TE Bvwg Erkenntnis 2019/2/15 W241 2176887-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.02.2019
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Entscheidungsdatum

15.02.2019

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W241 2176887-1/25E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Hafner als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch RA XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.09.2017, Zahl 1092090410/151608298, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 05.03.2018 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 10 und 57 Asylgesetz 2005 sowie §§ 52 und 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste nach seinen Angaben irregulär in Österreich ein und stellte am 02.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

1.2. In seiner Erstbefragung am 23.10.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari im Wesentlichen Folgendes an:

Er sei Usbeke, sunnitischer Moslem, afghanischer Staatsbürger und stamme aus der Provinz Takhar. Seine Eltern, fünf Brüder, drei Schwestern und seine Ehefrau seien aktuell in Afghanistan aufhältig. Er habe als Soldat in der afghanischen Armee gedient und sei zwei Jahre in Helmand stationiert gewesen. Vor ca. einem Jahr sei er über den Iran, die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien und Ungarn nach Österreich gereist.

Als Fluchtgrund gab der BF an, dass seine Einheit von den Taliban umzingelt worden sei. Seine Vorgesetzten und Kameraden hätten im Kampf ihr Leben verloren, er selbst habe seine Waffen zurückgelassen und sei geflüchtet. Deshalb gelte er jetzt als Verräter und Deserteur.

1.3. Bei seiner Einvernahme am 16.02.2017 vor dem BFA, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari, gab der BF im Wesentlichen Folgendes an (Auszug aus dem Einvernahmeprotokoll, Schreibfehler teilweise korrigiert):

"LA: Warum haben Sie Ihr Heimatland verlassen und in Österreich einen Asylantrag gestellt? Nennen Sie bitte all Ihre Fluchtgründe!

VP: Ich habe als Polizist in Helmand dienstgeleistet, wir wurden von Taliban umzingelt. Unser Kommandant wurde getötet. Manche Einsatzkräfte wurden getötet, manche verletzt. Ich bin zu zivilen Bewohnern gegangen und habe um Zivil-Bekleidung gebeten. Dann habe ich meine Uniform, meine Waffe weggeworfen, auch den Ausweis und bin geflüchtet.

LA: Haben Sie nun alle Ihre Fluchtgründe vorgebracht?

VP: Ja. Ich musste das Land verlassen, weil die Afghanische Regierung wollte von mir diese Waffe zurückhaben, sie wollten wissen, ob ich mit den Taliban kooperiere oder nicht.

LA: Das waren also Ihre Fluchtgründe?

VP: Ja.

LA: Können Sie lesen und schreiben?

VP: Lesen ein bisschen, aber schreiben ist schwierig.

LA: Sind sie zur Schule gegangen?

VP: Nein. Ich habe die Moschee besucht.

LA: Ich werde Ihnen nun ein paar Detailfragen zu Ihren Fluchtgründen stellen. Wann war der Vorfall, bei dem Sie umzingelt wurden?

VP: Genaues Datum kann ich nicht sagen.

LA: Können Sie mir das Jahr sagen?

VP: (Überlegt) 1392 (2013).

LA: Wie lange danach haben Sie das Land verlassen?

VP: Am selben Tag habe ich das Land verlassen.

LA: Wohin sind Sie da gegangen?

VP: In den Iran. Nachgefragt gebe ich an, dass ich 8 Monate dort blieb.

LA: Wieso sind Sie nicht im Iran geblieben?

VP: Man kann dort nicht illegal bleiben, man muss nach Syrien kämpfen gehen.

LA: Welche Waffe war es, die Sie weggeworfen haben?

VP: Eine Amerikanische M 16.

LA: Wo war der Hauptstützpunkt Ihrer Einheit?

VP: XXXX im District XXXX.

LA: Wie lange waren Sie für die Polizei tätig?

VP: Ca. 18 Monate.

LA: Wie hieß Ihr Kommandant?

VP: Kommandant XXXX mit Spitznamen hieß er "XXXX"

LA: Hatten Sie jemals Probleme mit den afghanischen Behörden?

VP: Nein.

LA: Waren Sie jemals in Haft?

VP: Nein.

LA: Warum wollten Sie gerade nach Österreich?

VP: Ich habe eine Reise über viele Länder, wie Griechenland und Ungarn hinter mich gebracht, hier wurde ich gut behandelt.

LA: Warum sind Sie nicht im Iran geblieben?

VP: Ich war illegal im Iran, sie hätten mich nach Afghanistan abgeschoben.

LA: Woher wissen Sie, dass die afghanischen Behörden, diese Waffe wiederhaben wollen.

VP: Ich habe das vorher gesehen, als ein anderer eine Waffe verloren hat, er wurde gefragt.

LA: Was ist mit dem passiert?

VP: Das weiß ich nicht. Der wurde mitgenommen, was mit ihm passierte, weiß ich nicht.

LA: Kommt das öfter vor, dass Polizeieinheiten umzingelt werden?

VP: Ja, es ist oft passiert.

LA: Sind Sie der Einzige aus Ihrer Einheit, der heil aus diesem Vorfall hervorgekommen ist?

VP: Ja.

