TE Bvwg Erkenntnis 2019/2/28 W119 2193114-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.02.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

28.02.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W119 2193114-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a EIGELSBERGER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, vertreten durch Rechtsanwalt Daigneault, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.03.2018, Zl. 1092971207/151661903 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.11.2018 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005, der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte gemeinsam mit seiner Ehefrau (GZ W119 2193113) am 30.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 31.10.2015 erfolgte die Erstbefragung des Beschwerdeführers nach dem AsylG. Dabei gab er im Wesentlichen an, in Afghanistan Mitglied der Hezb-e Wahdat gewesen zu sein und aus Angst vor seinen Feinden die Heimat vor 17 Jahren in Richtung Iran verlassen zu haben.

Anlässlich seiner beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) durchgeführten Befragung am 23.11.2017 brachte der Beschwerdeführer vor, als Hazara wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit und als Schiit wegen seiner Religion Probleme gehabt zu haben.

Er stamme aus dem Distrikt XXXX in der Provinz XXXX, wo er bis zu seinem 31. Lebensjahr gewohnt habe. Anschließend sei er in den Iran gezogen. Sein Vater sei eines natürlichen Todes gestorben, Mutter und Geschwister im Iran aufhältig, zwei volljährige Söhne befänden sich in Österreich, seien jedoch nicht mit ihm gemeinsam eingereist, ein weiterer Sohn lebe in Deutschland.

In der Heimat habe der Beschwerdeführer an verschiedenen Orten gegen die Russen gekämpft. Nachdem diese das Land verlassen hätten, hätten die Sunniten versucht, den Hazara die Grundstücke wegzunehmen, wogegen sie sich verteidigt hätten. Die Stammesältesten hätten sie immer aufgefordert, gegen die Taliban zu kämpfen. Die Sunniten, die früher "unsere" Feinde gewesen wären, hätten mit den Taliban zusammengearbeitet und immer die Hazara aus der Welt schaffen wollen. Konkret hätten die Taliban den Wohnort des Beschwerdeführers attackiert und seinen Bruder getötet der Beschwerdeführer sei mit ein paar anderen Personen in die Berge geflüchtet. Während dieser Zeit hätten einige Taliban seine Familie aufgesucht und Frau und Kinder geschlagen, seine Frau sei an der Hüfte verletzt worden. Man habe ihr gedroht, die Familie zu töten, wenn sich der Beschwerdeführer nicht bei den Taliban melde. Von diesen Problemen betroffen gewesen seien alle Hazara im Dorf, aber weil der Beschwerdeführer gegen die Taliban gekämpft habe, hätten diese ihn "sehr" gewollt.

Ein paar Tage später sei der Beschwerdeführer zum Stammesältesten gegangen, der ihm von einer Sitzung der Taliban berichtet habe, wo diese ihm erklärt hätten, dass diejenigen, die nicht ihre Gesetze respektieren würden, getötet würden. Wer geflüchtet sei, solle zurückkehren, ansonsten würde dessen Familie umgebracht. Die Taliban hätten von den Stammesältesten Zusammenarbeit verlangt. Der Beschwerdeführer sei noch in derselben Nacht mit seiner Familie in den Iran geflüchtet und niemals zurückgekehrt. Weitere Fluchtgründe gebe es nicht. Diese Taliban würden die Familie deshalb kennen, weil sie quasi ihre Nachbarn gewesen wären. Sie wären überall, der Beschwerdeführer würde nicht versteckt leben können. Im Iran habe er ein ganz normales Leben gehabt.

Vorgelegt wurde eine seitens der afghanischen Botschaft in Teheran abgestempelte Bestätigung über die Parteimitgliedschaft des Beschwerdeführers bei der Hezb-e Wahdat.

Mit dem gegenständlichen, im Spruch angeführten, Bescheid des Bundesamtes wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie gemäß § 8 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG wurde ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG i.V.m. § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde festgelegt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen betrage (Spruchpunkt VI.).

Dagegen wurde Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben.

Am 28.11.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an der sich sowohl der Beschwerdeführer als auch seine Ehefrau beteiligten. Ein Vertreter des Bundesamtes war nicht anwesend.

Dabei legte der Beschwerdeführer neben diversen Integrationsunterlagen Bestätigungen über eine Psychotherapie sowie einen Parteiausweis mit Übersetzung vor und erklärte, der Volksgruppe der Sayed Schiiten anzugehören. Wenn er nach Afghanistan zurückkehre, bestehe keine Hoffnung, zu überleben. Er habe dort Feinde.

Ein Mann namens XXXX, ein Anführer der Taliban, habe einmal ihr Haus angegriffen, um den Beschwerdeführer zu töten. Dieser habe sich ein paar Tage in den Bergen versteckt und bei der Rückkehr erfahren, dass sein Bruder getötet und seine Familie misshandelt und schikaniert worden sei. Sie würden mit diesen Leuten einen Bazar teilen, weshalb es regelmäßig zu Auseinandersetzungen komme, bei der sehr viele Leute aus ihrer Gegend getötet worden seien. Seit der Revolution gebe es in ihrer Gegend keine staatlichen Anführer. Ihre Gegend grenze an ein von Paschtunen bewohntes Gebiet und bereits während der Sowjetbesatzung sei es zu Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten gekommen. Später hätten sich diese Leute den Taliban angeschlossen und die Hazara weiterverfolgt und diskriminiert. Sie hätten Hazara enthauptet, ihre Frauen vergewaltigt und als Dienerinnen mitgenommen. Die Hazara seien daraufhin von den Ältesten aufgefordert worden, ihr Gebiet zu verteidigen. Hätten sie sich geweigert, hätten sie Probleme mit den eigenen Leuten bekommen. Auch der Beschwerdeführer habe gegen diese Leute gekämpft, der Hezb-e Wahdat angehört und persönlich die Waffe von einem seiner Kommandanten erhalten. Sie selbst hätten niemanden attackiert, aber ihr Wohngebiet verteidigt, wenn sie angegriffen worden seien. Der Beschwerdeführer sei nur ein einfacher Soldat gewesen, militärischen Rang habe er keinen gehabt. Er habe in XXXX, aber auch einmal gegen die Sowjetunion in XXXX in XXXX gekämpft. Auch gegen die Russen hätten sie ihr Gebiet verteidigt, deren Soldaten seien aber stärker und besser ausgestattet gewesen seien. Der Beschwerdeführer habe niemals direkt auf Personen geschossen, sondern nur im Falle eines Angriffs zurück gefeuert. Im Kampf gegen die Taliban sei er ein Verteidiger gewesen, er und seine Leute hätten nicht vorgehabt, Gebiete unter ihre Kontrolle zu bringen und Kämpfe zu beginnen.

Der Grund für die Feindschaft sei, dass die Taliban die Ansicht vertreten würden, dass jemand getötet werden könne, sobald der gegen sie kämpfe. Wenn man in Afghanistan in eine Feindschaft involviert sei, ende diese niemals.

