TE Bvwg Erkenntnis 2019/2/12 W211 2143577-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.02.2019
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Entscheidungsdatum

12.02.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W211 2143577-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a SIMMA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geboren am XXXX, StA. Somalia, gegen Spruchpunkt I. des Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vomXXXX, Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A) Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX

gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die beschwerdeführende Partei, ein männlicher Staatsangehöriger Somalias, stellte am XXXX2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Bei ihrer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX2015 gab die beschwerdeführende Partei an, der Volksgruppe der Hawiye, Subclan XXXXanzugehören und aus dem Ort Ceelbuur zu stammen. In Somalia verfüge sie über keine Verwandten mehr. Somalia habe sie wegen Al Shabaab verlassen.

3. Bei der Einvernahme durch die belangte Behörde am XXXX2016 gab die beschwerdeführende Partei zusammengefasst und soweit wesentlich an, dass sie in Somalia acht Jahre lang die Schule besucht habe. Sie sei verheiratet und habe in Somalia als Eisverkäufer gearbeitet. Als im März 2014 AMISOM-Truppen die Kontrolle in Ceelbur übernommen hätten, habe Al Shabaab ihre Familie dazu gedrängt in ein nahegelegenes Dorf zu ziehen. Dort hätten Angehörige der Miliz von ihrem Vater verlangt, dass sich die beschwerdeführende Partei und ihr Bruder ihr anschließen sollen. Als er dies verweigert habe, sei er und der Bruder erschossen worden. Ihre Schwester sei mitgenommen worden und die beschwerdeführende Partei wisse nichts über deren Schicksal. Die beschwerdeführende Partei habe man in ein Camp gebracht, wo sie für Al Shabaab arbeiten habe müssen. Wegen eines missglückten Fluchtversuchs sei sie gefoltert worden und habe Verletzungen davongetragen. Als schließlich AMISOM das Lager angegriffen und sie befreit habe, habe sie mehrere Al Shabaab-Mitglieder enttarnt. Dann sei sie von AMISOM nach Mogadischu gebracht und in einer Apotheke verarztet worden, sodann jedoch beschuldigt worden, selbst ein Anhänger der Al Shabaab zu sein. Nur durch die Aussage des Fahrers, der sie nach Mogadischu gebracht habe, habe sie ihre Unschuld beweisen können. Dieser habe ihr auch geholfen, ihre Ausreise aus Somalia zu organisieren.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der beschwerdeführenden Partei bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihr gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG erteilt (Spruchpunkt III.).

5. Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides wurde rechtzeitig Beschwerde eingebracht.

6. Am XXXX2018 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die somalische Sprache und in Anwesenheit der beschwerdeführenden Partei und ihrer Vertretung eine mündliche Verhandlung durch, in deren Rahmen sie nach ihren Fluchtgründen befragt wurde. Die belangte Behörde entschuldigte sich mit Schreiben vom XXXX2018 für die Teilnahme an der Verhandlung.

7. Am XXXX2019 langte eine schriftliche Stellungnahme der Vertretung zu den aktualisierten Länderinformationen ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur beschwerdeführenden Partei:

1.1.1. Die beschwerdeführende Partei ist ein männlicher Staatsangehöriger Somalias. Sie stellte am XXXX2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

1.1.2 Die beschwerdeführende Partei stammt aus Ceelbuur und zog im März 2014 in das Dorf XXXX, das sich etwa zehn Kilometer von der Stadt Ceelbuur entfernt befindet.

Sie gehört dem Clan derXXXX, Subclan XXXX an. Sie besuchte in Somalia acht Jahre lang die Schule. In Somalia arbeitete die beschwerdeführende Partei als Eisverkäufer.

Die beschwerdeführende Partei ist geschieden. Die Mutter und die Ex-Frau der beschwerdeführenden Partei leben in Äthiopien. Die beschwerdeführende Partei steht in regelmäßigem Kontakt mit ihren in Äthiopien lebenden Angehörigen.

