TE Bvwg Erkenntnis 2019/3/6 W159 2184677-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.03.2019
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Entscheidungsdatum

06.03.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W159 2184677-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.12.2017, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.02.2019, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gem. § 3 Abs. 5 leg. cit. wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin, eine afghanische Staatsangehörige, Angehörige der Volksgruppe der Hazara, schiitischen moslemischen Glaubens und verheiratet, gelangte mit ihrem Ehemann und einer Tochter sowie zwei Söhnen (spätestens) am 10.07.2015 unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Am nächsten Tag erfolgte die Erstbefragung durch die LPD XXXX, XXXX.

Zu ihren Fluchtgründen führte sie aus, sie hätte Afghanistan aufgrund von Problemen mit den Taliban verlassen müssen. Die Taliban hätten von ihrem Ehemann verlangt, dass er mit ihnen zusammenarbeiten soll. Ihr Sohn sei von den Taliban getötet worden.

In der Niederschrift bei der belangten Behörde gab die Beschwerdeführerin nachgefragt an, sie sei afghanische Staatsangehörige, gehöre der Volksgruppe der Hazara an, sei schiitischen Glaubens und verheiratet. Sie hätte zwei Töchter, welche im Iran leben würden, einen Sohn welcher sich in Finnland aufhalten und auf einer Baustelle arbeiten würde sowie eine Tochter und zwei Söhne, die hier in Österreich im Familienverband leben würden. Sie hätte nie eine Schule besucht, keinen Beruf gelernt, hätte aber bei Frauenkleidern Perlen angebracht. Die Familie sei vor 17 Jahren in den Iran geflüchtet. Die Beschwerdeführerin hätte eine Schwester und einen Bruder. Die Beschwerdeführerin hätte keinen Kontakt mehr zu ihren Geschwistern.

Zu ihren Fluchtgründen befragt gab die Beschwerdeführerin an, dass die Taliban einen Sohn der Beschwerdeführerin getötet und ihren Ehemann zusammengeschlagen hätten. Das Ehepaar sei in den Iran ausgereist, damit ihre Kinder beschützt seien. Im Iran hätten sie sich Sorgen gemacht, dass sie nach Afghanistan abgeschoben würden. Einen ihrer Söhne hätten sie schon vor Jahren nach Finnland geschickt. Nunmehr hätten sie Angst um einen weiteren ihrer Söhne gehabt, weil die iranischen Behörden afghanische Jugendliche in den Krieg nach Syrien schicken würden. Sie hätte auch Angst gehabt, dass der Ehemann nach Afghanistan abgeschoben werde. Ihre Kinder hätten nicht in die Schule gehen können und Mädchen würden zwangsverheiratet werden.

Auf die Frage der belangten Behörde, ob die Beschwerdeführerin in Österreich Deutschkurse besucht und Prüfungen abgelegt hätte, antwortete die Beschwerdeführerin, sie hätte für das XXXX und im Krankenhaus schon gedolmetscht. Sie legte eine Teilnahmebestätigung für einen Deutschkurs A1 Teil 1 und eine Bestätigung über den Einsatz als Dolmetscherin in der Hausverwaltung und beim XXXX, eine Bestätigung von ihrem jüngsten Sohn in der XXXX, ein Jahreszeugnis und Schulbesuchsbestätigung von ihrem jüngsten Sohn und Unterstützungsschreiben vor.

Mit dem im Spruch angeführten Bescheid der belangten Behörde vom 22.12.2017, wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 07.06.2016 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 sowie des Status einer subsidiär Schutzberechtigten gem. § 8 Abs 1 abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführerin gemäß §§ 57 AsylG nicht erteilt. Die Abschiebung der Beschwerdeführerin gemäß § 46 FPG nach Afghanistan sei zulässig. Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

Die belangte Behörde führte aus, dass das Vorbringen zu allgemein gehalten und aus den Massenmedien abgeleitet worden sei. Nach der Rechtsprechung des VwGH ist bei der Beurteilung betreffend die Zuerkennung vom subsidiären Schutz eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Die reale Gefahr müsse sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohend Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein sowie ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK zu fallen. Der VwGH habe auf die Rechtsprechung des EGMR in jüngst ergangenen Erkenntnissen hingewiesen, wonach die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert sei, dass die Ausweisung dorthin automatisch gegen Art. 3 EMRK verstoßen würde (Ra 2015/01/0134). Der EGMR gehe, auf die Afghanistan-Richtlinien des UNHCR gestützt, davon aus, dass die Übersiedlung in einen anderen Teil Afghanistan zumutbar sei, wenn Schutz durch die eigene Großfamilie, Gemeinschaft oder den Stamm am Zielort verfügbar sei. Alleinstehende Männer und Kleinfamilien sei es unter bestimmten Umständen auch möglich, ohne Unterstützung durch die Familie und Gemeinschaft in städtischen oder halbstädtischen Gebieten mit existenter Infrastruktur und unter effektiver staatlicher Kontrolle zu überleben. Aus den herangezogenen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen ergebe sich zunächst, dass die aktuelle Situation in Afghanistan unverändert weder sicher noch stabil sei, doch variiere die Sicherheitslage von Provinz zu Provinz und von Distrikt zu Distrikt. Aus den Feststellungen zur Sicherheitslage in der Provinz und Stadt Kabul (andere Regionen kämen nicht in Betracht), könne nicht abgeleitet werden, dass für jede dort lebende oder dorthin zurückkehrende Person das reale Risiko einer Verletzung der durch Art. 2 und 3 EMRK sowie Protokoll Nr. 6 zur EMRK geschützten Güter mit einer derartigen Wahrscheinlichkeit drohe, dass dies zur Gewährung von subsidiären Schutz führen müsste. Die afghanische Regierung hätte die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren, die Sicherheitsverantwortung sei bei der afghanischen Armee und Polizei und schwere sicherheitsrelevante Zwischenfälle seien deutlich reduziert worden. Kabul sei für Normalbürger, die nicht mit Ausländern zusammenarbeiten eine sichere und gute erreichbare Stadt und sogenannte Gefährdungsquellen seien in reinen Wohngebieten nicht anzunehmen. Die Beschwerdeführerin hätte keine westliche Lebensweise angenommen, welche ein wesentlicher Bestandteil der Identität geworden sei und einen nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde. Eine innerstaatliche Rückkehr stehe bei afghanischen Frauen dann in Betracht, wenn ihnen ein männliches familiäres Netzwerk im Falle der Rückkehr zur Verfügung stehen würde. Im vorliegenden Fall würde die Beschwerdeführerin von Ehemann und ihrem volljährigen Sohn, ihrem minderjährigen Sohn und der volljährigen Tochter begleitet werden.

Die Beschwerdeführerin bevollmächtigte am 16.01.2018 die XXXX, zur rechtlichen Vertretung in Asylangelegenheiten.

Am 24.01.2018 langte die fristgerecht eingebrachte Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtwidrigkeit, unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens aufgrund fehlerhafter bzw. unzureichender Ermittlungen und mangelhafter Beweiswürdigung, gegen alle Spruchpunkte ein.

Der Ehemann der Beschwerdeführerin sei von den Taliban zusammengeschlagen worden, der älteste Sohn entführt und später getötet worden. Die Narben beim Ehemann der Beschwerdeführerin seien noch heute sichtbar. Die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann seien mit ihren Kindern in den Iran geflohen. Da die Familie keinen legalen Aufenthaltstitel gehabt hätte, hätten die Kinder der Beschwerdeführerin nicht die offizielle Schule besuchen dürfen. Die Familie sei nunmehr nach Österreich geflüchtet, weil sie befürchtet hätte, dass die Söhne in den Krieg nach Syrien abgeschoben werden würden.

