Entscheidungsdatum
06.03.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W159 2184673-1/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.12.2017, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.02.2019, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gem. § 3 Abs. 5 leg. cit. wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin, eine afghanische Staatsangehörige, Angehörige der Volksgruppe der Hazara, schiitischen moslemischen Glaubens und ledig gelangte mit ihren Eltern und zwei Brüdern (spätestens) am 10.07.2015 unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Am nächsten Tag erfolgte die Erstbefragung durch die LPD XXXX, XXXX.
Zu ihren Fluchtgründen führte sie aus, sie hätte mit ihrer Familie illegal im Iran gelebt und seien sie als afghanische Flüchtlinge sehr schlecht behandelt worden. Die Beschwerdeführerin hätte keine Schule besuchen dürfen und hätte Angst gehabt nach Afghanistan abgeschoben zu werden.
In der Niederschrift bei der belangten Behörde gab die Beschwerdeführerin nachgefragt an, sie sei afghanische Staatsangehörige, gehöre der Volksgruppe der Hazara an, sei schiitischen Glaubens und ledig. Sie hätte zwei Schwestern, welche im Iran leben würden, einen Bruder welcher sich in Finnland aufhalten und auf einer Baustelle arbeiten würde sowie zwei Brüder, die hier in Österreich im Familienverband leben würden. Sie hätte vor ihrer Ausreise 17 Jahre in Teheran, Iran gelebt und sei etwa 6 Jahre in eine afghanische Schule gegangen. Sie hätte keinen Beruf gelernt, hätte aber bei Frauenkleidern Perlen und Knöpfe angenäht. Die Familie sei, als die Beschwerdeführerin etwa vier Jahre alt gewesen sei, in den Iran geflüchtet. An ihr Leben in Afghanistan könne sie sich nicht mehr erinnern.
Zu ihren Fluchtgründen befragt gab die Beschwerdeführerin an, dass die Taliban einen Bruder der Beschwerdeführerin getötet hätten. Die Taliban hätten auch ihren Vater geschlagen. Sie sei ein kleines Kind gewesen, als die Eltern sich für die Ausreise entschieden hätten. Ihre Eltern hätten Afghanistan verlassen, weil die Taliban geherrscht hätten, die Sicherheitslage sehr schlecht gewesen sei und sie das Leben der restlichen Familie retten hätten müssen. Im Iran sei der Onkel väterlicherseits nach zwei Jahren nach Afghanistan abgeschoben worden, und sei seitdem verschollen. Im Iran hätte die Familie viele Schwierigkeiten gehabt. Als ihr älterer Bruder erwachsen geworden sei, hätte die Familie Angst gehabt, dass auch er nach Afghanistan abgeschoben werden würde, deswegen sei er nach Finnland geschickt worden. Als ihr zweiter Bruder größer geworden sei, hätte die iranische Regierung in nach Syrien in den Krieg schicken oder nach Afghanistan abschieben wollen. Die Iraner hätten die Familie belästigt und beleidigt. Die Beschwerdeführerin gab an, sie hätten die Situation nicht mehr ertragen und das Land verlassen.
Die belangte Behörde hielt der Beschwerdeführerin vor, dass sie in der Erstbefragung angegeben hätte, ihr wäre der Schulbesuch nicht gestattet gewesen. Nunmehr hätte sie angegeben sie sei etwa sechs Jahre zur Schule gegangen. Die Beschwerdeführerin erklärte, es sei keine richtige Schule, sondern eine Hausschule gewesen, um zu verhindern, dass sie Analphabeten werden würden. Diese Schule sei von den iranischen Behörden geschlossen worden.
Auf die Frage der belangten Behörde, ob die Beschwerdeführerin in Österreich Deutschkurse besucht und Prüfungen abgelegt hätte, antwortete die Beschwerdeführerin, sie hätte für das Rote Kreuz und im Krankenhaus schon gedolmetscht. Sie legte die ÖSD Zertifikate für B1, A2 und A1, eine Kursbesuchsbestätigung zu dem Pflichtschulabschluss-Lehrgang vom 18.11.2017; ein Zertifikat, eine Teilnahmebestätigung des XXXX vom 18.04.2016, die Bestätigung über den Einsatz als Dolmetscherin beim XXXX und in der Hausverwaltung; die Teilnahmebestätigung des A2-Deutschkurses, zwei Teilnahmebestätigungen B1/1 und B1/2-Deutschkurs der XXXX und eine Bestätigung der XXXX vor.
Mit dem im Spruch angeführten Bescheid der belangten Behörde vom 22.12.2017, wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 07.06.2016 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 sowie des eines subsidiär Schutzberechtigten gem. § 8 Abs 1 abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde der Beschwerdeführerin gemäß §§ 57 AsylG nicht erteilt. Die Abschiebung der Beschwerdeführerin gemäß § 46 FPG nach Afghanistan sei zulässig. Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
Nach der Rechtsprechung des VwGH ist bei der Beurteilung betreffend die Zuerkennung vom subsidiären Schutz eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Die reale Gefahr müsse sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohend Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein sowie ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK zu fallen. Der VwGH habe auf die Rechtsprechung des EGMR in jüngst ergangenen Urteilen hingewiesen, wonach die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert sei, dass die Ausweisung dorthin automatisch gegen Art. 3 EMRK verstoßen würde (Ra 2015/01/0134). Der EGMR gehe, auf die Afghanistan-Richtlinien des UNHCR gestützt, davon aus, dass die Übersiedlung in einen anderen Teil Afghanistan zumutbar sei, wenn Schutz durch die eigene Großfamilie, Gemeinschaft oder den Stamm am Zielort verfügbar sei. Alleinstehende Männer und Kleinfamilien sei es unter bestimmten Umständen auch möglich, ohne Unterstützung durch die Familie und Gemeinschaft in städtischen oder halbstädtischen Gebieten mit existenter Infrastruktur und unter effektiver staatlicher Kontrolle zu überleben. Aus den herangezogenen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen ergebe sich zunächst, dass die aktuelle Situation in Afghanistan unverändert weder sicher noch stabil sei, do variiere die Sicherheitslage von Provinz zu Provinz und von Distrikt zu Distrikt. Aus den Feststellungen zur Sicherheitslage in der Provinz und Stadt Kabul, andere Regionen kämen nicht in Betracht, könne nicht abgeleitet werden, dass für jede dort lebende oder dorthin zurückkehrende Person das reale Risiko einer Verletzung der durch Art. 2 und 3 EMRK sowie Protokoll Nr. 6 zur EMRK geschützten Güter mit einer derartigen Wahrscheinlichkeit drohe, dass dies zur Gewährung von subsidiären Schutz führen müsste. Die afghanische Regierung hätte die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren, die Sicherheitsverantwortung sei bei der afghanischen Armee und Polizei und schwere sicherheitsrelevante Zwischenfälle seien deutlich reduziert worden. Kabul sei für Normalbürger, die nicht mit Ausländern zusammenarbeiten eine sichere und gute erreichbare Stadt und sogenannte Gefährdungsquellen seien in reinen Wohngebieten nicht anzunehmen.
Die Beschwerdeführerin hätte keine westliche Lebensweise angenommen, welche ein wesentlicher Bestandteil der Identität geworden sei und einen nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde. Eine innerstaatliche Rückkehr stehe bei afghanischen Frauen dann in Betracht, wenn ihnen ein männliches familiäres Netzwerk im Falle der Rückkehr zur Verfügung stehen würde. Im vorliegenden Fall würde die Beschwerdeführerin von ihrem Vater und ihrem volljährigen Bruder, ihrem minderjährigen Bruder und der Mutter begleitet werden. Die belangte Behörde führte aus, dass keine Bemühungen zur Arbeitssuche erkennbar seien. Es könne insgesamt auch aufgrund der relativ kurzen Aufenthaltsdauer kein über das übliche Maß hinausgehendes Privatleben oder eine berufliche Integration festgestellt werden.
Es sei daher eine Rückkehrentscheidung erlassen und die Abschiebung nach Afghanistan für zulässig befunden worden.
Die Beschwerdeführerin bevollmächtigte am 16.01.2018 die XXXX, zur rechtlichen Vertretung in Asylangelegenheiten.
Am 24.01.2018 langte die fristgerecht eingebrachte Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtwidrigkeit, unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens aufgrund fehlerhafter bzw. unzureichender Ermittlungen und mangelhafter Beweiswürdigung, gegen alle Spruchpunkte ein.
Der Vater der Beschwerdeführerin sei von den Taliban zusammengeschlagen worden, der älteste Bruder entführt und später getötet worden. Die Narben beim Vater der Beschwerdeführerin seien noch heute sichtbar. Die Eltern der Beschwerdeführerin seien mit der Beschwerdeführerin und den beiden Brüdern in den Iran geflohen. Da die Familie keinen legalen Aufenthaltstitel gehabt hätte, hätte die Beschwerdeführerin nicht die offizielle Schule besuchen dürfen. Die Familie sei nunmehr nach Österreich geflüchtet, weil sie befürchtet hätte, dass die Brüder der Beschwerdeführerin in den Krieg nach Syrien abgeschoben werden würden.
Die Eltern der Beschwerdeführerin hätte in der Befragung eindeutig ausgesagt, dass der Vater wegen seines Religionsbekenntnisses und der Volksgruppenzugehörigkeit Probleme mit den Taliban gehabt hätte. Die belangte Behörde hätte einen komplett falschen Sachverhalt der Beweiswürdigung zugrunde gelegt. Es sei auch unlogisch und unwahrscheinlich anzunehmen, dass die Taliban nur den ältesten Sohn der Familie aufgrund seiner Konfession umbringen würden und die restliche Familie verschonen würde. Wahrscheinlicher würde erscheinen, dass der älteste Sohn zwangsrekrutiert worden sei, da er sich für die Taliban im interessanten, wehrfähigen Alter befunden hätte. Detaillierte Ermittlungen seien von der belangten Behörde unterlassen worden. Es sei auch fraglich, ob die auch geflohenen Eltern der Beschwerdeführerin in Kabul überlebensfähig seien. Es werde auf einen Zeitungsbericht des Standards (derstandard.at/2000006313925(Studie-Leben-fuer-alte-Menschen-in Norwegen-am-besten) verwiesen, wonach Afghanistan als Wohnort für alte Menschen von allen untersuchten Ländern den letzten Platz (Platz 96) belegen würde. Es sei die Bewertung in den vier Kategorien: Einkommensicherheit, Freiheit, öffentlicher Personennahverkehr und soziale Beziehungen. Der Vater der Beschwerdeführerin sei ungefähr 65 Jahre alt und es sei unwahrscheinlich, ob er von den anderen geflohenen Familienmitgliedern unterstützt werden würde.
Die belangte Behörde hätte auch unzureichende Länderfeststellungen der Beurteilung zugrunde gelegt. Die Lage in ganz Afghanistan habe sich derart verschlechtert, dass bei Rückführung eine Verletzung der Art. 2 und 3 EMRK bestehen würde wie auch ein Bericht aus dem Standard vom 05.10.2017
(http://derstandard.at/20000065325848/Von-Europa-nach-AfghanistanRueckkehr-in-ein-Land-der-Gewalt). Laut einem Amnesty-Bericht würden die Menschen Gewalt, Verfolgung und Folter erwarten. Afghanistan sei so gefährlich wie lange nicht mehr.
Aufgrund des mangelhaften Ermittlungsverfahrens und der mangelhaften Beweiswürdigung seien unrichtige Feststellungen getroffen worden. Zufolge von Berichten (UNHCR, ACCORD) seien die Hazara besonderer Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt.
Am 12.02.2019 fand eine Verhandlung am Bundesverwaltungsgericht statt, an welcher die Beschwerdeführerin und die Familienglieder (Vater, Mutter, volljähriger Bruder, mj. Bruder) als Beschwerdeführer und Beschwerdeführerin, ein Rechtsvertreter, ein Zeuge und eine Dolmetscherin teilnahmen. Am 29.01.2018 teilte die belangte Behörde mit, dass sie auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung verzichte.
Der Zeuge, ein österreichischer Staatsbürger wurde nach Wahrheitserinnerung und Belehrung über die Entschlagungsgründe befragt. Er gab an, dass die erwachsenen Kinder, insbesondere die Beschwerdeführerin, von Anfang an sehr um ihre Integration bemüht gewesen seien. Es war von Anfang an erkennbar, dass sie die Chance, die sie in Österreich haben auch nützen würde. Sie hätte sehr schnell einen Deutschkurs absolviert um die Aufnahme für den Kurs zur Ablegung des Pflichtschulabschlusses zu erreichen. Er würde die Beschwerdeführerin als eine "westlich orientierte" Frau bezeichnen. Sie sei sehr selbstständig, oft alleine unterwegs. Sie besuche zurzeit das Abendgymnasium in XXXX. Die Beschwerdeführerin und der Zeuge würden regelmäßig Kontakt via Messenger haben. Er würde mit der ganzen Familie befreundet sein.
Die Mutter der Beschwerdeführerin würde der Zeuge, unter Rücksichtnahme auf ihr Alter und ihre Herkunft als modern denkende Frau bezeichnen. Sie würde betonen, dass sie den Lebensstil in Europa schätze, und gewähre ihren Kindern alle Freiheiten. Wenn der Zeuge zu Besuch komme, würde sie auch ihn umarmen. Die Mutter übernehme viel Verantwortung für die Familie, verwalte das Haushaltsbudget und würde sich auch regelmäßig in Begleitung der erwachsenen Kinder in den Schulen, nach dem jüngeren Bruder der Beschwerdeführerin, erkundigen.
Der Richter setzte die Verhandlung mit der Befragung der Beschwerdeführerin fort. Anmerkung: Die Beschwerdeführerin erschien westlich gekleidet, mit langen offenen, schwarzen Haaren, Lippenstift und lackierten Fingernägeln, Jeans und Bluse.
Die Beschwerdeführerin brachte vor, ihr Vorbringen und ihre Beschwerde aufrechtzuerhalten. Sie sei afghanische Staatsangehörige, der Volksgruppe der Hazara zugehörig und schiitischen Glaubens. Sie hätte etwa bis zu ihrem vierten Lebensjahr in Afghanistan gelebt und sei danach mit ihren Eltern und Geschwistern in den Iran, nach Teheran gezogen. Seither sei sie nicht mehr in Afghanistan gewesen. In Teheran hätte sie etwa sechs Jahre eine afghanische, keine öffentliche iranische, Schule besucht. Der iranische Staat hätte diese Schule geschlossen. Ihr Schulbesuch sei somit beendet gewesen. Danach hätte sie gelegentlich ihrer Mutter bei Stickereiarbeiten geholfen. Da sie in Afghanistan noch ein Kind gewesen sei, hätte sie persönlich keine Probleme mit staatlichen Organen oder bewaffneten Gruppierungen oder Privatpersonen gehabt. Aus Erzählungen der Eltern wisse sie, dass 1998 die Taliban in Afghanistan, ihren Bruder mitgenommen und getötet hätten. Sie persönlich könne sich an das Leben in Afghanistan nicht mehr erinnern. Das Leben im Iran sei sehr schwierig gewesen. Sie seien von den Iranern diskriminiert worden. Die Afghanen seien behandelt worden, als ob sie ein Verbrechen begangen hätten. Sie hätten nicht lernen, arbeiten oder ein freies Leben führen dürfen. Die Beschwerdeführerin gab an, sie seien vom Iran geflohen, weil Afghanen unter Zwang in den Krieg nach Syrien geschickt oder nach Afghanistan abgeschoben worden wären. Beides hätte den sicheren Tod bedeutet.
Die Beschwerdeführerin antwortete auf die Frage des Richters, was sie in Österreich zurzeit mache, spontan, auf Deutsch: "Ich besuche gerade das Abendgymnasium in XXXX. Das zweite Semester ist schon fertig. Am 26.2.2019 beginne ich mit dem dritten Semester. Dann gehe ich normalerweise ins Fitnessstudio." Sie hätte Deutschkurse bis zum Niveau B2 sowie den Pflichtschulabschluss absolviert und beim XXXX als Dolmetscherin freiwillig gearbeitet. Die Beschwerdeführerin führte weiter in deutscher Sprache aus: "Ja, ich bin beim Verein XXXX. Wir sind im Bereich des "Zusammenhaltes" der Bevölkerung tätig. Es geht um die Integration von Ausländern, aber die meisten Mitglieder sind Österreicher. Beim XXXX bin ich manchmal als Dolmetscherin tätig." Sie hätte viele österreichische Freunde, aber keine feste Beziehung zu einem Österreicher. Sie werde sich ihren Partner sicherlich selbst aussuchen.
Die Beschwerdeführerin gab an, im Iran hätte man das machen müssen, was der Staat befohlen hätte, also einen Hijab tragen müssen. Sie hätten sich im Iran nicht wohlgefühlt, weil sie diskriminiert worden wären. Hier in Österreich würden sie sich sehr wohl fühlen. Sie würden sich mit den österreichischen Freundinnen und Freunden gegenseitig besuchen und sich gegenseitig zum Essen einladen. Sie würden gemeinsam ins Kino oder in den Park gehen. Im Iran sei das nicht möglich gewesen. Die Beschwerdeführerin legte zahlreiche Fotos vor. Diese zeigen zum Beispiel den Vater bei der Arbeit im Garten, die Beschwerdeführerin beim Spielen beim Verein XXXX, den jüngeren Bruder der Beschwerdeführerin mit Freunden im Schwimmbad bzw. mit seiner Lehrerin, die Familie gemeinsam mit Österreicherinnen und Österreichern beim Essen, die Geburtstagsfeier des jüngsten Familienmitglieds mit österreichischen FreundInnen, den älteren Bruder der Beschwerdeführerin mit einem österreichischen Freund sowie als Saisonarbeiter auf einem Gurkenfeld, die Beschwerdeführerin mit Freunden und Kollegen, älteren Bruder im Schwimmbad, die Mutter mit ÖsterreicherInnen, die Beschwerdeführerin im Fitnessstudio sowie Schulfotos des jüngsten Familienmitgliedes.
Die Beschwerdeführerin antwortete dem Richter auf die Frage, was sie in ihrer Freizeit unternehme: "Ich besuche meine Freunde und gehe ins Fitnessstudio oder in die Bibliothek, um zu lernen. Manchmal gehe ich auch laufen und Fahrrad fahren. Das habe ich in Österreich gelernt." Im Sommer würde sie auch im Bikini schwimmen gehen. Sollte sie einmal Mutter eines Mädchens werden, dürfte das Mädchen das tun, was es gern machen möchte. Sie solle niemandem einen Schaden zufügen, aber auch nicht sich selbst. Sie solle eine Ausbildung machen und später berufstätig sein. Sie dürfe sich auch ihren Partner selbst aussuchen. Die Beschwerdeführerin sehe sich nicht als streng religiöse Schiitin, sie sei eher offen. Sie wolle das Gymnasium abschließen und dann im medizinischen Bereich studieren, vielleicht Zahnmedizin. Sie würde noch vier Jahre bis zur Matura benötigen. Sie sehe sich als gut integriert, sei oft mit ÖsterreicherInnen unterwegs und habe auch sehr viel gelernt. Sie lebe nach wie vor gemeinsam mit ihren Eltern und Geschwistern, weil sie schon immer zusammengelebt hätten. Ihr jüngerer Bruder brauche Unterstützung und sie würde mit ihm lernen. Sie würde auch ihre Eltern zum Arzt begleiten. Auf die Frage des Richters was würde mit ihr geschehen, wenn sie nach Afghanistan zurückkehren würde, meinte sie: "Ich kann mir das gar nicht vorstellen. Wenn ich nach Afghanistan zurückzukehre, würde ich bestimmt getötet werden. Ich habe mich hier eingelebt. In Afghanistan kann ich nicht selbst die Entscheidung treffen, wen ich heiraten soll. Ich kann mich dort nicht frei in einer Gasse bewegen. Unter Zwang muss ich - wie dort üblich - einen Hijab tragen und ich muss 24 Stunden zu Hause sitzen." Sie könnte auf keinen Fall das Leben, welches sie in Österreich führe, in Afghanistan fortführen. Sie würde Afghanistan nicht selbst kennen, da sie es als kleines Kind verlassen hätte. In den Medien und sozialen Netzwerken würde sie sehen, dass den Mädchen nichts gestattet sei, sie dürften nichts lernen. Von den Taliban und den anderen bewaffneten Gruppierungen, die Vorurteile haben, werde man belästigt. Ihre Eltern würden sicher gut zu ihr sein, sie müsste vielleicht, durch den Zwang von anderen, einen älteren Mann heiraten. Sie hätte sich in den drei Jahren, in welchen sie hier wäre weiterentwickelt, mehr als in den 17 Jahren im Iran.
Anmerkung: Die Beschwerdeführerin beantwortete viele Fragen, insbesondere zur Integration, bereits spontan und in gutem Deutsch.
Der verlesene Strafregisterauszug zeigt keine Verurteilung der Beschwerdeführerin.
In der Stellungnahme vom 05.02.2019 wurde auf die Verfolgungssituation der Frauen in Afghanistan verwiesen. Die Frauen in Afghanistan hätten keine Grundrechte und würden sowohl unter gesellschaftlichen als auch staatlichem Druck stehen, weil sie der sozialen Gruppe der Frauen angehören würden. Im Falle einer Rückkehr würde es zu einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK kommen. Keine Frau und kein Mädchen, die ein eigenständiges Leben wolle, ihre eigenen Entscheidungen treffe, die über ihre sexuelle Selbstbestimmung verfüge, die als gleichberechtigter Mensch behandelt werden wolle, sei ein Leben in Afghanistan zumutbar. Dies würde in zahlreichen Berichten belegt werden. Die vorherrschenden konservativ-islamischen Ansichten zur Rolle der Frauen zeige sowohl massive Einschnitte in die Freiheit als auch Gefahren im Falle der Übertretung der konventionellen Normen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Zur Person der Beschwerdeführerin wird folgendes festgestellt:
1.1. Die Beschwerdeführerin ist Staatsbürgerin von Afghanistan, der Volksgruppe der Hazara zugehörig und schiitischen Glaubens. Sie ist am 10.07.2015 in das Bundesgebiet eingereist und hat gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
Sie verließ Afghanistan mit etwa vier Jahren und lebte 17 Jahre mit ihren Eltern und ihren zwei Brüdern im Iran. Sie spricht Dari, hat 6 Jahre eine afghanische Hausschule besucht und unterstützte die Mutter im Haushalt und bei der Heimarbeit im Iran. Die Familie hat den Iran aus Angst verlassen, da der volljährige Bruder und eventuell später der mj. Bruder in den Krieg nach Syrien geschickt bzw. nach Afghanistan abgeschoben werden sollten. Es besteht ein enger familiärer Zusammenhalt, alle Familienmitglieder leben in einem Haushalt.
Die Beschwerdeführerin ist westlich orientiert: Sie ist westlich gekleidet. Sie verschleiert sich nicht und tritt geschminkt in der Öffentlichkeit auf. Zur Verhandlung erschien sie in Jeans und Bluse, mit langen offenen schwarzen Haaren, Lippenstift und lackierten Fingernägel.
Die Beschwerdeführerin absolvierte alle Deutsch- und Integrationskurse bis zum Niveau B2 und den Pflichtschulabschluss. Sie besucht zurzeit das Abendgymnasium in XXXX, welches sie abschließen möchte und weswegen sie oft erst um 23 Uhr nach Hause kommt. Danach möchte sie sich im medizinischen Bereich weiterbilden und wenn möglich Zahnmedizin, studieren.
Die Beschwerdeführerin arbeitete freiwillig beim XXXX als Dolmetscherin und ist Mitglied beim Verein XXXX. Dieser Verein ist u. a. im Bereich der Integration von Ausländern in Österreich tätig. Die meisten Mitglieder dieses Vereins sind Österreicher.
Die Beschwerdeführerin hat österreichische Freundinnen und Freunde, mit welchen sie ihre Freizeit verbringt. Sie geht alleine in das Fitnessstudio, geht laufen, fährt Fahrrad oder besucht die Bibliothek, um zu lernen. Im Sommer geht sie auch im Bikini schwimmen. Sie wird sich ihren Lebenspartner selbst wählen. Sie möchte, sollte sie einmal Mutter von einem Mädchen werden, dieses im westlichen Stil erziehen.
Die Beschwerdeführerin kann sich ein Leben in Afghanistan nicht mehr vorstellen, denn sie kann das Leben, welches sie in Österreich führt, in Afghanistan nicht fortführen. Die Beschwerdeführerin beantwortete viele Fragen, insbesondere zur Integration, bereits spontan und in gutem Deutsch.
Zu Afghanistan wird verfahrensbezogen folgendes festgestellt:
Frauen
Die Lage afghanischer Frauen hat sich in den letzten 15 Jahren zwar insgesamt ein wenig verbessert, jedoch nicht so sehr wie erhofft. Wenngleich es in den unterschiedlichen Bereichen viele Fortschritte gab, bedarf die Lage afghanischer Frauen spezieller Beachtung. Die afghanische Regierung ist bemüht, die Errungenschaften der letzten eineinhalb Jahrzehnte zu verfestigen - eine Institutionalisierung der Gleichberechtigung von Frauen in Afghanistan wird als wichtig für Stabilität und Entwicklung betrachtet (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. UNAMA/OHCHR 5.2018). In einigen Bereichen hat der Fortschritt für Frauen stagniert, was großteils aus der Talibanzeit stammenden, unnachgiebigen konservativen Einstellungen ihnen gegenüber geschuldet ist (BFA Staatendokumentation 4.2018). Viel hat sich seit dem Ende des Talibanregimes geändert: Frauen haben das verfassungsmäßige Recht an politischen Vorgängen teilzunehmen, sie streben nach Bildung und viele gehen einer Erwerbstätigkeit nach (TET 15.3.2018). Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (MPI 27.1.2004). In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser Rechte (AA 5.2018; vgl. UNAMA/OHCHR 5.2018). Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018). Traditionell diskriminierende Praktiken gegen Frauen existieren insbesondere in ländlichen und abgelegenen Regionen weiter (AA 5.2018).
Bildung
Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt (BFA Staatendokumentation 3.7.2014). Laut Verfassung haben alle afghanischen Staatsbürger/innen das Recht auf Bildung (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Öffentliche Kindergärten und Schulen sind bis zur Hochschulebene kostenlos. Private Bildungseinrichtungen und Universitäten sind kostenpflichtig. Aufgeschlossene und gebildete Afghanen, welche die finanziellen Mittel haben, schicken ihre Familien ins Ausland, damit sie dort leben und eine Ausbildung genießen können (z.B. in die Türkei); während die Familienväter oftmals in Afghanistan zurückbleiben (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Eine der Herausforderungen für alle in Afghanistan tätigen Organisationen ist der Zugang zu jenen Gegenden, die außerhalb der Reichweite öffentlicher Bildung liegen. Der Bildungsstand der Kinder in solchen Gegenden ist unbekannt und Regierungsprogramme sind für sie unzugänglich; speziell, wenn die einzigen verfügbaren Bildungsstätten Madrassen sind (BFA Staatendokumentation 4.2018).
In den Jahren 2016 und 2017 wurden durch den United Nations Children's Fund (UNICEF) mit Unterstützung der United States Agency for International Development (USAID) landesweit 4.055 Dorfschulen errichtet - damit kann die Bildung von mehr als 119.000 Kindern in ländlichen Gebieten sichergestellt werden, darunter mehr als 58.000 Mädchen. Weitere 2.437 Ausbildungszentren in Afghanistan wurden mit Unterstützung von USAID errichtet, etwa für Personen, die ihre Ausbildung in frühen Bildungsjahren unterbrechen mussten. Mehr als 49.000 Student/innen sind in diesen Ausbildungszentren eingeschrieben (davon mehr als 23.000 Mädchen). USAID hat mehr als 154.000 Lehrer ausgebildet (davon mehr als 54.000 Lehrerinnen) sowie 17.000 Schuldirektoren bzw. Schulverwalter (mehr als 3.000 davon Frauen) (USAID 10.10.2017).
Sowohl Männer als auch Frauen schließen Hochschulstudien ab - derzeit sind etwa 300.000 Student/innen an afghanischen Hochschulen eingeschrieben - darunter 100.000 Frauen (USAID 10.10.2017).
Dem afghanischen Statistikbüro (CSO) zufolge gab es im Zeitraum 2016-2017 in den landesweit 16.049 Schulen, insgesamt 8.868.122 Schüler, davon waren 3.418.877 weiblich. Diese Zahlen beziehen sich auf Schüler/innen der Volks- und Mittelschulen, Abendschulen, Berufsschulen, Lehrerausbildungszentren sowie Religionsschulen. Im Vergleich mit den Zahlen aus dem Zeitraum 2015-2016 hat sich die Anzahl der Studentinnen um 5,8% verringert (CSO 2017). Die Gesamtzahl der Lehrer für den Zeitraum 2016-2017 betrug 197.160, davon waren 64.271 Frauen. Insgesamt existieren neun medizinische Fakultäten, an diesen sind 342.043 Studierende eingeschrieben, davon
77.909 weiblich. Verglichen mit dem Zeitraum 2015-2016 hat sich die Anzahl der Frauen um 18.7% erhöht (CSO 2017).
Im Mai 2016 eröffnete in Kabul die erste Privatuniversität für Frauen im Moraa Educational Complex, mit dazugehörendem Kindergarten und Schule für Kinder der Studentinnen. Die Universität bietet unter anderem Lehrveranstaltungen für Medizin, Geburtshilfe etc. an. (TE 13.8.2016; vgl. MORAA 31.5.2016). Im Jahr 2017 wurde ein Programm ins Leben gerufen, bei dem 70 Mädchen aus Waisenhäusern in Afghanistan, die Gelegenheit bekommen ihre höhere Bildung an der Moraa Universität genießen zu können (Tolonews 17.8.2017).
Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für "Frauen- und Genderstudies" (KP 18.10.2015; vgl. UNDP 10.7.2016). Im Jahr 2017 haben die ersten Absolvent/innen des Masterprogramms den Lehrgang abgeschlossen: 15 Frauen und sieben Männer, haben sich in ihrem Studium zu Aspekten der Geschlechtergleichstellung und Frauenrechte ausbilden lassen; dazu zählen Bereiche wie der Rechtsschutz, die Rolle von Frauen bei der Armutsbekämpfung, Konfliktschlichtung etc. (UNDP 7.11.2017).
Berufstätigkeit
Berufstätige Frauen sind oft Ziel von sexueller Belästigung durch ihre männlichen Kollegen. Die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen variiert je nach Region und ethnischer bzw. Stammeszugehörigkeit (AA 5.2018). Aus einer Umfrage der Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 geht hervor, dass die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen außerhalb des Hauses unter den Hazara 82,5% beträgt und am höchsten ist. Es folgen die Usbeken (77,2%), die Tadschiken (75,5%) und die Paschtunen (63,4%). In der zentralen Region bzw. Hazarajat tragen 52,6% der Frauen zum Haushaltseinkommen bei, während es im Südwesten nur 12% sind. Insgesamt sind 72,4% der befragten Afghanen und Afghaninnen der Meinung, dass Frauen außerhalb ihres Hauses arbeiten sollen (AF 11.2017). Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig erhöht und betrug im Jahr 2016 19%. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung (UNW o. D.).
Nichtsdestotrotz arbeiten viele afghanische Frauen grundlegend an der Veränderung patriarchaler Einstellungen mit. Viele von ihnen partizipieren an der afghanischen Zivilgesellschaft oder arbeiten im Dienstleistungssektor. Aber noch immer halten soziale und wirtschaftliche Hindernisse (Unsicherheit, hartnäckige soziale Normen, Analphabetismus, fehlende Arbeitsmöglichkeiten und mangelnder Zugang zu Märkten) viele afghanische Frauen davon ab, ihr volles Potential auszuschöpfen (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Die Einstellung gegenüber der Berufstätigkeit von Frauen hat sich in Afghanistan in den letzten Jahren geändert; dies hängt auch mit den NGOs und den privaten Firmen zusammen, die in Afghanistan aktiv sind. Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. Davor war der Widerstand gegen arbeitende Frauen groß und wurde damit begründet, dass ein Arbeitsplatz ein schlechtes Umfeld für Frauen darstelle, etc. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent und afghanische Frauen sehen sich immer noch Hindernissen ausgesetzt, wenn es um Arbeit außerhalb ihres Heimes geht. Im ländlichen Afghanistan gehen viele Frauen, aus Furcht vor sozialer Ächtung, keiner Arbeit außerhalb des Hauses nach (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Das Gesetz sieht zwar die Gleichstellung von Mann und Frau im Beruf vor, jedoch beinhaltet es keine egalitären Zahlungsvorschriften bei gleicher Arbeit. Das Gesetz kriminalisiert Eingriffe in das Recht auf Arbeit der Frauen; dennoch werden diese beim Zugang zu Beschäftigung und Anstellungsbedingungen diskriminiert (USDOS 20.4.2018).
Dennoch hat in Afghanistan aufgrund vieler Sensibilisierungsprogramme sowie Projekte zu Kapazitätsaufbau und Geschlechtergleichheit ein landesweiter Wandel stattgefunden, wie Frauen ihre Rolle in- und außerhalb des Hauses sehen. Immer mehr Frauen werden sich ihrer Möglichkeiten und Chancen bewusst. Sie beginnen auch wirtschaftliche Macht zu erlangen, indem eine wachsende Zahl Teil der Erwerbsbevölkerung wird - in den Städten mehr als in den ländlichen Gebieten. Frauen als Ernährerinnen mit Verantwortung für die gesamte Familie während ihr Mann arbeitslos ist, sind keine Seltenheit mehr. Mittlerweile existieren in Afghanistan oft mehr Arbeitsmöglichkeiten für Frauen als für Männer, da Arbeitsstellen für letztere oftmals schon besetzt sind. In und um Kabul eröffnen laufend neue Restaurants, die entweder von Frauen geführt werden oder in ihrem Besitz sind. Der Dienstleistungssektor ist zwar von Männern dominiert, dennoch arbeitet eine kleine, aber nicht unwesentliche Anzahl afghanischer Frauen in diesem Sektor und erledigt damit Arbeiten, die bis vor zehn Jahren für Frauen noch als unangebracht angesehen wurden (und teilweise heute noch werden). Auch soll die Anzahl der Mitarbeiterinnen im Finanzsektor erhöht werden. In Kabul zum Beispiel eröffnete im Sommer 2017 eine Filiale der First MicroFinance Bank, Afghanistan (FMFB-A), die nur für Frauen gedacht ist und nur von diesen betrieben wird. Diese Initiative soll es Frauen ermöglichen, ihre Finanzen in einer sicheren und fördernden Umgebung zu verwalten, um soziale und kulturelle Hindernisse, die ihrem wirtschaftlichen Empowerment im Wege stehen, zu überwinden. Geplant sind zwei weitere Filialen in Mazar-e Sharif bis 2019. In Kabul gibt es eine weitere Bank, die - ausschließlich von Frauen betrieben - hauptsächlich für Frauen da ist (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Eine Position in der Öffentlichkeit ist für Frauen in Afghanistan noch immer keine Selbstverständlichkeit. Dass etwa der afghanische Präsident dies seiner Ehefrau zugesteht, ist Zeichen des Fortschritts. Frauen in öffentlichen bzw. semi-öffentlichen Positionen sehen sich deshalb durchaus in einer gewissen Vorbildfunktion. So polarisiert die Talent-Show "Afghan Star" zwar einerseits das Land wegen ihrer weiblichen Teilnehmer und für viele Familien ist es inakzeptabel, ihre Töchter vor den Augen der Öffentlichkeit singen oder tanzen zu lassen. Dennoch gehört die Sendung zu den populärsten des Landes (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Politische Partizipation und Öffentlichkeit
Die politische Partizipation von Frauen ist rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; die Hälfte davon ist gemäß Verfassung für Frauen bestimmt (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018). Zurzeit sind 18 Senatorinnen in der Meshrano Jirga vertreten. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert; derzeit sind 67 Frauen Mitglied des Unterhauses. Das per Präsidialdekret erlassene Wahlgesetz sieht eine Frauenquote von min. 25% in den Provinzräten vor. Zudem sind min. zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Indpendent Electoral Commission, IEC) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung veröffentlichte im Jänner 2018 einen Strategieplan zur Erhöhung des Frauenanteils im öffentlichen Dienst um 2% für das Jahr 2018 (AA 5.2018). Drei Afghaninnen sind zu Botschafterinnen ernannt worden (UNW o.D.). Im Winter 2017 wurde mit Khojesta Fana Ebrahimkhel eine weitere Frau zur afghanischen Botschafterin (in Österreich) ernannt (APA 5.12.2017). Dennoch sehen sich Frauen, die in Regierungspositionen und in der Politik aktiv sind, weiterhin mit Bedrohungen und Gewalt konfrontiert und sind Ziele von Angriffen der Taliban und anderer aufständischer Gruppen. Traditionelle gesellschaftliche Praktiken schränken die Teilnahme der Frauen am politischen Geschehen und Aktivitäten außerhalb des Hauses und der Gemeinschaft weiterhin ein. Der Bedarf einer männlichen Begleitung bzw. einer Arbeitserlaubnis ist weiterhin gängig. Diese Faktoren sowie ein Mangel an Bildung und Arbeitserfahrung haben wahrscheinlich zu einer männlich dominierten Zusammensetzung der Zentralregierung beigetragen (USDOS 20.4.2018).
Informationen zu Frauen in NGOs, den Medien und den afghanischen Sicherheitskräften können den Kapiteln 8. "NGOs und Menschenrechtsaktivisten", 11. "Meinungs- und Pressefreiheit" und 5. "Sicherheitsbehörden" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.
Strafverfolgung und rechtliche Unterstützung
Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte (AA 5.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten und auch gewisser vom Islam vorgegebener, Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich (AA 5.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder auf Grund tradierter Wertevorstellungen nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Beschränkung der Bewegungsfreiheit (AA 9.2016).
Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen (AA 5.2018). Andere Frauen, die nicht zu ihren Familien zurückkehren können, erhalten in einigen Fällen Unterstützung vom Ministerium für Frauenangelegenheiten und Nichtregierungsinstitutionen, indem Ehen für diese arrangiert werden (USDOS 20.4.2018). Eine erhöhte Sensibilisierung seitens der afghanischen Polizei und Justiz führt zu einer sich langsam, aber stetig verbessernden Lage der Frauen in Afghanistan. Insbesondere die Schaffung von auf Frauen spezialisierte Staatsanwaltschaften in einigen Provinzen hatte positive Auswirkungen (AA 9.2016). Um Frauen und Kindern, die Opfer von häuslicher Gewalt wurden, beizustehen, hat das Innenministerium (MoI) landesweit Family Response Units (FRU) eingerichtet. Die FRU sind mit Fachleuten wie Psychologen und Sozialarbeitern besetzt, welche die Opfer befragen und aufklären und ihre physische sowie psychische medizinische Behandlung nachverfolgen. Im Jahr 2017 existierten 208 FRU im Land (USDOD 12.2017).
EVAW-Gesetz
Das Law on Elimination of Violence against Women (EVAW-Gesetz) wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen - inklusive der weit verbreiteten häuslichen Gewalt (AA 5.2018). Das EVAW-Gesetz ist nach wie vor in seiner Form als eigenständiges Gesetz gültig (Pajhwok 11.11.2017; vgl. UNN 22.2.2018); und bietet rechtlichen Schutz für Frauen (UNAMA 22.2.2018).
Das EVAW-Gesetz definiert fünf schwere Straftaten gegen Frauen:
Vergewaltigung, Zwangsprostitution, die Bekanntgabe der Identität eines Opfers, Verbrennung oder Verwendung von chemischen Substanzen und erzwungene Selbstverbrennung oder erzwungener Selbstmord. Dem EVAW-Gesetz zufolge muss der Staat genannte Verbrechen untersuchen und verfolgen, auch, wenn die Frau die Beschwerde nicht einreichen kann bzw. diese zurückzieht. Dieselben Taten werden auch im neuen afghanischen Strafgesetzbuch kriminalisiert (UNAMA/OHCHR 5.2018). Das EVAW-Gesetz wird jedoch weiterhin nur unzureichend umgesetzt. Frauen können sich grundsätzlich, abgesehen von großen Städten wie Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif nicht ohne einen männlichen Begleiter in der Öffentlichkeit bewegen. Es gelten strenge soziale Anforderungen an ihr äußeres Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit, deren Einhaltung sie jedoch nicht zuverlässig vor sexueller Belästigung schützt (AA 5.2018).
Frauenhäuser
Nichtregierungsorganisation in Afghanistan betreiben etwa 40 Frauenhäuser, zu denen auch Rechtsschutzbüros und andere Einrichtungen für Frauen, die vor Gewalt fliehen, zählen. Alle Einrichtungen sind auf Spenden internationaler Gruppen angewiesen - diese Einrichtungen werden zwar im Einklang mit dem afghanischen Gesetz betrieben, stehen aber im Widerspruch zur patriarchalen Kultur in Afghanistan. Oftmals versuchen Väter ihre Töchter aus den Frauenhäusern zu holen und sie in Beziehungen zurückzudrängen, aus denen sie geflohen sind, oder Ehen mit älteren Männern oder den Vergewaltigern zu arrangieren (NYT 17.3.2018). Die EVAW-Institutionen und andere Einrichtungen, die Gewaltmeldungen annehmen und für die Schlichtung zuständig sind, bringen die Gewaltopfer während des Verfahrens oft in Schutzhäuser (z. B. Frauenhäuser) (UNAMA/OHCHR 5.2018).
Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigung oder Zwangsehe sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft für die Notlage (mit-)verantwortlich ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre (AA 5.2018). Die Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für unmoralische Handlungen und die Frauen in Wahrheit Prostituierte (AA 5.2018; vgl. NYT 17.3.2018). Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden. Das Schicksal von Frauen, die auf Dauer weder zu ihren Familien noch zu ihren Ehemännern zurückkehren können, ist bisher ohne Perspektive. Für diese erste "Generation" von Frauen, die sich seit Ende der Taliban-Herrschaft in
den Schutzeinrichtungen eingefunden haben, hat man in Afghanistan bisher keine Lösung gefunden. Generell ist in Afghanistan das Prinzip eines individuellen Lebens weitgehend unbekannt. Auch unverheiratete Erwachsene leben in der Regel im Familienverband. Für Frauen ist ein alleinstehendes Leben außerhalb des Familienverbandes kaum möglich und wird gemeinhin als unvorstellbar oder gänzlich unbekannt beschrieben (AA 5.2018). Die EVAW-Institutionen konsultieren in der Regel die Familie und das Opfer, bevor sie es in ein Frauenhaus bringen (UNAMA/OHCHR 5.2018).
Gewalt gegen Frauen: Vergewaltigung, Ehrenverbrechen und Zwangsverheiratung
Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet und kaum dokumentiert. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzung und Misshandlung über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigung und Mord (AA 5.2018). Zu geschlechtsspezifischer und sexueller Gewalt zählen außerdem noch die Praxis der badal-Hochzeiten (Frauen und Mädchen, die im Rahmen von Heiratsabmachungen zwischen Familien getauscht werden, Anm.) bzw. des ba'ad (Mädchen, die zur Konfliktlösung abgegeben werden, Anm.) (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. TD 4.12.2017). Dem Bericht der AIHRC zufolge wurden für das Jahr 2017 4.340 Fälle von Gewalt gegen Frauen registriert. Die Anzahl der gemeldeten Gewaltvorfälle und der Gewaltopfer steigt (AIHRC 11.3.2018).
Soziale Medien in Afghanistan haben Frauen und Mädchen neue Möglichkeiten eröffnet, um ihr Schicksal zu teilen. In den Medien ist der Kampf afghanischer Frauen, Mädchen und Buben gegen geschlechtsspezifische und sexuelle Gewalt in all ihren Formen tiefgründig dokumentiert. Die afghanische Regierung hat anerkannt, dass geschlechtsspezifische Gewalt ein Problem ist und eliminiert werden muss. Das soll mit Mitteln der Rechtsstaatlichkeit und angemessenen Vollzugsmechanismen geschehen. Zu diesen zählen das in Afghanistan eingeführte EVAW-Gesetz zur Eliminierung von Gewalt an Frauen, die Errichtung der EVAW-Kommission auf nationaler und lokaler Ebene und die EVAW-Strafverfolgungseinheiten. Auch wurden Schutzzentren für Frauen errichtet und die Rekrutierung von Frauen in der Polizei verstärkt. Mittlerweile existieren für Frauen 205 Spezialeinsatzeinheiten, die hauptsächlich von weiblichen Mitarbeiterinnen der afghanischen Nationalpolizei geleitet werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Legales Heiratsalter:
Das Zivilgesetz Afghanistans definiert für Mädchen 16 Jahre (15 Jahre, wenn dies von einem Elternteil bzw. einem Vormund und dem Gericht erlaubt wird) und für Burschen 18 Jahre als das legale Mindestalter für Vermählungen (USDOS 20.4.2018; vgl. AA 5.2018). Dem Gesetz zufolge muss vor dem Ehevertrag das Alter der Braut festgestellt werden. Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung besitzt Geburtsurkunden. Quellen zufolge ist die frühe Heirat weiterhin verbreitet. Gemäß dem EVAW-Gesetz werden Personen, die Zwangsehen bzw. Frühverheiratung arrangieren, für mindestens zwei Jahre inhaftiert; dennoch hält sich die Umsetzung dieses Gesetzes in Grenzen (USDOS 20.4.2018). Im Rahmen von Traditionen geben arme Familien ihre Mädchen im Gegenzug für "Brautgeld" zur Heirat frei, wenngleich diese Praxis in Afghanistan illegal ist. Lokalen NGOs zufolge, werden manche Mädchen im Alter von sechs oder sieben Jahren zur Heirat versprochen - unter der Voraussetzung, die Ehe würde bis zum Erreichen der Pubertät nicht stattfinden. Berichte deuten an, dass diese "Aufschiebung" eher selten eingehalten wird. Medienberichten zufolge existiert auch das sogenannte "Opium-Braut-Phänomen", dabei verheiraten Bauern ihre Töchter, um Schulden bei Drogenschmugglern zu begleichen (USDOS 3.3.2017).
Familienplanung und Verhütung
Das Recht auf Familienplanung wird von wenigen Frauen genutzt. Auch wenn der weit überwiegende Teil der afghanischen Frauen Kenntnisse über Verhütungsmethoden hat, nutzen nur etwa 22% (überwiegend in den Städten und gebildeteren Schichten) die entsprechenden Möglichkeiten (AA 5.2018). Ohne Diskriminierung, Gewalt und Nötigung durch die Regierung steht es Paaren frei, ihren Kinderwunsch nach ihrem Zeitplan, Anzahl der Kinder usw. zu verwirklichen. Es sind u.a. die Familie und die Gemeinschaft, die Druck auf Paare zur Reproduktion ausüben (USDOS 3.3.2017). Auch existieren keine Berichte zu Zwangsabtreibungen, unfreiwilliger Sterilisation oder anderen zwangsverabreichten Verhütungsmitteln zur Geburtenkontrolle (USDOS 20.4.2018). Viele Frauen gebären Kinder bereits in sehr jungem Alter (AA 5.2018; vgl. USDOS 3.3.2017).
Orale Empfängnisverhütungsmittel, Intrauterinpessare, injizierbare Verhütungsmethoden und Kondome sind erhältlich; diese werden kostenfrei in öffentlichen Gesundheitskliniken und zu subventionierten Preisen in Privatkliniken und durch Community Health Workers (CHW) zur Verfügung gestellt (USDOS 3.3.2017).
Ehrenmorde
Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt (BFA Staatendokumentation 3.7.2014) und kommen auch weiterhin vor (USDOS 3.3.2017). Laut AIHRC waren von 277 Mordfällen an Frauen im Jahr 2017 136 Eherenmorde (AIHRC 11.3.2018; vgl. Tolonews 11.3.2018).
Afghanische Expert/innen sind der Meinung, dass die Zahl der Mordfälle an Frauen und Mädchen viel höher ist, da sie normalerweise nicht zur Anzeige gebracht werden. Der Grund dafür ist das Misstrauen eines Großteils der afghanischen Bevölkerung in das juristische System (KP 23.3.2016).
Reisefreiheit
Es existieren gewisse Sicherheitsbedenken, wenn Frauen alleine reisen: Manchmal ist es der Vater, der seiner Tochter nicht erlaubt alleine zu reisen und manchmal ist es die Frau selbst, die nicht alleine reisen will. In vielen Firmen, öffentlichen Institutionen sowie NGOs ist die Meinung verbreitet, dass Frauen nicht alleine in die Distrikte reisen sollten und es daher besser sei einen Mann anzustellen. Doch hat sich die Situation wesentlich verbessert. So kann nach eigener Aussage eine NGO-Vertreterin selbst in unsichere Gegenden reisen, solange sie sich dabei an die örtlichen Gegebenheiten hält, also lokale Kleidungsvorschriften einhält (z. B. tragen einer Burqa) und sie die lokale Sprache kennt (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Während früherer Regierungen (vor den Taliban) war das Tragen des Chador bzw. des Hijab nicht verpflichtend - eine Frau konnte auch ohne sie außer Haus gehen, ohne dabei mit negativen Konsequenzen rechnen zu müssen. In der Stadt Mazar-e Sharif wird das Tragen des Hijab heute nicht so streng gehandhabt, wie in den umliegenden Gegenden. Andere Provinzen sind bei diesem Thema viel strenger. In Mazar-e Sharif könnte es in Einzelfällen sogar möglich sein, ganz auf den Hijab zu verzichten, ohne behelligt zu werden. Garantie besteht darauf natürlich keine (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Frauen in Afghanistan ist es zwar nicht verboten Auto zu fahren, dennoch tun dies nur wenige. In unzähligen afghanischen Städten und Dörfern, werden Frauen hinter dem Steuer angefeindet etwa von Gemeindevorständen, Talibansympathisanten oder gar Familienmitgliedern. Viele Eltern unterstützen zwar grundsätzlich die Idee ihren Töchtern das Autofahren zu erlauben, haben jedoch Angst vor öffentlichen Repressalien. Die Hauptstadt Kabul ist landesweit einer der wenigen Orte, wo autofahrende Frauen zu sehen sind. In Kabul sowie in den Städten Mazar-e Sharif, Herat und Jalalabad gibt es einige Fahrschulen; in Kabul sogar mehr als 20 Stück. An ihnen sind sowohl Frauen als auch Männer eingeschrieben. In Kandahar zum Beispiel sind Frauen generell nur selten alleine außer Haus zu sehen - noch seltener als Lenkerin eines Fahrzeugs. Jene, die dennoch fahren, haben verschiedene Strategien um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Manche tragen dabei einen Niqab, um unerkannt zu bleiben (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Weibliche Genitalverstümmelung ist in Afghanistan nicht üblich (AA 5.2018).
Beweis wurde erhoben durch Einvernahmen der Beschwerdeführerin durch Beamte der LPD XXXX am 10.07.2015 sowie durch das BFA, Regionaldirektion OÖ am 14.11.2017, durch Befragung der Beschwerdeführerin im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 12.02.2019 sowie durch Vorhalt des aktuellen LIB zu Afghanistan der Staatendokumentation durch das Bundesverwaltungsgericht und die oben näher bezeichneten Urkunden, welche von der Beschwerdeführerin vorgelegt wurden.
2. Beweiswürdigung:
Die Länderfeststellungen beruhen auf den in das Verfahren eingebrachten Länderberichten, insbesondere dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, das basierend auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger unbedenklicher Quellen - deren Zugrundelegung von Entscheidungen vom Verwaltungsgerichtshof in Vergangenheit in zahlreichen Fällen bestätigt wurde - einen in den Kernaussagen schlüssigen Überblick über die aktuelle Lage in Afghanistan gewährleistet.
Angesichts der Seriosität der genannten Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zugrunde gelegt werden konnten.
Das Vorbringen der Beschwerdeführerin wird wie folgt gewürdigt:
Das Vorbringen eines Asylwerbers ist dann glaubhaft, wenn es vier Grunderfordernisse erfüllt (diesbezüglich ist auf die Materialien zum Asylgesetz 1991 [RV 270 BlgNR 18. GP; AB 328 BlgNR 18. GP] zu verweisen, die wiederum der VwGH-Judikatur entnommen wurden).
1. Das Vorbringen des Asylwerbers ist genügend substantiiert. Dieses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen.
2. Das Vorbringen muss, um als glaubhaft zu gelten, in sich schlüssig sein. Der Asylwerber darf sich nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen.
3. Das Vorbringen muss plausibel sein, d.h. mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen. Diese Voraussetzung ist u. a. dann nicht erfüllt, wenn die Darlegungen mit den allgemeinen Verhältnissen im Heimatland nicht zu vereinbaren sind oder sonst unmöglich erscheinen und
4. Der Asylwerber muss persönlich glaubwürdig sein. Das wird dann nicht der Fall sein, wenn sein Vorbringen auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt ist, aber auch dann, wenn er wichtige Tatsachen verheimlicht oder bewusst falsch darstellt, im Laufe des Verfahrens das Vorbringen auswechselt oder unbegründet einsilbig und verspätet erstattet oder mangelndes Interesse am Verfahrensablauf zeigt und die nötige Mitwirkung verweigert.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in zahlreichen Erkenntnissen betont, wie wichtig der persönliche Eindruck, den das zur Entscheidung berufene Mitglied der Berufungsbehörde im Rahmen der Berufungsverhandlung von dem Berufungswerber gewinnt, ist (siehe z. B. VwGH vom 24.06.1999, 98/20/0435, VwGH vom 20.05.1999, 98/20/0505, u.v.a.m.).
Vorausgeschickt wird, dass im Asylverfahren das Vorbringen des Asylwerbers als zentrales Entscheidungskriterium herangezogen werden muss (so schon VwGH vom 16.01.1987, Zl. 87/01/0230, VwGH vom 15.03.1989, Zl. 88/01/0339, UBAS vom 12.05.1998, Zahl:
203.037-0/IV/29/98 u.v.a.m.)
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Herkunft, ethnischen und religiösen Zugehörigkeit sowie zu den Aufenthaltsorten, Familienangehörigen, Sprachkenntnissen, der Schulbildung und Berufserfahrung des Beschwerdeführers beruhen auf dessen plausiblen, im Wesentlichen gleichbleibenden Angaben im Laufe des Asylverfahrens. Auch die Feststellungen zur Volljährigkeit, Arbeitsfähigkeit sowie zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin stützen sich auf deren plausible Angaben.
Die Feststellungen zur Einreise, Antragstellung und dem Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Österreich ergeben sich aus dem Inhalt des Verwaltungsaktes und dem damit in Einklang stehenden Vorbringen der Beschwerdeführerin.
Die Beschwerdeführerin verließ als Kleinkind Afghanistan und hat keinen Bezug mehr zu ihrem Heimatland. Über die Fluchtgründe weiß sie nur aus Erzählungen der Eltern Bescheid. Sie wuchs bei ihren Eltern und mit ihren Brüdern im Iran auf, wo die Familie sich illegal aufhielt. Es ist glaubhaft, dass die Beschwerdeführerin im Iran als junge afghanische Frau diskriminiert wurde und das Leben als schwierig empfand, zumal sich diese Informationen über die Situation von afghanischen Flüchtlingen im Iran deckt.
Betreffend das Privatleben und insbesondere die Integration der Beschwerdeführerin in Österreich wurden deren Angaben in der Beschwerdeverhandlung sowie die vorgelegten Unterlagen den Feststellungen zugrunde gelegt.
In der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hinterließ die Beschwerdeführerin zu ihren Lebensumständen als Frau in Österreich befragt durch ihr Auftreten und die Spontanität ihrer Antworten einen in jeder Hinsicht glaubwürdigen und überzeugenden Eindruck. Sie hat in Österreich so schnell wie möglich Deutsch gelernt, den Pflichtschulabschluss absolviert und besucht das Abendgymnasium XXXX. Nach dem Unterricht fährt sie alleine nach Hause und trifft dort manchmal erst ca. um 23.00 ein. Die Beschwerdeführerin möchte Medizin, im speziellen Zahnmedizin studieren. Sie nimmt sich auch die Freiheit, ihr Leben noch ohne Partner zu leben, um sich auf ihr Studium konzentrieren zu können. Die Beschwerdeführerin hat sich einen österreichischen Freundeskreis aufgebaut, mit welchen sie einen Teil ihrer Freizeitaktivitäten verbringt. Die jungen Leute z.B. besuchen sich gegenseitig, gehen ins Kino, kochen und essen gemeinsam oder gehen in den Park. Die Beschwerdeführerin verbringt auch Zeit in der Bibliothek, um zu lernen. Sie geht alleine ins Fitnessstudio, laufen, radfahren oder schwimmen (im Bikini).
Sie lebt noch gemeinsam ihren Eltern und Geschwistern, weil sie schon immer zusammengelebt haben. So kann sie ihren jüngeren Bruder bei den Schulaufgaben unterstützen und ihren Eltern, wenn nötig, eine helfende Hand sein. Die Beschwerdeführerin beantwortete viele Fragen, insbesondere zur Integration, bereits spontan und in gutem Deutsch.
Die Beschwerdeführerin kann sich ein Leben in Afghanistan unter den zwanghaften gesellschaftlichen Gepflogenheiten für die Frauen nicht mehr vorstellen. Die Umstände ihres Alltagslebens in Österreich lassen darauf schließen, dass die Beschwerdeführerin eine selbstbestimmte Lebensführung und Geisteshaltung angenommen hat, und diese ein wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden sind, die sie bei einer Rückkehr nach Afghanistan in einer die dortigen sozialen Normen verletzenden Weise exponieren würden.
Die Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin ergibt sich aus Einsicht in den aktuellen Auszug aus dem Strafregister, wo keine strafrechtliche Verurteilung ausgewiesen ist.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt