Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Grohmann und Mag. Malesich sowie die Hofräte Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. R***** S*****, gegen die beklagte Partei J***** C*****, vertreten durch Mag. Anne-Karin Grill, Rechtsanwältin in Wien, als bestellte Verfahrenshelferin, diese vertreten durch die Pepelnik & Karl Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 6.230 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 3. Oktober 2018, GZ 35 R 190/18b-30, mit dem die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 11. Juni 2018, GZ 19 C 299/17i-25, zurückgewiesen wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
I. Die Rekursbeantwortung des Klägers wird zurückgewiesen.
II. Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird ersatzlos aufgehoben und dem Berufungsgericht die Entscheidung über die Berufung der Beklagten unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Die Rekurskosten sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.
Text
Begründung:
Der Kläger begehrte von der Beklagten die Rückzahlung von Darlehen in Höhe von insgesamt 6.230 EUR.
Das Erstgericht sprach aus, dass die Klageforderung zu Recht, eine von der Beklagten eingewandte Gegenforderung hingegen nicht zu Recht bestehe, und verpflichtete die Beklagte zur Zahlung des eingeklagten Betrags samt Zinsen und Verfahrenskosten.
Das Berufungsgericht wies die Berufung der Beklagten als verspätet zurück. Das Urteil des Erstgerichts sei der bestellten Verfahrenshelferin der Beklagten am 13. 6. 2018 an ihrem Kanzleisitz zugestellt und von einem Arbeitnehmer übernommen worden. Da die bestellte Verfahrenshelferin nach außen keine Erklärung über den Umfang der einer Rechtsanwälte GmbH erteilten Substitution abgegeben habe, sei das Erstgericht verpflichtet gewesen, Zustellungen weiterhin an die Verfahrenshelferin und nicht unmittelbar an deren Substitutin vorzunehmen. Die Berufungsfrist habe daher mit der rechtswirksamen Zustellung an die Verfahrenshelferin am 13. 6. 2018 zu laufen begonnen. Das Einbringungsdatum der Berufung würde sich aus der Aktenlage zwar nicht eindeutig ergeben. Die Berufung sei jedoch auch dann verspätet eingebracht worden, wenn man mit dem 13. 7. 2018 vom früheren der beiden in Frage kommenden Einbringungsdaten ausgehe.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Beklagten. Sie beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und dem Berufungsgericht die Entscheidung über die Berufung aufzutragen.
Rechtliche Beurteilung
Der Kläger erstattete eine Rekursbeantwortung.
I. Der Rekurs ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO jedenfalls zulässig (RIS-Justiz RS0042770, RS0098745). Dieses Rekursverfahren ist einseitig (RIS-Justiz RS0098745 [T8, T12]; RS0043760). Die Rekursbeantwortung des Klägers war daher als unzulässig zurückzuweisen.
II. Der Rekurs ist berechtigt.
1. Hat eine Partei für einen Rechtsstreit Prozessvollmacht erteilt, so haben bis zur Aufhebung der Prozessvollmacht alle diesen Rechtsstreit betreffenden Zustellungen an den namhaft gemachten Bevollmächtigten zu geschehen (§ 93 Abs 1 ZPO). An den Bevollmächtigten ist auch zuzustellen, wenn dies in der Zustellverfügung nicht ausdrücklich angeordnet wurde (§ 123 Abs 4 Geo). Eine im Widerspruch zu § 93 ZPO bewirkte Zustellung ist wirkungslos (RIS-Justiz RS0036252).
2. Ein nach § 64 Abs 1 Z 3 ZPO bestellter Verfahrenshelfer steht in diesem Punkt einem bevollmächtigten Vertreter gleich. Zustellungen haben daher entsprechend an den als Verfahrenshelfer bestellten Rechtsanwalt zu erfolgen (10 Ob 84/14x mwN; 10 ObS 258/03v; RIS-Justiz RS0036271 [T1]; Frauenberger-Pfeiler in Frauenberger-Pfeiler/Raschauer/Sander/Wessely, Österreichisches Zustellrecht2 § 93 ZPO Rz 5; Stumvoll in Fasching/Konecny4 § 93 ZPO Rz 3).
