Stellungnahme eine Frist bis zum 25.02.2019 eingeräumt.

Es langte keine Stellungnahme ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin und ihren Fluchtgründen:

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Afghanistan und gehört der Volksgruppe der Tadschiken an. Sie bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam, praktiziert ihren Glauben jedoch nicht regelmäßig. Ihre Muttersprache ist Dari. Weiters beherrscht sie Türkisch, Farsi, Englisch, Deutsch und Arabisch in Wort und Schrift.

Die Beschwerdeführerin lebte bis zu ihrem ersten Geburtstag mit ihren Eltern und ihrer Schwester in XXXX , Afghanistan. Dann zog die Familie in den Iran und lebte in XXXX . Als die Beschwerdeführerin sechzehn war hat sie mit ihrer Familie den Iran verlassen. Die Familie flüchtete über die Türkei nach Europa. An der iranisch/türkischen Staatsgrenze verlor sie ihre mitgereiste Familie aus den Augen.

Die Beschwerdeführerin besuchte in XXXX acht Jahre lang eine Hauptschule und ging anschließend Hilfstätigkeiten in einer Schneidereifabrik nach.

Es kann nicht festgestellt werden, dass sich Verwandte oder Bekannte der Beschwerdeführerin in Afghanistan aufhalten.

Die Beschwerdeführerin ist gesund und strafgerichtlich unbescholten.

Die Beschwerdeführerin ist nicht konservativ-religiös, sondern hat eine sehr liberale Einstellung, auch und besonders im Hinblick auf die Rechte von Frauen auf Bildung und Selbständigkeit. In Österreich nützt die Beschwerdeführerin jene Freiheit, die ihr bisher verwehrt blieb. Sie trägt modische Kleidung und kein Kopftuch und genießt es, ohne Begleitung unterwegs sein zu können. Die Beschwerdeführerin bildet sich weiter und besucht Kurse, zuletzt einen B2-Teil 2-Deutschkurs. Zeitgleich zu diesem im Jahr 2017 besuchten Deutschkurs ging sie in die Hauptschule und besuchte ein Abendgymnasium. Seit 2018 besucht die Beschwerdeführerin eine Berufsschule. Im Schuljahr 2018/2019 besuchte die Beschwerdeführerin in der zweiten Fachklasse für den Lehrberuf "Bautechnische Zeichnerin" und hat alle Gegenstände positiv abgeschlossen.

Weiters beteiligt sie sich an Workshops, Projekten und Ausflügen. Sie verfügt bereits über ein Sprachdiplom Deutsch Niveau B1, das sie mit "befriedigend" bestanden hat. Zudem spricht sie mehrere Sprachen. In der mündlichen Verhandlung hat sie mehrere Fragen auf Deutsch auf sehr gutem Niveau beantwortet. Sie absolviert eine Lehre als technische Zeichnerin und wird mit ihrer Lehre im Jänner 2020 fertig werden. Danach möchte sie die Matura nachmachen, Architektur studieren und als Model arbeiten.

Sie hat Schwimmen und Radfahren gelernt, hat einen Tanzkurs besucht, macht einen Gitarrenkurs und geht regelmäßig ins Fitnesscenter. Die Beschwerdeführerin hat österreichische Freunde, geht mit ihnen in die Disko und besucht Geburtstagspartys. Die Beschwerdeführerin begegnet anderen Religionen respektvoll. Sie ist nicht sehr religiös, hat in der Vergangenheit nur Moscheen im Fastenmonat Ramadan besucht, zuletzt im Jahr 2017. Vor einigen Wochen war sie zuletzt anlässlich einer Koranlesung in einer Moschee. In ihrem Freundeskreis befinden sich viele gläubige Moslems, jedoch auch Afghanen, die nicht gläubig sind.

Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich demnach um eine selbstbewusste und weltoffene junge Frau, deren persönliche Haltung über die Lebensverhältnisse und die grundsätzliche Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft im eindeutigen Widerspruch zu den in Afghanistan bislang vorherrschenden gesellschaftlich-religiösen Zwängen, denen Frauen dort mehrheitlich unterworfen sind, steht. Die Beschwerdeführerin ist zu der Überzeugung gelangt, dass Frauen und Männer gleichberechtigt gegenüberstehen sowie Aus- und Weiterbildung von Frauen insofern sehr wichtig sind. Die Lebensweise und Wertehaltung der Beschwerdeführerin sind als "westlich", sohin an einem auf ein selbstbestimmtes Leben ausgerichteten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert, zu bezeichnen. Die Lebensumstände der Beschwerdeführerin in Afghanistan stünden mit jenen, welche sie sich aus freiem Willen zu gestalten wünscht bzw. bereits gestaltet hat, ganz offenkundig in unüberwindbarem Gegensatz. Die Beschwerdeführerin kann sich nicht vorstellen, ein Leben nach der konservativ-afghanischen Tradition zu führen.