LA: Wie viele Schuss fasst das Magazin einer M16?

VP: 30 Schuss.

LA: Was hätten Sie im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan zu befürchten?

VP: Die Regierung würde mich als Talib oder IS Mitglied beschuldigen und ich muss lebenslang in Haft bleiben.

LA: Wie kommen sie auf die Idee, dass das die Regierung so machen würde?

VP: Ich kenne die Regierung, sie würden das so machen.

LA: Wie ist das Verhältnis zwischen Usbeken und Taliban?

VP: Die machen auf Usbeken jede Gewalt, töten, schlagen beleidigen alles.

LA: Wie verhält sich die Regierung gegenüber Usbeken?

VP: Das macht keinen Unterschied mit den anderen Volksgruppen, das ist gleich."

Der BF legte eine Reihe von Fotos, die ihn teilweise in Militäruniform und mit Waffen zeigen, und eine Anwesenheitsliste für freiwillige Tätigkeit vor.

1.4. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheid vom 13.09.2017 den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und verband diese Entscheidung in Spruchpunkt III. gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Eine asylrelevante Verfolgung liege nicht vor, das Vorbringen des BF betreffend eine Verfolgung seiner Person in Afghanistan sei nicht glaubhaft. Er habe keine Verfolgung im Sinne des AsylG glaubhaft gemacht und es bestünden keine stichhaltigen Gründe gegen eine Abschiebung des BF nach Afghanistan. Im Falle der Rückkehr drohe ihm keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde.

Der BF erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des BF nach Afghanistan. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der BF bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien.

Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass der BF bezüglich seiner behaupteten Herkunftsregion, Volks- und Staatsangehörigkeit aufgrund seiner Sprach- und Lokalkenntnisse - im Gegensatz zu seinem Fluchtvorbringen - glaubwürdig wäre. Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan wären glaubhaft, weil sie verlässlichen, seriösen, aktuellen und unbedenklichen Quellen entstammten, deren Inhalt schlüssig und widerspruchsfrei sei.

Das Vorbringen des BF sei aufgrund mehrere Widersprüche und der oberflächlichen und ungenauen Angaben nicht glaubhaft.

In der rechtlichen Beurteilung wurde ausgeführt, dass die Begründung des Antrages keine Deckung in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) finde.

Subsidiärer Schutz wurde ihm nicht zuerkannt, da im Falle einer Rückkehr des BF in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur GFK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt oder im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes aufgrund der derzeitigen, allgemeinen Lage in Afghanistan nicht drohe. Auch wenn ein bestehendes soziales Netz in Kabul nicht festgestellt werden hätte können, sei dem BF auch ohne Anknüpfungspunkte eine Niederlassung in Kabul möglich, da er erwachsen, gesund und erwerbsfähig sei, sodass er in Kabul selbstständig durch die Ausübung einer Erwerbstätigkeit aus eigenen Kräften für die Deckung der grundlegendsten Bedürfnisse aufkommen könne.

Für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) wurde den BF mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG der Verein Menschenrechte Österreich gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig als Rechtsberater zur Seite gestellt.

1.5. Gegen diesen Bescheid brachte der BF mit Schreiben vom 05.10.2017 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim BVwG ein und beantragte die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.

In der Beschwerdebegründung wurden das bisherige Vorbringen des BF im Wesentlichen wiederholt und Berichte zum Risikoprofil afghanischer Staatsbediensteter und zur Situation in Afghanistan im Allgemeinen zitiert. Abschließend wandte sich die Beschwerde gegen einzelne Punkte der Beweiswürdigung der belangten Behörde.

1.6. Die Beschwerde samt Verwaltungsakten langte am 17.11.2017 beim BVwG ein.

1.7. Das BVwG führte am 05.03.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari durch, zu der der BF im Beisein eines gewillkürten Vertreters und einer Vertrauensperson persönlich erschien. Die belangte Behörde verzichtete auf eine Teilnahme an der Verhandlung.

Dabei legte der BF vor:

* Diverse Fotos (bereits dem BFA vorgelegt)

* Anmeldebestätigung "Basisbildung Alpha 1"

* Gekürzte Urteilsausfertigung XXXX vom 10.11.2017

* Gutachten vom 26.09.2017 für dasXXXX

* fachärztlicher Befundbericht vom 11.01.2018 mit den Diagnosen PTSD F 43.1, schwere depressive Störung mit Suizidalität F 32.2.

Daraufhin gab der BF auf richterliche Befragung im Wesentlichen Folgendes an (Auszug aus der Verhandlungsschrift):

"RI: Nennen Sie mir wahrheitsgemäß Ihren vollständigen Namen, Ihr Geburtsdatum, Ihren Geburtsort sowie Ihre Staatsangehörigkeit.

BF: Ich heiße XXXX, ich bin am XXXX in Takhar/Afghanistan geboren. Ich bin afghanischer Staatsbürger.

RI: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volks- oder Sprachgruppe gehören Sie an?

BF: Ich bin Usbeke.

RI: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an, und wenn ja, welcher?

BF: Ich bin sunnitischer Moslem.