3. Der Rechtsanwalt kann die ihm erteilte Prozessvollmacht für einzelne Akte oder Abschnitte des Verfahrens an einen anderen Rechtsanwalt übertragen (§ 31 Abs 2 ZPO). Auch der Verfahrenshilfeanwalt kann sich eines Substituten bedienen, dem er einzelne Akte oder Abschnitte des Verfahrens, ja sogar die gesamte Prozessführung, übertragen kann (§ 64 Abs 1 Z 3 ZPO; M. Bydlinski in Fasching/Konecny3 II/1 § 64 ZPO Rz 27). Hat der Verfahrenshelfer nach außen keine Erklärung über den Umfang der Substitution abgegeben, ist das Erstgericht jedoch verpflichtet, Zustellungen weiterhin an den Verfahrenshelfer (und nicht unmittelbar an dessen Substituten) vorzunehmen (10 ObS 351/01t = RIS-Justiz RS0115976; Frauenberger-Pfeiler aaO § 93 ZPO Rz 5; Stumvoll aaO § 93 ZPO Rz 16; Gitschthaler in Rechberger ZPO4 § 93 Rz 1).
4.1. Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts hat die Verfahrenshelferin hier nach außen eine solche Erklärung über den Umfang der Substitution abgegeben. Die Substitutin gab in der ersten von ihr für die Beklagte verfassten Eingabe (ON 12) bekannt, dass die bestellte Verfahrenshelferin „die Verfahrenshilfe“, demnach das gesamte Verfahren an die Substitutin substituiert und ihr Substitutionsvollmacht erteilt habe. Das Erstgericht war daher verpflichtet, die Zustellung nicht unmittelbar an die Verfahrenshelferin, sondern an dessen Substitutin vorzunehmen.
4.2. Das Erstgericht hat in seinem Urteil zwar die Substitutin als Parteienvertreterin angeführt und in der Zustellverfügung angeordnet, die Zustellung an diese („BV“) vorzunehmen. Tatsächlich wurde das Urteil aber zunächst unmittelbar der Verfahrenshelferin am 13. 6. 2018 per Post durch Abgabe an einen in der Kanzlei der Verfahrenshelferin anwesenden Kanzleiangestellten zugestellt. Die Wirksamkeit dieses einzigen aus dem Akt ersichtlichen Zustellvorgangs ist in diesem Rekursverfahren strittig. Die Rekurswerberin macht geltend, dass die Verfahrenshelferin zum Zeitpunkt dieser Zustellung ihren Kanzleisitz bereits gewechselt gehabt habe, die frühere Kanzlei keine zulässige Abgabestelle und dort auch kein Arbeitnehmer der Verfahrenshelferin beschäftigt gewesen sei. Das Urteil sei der Verfahrenshelferin auch bis heute nicht zugegangen. Diese Fragen können hier jedoch dahin gestellt bleiben, weil die Zustellung des Urteils an die Verfahrenshelferin gegenüber der Beklagten jedenfalls erst mit dem Zeitpunkt wirksam werden konnte, in dem das Urteil der Substitutin, der die Verfahrenshelferin die Prozessvollmacht für das gesamte Verfahren übertragen hat, zugekommen ist.
4.3. Der Zeitpunkt, an dem das Urteil der Substitutin zugekommen ist, ist aus dem Akt nicht feststellbar. Die Substitutin behauptet in ihrer Berufung, dass ihr das Urteil – offenbar postalisch – am 15. 6. 2018 zugestellt wurde. Unter Bedachtnahme auf das Abfertigungsdatum bezüglich der im Akt dokumentierten Zustellvorgänge (11. 6. 2018), die übliche Dauer des Postlaufs und den Umstand, dass allgemein im Fall eines Zweifels von der Rechtzeitigkeit des Rechtsmittels auszugehen ist (RIS-Justiz RS0006965), kann angenommen werden, dass dies auch den Tatsachen entspricht.
