Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler sowie Univ.-Prof. Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. G***** T*****, 2. M***** F*****, 3. E***** P***** S*****, 4. A***** P*****, alle vertreten durch Dr. Michael Wukoschitz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Air S*****, Serbien, wegen 1.000 EUR sA, über den Ordinationsantrag nach § 28 JN in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Als örtlich zuständiges Gericht wird das Bezirksgericht Schwechat bestimmt.
Text
Begründung:
Die Kläger streben die Verpflichtung des beklagten Flugunternehmens mit Sitz in B***** zur Zahlung von 1.000 EUR aufgrund der Verordnung (EG) Nr 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 2. 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen an. Ihr bei der Beklagten gebuchter Flug von Wien nach Belgrad am 11. 4. 2017 sei annulliert worden, weshalb sie Belgrad erst sechs Stunden später erreicht hätten.
Das Bezirksgericht Schwechat wies ihre Klage mit rechtskräftigem Beschluss vom 12. 12. 2018 mangels internationaler Zuständigkeit zurück. Die Kläger könnten sich zur Begründung eines Gerichtsstands der Beklagten weder auf § 88 JN – im Vertragsverhältnis zwischen den Parteien sei lediglich ein E-Ticket ausgestellt worden, das keine schriftliche Erfüllungsortvereinbarung zugunsten des Abflugorts Wien-Schwechat darstelle – noch auf § 99 JN stützen; die Kläger hätten eine Forderung der Beklagten aus einem österreichischen Cargo-Geschäft zwar behauptet, jedoch deren tatsächliches Bestehen nicht nachgewiesen.
Am 16. 1. 2019 beantragten die Kläger beim Obersten Gerichtshof gemäß § 28 JN unter Anschluss der einzubringenden Klage die Ordination eines für ihre Klage örtlich zuständigen Gerichts in Österreich. Eine Rechtsverfolgung in Serbien sei unzumutbar, weil serbische Gerichte nicht an die EuGH-Vorabentscheidungen zur Fluggastrechte-Verordnung (EG) Nr 261/2004 gebunden seien, mit Serbien kein einschlägiger Vollstreckungsvertrag existiere und in Anbetracht des geringen Streitwerts die Übersetzungskosten für das serbische Verfahren unverhältnismäßig seien.
Rechtliche Beurteilung
Die Voraussetzungen für eine Ordination durch den Obersten Gerichtshof sind gegeben.
1. Für den Fall, dass für eine bürgerliche Rechtssache die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines inländischen Gerichts nicht gegeben oder nicht zu ermitteln sind, bestimmt § 28 Abs 1 JN, dass der Oberste Gerichtshof aus den sachlich zuständigen Gerichten eines zu bestimmen hat, welches für die fragliche Rechtssache als örtlich zuständig zu gelten hat, wenn Österreich auf Grund eines völkerrechtlichen Vertrags zur Ausübung von Gerichtsbarkeit verpflichtet ist (Z 1) oder der Kläger österreichischer Staatsbürger ist oder seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Inland hat und im Einzelfall die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar wäre (Z 2) oder die inländische Gerichtsbarkeit, nicht aber ein örtlich zuständiges Gericht vereinbart worden ist (Z 3).
Das Ordinationsverfahren ist einseitig; die beklagte Partei wird nicht beigezogen (vgl 6 Ob 56/01f; Mayr in Rechberger, ZPO4 [2014] § 28 JN Rz 9). Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist ein Ordinationsantrag unzulässig, bevor die Frage der Zuständigkeit in einem bereits anhängigen ordentlichen Verfahren rechtskräftig entschieden wurde (RIS-Justiz RS0046450). An eine solche Entscheidung über die internationale Zuständigkeit Österreichs ist der Oberste Gerichtshof gebunden (2 Nc 17/12s; 3 Nc 3/18y). Da das Bezirksgericht Schwechat die Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit zurückgewiesen hat, kann eine Ordination nicht auf § 28 Abs 1 Z 1 JN gestützt werden (vgl 3 Nc 3/18y).
