TE Vwgh Erkenntnis 2019/3/14 Ra 2018/18/0455

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Veröffentlicht am 14.03.2019
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1;
AVG §45 Abs2;
VwGVG 2014 §17;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision der Z A, vertreten durch Mag. Christopher Dlaska als bestellter Verfahrenshelfer, dieser vertreten durch Mag. Alexandra Cervinka, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Kärntner Ring 12, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Juli 2018, Zl. L519 2177103-1/13E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin ist iranische Staatsangehörige und stellte am 3. Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Befragt zu ihrem Fluchtgrund führte sie aus, sie sei zum christlichen Glauben konvertiert und habe deshalb Angst um ihr Leben. Im Iran drohe ihr eine lebenslange Haftstrafe bzw. der Tod. Ihre Onkel mütterlicherseits hätten von der Konversion erfahren und sie mit dem Umbringen bedroht. Die Revisionswerberin legte im Zuge ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diverse Unterlagen vor, etwa eine Bescheinigung der Iranischen Christlichen Gemeinde Wien über die am 24. September 2016 erfolgte Taufe, eine Bestätigung der Evangelischen Kirche Lainz und der Evangelischen Freikirche Hamgam Wien, wonach die Revisionswerberin regelmäßig den Bibelkurs und Gottesdienste besuche, sowie ein Schreiben des Leiters der Iranischen Christlichen Gemeinde Wien, welcher bestätigte, dass sich die Revisionswerberin öffentlich zum Christentum bekenne und regelmäßig an diversen Veranstaltungen der Iranischen Christlichen Gemeinde teilgenommen habe.

2 Mit Bescheid vom 20. Oktober 2017 wies das BFA den Antrag der Revisionswerberin auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte ihr keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung der Revisionswerberin in den Iran zulässig sei und setzte eine 14-tägige Frist zur freiwilligen Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4 Begründend führte das BVwG - soweit entscheidungsrelevant - aus, es könne nicht festgestellt werden, dass die Revisionswerberin tatsächlich aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert sei.

5 Beweiswürdigend erwog es hierzu, dass die Revisionswerberin nicht plausibel habe darlegen können, weshalb sie nicht schon in der Türkei einen Asylantrag gestellt habe, zumal sie sich bereits dort für das Christentum interessiert habe. Als Schlüsselerlebnis für den Entschluss zur Konversion habe die Revisionswerberin eine "ominöse Geschichte" "präsentiert". Sie habe angegeben, dass auf der Überfahrt von der Türkei nach Kos starker Wellengang geherrscht habe. Alle im Boot hätten gebetet und Jesus Christus zu Hilfe gerufen. Dann sei ein Wunder passiert und das Wasser habe sich beruhigt. Auf die Idee, dass "dieses Phänomen auf Naturgesetzte oder nachlassenden Wind zurückzuführen" sei, sei die Revisionswerberin nicht gekommen. Sie habe auch nicht plausibel erklären können, weshalb sie sich vom Islam abgewendet habe und "auf die Schnelle" zum Christentum habe konvertieren müssen, weil sie spätestens in der Türkei niemand mehr zum Gebet oder zum Tragen eines Schleiers habe zwingen können. Den Inhalt des Taufunterrichts habe sie vage und oberflächlich geschildert und "offenbar einen bestimmten Vers einstudiert". Inhaltliche Kenntnisse über das Christentum hielten sich bei der Revisionswerberin ebenfalls in "überschaubaren Grenzen". Sie habe von der Bedeutung des Kreuzes im Christentum "keine Ahnung", indem sie angegeben habe, es sei ein Zeichen von Vergebung und Rettung durch Jesus Christus. Außer dem "Vater Unser" habe die Revisionswerberin keine weiteren Gebete genannt und sie habe außer Weihnachten, Ostern und Pfingsten keine weiteren Feiertage angegeben. Sie habe nicht dargelegt, was am Reformationstag begangen werde, was die 4 Soli-Lehre sei und wo genau die 95 Thesen angeschlagen worden seien. Ihre kirchlichen Aktivitäten würden sich darauf beschränken, dass sie sonntags den Gottesdienst besuche. Sie habe den Ablauf eines Gottesdienstes nicht beschreiben können. Da diese in Deutsch abgehalten würden, sei auch "äußerst fraglich, wie viel die (Revisionswerberin) angesichts ihrer geringen Deutschkenntnisse überhaupt (verstehe)". Ein Indiz für die persönliche Unglaubwürdigkeit sei auch, dass sie keine Austrittserklärung aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft vorgelegt habe. Die in der Verhandlung einvernommene Zeugin habe den entstandenen Eindruck einer Scheinkonversion nicht ausräumen können. Diese habe lediglich bestätigen können, dass sie die Revisionswerberin wöchentlich beim Gottesdienst und beim Kirchencafe treffe und die Revisionswerberin an Glaubensgesprächen teilnehme. Insgesamt habe die Revisionswerberin nicht glaubhaft machen können, dass sie aufgrund eines inneren Entschlusses tatsächlich zum Christentum konvertiert sei.