RI: Sind Sie verheiratet, oder leben Sie in einer eingetragenen Partnerschaft oder sonst in einer dauernden Lebensgemeinschaft?

BF: Ich bin verheiratet. Meine Frau befindet sich in Afghanistan.

RI: Haben Sie Kinder?

BF: Nein.

RI: Geben Sie bitte Namen, Alter und Aufenthaltsorte Ihrer näheren Angehörigen bekannt!

BF: Meine Familie ist in Takhar aufhältig, und zwar im Dorf XXXX.

RI: Wie groß ist Ihr Dorf?

BF: Ich habe keine genaue Kenntnis darüber. Nachgefragt, wie viele Familie dort leben, gebe ich an, dass ca. 80 bis 100 Familien dort leben.

RI: Aus wie vielen Personen besteht Ihre Kernfamilie?

BF: Meine Familie besteht aus meiner Frau, meinen Eltern, vier Schwestern und sechs Brüder.

Nachgefragt, gebe ich an, dass ich der zweitälteste bin.

RI: Wie viele Ihrer Brüder gehen einer Beschäftigung nach?

BF: Zwei meiner Brüder arbeiten als Schweißer, drei Brüder gehen noch in die Schule.

RI: Kommt Ihr Vater noch für den Lebensunterhalt der Familie auf?

BF: Mein Vater ist ebenfalls Schweißer. Meine Mutter ist nicht berufstätig.

RI: Gibt es Ihr Elternhaus noch?

BF: Ja, es ist ein eigenes Haus und es gibt es noch.

RI: Leben Ihre Brüder noch zuhause oder haben Sie schon eigene Häuser bzw. Familie?

BF: Meine Brüder leben mit dem Rest meiner Familie zusammen.

RI: Hatte Ihre Familie Grundstücke?

BF: Nein.

RI: Wie stellte sich die finanzielle Situation Ihrer Familie dar?

BF: Es ging uns mittelmäßig.

RI: Haben Sie noch weitere in Afghanistan lebende Verwandten (Onkel, Tanten etc.)?

BF: Ja, ich habe noch Onkeln und Tanten. Sie leben alle in Takhar.

RI: Waren Sie schon in Kabul? Wenn ja, was haben Sie dort gemacht? Waren Sie längere Zeit dort aufhältig?

BF: Ja, ich war in Kabul. Ich habe in Afghanistan beim Militär gedient. Danach wurde ich nach Helmand geschickt.

RI: Wie lange waren Sie in Kabul zur Ausbildung?

BF: Meine Ausbildung hat 3 1/2 Monate gedauert.

RI: Haben Sie in Kabul Verwandte, Bekannte oder Freunde?

BF: Nein, ich habe niemand in Kabul.

RI: Welche Schulbildung haben Sie absolviert?

BF: Ich habe nicht die Schule besucht. Ich war in einer Koranschule für 4 bis 5 Monate. Nachgefragt gebe ich an, dass ich zwar nicht schreiben, aber lesen kann.

RI: Gingen Sie einer Beschäftigung mit entsprechender Ausbildung nach, bevor Sie zum Militär gingen?

BF: Ja, ich habe den Beruf des Schweißers/Schmieds gelernt. Ich habe schon als kleines Kind damit Erfahrungen gesammelt. Bis zu meinem

18. Lebensjahr habe ich als Schweißer/Schmied gearbeitet.

RI: Was war der Grund dafür, dass Sie mit Ihrer Arbeit aufgehört haben und zum Militär gingen?

BF: Es gab keinen besonderen Grund dafür. In Afghanistan muss jeder junge Mann für 3 Jahre zum Militär.

RI: Laut Länderbericht besteht in Afghanistan keine Wehrpflicht. Wieso mussten Sie dann für 3 Jahre zum Militärdienst?

BF: Mir wurde gesagt, dass ich für 3 Jahre zum Militär muss, und dann nach diesen 3 Jahren dorthin gehen muss, wo sie mich hinschicken.

RI: Von wem haben Sie diese Information?

BF: Von meiner Ausbildungsstätte.

RI: Sind Sie freiwillig zum Militär gegangen? Sie wurden dann verpflichtet. Nicht jeder muss für 3 Jahre zum Militär. Stimmt das?

BF: Wenn man zum Militär geht, muss man für 3 Jahre dienen. Ich bin freiwillig hingegangen. Nachgefragt gebe ich an, dass ich nicht mehr als Schweißer/Schmied arbeiten wollte. Ich wollte zum Militär.

RI: Ging ein Bruder von Ihnen auch zum Militär?

BF: Nein, ich war der Einzige.

RI: Haben Sie zu Ihrer Familie, Eltern und Brüder, noch regelmäßig Kontakt?

BF: Ja, aber nur sehr wenig.

RI: Wie sieht der Kontakt zu Ihrer Familie aus?

BF: Ich habe Kontakt zu meiner Familie via Facebook und Internet. Nachgefragt gebe ich an, dass es in der Wohngegend meiner Familie die Möglichkeit der Internetverbindung gibt.

RI: Wann haben Sie Ihren Herkunftsstaat zuletzt genau verlassen? Auf welchem Weg sind Sie nach Österreich gelangt und wo waren Sie wie lange aufhältig?

BF: An das genaue Datum kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich glaube, es sind ca. 3 Jahre her.

Nachgefragt, wie lange meine Reise gedauert hat, gebe ich an, dass ich zuerst in den Iran war. Dort habe ich mich für 8 Monate aufgehalten. Danach bin ich hierher nach Ö gekommen.

RI: Wie haben Sie im Iran Ihren Lebensunterhalt verdient?

BF: Ich habe als Tagelöhner gearbeitet.

RI: Wie wurde Ihre Reise von Afghanistan nach Österreich finanziert?

BF: Ich habe in Teheran gearbeitet, aus Afghanistan habe ich mir Geld schicken lassen.

Nachgefragt, wie viel meine Reise gekostet hat, gebe ich an, dass die Reise von der Türkei bis nach Ö ca. 1.500 bis 1.600 Euro gekostet hat. Von Afghanistan in den Iran habe ich 15.000 Afghani bezahlt.

RI: Haben Sie das Geld bei sich gehabt, oder es vor Ihre Ausreise von Afghanistan geholt?

BF: Das hatte ich bei mir, bis ich in den Iran gekommen bin.

RI: Von wo haben Sie Ihre Flucht angetreten?

BF: Ich habe Afghanistan von Helmand aus verlassen.

Zur derzeitigen Situation in Österreich:

RI: Haben Sie in Österreich lebende Familienangehörige oder Verwandte?

BF: Nein.

RI ersucht D, die folgenden Fragen nicht zu übersetzen. RI stellt diverse Fragen.

RI: Sprechen Sie Deutsch? Haben Sie mich bis jetzt auch ohne Übersetzung durch die D verstehen können?

BF: Ein bisschen.

RI stellt die Frage nach dem heutigen Tagesverlauf.

RI stellt fest, dass der BF die an ihn zuletzt gestellten und nicht übersetzten Fragen nicht verstanden und nicht auf Deutsch beantwortet hat.

Die Verhandlung wird wieder in Dari durch Übersetzung geführt.

RI: Besuchen Sie derzeit einen Deutschkurs oder haben Sie einen Deutschkurs bereits besucht?

BF: Ich habe einen Deutschkurs für 1 bis 1 1/2 Monate besucht. Im Jahr 2017 hatte ich die Schwierigkeiten mit meinem Kiefer. Ich konnte aufgrund von Blutungen nicht hingehen.

Nachgefragt gebe ich an, dass es im April war.

RI: Sie haben Ö im Oktober 2015 erreicht. Sie hätten ja Zeit gehabt von Ihrer Einreise bis 2017 einen Deutschkurs zu besuchen?

BF: Es gab keinen Deutschkurs für mich. Ich hatte 8 Monate Wartezeit, bis ich einen Deutschkurs bekommen habe.

RI: Haben Sie Arbeit in Österreich? Gehen Sie einer regelmäßigen Beschäftigung nach?

BF: Nein, jetzt nicht. Früher hatte ich schon Arbeit.

RI: Besuchen Sie in Österreich bestimmte Kurse oder eine Schule, oder sind Sie aktives Mitglied in einem Verein? Gehen Sie sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach?

BF: Nein, ich gehe weder kulturellen noch vereinsmäßigen Aktivitäten nach.

RI: Gehen Sie sonstigen Aktivitäten, Hobbies nach?

BF: Ja, ich gehe gerne laufen.

RI: Haben Sie Kontakt zu Österreichern?

BF: Nein.

RI: Wurden Sie in Österreich jemals von einem Gericht wegen einer Straftat verurteilt oder von einer Behörde mit einem Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot belegt?

BF: Nein.

Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:

RI: Nennen Sie jetzt bitte abschließend und möglichst umfassend alle Gründe, warum Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen haben bzw. warum Sie nicht mehr in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren können (Fluchtgründe). Sie haben dafür nun ausreichend Zeit und auch die Gelegenheit, allfällige Beweismittel vorzulegen.

BF: Ich habe ca. zwei Jahre gedient. Es gab eine Ortschaft namens XXXX, in der Provinz Helmand. Wir waren in Gruppen zu je 40 Personen unterwegs und waren in verschiedenen Bezirken aufgeteilt. Auf einmal waren wir umzingelt. Von den 40 Personen wurden einige umgebracht und einige festgenommen. Unser Kommandant wurde umgebracht. Es war eine schlimme Situation. Ich alleine flüchtete in ein Privathaus. Dort habe ich eine ältere Dame um Zivilkleidung gebeten. Ich habe diese Kleidung angezogen und meine Waffe weggelegt. Dann bin ich Richtung Iran geflüchtet und dann weiter hierher.

RI: Wie hat Ihr Kommandant geheißen?

BF: Er hieß XXXX.

RI: Wo befand sich Ihr Stützpunkt?

BF: Der Stützpunkt befand sich in Helmand.

Nachgefragt gebe ich an, dass sich der Stützpunkt in der Provinz Helmand, im Bezirk XXXX, war.

RI: Vor dem BFA haben Sie den Hauptstützpunkt genau bezeichnet. Sie konnten sogar eine Nummer nennen.