Der Ehemann der Beschwerdeführerin hätte in der Befragung eindeutig ausgesagt, dass er wegen seines Religionsbekenntnisses und der Volksgruppenzugehörigkeit Probleme mit den Taliban gehabt hätte. Die belangte Behörde hätte einen komplett falschen Sachverhalt der Beweiswürdigung zugrunde gelegt. Es sei auch unlogisch und unwahrscheinlich anzunehmen, dass die Taliban nur den ältesten Sohn der Familie aufgrund seiner Konfession umbringen würden und die restliche Familie verschonen würde. Wahrscheinlicher würde erscheinen, dass der älteste Sohn zwangsrekrutiert worden sei, da er sich für die Taliban im interessanten, wehrfähigen Alter befunden hätte. Detaillierte Ermittlungen seien von der belangten Behörde unterlassen worden. Es sei auch fraglich, ob die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann in Kabul überlebensfähig seien. Es wurde auf einen Zeitungsbericht des Standards

(derstandard.at/2000006313925(Studie-Leben-fuer-alte-Menschen-in Norwegen-am-besten) verwiesen, wonach Afghanistan als Wohnort für alte Menschen von allen untersuchten Ländern den letzten Platz (Platz 96) belegen würde. Es sei die Bewertung in den vier Kategorien: Einkommensicherheit, Freiheit, öffentlicher Personennahverkehr und soziale Beziehungen. Der Vater der Beschwerdeführerin sei ungefähr 65 Jahre alt und es sei unwahrscheinlich, ob er von den anderen geflohenen Familienmitgliedern unterstützt werden würde.

Die belangte Behörde hätte auch unzureichende Länderfeststellungen der Beurteilung zugrunde gelegt. Die Lage in ganz Afghanistan habe sich derart verschlechtert, dass bei Rückführung eine Verletzung der Art. 2 und 3 EMRK bestehen würde wie auch ein Bericht aus dem Standard vom 05.10.2017

(http://derstandard.at/20000065325848/Von-Europa-nach-AfghanistanRueckkehr-in-ein-Land-der-Gewalt). Laut einem Amnesty-Bericht würden die Menschen Gewalt, Verfolgung und Folter erwarten. Afghanistan sei so gefährlich wie lange nicht mehr.

Aufgrund des mangelhaften Ermittlungsverfahrens und der mangelhaften Beweiswürdigung seien unrichtige Feststellungen getroffen worden. Zufolge von Berichten (UNHCR, ACCORD) seien die Hazara besonderer Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt.

Am 12.02.2019 fand eine Verhandlung am Bundesverwaltungsgericht statt, an welcher die Beschwerdeführerin und die Familienglieder (Ehemann, volljährige Tochter, volljähriger Sohn, mj. Sohn) als Beschwerdeführer und Beschwerdeführerin, ein Rechtsvertreter, ein Zeuge und eine Dolmetscherin teilnahmen. Am 29.01.2018 teilte die belangte Behörde mit, dass sie auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung verzichte.

Der Zeuge, ein österreichischer Staatsbürger wurde nach Wahrheitserinnerung und Belehrung über die Entschlagungsgründe befragt. Er gab an, dass die erwachsenen Kinder, insbesondere die Tochter der Beschwerdeführerin, von Anfang an sehr um ihre Integration bemüht gewesen seien. Es war von Anfang an erkennbar, dass die Tochter der Beschwerdeführerin die Chance, die sie in Österreich haben, auch nützen würde. Sie hätte sehr schnell einen Deutschkurs absolviert, um die Aufnahme für den Kurs zur Ablegung des Pflichtschulabschlusses zu erreichen. Er würde die die Tochter der Beschwerdeführerin als eine "westlich orientierte" Frau bezeichnen. Sie sei sehr selbstständig, oft alleine unterwegs. Sie besuche zurzeit das Abendgymnasium in XXXX. Die Tochter der Beschwerdeführerin und der Zeuge würden regelmäßig Kontakt via Messenger haben. Er würde mit der ganzen Familie befreundet sein.

Die Beschwerdeführerin würde der Zeuge, unter Rücksichtnahme auf ihr Alter und ihre Herkunft als modern denkende Frau bezeichnen. Sie würde betonen, dass sie den Lebensstil in Europa schätze und gewähre ihren Kindern alle Freiheiten. Wenn der Zeuge zu Besuch komme, würde sie auch ihn umarmen. Die Mutter übernehme viel Verantwortung für die Familie, verwalte das Haushaltsbudget und würde sich auch regelmäßig in Begleitung der erwachsenen Kinder in den Schulen, nach dem jüngeren Bruder der Beschwerdeführerin, erkundigen.

Der Richter setzte die Verhandlung mit der Befragung der Beschwerdeführerin fort. Anmerkung: Die Beschwerdeführerin erschien mit locker gebundenem Kopftuch, aber sonst in westlicher Kleidung. Sie erschien NICHT mit einem Hijab.

Die Beschwerdeführerin gab an, sie wolle ihr Vorbringen und ihre Beschwerde aufrechtzuerhalten. Sie sei afghanische Staatangehörige, der Volksgruppe der Hazara zugehörig und schiitischen Glaubens. Sie entstamme einer traditionsverbundenen, religiösen Familie aus einem ländlichen Gebiet und sei 17 Jahre alt gewesen, als sie einen Verwandten ehelichen habe müssen. Sie habe sieben Kinder, davon sei einer von den Taliban getötet worden, zwei Töchter würden im Iran und ein Sohn in Finnland leben, ihre drei jüngsten Kinder seien mit ihr hier in Österreich. Sie hätte 17 Jahre, nach ihrer Ausreise aus Afghanistan, nur im Iran gelebt. Sie sei Analphabetin und werde in der Unterkunft von freiwilligen Lehrerinnen und ihren Kindern in der deutschen Sprache unterrichtet. In Afghanistan, gab die Beschwerdeführerin an, hätte sie traditionell nicht aus dem Haus dürfen, im Iran hätte sie Stickereiarbeiten als Heimarbeit gemacht. Die Beschwerdeführerin gab an, sie hätte keine Verwandte in Afghanistan mehr. Sie hätte keine persönlichen Probleme mit staatlichen Organen oder mit Privatpersonen in Afghanistan gehabt, jedoch sei ihr ältester Sohn von den Taliban mitgenommen und getötet worden.