Am 13.12.2018 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Stellungnahme des Beschwerdeführers ein, in der im Wesentlichen auf die derzeitige desaströse Sicherheitslage in Afghanistan hingewiesen wurde. Die Zeit, die seit der vorgebrachten Feindschaft mit den Taliban vergangen sei, spiele insofern keine Rolle, als es fundierte Berichte darüber gebe, dass Rückkehrer auch noch nach vielen Jahren der Abwesenheit getötet würden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Hazara (Sayed) an und ist schiitischen Glaubens.

Er stammt ursprünglich aus dem Distrikt XXXX in der Provinz XXXX und lebte von 1998 bis 2015 im Iran.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr aktuell wegen seiner Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit persönlich bedroht wäre. Auch kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr wegen seiner früheren Mitgliedschaft bei der Hezb-e Wahdat bzw. wegen einer Teilnahme an der Verteidigung seines Gebietes aktuell von den Taliban bedroht würde.

Beim Beschwerdeführer handelt es sich um den Ehemann der XXXX, der mit Erkenntnis vom heutigen Tag, GZ W119 2193113-1, gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt wurde und der damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Der Beschwerdeführer gehört als ihr Ehemann der Familie an und liegt im gegenständlichen Fall ein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG vor.

Feststellungen zur Situation in Afghanistan:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom Juni 2018 (bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler, letzte Aktualisierung vom 19. 10. 2018):

Taliban

Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte.

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen (Reuters 14.3.2018), die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben (Reuters 14.3.2018; vgl. UNGASC 27.2.2018). Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen (Khaama Press 26.3.2018; vgl. FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018). Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (DW 27.3.2018; vgl. VoA 19.3.2018 SCR 3.2018, FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018).

Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte) (UNAMA 2.2018).

Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.

Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen und Maßnahmen der afghanischen Regierung in der Provinz Kabul

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt (Tolonews 31.1.2018; vgl. AT 18.3.2018, RS 28.2.2018; vgl. MF 18.3.2018). Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden (MF 18.3.2018). Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind (Tolonews 7.2.2018). Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017). Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen (Tolonews 7.2.2018). Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt (Tolonews 1.3.2018). Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden (RFE/RL 7.2.2018). Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (Reuters 14.3.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in der Provinz Kabul

Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 17.3.2018, Dawn 31.1.2018), auch dem Haqqani- Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben (RFE/RL 30.1.2018; vgl. NYT 9.3.2018, VoA 1.6.2017). So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden (AAN 5.2.2018).

Zum Beispiel wurden zwischen 27.12.2017 und 29.1.2018 acht Angriffe in drei Städten ausgeführt, zu denen neben Jalalabad und Kandahar auch Kabul zählte - fünf dieser Angriffe fanden dort statt. Nichtsdestotrotz deuten die verstärkten Angriffe - noch - auf keine größere Veränderung hinsichtlich des "Modus Operandi" der Taliban an (AAN 5.2.2018).

Sicherheitslage in der Provinz Uruzgan:

Die Provinz ist auch unter den Namen Rozgan oder Uruzganis bekannt und liegt in Zentralafghanistan. Sie grenzt nördlich an die Provinz Daikundi, südlich an Zabul und Kandahar, südwestlich an Helmand und östlich an Ghazni. Die Provinz-Hauptstadt ist Tarinkot (Pajhwok o. D.a). Sie besteht aus folgenden Distrikten:

Shahid-e-Hassas/Charchino, Dehrawud, Tarinkot/Tirinkot, Chora/Chinarto, Khasuruzgan und Gizab (UN OCHA 4.2014; vgl. Pajhwok o. D.a). Der Distrikt Gizab, früher Teil von Daikundi, fällt nun unter die Verwaltung von Uruzgan (UNODC 11.2017; vgl. Tolonews 11.4.2017). Eine Abzweigung der Ring Road, die sogenannte KandaharUruzgan-Autobahn, führt durch die Provinz, (Tolonews 11.2.2017; TD 5.12.2017). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf

362.253 geschätzt (CSO 4.2017). Uruzgan ist mehrheitlich von Paschtunen und ihren Teilstämmen Popalzi, Achakzai, Noorzai, Barakzai, Alkozai, Durrani bewohnt. Weitere in der Provinz lebende Ethnien sind Hazara und Kuchi (Pajhwok o.D.b).

Uruzgan war 2017 die Provinz mit der viert-höchsten Opium-Produktion Afghanistans (UNODC 11.2017). Die Regierung plant das Anlegen von Pistazien-Feldern in Kandahar, Uruzgan und Helmand, um den lokalen Bauern eine Alternative zur Opium-Produktion zu bieten. Die Provinz Uruzgan soll 140 Felder bekommen (Khaama Press 4.3.2018).

Allgemeine Informationen zur Sicherheitslage

Der Provinz Uruzgan - lange Zeit eine der umstrittensten Provinzen im Süden des Landes - wird nachgesagt, der Geburtsort des Talibangründers Mullah Omar zu sein. Im Jahr 2001 war sie Ort einer Guerillaoperation - geführt vom ehemaligen Präsident Karzai - um die Taliban zu vertreiben. Die Provinz hat somit für beide Seiten des Konfliktes symbolischen Wert (TG 19.9.2016). Sowohl im Dezember 2017, als auch im Jänner und März 2018 zählte Uruzgan Berichten zufolge zu den volatilen Provinzen im Süden Afghanistans. Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen sind in einer Anzahl von Distrikten aktiv (Khaama Press 5.3.2018; vgl. Khaama Press 7.1.2018, Khaama Press 27.12.2017). Auch zählt Uruzgan zu jenen Provinzen, in denen eine hohe Anzahl an Zivilisten aufgrund explosiver Kampfmittelrückstände und indirekter Waffeneinwirkung ums Leben kam (UNAMA 2.2018). Im gesamten Jahr 2017 wurden in Uruzgan 575 zivile Opfer (87 getötete Zivilisten und 488 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und Luftangriffen. Dies bedeutet einen Rückgang von 26% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018). Uruzgan gehört zu den Provinzen mit der höchsten Anzahl registrierter Anschläge im Jahr 2017 (Pajhwok 14.1.2018).

Militärische Operationen in Uruzgan Die afghanischen Sicherheitskräfte sowie die afghanische Armee führen hartnäckig AntiTerrorismus Operationen in der Provinz durch, um die Aktivitäten von Aufständischen und Terroristen zu verringern (Khaama Press 5.3.2018; vgl. Khaama Press 12.3.2018, YS 6.3.2018). Insbesondere in den unruhigen Distrikten der Provinz werden regierungsfeindliche bewaffnete Kräfte bekämpft (Republic 12.3.2018). In den Distriken Chora, Charchino, Gizab und der Hauptstadt Tirinkot werden AntiterrorOperationen durchgeführt, um Aufständische zu bekämpfen (Pajhwok 17.2.2018; vgl. Pajhwok 28.11.2017, Tolonews 11.4.2017, Khaama Press 9.2.2017, Borneo Bulletin 28.1.2017, Tolonews 23.1.2017, Khaama Press 1.1.2017); dabei werden Aufständische getötet - manchmal auch hochrangige Anführer (Khaama Press 16.2.2018; vgl. Pajhwok 28.11.2017, vgl. Pajhwok

26.1.2017, Khaama Press 5.3.2018). Luftangriffe werden durchgeführt (Khaama Press 12.3.2018; vgl. Tolonews 5.3.2018, Tolonews 11.2.2018, Tolonews 14.2.2017, Khaama Press 9.2.2017, Borneo Bulletin 28.1.2017, Khaama Press 1.1.2017). Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt (Pajhwok 17.2.2018; vgl. Pajhwok 7.2.2018, Khaama Press 28.1.2017, Tolonews 25.1.2017).