1.1.3. Die beschwerdeführende Partei ist gesund und strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur relevanten Situation in Somalia wird festgestellt wie folgt:

Im Jahr 2018 sind dem Bundesstaat Galmudug Teile der Regionen Mudug und Galgaduud zugeordnet. Galmudug grenzt bereits an die Gebiete der al Shabaab, die Grenze des Einflussbereichs richtet sich nach der Achse Hobyo-Dhusamareb. Die Bezirke Xaradheere und Ceel Dheere befinden sich unter der Kontrolle der al Shabaab; dies gilt auch für den Bezirk Ceel Buur. Die Stadt Ceel Buur ist nach dem Abzug äthiopischer Truppen im März 2017 von AS wieder besetzt worden (BFA 8.2017). Die Städte Dhusamareb, Guri Ceel und vermutlich auch Galkacyo und Garoowe sind weitgehend frei von al Shabaab (BFA 8.2017). Allerdings hat die Gruppe in Galkacyo - wie auch in anderen Teilen Somalias - Verbindungen in alle Gesellschaftsebenen und -Bereiche (SEMG 8.11.2017).

In Gebieten, die von der al Shabaab kontrolliert werden, gelten eine Unterstützung der Regierung und Äußerungen gegen al Shabaab als ausreichend, um als Verräter verurteilt und hingerichtet zu werden. In den von al Shabaab kontrollierten Gebieten werden Unterstützer der staatlichen Strukturen oder Mitarbeiter von Hilfsorganisationen als militärisches Ziel definiert und entsprechend zur Ermordung freigegeben (AA 1.1.2017). Al Shabaab exekutiert vor allem jene, welche der Spionage für oder Kollaboration mit der Regierung bezichtigt werden (HRW 12.1.2017).

Die Schwelle dessen, was die al Shabaab als Kollaboration mit dem Feind wahrnimmt, ist mitunter sehr niedrig angesetzt. Insbesondere in Frontgebieten oder Orten, deren Herrschaft wechselt, kann auch das Verkaufen von Tee an Soldaten bereits als Kollaboration wahrgenommen werden. Generell sind aber das Ausmaß und/oder die Gewissheit der Kollaboration; der Ort des Geschehens; und die Beziehungen der betroffenen Person dafür ausschlaggebend, ob al Shabaab die entsprechenden Konsequenzen setzt (BFA 8.2017).

Besonders gefährdet sind Personen, welche folgende Aspekte erfüllen:

a) die Kollaboration ist offensichtlich; b) der Ort lässt eine leichte Identifizierung des Kollaborateurs zu; c) eine Exekution wird als maßgebliches Abschreckungszeichen wahrgenommen; d) wenn sich die Kollaboration in einem Ort mit fluktuierender Kontrolllage zugetragen hat (BFA 8.2017).

Spezifisch als mögliche Ziele aufgrund von Kollaboration genannt wurden z.B. Rückkehrer in Gebiete der al Shabaab (Vorwurf der Spionage); Händler/Wirtschaftstreibende, welche z.B. AMISOM beliefern; Arbeiter oder Handwerker, die z.B. für Ministerien tätig werden; Hotels, die Politikern Unterkunft geben. Besonders gefährdet sind Personen, die von der al Shabaab als Spione wahrgenommen werden. Es kommt fast täglich zu Übergriffen bis hin zur Exekution von der Spionage verdächtigten Personen (BFA 8.2017).

Die Menschen auf dem Gebiet der al Shabaab sind einer höchst autoritären und repressiven Herrschaft unterworfen. Alle Bewohner der Gebiete von al Shabaab müssen strenge Vorschriften befolgen, z. B. Kleidung, Eheschließung, Steuerzahlung, Teilnahme an militärischen Operationen, Rasieren, Spionieren, Bildung etc. (DIS 9.2015). Mit den damit verbundenen harten Bestrafungen wurde ein generelles Klima der Angst geschaffen (BS 2016). Das Brechen von Vorschriften kann zu schweren Strafen bis hin zum Tod führen (DIS 9.2015).