5.1. Ausgehend von der Zustellung (und damit dem Zukommen) am 15. 6. 2018 brachte die Substitutin mit dem 13. 7. 2018 am letzten Tag der Berufungsfrist im Elektronischen Rechtsverkehr einen nicht näher bezeichneten Schriftsatz ein, in dem auf einen Anhang hingewiesen wurde. Tatsächlich wurde aber kein Anhang übermittelt. Das Erstgericht teilte der Substitutin daraufhin telefonisch mit, dass lediglich ein Deckblatt eingelangt sei. Nach der Klarstellung, dass es sich um eine Berufung handle und die Übermittlung des Anhangs aus Versehen unterblieben sei, forderte das Erstgericht die Substitutin auf, „den Schriftsatz per ERV“ einzubringen (Aktenvermerk vom 16. 7. 2018). Noch am Tag dieses Telefonats übermittelte die Substitutin die vollständige Berufungsschrift.
5.2. Nach der Rechtsprechung darf eine inhaltliche Verbesserung eines „Rechtsmittels“ nur dann verfügt werden, wenn sich der Schriftsatz nicht in der bloßen Benennung des Rechtsmittels oder in der Erklärung die Entscheidung zu bekämpfen erschöpft (RIS-Justiz RS0036478). Diese Grundsätze wurden bereits mehrfach auch auf den Fall der ERV-Eingabe, der die Ausführung des Rechtsmittels nicht angeschlossen war, angewendet. Die bloße Übermittlung des „Deckblatts“ des Rechtsmittels sei nicht verbesserungsfähig und führe zu keiner Fristverlängerung (5 Ob 135/18s mwN; RIS-Justiz RS0036478 [T5, T8, T9, T10]). Da diese Beschränkung der gesetzlich vorgesehenen Verbesserungsmöglichkeiten allerdings darauf abzielt, prozessuale Vorteile zu verhindern, die durch bewusstes Fehlverhalten bei der Einbringung von Schriftsätzen entstünden, ist grundsätzlich ein Verbesserungsauftrag zu erteilen, wenn nichts darauf hindeutet, dass durch bewusst unvollständige Einbringung – etwa nur des „Deckblatts“ – die Erschleichung eines Verbesserungsauftrags und damit eine Fristverlängerung erreicht werden sollte (5 Ob 135/18s mwN; RIS-Justiz RS0036478 [T7, T13]).
5.3. Anzeichen für einen solchen (vermuteten) Missbrauch bestehen hier nicht. Dies wäre aber insbesondere deshalb zu verlangen, weil gerade mit der automationsunterstützten Verfassung und Einbringung von Schriftsätzen zahlreiche mögliche Fehlerquellen verbunden sind, weshalb bei im Elektronischen Rechtsverkehr übermittelten Eingaben eine Fehlerhaftigkeit oder Unvollständigkeit in der Regel ohne böse Absicht erfolgt (1 Ob 70/13w = RIS-Justiz RS0036478 [T12]). Das Erstgericht hat daher zutreffend einen – wenn auch unrichtigerweise unbefristeten – Verbesserungsauftrag erteilt, dem die Beklagte jedenfalls rechtzeitig nachgekommen ist (vgl 1 Ob 70/13w).
6. Die von der Substitutin der Verfahrenshelferin eingebrachte Berufung der Beklagten war daher nicht verspätet. Die Zurückweisung durch das Berufungsgericht erfolgte zu Unrecht, weshalb der angefochtene Beschluss ersatzlos aufzuheben und dem Berufungsgericht die Entscheidung über die Berufung aufzutragen war.
7. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.
Textnummer
E124462European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0050OB00247.18M.0220.000Im RIS seit
04.04.2019Zuletzt aktualisiert am
09.01.2020