TE Bvwg Erkenntnis 2019/2/22 W123 2189332-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.02.2019
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Entscheidungsdatum

22.02.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W123 2189327-1/16E

W123 2189329-1/7E

W123 2189332-1/14E

W123 2189333-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Michael ETLINGER über die Beschwerden

1. der XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.02.2018, 15-1094922702/151785092 (W123 2189332-1),

2. des XXXX , geb. XXXX gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.02.2018, 15-1094922201/151785122 (W123 2189327-1),

3. der mj. XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.02.2018, 15-1094923002/151785084 (W123 2189333-1) und

4. der mj. XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.02.2018, 16-1128281507/161202043 (W123 2189329-1),

alle StA. Afghanistan, nach Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind verheiratet sowie die Eltern und die gesetzlichen Vertreter der Dritt- und Viertbeschwerdeführer.

2. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer stellten am 16.11.2015 für sich und die Drittbeschwerdeführerin Anträge auf internationalen Schutz. Am selben Tag erfolgte die Erstbefragung der Erst- und Zweitbeschwerdeführer durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes.

Die Erstbeschwerdeführerin gab zu ihrem Fluchtgrund befragt im Wesentlichen an, dass sie aufgrund der Probleme des Zweitbeschwerdeführers Afghanistan verlassen habe.

Der Zweitbeschwerdeführer führte zu seinem Fluchtgrund befragt zusammengefasst aus, dass sein Vater Oberst in Afghanistan gewesen sei. Er sei gemeinsam mit seiner Familie von den Taliban getötet worden. Die Taliban hätten den Zweitbeschwerdeführer aufgefordert, sich ihnen anzuschließen, um sie zu unterstützen. Der Zweitbeschwerdeführer habe jedoch die Zusammenarbeit verweigert, weshalb sein Leben in Afghanistan in Gefahr gewesen sei und er den Entschluss gefasst habe, gemeinsam mit der Erstbeschwerdeführerin Afghanistan zu verlassen.

3. Am 20.11.2016 verließen die Erst- bis Drittbeschwerdeführer ihre Betreuungsstelle in Österreich, ohne eine neue Abgabestelle bekanntzugeben.

4. Am 16.05.2016 wurde die Viertbeschwerdeführerin in Dänemark geboren. Am 01.09.2016 langte ihr Antrag auf internationalen Schutz bei der belangten Behörde ein.

5. Am 01.09.2016 wurden die Beschwerdeführer von Dänemark nach Österreich rücküberstellt.

6. Am 17.01.2018 erfolgte die Einvernahme der Erst- bis Zweitbeschwerdeführer vor der belangten Behörde.

Zu ihrem Fluchtgrund erneut befragt, gab die Erstbeschwerdeführerin Folgendes wortwörtlich an:

"[...]

F: Was war der konkrete Grund, warum Sie die Heimat verlassen haben? Erzählen Sie bitte möglichst chronologisch über alle Ereignisse, die Sie zum Verlassen der Heimat veranlasst haben (freie Erzählung)!

A: Ich lebte im Dorf XXXX . Wir hatten einen Nachbarn(Familie des Mannes), mit welchem meine gesamte Familie stets Kontakt hielten. Die Eltern meines Mannes kamen zu uns und hielten um meine Hand an. Wir waren dann verlobt. Einige Zeit später kam ein Mann namens ‚Mullah XXXX ' und hielt um meine Hand an. Mein Vater erklärte, dass ich bereits verlobt sein. Dieser Mullah XXXX kam dann mehrmals zu meinem Vater zwecks Brautwerbung. Mein Vater sagte ihm dann, dass er nicht mehr kommen soll und dass er nicht mehr kommen soll. Am gleichen Abend lauerte er meinem Vater, als er in die Moschee ging, auf und sagte ihm, dass wenn ich jemand anderen heirate, wird er mich und auch meinen Ehemann töten. Als mein Vater am Abend zurückkam und erzählte es meiner Mutter. Sie hatten Angst. Ein bis zwei Tage später ging mein Vater dann zu meinem Schwiegervater und erzählte es ihm. Mein Schwiegervater meinte, dass er das nicht ernst nehmen soll und dass er nichts machen kann. Ein, zwei Tage danach verschwand dieser Mann dann aus dem Dorf. Mein Vater hat dann Nachforschungen angestellt. Die Dorfbewohner erzählten ihm, dass Mullah XXXX zu den Taliban gehört und mitsamt seiner Familie das Dorf verlassen hat. Danach war Ruhe. Wir waren ein Jahr verlobt und dann auch verheiratet. Ein Jahr und 2 Monate nach der Heirat kam dann meine Tochter zur Welt. Als sie ca. 7 Monate war, war sie sehr unruhig und hat viel geweint. Wir waren beim Arzt, aber es wurde nicht besser. Meine Schwiegereltern rieten uns dann eine Reise zu machen, da wir so lang nirgends waren. Sie meinten auch, dass es der Tochter etwas bringt, wenn wir in Masr-e Sharif eine Wahlfahrt machen, da ihr ja vielleicht ein Mullah helfen könnte. Wir fuhren dann nach Masr-e Sharif. Als wir dort waren griffen die Taliban einige Distrikte von Kunduz an ua. auch unseren politischen Distrikt. Am zweiten Tag, als wir in Masr-e Sharif waren, griffen Mullah XXXX und seine Leute das Haus meiner Schwiegereltern an. Dort hat er mich und meinen Mann gesucht. Nachdem er uns nicht gefunden hat, hat er die Schwiegereltern und meine Schwägerinnen gefoltert und dann erschossen. Am nächsten Morgen wurden die Taliban zurückgeschlagen. Mein Vater wollte sich dann bei meinen Schwiegereltern erkundigen und ging zu deren Haus. Das Tor war offen. Im Garten war alles voller Blut und im Keller waren die Leichen. Mein Vater rief dann meinen Mann an und meinte, dass wir sofort zurückkommen sollten, da seine Familie tot ist. Wir fuhren dann mit dem Onkel meines Mannes zurück. Wir waren dann drei Tage in Kunduz. Wir haben sie dann beerdigt. Mein Vater riet uns dann wieder nach Masr-e Sharif zu gehen, da der Mullah XXXX sicherlich uns sucht. Wir wollten, dass mein Vater und dir restliche Familie auch mitkommt. Mein Vater wollte aber sein Geschäft verkaufen und später nachkommen. Wir reisten dann wieder nach Masr-e Sharif. Als wir 6-7 Tage in Masr-e Sharif waren, griffen die Taliban das zweite Mal die Provinz Kunduz an. Wieder drang Mullah XXXX ins Dorf ein. Er ging dann zum Haus meines Vaters. Er war wieder auf der Suche nach mir und meinen Mann. Als er uns nicht findet, foltert er meinen Vater und meine Mutter. Er tötete meine Eltern, meinen Bruder und meine ältere Schwester. Meine jüngste Schwester ist seitdem vermisst. Am nächsten Morgen rief meine Tante väterlicherseits an und hat mir alles erzählt. Ich wollte dann zurückgehen um meine Eltern zu bestatten. Meine Tante und mein Mann rieten davon ab, da wir nun in Gefahr waren. Sie sagte mir, dass sie sich gemeinsam mit einem Nachbarn um die Beerdigung meiner Familie kümmern wird und dass sie danach nach Pakistan gehen wird, da sie auch Angst hätte. Das ist alles. Das sind alle meine Gründe.