Al Shabaab foltert und exekutiert Personen, denen die Gruppe Spionage vorwirft, oder welche sich nicht an ihre Interpretation der Scharia halten (AI 22.2.2017). Außerdem richtet al Shabaab regelmäßig und ohne ordentliches Verfahren Menschen unter dem Vorwurf hin, diese hätten mit der Regierung, einer internationalen Organisation oder einer westlichen Hilfsorganisation zusammengearbeitet (AA 1.1.2017; vgl. AI 22.2.2017).

1.3. Festgestellt wird daher, dass die Stadt Ceelbuur und der gleichnamige umliegende Bezirk von Al Shabaab kontrolliert werden.

Festgestellt wird, dass der Vater und der Bruder der beschwerdeführenden Partei von Al Shabaab ermordet wurden. Auch wurde die Schwester der beschwerdeführenden Partei von der Miliz verschleppt, wobei deren weiteres Schicksal unklar ist.

Festgestellt wird, dass die beschwerdeführende Partei von Al Shabaab 2014 mitgenommen und in einem Lager für zwei Monate festgehalten wurde sowie dort Arbeiten verrichten musste, wobei sie auch misshandelt wurde.

Nach Befreiung des Lagers durch AMISOM-Truppen enttarnte die beschwerdeführende Partei mehrere Mitglieder der Miliz.

In weiterer Folge wird auch festgestellt, dass die beschwerdeführende Partei als Rückkehrer in ein Gebiet, das von Al Shabaab kontrolliert wird, der Gefahr unterliegt, wegen des Vorwurfs der Spionage und der Kollaboration mit dem Feind bestraft zu werden.

Von einer Schutzfähigkeit der somalischen Sicherheitsbehörden im Gebiet um Ceelbuur wird nicht ausgegangen.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Aufgrund der im Verfahren unterlassenen Vorlage eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokuments bzw. sonstigen Bescheinigungsmittels konnte die Identität der beschwerdeführenden Partei nicht festgestellt werden.

Das Datum der Antragstellung und Ausführungen zum Verfahrenslauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.

2.2. Die Feststellungen zur Herkunft aus Ceelbuur, zum Schulbesuch, zur Berufstätigkeit, zum Umzug nach XXXX und zur Clanzugehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglich gleichbleibenden und glaubhaften Angaben der beschwerdeführenden Partei im Verfahren.

Die Feststellung, dass die beschwerdeführende Partei geschieden ist, ergibt sich aus den glaubhaften Angaben der beschwerdeführenden Partei im Laufe der mündlichen Verhandlung.

Die Feststellung, dass ihre Mutter und ihre Ex-Frau in Äthiopien leben, ergibt sich aus den glaubhaften Angaben der beschwerdeführenden Partei im Rahmen der mündlichen Verhandlung (Seite 6f des Protokolls). Die Feststellung, dass die beschwerdeführende Partei in regelmäßigen Kontakt zu diesen steht, ergibt sich ebenfalls aus den glaubhaften Angaben der beschwerdeführenden Partei im Rahmen der mündlichen Verhandlung (Seite 7 des Protokolls).

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand basieren auf den Angaben der beschwerdeführenden Partei und dem Fehlen anderslautender Unterlagen.

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit beruht auf einem Auszug aus dem Strafregister.

2.3. Die Feststellungen zu 1.2. fußen auf Informationen der Staatendokumentation aus 2018. Sie beruhen auf den folgenden Detailquellen:

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AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/336580/479258_de.html, Zugriff 14.9.2017

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BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report_Somalia%20Sicherheitslage_Onlineversion_2017_08_KE_neu.pdf, Zugriff 13.9.2017

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BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Somalia Country Report,

https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Somalia.pdf, Zugriff 20.11.2017

-

DIS - Danish Immigration Service (9.2015): Country of Origin Information for Use in the Asylum Determination Process; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Nairobi, Kenya and Mogadishu, Somalia; 2-12 May 2015, http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1443181235_somalia-ffm-report-2015.pdf, Zugriff 13.12.2017

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HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/334750/476503_de.html, Zugriff 14.9.2017

-

LI - Landinfo (20.12.2017): Somalia: Al-Shabaab utenfor byene i Sør-Somalia,

http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1515415669_2012.pdf, Zugriff 10.1.2018

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SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group (8.11.2017): Report of the SEMG on Somalia,

https://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/2017/924, Zugriff 14.11.2017

Das Bundesverwaltungsgericht hat keinen Grund, an der Ausgewogenheit, Verlässlichkeit und Aktualität der Länderinformationen zu zweifeln.

2.4. Die Feststellung, dass sich die Heimatstadt der beschwerdeführenden Partei Ceelbuur und deren Umland in den Händen der Al Shabaab befinden, ergibt sich aus den angeführten Länderinformationen und den damit übereinstimmenden glaubhaften Angaben der beschwerdeführenden Partei.

Die Feststellungen, dass der Vater und der Bruder der beschwerdeführenden Partei im Zuge der fluchtauslösenden Ereignisse von Al Shabaab ermordet wurden und ihre Schwester verschleppt wurde, ergeben sich aus den gleichbleibenden Angaben der beschwerdeführenden Partei im Laufe des Verfahrens.

Die Feststellung, dass die beschwerdeführende Partei 2014 von Al Shabaab mitgenommen und für zwei Monate in einem Lager festgehalten wurde, wobei sie für die Miliz Arbeiten verrichten musste und auch misshandelt wurde, gründet ebenfalls auf den glaubhaften Angaben der beschwerdeführenden Partei im Laufe des Verfahrens.

Auch die Feststellung, dass die beschwerdeführende Partei nach Befreiung des Lagers durch AMISOM-Truppen mehrere Mitlieder der Miliz enttarnt hat, ergibt sich aus den übereinstimmenden und glaubhaften Angaben der beschwerdeführenden Partei in der Einvernahme und der mündlichen Verhandlung.

In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass die belangte Behörde selbst die Fluchtgeschichte der beschwerdeführenden Partei in ihrer Gesamtheit als glaubhaft erachtete, wie sie in der Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides festhielt (siehe AS 126 und S 66 des angefochtenen Bescheides).

Daraus folgt, wie aus den Länderinformationen hervorgeht, dass Subjekte gezielter Angriffe der Al Shabaab mutmaßliche Spione und Kollaborateure mit dem angenommenen Feind der Al Shabaab sind, darunter eben auch Rückkehrer ins Gebiet der Al Shabaab. Die beschwerdeführende Partei stammt aus einem relativ kleinen Dorf im Umfeld von Ceelbuur, einer Gegend mit hoher Al Shabaab Präsenz und unter Kontrolle der Miliz. Dass die beschwerdeführende Partei dort als Rückkehrer erkennbar wäre und identifiziert werden könnte, liegt nahe.

Daher ist von einer Gefährdung der beschwerdeführenden Partei durch die Al Shabaab im Falle einer Rückkehr nach Ceelbuur auf Basis der Länderinformation und der bereits erlittenen Vorkomnisse auszugehen.

2.5. Die Feststellung zur Schutzunfähigkeit der somalischen Sicherheitsbehörden ergibt sich aus den diesbezüglichen Länderinformationen in Hinblick auf die Kontrollsituation in der Herkunftsregion der beschwerdeführenden Partei.

3. Rechtliche Beurteilung:

A) Spruchpunkt I.:

3.1. Rechtsgrundlagen

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Flüchtling im Sinne der Bestimmung ist demnach, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

3.1.2. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH, 05.08.2015, Ra 2015/18/0024 und auch VwGH, 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (vgl. VwGH, 26.02.1997, Zl. 95/01/0454), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH, 18.04.1996, Zl. 95/20/0239), sondern erfordert eine Prognose. Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Besteht für den Asylwerber die Möglichkeit, in einem Gebiet seines Heimatstaates, in dem er keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine inländische Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt.

3.1.3. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat zurechenbar sein (vgl. VwGH, 18.02.1999, Zl. 98/20/0468). Einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt Asylrelevanz dann zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. unter vielen anderen mwN VwGH, 20.05.2015, Ra 2015/20/0030 und 08.09.2015, Ra 2015/18/0010).

3.2. Anwendung der Rechtsgrundlagen auf die gegenständliche Beschwerde:

3.2.1. Wie in den Feststellungen und in der Beweiswürdigung ausgeführt geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass die beschwerdeführende Partei im Falle einer Rückkehr nach Ceelbur bzw. XXXX, also in Orte, die nach wie vor unter der Kontrolle der Al Shabaab stehen, aufgrund ihrer Desertation nach erfolgter Zwangsrekrutierung durch Al Shabaab, der damit einhergehenden Weigerung, diese zu unterstützen, ihrer Kollaboration mit AMISOM in Form der Enttarnung zweier Mitlieder der Miliz und der damit verbundenen, von der Miliz auch nur unterstellten, oppositionellen politischen und religiösen Gesinnung eine Verfolgung befürchten muss. Eine solche Verfolgung ist nach den relevanten Länderinformationen auch maßgeblich aktuell, wahrscheinlich und intensiv.

In diesem Sinne ist der belangten Behörde mit ihrer Einschätzung nicht zu folgen, dass die glaubhafte Bedrohung durch Al Shabaab keinen Anknüpfungspunkt an einen in der GFK aufgezählten Grund haben kann: Während die Zwangsrekrutierung selbst nicht jedenfalls eine asylrelevante Verfolgung darstellt, so deutet gegenständlich ihre Verweigerung bzw. die Desertion aus der Situation der Zwangsrekrutierung bzw. ihre Zusammenarbeit mit AMISOM auf eine - auch nur unterstellte - oppositionelle politische und auch religiöse Gesinnung hin, die wiederum einen asylrelevanten Verfolgungsgrund darstellt (vgl. VwGH, 19.04.2016, Ra 2015/01/0079).

Schließlich kann auch in Hinblick darauf, dass die Herkunftsregion der beschwerdeführenden Partei von einer radikalislamistischen bewaffneten Miliz kontrolliert wird, nicht von einer relevanten Schutzwilligkeit und -fähigkeit durch somalische Sicherheitsbehörden ausgegangen werden.

3.2.2. Eine Prüfung der innerstaatlichen Fluchtalternative kann vor dem Hintergrund entfallen, dass die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Widerspruch zum gewährten subsidiären Schutz stehen würde, weil § 11 AsylG 2005 die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nur erlaubt, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben sind (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 bis 0016).

3.2.3. Da sich im Verfahren auch keine Hinweise auf Ausschlussgründe des § 6 AsylG ergeben haben, ist der beschwerdeführenden Partei nach dem oben Gesagten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG ist diese Entscheidung mit der Aussage zu verbinden, dass ihr damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.3. Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz vor dem 15.11.2015 gestellt wurde, wodurch insbesondere die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 idF des Bundesgesetzes BGBl. I 2016/24 ("Asyl auf Zeit") gemäß § 75 Abs. 24 leg. cit. im konkreten Fall keine Anwendung finden.

Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei der erheblichen Rechtsfrage betreffend die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchpunkt A. wiedergegeben.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung, religiöse Gründe,
Schutzunfähigkeit, Schutzunwilligkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W211.2143577.1.00

Zuletzt aktualisiert am

01.04.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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