Um die nationalen Sicherheitskräfte in ihrem Kampf gegen die Taliban zu unterstützen, greifen Hunderte von Bewohnern der Distrikte Tirinkot, Khasuruzgan, Charchino und Dehrawud Ende Jänner 2018 zu Waffen. Die Maßnahme wurde von der Provinzregierung begrüßt (Salaam Times 23.1.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Uruzgan Uruzgan gehört zu den Provinzen des Landes, in denen die Opium-Produktion und dadurch die Präsenz der Taliban im Laufe des Jahres 2017 gestiegen ist (Eurasia Review 9.3.2018). Einige Distrikte der Provinz sind umkämpft (SIGAR 30.1.2018). Berichten zufolge sind in den Distrikten Chora, Charchino, Gizab und Tirinkot die Taliban aktiv (Pajhwok 17.2.2018; Pajhwok 7.2.2018; Pajhwok 28.11.2017). So wurde beispielsweise das Hauptkrankenhaus der Provinz im September aufgrund von Drohungen der Taliban gegenüber Ärzten vorübergehend geschlossen. Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden im Süden und im Nordosten der Provinz Uruzgan Zusammenstöße zwischen dem IS und den Streitkräften gemeldet, während zwischen dem 16.7.2017 und dem 31.1.2018 keine Vorfälle registriert wurden (ACLED 23.2.2018).

Ethnische Gruppen:

Hazara:

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus (CIA Factbook 18.1.2018; CRS 12.1.2015). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind einerseits ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden (BFA Staatendokumentation 7.2016); andererseits gehören ethnische Hazara hauptsäch dem schiitischen Islam an(mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. AJ 27.6.2016, UNAMA 15.2.2018). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten (BFA Staatendokumentation 7.2016).

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (BFA Staatendokumentation 7.2016).

Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (BFA Staatendokumentation 7.2016). Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der Taliban- Herrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert (AA 5.2018; vgl. IaRBoC 20.4.2016); vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet (CRS 12.1.2015; vgl. GD 2.10.2017). Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht (BFA Staatendokumentation 7.2016). Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert (GD 2.10.2017).

So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist - außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. Einer Quelle zufolge existiert in der afghanischen Gesellschaft die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben. Einer weiteren Quelle zufolge, beschweren sich Mitglieder der Hazara-Ethnie über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind. Die Ausnahme begründen Positionen bei NGOs und internationalen Organisationen, wo das Anwerben von neuen Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara - nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft (IaRBoC 20.4.2016). So berichtet eine weitere Quelle, dass Arbeitsplatzanwerbung hauptsächlich über persönliche Netzwerke erfolgt (IaRBoC 20.4.2016; vgl. BFA/EASO 1.2018); Hazara haben aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke (IaRBoC 20.4.2016).

Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018); soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen (USDOS 20.4.2018).

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (Brookings 25.5.2017).

Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara - nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft (IaRBoC 20.4.2016). So berichtet eine weitere Quelle, dass Arbeitsplatzanwerbung hauptsächlich über persönliche Netzwerke erfolgt (IaRBoC 20.4.2016; vgl. BFA/EASO 1.2018); Hazara haben aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke (IaRBoC 20.4.2016).

Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018); soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen (USDOS 20.4.2018).

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (Brookings 25.5.2017).

Auszug aus der Anfragebeantwortung von ACCORD vom 27.06.2016 zur Situation der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan: "Chris Johnson, die in den Jahren 1996 bis 2004 unter anderem als Mitarbeiterin in der im Bereich Entwicklungszusammenarbeit tätigen NGO Oxfam und der Forschungseinrichtung Afghanistan Research and Evaluation Unit (AREU) in Afghanistan tätig war, schreibt in einer aus dem Jahr 2000 stammenden Studie zu Hazarajat, dass dieses Gebiet die Provinz Bamiyan sowie Teile von benachbarten Provinzen umfasse. Die exakten Grenzen des Hazarajat seien umstritten, doch würden diese für den Zweck der Studie mit jenen des Gebietes alten Schura gleichgesetzt, das die folgenden Distrikte umfasse: Schebar, Bamiyan, Panjao, Waras, Yakawlang (Provinz Bamiyan); Balchab (Jowzjan); Dar-e-Souf (Samanghan); Lal o Sari Jangal (Ghor); Dai Kundi, Sharistan (Uruzgan); Malistan, Jaghori, Nawor (Ghazni); Behsud I und Behsud II (Wardak). Obwohl es auch möglich sei, historisch von einem noch größeren Gebiet Hazarajat zu sprechen, würden alle genannten Distrikte im Allgemeinen als Teil des Hazarajat anerkannt, und diese Definition des Gebietes entspreche auch den Realitäten der Arbeit der Hilfsorganisationen. Das Hazarajat stelle das am stärksten mono-ethnische Gebiet Afghanistans dar. Die Bevölkerung des Gebiets setze sich überwiegend aus Imami-Schiiten zusammen, obwohl es dort auch einige Ismaili-Schiiten sowie auch sunnitische Hazara gebe. Das am stärksten ethnische gemischte Gebiet innerhalb des Hazarajat sei die Provinz Bamiyan, deren Bevölkerung sich zu 67% aus Hazara, 15% aus Tadschiken, 14% aus Sayyed und zu knapp 2% aus Paschtunen sowie 2% aus Quizilabasch zusammensetze. Insgesamt habe es in den zwei Jahrzehnten vor Veröffentlichung der Studie eine Zunahme an ethnischen Spannungen gegeben, die sich nicht von der politischen Entwicklung loslösen lasse. Doch auch innerhalb der ethnischen Gruppe der Hazara gebe es Gegensätze und ein System von Untergruppen, das derart komplex sei, dass sich das Ausmaß, in dem sich die Mitglieder dieser Gruppen als eigene Gruppe angesehen hätten, je nach Zeit in Abhängigkeit von den in dem Gebiet aktiven politischen Bewegungen unterschiedlich gewesen sei. Die Gruppenzugehörigkeit gehe sowohl aus Mustern traditioneller Führung in Bezug auf Land, Familie und Religion ab und diese Führungsmuster könnten sich überschneiden. Am ambivalentesten sei der Status der Sayyed, welche die traditionelle religiöse Führung der Hazara bilden und rund vier bis fünf Prozent der Bevölkerung des Hazarajat ausmachen würden. Sie würden ihre Abstammung auf den Propheten Mohammed zurückführen und seien ursprünglich Araber gewesen. Während Ehen zwischen Hazara-Männern und Sayyed-Frauen selten seien, komme es häufig zu Eheschließungen zwischen Sayyed-Männern und Hazara-Frauen. Manchmal würden sich Sayyed selbst als Hazara bezeichnen und auch von anderen als solche bezeichnet. In anderen Fällen würden sich die Sayyed als eigene Gruppe bezeichnen. In einem Update zur Sicherheitslage in Afghanistan vom September 2015 thematisiert die regierungsunabhängige Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) die Situation von Hazara wie folgt:

‚Diskriminierung gegenüber ethnischen und religiösen Minderheiten sind verbreitet und es

kommt immer wieder zu Spannungen zwischen verschiedenen Ethnien, welche zu Todesopfern führen. Die Diskriminierung Angehöriger der Hazara äussert sich in Zwangsrekrutierungen, Zwangsarbeit, Festnahmen, physischem Missbrauch oder illegaler Besteuerung. Hazara wurden überdurchschnittlich oft zu Opfern gezielter Ermordungen.'