Die Beschwerdeführerin gab an in Afghanistan hätte ihr Ehemann in der Landwirtschaft gearbeitet. Er hätte die Grundstücke von jemanden anderen bewirtschaftet und dafür Geld bekommen. Auf die Frage des Richters, aus welchen Gründen die Familie, ungefähr 1998, Afghanistan verlassen hätte, erzählte die Beschwerdeführerin, ihr Ehemann hätte mit dem ältesten Sohn auf den Feldern gearbeitet. Zwei unbekannte Personen, Taliban, seien gekommen und hätten sie in den Dschihad mitnehmen wollen. Der Ehemann und ihr Sohn hätten nicht mitgehen, sondern ihre Arbeit auf den Feldern fortsetzen wollen. Die beiden hätten den Taliban mitgeteilt, dass sie keine Waffe angreifen und niemanden töten wollten. Es sei gegen 21 Uhr am selben Tag gewesen, als es am Tor geklopft hätte. Der älteste Sohn der Familie sei nach draußen gegangen um die Tür zu öffnen. Als jedoch laute Stimmen zu hören gewesen seien, sei ihr Ehemann nach draußen gegangen um nach dem Rechten zu sehen. Ihr Ehemann hätte gesehen wie die Taliban seinen ältesten Sohn wegzerren würden und sei mit dem Gewehrkolben geschlagen worden, als er sich erkundigt hätte, wohin man seinen Sohn bringen würde. Die Beschwerdeführerin sei hinausgegangen ihren Mann suchen, denn er sei nicht ins Haus zurückgekehrt. Er sei am Boden vor dem Tor gelegen und der älteste Sohn sei nicht mehr hier gewesen. Am nächsten Morgen sei die Familie zum Schwager der Beschwerdeführerin nach Ghazni gefahren. Sie hätten ihm von dem Vorfall erzählt und hätten beabsichtigt in den Iran auszureisen. Zuvor sei der Arbeitgeber des Schwagers in die Heimatregion der Familie gefahren, um zu sehen was sich ereignet hätte und hätte auch die Nachbarn befragt. Diese hätten erzählt, dass die Leiche des Sohnes zwei Tage später auf die Straße geworfen worden sei. Die Leute hätten ihn bestattet. Die Beschwerdeführerin erzählte weiter, dass sie im Iran ohne Aufenthaltstitel gelebt hätten. Das Leben als Frau sei für sie etwas freier gewesen als in Afghanistan, aber sie seien diskriminiert worden. Im Iran hätte sie die Burka ablegen können, sie hätten sich aber wie die Iraner kleiden und einen iranischen Hijab tragen müssen. Die Familie hätte den Iran verlassen, weil sie Angst vor der Abschiebung gehabt hätte. Ihr Schwager sei mit in den Iran gegangen und sei abgeschoben worden. Den afghanischen Jugendlichen sei gesagt worden, dass sie entweder in den Krieg nach Syrien ziehen müssten oder nach Afghanistan abgeschoben werden.

Die Beschwerdeführerin gab an unter Bluthochdruck zu leiden. In Österreich würde ihr es auch mit den Zucker- und Cholesterinwerte bessergehen. In Österreich hätte sie österreichische Freunde, sie würden sich gegenseitig einladen. Im Iran hätte die Familie in den vielen Jahren keine iranischen Freunde gefunden. In Österreich würde die Familie sich so fühlen, als würden sie sich schon seit der Kindheit kennen. Die Beschwerdeführerin gehe alleine oder mit ihrem Mann einkaufen. Gelegentlich schicke sie auch ihren Mann einkaufen. Die Beschwerdeführerin gab an die deutsche Sprache zu verstehen und sie versuche sich selbst zu verständigen. Im Notfall würden ihre Tochter oder ihre Söhne die Dolmetscherrolle übernehmen. Die Beschwerdeführerin habe das A1-Sprachdiplom erworben, sie versuche ihre Sprachkenntnisse weiter zu verbessern, sie wolle trotz ihres Alters gebildet sein und freue sich über jedes deutsche Wort, welches sie lerne. Die Beschwerdeführerin erzählte, sie würde einmal im Monat mit ihren österreichischen Freundinnen frühstücken gehen und ihre Kinder würden miteinander spielen. Sie könne auch die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen. Die Beschwerdeführerin gab an ihre Tochter, würde manchmal erst um 23 Uhr nach der Schule nach Hause kommen. In Afghanistan wäre dies nicht möglich gewesen. Die Beschwerdeführerin gab an, dass ihre Kinder schon schwimmen gewesen seien, ihre Kinder würden auch wollen, dass sie Fahrrad fahren lerne, jedoch sei sie persönlich noch zu ängstlich. Die Beschwerdeführerin gab an, so frei wie sie sich hier in Österreich als Frau bewegen könne, habe sie es bis jetzt nicht können. Sie hätte in Afghanistan mit keinem Mann sprechen oder ihm die Hand geben dürfen. Hier hätte die Beschwerdeführerin kein Problem einen Mann zu umarmen, sich mit ihm gemeinsam hinzusetzten und/oder sich mit ihm zu unterhalten. Nachgefragt antwortete sie, ihre Tochter würde hier lernen, sich frei bewegen, könne sich mit ihren Freundinnen und Freunden treffen und wenn sie wolle ihren Partner selbst aussuchen. Ihr Ehemann würde nichts zu den Veränderungen sagen, er würde sich freuen und wollen, dass sich seine Familie wohl fühle. Die Beschwerdeführerin sehe sich persönlich nicht als streng religiöse Schiitin. Sie wolle hier in Österreich etwas lernen und arbeiten gehen, z.B. könne sie sehr gut kochen und wolle deshalb in einem Restaurant arbeiten. Sie wolle in Österreich nachholen, was sie in ihrer Jugend verpasst hätte, sich so kleiden zu können, würde ihr das Gefühl geben jung zu sein. Sie wolle nicht zurückkehren, sie hätte sich hier schon eingelebt und könne hier über ihr Leben selbst entscheiden. In Afghanistan sei das Leben ihrer Familienmitglieder in Gefahr. Die Beschwerdeführerin gab des Weiteren an, ihre Kinder könnten in Afghanistan nicht leben, ihre Tochter könnte sich nicht frei bewegen, junge Burschen würden von den Taliban mitgenommen und aufgefordert werden, andere zu töten.

Die verlesene Strafregisterauszug zeigt keine Verurteilung der Beschwerdeführerin.

In der Stellungnahme vom 05.02.2019 wurde auf die Verfolgungssituation der Frauen in Afghanistan verwiesen. Die Frauen in Afghanistan hätten keine Grundrechte und würden sowohl unter gesellschaftlichen als auch staatlichem Druck stehen, weil sie der sozialen Gruppe der Frauen angehören würden. Im Falle einer Rückkehr würde es zu einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK kommen. Keine Frau und kein Mädchen, die ein eigenständiges Leben wolle, ihre eigenen Entscheidungen treffe, die über ihre sexuelle Selbstbestimmung verfüge, die als gleichberechtigter Mensch behandelt werden wolle, sei ein Leben in Afghanistan zumutbar. Dies würde in zahlreichen Berichten belegt werden. Die vorherrschenden konservativ-islamischen Ansichten zur Rolle der Frauen zeige sowohl massive Einschnitte in die Freiheit als auch Gefahren im Falle der Übertretung der konventionellen Normen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist Staatsbürgerin von Afghanistan, der Volksgruppe der Hazara zugehörig und schiitischen Glaubens. Sie ist am 10.07.2015 in das Bundesgebiet eingereist und hat gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Sie entstammt einer traditionsverbundenen, religiösen Familie aus einem ländlichen Gebiet und wurde im Alter von 17 Jahren mit einem Verwandten zwangsverehelicht. Die Taliban zwangsrekrutierten ihren damals ältesten Sohn (16 Jahre) und töteten ihn. Die Beschwerdeführerin floh mit ihrer Familie in den Iran. Im Iran hielt sie sich mit ihrer Familie illegal auf. Sie schickte ihren nunmehr ältesten Sohn nach Finnland, aus Angst dass er von den Iranern in den Krieg nach Syrien geschickt oder nach Afghanistan abschoben wird. Die Beschwerdeführerin verließ mit ihrer Familie schließlich 2015 den Iran aus Angst, dass ihre zwei, noch bei ihr lebenden Söhne nach Syrien in den Krieg geschickt werden oder die Familie nach Afghanistan abgeschoben wird. Die Beschwerdeführerin, ihr Ehemann und drei ihrer Kinder halten sichr seit 11.07.2015 in Österreich auf.