2. Die Kläger stützen ihren Ordinationsantrag auf § 28 Abs 1 Z 2 JN, also auf den Fall der Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland. Durch diese Bestimmung wird die internationale Zuständigkeit Österreichs erweitert, indem eine Notkompetenz für den Fall, dass die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar ist, eröffnet wird (Garber in Fasching/Konecny³ I [2013] § 28 JN Rz 22). Allerdings ist zu beachten, dass bei Fehlen eines Anknüpfungspunkts, der eine besondere Zuständigkeit österreichischer Gerichte begründen würde, zunächst davon ausgegangen wird, dass der Gesetzgeber Klagen gegen Personen, die in Österreich keinen ordentlichen Wohnsitz oder bleibenden Aufenthalt haben, im Allgemeinen von den österreichischen Gerichten nicht behandelt wissen will (RIS-Justiz RS0046264). § 28 JN soll also dem Obersten Gerichtshof nicht die Möglichkeit bieten, grundsätzlich jede Rechtssache, zu deren Entscheidung die Zuständigkeitsvorschriften kein österreichisches Gericht berufen, der österreichischen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen (vgl 7 Nc 21/10p mwN; RIS-Justiz RS0046322) und damit einen allgemeinen Klägergerichtsstand zu etablieren (Garber aaO Rz 56, 58).
Ist im Ausland ausreichender Rechtsschutz gewährleistet und würde die ausländische Entscheidung im Inland auch vollstreckt werden, so besteht bei Fehlen einer inländischen Zuständigkeit kein Anlass zur Bejahung der internationalen Zuständigkeit (RIS-Justiz RS0046159). § 28 Abs 1 Z 2 JN soll Fälle abdecken, in denen trotz Fehlens eines Gerichtsstands im Inland ein Bedürfnis nach Gewährung inländischen Rechtsschutzes vorhanden ist, weil ein Naheverhältnis zum Inland besteht und im Einzelfall eine effektive Klagemöglichkeit im Ausland nicht gegeben ist (RIS-Justiz RS0057221 [T4]).
3. Die Kläger erfüllen die erste der beiden von § 28 Abs 1 Z 2 JN aufgestellten Voraussetzungen (Naheverhältnis zum Inland) schon allein im Hinblick auf ihren Wohnsitz in Österreich (10 Nc 19/05h); darüber hinaus lag ihr Abflugort in Wien-Schwechat.
4. Hinsichtlich der zweiten Voraussetzung (Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im konkurrierenden Ausland im Einzelfall) ist zu bedenken, dass eine unterschiedliche Ausgestaltung der materiellen Rechtslage allein für eine Ordination nicht ausreichen kann (9 Nc 109/02g; 10 Nc 19/05h). Vor diesem Hintergrund geht aber das Argument der Kläger, serbische Gerichte seien nicht an die Rechtsprechung des EuGH gebunden, ins Leere. Im Kern wird damit nämlich geltend gemacht, dass bei einer Rechtsverfolgung in Serbien die Gefahr einer materiell unrichtigen Entscheidung bestünde. Dies ist aber kein ausreichender Grund für eine Ordination. Eine günstigere oder ungünstigere materielle Rechtslage allein kann nicht die Begründung einer ansonsten nicht gegebenen inländischen Gerichtsbarkeit bewirken (RIS-Justiz RS0117751). Den Ausführungen im Ordinationsantrag, eine wirksame Durchsetzung der Ansprüche nach der Fluggastrechte-Verordnung sei nur dann gewährleistet, wenn diese vor einem Gericht eines Mitgliedstaats geltend gemacht werden, ist nicht zu folgen.
5. Es entspricht zwar ständiger Rechtsprechung, dass das – auch von den Klägern gebrauchte – Prozesskostenargument bei Distanzprozessen für beide Parteien jeweils mit umgekehrten Vorzeichen besteht und daher zu Lasten des Klägers geht (RIS-Justiz RS0046420). In der Entscheidung 10 Nc 19/05h hat der Oberste Gerichtshof allerdings in einem Fall, in dem die Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin – wie auch im vorliegenden Fall – ganz offensichtlich als Verbraucherin aufgetreten war, ausgeführt, es sei (ausnahmsweise) inländischer Rechtsschutz zu gewähren, weil § 28 Abs 1 Z 2 JN mit der Erweiterten Wertgrenzen-Novelle 1997, BGBl I Nr 1997/140, leicht verändert wurde. Ziel der Neuformulierung sei unter anderem eine Lockerung der von der Rechtsprechung gelegentlich zu restriktiv gehandhabten Erfordernisse einer Ordination gewesen; so sollte etwa die Frage der Kostspieligkeit der Führung eines Rechtsstreits im Ausland stärker berücksichtigt werden als zuvor (ErläutRV 898 BlgNR 20. GP 33 f). Gerade auf diesen Umstand (Übersetzungskosten) haben sich die Kläger im vorliegenden Ordinationsantrag ausdrücklich berufen.