(SFH, 13.09.2015). Der im April 2016 veröffentlichte Länderbericht des US-Außenministeriums (US Department of State, USDOS) zur Menschenrechtslage (Berichtsjahr 2015) hält fest, dass im November 2015 unbekannte Bewaffnete mindestens 14 Hazara-Männer aus Bussen in der Provinz Zabul entführt hätten. Über deren Verbleib hätten bis Dezember 2015 keine Informationen vorgelegen. Im Februar 2015 hätten Aufständische 31 Hazara-Männer aus einem Bus in der Provinz Zabul entführt und im Mai 2015 19 Geiseln und im November 2015 acht weitere freigelassen. Mit Stand November 2015 seien die übrigen vier Geiseln weiterhin vermisst gewesen. Im März 2015 sei es im ganzen Land zu Protesten gekommen, bei denen Demonstrierende die Regierung aufgefordert hätten, die 31 im Februar entführten Hazara freizubekommen. Im November 2015 seien in Städten

im ganzen Land Proteste ausgebrochen, nachdem Aufständische mit mutmaßlichen Verbindungen zum Islamischen Staat (IS) sieben Hazara in der Provinz Zabul enthauptet hätten, darunter zwei Frauen und ein neunjähriges Mädchen. Die Demonstrationen seien ein Ausdruck öffentlichen Unmuts gegen die Unfähigkeit der Regierung gewesen, mit der Bedrohung durch Aufständische fertig zu werden und hätten ein Licht auf die Ängste der Hazara vor weiteren Anschlägen geworfen. Weiters berichtet das USDOS von fortwährender, sozial, rassisch oder religiös motivierter gesellschaftlicher Diskriminierung von Hazara in Form von Gelderpressungen durch illegale Besteuerung, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Gewalt und Haft. Laut NGOs seien Hazara-Mitglieder der Afghanischen Nationalen Sicherheitskräfte (ANSF) einem stärkeren Risiko ausgesetzt, in unsicheren Gebieten eingesetzt zu werden, als Nicht-Hazara-Beamte. Aus mehreren Provinzen, darunter Ghazni, Zabul und Baghlan, seien eine Reihe von Entführungen von Hazara berichtet worden. Die Entführer hätten Berichten zufolge ihre Opfer erschossen, enthauptet, Lösegeld für sie verlangt oder sie freigelassen. Wie das USDOS weiter bemerkt, seien ethnische Hazara, Sikhs und Hindus zusätzlich zur allgemeinen gesellschaftlichen Diskriminierung weiterhin von Diskriminierung bei der Jobeinstellung und bei der Zuteilung von Arbeiten betroffen. Die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UN Assistance Mission in Afghanistan, UNAMA) bemerkt in ihrem im Februar 2016 erschienenen Jahresbericht zum Jahr 2015, dass sie während des Jahres 2015 einen starken Anstieg bei Entführungen und Tötungen von Hazara-ZivilistInnen durch regierungsfeindliche Kräfte verzeichnet habe. So hätten regierungsfeindliche Kräfte zwischen 1. Jänner und 31. Dezember 2015 mindestens 146 Mitglieder der Hazara-Gemeinde bei insgesamt 20 verschiedenen Vorfällen getötet. Mit Ausnahme eines einzigen Vorfalls hätten sich alle in ethnische gemischten Gebieten ereignet, die sowohl von Hazara als auch von Nicht-Hazara-Gemeinden besiedelt seien, und zwar in den Provinzen Ghazni, Balch, Sari Pul, Faryab, Uruzgan, Baghlan, Wardak, Jowzjan und Ghor. UNAMA habe die Freilassung von 118 der 146 entführten Hazara bestätigen können. 13 entführte Hazara seien von regierungsfeindlichen Kräften getötet worden, während zwei weitere während der Geiselhaft verstorben seien. UNAMA habe den Verbleib der übrigen Geiseln nicht eruieren können. Die Motive für die Entführungen seien unter anderem Lösegelderpressung, Gefangenenaustausche, Verdacht der Spionage für die Afghanischen Nationalen Sicherheitskräfte (ANSF) und Nichtbezahlung illegaler Steuern gewesen. In manchen Fällen seien die zugrundeliegenden Motive unbekannt gewesen. UNAMA führt folgende Beispiele für Entführungen und anschließende Tötungen von Hazara an:

Am 23.02.2015 seien im Bezirk Shajoy der Provinz Zabul 30 Hazara-Insassen zweier öffentlicher Busse, die von Herat nach Kabul unterwegs gewesen seien, entführt worden. Drei der Entführungsopfer seien während ihrer Gefangenschaft getötet worden, während zwei offenbar aufgrund von natürlichen Ursachen verstorben seien. Zwischen Mai und August 2015 seien die übrigen Geiseln freigelassen worden, nachdem es Berichten zufolge zu einem Austausch mit einer Gruppe von Häftlingen gekommen sei. Am 13.10.2015 hätten regierungsfeindliche Kräfte sieben Hazara-ZivilistInnen, darunter zwei Frauen, zwei Jungen und ein Mädchen, die sich auf der Autobahn zwischen Kabul und Kandahar auf dem Weg in den Distrikt Jaghuri (Provinz Ghazni) befunden hätten, entführt. Stammesälteste hätten sich vergeblich um deren Freilassung bemüht. Die Hazara seien im Distrikt Arghandab der Provinz Zabul festgehalten worden, bis Kämpfe zwischen revalisierenden regierungsfeindlichen Gruppen, darunter auch der Gruppe, zu denen die Entführer gehört hätten, ausgebrochen seien. Im Zeitraum von 6. bis 8. November hätten die regierungsfeindlichen Kräfte allen sieben Hazara-ZivilistInnen, darunter auch den Kindern, die Kehlen durchgeschnitten. Dieser Vorfall habe Demonstrationen in der Stadt Kabul ausgelöst, bei denen mehr Schutz für die Hazara-Gemeinde gefordert worden sei."