Die Beschwerdeführerin ist westlich orientiert: Sie trägt westliche Kleidung. Zur Verhandlung erschien sie in westlicher Kleidung und hat ihr Kopftuch locker gebunden. Sie geht alleine einkaufen oder schickt ihren Mann einkaufen. Sie ist ständig bemüht die deutsche Sprache besser zu erlernen und möchte gebildet sein. Sie kann auch die öffentlichen Verkehrsmittel alleine benutzen. Sie fährt alleine mit ihrer Tochter in die Stadt um einen Einkaufsbummel zu machen. Sie kann einem Mann die Hand geben, mit ihm sprechen und ihn umarmen und tut dies auch. Sie hat sich einen Freundeskreis aus Österreicherinnen und Österreichern aufgebaut und steht im regen Kontakt mit ihnen. Sie fühlt sich voll von ihrem Freundeskreis angenommen und geschätzt.

Sie möchte hier in Österreich, trotz ihres Alters noch etwas lernen und arbeiten gehen. Da sie sehr gut kochen kann, möchte sie in einem Restaurant arbeiten. Die Beschwerdeführerin führt in Österreich ein selbstbestimmtes Leben, welches sie sehr schätzt und ermöglicht den westlichen Lebensstil auch ihrer Tochter.

Zu Afghanistan wird verfahrensbezogen folgendes festgestellt:

Frauen

Die Lage afghanischer Frauen hat sich in den letzten 15 Jahren zwar insgesamt ein wenig verbessert, jedoch nicht so sehr wie erhofft. Wenngleich es in den unterschiedlichen Bereichen viele Fortschritte gab, bedarf die Lage afghanischer Frauen spezieller Beachtung. Die afghanische Regierung ist bemüht, die Errungenschaften der letzten eineinhalb Jahrzehnte zu verfestigen - eine Institutionalisierung der Gleichberechtigung von Frauen in Afghanistan wird als wichtig für Stabilität und Entwicklung betrachtet (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. UNAMA/OHCHR 5.2018). In einigen Bereichen hat der Fortschritt für Frauen stagniert, was großteils aus der Talibanzeit stammenden, unnachgiebigen konservativen Einstellungen ihnen gegenüber geschuldet ist (BFA Staatendokumentation 4.2018). Viel hat sich seit dem Ende des Talibanregimes geändert: Frauen haben das verfassungsmäßige Recht an politischen Vorgängen teilzunehmen, sie streben nach Bildung und viele gehen einer Erwerbstätigkeit nach (TET 15.3.2018). Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (MPI 27.1.2004). In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser Rechte (AA 5.2018; vgl. UNAMA/OHCHR 5.2018). Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018). Traditionell diskriminierende Praktiken gegen Frauen existieren insbesondere in ländlichen und abgelegenen Regionen weiter (AA 5.2018).

Bildung

Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt (BFA Staatendokumentation 3.7.2014). Laut Verfassung haben alle afghanischen Staatsbürger/innen das Recht auf Bildung (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Öffentliche Kindergärten und Schulen sind bis zur Hochschulebene kostenlos. Private Bildungseinrichtungen und Universitäten sind kostenpflichtig. Aufgeschlossene und gebildete Afghanen, welche die finanziellen Mittel haben, schicken ihre Familien ins Ausland, damit sie dort leben und eine Ausbildung genießen können (z.B. in die Türkei); während die Familienväter oftmals in Afghanistan zurückbleiben (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Eine der Herausforderungen für alle in Afghanistan tätigen Organisationen ist der Zugang zu jenen Gegenden, die außerhalb der Reichweite öffentlicher Bildung liegen. Der Bildungsstand der Kinder in solchen Gegenden ist unbekannt und Regierungsprogramme sind für sie unzugänglich; speziell, wenn die einzigen verfügbaren Bildungsstätten Madrassen sind (BFA Staatendokumentation 4.2018).

In den Jahren 2016 und 2017 wurden durch den United Nations Children's Fund (UNICEF) mit Unterstützung der United States Agency for International Development (USAID) landesweit 4.055 Dorfschulen errichtet - damit kann die Bildung von mehr als 119.000 Kindern in ländlichen Gebieten sichergestellt werden, darunter mehr als 58.000 Mädchen. Weitere 2.437 Ausbildungszentren in Afghanistan wurden mit Unterstützung von USAID errichtet, etwa für Personen, die ihre Ausbildung in frühen Bildungsjahren unterbrechen mussten. Mehr als 49.000 Student/innen sind in diesen Ausbildungszentren eingeschrieben (davon mehr als 23.000 Mädchen). USAID hat mehr als 154.000 Lehrer ausgebildet (davon mehr als 54.000 Lehrerinnen) sowie 17.000 Schuldirektoren bzw. Schulverwalter (mehr als 3.000 davon Frauen) (USAID 10.10.2017).

Sowohl Männer als auch Frauen schließen Hochschulstudien ab - derzeit sind etwa 300.000 Student/innen an afghanischen Hochschulen eingeschrieben - darunter 100.000 Frauen (USAID 10.10.2017).

Dem afghanischen Statistikbüro (CSO) zufolge gab es im Zeitraum 2016-2017 in den landesweit 16.049 Schulen, insgesamt 8.868.122 Schüler, davon waren 3.418.877 weiblich. Diese Zahlen beziehen sich auf Schüler/innen der Volks- und Mittelschulen, Abendschulen, Berufsschulen, Lehrerausbildungszentren sowie Religionsschulen. Im Vergleich mit den Zahlen aus dem Zeitraum 2015-2016 hat sich die Anzahl der Studentinnen um 5,8% verringert (CSO 2017). Die Gesamtzahl der Lehrer für den Zeitraum 2016-2017 betrug 197.160, davon waren 64.271 Frauen. Insgesamt existieren neun medizinische Fakultäten, an diesen sind 342.043 Studierende eingeschrieben, davon

77.909 weiblich. Verglichen mit dem Zeitraum 2015-2016 hat sich die Anzahl der Frauen um 18.7% erhöht (CSO 2017).

Im Mai 2016 eröffnete in Kabul die erste Privatuniversität für Frauen im Moraa Educational Complex, mit dazugehörendem Kindergarten und Schule für Kinder der Studentinnen. Die Universität bietet unter anderem Lehrveranstaltungen für Medizin, Geburtshilfe etc. an. (TE 13.8.2016; vgl. MORAA 31.5.2016). Im Jahr 2017 wurde ein Programm ins Leben gerufen, bei dem 70 Mädchen aus Waisenhäusern in Afghanistan, die Gelegenheit bekommen ihre höhere Bildung an der Moraa Universität genießen zu können (Tolonews 17.8.2017).

Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für "Frauen- und Genderstudies" (KP 18.10.2015; vgl. UNDP 10.7.2016). Im Jahr 2017 haben die ersten Absolvent/innen des Masterprogramms den Lehrgang abgeschlossen: 15 Frauen und sieben Männer, haben sich in ihrem Studium zu Aspekten der Geschlechtergleichstellung und Frauenrechte ausbilden lassen; dazu zählen Bereiche wie der Rechtsschutz, die Rolle von Frauen bei der Armutsbekämpfung, Konfliktschlichtung etc. (UNDP 7.11.2017).