Anmerkung: Die Antragstellerin schildert die Ereignisse ohne jegliche emotionale Regung. Vor allem die Tötung der Familie wird ohne jegliche Emotionen geschildert.

Anmerkung: Es wird festgehalten, dass die Antragstellerin im Zuge der freien Erzählung nach der konsekutiven Verdolmetschung des Dolmetschers beim Weiterführen der freien Erzählung stets die letzteren zwei bis drei Sätze wiederholt bevor diese tatsächlich mit dem Verlauf der Geschichte fortführt.

F: Sie werden nochmals auf das Neuerungsverbot im Beschwerdeverfahren aufmerksam gemacht. Ich frage Sie daher jetzt nochmals, ob Sie noch etwas Asylrelevantes angeben möchten oder etwas vorbringen möchten, was Ihnen wichtig erscheint, ich jedoch nicht gefragt habe?

A: Nein, ich habe alles erzählt. Ich habe keine weiteren Gründe mehr vorzubringen.

[...]"

Zu seinem Fluchtgrund erneut befragt, gab der Zweitbeschwerdeführer Folgendes wortwörtlich an:

"[...]

F: Was war der konkrete Grund, warum Sie die Heimat verlassen haben? Erzählen Sie bitte möglichst chronologisch über alle Ereignisse, die Sie zum Verlassen der Heimat veranlasst haben (freie Erzählung)!

A: Mein Vater war während der kommunistischen Herrschaft unter NAJIBOLLAH Oberst. Nachdem dieser gestürzt wurde, war mein Vater arbeitslos. Ich hatte dann ein Lebensmittelgeschäft. Als mein Vater dann den KFZ-Handel eröffnetet hat, habe ich mein Geschäft verkauft und mit meinem Vater zusammengearbeitet. Eines Tages meinte mein Vater, dass er mich verloben will. Die Verlobte wäre die Tochter eines Nachbaren, mit welchen wir Kontakt hatten. Ich widersprach nicht. Der Nachbar versprach uns dann seine Tochter. Nach einigen Monaten kam dann ein Mann aus dem Dorf namens ‚Mullah XXXX '. Er wollte ebenfalls die Tochter des Nachbars ehelichen. Der Nachbar hat dann aber abgelehnt, weil sie schon uns versprochen war. Er kam immer wieder zwecks Brautwerbung, bis mein Schwiegervater dann meinte, dass er seine Tochter nie hergeben wird, weil diese schon versprochen ist. Danach wurde mein Schwiegervater eines Nachts von diesem Mann auf dem Weg zur Moschee angehalten. Er drohte ihm dann, dass er uns beide (mich und meine Gattin) töten wird, wenn wir heiraten würden. An dem Abend kam der Schwiegervater dann auch zu uns nach Hause und erzählte es meinem Vater. Beide (mein Vater und mein Schwiegervater) haben es nicht sehr ernst genommen. Dieser Mann wurde dann einige Zeit nicht im Dorf gesehen. Mein Schwiegervater hat dann Nachforschungen angestellt und herausgefunden, dass dieser Mann mit den Taliban kooperiert und gemeinsam mit seiner Familie weggegangen ist. Wir hatten dann einige Zeit Angst. Ca. ein Jahr nach der Verlobung einigten sich die Väter, dass nun eine Hochzeit stattfinden kann. Wir haben die Hochzeit ‚klein' gehalten, weil wir nicht viel Aufsehen erregen wollten. Nach einem Jahr und zwei Monaten kam unsere Tochter zur Welt. Als meine Tochter ca. 7 Monate alt war, wurde sie krank und wir suchten einen Arzt auf. Wir brachten sie einige Male in das Krankenhaus in Kunduz, aber es brachte nichts. Meine Eltern rieten uns dann, dass wir nach Mazr-e Sharif zur Wahlfahrt reisen sollten. Sie meinten, dass das unserer Tochter helfen könnte und es wäre auch ein Tapetenwechsel, wenn wir den Onkel in Masr-e Sharif besuchen. Wir unternahmen diese Reise dann. In der zweiten Nacht griffen dann die Taliban verschiedene Punkte in Kunduz an.

Anmerkung: Antragsteller schluchzt angestrengt und bemüht(keine Tränen). Der AW verneint eine Pause.