Gründe, nach denen ein Ausschluss der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Asylgewährung zu erfolgen hat, sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Einleitung

Es ist nicht einfach die Situation der afghanischen Frau zu beschreiben. Seit dem Sturz des Talibanregimes im Jahr 2001, hat es Fortschritte in den Bereichen Geschlechtergleichstellung und Frauenrechte gegeben. Wie weit der Fortschritt geht, ist auch Teil dieser Analyse. Die vorliegende Arbeit möchte Frauen als Akteurinnen beschreiben und dabei auf ihre Herausforderungen, Probleme, sowie Hindernisse aufmerksam machen. Es soll dabei auch auf die einfachen bzw. bescheidenen Fortschritte, die in den letzten Jahren erzielt werden konnten, eingegangen werden. Ein besonders wichtiger Aspekt in diesem Zusammenhang ist das EVAW-Gesetz, welches im Jahr 2009 durch ein Präsidialdekret verabschiedet wurde. Reaktionen sowie Umsetzung des Gesetzes in Afghanistan sollen näher beleuchtet werden. Gewalt hat viele Formen, so auch in Afghanistan. Es werden daher die geläufigsten Formen von Gewalt in Afghanistan beschrieben und deren Auswirkung erwähnt werden. Strafverfolgung spielt in Zusammenhang mit Gewalt, besonders in Afghanistan, eine wichtige Rolle. Frauen in Afghanistan kennen oftmals ihre Rechte nicht, sei es oftmals aufgrund mangelnden Bewusstseins oder gar Analphabetentums. In den letzten Jahren haben sich Rechtshilfeorganisation in verschiedenen Teilen des Landes gebildet, die sich nicht nur, aber unter anderem auch, auf die Rechte von Frauen spezialisiert haben. Mittlerweile existieren in Afghanistan Frauenhäuser, die zum Schutz von Frauen dienen. Wo diese existieren, wie deren Existenz in der afghanischen Gesellschaft wahrgenommen wird, sind ebenfalls Gegenstände dieser Analysen.

Gewalt gegen Frauen

Das Gesetz zur Eliminierung von Gewalt gegen Frauen (EVAW - law) und Kontroversen

Die Streitigkeiten in Bezug auf das Gesetz zur Eliminierung von Gewalt gegen Frauen (Elimination of Violence Against Women - EVAW) unterstreichen, was für ein Drahtseilakt die Verbesserung der rechtlichen Situation von Frauen in Afghanistan ist:

Verabschiedet im Jahr 2009, ist es das erste Gesetz, das Gewalt gegen Frauen kriminalisiert.1 Es definiert 22 Handlungen als Gewalt gegen Frauen, schlägt Strafen für die Täter vor und nimmt die Regierung in die Pflicht.2 Verboten werden unter anderem Kinderheirat, Zwangsheirat, Menschenhandel für den Zweck oder unter dem Vorwand der Heirat, die traditionelle Praxis des baads (Übergabe einer Frau oder eines Mädchens zur Streitschlichtung), erzwungene Selbstverbrennung und 17 weitere Gewalthandlungen, inklusive Vergewaltigung und physischer Misshandlung.3

Das Strafgesetz des Landes, welches aus dem Jahr 1976 stammt, regelt Verbrechen wie Körperverletzung, Zwangsehen und Mord. Nichtsdestotrotz werden keine expliziten Referenzen in Bezug auf Gewalt innerhalb der Familie oder Kinderheirat gemacht. Zwar legt das afghanische Zivilgesetz das Mindestalter für Heirat mit 15 Jahren fest, jedoch sind im Strafgesetz keine Strafen für Zuwiderhandlung vorgesehen. Das Strafgesetz fasst außerdem Vergewaltigung mit einvernehmlichem Ehebruch zusammen, welches beide strafbare Handlungen sind. Deshalb würde ein separates Gesetz, im Speziellen über Gewalt gegen Frauen, ein starkes Signal bezüglich Straffreiheit für Misshandlungen gegen Frauen sein und würde die afghanische Regierung zwingen diese Angelegenheit ernster zu nehmen.4 Das EVAW-Gesetz repräsentiert daher einen großen Erfolg, zumal viele von ihm kriminalisierte Handlungen von einem Großteil der afghanischen Gesellschaft, einschließlich der Gesetzesvollzugsorgane, nicht als Verbrechen angesehen werden.5

Der politische Wille das Gesetz umzusetzen und demzufolge seine tatsächliche Anwendung ist jedoch begrenzt. Genauso wie seine allgemeine Bekanntheit, obwohl sich die unabhängige afghanische Menschenrechtskommission (Afghanistan Independent Human Rights Commission - AIHRC), einzelne Gesetzesvollzugsorgane und die Zivilgesellschaft bemühen, diese zu steigern. Teile der Öffentlichkeit und religiöser Kreise erachten das Gesetz nämlich als unislamisch. Somit ist seine erfolgreiche und korrekte Umsetzung auch weiterhin mangelhaft.6 Laut Angaben von Human Rights Watch, ist die Umsetzung des Gesetzes durch die afghanische Regierung mangelhaft.7 Eine Erklärung von Frauenrechtsaktivistinnen dafür ist das Fehlen sozialer Legitimität.8 EVAW wurde nie vom afghanischen Parlament abgesegnet, sondern durch ein Präsidialdekret bewilligt. Laut Artikel 79 der Verfassung von 2004 ist das statthaft (ein Präsidialdekret ist rechtmäßig, außer es wird vom Parlament ausdrücklich abgelehnt).9 Auch viele andere Gesetze wurden bereits auf diesem Wege erlassen und sind weiterhin in Kraft.10