BF: In Afghanistan gibt es keine genaue Nummern.

RI: Vor dem BFA haben Sie den Stützpunkt mit XXXX angegeben.

BF: XXXX heißt Camp.

Nachgefragt gebe ich an, dass es dort keine Nummern gibt. XXXX ist eine Gruppe von 400 Soldaten.

Nachgefragt, welche Bedeutung die Nummer, die ich angegeben habe, hatte, gebe ich an, dass dies eine interne Nummer ist.

RI wiederholt die Frage nach dem genauen Namen des Stützpunktes und weist darauf hin, dass der BF den Namen vor dem BFA gleich nannte.

BF: Ich habe Sie nicht verstanden. Ich dachte, Sie wollten eine Straßennummer wissen. Das ist eine interne Nummer.

RI: Wie hat Ihr Alltag ausgesehen? Welche Aufgaben hatten Sie?

BF: Wir waren Soldaten. Wir hatten 3 Stunden exerziert. Wir waren auf Abruf bereit. Nachgefragt, ob wir auch auf Patrouille gingen, gebe ich an, dass wir dies auch getan haben.

RI: Wurden Sie schon vor dem fluchtauslösenden Vorfall in Gefechte verwickelt?

BF: Nein, davor war ich nicht in Gefechte verwickelt.

RI: Versteht das Gericht das richtig? Sie waren 3 Monate in Ausbildung und haben dann für fast zwei Jahre gedient. In dieser Zeit kam es nie zu Einsätzen, bei denen Sie Ihre Waffe gebrauchen mussten?

BF: Nein, in Helmand gibt es viele Auseinandersetzungen. Es gibt aber nicht nur eine Einheit, sondern fünf bis sechs Einheiten. Jede Einheit hat ihre Aufgabe.

RI: Ist das richtig: Für 1 3/4 Jahre ist nichts passiert. Dann erfolgte der Überfall.

BF: Ja.

RI: Welches Gewehr hatten Sie?

BF: Ein M16.

RI: Schildern Sie dem Gericht genau und detailliert, was sich an diesem Tag zugetragen hat. Was ist passiert? Wie ist es zu diesem Ereignis gekommen? Was passierte mit den Leuten?

BF: Eines Tages wurde ich benachrichtigt, ich solle zum Dienst antreten. Die XXXX wurde in verschiedene Einheiten, je 40 Personen, eingeteilt. Wir verteilten uns auf verschiedene Dörfer. Wir haben uns getrennt. Meine Gruppe und ich wurden von den Taliban umzingelt. Manche meiner Kameraden wurden getötet, manche sind geflüchtet, manche wurden verhaftet. Jeder dachte an sich selbst. Ich wollte nur überleben. Ich persönlich lief zu einem Privathaus und habe die ältere Dame um Zivilkleidung gebeten. Ich habe mich zivil gekleidet, meine Uniform weggeschmissen. Ich ging dann in den Iran.

RI: Wieso hatte diese Dame die Männerkleidung?

BF: Wieso nicht? Sie hatte einen Mann und einen Sohn.

RI: Waren der Mann und der Sohn der Dame ebenfalls im Haus anwesend?

BF: Nein, es war unter Tags. Sie waren bei der Arbeit.

RI: Haben Sie bei dem Gefecht auch zurückgeschossen?

BF: Ja.

RI: Wissen Sie, wie viele getötet und verletzt wurden? Wie viele haben so wie Sie die Waffe weggeworfen?

BF: Die Situation war nicht so, dass ich die anderen beobachten konnten. Ich sah nicht wie viele getötet, verletzt herumlagen. Wir waren umzingelt, ich lief um mein Leben. In dieser Situation habe ich nichts beobachtet.

RI: Sie haben in der Beschwerde angegeben, dass Sie der Einzige waren, der überlebt hat. Alle anderen wurden getötet. Laut Ihren jetzigen Angaben gab es aber Verletzte und Überlebende. Was sagen Sie zu diesem Widerspruch?

BF: Das habe ich nicht gesagt.

RI: Vorhalt (AS 47): Sie haben vor dem BFA ausgesagt, dass Sie der Einzige waren, der aus der Situation heil herausgekommen ist. Was sagen Sie dazu?

BF: Das habe ich nicht gesagt.

RI: Was ist mit dem Kommandanten passiert?

BF: Er war ganz vorne an der Front und er wurde erschossen. Nachgefragt gebe ich an, dass ich gesehen habe, wie er erschossen wurde.

RI: Was war der Grund dafür, dass Sie nicht in die Kaserne bzw. nach Hause zurückgekehrt sind, sondern in den Iran geflohen sind?

BF: Ich könnte nicht überleben, da ich in Zivilkleidung war. Sie hätten mich sofort erkannt, wäre ich nach Hause gegangen. Sie hätten mich getötet.

RI: Sie waren in Helmand stationiert. Ihre Heimatprovinz ist weit entfernt. Wie können die Taliban Sie dann finden?

BF: Nicht die Taliban, sondern die Regierung hätte mich finden können. Da ich meine Waffe weggeschmissen habe, hätten sie diese zurückverlangt. Ich hätte aber meine Waffe nicht aushändigen können und so würde ich entweder lebenslang inhaftiert oder gleich zum Tode verurteilt werden.