6. Vor allem aber ist zu berücksichtigen, dass Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland vorliegt, wenn die ausländische Entscheidung in Österreich nicht anerkannt oder vollstreckt würde (vgl 4 Nd 1/88; 9 Nc 109/02g) und eine Exekutionsführung im Inland geplant ist (RIS-Justiz RS0046148 [T10]).
6.1. Nach § 79 Abs 2 EO sind (nur) Akte und Urkunden […] für vollstreckbar zu erklären, wenn sie nach den Bestimmungen des Staats, in dem sie errichtet wurden, vollstreckbar sind und die Gegenseitigkeit durch Staatsverträge oder durch Verordnungen verbürgt ist. In diesem Zusammenhang machen die Kläger zutreffend (3 Ob 208/12b [ErwGr 1.]; zu Slowenien bzw „Jugoslawien“ vgl auch 4 Nd 507/96) geltend, dass zwischen Österreich und Serbien kein Abkommen über die Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen nach der Fluggastrechte-Verordnung besteht. Das Gelbe Buch Online (abrufbar im Justiz-Intranet; zu dessen Verwendbarkeit in Ordinierungsverfahren vgl 5 Nc 14/11w) weist aus, dass mit Serbien zwar verschiedene Abkommen bestehen, die aber nur einzelne Materien erfassen, wie etwa Unterhaltsentscheidungen, Prozesskostenentscheidungen, Schieds- und Investitionsstreitigkeiten und Entscheidungen in Beförderungssachen nach COTIF (Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr) und CMR (Beförderungsverträge im internationalen Straßengüterverkehr). Auch das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen zwi
s
chen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Serbien vom 29. 4. 2008 (BGBl III Nr 2013/256) enthält keine Regelungen über die Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsentscheidungen.
6.2. Die Kläger haben im Ordinierungsverfahren ausreichend behauptet, dass die Beklagte in Österreich Vermögen hat und daher hier gegen sie Exekution geführt werden soll (vgl 4 Nd 505/94); sie berufen sich auf Forderungen der Beklagten gegenüber der G***** GmbH mit Sitz in Österreich aus der Vermittlung von Cargo-Aufträgen. Dass das Bezirksgericht Schwechat in seinem Zurückweisungsbeschluss in diesem Zusammenhang das Vorliegen des Vermögensgerichtsstands nach § 99 JN verneinte, schließt eine Ordination nicht aus, wurde damit doch noch nicht zwingend ein Inlandsbezug verneint (vgl 4 Nd 507/96).
7. Die Fluggastrechte-Verordnung, auf die sich die Kläger berufen, ist Bestandteil des Europäischen Gemeinschaftsrechts. Für dieses gilt der Grundsatz der effektiven Umsetzung („effet utile“; dazu EuGH C-76/90 Slg 1991, I-4221; 2 Ob 243/12t [ErwGr VI.2.]; Holoubek in Becker/Hatje/Schoo/Schwarze, EU-Kommentar4 [2019] Art 56, 57 AEUV Rz 11), der ebenfalls dafür spricht, (jedenfalls) Fluggästen, die aufgrund eines Beförderungsvertrags mit einem Flugunternehmen mit Sitz in einem Drittstaat von einem in der Europäischen Union liegenden Flughafen abfliegen, die Geltendmachung und Durchsetzung von in der Verordnung begründeten Ansprüchen nicht zu erschweren. In der vorliegenden Konstellation käme die Abweisung eines Ordinationsantrags im Ergebnis geradezu einer Rechtsschutzverweigerung gleich (vgl RIS-Justiz RS0046644); angesichts der Höhe der Ansprüche ist nicht davon auszugehen, dass sie von Fluggästen in einem Drittstaat geltend gemacht werden, wenn die Entscheidung dann in Österreich gar nicht vollstreckbar ist.
8. Für die Auswahl des zu ordinierenden Gerichts (in örtlicher Hinsicht) enthält § 28 JN zwar keine ausdrücklichen Vorgaben; es ist dabei jedoch auf die Kriterien der Sach- und Parteinähe sowie der Zweckmäßigkeit Bedacht zu nehmen (RIS-Justiz RS010
6
680 [T13]). Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben hat eine Zuweisung der Sache an das Bezirksgericht Schwechat zu erfolgen, lag doch zum einen der Abflugort im vorliegenden Fall in dessen Sprengel und wurde zum anderen die Klage bereits bei diesem Gericht behandelt (vgl 2 Nc 17/1
2
s [ErwGr 5]).
Textnummer
E124394European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0060NC00001.19B.0211.000Im RIS seit
04.04.2019Zuletzt aktualisiert am
04.02.2020