Gutachterlichen Stellungnahme des Ländersachverständigen Dr. RASULY vom17.02.2016 zur Lage der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan im Verfahren betreffend einen anderen Asylwerber vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Zl. W119 2102332-1:

"Kurzer Rückblick betreffend Hazaras bis zum Sturz des Taliban-Regimes im Jahre 2001:

Die Hazaras wurden bis vor dem kommunistischen Putsch im Jahre 1978 wegen ihrer ethnisch-religiösen Herkunft stark diskriminiert. Sie dürften im afghanischen Staat keine höheren staatlichen Positionen erreichen und sie waren in der Gesellschaft wegen ihrer religiösen Richtung als Schiiten und wegen ihrer Ethnie als Hazara oft der Benachteiligungen und Verspottung ausgesetzt. Sie waren als Trägervolk und Dienervolk bekannt und sie gehörten zur ärmsten Bevölkerungsschicht Afghanistans. Ihre ursprüngliche Heimatregionen in Zentralafghanistan: Bamiyan, Teile der Provinz Ghazni, Provinz Daykundi und Teile der Provinz Maidan Wardak gehören Großteils zu den schwer zugänglichen und karge Regionen des Landes. Diese Bedingungen in den Abstammungsregionen der Hazaras haben dazu geführt, dass sie im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts wegen Arbeitssuche, in die Städte wie in Kabul, Kandahar, Herat, Mazar-e Sharif, Kunduz usw. zugewandert und sich dort niedergelassen haben. Im 19. Jahrhundert wurden Hazaras vom damaligen afghanischen Emir, Abdurrahman Khan, im Zuge seiner Zentralisierungspolitik, schwer verfolgt. Tausende Hazaras wurden damals getötet und eine hohe Anzahl von ihnen war gezwungen, ihre Heimatregionen zu verlassen und in anderen Regionen Afghanistans sich niederzulassen oder ins Ausland, allen voran nach Quetta/Pakistan, zu flüchten.

Im 20. Jahrhundert wurden sie zwar nicht mehr verfolgt, aber sie wurden weiterhin diskriminiert und ihre Wohngebiete gehörten weiterhin zu den unterentwickeltsten Regionen des Landes. Mehrheitlich arbeiteten sie in den Städten als Trägern und Diener und so konnten sie ihr Überleben sichern. Viele von Ihnen wurden vor 1965, Beginn der Demokratisierungsphase, auch zur Zwangsarbeit von der Behörde herangezogen. Die Hazaras dürften im Sicherheitsapparat, Verteidigungs- und Innenministerium, sowie im Außenministerium keine Karriere machen.

Erst mit der Demokratisierungsphase im Jahre 1964/5 dürften die Hazaras allmählich im politisch-gesellschaftlichen Prozess teilnehmen und auch in das demokratische Parlament Abgeordneten entsenden und im Kabinett mit einem Minister vom Gnaden des Königs vertreten sein. Die Hazaras dürften zwar in den Städten Schulen besuchen und auch studieren, aber aufgrund ihrer schlechten Wirtschaftslage war die Zahl der Analphabeten unter den Hazaras viel höher als bei anderen Ethnien. In den Städten konnte ein kleiner Teil der Hazaras Schulen und Bildungs- und Ausbildungsstädte besuchen. Sie dürften aber hauptsächlich im Bildungs- und Gesundheitsbereich als Ärzte und Lehrer arbeiten. Ich möchte darauf hinweisen, dass bis zum kommunistischen Putsch im Jahre 1978 nicht mehr als 7 Prozent der Gesamtbevölkerung Afghanistans alphabetisiert bzw. gebildet war.

Die Stellung der Hazaras nach dem Putsch der Kommunisten im Jahre 1978:

Die Stellung der Hazaras im afghanischen Staat und Gesellschaft hat sich nach der Machtergreifung der Kommunist im Jahre 1978 grundlegend geändert. Unter den Kommunisten wurden sie zum ersten Mal in der Geschichte Afghanistans an der politisch-militärischen Macht beteiligt. Sie stellten im kommunistischen Staat das Amt des Ministerpräsidenten und hatten einige Ministerämter Inne. Sie waren im Sicherheitsapparat vertreten und die Entwicklungsplane der Kommunisten für das Land umfassten auch die Hauptsiedlungsgebiete der Hazaras, Hazarajat.

Der Einmarsch der sowjetischen Truppen in Afghanistan im Dezember 1979 und die damit verbundene Entstehung der Mujaheddin-Gruppen war ein weiteres Ereignis, das zur Emanzipation der Hazaras in Afghanistan maßgebend beigetragen hat. Im Jahre 1980 wurden 7 sunnitische Widerstandsgruppen mit der Unterstützung der Saudi-Arabiens, Pakistans und des Westens, allen voran USA, in Pakistan gegründet.

Daraufhin wurden im Iran 8 Hazara bzw. schiitische Mujaheddin-Gruppen mit der Unterstützung der iranischen Machthaber gegründet. Sie wurden vom iranischen Staat bewaffnet und bekamen auch politische Rückendeckung vom Iran, welche sie befähigte, sich auch am Widerstand gegen die sowjetische Armee zu beteiligen, ohne von den Sunniten zurückgedrängt zu werden. Die Beteiligung der Hazaras im kommunistischen Staat und ihre Teilnahme am "Heiligen Krieg" gegen die Sowjets hatten ihnen geholfen, sich zu bewaffnen und allmählich gegen ihre Diskriminierung und Benachteiligungen zur Wehr zu setzen. Im Zuge des "Heiligen Krieges", von 1980 bis 1992, gegen Kommunisten und der sowjetischen Armee und im Zuge des Bürgerkrieges, von 1992 bis 1998, haben die Hazaras ihre Hauptsiedlungsgebiete in Zentralafghanistan, in Nordwest-Afghanistan und in einigen Bezirken von Kabuls, vollständig unter ihre Kontrolle gebracht und die Verwaltung dieser Regionen mit ihrer eigenen Leute besetzt.

Bürgerkrieg in Afghanistan von 1992 bis 1996 bzw. bis 1998 und die Hazaras:

Die Hazaras waren am Bürgerkrieg in Kabul, in Mazar-e Sharif, in Ghazni, Bamiyan, Baghlan, in Uurzgan und in Teilen West-Afghanistan bewaffnet beteiligt. Während des Bürgerkrieges konnte die Hezb-e Wahdat, Partei der Hazaras, ihre Bevölkerung militärisch und politisch soweit mobilisieren, dass Hunderttausende Hazaras sich bewaffnet an der Seite der Hezb-e Wahdat an den Bürgerkriegshandlungen gegen anderen Gruppen, wie Jamiat-e islami, Hezb-e islami und die Taliban beteiligt haben. Als die Taliban im Jahre 1995 in Ghazni, ausgenommen Hazara-Gebiete, im 1996 in Kabul, im Jahre 1998 in Mazar-e Sharif und Hazarajat an die Macht kamen, haben sie die Hazaras schwer unterdrückt und sie haben tausende Hazaras aus den Städten vertrieben und tausende von ihnen getötet. Die Hazaras zogen sich in ihren Hauptsiedlungsgebieten in Hazarajat zurück, als die Taliban im Jahre 1996 Kabul eingenommen haben und sie verteidigten ihre Siedlungsgebiete bis zum Jahre 1998. Die Taliban führten einen brutalen Krieg gegen die Hazaras und sie haben in Mazar-e Sharif im Jahre 1998 mehr als 8000 Hazaras in wenigen Tagen getötet. Im Jahre 1998 haben die Taliban alle Siedlungsgebiete der Hazaras erobert. Die Gruppenkonflikte innerhalb der Hazaras führten dazu, dass einige Hazara-Kommandanten mit den Taliban kooperierten und die Taliban bei der Einnahme ihrer eigenen Siedlungsgebiete unterstützten. Zwischen 1995 bis 2001 flüchteten hunderttausende Hazaras in den Nachbarländern Iran und Pakistan und Tausende junge Hazaras schlossen sich dem Widerstand gegen die Taliban an, der in den Bergen von Hazarajat von Hezb-e Wahdat weitergeführt wurde.