RI: Wie kommen Sie zu der Annahme, dass Ihnen die Todesstrafe bzw. lebenslange Haft drohen würde?

BF: Ich habe selbst gesehen, wie ein Soldat, der seine Waffe verloren hatte, zu lebenslanger Haft verurteilt wurde.

RI: Sie wissen genau, dass der Soldat zu lebenslanger Haft verurteilt wurde?

BF: Ja.

RI: Vorhalt: AS 48: Ich habe gesehen, wie ein anderer seine Waffe verloren hat. Bei Nachfrage, was mit dem Mann passiert wäre, haben Sie gesagt, dass Sie das nicht wüssten. Laut Ihrer jetzigen Aussage sind Sie sicher, dass der Soldat zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Was sagen Sie dazu?

BF: Ich habe vor einiger Zeit mit meinem damaligen Mitbewohner telefoniert. Ich wollte wissen, was mit ihm passiert ist. Mir wurde gesagt, dass sie ihn nach Kabul mitgenommen und ins Gefängnis Pol-e Tscharkhi (Schreibweise auch Pol-e Charkhi) gebracht haben. Das ist eines der schlimmsten Gefängnisse in Afghanistan.

RI: Wurde dieser Mann auch verurteilt?

BF: Alle, die sich dort aufhalten, sitzen dort lebenslang ein. Er wurde verurteilt.

RI: Wann haben Sie mit Ihrem ehemaligen Kameraden telefoniert?

BF: Vor einem Monat.

RI: Es gibt keine Bestrafung für Desertion in Afghanistan, laut Länderbericht. Was sagen Sie dazu?

BF: Heißt das, wenn man die Waffe verliert, gibt es keine Konsequenzen oder gerichtlichen Folgen?

RI: Kann es sein, dass Sie nur aufgrund von Vermutungen oder Befürchtungen das Land verlassen haben?

BF: Nein, das glaube ich nicht. Ich habe es selbst gesehen.

RI: Laut Ihren Angaben haben Sie mehrere Kameraden gesehen, die die Waffen weggeworfen haben. Was ist mit diesen passiert?

BF: Es gibt sicher Soldaten, die ihre Waffen wegwerfen. Die Informationen, die Sie haben, sind alles Lügen und stimmen nicht.

RI: Sie waren zwei Jahre bei der Armee. Haben Sie nie von Soldaten gehört, die die Armee verlassen haben und was mit ihnen passiert ist?

BF: Nein.

RI an RV: Haben Sie Fragen an den BF?

RV: Welche Aufgaben hatten Sie in Ihrer Einheit, bevor es zu den Kampfhandlungen kam?

BF: Wir waren in unserem Camp. Wir mussten Befehlen gehorchen, exerzieren. Wenn es Aufgaben zu erledigen gab, mussten wir diese erledigen. Wir mussten in verschiedene Bezirke gehen, für die Helmand zuständig war. Wir haben die Gegend kontrolliert, sind patrouilliert und haben alles überwacht.

RI: Sie haben Fotos mit Uniform und Gewehren vorlegt. Könnten Sie noch weitere Beweise wie Armeeausweis etc. vorlegen, die beweisen, dass Sie bei der Armee waren?

BF: Ich habe schon vorher gesagt und wiederhole es. Ich habe meinen Militärausweis und meine Dokumente vernichtet. Ich habe nichts mehr.

RI: Haben Sie auch in Ihrer Heimat keinerlei Unterlagen mehr, die Ihren Dienst beim Militär beweisen könnten?

BF: Die Regierung gibt uns keine Dokumente. Ich habe nichts erhalten.

RI an Vertrauensperson: Wie stehen Sie zu dem BF?

VP: Ich bin sein Betreuer, aus dem Heim, in dem er wohnt.

RI: Wollen Sie noch etwas zu dem BF sagen?

VP: Aus meiner Sicht als Betreuer für Flüchtlinge mit psychischen Problemen kann ich anführen, dass der BF unter ärztliche bzw. psychologische Behandlung gehört. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese ärztliche Versorgung in Afghanistan möglich wäre. Es ist aus meiner Sicht wichtig, dass der BF unter psychotherapeutischer und psychiatrischer Behandlung steht. Was seinen Beruf angeht, möchte ich noch angeben, dass der BF mit Metall arbeitet. Man kann auch Schmied sagen.

RI an RV: Haben Sie noch Fragen an den BF?

RV: Nein.

RI: Haben Sie die Befürchtung, dass Sie durch die Taliban als Usbeke Verfolgungen ausgesetzt sind?

BF: Nein, das befürchte ich nicht.

RI: Warum haben Sie vor dem BFA ausgesagt, dass die Regierung Sie für einen Talib bzw. IS-Kämpfer halten würde?

BF: Unser Präsident ist ein Daesh. Die Daesh regieren zurzeit Afghanistan. Ja, ich habe Angst, dass ich von der Regierung für einen Talib gehalten werde.

(...)