6 Rechtlich folgerte das BVwG, der Revisionswerberin, welche nur zum Schein konvertiert sei, drohe keine asylrelevante Verfolgung im Iran.

7 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, welche zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vorbringt, das BVwG habe die Grundsätze der Amtswegigkeit und der Erforschung der materiellen Wahrheit verletzt sowie eine unvertretbare Beweiswürdigung vorgenommen. Letzteres insbesondere deshalb, weil sämtliche die vorgebrachte Konversion stützenden Beweise, nämlich alle schriftlichen und mündlichen Bestätigungen über die Glaubensausübung, mit dem Argument mangelnder Kenntnisse des christlichen Glaubens abgetan worden seien. Das BVwG habe keine Gesamtbetrachtung des behaupteten Religionswechsels vorgenommen und sei somit von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen. Alleine mit der Unglaubwürdigkeit infolge eines nicht sehr detaillierten Wissens zum Christentum lasse sich nicht schlüssig begründen, dass alle im Zusammenhang mit dem neu erworbenen Glauben stehenden weiteren Aktivitäten nur zum Schein mit dem (ausschließlichen) Ziel der Asylerlangung entfaltet worden seien. Es hätten sämtliche Aktivitäten der Revisionswerberin während ihres fast dreijährigen Aufenthalts in Österreich einer Würdigung unterzogen werden müssen. Das BVwG habe sich auch mit den Angaben der Zeugin, welche bestätigt habe, dass die Revisionswerberin den Glauben lebe, nicht auseinandergesetzt und unberücksichtigt gelassen, dass an den Erhalt des Taufscheins Voraussetzungen, nämlich eine Vorbereitung in einem Katechumenat, geknüpft seien.

8 Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10 Die Revision ist zulässig, sie ist auch begründet. 11 Der Verwaltungsgerichtshof ist als Rechtsinstanz tätig;

zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt - als Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - allerdings dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat.

12 Wie der Verwaltungsgerichtshof schon zu dem gemäß § 17 VwGVG auch von den Verwaltungsgerichten anzuwendenden § 45 Abs. 2 AVG ausgesprochen hat, bedeutet der Grundsatz der freien Beweiswürdigung nicht, dass der in der Begründung der (nunmehr verwaltungsgerichtlichen) Entscheidung niederzulegende Denkvorgang der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nicht unterliegt. Die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG hat nur zur Folge, dass die Würdigung der Beweise keinen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Dies schließt aber eine Kontrolle in die Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, also nicht den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut widersprechen. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat. (vgl. VwGH 18.10.2018, Ra 2018/19/0236, mwN).

13 Von einer schlüssig begründeten Beweiswürdigung kann nicht gesprochen werden, wenn das Verwaltungsgericht seine Entscheidung - nicht bloß untergeordnet - mit (unsachlichen) Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt.

Davon ist im vorliegenden Fall auszugehen:

14 Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion kommt es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (vgl. VwGH 22.2.2018, Ra 2017/18/0426, mwN).

15 Maßgebliche Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel sind beispielsweise das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, welche sich etwa in regelmäßigen Gottesdienstbesuchen oder sonstigen religiösen Aktivitäten manifestiert, eine mit dem Religionswechsel einhergegangene Verhaltensbzw. Einstellungsänderung des Konvertiten sowie eine schlüssige Darlegung der Motivation bzw. des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel.

16 Im vorliegenden Fall verneinte das BVwG einen aus innerer Überzeugung erfolgten Religionswechsel und führte dafür an, das Wissen der Revisionswerberin zum evangelischen Glauben habe sich "in überschaubaren Grenzen" gehalten. Die dafür ins Treffen geführten "theologische Wissenslücken" beruhen allerdings auf einer teilweise überzogenen Erwartungshaltung des Gerichtes an das diesbezügliche Wissen der Asylwerberin. Auch genügt es der Begründungspflicht in Bezug auf die kirchlich bestätigten Aktivitäten der Revisionswerberin (Teilnahme an Gottesdiensten und Bibelstunden) nicht, ihr zu unterstellen, sie würde dort nur Haushaltstätigkeiten ausführen. Nichts anderes gilt auch für die unsachliche Auseinandersetzung des BVwG mit dem von der Revisionswerberin behaupteten Schlüsselereignis zur Konversion (Rettung aus der Seenot im Zuge der Flucht). Insoweit reicht es nicht aus, der Revisionswerberin vorzuhalten, sie habe eine "ominöse Geschichte präsentiert" und sei "nicht auf die Idee" gekommen, die Geschehnisse naturwissenschaftlich zu erklären.

17 Da nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts bei Vermeidung der zuvor ausgeführten unsachlichen Begründungselemente hätte anders ausfallen können, war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

18 Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 14. März 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018180455.L00

Im RIS seit

08.04.2019

Zuletzt aktualisiert am

16.04.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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