Berufstätigkeit

Berufstätige Frauen sind oft Ziel von sexueller Belästigung durch ihre männlichen Kollegen. Die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen variiert je nach Region und ethnischer bzw. Stammeszugehörigkeit (AA 5.2018). Aus einer Umfrage der Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 geht hervor, dass die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen außerhalb des Hauses unter den Hazara 82,5% beträgt und am höchsten ist. Es folgen die Usbeken (77,2%), die Tadschiken (75,5%) und die Paschtunen (63,4%). In der zentralen Region bzw. Hazarajat tragen 52,6% der Frauen zum Haushaltseinkommen bei, während es im Südwesten nur 12% sind. Insgesamt sind 72,4% der befragten Afghanen und Afghaninnen der Meinung, dass Frauen außerhalb ihres Hauses arbeiten sollen (AF 11.2017). Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig erhöht und betrug im Jahr 2016 19%. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung (UNW o. D.).

Nichtsdestotrotz arbeiten viele afghanische Frauen grundlegend an der Veränderung patriarchaler Einstellungen mit. Viele von ihnen partizipieren an der afghanischen Zivilgesellschaft oder arbeiten im Dienstleistungssektor. Aber noch immer halten soziale und wirtschaftliche Hindernisse (Unsicherheit, hartnäckige soziale Normen, Analphabetismus, fehlende Arbeitsmöglichkeiten und mangelnder Zugang zu Märkten) viele afghanische Frauen davon ab, ihr volles Potential auszuschöpfen (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Die Einstellung gegenüber der Berufstätigkeit von Frauen hat sich in Afghanistan in den letzten Jahren geändert; dies hängt auch mit den NGOs und den privaten Firmen zusammen, die in Afghanistan aktiv sind. Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. Davor war der Widerstand gegen arbeitende Frauen groß und wurde damit begründet, dass ein Arbeitsplatz ein schlechtes Umfeld für Frauen darstelle, etc. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent und afghanische Frauen sehen sich immer noch Hindernissen ausgesetzt, wenn es um Arbeit außerhalb ihres Heimes geht. Im ländlichen Afghanistan gehen viele Frauen, aus Furcht vor sozialer Ächtung, keiner Arbeit außerhalb des Hauses nach (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Das Gesetz sieht zwar die Gleichstellung von Mann und Frau im Beruf vor, jedoch beinhaltet es keine egalitären Zahlungsvorschriften bei gleicher Arbeit. Das Gesetz kriminalisiert Eingriffe in das Recht auf Arbeit der Frauen; dennoch werden diese beim Zugang zu Beschäftigung und Anstellungsbedingungen diskriminiert (USDOS 20.4.2018).

Dennoch hat in Afghanistan aufgrund vieler Sensibilisierungsprogramme sowie Projekte zu Kapazitätsaufbau und Geschlechtergleichheit ein landesweiter Wandel stattgefunden, wie Frauen ihre Rolle in- und außerhalb des Hauses sehen. Immer mehr Frauen werden sich ihrer Möglichkeiten und Chancen bewusst. Sie beginnen auch wirtschaftliche Macht zu erlangen, indem eine wachsende Zahl Teil der Erwerbsbevölkerung wird - in den Städten mehr als in den ländlichen Gebieten. Frauen als Ernährerinnen mit Verantwortung für die gesamte Familie während ihr Mann arbeitslos ist, sind keine Seltenheit mehr. Mittlerweile existieren in Afghanistan oft mehr Arbeitsmöglichkeiten für Frauen als für Männer, da Arbeitsstellen für letztere oftmals schon besetzt sind. In und um Kabul eröffnen laufend neue Restaurants, die entweder von Frauen geführt werden oder in ihrem Besitz sind. Der Dienstleistungssektor ist zwar von Männern dominiert, dennoch arbeitet eine kleine, aber nicht unwesentliche Anzahl afghanischer Frauen in diesem Sektor und erledigt damit Arbeiten, die bis vor zehn Jahren für Frauen noch als unangebracht angesehen wurden (und teilweise heute noch werden). Auch soll die Anzahl der Mitarbeiterinnen im Finanzsektor erhöht werden. In Kabul zum Beispiel eröffnete im Sommer 2017 eine Filiale der First MicroFinance Bank, Afghanistan (FMFB-A), die nur für Frauen gedacht ist und nur von diesen betrieben wird. Diese Initiative soll es Frauen ermöglichen, ihre Finanzen in einer sicheren und fördernden Umgebung zu verwalten, um soziale und kulturelle Hindernisse, die ihrem wirtschaftlichen Empowerment im Wege stehen, zu überwinden. Geplant sind zwei weitere Filialen in Mazar-e Sharif bis 2019. In Kabul gibt es eine weitere Bank, die - ausschließlich von Frauen betrieben - hauptsächlich für Frauen da ist (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Eine Position in der Öffentlichkeit ist für Frauen in Afghanistan noch immer keine Selbstverständlichkeit. Dass etwa der afghanische Präsident dies seiner Ehefrau zugesteht, ist Zeichen des Fortschritts. Frauen in öffentlichen bzw. semi-öffentlichen Positionen sehen sich deshalb durchaus in einer gewissen Vorbildfunktion. So polarisiert die Talent-Show "Afghan Star" zwar einerseits das Land wegen ihrer weiblichen Teilnehmer und für viele Familien ist es inakzeptabel, ihre Töchter vor den Augen der Öffentlichkeit singen oder tanzen zu lassen. Dennoch gehört die Sendung zu den populärsten des Landes (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Politische Partizipation und Öffentlichkeit

Die politische Partizipation von Frauen ist rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; die Hälfte davon ist gemäß Verfassung für Frauen bestimmt (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018). Zurzeit sind 18 Senatorinnen in der Meshrano Jirga vertreten. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert; derzeit sind 67 Frauen Mitglied des Unterhauses. Das per Präsidialdekret erlassene Wahlgesetz sieht eine Frauenquote von min. 25% in den Provinzräten vor. Zudem sind min. zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Indpendent Electoral Commission, IEC) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung veröffentlichte im Jänner 2018 einen Strategieplan zur Erhöhung des Frauenanteils im öffentlichen Dienst um 2% für das Jahr 2018 (AA 5.2018). Drei Afghaninnen sind zu Botschafterinnen ernannt worden (UNW o.D.). Im Winter 2017 wurde mit Khojesta Fana Ebrahimkhel eine weitere Frau zur afghanischen Botschafterin (in Österreich) ernannt (APA 5.12.2017). Dennoch sehen sich Frauen, die in Regierungspositionen und in der Politik aktiv sind, weiterhin mit Bedrohungen und Gewalt konfrontiert und sind Ziele von Angriffen der Taliban und anderer aufständischer Gruppen. Traditionelle gesellschaftliche Praktiken schränken die Teilnahme der Frauen am politischen Geschehen und Aktivitäten außerhalb des Hauses und der Gemeinschaft weiterhin ein. Der Bedarf einer männlichen Begleitung bzw. einer Arbeitserlaubnis ist weiterhin gängig. Diese Faktoren sowie ein Mangel an Bildung und Arbeitserfahrung haben wahrscheinlich zu einer männlich dominierten Zusammensetzung der Zentralregierung beigetragen (USDOS 20.4.2018).

Informationen zu Frauen in NGOs, den Medien und den afghanischen Sicherheitskräften können den Kapiteln 8. "NGOs und Menschenrechtsaktivisten", 11. "Meinungs- und Pressefreiheit" und 5. "Sicherheitsbehörden" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

Strafverfolgung und rechtliche Unterstützung

Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte (AA 5.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten und auch gewisser vom Islam vorgegebener, Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich (AA 5.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder auf Grund tradierter Wertevorstellungen nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Beschränkung der Bewegungsfreiheit (AA 9.2016).