RI: Können Sie dem Gericht die richtige Schreibweise Ihres Namens angeben?

BF: Mein Familienname lautet XXXX und ist die Schreibweise, wie ich geführt werde, richtig.

RI: Geben Sie dem Gericht den Namen Ihres Vaters und die Schreibweise bekannt.

BF: Mein Vater heißt XXXX.

RI: Wie ging es Ihnen psychisch bei der Armee? Hatten Sie damals schon Probleme?

BF: Ich hatte schon psychische Probleme. Nachgefragt, ob ich Probleme mit meinen Ausbildern hatte, gebe ich an, dass ich keine Probleme hatte.

RI: Kann es sein, dass Sie sich das Leben bei der Armee anders vorgestellt haben?

BF: Nein, ich habe nichts zu bereuen. Ich bin geflüchtet.

RI: Wo genau hat sich der Vorfall mit den Taliban ereignet?

BF: Das Gefecht war im DorfXXXX, inXXXX (auch XXXX). Es war im Sommer. Das Jahr kann ich nicht mehr genau benennen."

1.8. Am 03.04.2018 gab der BF eine Stellungnahme zu den in der Verhandlung ausgehändigten Länderberichten ab.

1.9. Mit Beschluss des BVwG vom 02.07.2018 wurde ein Facharzt für Psychiatrie und Neurologie mit der Erstellung eines Gutachtens zum psychischen Gesundheitszustand des BF beauftragt.

1.10. Am 19.09.2018 wurde gegen den BF Anklage wegen versuchtem Widerstand gegen die Staatsgewalt (§ 15, § 269 Abs. 1 1. Fall StGB) und versuchter schwerer Körperverletzung (§ 15, § 84 Abs. 2 StGB) erhoben.

1.11. Aus dem durch das BvwG eingeholten psychiatrisch-neurologischen Gutachten vom 30.11.2018 geht hervor, dass beim BF keine krankheitswertigen psychischen Störungen vorliegen. Die in der Vergangenheit vorliegende depressive Episode ist nunmehr abgeklungen, aktuell sei keine Behandlung indiziert.

1.12. Der BF wurde am 10.01.2019 und am 16.01.2019 im Besitz von Suchtmitteln betreten und am 10.01.2019 angezeigt. Am 31.01.2019 wurde Anklage erhoben und der BF in U-Haft genommen.

1.13. In einer Stellungnahme vom 08.02.2019 zum psychiatrisch-neurologischen Gutachten vom 30.11.2018 wird ausgeführt, dass der BF dem Gutachter gegenüber angegeben habe, an keinen psychischen Beschwerden zu leiden und nie Selbstmordgedanken gehabt zu haben, weil er befürchte, dass sich seine Probleme negativ auf den Verfahrensausgang auswirken könnten. Der BF benötige weiterhin psychiatrische Behandlung. Weiters wurde zum übermittelten aktuellen Länderinformationsblatt zu Afghanistan Stellung genommen. Mit der Stellungnahme wurden unter anderem ein fachärztlicher Befund vom 04.02.2019 übermittelt.

2. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

* Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragung am 23.10.2015 und der Einvernahme vor dem BFA am 16.02.2017 sowie die Beschwerde vom 05.10.2017

* Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat des BF im erstbehördlichen Verfahren (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation)

* Einvernahme des BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 05.03.2018

* Einsicht in die vom BF vorgelegten Schriftstücke und Befunde

* Einsicht in das psychiatrisch-neurologischen Gutachten vom 30.11.2018

* Einsichtnahme in folgende in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vom BVwG zusätzlich eingebrachte Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF:

o Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat (Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018 sowie eine Aktualisierung vom 08.01.2019)

o Sicherheitslage in der Heimatprovinz Takhar

o Zusammenfassung der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender vom April 2016

o Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Innern vom Dezember 2016

o Auszug aus dem LIB der Staatendokumentation vom 02.03.2017, aktualisiert am 21.12.2017, betreffernd Folgen einer Desertion

o Anfragebeantwortung zu Konsequenzen von Desertion und anderen Dienstverfehlungen in den afghanischen Streitkräften vom 25.10.2016

o Feststellungen betreffend ethnische Minderheiten (Usbeken)

3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):

Folgende Feststellungen werden aufgrund des glaubhaft gemachten Sachverhaltes getroffen:

3.1. Zur Person des BF:

3.1.1. Der BF führt den Namen XXXX, geboren am XXXX, ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Usbeken und bekennt sich zum sunnitischen Islam. Die Muttersprache des BF ist Usbekisch, er spricht aber auch Dari.

Der BF ist traditionell verheiratet und stammt aus der Provinz Takhar in Afghanistan, wo seine Familie - seine Eltern, sechs Brüder, vier Schwestern und seine Ehefrau - weiterhin lebt. Der Vater und zwei Brüder des BF sind als Schweißer tätig. Tanten und Onkeln des BF leben ebenfalls in Takhar.

Der BF besuchte laut eigenen Angaben eine Koranschule und kann Dari lesen, aber nicht schreiben. Vor seinem Dienst im Militär arbeitete der BF wie sein Vater als Schweißer bzw. Schmied.