Die Lage der Hazaras seit dem Sturz des Taliban-Regimes Ende 2001:

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes wurde, Ende 2001, in einer Konferenz in Bonn festgelegt, dass alle Ethnien Afghanistans, einschließlich die Hazaras an der staatlichen Macht beteiligen werden müssen. So haben die Hazaras und andere Schiitische Gruppen seit Ende 2001 im afghanischen Staat einen Stellvertretenden Staatspräsidenten, fünf Ministerposten und jeweils einen Stellvertretenden Minister im Staatssicherheits- Verteidigungs- und Innenministerium. Außerdem haben sie mehrere Schlüsselpräsidien in diesen Ministerien. Der Stellvertreter Armee-Chef ist derzeit kommt aus der Reihe der Hazaras namens General Morad Ali Morad. General Morad hat weitgehende Befehlsbefugnisse und er befehligt derzeit die Kriege gegen die Taliban in verschiedenen Provinzen wie Kunduz, Baghlan, Helmand. Die Hazara-Parteien, allen voran die Hezb-e Wahdat, kontrollieren derzeit die Hauptsiedlungsgebiete der Hazaras als Teil der staatlichen Macht.

Diese Gebiete sind: Bamiyan, Daykundi, die Distrikte Jaghuri, Malistan, Nawur, Jaghatu, Teile von Qarabagh usw.) in der Provinz Ghazni, Die Hazara-Wohnbezirke in Mazar-e Sharif und einige Distrikte der Provinzen Samangan, wie Dara-e Suf, Hazara-Siedlungsgebiete in der Provinz Sara-e Pul und in der Provinz Balkh, sowie die von Hazara bewohnten Distrikte und Dörfer in der Provinz Maidan Wardak, vor allem Hessa-i-Awal-i Behsud, Behsud-i Markazi und Daymirdad. Die Hazaras sind in Kabul im politisch-kulturellen Leben und im Bildungs- und Wirtschaftsbereich maßgebend vertreten. Die Hazaras besitzen mehrere Fernsehsendungen und haben dutzende Privatuniversitäten und Institute im Lande. Die Hazaras stellen in den staatlichen Universitäten im Verhältnis zu ihrer Anzahl mehr Studenten als jede andere Ethnie des Landes; weil sie durch ihre leidgeprüfte Geschichte die derzeitige Möglich besser zu ihren Gunsten wahrnehmen. Die Hazaras und andere Schiiten haben in Großstädten wie in Kabul, Mazar-e Sharif und Herat eigene islamische Bildungsstädte für schiitische Islam-Lehre. Die Bildungsstädte werden vom Iran finanziert und mit Lehrkräften unterstützt. Die Hazaras als Schiiten dürfen zum ersten Mal in der Geschichte Afghanistans seit dem Sturz des Taliban-Regimes ungestört und in voller Umfang schiitischen Rituale, wie das wichtigste Feiertag, Ashura, den Gedenktag an den Märtyrertod Imam Husain, mit Prozession auch in den nicht schiitischen Bezirken in Kabul und Mazar-e Sharif und anderen Städten zelebrieren, ohne von den Sunniten gestört und lächerlich gemacht zu werden. Früher haben sie nur ihren Moscheen unter sich gefeiert. Ca. ein Drittel der Parlamentsabgeordneten in Kabul sind Hazaras bzw. Schiiten und sie sind wie die sunnitischen Abgeordneten gleichberechtigt am politischen Prozess beteiligt. Somit sind die Hazaras in der Staatsgewalt bzw. Staatsmacht maßgebend beteiligt. Sie waren bis zum Sturz des Taliban-Regimes im Jahre 2001 nie in diesem Ausmaß in Afghanistan an der staatlichen Macht beteiligt.

Sie sind nicht nur an der Zentralgewalt beteiligt, sondern sie stellen die Gouverneure und die Sicherheitskommandanten ihrer Provinzen, wie in Bamiyan, Daikundi und allen anderen hauptsächlich von den Hazaras bewohnten Distrikten in Ghazni und in Maidan Wardak. Alle bedeutenden Distrikte wie Jaghuri, Malistan, Jaghatu, Nawur, und Teile von Qarabagh in Ghazni werden von den Kommandanten der Hezb-e Wahdat als Behörde verwaltet. Auch in Maidan Wardak werden die Hauptsiedlungsgebiete von Hazaras, wie Hisa-i-Awal-i Behsud, Behsud-e Markazi und Day Mirdad werden von den Kommandanten der Hezb-e Wahdat kontrolliert und verwaltet. Mit der neuen Stellung und ihrer Widerstandsfähigkeit und Möglichkeiten befinden sich die Hazaras in Afghanistan seit Ende 2001 nicht mehr in einer Opferrolle, sondern sie sind im Stande, sich kollektiv mit ihrer Möglichkeiten im Rahmen des Staates, sich zu verteidigen. Allerdings kommt es vor, dass immer wieder Taliban auf den Hauptstraßen zwischen den Provinzen im Süden, Westen und auf dem Wege nach Maidan Wardak und Bamiyan Reisebusse anhalten und bestimmte Reisende mitnehmen. Die meisten dieser Geiseln in auf diesen Strecken sind Hazaras. In den Jahren 2013 bis 15 ist mehrere Male vorgekommen, dass auf dieser Strecke Hazaras aus den Reisebussen hinaus gezerrt und mitgenommen worden sind. Einige von diesen Personen wurden freigelassen und dutzende Personen wurden getötet. Diese Aktion der Taliban gegen die Hazaras richtet nicht nur gegen die Hazaras, sondern sie töten und Entführen auch Paschtunen, Usbeken und Tajiken. Bei jeder solchen Aktion erwecken die Taliban den Anschein, als wäre diese oder jene ihre Aktion nur gegen jeweilige Volksgruppe, deren Mitglieder sie gerade entführt und getötet haben, richten würde. Die Hauptroute von Kabul über Salang-Pass nach Norden, Baghlan - Mazar-e Sharif - Kunduz, wird hauptsächlich von den Paschtunen, Tajiken und Usbeken befahren. Die Strecke zwischen Baghlan und Kunduz ist sehr gefährlich und die Reisenden versuchen, bis 14 Uhr die Strecke Baghlan nach Kunduz zu passieren, weil nachmittags die Taliban die Route immer wieder kurzfristig unter ihre Kontrolle bringen. Sie stoppen die Reisebusse und zerren willkürlich Personen aus den Reisebussen und Taxis und nehmen sie als Geisel mit. Einige dieser Personen werden von den Taliban später getötet. Diese Personen sind Großteils Tajiken und Usbeken. Die Meisten von den Taliban kontrollierten Gebiete in Afghanistan werden von den Usbeken, Paschtunen und Tajiken bewohnt. In diesen Gebieten werden Menschen willkürlich bestraft und Personen, die einmal für die Regierung gearbeitet haben, geraten der Verfolgung und Unterdrückung der Taliban.