Bei diesem Angriff griff besagter Mann namens ‚Mullah XXXX ' gemeinsam mit einigen seiner Leute unser Haus an. Sein Ziel war es mich zu töten. Als er mich nicht findet, wird mein Vater gefoltert und es entstand sehr viel Lärm. Sie haben dann meine Eltern und meine zwei Schwestern erschossen. Die Täter warfen dann die Leichen in unseren Keller und sind geflüchtet. Im Morgengrauen wird der Angriff der Taliban in der Region zurückgeschlagen. Am nächsten Morgen ging dann mein Schwiegervater zum Haus meiner Eltern um sich nach der kriegerischen Nacht, nach dem Empfinden meiner Familie zu erkunden. Er ging dann zum Haus und das Tor stand offen. Er ging rein und sieht, dass im Garten Blut ist. Er durchsucht das Haus und fand dann die Leichen im Keller. Er rief mich dann an. Nach der Schocküberwindung sind mein Onkel und ich nach Kunduz gefahren. Wir fuhren dann in unser Dorf. Ich habe dann die Leichen gesehen. Ich sah, dass sie vor dem Tod geschlagen wurden. Wir beerdigten sie dann. Nach drei Tagen meinte mein Schwiegervater zu mir und meiner Gattin, wir sollten nach Masr-e Sharif gehen. Das taten wir dann auch. Ich nahm dann gemeinsam mit meinem Onkel die zwei Autos mit. Ich wollte, dass der Schwiegervater uns begleitet. Er wollte erst sein Geschäft, welches er im Bazar vom XXXX hatte verkaufen und dann nach einigen Tagen nachkommen. Sieben Tage nachdem wir in Masr-e Sharif ankamen, griffen die Taliban erneut Kunduz an. Dieses Mal waren Sie erfolgreicher. Mullah XXXX kam wieder mit einigen seiner Anhänger ins Dorf. Er ging dann ins Haus meines Schwiegervaters, weil er uns wahrscheinlich dort vermutete. Anscheinend kam es dann dort auch zu einem Streit. Mein Schwiegervater wurde dann geschlagen und sie töteten meinen Schwiegervater und seine Familie. Die achtjährige Schwester meiner Frau ist seither verschollen. Wir wissen nicht, ob sie mitgenommen wurde. Die Geschehnisse wurden uns von der Schwester meines Schwiegervaters mitgeteilt. Meine Frau wollte dann zurück nach Kunduz, was aber nicht ging. Ihre Tante meinte, es wäre sehr gefährlich. Die Tante meiner Frau, meinte, dass sie sich um die Beerdigung kümmert und danach die Provinz verlassen wird, um nach Pakistan zu gehen. Wir wollten ursprünglich in den Iran. Ein Freund von mir meinte aber, dass die iranischen Behörden, die afghanischen Flüchtlinge wieder nach Afghanistan abschieben. Deshalb sind wir nach Europa. Das ist alles.

Weitere Gründe gibt es nicht.

F: Sie werden nochmals auf das Neuerungsverbot im Beschwerdeverfahren aufmerksam gemacht. Ich frage Sie daher jetzt nochmals, ob Sie noch etwas Asylrelevantes angeben möchten oder etwas vorbringen möchten, was Ihnen wichtig erscheint, ich jedoch nicht gefragt habe?

A: Nein, ich habe alles erzählt. Ich habe keine weiteren Gründe mehr vorzubringen.

[...]"

7. Die belangte Behörde wies mit den angefochtenen Bescheiden vom 06.02.2018 die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Weiters sprach die belangte Behörde aus, dass den Beschwerdeführern ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde (Spruchpunkt III.), gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG erlassen werde (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt werde, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

8. Am 09.03.2018 brachten die Beschwerdeführer - fristgerecht - Beschwerde gegen die Bescheide der belangten Behörde im vollen Umfang ein.

9. Am 10.08.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentlich mündliche Verhandlung statt.

10. Mit Schriftsatz vom 22.08.2018 wiesen die Beschwerdeführer auf die hohe Zahl von sicherheitsrelevanten Vorfällen hin. Dem Fact Finding Mission Report Afghanistan vom April 2018 und dem LIB Afghanistan (29.06.2018) sei überdies zu entnehmen, dass sich die Lage der Frauen wenig verbessert habe.

11. Am 19.02.2019 übermittelte der Zweitbeschwerdeführer Bestätigungen über gemeinnützig verrichtete Tätigkeiten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zu den Beschwerdeführern:

Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige von Afghanistan, Schiiten und gehören der Volksgruppe der Tadschiken an. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind verheiratet sowie die Eltern und die gesetzlichen Vertreter der Dritt- und Viertbeschwerdeführer.

Der Zweitbeschwerdeführer stammt aus der Provinz Kunduz. Er besuchte insgesamt drei Jahre die Grundschule und spricht die Sprachen Dari und Farsi. In Afghanistan arbeitete der Zweitbeschwerdeführer als Verkäufer in einem Autogeschäft und betrieb zuvor ein Lebensmittelgeschäft. Er ist arbeitsfähig, geht derzeit keiner entgeltlichen beruflichen Tätigkeit nach und konnte keinen Nachweis über eine konkrete schriftliche Einstellungszusage in Vorlage bringen. Der Zweitbeschwerdeführer ist oft ehrenamtlich für die Gemeinde tätig, besucht einen Deutschkurs auf dem Niveau A2 und legte im Verfahren ein Zertifikat über die Ablegung einer Deutschprüfung auf dem Niveau A1 vom 12.10.2017 in Vorlage.

Die Drittbeschwerdeführerin wurde im Jahr 2015 in Afghanistan geboren und besucht in Österreich den Kindergarten; die Viertbeschwerdeführerin kam im Jahr 2016 in Dänemark zur Welt.

Die Beschwerdeführer sind gesund und strafgerichtlich unbescholten bzw. strafunmündig und nehmen Leistungen aus der Grundversorgung in Anspruch.

Die Erst- und Zweitbeschwerdeführer waren in Afghanistan nie politisch tätig und gehörten nie einer politischen Partei an. Sie waren in Afghanistan weder vorbestraft noch inhaftiert.

In Österreich sind die Erst- und Zweitbeschwerdeführer Mitglieder des Vereins Retreat - Verein für Kommunikation und Bildung.

Die Erst- bis Drittbeschwerdeführer waren in Afghanistan keinen konkreten Verfolgungs- bzw. Gefährdungssituationen ausgesetzt und stellten am 16.11.2015 die vorliegenden Anträge auf internationalen Schutz. Am 20.11.2015 verließen die Erst- bis Drittbeschwerdeführer ihre Betreuungsstelle in Österreich, ohne eine neue Abgabestelle bekanntzugeben. Am 01.09.2016 wurden die Beschwerdeführer von Dänemark nach Österreich rücküberstellt.

Hinsichtlich des Fluchtvorbringens bzw. der Rückkehrbefürchtungen der Dritt- und Viertbeschwerdeführer wurde auf jenes bzw. jene der Erst- und Zweitbeschwerdeführer verwiesen.

Nicht festgestellt werden kann weiters, dass bei einer allfälligen Rückkehr der Beschwerdeführer nach Afghanistan diese mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer wie immer gearteten Verfolgung ausgesetzt wären bzw. ein besonderes Interesse an der Person der Beschwerdeführer besteht bzw. bestehen könnte.