Laut Angaben des BF besteht zu allen seinen Angehörigen Kontakt.

3.1.2. Der BF ist jung und männlich. Er wurde im Zuge eines tätlichen Angriffes auf ihn im April 2017 am Kiefer verletzt und operiert. Weiterer Behandlungsbedarf besteht nicht. Der BF litt bis Anfang 2018 an einer depressiven Reaktion, mittlerweile liegen jedoch keine krankheitswertigen psychischen Störungen mehr vor.

Hinweise auf lebensbedrohende oder schwerwiegende Krankheiten haben sich zum aktuellen Zeitpunkt keine ergeben.

3.1.3. Im Jahr 2015 begab sich der BF über den Iran, die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien und Ungarn nach Österreich, wo er am 02.10.2015 in Österreich den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

3.1.4. Der BF hält sich seit Oktober 2015 in Österreich auf und spricht kein Deutsch. Er geht keiner regelmäßigen Beschäftigung nach. Er pflegt keine Kontakte zu österreichischen Personen. Hinweise, dass er aktuell selbsterhaltungsfähig ist, haben sich nicht ergeben. Der BF hat in Österreich keine Verwandten und ist strafrechtlich unbescholten. Er wurde wegen Verstöße gegen das Suchtmittelgesetz angezeigt und befindet sich seit 31.01.2019 in Untersuchungshaft.

3.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

Der BF hat sein Vorbringen, dass er aufgrund eines Angriff der Taliban auf seine Einheit geflohen sie und deshalb als Deserteur gesucht werde, nicht glaubhaft gemacht.

Der BF wurde nach eigenen Angaben in seinem Herkunftsstaat niemals inhaftiert, ist nicht vorbestraft und hatte mit den Behörden seines Herkunftsstaates weder auf Grund seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwelche Probleme. Der BF war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an.

Grund für die Ausreise des BF aus seinem Herkunftsstaat waren die dortige unsichere persönliche und allgemeine Situation und die Suche nach besseren - auch wirtschaftlichen - Lebensbedingungen im Ausland.

3.3. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:

3.3.1. Es konnte vom BF nicht glaubhaft vermittelt werden, dass er im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat einer Verfolgung aus asylrelevanten Gründen ausgesetzt wäre.

3.3.2. Der BF ist im erwerbsfähigen Alter und männlich. Dass sein allgemeiner Gesundheitszustand erheblich beeinträchtigt wäre, hat der BF im Verfahren weder behauptet, noch ist es dem erkennenden Gericht sonst bekannt geworden.

3.3.3. Eine Rückkehr des BF in die Herkunftsprovinz Takhar scheidet aus, weil ihm dort aufgrund der vorherrschenden Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde, zumal auch die Erreichbarkeit der Provinz (etwa von Kabul aus) auf sicherem Weg nicht gewährleistet werden kann.

Dem BF ist es aber möglich und zumutbar, sich stattdessen in der Hauptstadt Kabul oder auch in Mazar-e Sharif niederzulassen. Er ist mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates und zwei in Afghanistan gesprochenen Sprachen (Dari und Usbekisch) vertraut. Er kann zumindest etwas lesen und verfügt über Berufserfahrung als Schweißer. Der BF verfügt zwar in Kabul - wo er jedoch bereits einmal aufhältig war und somit über Ortskenntnis verfügt - oder Mazar-e Sharif über keine familiären Anknüpfungspunkte, allerdings kann er auf die Unterstützung seiner Familie zurückgreifen, die in der Provinz Dakhar lebt und deren Lebensunterhalt gesichert ist. Dem BF ist aus eigenem und mit Hilfe dieser Angehörigen der Aufbau einer Existenzgrundlage in Kabul oder Mazar-e Sharif möglich. Der BF kann seine Existenz in Kabul oder Mazar-e Sharif - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern, wobei festzuhalten ist, dass der BF über Berufserfahrung verfügt. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, dass ihm seine im Heimatdorf aufhältige Familie - zumindest zu Beginn als Starthilfe - finanzielle Unterstützung zukommen lässt, zumal sie über ein Haus verfügt und der Vater sowie zwei Brüder berufstätig sind. Auch kann der BF Rückkehrunterstützung in Anspruch nehmen und damit eine weitere finanzielle Hilfe erhalten. Als alleinstehender, gesunder, leistungsfähiger Mann im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf liefe der BF auch nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der BF leidet an keinen Erkrankungen, die seine Erwerbsfähigkeit beeinträchtigen würden

3.3.4. Der BF kann die Hauptstadt Kabul und die Stadt Mazar-e Sharif - über Kabul - von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.

3.4. Zur Lage im Herkunftsstaat des BF:

Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG zusätzlich in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:

3.4.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan ("Gesamtaktualisierung am 29.06.2018", Schreibfehler teilweise korrigiert):

[...]

2. Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.01.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.09.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.09.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.02.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.01.2017; vgl. USDOS 20.04.2018, USDOS 15.08.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.01.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.02.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.04.2018; vgl. USDOS 15.08.2017).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).

Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht Am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.01.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20.10.2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.04.2018; vgl. AAN 22.01.2017, AAN 18.12.2016).

Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.08.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch en

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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