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen (AA 5.2018). Andere Frauen, die nicht zu ihren Familien zurückkehren können, erhalten in einigen Fällen Unterstützung vom Ministerium für Frauenangelegenheiten und Nichtregierungsinstitutionen, indem Ehen für diese arrangiert werden (USDOS 20.4.2018). Eine erhöhte Sensibilisierung seitens der afghanischen Polizei und Justiz führt zu einer sich langsam, aber stetig verbessernden Lage der Frauen in Afghanistan. Insbesondere die Schaffung von auf Frauen spezialisierte Staatsanwaltschaften in einigen Provinzen hatte positive Auswirkungen (AA 9.2016). Um Frauen und Kindern, die Opfer von häuslicher Gewalt wurden, beizustehen, hat das Innenministerium (MoI) landesweit Family Response Units (FRU) eingerichtet. Die FRU sind mit Fachleuten wie Psychologen und Sozialarbeitern besetzt, welche die Opfer befragen und aufklären und ihre physische sowie psychische medizinische Behandlung nachverfolgen. Im Jahr 2017 existierten 208 FRU im Land (USDOD 12.2017).

EVAW-Gesetz

Das Law on Elimination of Violence against Women (EVAW-Gesetz) wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen - inklusive der weit verbreiteten häuslichen Gewalt (AA 5.2018). Das EVAW-Gesetz ist nach wie vor in seiner Form als eigenständiges Gesetz gültig (Pajhwok 11.11.2017; vgl. UNN 22.2.2018); und bietet rechtlichen Schutz für Frauen (UNAMA 22.2.2018).

Das EVAW-Gesetz definiert fünf schwere Straftaten gegen Frauen:

Vergewaltigung, Zwangsprostitution, die Bekanntgabe der Identität eines Opfers, Verbrennung oder Verwendung von chemischen Substanzen und erzwungene Selbstverbrennung oder erzwungener Selbstmord. Dem EVAW-Gesetz zufolge muss der Staat genannte Verbrechen untersuchen und verfolgen, auch, wenn die Frau die Beschwerde nicht einreichen kann bzw. diese zurückzieht. Dieselben Taten werden auch im neuen afghanischen Strafgesetzbuch kriminalisiert (UNAMA/OHCHR 5.2018). Das EVAW-Gesetz wird jedoch weiterhin nur unzureichend umgesetzt. Frauen können sich grundsätzlich, abgesehen von großen Städten wie Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif nicht ohne einen männlichen Begleiter in der Öffentlichkeit bewegen. Es gelten strenge soziale Anforderungen an ihr äußeres Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit, deren Einhaltung sie jedoch nicht zuverlässig vor sexueller Belästigung schützt (AA 5.2018).

Frauenhäuser

Nichtregierungsorganisation in Afghanistan betreiben etwa 40 Frauenhäuser, zu denen auch Rechtsschutzbüros und andere Einrichtungen für Frauen, die vor Gewalt fliehen, zählen. Alle Einrichtungen sind auf Spenden internationaler Gruppen angewiesen - diese Einrichtungen werden zwar im Einklang mit dem afghanischen Gesetz betrieben, stehen aber im Widerspruch zur patriarchalen Kultur in Afghanistan. Oftmals versuchen Väter ihre Töchter aus den Frauenhäusern zu holen und sie in Beziehungen zurückzudrängen, aus denen sie geflohen sind, oder Ehen mit älteren Männern oder den Vergewaltigern zu arrangieren (NYT 17.3.2018). Die EVAW-Institutionen und andere Einrichtungen, die Gewaltmeldungen annehmen und für die Schlichtung zuständig sind, bringen die Gewaltopfer während des Verfahrens oft in Schutzhäuser (z. B. Frauenhäuser) (UNAMA/OHCHR 5.2018).

Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigung oder Zwangsehe sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft für die Notlage (mit-)verantwortlich ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre (AA 5.2018). Die Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für unmoralische Handlungen und die Frauen in Wahrheit Prostituierte (AA 5.2018; vgl. NYT 17.3.2018). Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden. Das Schicksal von Frauen, die auf Dauer weder zu ihren Familien noch zu ihren Ehemännern zurückkehren können, ist bisher ohne Perspektive. Für diese erste "Generation" von Frauen, die sich seit Ende der Taliban-Herrschaft in

den Schutzeinrichtungen eingefunden haben, hat man in Afghanistan bisher keine Lösung gefunden. Generell ist in Afghanistan das Prinzip eines individuellen Lebens weitgehend unbekannt. Auch unverheiratete Erwachsene leben in der Regel im Familienverband. Für Frauen ist ein alleinstehendes Leben außerhalb des Familienverbandes kaum möglich und wird gemeinhin als unvorstellbar oder gänzlich unbekannt beschrieben (AA 5.2018). Die EVAW-Institutionen konsultieren in der Regel die Familie und das Opfer, bevor sie es in ein Frauenhaus bringen (UNAMA/OHCHR 5.2018).

Gewalt gegen Frauen: Vergewaltigung, Ehrenverbrechen und Zwangsverheiratung

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet und kaum dokumentiert. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzung und Misshandlung über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigung und Mord (AA 5.2018). Zu geschlechtsspezifischer und sexueller Gewalt zählen außerdem noch die Praxis der badal-Hochzeiten (Frauen und Mädchen, die im Rahmen von Heiratsabmachungen zwischen Familien getauscht werden, Anm.) bzw. des ba'ad (Mädchen, die zur Konfliktlösung abgegeben werden, Anm.) (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. TD 4.12.2017). Dem Bericht der AIHRC zufolge wurden für das Jahr 2017 4.340 Fälle von Gewalt gegen Frauen registriert. Die Anzahl der gemeldeten Gewaltvorfälle und der Gewaltopfer steigt (AIHRC 11.3.2018).

Soziale Medien in Afghanistan haben Frauen und Mädchen neue Möglichkeiten eröffnet, um ihr Schicksal zu teilen. In den Medien ist der Kampf afghanischer Frauen, Mädchen und Buben gegen geschlechtsspezifische und sexuelle Gewalt in all ihren Formen tiefgründig dokumentiert. Die afghanische Regierung hat anerkannt, dass geschlechtsspezifische Gewalt ein Problem ist und eliminiert werden muss. Das soll mit Mitteln der Rechtsstaatlichkeit und angemessenen Vollzugsmechanismen geschehen. Zu diesen zählen das in Afghanistan eingeführte EVAW-Gesetz zur Eliminierung von Gewalt an Frauen, die Errichtung der EVAW-Kommission auf nationaler und lokaler Ebene und die EVAW-Strafverfolgungseinheiten. Auch wurden Schutzzentren für Frauen errichtet und die Rekrutierung von Frauen in der Polizei verstärkt. Mittlerweile existieren für Frauen 205 Spezialeinsatzeinheiten, die hauptsächlich von weiblichen Mitarbeiterinnen der afghanischen Nationalpolizei geleitet werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Legales Heiratsalter:

Das Zivilgesetz Afghanistans definiert für Mädchen 16 Jahre (15 Jahre, wenn dies von einem Elternteil bzw. einem Vormund und dem Gericht erlaubt wird) und für Burschen 18 Jahre als das legale Mindestalter für Vermählungen (USDOS 20.4.2018; vgl. AA 5.2018). Dem Gesetz zufolge muss vor dem Ehevertrag das Alter der Braut festgestellt werden. Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung besitzt Geburtsurkunden. Quellen zufolge ist die frühe Heirat weiterhin verbreitet. Gemäß dem EVAW-Gesetz werden Personen, die Zwangsehen bzw. Frühverheiratung arrangieren, für mindestens zwei Jahre inhaftiert; dennoch hält sich die Umsetzung dieses Gesetzes in Grenzen (USDOS 20.4.2018). Im Rahmen von Traditionen geben arme Familien ihre Mädchen im Gegenzug für "Brautgeld" zur Heirat frei, wenngleich diese Praxis in Afghanistan illegal ist. Lokalen NGOs zufolge, werden manche Mädchen im Alter von sechs oder sieben Jahren zur Heirat versprochen - unter der Voraussetzung, die Ehe würde bis zum Erreichen der Pubertät nicht stattfinden. Berichte deuten an, dass diese "Aufschiebung" eher selten eingehalten wird. Medienberichten zufolge existiert auch das sogenannte "Opium-Braut-Phänomen", dabei verheiraten Bauern ihre Töchter, um Schulden bei Drogenschmugglern zu begleichen (USDOS 3.3.2017).

Familienplanung und Verhütung

Das Recht auf Familienplanung wird von wenigen Frauen genutzt. Auch wenn der weit überwiegende Teil der afghanischen Frauen Kenntnisse über Verhütungsmethoden hat, nutzen nur etwa 22% (überwiegend in den Städten und gebildeteren Schichten) die entsprechenden Möglichkeiten (AA 5.2018). Ohne Diskriminierung, Gewalt und Nötigung durch die Regierung steht es Paaren frei, ihren Kinderwunsch nach ihrem Zeitplan, Anzahl der Kinder usw. zu verwirklichen. Es sind u.a. die Familie und die Gemeinschaft, die Druck auf Paare zur Reproduktion ausüben (USDOS 3.3.2017). Auch existieren keine Berichte zu Zwangsabtreibungen, unfreiwilliger Sterilisation oder anderen zwangsverabreichten Verhütungsmitteln zur Geburtenkontrolle (USDOS 20.4.2018). Viele Frauen gebären Kinder bereits in sehr jungem Alter (AA 5.2018; vgl. USDOS 3.3.2017).

Orale Empfängnisverhütungsmittel, Intrauterinpessare, injizierbare Verhütungsmethoden und Kondome sind erhältlich; diese werden kostenfrei in öffentlichen Gesundheitskliniken und zu subventionierten Preisen in Privatkliniken und durch Community Health Workers (CHW) zur Verfügung gestellt (USDOS 3.3.2017).

Ehrenmorde

Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt (BFA Staatendokumentation 3.7.2014) und kommen auch weiterhin vor (USDOS 3.3.2017). Laut AIHRC waren von 277 Mordfällen an Frauen im Jahr 2017 136 Eherenmorde (AIHRC 11.3.2018; vgl. Tolonews 11.3.2018).

Afghanische Expert/innen sind der Meinung, dass die Zahl der Mordfälle an Frauen und Mädchen viel höher ist, da sie normalerweise nicht zur Anzeige gebracht werden. Der Grund dafür ist das Misstrauen eines Großteils der afghanischen Bevölkerung in das juristische System (KP 23.3.2016).

Reisefreiheit

Es existieren gewisse Sicherheitsbedenken, wenn Frauen alleine reisen: Manchmal ist es der Vater, der seiner Tochter nicht erlaubt alleine zu reisen und manchmal ist es die Frau selbst, die nicht alleine reisen will. In vielen Firmen, öffentlichen Institutionen sowie NGOs ist die Meinung verbreitet, dass Frauen nicht alleine in die Distrikte reisen sollten und es daher besser sei einen Mann anzustellen. Doch hat sich die Situation wesentlich verbessert. So kann nach eigener Aussage eine NGO-Vertreterin selbst in unsichere Gegenden reisen, solange sie sich dabei an die örtlichen Gegebenheiten hält, also lokale Kleidungsvorschriften einhält (z. B. tragen einer Burqa) und sie die lokale Sprache kennt (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Während früherer Regierungen (vor den Taliban) war das Tragen des Chador bzw. des Hijab nicht verpflichtend - eine Frau konnte auch ohne sie außer Haus gehen, ohne dabei mit negativen Konsequenzen rechnen zu müssen. In der Stadt Mazar-e Sharif wird das Tragen des Hijab heute nicht so streng gehandhabt, wie in den umliegenden Gegenden. Andere Provinzen sind bei diesem Thema viel strenger. In Mazar-e Sharif könnte es in Einzelfällen sogar möglich sein, ganz auf den Hijab zu verzichten, ohne behelligt zu werden. Garantie besteht darauf natürlich keine (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Frauen in Afghanistan ist es zwar nicht verboten Auto zu fahren, dennoch tun dies nur wenige. In unzähligen afghanischen Städten und Dörfern, werden Frauen hinter dem Steuer angefeindet etwa von Gemeindevorständen, Talibansympathisanten oder gar Familienmitgliedern. Viele Eltern unterstützen zwar grundsätzlich die Idee ihren Töchtern das Autofahren zu erlauben, haben jedoch Angst vor öffentlichen Repressalien. Die Hauptstadt Kabul ist landesweit einer der wenigen Orte, wo autofahrende Frauen zu sehen sind. In Kabul sowie in den Städten Mazar-e Sharif, Herat und Jalalabad gibt es einige Fahrschulen; in Kabul sogar mehr als 20 Stück. An ihnen sind sowohl Frauen als auch Männer eingeschrieben. In Kandahar zum Beispiel sind Frauen generell nur selten alleine außer Haus zu sehen - noch seltener als Lenkerin eines Fahrzeugs. Jene, die dennoch fahren, haben verschiedene Strategien um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Manche tragen dabei einen Niqab, um unerkannt zu bleiben (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Weibliche Genitalverstümmelung ist in Afghanistan nicht üblich (AA 5.2018).

Beweis wurde erhoben durch Einvernahmen der Beschwerdeführerin durch Beamte der LPD XXXX am 10.07.2015 sowie durch das BFA, Regionaldirektion OÖ am 14.11.2017, durch Befragung der Beschwerdeführerin, eines Zeugen und ihrer Familienangehörigen im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 12.02.2019 sowie durch Vorhalt des aktuellen Länderinformationsblattes der Staatendokumentation zu Afghanistan durch das Bundesverwaltungsgericht und der Vorlage der oben näher bezeichneten Urkunden.

2. Beweiswürdigung:

Die Länderfeststellungen beruhen auf den in das Verfahren eingebrachten Länderberichten, insbesondere dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, das basierend auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger unbedenklicher Quellen - deren Zugrundelegung von Entscheidungen vom Verwaltungsgerichtshof in Vergangenheit in zahlreichen Fällen bestätigt wurde - einen in den Kernaussagen schlüssigen Überblick über die aktuelle Lage in Afghanistan gewährleistet.

Angesichts der Seriosität der genannten Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zugrunde gelegt werden konnten.

Das Vorbringen der Beschwerdeführerin wird wie folgt gewürdigt:

Das Vorbringen eines Asylwerbers ist dann glaubhaft, wenn es vier Grunderfordernisse erfüllt (diesbezüglich ist auf die Materialien zum Asylgesetz 1991 [RV 270 BlgNR 18. GP; AB 328 BlgNR 18. GP] zu verweisen, die wiederum der VwGH-Judikatur entnommen wurden).

1. Das Vorbringen des Asylwerbers ist genügend substantiiert. Dieses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen.

2. Das Vorbringen muss, um als glaubhaft zu gelten, in sich schlüssig sein. Der Asylwerber darf sich nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen.

3. Das Vorbringen muss plausibel sein, d.h. mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen. Diese Voraussetzung ist u. a. dann nicht erfüllt, wenn die Darlegungen mit den allgemeinen Verhältnissen im Heimatland nicht zu vereinbaren sind oder sonst unmöglich erscheinen und

4. Der Asylwerber muss persönlich glaubwürdig sein. Das wird dann nicht der Fall sein, wenn sein Vorbringen auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt ist, aber auch dann, wenn er wichtige Tatsachen verheimlicht oder bewusst falsch darstellt, im Laufe des Verfahrens das Vorbringen auswechselt oder unbegründet einsilbig und verspätet erstattet oder mangelndes Interesse am Verfahrensablauf zeigt und die nötige Mitwirkung verweigert.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in zahlreichen Erkenntnissen betont, wie wichtig der persönliche Eindruck, den das zur Entscheidung berufene Mitglied der Berufungsbehörde im Rahmen der Berufungsverhandlung von dem Berufungswerber gewinnt, ist (siehe z. B. VwGH vom 24.06.1999, 98/20/0435, VwGH vom 20.05.1999, 98/20/0505, u.v.a.m.).

Vorausgeschickt wird, dass im Asylverfahren das Vorbringen des Asylwerbers als zentrales Entscheidungskriterium herangezogen werden muss (so schon VwGH vom 16.01.1987, Zl. 87/01/0230, VwGH vom 15.03.1989, Zl. 88/01/0339, UBAS vom 12.05.1998, Zahl:

203.037-0/IV/29/98 u.v.a.m.)

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Herkunft, ethnischen und religiösen Zugehörigkeit sowie zu den Aufenthaltsorten, Familienangehörigen, Sprachkenntnissen, der Schulbildung und Berufserfahrung des Beschwerdeführers beruhen auf dessen plausiblen, im Wesentlichen gleichbleibenden Angaben im Laufe des Asylverfahrens. Auch die Feststellungen zur Volljährigkeit, Arbeitsfähigkeit sowie zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin stützen sich auf dessen plausible Angaben.

Die Feststellungen zur Einreise, Antragstellung und dem Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Österreich ergeben sich aus dem Inhalt des Verwaltungsaktes und dem damit in Einklang stehenden Vorbringen der Beschwerdeführerin.

Die Beschwerdeführerin entstammt einer traditionsverbundenen, religiösen Familie aus einem ländlichen Gebiet. Nach den Sitten ihres Landes wurde sie im Alter von 17 Jahren mit einem Verwandten, ohne dass sie gefragt wurde, verehelicht. Sie führte das Leben einer afghanischen Frau, trug die ihr vorgeschriebene Kleidung und hatte "im Haus" zu verbleiben. Die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann verließen im Jahr 1998 Afghanistan, um ihre Kinder vor den Taliban zu schützen, weil diese ihren damals ältesten Sohn (16 Jahre) rekrutierten und töteten. Im Iran hielt sich die Familie illegal auf. Das Leben im Iran erleichterte sich nur scheinbar, einfach nur dadurch, dass sie keinen Hijab tragen musste. Es ist glaubhaft, dass die Beschwerdeführerin im Iran als afghanische Frau diskriminiert wurde, keinen Anschluss an iranische Familien fand und das Leben als schwierig empfand, zumal sich diese Informationen über die Situation von afghanischen Flüchtlingen im Iran deckt.

Betreffend das Privatleben und insbesondere die Integration der Beschwerdeführerin in Österreich wurden deren Angaben in der Beschwerdeverhandlung sowie die vorgelegten Unterlagen den Feststellungen zugrunde gelegt.

In der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hinterließ die Beschwerdeführerin zu ihren Lebensumständen als Frau in Österreich befragt durch ihr Auftreten und die Spontanität ihrer Antworten einen in jeder Hinsicht glaubwürdigen und überzeugenden Eindruck. Durch ihr äußeres Erscheinungsbild, ihr Auftreten und ihre Erzählungen vermittelte die Beschwerdeführerin, dass sie sich der soziokulturellen Problematik der Stellung der Frau in Afghanistan bewusst ist. Aufgrund ihrer Abstammung und ihrer Lebenserfahrung kann sie den Unterschied zwischen ihrem jetzigen Leben und dem in Afghanistan und Iran selbst beurteilen. In diesem Zusammenhang ist ihre Aussage, dass sie ihr jetziges Leben in Österreich schätzt und sie sich ein Leben in Afghanistan unter den zwanghaften gesellschaftlichen Gepflogenheiten für die Frauen nicht mehr vorstellen kann, ein Umstand einer selbstbestimmten Lebensführung und Geisteshaltung. Sie trägt westliche, bunte Kleidung, welche, nach ihren Angaben, ihr das Gefühl gibt, jung zu sein. Sie möchte auch u.a. ihre "verlorene Jugend" nachholen.

Sie geht alleine einkaufen oder erlaubt sich, ihren Mann einkaufen zu schicken. Sie ist stets bemüht die deutsche Sprache besser zu erlernen und nutzt dafür die Angebote in ihrer Unterkunft. Sie erlaubt sich mittlerweile auch einen Mann freundschaftlich umarmen zu können, wie z.B. der Zeuge ausgesagt hat. Sie hat sich einen Freundeskreis aus Österreicherinnen und Österreichern aufgebaut und steht im regen Kontakt mit ihnen. Sie geht mit ihren Freundinnen z. B. regelmäßig frühstücken, die Kinder spielen während die Frauen sich unterhalten. Die Beschwerdeführerin schätzt die gegenseitigen Einladungen zum Kochen und Essen, Dinge, die sie im Iran nie hatte und dort in der Integration vermisste.

Ihr jüngstes Kind nimmt noch eine wichtige Rolle in ihrem Leben ein. Die Beschwerdeführerin hält Kontakt mit den Lehrern ihres Sohnes, um eine reibungslose Integration in den Schulbesuch zu ermöglichen. Sie persönlich möchte sich auch weiterbilden. Sie möchte in das Berufsleben einsteigen und überlegt ob sie in einem Restaurant arbeiten könnte, da sie sehr gut kochen kann. Die Beschwerdeführerin führt in Österreich ein selbstbestimmtes Leben, übernimmt viel Verantwortung für die Familie, verwaltet das Haushaltsbudget und forciert den westlichen Lebensstil ihrer Tochter. Sie berichtet ganz selbstverständlich, dass ihre Tochter die Abendschule besucht und deswegen spät, oft erst gegen 23.00 Uhr nach Hause kommt. Sie gibt auch an, dass sie sich nicht als strenge religiöse Schiitin sieht, im Gegensatz zu ihrem Mann, der, wie er angibt mit seiner Religion noch stark verwurzelt ist. Ihre soziale Umgebung geht über den eigenen Familienkreis hinaus. Ihre österreichischen Kontakte sind ein fixer Bestandteil ihres Lebens geworden. Sie gibt an, dass sie sich mit ihnen wohl fühlt, als ob sie sich schon seit ihrer Kindheit kennen würden.

Die Umstände ihres Alltagslebens in Österreich lassen darauf schließen, dass die Beschwerdeführerin eine selbstbestimmte Lebensführung und Geisteshaltung angenommen hat, und diese ein wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden sind, die sie bei einer Rückkehr nach Afghanistan in einer die dortigen sozialen Normen verletzenden Weise exponieren würden.

Die Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin ergibt sich aus Einsicht in den aktuellen Auszug aus dem Strafregister, wo keine strafrechtliche Verurteilung ausgewiesen ist.

3. Rech

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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