Aus der Hoffnung einiger AktivistInnen heraus, dem Gesetz breitere Anerkennung zu verleihen und seine Umsetzung zu erleichtern, wurden bereits im Herbst 2009 Versuche unternommen, eine entsprechende parlamentarische Akzeptanz zu erreichen.11 Aufgrund der kontroversen Reaktionen, speziell einflussreicher religiöser Führer,12 war die afghanische Frauenrechtsgemeinschaft danach jahrelang darüber uneinig, ob EVAW überhaupt dem Parlament zur Ratifizierung vorgelegt werden sollte. Die Mehrheit der AktivistInnen scheint mit dem Präsidialdekret nicht unzufrieden zu sein, da sie sich keine großen Chancen ausrechnen, das Gesetz in einer akzeptablen Form durch den parlamentarischen Ratifizierungsprozess zu bekommen.13

Beim letzten Versuch, im Mai 2013, beeinspruchten reaktionäre Elemente im Parlament auch tatsächlich mindestens acht Artikel dieses Gesetzes.14 Nach einer Reihe hetzerischer Kommentare konservativer Parlamentarier wurde die Diskussion schnell abgebrochen.15 Speziell das Verbot von Zwangs- und Kinderheirat, sowie der uneingeschränkte Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und Frauenhäusern, wurden von mehreren Mitgliedern des Parlaments als unislamisch betrachtet und eine Streichung dieser Bestimmungen beantragt.16 Nichtsdestotrotz wurde ein nationaler Aktionsplan für EVAW entworfen, der spezielle Schritte für die Umsetzung des Gesetzes, durch Bewusstseinsbildung, Präventions- und Schutzmaßnahmen vorsieht, darunter das Beobachten und Berichten von Gewalt gegen Frauen.17

Gewalt gegen Frauen in Afghanistan existiert in verschiedenen Formen.18 Das Thema selbst wird in der traditionellen afghanischen Gesellschaft als Tabu erachtet, trotzdem kommt es häufig vor.19 Die einzigen existierenden statistischen Schätzungen zur Häufigkeit von Gewalt gegen Frauen, leiten sich von einer landesweiten Befragung im Jahre 2008 ab, bei der 4.700 Frauen in 16 afghanischen Provinzen daran teilnahmen.20

In den ersten sechs Monaten des Jahres 2013 registrierte und sammelte die unabhängige afghanische Menschenrechtskommission (AIHRC) Berichte zu physischer, sexueller, wirtschaftlicher, verbaler und psychologischer, sowie anderen Formen von Gewalt, die in Verbindung mit schädlichen traditionellen Praktiken und Gebräuchen stehen.21 In diesem Zeitraum wurden demnach 1.249 Fälle physischer Gewalt gegen Frauen registriert, im Jahr 2012 waren es noch 889 Fälle; dies ist ein Anstieg um 30,1%. Laut AIHRC könnte die Erhöhung auch auf eine Steigerung des öffentlichen Bewusstseins zurückzuführen sein. Nichtsdestotrotz geht AIHRC davon aus, dass die Dunkelziffer höher ist.22

(...)

Ferner suchen die meisten Frauen keinen rechtlichen Beistand, weil sie sich ihrer Rechte nicht bewusst sind und überdies Angst haben, selbst strafverfolgt zu werden oder zu ihren Familien bzw. dem Täter zurückgebracht zu werden.23

Vergewaltigung, Ehrenverbrechen und Zwangsverheiratung

Ehrenmorde werden an Frauen von einem - typischerweise männlichen - Familien- oder Stammesmitglied verübt.24 Die Motive reichen von bloßen Gerüchten in Zusammenhang mit dem anderen Geschlecht, bis hin zu einer sexuellen Beziehung oder dem Weglaufen von zu Hause.25

In Afghanistan ist es eine verbreitete Annahme, dass Frauen den Ruf der Familie tragen. Die Männer spüren diesen sozialen Druck und nehmen sich daher das Recht Frauen zu kontrollieren, damit diese keine Schande über die Familie bringen. Frauen und Mädchen versuchen um jeden Preis Handlungen zu vermeiden, die Schande über Männer oder die Familie bringen könnten. Manche afghanische Stämme im Süden gehen sogar davon aus, dass Schande, die über eine Familie gebracht wurde, Schande über den gesamten Clan bringt.26

Die AIHRC gab im November 2013 bekannt, in den vorangegangen zwei Jahren 240 Ehrenmorde registr

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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