Es kann ferner nicht festgestellt werden, dass die Eltern und Geschwister der Erst- und Zweitbeschwerdeführer im Zuge eines Angriffs durch einen Mullah und dessen Anhänger getötet wurden.

Als Angehörige der Beschwerdeführer in Afghanistan leben die Eltern und die Geschwister der Erst- und Zweitbeschwerdeführer. Der Onkel mütterlicherseits des Zweitbeschwerdeführers ist in Mazar-e-Sharif wohnhaft.

Im Heimatort der Erst- bis Drittbeschwerdeführer in der Provinz Kunduz waren diese bei den Eltern des Zweitbeschwerdeführers wohnhaft.

Die Erstbeschwerdeführerin stammt aus der Provinz Kunduz und spricht die Sprachen Dari, Farsi und Paschtu. Die Erstbeschwerdeführerin wuchs in einem traditionellen Umfeld in Afghanistan auf. Sie war bzw. ist weder in Afghanistan noch in Österreich erwerbstätig. Sie besuchte zwei Jahre die Volksschule, war Hausfrau und ist Analphabetin. In Afghanistan war es ihr verwehrt, das Haus alleine zu verlassen.

In Österreich hilft die Erstbeschwerdeführerin manchmal bei gemeinnützigen Tätigkeiten, beispielsweise beim Kochen. Die Erstbeschwerdeführerin besuchte bereits Deutschkurse, konnte jedoch noch kein Zertifikat über die Ablegung einer Deutschprüfung in Vorlage bringen.

An einem durchschnittlichen Tag in Österreich kümmert sich die Erstbeschwerdeführerin um ihre Kinder, lernt Deutsch und geht mit ihren Kindern hinaus.

Sie unterhält vor allem Kontakt zu Personen, die regelmäßig in das Flüchtlingsheim kommen und die Erstbeschwerdeführerin beim Deutschlernen unterstützen. In der Freizeit zeichnet die Erstbeschwerdeführerin und geht oft laufen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Erstbeschwerdeführerin während ihres relativ kurzen Aufenthalts in Österreich eine Lebensweise angenommen hätte, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde.

Es kann zudem nicht festgestellt werden, dass den Beschwerdeführern im Falle der Rückkehr in die Städte Herat, Kabul oder Mazar-e-Sharif ein Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit drohen würde. Mit der finanziellen Unterstützung der Eltern der Erst- und Zweitbeschwerdeführer und des (in Mazar-e-Sharif lebenden) Onkels mütterlicherseits des Zweitbeschwerdeführers ist ihnen der Aufbau einer Existenzgrundlage in den Städten Herat, Kabul oder Mazar-e-Sharif möglich. Ihre Existenz könnte der Zweitbeschwerdeführer dort - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Der Zweitbeschwerdeführer ist auch in der Lage, in den Städten Herat, Kabul oder Mazar-e-Sharif für die Beschwerdeführer eine einfache Unterkunft zu finden.

Die Beschwerdeführer können die Hauptstadt Kabul und die Städte Herat und Mazar-e-Sharif - über Kabul - von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.

1.2. Feststellungen zum Herkunftsstaat:

1.2.1. Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018

Sicherheitslage

Kabul

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten (Pajhwok o.D.z): Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi (UN OCHA 4-2014; vgl. Pajhwok o.D.z).

Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (CSO 4.2017).

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt (Pajhwok o.D.z). Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen (LAT 26.3.2018). In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen (TG 15.3.2018).

Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR) (Tolonews 25.2.2018; vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden (Tolonews 10.9.2017; vgl. Kapitel 3.35.).

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen (Reuters 14.3.2018), die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben (Reuters 14.3.2018; vgl. UNGASC 27.2.2018). Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen (Khaama Press 26.3.2018; vgl. FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018). Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (DW 27.3.2018; vgl. VoA 19.3.2018 SCR 3.2018, FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018).

Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte) (UNAMA 2.2018).

Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.

Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen und Maßnahmen der afghanischen Regierung in der Provinz Kabul

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt (Tolonews 31.1.2018; vgl. AT 18.3.2018, RS 28.2.2018; vgl. MF 18.3.2018). Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden (MF 18.3.2018). Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind (Tolonews 7.2.2018). Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017). Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen (Tolonews 7.2.2018). Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt (Tolonews 1.3.2018). Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden (RFE/RL 7.2.2018). Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (Reuters 14.3.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in der Provinz Kabul

Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 17.3.2018, Dawn 31.1.2018), auch dem Haqqani-Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben (RFE/RL 30.1.2018; vgl. NYT 9.3.2018, VoA 1.6.2017). So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden (AAN 5.2.2018).

Zum Beispiel wurden zwischen 27.12.2017 und 29.1.2018 acht Angriffe in drei Städten ausgeführt, zu denen neben Jalalabad und Kandahar auch Kabul zählte - fünf dieser Angriffe fanden dort statt. Nichtsdestotrotz deuten die verstärkten Angriffe - noch - auf keine größere Veränderung hinsichtlich des "Modus Operandi" der Taliban an (AAN 5.2.2018).

Für den Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden in der Provinz Kabul vom IS verursachte Vorfälle registriert (Gewalt gegenüber Zivilist/innen und Gefechte) (ACLED 23.2.2018).

Balkh

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Sie hat folgende administrative Einheiten: Hairatan Port, Nahra-i-Shahi, Dihdadi, Balkh, Daulatabad, Chamtal, Sholgar, Chaharbolak, Kashanda, Zari, Charkont, Shortipa, Kaldar, Marmal, und Khalm; die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz grenzt im Norden an Tadschikistan und Usbekistan. Die Provinz Samangan liegt sowohl östlich als auch südlich von Balkh. Die Provinzen Kunduz und Samangan liegen im Osten, Jawzjan im Westen und Sar-e Pul im Süden (Pajhwok o.D.y).

Balkh grenzt an drei zentralasiatische Staaten: Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan (RFE/RL 9.2015). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt (CSO 4.2017).

Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.:

Provinzhauptstadt Baghlan]; sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar (BFA Staaatendokumentation 4.2018). In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen (vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35).

Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren (Pajhwok 7.6.2017).

Nach monatelangen Diskussionen hat Ende März 2018 der ehemalige Gouverneur der Provinz Balkh Atta Noor seinen Rücktritt akzeptiert und so ein Patt mit dem Präsidenten Ghani beendet. Er ernannte den Parlamentsabgeordneten Mohammad Ishaq Rahgozar als seinen Nachfolger zum Provinzgouverneur (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Reuters 22.3.2018). Der neue Gouverneur versprach, die Korruption zu bekämpfen und die Sicherheit im Norden des Landes zu garantieren (Tolonews 24.3.2018).

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans (RFE/RL 23.3.2018), sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan (Khaama Press 16.1.2018; vgl. Khaama Press 20.8.2017). Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Khaama Press 16.1.2018).

Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (Tolonews 7.3.2018), oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte (BBC 22.4.2017; vgl. BBC 17.6.2017).

In der Provinz befindet sich u.a. das von der deutschen Bundeswehr geführte Camp Marmal (TAAC-North: Train, Advise, Assist Command - North) (NATO 11.11.2016; vgl. iHLS 28.3.2018), sowie auch das Camp Shaheen (BBC 17.6.2017; vgl. Tolonews 22.4.2017).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Im gesamten Jahr 2017 wurden 129 zivile Opfer (52 getötete Zivilisten und 77 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet einen Rückgang von 68% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen in Balkh

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen (Khaama Press 16.1.2018). Diese militärischen Operationen werden in gewissen Gegenden der Provinz geführt (Tolonews 18.3.2018; vgl. PT.3.2018, Pajhwok 21.8.2017, Pajhwok 10.7.2017). Dabei werden Taliban getötet (Tolonews 18.3.2018; vgl. PT 6.3.2018, Pajhwok 10.7.2017) und manchmal auch ihre Anführer (Tolonews 18.3.2018; vgl. Tolonews 7.3.2018, PT 6.3.2018, Tolonews 22.4.2017).

Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt (Tolonews 7.3.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Balkh

Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben (Khaama Press 16.1.2018). Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen (Khaama Press 20.8.2017).

Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert (ACLED 23.2.2018).

Herat

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Herat grenzt im Norden an die Provinz Badghis und Turkmenistan, im Süden an die Provinz Farah, im Osten an die Provinz Ghor und im Westen an den Iran. Die Provinz ist in folgende Bezirke eingeteilt, die gleichzeitig auch die administrativen Einheiten bilden: Shindand, Engeel/Injil, Ghorian/Ghoryan, Guzra/Guzara und Pashtoon Zarghoon/Pashtun Zarghun, werden als Bezirke der ersten Stufe angesehen. Awba/Obe, Kurkh/Karukh, Kushk, Gulran, Kuhsan/Kohsan, Zinda Jan und Adraskan als Bezirke zweiter Stufe und Kushk-i-Kuhna/Kushki Kohna, Farsi, und Chisht-i-Sharif/Chishti Sharif als Bezirke dritter Stufe (UN OCHA 4.2014; vgl. Pajhwok o. D.). Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat (CP 21.9.2017). In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler in Herat-Stadt und ein militärischer in Shindand (vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35.). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt (CSO 4.2017).

In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken (Pajhwok o.D.; vgl. NPS o.D.).

Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz (AJ 8.3.2012). Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion (AJ 8.3.2012; vgl. EN 9.11.2017). Es sollen Regierungsprogramme und ausländische Programme zur Unterstützung der Safran-Produktion implementiert werden. Safran soll eine Alternative zum Mohnanbau werden (Tolonews 10.11.2017; vgl. EN 9.11.2017). Anfang Jänner 2018 wurde ein Labor zur Kontrolle der Safran-Qualität in Herat errichtet (Pajhwok 13.1.2018). Die Safran-Produktion garantierte z.B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz (Tolonews 10.11.2017; vgl. EN 9.11.2017). Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. (Tolonews 10.11.2017). Insgesamt wurden 2017 in der Provinz min. 8 Tonnen Safran produziert; im Vorjahr 2016 waren es 6.5 Tonnen (Pajhwok 13.1.2018; vgl. EN 9.11.2017). Trotzdem stieg im Jahr 2017 in der Provinz die Opiumproduktion. In den Distrikten Shindand und Kushk, geprägt von schlechter Sicherheitslage, war der Mohnanbau am höchsten (UNODC 11.2017).

Im Dezember 2017 wurden verschiedene Abkommen mit Uzbekistan unterzeichnet. Eines davon betrifft den Bau einer 400 Km langen Eisenbahnstrecke von Mazar-e Sharif und Maymana nach Herat (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2017).

Mitte März 2018 wurde der Bau der TAPI-Leitung in Afghanistan eingeweiht. Dabei handelt es sich um eine 1.800 Km lange Pipeline für Erdgas, die Turkmenistan, Afghanistan, Pakistan und Indien 30 Jahre lang mit 33 Billionen m³ turkmenischem Erdgas versorgen soll. Die geplante Leitung wird sich entlang der Herat-Kandahar-Autobahn erstrecken. Somit wird sie durch Gegenden, auf die die Taliban einen starken Einfluss haben, verlaufen. Jedoch erklärten die Taliban, TAPI sei ein "wichtiges Projekt" und sie würden es unterstützen (PPG 26.2.2018; vgl. RFE/RL 23.2.2018). Im Rahmen des TAPI-Projekts haben sich 70 Taliban bereit erklärt, an den Friedensprozessen teilzunehmen (Tolonews 4.3.2018). Um Sicherheit für die Umsetzung des TAPI-Projekts zu gewähren, sind tausende Sicherheitskräfte entsandt worden (Tolonews 14.3.2018).

Allgemeine Informationen zur Sicherheitslage

Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (AN 18.2.2018; vgl. UNODC 12.2017, Khaama Press 25.10.2017, AJ 25.6.2017). Des Weiteren wurde Ende Oktober 2017 verlautbart, dass die Provinz Herat zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat (Khaama Press 25.10.2017).

Die Provinz ist u.a. ein Hauptkorridor für den Menschenschmuggel in den Iran bekannt - speziell von Kindern (Pajhwok 21.1.2017).

Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge (AN 18.2.2018).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen in Herat

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien (Khaama Press 18.1.2017; Khaama Press 15.1.2017). Auch werden Luftangriffe verübt (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017); dabei wurden Taliban getötet (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017). Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt (AJ 25.6.2017; vgl. AAN 11.1.2017). In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen (MdD o. D.).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Herat

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (AN 18.2.2018;

vgl. UNODC 12.2017, Khaama Press 25.10.2017, AJ 25.6.2017). Dem Iran wird von verschiedenen Quellen nachgesagt, afghanische Talibankämpfer auszubilden und zu finanzieren (RFE/RL 23.2.2018;

vgl. Gandhara 22.2.2018, IP 13.8.2017, NYT 5.8.2017). Regierungsfeindliche Aufständische griffen Mitte 2017 heilige Orte, wie schiitische Moscheen, in Hauptstädten wie Kabul und Herat, an (FAZ 1.8.2017; vgl. DW 1.8.2017). Dennoch erklärten Talibanaufständische ihre Bereitschaft, das TAPI-Projekt zu unterstützen und sich am Friedensprozess zu beteiligen (AF 14.3.2018; vgl. Tolonews 4.3.2018). Es kam zu internen Konflikten zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017).

Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden (UNAMA 2.2018).

ACLED registrierte für den Zeitraum 1.1.2017-15.7.2017 IS-bezogene Vorfälle (Gewalt gegen die Zivilbevölkerung) in der Provinz Herat (ACLED 23.2.2017).

Kinder

Die Situation der Kinder hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Während Mädchen unter der Taliban-Herrschaft fast vollständig vom Bildungssystem ausgeschlossen waren, machen sie von den heute ca. acht Millionen Schulkindern rund drei Millionen aus. Der Anteil der Mädchen nimmt jedoch mit fortschreitender Klassen- und Bildungsstufe ab. Den geringsten Anteil findet man im Süden und Südwesten des Landes (Helmand, Uruzgan, Zabul und Paktika) (AA 5.2018). Landesweit gehen in den meisten Regionen Mädchen und Buben in der Volksschule in gemischten Klassen zur Schule; erst in der Mittel- und Oberstufe werden sie getrennt (USDOS 3.3.2017).

Bildungssystem in Afghanistan

Der Schulbesuch ist in Afghanistan bis zur Unterstufe der Sekundarbildung Pflicht (die Grundschule dauert sechs Jahre und die Unterstufe der Sekundarbildung drei Jahre). Das Gesetz sieht kostenlose Schulbildung bis zum Hochschulniveau vor (USDOS 20.4.2018).

Aufgrund von Unsicherheit, konservativen Einstellungen und Armut haben Millionen schulpflichtiger Kinder keinen Zugang zu Bildung - insbesondere in den südlichen und südwestlichen Provinzen. Manchmal fehlen auch Schulen in der Nähe des Wohnortes (USDOS 3.3.2017). Auch sind in von den Taliban kontrollierten Gegenden gewalttätige Übergriffe auf Schulkinder, insbesondere Mädchen, ein weiterer Hinderungsgrund beim Schulbesuch. Taliban und andere Extremisten bedrohen und greifen Lehrer/innen sowie Schüler/innen an und setzen Schulen in Brand (USDOS 20.4.2018). Nichtregierungsorganisationen sind im Bildungsbereich tätig, wie z. B. UNICEF, NRC, AWEC und Save the Children. Eine der Herausforderungen für alle Organisationen ist der Zugang zu jenen Gegenden, die außerhalb der Reichweite öffentlicher Bildung liegen. Der Bildungsstand der Kinder in solchen Gegenden ist unbekannt und Regierungsprogramme sind für sie unzugänglich - speziell, wenn die einzigen verfügbaren Bildungsstätten Madrassen sind. UNICEF unterstützt daher durch die Identifizierung von Dorfgemeinschaften, die mehr als drei Kilometer von einer ordentlichen Schule entfernt sind. Dort wird eine Dorfschule mit lediglich einer Klasse errichtet. UNICEF bezeichnet das als "classroom". Auf diese Art "kommt die Schule zu den Kindern". Auch wird eine Lehrkraft aus demselben, gegebenenfalls aus dem nächstgelegenen Dorf, ausgewählt - bevorzugt werden Frauen. Lehrkräfte müssen fortlaufend Tests des Provinzbüros des Bildungsministeriums absolvieren. Je nach Ausbildungsstand beträgt das monatliche Gehalt der Lehrkräfte zwischen US$ 90 und 120. Die Infrastruktur für diese Schulen wird von der Dorfgemeinschaft zur Verfügung gestellt, UNICEF stellt die Unterrichtsmaterialien. Aufgrund mangelnder Finanzierung sind Schulbücher knapp. Wenn keine geeignete Lehrperson gefunden werden kann, wendet sich UNICEF an den lokalen Mullah, um den Kindern des Dorfes doch noch den Zugang zu Bildung zu ermöglichen. UNICEF zufolge ist es wichtig, Kindern die Möglichkeit zu geben, auch später einem öffentlichen Schulplan folgen zu können (BFA Staatendokumentation 4.2018).

In Afghanistan existieren zwei parallele Bildungssysteme; religiöse Bildung liegt in der Verantwortung des Klerus in den Moscheen, während die Regierung kostenfreie Bildung an staatlichen Einrichtungen bietet (BFA Staatendokumentation 4.2018). Nachdem in den meisten ländlichen Gemeinden konservative Einstellungen nach wie vor präsent sind, ist es hilfreich, wenn beim Versuch Modernisierungen durchzusetzen, auf die Unterstützung lokaler Meinungsträger zurückgegriffen wird - vor allem lokaler religiöser Würdenträger, denen die Dorfgemeinschaft vertraut. Im Rahmen von Projekten arbeiten unterschiedliche UN-Organisationen mit religiösen Führern in den Gemeinden zusammen, um sie in den Bereichen Frauenrechte, Bildung, Kinderehen und Gewalt, aber auch Gesundheit, Ernährung und Hygiene zu beraten. Eines dieser Projekte wurde von UNDP angeboten; als Projektteilnehmer arbeiten die Mullahs der Gemeinden, die weiterzugebenden Informationen in ihre Freitagpredigten ein. Auch halten sie Workshops zu Themen wie Bildung für Mädchen, Kinderehen und Gewalt an Frauen. Auf diesem Wege ist es ihnen möglich eine Vielzahl von Menschen zu erreichen. Im Rahmen eines Projektes hat UNICEF im Jahr 2003 mit rund 80.000 Mullahs zusammengearbeitet, mit dem Ziel Informationen zu Gesundheit, Ernährung, Hygiene, Bildung und Sicherheit in ihre Predigten einzubauen. Die tatsächliche Herausforderung dabei ist es, die Informationen in den Predigten zu vermitteln, ohne dabei Widerstand innerhalb der Gemeinschaft hervorzurufen (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Der gewaltfreie Umgang mit Kindern hat sich in Afghanistan noch nicht als Normalität durchsetzen können (AA 9.2016). Körperliche Züchtigung und Übergriffe im familiären Umfeld (AA 9.2016; vgl. CAN 2.2018), in Schulen oder durch die afghanische Polizei sind verbreitet. Dauerhafte und durchsetzungsfähige Mechanismen seitens des Bildungsministeriums, das Gewaltpotenzial einzudämmen, gibt es nicht. Gerade in ländlichen Gebieten gehört die Ausübung von Gewalt zu den gebräuchlichen Erziehungsmethoden an Schulen. Das Curriculum für angehende Lehrer beinhaltet immerhin Handreichungen zur Vermeidung eines gewaltsamen Umgangs mit Schülern (AA 9.2016). Einer Befragung in drei Städten zufolge (Jalalabad, Kabul und Torkham), berichteten Kinder von physischer Gewalt - auch der Großteil der befragten Eltern gab an, physische Gewalt als Disziplinierungsmethode anzuwenden. Eltern mit höherem Bildungsabschluss und qualifizierterem Beruf wendeten weniger Gewalt an, um ihre Kinder zu disziplinieren (CAN 2.2018).

Bacha Bazi (Bacha Bazi) - Tanzjungen

Bacha Bazi, auch Tanzjungen genannt, sind Buben oder transsexuelle Kinder, die sexuellem Missbrauch und/oder dem Zwang, bei öffentlichen oder privaten Ereignissen zu tanzen, ausgesetzt sind (MoJ 15.5.2017: Art. 653). In weiten Teilen Afghanistans, vor allem in den Rängen von Armee und Polizei, ist der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen nach wie vor ein großes Problem. Das Thema ist gesellschaftlich tabuisiert und wird nicht selten unter dem Deckmantel kultureller Gepflogenheiten verschwiegen oder verharmlost. Ein Großteil der Täter hat keinerlei Unrechtsbewusstsein (AA 5.2018). Mit Inkrafttreten des neuen afghanischen Strafgesetzbuches im Jahr 2018, wurde die Praxis des Bacha Bazi kriminalisiert. Den Tätern drohen bis zu sieben Jahre Haft. Jene, die mehrere Buben unter zwölf Jahren halten, müssen mit lebenslanger Haft rechnen. Das neue afghanische Strafgesetzbuch kriminalisiert nicht nur die Praxis von Bacha Bazi, sondern auch die Teilnahme an solchen Tanzveranstaltungen. Der Artikel 660 des fünften Kapitels beschreibt, dass Beamte der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte (ANSF), die in die Praxis von Bacha Bazi involviert sind, mit durchschnittlich bis zu fünf Jahren Haft rechnen müssen (MoJ 15.5.2017; vgl. LSE 24.1.2018).

Üblicherweise sind die Jungen zwischen zehn und 18 Jahre alt (SBS 20.12.2016; vgl. AA 9.2016); viele von ihnen werden weggeben, sobald sie erste Anzeichen eines Bartes haben (SBS 21.12.2016). Viele der Jungen wurden entführt, manchmal werden sie auch von ihren Familien aufgrund von Armut an die Täter verkauft (SBS 20.12.2016; vgl. AA 5.2018). Manchmal sind die Betroffenen Waisenkinder und in manchen Fällen entschließen sich Jungen, Bacha Bazi zu werden, um ihre Familien zu versorgen (TAD 9.3.2017). Die Jungen und ihre Familien werden oft von ihrer sozialen Umgebung verstoßen; eine polizeiliche Aufklärung findet nicht statt (AA 5.2018).

Kinderarbeit

Das Arbeitsgesetz in Afghanistan setzt das Mindestalter für Arbeit mit 18 Jahren fest; es erlaubt Jugendlichen ab 14 Jahren als Lehrlinge zu arbeiten und solchen über 15 Jahren "einfache Arbeiten" zu verrichten. 16- und 17-Jährige dürfen bis zu 35 Stunden pro Woche arbeiten. Kinder unter 14 Jahren dürfen unter keinen Umständen arbeiten. Das Arbeitsgesetz verbietet die Anstellung von Kindern in Bereichen, die ihre Gesundheit gefährden. In Afghanistan existiert eine Liste, die gefährliche Jobs definiert; dazu zählen: Arbeit im Bergbau, Betteln, Abfallentsorgung und Müllverbrennung, arbeiten an Schmelzöfen sowie in großen Schlachthöfen, arbeiten mit Krankenhausabfall oder Drogen, arbeiten als Sicherheitspersonal und Arbeit im Kontext von Krieg (USDOS 20.4.2018).

Afghanistan hat die Konvention zum Schutze der Kinder ratifiziert (AA 5.2018; vgl. UNTC 9.4.2018). Kinderarbeit ist in Afghanistan somit offiziell verboten (AA 5.2018). Berichten zufolge arbeiten mindestens 15% der schulpflichtigen Kinder (IRC 15.2.2018; vgl. FEWS NET 29.3.2018, IDMC 1.2018). Viele Familien sind auf die Einkünfte ihrer Kinder angewiesen (AA 5.2018; vgl. IDMC 1.2018). Daher ist die konsequente Umsetzung eines Kinderarbeitsverbots schwierig. Es gibt allerdings Programme, die es Kindern erlauben sollen, zumindest neben der Arbeit eine Schulausbildung zu absolvieren. Auch ein maximaler Stundensatz und Maßnahmen zum Arbeitsschutz (wie z. B. das Tragen einer Schutzmaske beim Teppichknüpfen) wurden gesetzlich geregelt. Der Regierung fehlt es allerdings an durchsetzungsfähigen Überprüfungsmechanismen für diese gesetzlichen Regelungen (AA 5.2018). Allgemein kann gesagt werden, dass schwache staatliche Institutionen die effektive Durchsetzung des Arbeitsrechts hemmen und die Regierung zeigt nur geringe Bemühungen, Kinderarbeit zu verhindern oder Kinder aus ausbeuterischen Verhältnissen zu befreien (USDOS 20.4.2018; vgl. AA 5.2018).

Kinderarbeit bleibt ein tiefgreifendes Problem (USDOS 20.4.2018; vgl. IRC 15.2.2018, FEWS NET 29.3.2018, IDMC 1.2018). Das Arbeitsministerium verweigert Schätzungen zur Zahl der arbeitenden Kinder in Afghanistan und begründet dies mit fehlenden Daten und Mängeln bei der Geburtenregistrierung. Dies schränkt die ohnehin schwachen Kapazitäten der Behörden bei der Durchsetzung des Mindestalters für Arbeit ein. Berichten zufolge werden weniger als 10% der Kinder bei Geburt registriert. Oft sind Kinder sexuellem Missbrauch durch erwachsene Arbeiter ausgesetzt (USDOS 20.4.2018).

Strafverfolgung von Kindern

Das Gesetz besagt, dass die Festnahme eines Kindes als letztes Mittel und so kurz wie möglich vorgenommen werden soll. Berichten zufolge mangelt es Kindern in Jugendhaftanstalten landesweit an Zugang zu adäquater Verpflegung, Gesundheitsvorsorge und Bildung. Festgenommenen Kindern werden oftmals Grundrechte wie z.B. die Unschuldsvermutung, das Recht auf einen Anwalt, oder das Recht auf Information über die Haftgründe sowie das Recht, nicht zu einem Geständnis gezwungen zu werden, verwehrt. Das Gesetz sieht eine eigene Jugendgerichtsbarkeit vor; wegen limitierter Ressourcen sind spezielle Jugendgerichte nur in sechs Gebieten funktionsfähig:

Kabul, Herat, Balkh, Kandahar, Nangarhar und Kunduz. In anderen Provinzen, in denen keine speziellen Gerichte existieren, fallen Kinder unter die Zuständigkeit allgemeiner Gerichte. Im afghanischen Strafjustizsystem sind Kinder oftmals eher die Opfer als die Täter (USDOS 20.4.2018).

Viele Kinder sind unterernährt. Ca. 10% (laut offizieller Statistik 91 von 1.000, laut Weltbank 97 von 1.000) der Kinder sterben vor ihrem fünften Geburtstag. Straßenkinder gehören zu den am wenigsten geschützten Gruppen Afghanistans und sind jeglicher Form von Missbrauch und Zwang ausgesetzt (AA 9.2016). Nachdem im Jahr 2016 die Zahl getöteter oder verletzter Kinder gegenüber dem Vorjahr um 24% gestiegen war (923 Todesfälle, 2.589 Verletzte), sank sie 2017 um 10% (861 Todesfälle, 2.318 Verletzte). 2017 machten Kinder 30% aller zivilen Opfer aus. Die Hauptursachen sind Kollateralschäden bei Kämpfen am Boden (45%), Sprengfallen (17%) und zurückgelassene Kampfmittel (16%) (AA 5.2018).

Rekrutierung von Kindern

Im Februar 2016 trat das Gesetz über das Verbot der Rekrutierung von Kindern im Militär in Kraft. Berichten zufolge rekrutieren die ANDSF und andere regierungsfreundliche Milizen in limitierten Fällen Kinder; die Taliban und andere regierungsfeindliche Gruppierungen benutzen Kinder regelmäßig für militärische Zwecke. Im Rahmen eines Regierungsprogramms werden Schulungen für ANP-Mitarbeiter zu Alterseinschätzung und Sensibilisierungskampagnen betreffend die Rekrutierung von Minderjährigen organisiert sowie Ermittlungen in angeblichen Kinderrekrutierungsfällen eingeleitet (USDOS 20.4.2018).

Waisenhäuser

Die Lebensbedingungen für Kinder in Waisenhäusern sind schlecht. Berichten zufolge sind 80% der Kinder zwischen vier und 18 Jahren in den Waisenhäusern keine Waisenkinder, sondern stammen aus Familien, die nicht die Möglichkeit haben, für Nahrung, Unterkunft und Schulbildung zu sorgen. Quellen zufolge werden Kinder in Waisenhäusern mental, physisch und sexuell misshandelt; auch sind sie manchmal Menschenhandel ausgesetzt. Der Zugang zu fließendem Wasser, Heizung, Sanitäranlagen, Gesundheitsversorgung, Freizeiteinrichtungen und Bildung wird nicht regelmäßig gewährleistet (USDOS 20.4.2018).

Frauen

Die Lage afghanischer Frauen hat sich in den letzten 15 Jahren zwar insgesamt ein wenig verbessert, jedoch nicht so sehr wie erhofft. Wenngleich es in den unterschiedlichen Bereichen viele Fortschritte gab, bedarf die Lage afghanischer Frauen spezieller Beachtung. Die afghanische Regierung ist bemüht, die Errungenschaften der letzten eineinhalb Jahrzehnte zu verfestigen - eine Institutionalisierung der Gleichberechtigung von Frauen in Afghanistan wird als wichtig für Stabilität und Entwicklung betrachtet (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. UNAMA/OHCHR 5.2018). In einigen Bereichen hat der Fortschritt für Frauen stagniert, was Großteils aus der Talibanzeit stammenden, unnachgiebigen konservativen Einstellungen ihnen gegenüber geschuldet ist (BFA Staatendokumentation 4.2018). Viel hat sich seit dem Ende des Talibanregimes geändert: Frauen haben das verfassungsmäßige Recht an politischen Vorgängen teilzunehmen, sie streben nach Bildung und viele gehen einer Erwerbstätigkeit nach (TET 15.3.2018). Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (MPI 27.1.2004). In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser Rechte (AA 5.2018; vgl. UNAMA/OHCHR 5.2018). Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018). Traditionell diskriminierende Praktiken gegen Frauen existieren insbesondere in ländlichen und abgelegenen Regionen weiter (AA 5.2018).

Bildung

Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt (BFA Staatendokumentation 3.7.2014). Laut Verfassung haben alle afghanischen Staatsbürger/innen das Recht auf Bildung (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Öffentliche Kindergärten und Schulen sind bis zur Hochschulebene kostenlos. Private Bildungseinrichtungen und Universitäten sind kostenpflichtig. Aufgeschlossene und gebildete Afghanen, welche die finanziellen Mittel haben, schicken ihre Familien ins Ausland, damit sie dort leben und eine Ausbildung genießen können (z.B. in die Türkei); während die Familienväter

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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