TE Vwgh Erkenntnis 2019/3/14 Ra 2018/18/0500

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Veröffentlicht am 14.03.2019
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E3L E19103000;
E3L E19103010;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

32011L0095 Status-RL Art8 Abs1;
32011L0095 Status-RL Art8 Abs2;
32013L0032 IntSchutz-RL Art10 Abs3 litb;
AsylG 2005 §8 Abs1;
EURallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des A S, vertreten durch Dr. Friedrich Starnberg, Rechtsanwalt in 8430 Leibnitz, Wagnastraße 1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. August 2018, Zl. W126 2155048- 1/18E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Spruch

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde in Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet.

II. zu Recht erkannt:

In seinem übrigen Umfang wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger aus der Provinz Maidan Wardak, stellte am 29. Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2 Mit Bescheid vom 28. März 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005, erließ gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.

4 Zur Begründung führte das BVwG zusammengefasst aus, der Revisionswerber habe die - behauptete - Verfolgung durch Taliban und Kutschis (Nomaden) nicht glaubhaft gemacht. In Bezug auf den subsidiären Schutz sei eine Ansiedlung des Revisionswerbers in der Heimatprovinz Maidan Wardak aufgrund der dortigen Sicherheitslage zwar rechtlich nicht möglich, der Revisionswerber könne aber auf eine inländische Fluchtalternative in der Hauptstadt Kabul verwiesen werden, wo er vor seiner Ausreise bereits gelebt und gearbeitet habe sowie familiäre Unterstützung vorfände. Für eine existenzielle Gefährdung des Revisionswerbers bei Niederlassung in der Stadt Kabul bestünden keine Hinweise.

5 Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zusammengefasst geltend gemacht wird, das BVwG habe seinem Erkenntnis veraltete Länderberichte zu Grunde gelegt. Die Situation in Kabul sei - wie näher dargestellt wird - weitaus schlechter als vom BVwG angenommen. Auch die Annahme des BVwG, der Revisionswerber könne Unterstützung durch seine Familie erhalten, treffe nicht zu, zumal nicht feststellbar sei, wo sich die Familienmitglieder aufhalten würden. Außerdem drohe dem Revisionswerber politische Verfolgung, weil er geflüchtet sei und in Österreich einen Asylantrag gestellt habe, um einer Einberufung zum Militärdienst in seinem Heimatland zu entkommen.

6 Das BFA hat zu dieser Revision keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7 Die Revision ist teilweise zulässig und auch teilweise

begründet.

Zu I.:

8 Unzulässig ist die Revision insoweit, als sie die Abweisung des Antrags auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten bekämpft, und zwar schon deshalb, weil sie sich dabei auf neues Vorbringen (drohende Rekrutierung zum Wehrdienst) beruft, das im bisherigen Verfahren nicht erstattet worden ist. Damit verstößt dieses Revisionsvorbringen gegen das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltende Neuerungsverbot (§ 41 VwGG). Das Vorliegen einer grundsätzlichen Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG kann aber nicht mit einem Vorbringen begründet werden, das unter das Neuerungsverbot fällt (vgl. etwa VwGH 14.9.2016, Ra 2016/18/0222, mwN).

Zu II.:

9 Berechtigung kommt der Revision hingegen insoweit zu, als sie zutreffend darauf verweist, dass das BVwG die möglichen Gründe für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht ausreichend geprüft hat.

10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist von den Asylbehörden zu erwarten, dass sie insoweit, als es um Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat als Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens von Asylwerbern geht, von den zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten Gebrauch machen und insbesondere Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten Organisationen in die Entscheidung einbeziehen. Auch das BVwG hatte daher seiner Entscheidung die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen. Bei instabilen und sich rasch ändernden Verhältnissen im Herkunftsstaat können auch zeitlich nicht lange zurückliegende Berichte ihre Aktualität bereits verloren haben (vgl. etwa VwGH 10.12.2014, Ra 2014/18/0078).

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat auch erkannt, dass sich das BVwG - unter Bedachtnahme auf die ständige höchstgerichtliche Rechtsprechung zur "Indizwirkung" von Richtlinien des UNHCR und unter Berücksichtigung des einschlägigen Unionsrechts - mit den aktuellen Richtlinien des UNHCR, fallbezogen mit jenen zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018, auseinander zu setzen hat (vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533, mwN).

12 Letzteres ist im vorliegenden Fall nicht geschehen. Das BVwG nimmt für den Revisionswerber eine innerstaatliche Fluchtalternative in der afghanischen Hauptstadt Kabul an und sieht keine Hinweise für eine gegenteilige Sichtweise. Dabei wird nicht erwähnt und völlig außer Acht gelassen, dass der UNHCR in den genannten Richtlinien die Verfügbarkeit einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative für afghanische Staatsangehörige in Kabul grundsätzlich verneint (vgl. S. 129 der Richtlinien).

13 Schon deshalb vermag die Beurteilung des BVwG nicht zu überzeugen, woran fallbezogen auch nichts ändert, dass das BVwG eine hinsichtlich der tatsächlichen Verfügbarkeit nicht näher geklärte Unterstützungsmöglichkeit durch Familienangehörige des Revisionswerbers in den Raum stellt.

14 Da somit nicht ausgeschlossen werden kann, dass das BVwG bei Vermeidung der aufgezeigten Verfahrensmängel zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war das angefochtene Erkenntnis hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und der darauf aufbauenden Spruchpunkte gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

15 In Bezug auf die Abweisung der Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten war die Revision hingegen mangels Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

16 Von der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 und Z 3 VwGG abgesehen werden.

17 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 14. März 2019

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018180500.L00

Im RIS seit

08.04.2019

Zuletzt aktualisiert am

16.04.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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