TE Vwgh Erkenntnis 2019/3/14 Ra 2018/18/0534

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Veröffentlicht am 14.03.2019
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/09 Internationales Privatrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 2005 §35 Abs1;
AsylG 2005 §35 Abs5;
IPRG §6;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Dr. Sutter als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision der A Y, vertreten durch Mag. Andreas Reichenbach, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Theobaldgasse 15/21, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. August 2018, Zl. W168 2178106- 1/5E, betreffend die Erteilung eines Einreisetitels nach § 35 AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Botschaft in Damaskus), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin, eine syrische Staatsangehörige, stellte am 19. September 2016 bei der Österreichischen Botschaft in Damaskus einen auf § 35 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) gestützten Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels. Als Bezugsperson nannte sie ihren Ehegatten, einen syrischen Staatsangehörigen, dem in Österreich mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 22. Juni 2016 der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden sei. Im Zuge der Antragstellung legte die Revisionswerberin diverse Unterlagen, etwa einen Auszug aus dem Familienstandsregister, einen Beschluss des Schariagerichts in Qamishli über die Bestätigung der Eheschließung am 1. Mai 2015 sowie eine Heiratsurkunde des Standesamtes Qamishli, vor.

2 Mit Bescheid vom 11. September 2017 wies die Österreichische Botschaft in Damaskus den Antrag der Revisionswerberin auf Erteilung eines Einreisetitels infolge einer negativen Wahrscheinlichkeitsprognose des BFA ab.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde nach einer negativen Beschwerdevorentscheidung der Österreichischen Botschaft in Damaskus vom 7. November 2017 als unbegründet ab (Spruchpunkt A) und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig (Spruchpunkt B).

4 Das BVwG stellte zusammengefasst fest, der Nachweis des Bestehens einer Ehe habe nicht erbracht werden können. Die vorgelegten Dokumente seien erst ausgestellt worden, nachdem sich die Bezugsperson bereits in Österreich befunden habe. Die Ehe sei vor der Ausreise der Bezugsperson amtlich nicht eingetragen worden. Die Eheschließung sei von der Revisionswerberin am 28. Februar 2016 am Schariagericht Qamishli eingeklagt und am 6. März 2016 bestätigt worden. Zu diesem Zeitpunkt habe sich die Bezugsperson bereits in Österreich befunden; die Ehegatten seien bei der Registrierung somit nicht persönlich anwesend gewesen. Lediglich traditionell erfolgte Eheschließungen seien weder in Syrien noch in Österreich rechtlich anerkannt.

5 Rechtlich erwog das BVwG, dass die negative Prognose des BFA zutreffend sei. Die Bezugsperson habe in der Erstbefragung zwar angegeben, verheiratet zu sein, habe in weiterer Folge jedoch weder Namen noch Geburtsdatum der Ehefrau genannt. Die Angaben der Bezugsperson hinsichtlich der Eheschließung seien widersprüchlich gewesen. Die unzweifelhaft in Abwesenheit der Bezugsperson registrierte Eheschließung widerspreche zudem als "Stellvertreterehe" den Grundwerten der österreichischen Rechtsordnung und könne daher auch in Österreich keinen Rechtsbestand haben. Abgesehen davon sei ein Nachweis über die angeblich bereits am 1. Mai 2015 erfolgte traditionelle Eheschließung nicht vorhanden. Einer lediglich traditionell geschlossenen Ehe komme vor ihrer nachfolgenden staatlichen Registrierung allerdings ohnehin keine rechtliche Relevanz zu. Die Ehe habe damit nicht bereits im Herkunftsstaat bestanden. Das Vorliegen eines schützenswerten Familienlebens iSd Art. 8 EMRK sei aus dem Vorbringen sowie dem Akteninhalt nicht ableitbar.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, welche zu ihrer Zulässigkeit geltend macht, das BVwG weiche "von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 6 IPRG" ab.

7 Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie unter anderem die kostenpflichtige Zurückweisung der Revision beantragte.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

9 Die Revision erweist sich aus dem von ihr dargestellten Grund als zulässig; sie ist auch begründet.

10 Gemäß § 35 Abs. 1 AsylG 2005 (in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 145/2017) kann der Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels bei der mit konsularischen Aufgaben betrauten österreichischen Vertretungsbehörde im Ausland (Vertretungsbehörde) stellen. Als Familienangehöriger im Sinne dieser Norm gilt nach § 35 Abs. 5 AsylG 2005 (unter anderem), wer Ehegatte eines Fremden ist, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bereits vor der Einreise des Asylberechtigten bestanden hat.

11 Gemäß § 16 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 15. Juni 1978 über das internationale Privatrecht (IPRG) ist die Form einer Eheschließung im Ausland nach dem Personalstatut jedes der Verlobten zu beurteilen; es genügt jedoch die Einhaltung der Formvorschriften des Ortes der Eheschließung.

12 Dem angefochtenen Erkenntnis lässt sich zunächst nicht mit hinreichender Klarheit entnehmen, ob das BVwG die von der Revisionswerberin vorgebrachte traditionelle Eheschließung am 1. Mai 2015 für glaubhaft erachtete. Beweiswürdigende Ausführungen hierzu lässt das Erkenntnis zur Gänze vermissen. Die im Rahmen der rechtlichen Beurteilung getroffene Aussage, wonach die Angaben der Bezugsperson hinsichtlich der Eheschließung in beiden Einvernahmen widersprüchlich gewesen seien, ohne diese angeblichen Widersprüchlichkeiten auch konkret und nachvollziehbar darzulegen, vermag den hg. gestellten Anforderungen an die Begründungspflicht verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen jedenfalls nicht standzuhalten und kann daher die erforderlichen (begründeten) Feststellungen nicht ersetzen (vgl. zur Begründungspflicht im Allgemeinen, VwGH 21.10.2014, Ro 2014/03/0076, sowie jüngst VwGH 5.12.2018, Ra 2018/20/0371, jeweils mwN).

13 Die Frage, ob im gegenständlichen Fall eine traditionelle Eheschließung stattgefunden hat, ist vom BVwG in den Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses offenbar deshalb nicht abschließend behandelt worden, weil das Verwaltungsgericht die Rechtsansicht vertritt, dass die in Abwesenheit der Bezugsperson registrierte Eheschließung als "Stellvertreterehe" den Grundwerten der österreichischen Rechtsordnung widerspreche, weshalb die (nach-)registrierte Ehe darauf aufbauend in Österreich keinen Rechtsbestand haben könne.

14 Diese Rechtsauffassung steht - wie die Revision zutreffend aufzeigt - im Widerspruch zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

15 Gemäß § 6 IPRG ist eine Bestimmung des fremden Rechts nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führen würde, das mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung unvereinbar ist. An ihrer Stelle ist erforderlichenfalls die entsprechende Bestimmung des österreichischen Rechts anzuwenden. Von dieser Ausnahme ist sparsamster Gebrauch zu machen, ein Abweichen von zwingenden österreichischen Vorschriften ist nicht bereits per se ein "ordre public"-Verstoß. Schutzobjekt sind primär die "Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung" (vgl. VwGH 6.9.2018, Ra 2018/18/0094, mwN).

16 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass eine die Formvorschriften des Ortes der Eheschließung erfüllende Ehe grundsätzlich gültig ist. Der bloße Umstand der rückwirkenden Anerkennung einer traditionellen Eheschließung mit ihrer nachfolgenden staatlichen Registrierung bereits ab dem Zeitpunkt der traditionellen Eheschließung im ausländischen Recht verstößt nicht gegen die Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung (vgl. erneut VwGH 6.9.2018, Ra 2018/18/0094, sowie daran anschließend VwGH 4.10.2018, Ra 2018/18/0149, jeweils mwN).

17 Diese hg. Rechtsprechung kann auch auf den gegenständlichen Fall übertragen werden, womit - entgegen der Ansicht des BVwG - auch die in Abwesenheit der Bezugsperson erfolgte formale nachträgliche Registrierung der (im Beisein beider Ehegatten) traditionell geschlossenen Ehe - bei Fehlen inhaltlicher Vorbehalte gegen die Ehe - nicht den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung widerspricht.

18 Soweit das BVwG und die belangte Behörde in diesem Zusammenhang auf den hg. Beschluss vom 19. September 2017, Ra 2016/20/0068, verweisen, wird übersehen, dass diesem ein mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde lag, zumal dort bereits die traditionelle Eheschließung in Abwesenheit der Ehegattin feststellt wurde. Derartige Feststellungen sind dem vorliegenden Erkenntnis jedoch nicht zu entnehmen.

19 Ausgehend von dieser falschen Rechtsansicht zu § 6 IPRG hat das BVwG sein Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet.

20 Es wäre vielmehr Aufgabe des BVwG gewesen, nähere Feststellungen zur diesbezüglichen syrischen Rechtslage zu treffen (vgl. erneut VwGH 6.9.2018, Ra 2018/18/0094, mwN). Dabei hätte es sich insbesondere auch mit dem in der Beschwerde und in der Beschwerdeergänzung unter Verweis auf eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 5. Mai 2017 erstatteten Vorbringen der Revisionswerberin, wonach die traditionell geschlossene Ehe gemäß syrischem Recht durch ihre nachträgliche Registrierung rückwirkend (ex-tunc) ab dem Datum der traditionellen Eheschließung Gültigkeit erlange, auseinandersetzen müssen. Die vorliegende Revision rügt damit im Ergebnis auch zutreffend einen Verstoß gegen die Begründungspflicht.

21 Das BVwG wird daher im fortgesetzten Verfahren - ausgehend von der vorgelagerten Beurteilung, ob die vorgebrachte traditionelle Eheschließung im Revisionsfall als glaubhaft zu befinden ist - insbesondere Feststellungen dazu zu treffen haben, ob mit ihrer nachfolgenden staatlichen Registrierung die Ehe der Revisionswerberin bereits ab dem Zeitpunkt der traditionellen Eheschließung Wirksamkeit nach syrischem Recht entfaltet.

22 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen (vorrangig wahrzunehmender) inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

23 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 14. März 2019

Schlagworte

Verwaltungsrecht Internationales Rechtsbeziehungen zum Ausland VwRallg12

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018180534.L00

Im RIS seit

08.04.2019

Zuletzt aktualisiert am

16.04.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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