Die Provinzen und Distrikte, wo hauptsächlich die Hazaras wohnen, werden von den Hazaras kontrolliert und sie haben bis jetzt ihre Siedlungsgebiete soweit geschützt, dass die Taliban dort nicht eindringen konnten. Aber Distrikte, wie Gisab in Uruzgan und Nirkh in Maidan Wardak, die auch von Paschtunen bewohnt werden, sowie einige Dörfer, die in den mehrheitlich von Paschtunen oder Usbeken bewohnten Gebieten liegen, werden nicht von den Hazara-Parteien kontrolliert. Manche diese Gebiete werden immer wieder von den Taliban kurzfristig kontrolliert.

Die Taliban sind Anhänger der arabischen Fundamentalisten, allen voran Saudis, die gegen Iran und damit gegen die Schiiten eingestellt sind. Aus diesem Standpunkt kommt es immer wieder vor, dass die Taliban ihre Opfer, wenn sie Schiiten sind, zur Schau stellen. Aber sie bringen mehr Paschtunen und Usbeken um, deren Gebiete sie leicht unter ihre Kontrolle bringen können. In diesen Gebieten kommt es häufig vor, dass die Taliban willkürlich Menschen verfolgen, Töten und die Jugendlichen, wenn sie benötigt werden, rekrutieren. Eine Zwangsrekrutierung seitens der Taliban ist dort möglich, wo sie vorherrschen.

Diese Gebiete liegen in den von Paschtunen und Uzbeken bewohnten Provinzen, wie Nangarhar, Kandahar, Kunar, Kunduz, Faryab, Helmand usw. Wenn die Jugendlichen sich nicht dort befinden oder sich der Zwangsrekrutierung der Taliban entziehen und in Großstädten oder ins Ausland flüchten, werden sie von den Taliban nicht weiter gesucht. Allerding können diese Jugendlichen nicht mehr in ihre Heimatregion zurückkehren, wenn die Taliban weiterhin dort vorherrschend sind. Zwangsrekrutierung ist nicht weitverbreitet, weil viele Jugendlichen aus Gründen der Arbeitslosigkeit und ethnischer Solidarität sich den Taliban anschließen. Oder, es gibt Regionen deren Bevölkerung aus Gründen der Paschtunwali, Rechts- und Ehrenkodex der Paschtunen , "Krisenzeiten" für notwendig erachtet, den Taliban freiwillig Soldaten bereit zu stellen. Die meisten Opfer der Taliban sind von 2013 bis Februar 2016 in den Paschtunen bewohnten Provinzen, Kandahar, Nangarhar, Kunar, Helmand, Logar, Wardak und in den Provinzen Kunduz, Faryab, Baghlan und Badakhshan zu verzeichnen, wo hauptsächlich Usbeken, Tajiken und Paschtunen wohnen. Die Taliban haben im Oktober 2015 die Stadt Kunduz eingenommen und haben in wenigen Tagen den Uno-Berichten zur Folge mehr als 800 Menschen getötet. Die getöteten Personen waren Zivilisten aus der Reihe der Tajiken und Usbeken. Derzeit werden die meisten Distrikte von Nangarhar von den Taliban kontrolliert und es wird immer wieder Massaker an der Zivilbevölkerung seitens der Taliban verübt.

Blutrache und Blutfehde

Ehre und Vergeltung bei Ehrverletzungen (badal) spielen eine zentrale Rolle im paschtunischen Ehrenkodex (Paschtunwali)

In den Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016 weist UNHCR mit Bezug auf verschiedene Quellen darauf hin, dass Vergeltung durch Blutrache auf einem traditionellen Verständnis von Verhalten und Ehre beruht. Eine Blutfehde besteht zwischen zwei Familien, wobei Mitglieder der einen Familie solche der anderen zur Vergeltung einer Tat töten. Die Blutrache sei hauptsächlich eine paschtunische Tradition und im paschtunischen Ehrenkodex (Paschtunwali) verankert, werde aber auch von anderen ethnischen Gruppen praktiziert. Auslöser einer Blutfehde könne ein Mord oder eine ungelöste Streitigkeit sein.

Gemäß einem in den UNHCR-Richtlinien zitierten Landinfo-Bericht vom 1. November 2011, der sich auf eine Publikation von Thomas Barfield, Anthropologe mit Schwerpunkt Afghanistan an der Boston University, aus dem Jahr 2003 beruft, ist Vergeltung (badal) bei verletzter Ehre eine zentrale Institution des Paschtunwali. Thomas Ruttig, Kodirektor des Afghanistan Analysts Network in Kabul, gab am 23. Februar 2017 gegenüber dem Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (ACCORD) an, bei badal handle es sich um einen Austausch zwischen zwei Familien infolge einer Ehrverletzung. Das Prinzip des badal entspreche dem gesas/gu/sas-Prinzip der Scharia. Laut einem Bericht der Afghanistan Research and Evaluation Unit (AREU) vom Januar 2016 steht der Begriff badal für Austausch und kann sich beispielsweise auch auf den Austausch von zwei Frauen zwischen zwei Familien beziehen, indem eine Tochter aus jeder Familie mit einem Mann aus der jeweils anderen Familie verheiratet wird.

Das Recht auf Rache und die Erwartung einer Vergeltung ist gemäß dem Landinfo- Bericht zentral für das nichtstaatliche Rechtssystem des Paschtunwali. Die Verantwortung für die Bestrafung von immoralischem Verhalten wie Diebstahl, Vergewaltigung oder Mord liege nicht bei der Gemeinschaft, sondern beim Opfer, und Rache sei eine akzeptable Reaktion. Die Grenzen der Legitimität der Rache würden durch lokale Traditionen, die öffentliche Meinung und den Paschtunwali bestimmt. Wird keine Rache ausgeübt, könne dies als moralische Schwäche ausgelegt werden, die auf ganze Familienverbände bezogen werden könne. Sowohl das Anzeigen eines Mordes bei den staatlichen Behörden als auch Verhandlungen über finanzielle Entschädigung mit der Täterfamilie können als Schwäche und als Zeichen ausgelegt werden, dass die Familie nicht stark genug ist, ihre Ehre zu verteidigen. Der Familienverband des Opfers habe eine kollektive Verantwortung, Vergeltung zu üben und die Ehre wiederherzustellen. Laut Angaben eines Vertreters der Peace Training & Research Organization (PTRO) in Kabul gegenüber der SFH vom 1. Juni 2017 ist die Ausübung von Vergeltung auch ein Signal an andere, dass die betroffene Familie stark ist und sich verteidigen kann. Dies gelte unabhängig von der ethnischen Zugehörigkeit.

Blutrache wird überall in Afghanistan sowie von und zwischen allen Volksgruppen praktiziert

Thomas Ruttig, Kodirektor des Afghanistan Analysts Network in Kabul, gab gegenüber der SFH am 30. Mai 2017 folgendes an: Blutrache sei in Afghanistan kein ausschließlich ländliches Phänomen, sondern überall und auch zwischen allen Ethnien möglich. Die kriegsbedingten großen Wanderungsbewegungen vom Land in die Städte hätten dazu beigetragen, dass Gebräuche wie Blutrache auch in den Städten praktiziert würden.

[...]

Keine festen Regeln wie beispielsweise Mindestalter

Blutrache kann auch nach Jahren oder Jahrzehnten ausgeübt werden. Laut Thomas Barfield (30. Mai 2017) zielt eine Blutrache hauptsächlich auf diejenige Person ab, die einer Tat wie beispielsweise eines Mordes bezichtigt wird, unabhängig von ihrem Alter. Unter bestimmten Bedingungen könne gemäß dem Landinfo-Bericht aber auch die Tötung des Bruders des Täters oder eines anderen Verwandten der väterlichen Linie eine Alternative darstellen. Thomas Ruttig (30. Mai 2017) gab an, es gebe keine klaren Regeln für die Ausübung von Blutrache wie beispielsweise ein Mindestalter, ab dem eine Person Ziel einer Blutrache werden könne. [...]

Staatliche Prozesse und traditionelle Bräuche wie Blutrache laufen unabhängig voneinander ab.

Ein Urteil eines staatlichen Gerichts beendet eine Blutrache nicht. Bei staatlichen Prozessen und traditionellen Bräuchen wie der Blutrache handelt es sich gemäß Angaben von Thomas Ruttig (30. Mai 2017) um ‚zwei völlig verschiedene Welten'. Laut Thomas Barfield (30. Mai 2017) hat Blutrache keinen Zusammenhang mit formalen rechtlichen Abläufen, sondern ist illegal. Ein Freispruch durch ein Gericht kann gemäß Angaben von Thomas Barfield und Noah Coburn eine Blutrache beenden. Für eine Tat inhaftierte Personen bleiben laut Thomas Barfield (30. Mai 2017) daher über die Inhaftierung hinaus Ziel einer Blutrache durch die Tötung einer Person beendet werden, wobei eine solche Tötung andererseits auch einen neuen Racheakt der Gegenseite auslösen könne. Üblicherweise ende eine Blutrache, wenn beide Seiten einer förmlichen Beendigung durch einen Versöhnungsprozess zustimmten, bei dem Blutgeld gezahlt würde. Gemäß UNHCR (19. April 2016) können Akte der Blutrache auch dann ausgeübt werden, wenn ein Täter bereits im Rahmen des staatlichen Rechtssystems bestraft wurde. Laut Landinfo (1. November 2011) schließt eine Entscheidung im Rechtssystem der Regierung das Risiko einer gewaltsamen Vergeltung nicht notwendigerweise aus. Von der Opferfamilie könne immer noch erwartet werden, dass sie den Mörder nach seiner Entlassung tötet, außer die Fehde sei beigelegt worden. Eine lokale Gemeinschaft betrachte eine Tötung aus Rache, die durch die Tradition legitimiert ist, nicht als ein Verbrechen.

[...]

Schutz durch den Staat

Weit verbreitete Straflosigkeit und Korruption bei den Behörden; Bürgerinnen und Bürger misstrauen der Polizei und fürchten sie

Gemäß den UNHCR-Richtlinien vom 19. April 2016 ergeben sich Afghanistans schwache rechtsstaatliche Strukturen unter anderem aus der sehr weit verbreiteten Korruption und einer Kultur der Straflosigkeit. Urheber von Menschenrechtsverletzungen werden kaum bestraft, und Angehörige von staatlichen Institutionen wie der afghanischen nationalen und der afghanischen lokalen Polizei begehen selbst Menschenrechtsverletzungen, ohne dafür verurteilt zu werden. Staatliche Behörden und Institutionen einschließlich Polizei und Justiz sind auf allen Ebenen von Korruption betroffen. Ein Bericht des Congressional Research Service vom 19. Mai 2017 hebt hervor, dass der Zustand der afghanischen nationalen Polizei von unabhängiger Seite negativ beurteilt wird. Die Korruption habe ein solches Ausmaß erreicht, dass Bürgerinnen und Bürger der Polizei misstrauen und sie fürchten. Unter anderem sei diese auch oft in lokale Streitigkeiten verwickelt. [...]

[...]"

Auszug aus der gutachterlichen Stellungnahme der Ländersachverständigen Mag. MALYAR vom 27.07.2009 zu Blutrache in Afghanistan im Verfahren betreffend einen anderen Asylwerber vor dem Asylgerichtshof, zitiert vom Bundesverwaltungsgericht im Erkenntnis vom 21.01.2016, Zl. W174 1436214-1 (bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler):

"Der Rechts- und Ehrenkodex der Paschtunen, der Paschtunwali, zählt zu den sogenannten Stammesgesetzen. Es handelt sich um Normen und Werte zur Anleitung der sozialen Interaktion in der paschtunischen Gesellschaft. Von großer Bedeutung ist das auf die ‚Verteidigung der eigenen Interessen' gerichtete Tura-Konzept. Danach lebt das männliche Individuum in einer ihm feindlich gesonnen Umwelt, die ihm jederzeit seine Lebensressourcen (Frauen, Land etc.) und seine Position innerhalb der Gesellschaft streitig machen will. Diese Umstände fordern ein aggressives und kriegerisches Verhalten vom Paschtunen, mit dem er alles verteidigt, ‚worauf er einen Anspruch zu machen glauben kann'. Manifestiert wird dieses Weltbild insbesondere in der Forderung nach Badal. Badal bedeutet ‚Ausgleich' in der Form von ‚Vergeltung nach dem Prinzip, Aug um Aug, Zahn um Zahn, Leben um Leben'. Bei Verlust eines verteidigungsfähigen Mannes einer Gruppe muss ‚dem Aggressor ebenfalls eine Verminderung seiner Verteidigungsfähigkeit zugefügt werden, um das vorher bestehende Ausgangsstadium und Gleichgewicht der Kräfte wiederherzustellen'. Zwar beinhaltet das Tura-Konzept auch die Forderung nach Nanawate, das als befriedendes Mittel eingesetzt wird. Doch fördert dieses nur nach erfolgtem Badal das Prestige des Paschtunen, und Angebot und Annahme von Nanawate vor der Vergeltung gelten als Zeichen für Feigheit und Verteidigung

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten